TE Bvwg Erkenntnis 2019/5/14 W175 2176567-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 14.05.2019
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Entscheidungsdatum

14.05.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch

W175 2176567-1/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Neumann als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , somalischer Staatsangehöriger, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.10.2017, Zahl:

1118510906/160829765, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1 Z 1, 10 Abs. 1 Z 3, 57 Asylgesetz 2005, § 9 BFA-Verfahrensgesetz und §§ 52, 55 Fremdenpolizeigesetz als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (BF) stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 13.06.2016 den gegenständlichen Antrag gemäß § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, (AsylG). Am 14.06.2016 fand die Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes statt. Am 06.10.2017 fand vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) eine niederschriftliche Einvernahme des BF im Rahmen des Asylverfahrens statt.

2. In der Erstbefragung am 14.06.2016 gab der BF an, im Dorf T., Hiiraan, Somalia geboren zu sein. Er sei volljährig, sunnitischer Moslem und gehöre dem Clan der Hawadle an. Einen Reisepass habe er nie besessen, er könne auch keine sonstigen Identitätsdokumente vorlegen.

Er habe fünf Jahre die Koranschule besucht und bis 01.08.2015 als Verkäufer gearbeitet. Er sei ledig und habe keine Kinder. In Somalia würden seine Eltern und zwei Geschwister leben, in Österreich habe er keine Verwandten oder nähere Bekannten.

Er habe seinen Heimatort am 01.08.2015 und Somalia am 01.08.2015 verlassen und sei ohne die Hilfe eines Schleppers über mehrere afrikanische Staaten nach Griechenland und danach über Mazedonien, Serbien und Ungarn nach Österreich gereist, sein Ziel sei Deutschland gewesen.

Zu seinem Fluchtgrund befragt gab der BF an, die Al Shabaab habe ihn aufgefordert, für sie zu kämpfen. Als er sich geweigert habe, hätten sie ihn eingesperrt, bis ihm während der Gebetszeit die Flucht gelungen sei. Er habe Angst, dass man ihn bei einer Rückkehr töten werde, einige seiner Freunde seien bereits getötet worden.

3. In der Einvernahme vor dem BFA vom 06.10.2017 gab der BF nach erfolgter Rechtsberatung an, dass er bei der Erstbefragung die Wahrheit gesagt habe. Seine Angaben seien korrekt protokolliert und ihm rückübersetzt worden.

Der BF gab an, in Somalia, dass er am 01.09.2015 verlassen habe, mit seinen Eltern und seinen zwei Geschwistern zum Zeitpunkt des gegenständlichen Vorfalls in T. gelebt zu haben. Sie seien Hirten gewesen und von einer Wasserstelle zur anderen gezogen. Die Familie würde jetzt in einer anderen Stadt, in D., Hiiraan, leben. Der BF habe damals in einer Mietwohnung in der Nähe seines Geschäfts in T. gelebt, die anderen in einem Zelt. Die Ortschaft T. habe etwa 500 Einwohner, und sei etwa 60 km von Buulo Barde entfernt. Der Bruder sei zwischenzeitlich verstorben, die Schwester verheiratet. Er habe noch Onkel und Tanten, die Nomaden seien. Er habe regelmäßig Kontakt zu seiner Familie.

Der BF habe fünf Jahre die Koranschule besucht und könne lesen und schreiben. Er habe als Lebensmittelverkäufer gearbeitet und einen eigenen Marktstand besessen, den er verkauft habe, um die Reise zu bezahlen. Zielland habe er keines gehabt. Derzeit lebe er von der Grundversorgung. Er habe Deutsch A1 abgeschlossen.

Nach den Fluchtgründen befragt gab der BF an, dass er sein Geschäft mit einem Partner geführt habe. Im Juli 2015 hätten Mitglieder der Al Shabaab eine Rede gehalten und die Dorfbewohner mit Megaphonen zusammengerufen und zum Kämpfen aufgefordert. Sie hätten eine Liste von 50 Jugendlichen erstellt und die Leute aufgefordert, ihnen diese Jugendlichen zu schicken. Sie würden alle Bewohner im Dorf namentlich kennen. Der BF sei auf der Liste angeführt gewesen. Sie hätten sich innerhalb von 5 Tagen melden müssen.

Der BF habe seinen Eltern erzählt, dass er nicht bereit sei, Unschuldige zu töten, die Eltern hätten diese Meinung geteilt. Er habe den Eltern gesagt, er werde an einen Ort gehen, wo Regierungssoldaten das Sagen hätten. Während er auf ein Auto gewartet hätte, hätten ihn Leute der Al Shabaab im Geschäft gesucht und seien dann zu den Eltern gekommen. Sie hätten ihn und den Vater geschlagen und die Treibstoffkosten eingefordert. Der BF sei mitgenommen worden, zusammen mit drei Ziegen. Er sei nach T. gebracht und mit drei anderen Männern eingesperrt worden. Er sei nochmal geschlagen und in der Früh mit kaltem Wasser bespritzt worden. Nach einigen Tagen habe ihm der Anführer gesagt, man werde ihn töten, wenn er nicht mit ihnen zusammenarbeiten würde. Er habe zugestimmt.

Am 01.08.2015 sei er mit dem Auto in ein anderes Dorf namens A. gebracht worden. Dort hätten die Männer begonnen zu beten, die Gefangene hätten sich gerade gewaschen und hätten sich auf das Gebet vorbereitet. Er hätte Schüsse gehört und sei sofort in eine ihm unbekannte Richtung weggelaufen. Es sei dunkel gewesen und er habe hinter sich Männer mit Taschenlampen gesehen. Die ganze Nacht sei er gegangen, am Mittag des nächsten Tages seien sie bei einer Familie vorbeigekommen, die ihnen zu trinken gegeben hätte. Er hab sie nach dem Weg nach Baladhaawo gefragt. Nach eineinhalb Tagen bei dieser Familie seien sie mit einem Tiertransporter nach Baladhaawo gereist, wo er fünf Tage bei einem Bekannten gewohnt habe, bevor er nach Kenia ausgereist sei. Er habe von einem Bekannten ein Mobiltelefon erhalten. Sobald er seine SIM-Karte eingelegt habe, habe er Drohanrufe und SMS erhalten. Sie hätten gesagt, dass sie ihn überall finden würden. Dann sei er schlepperunterstützt bis nach Österreich gereist.

Sein Geschäftspartner lebe immer noch in Somalia, der BF habe ihm seinen Anteil am Geschäft verkauft.

Als der BF in Baladhaawo aufhältig gewesen sei, habe er mit dem Vater telefoniert. Dieser habe ihm gesagt, dass der Bruder von der Al Shabaab mitgenommen worden sei. Nach der Einreise nach Österreich habe der Vater gesagt, er habe gehört, der Bruder sei im Krieg für die Al Shabaab gestorben. Er sei zwangsrekrutiert worden.

Darüber hinaus habe der BF keine Probleme in Somalia gehabt.

4. In einer Stellungnahme vom 10.10.2017 wurde auf die Sicherheitslage speziell in Hiiraan verwiesen. Es würden nicht nur Kinder bis 16 Jahre zwangsrekrutiert, auch sei die Mitwirkung bei der Al Shabaab insbesondere für junge Männer aus gewissen Gründen attraktiv. Dies beweise, dass nicht nur Kinder und Jugendliche rekrutiert würden. Der damals knapp über 20jährige BF sei davon betroffen gewesen. Durch die Flucht werde man dem BF gegenläufige religiöse und politische Motive unterstellen. Auf die damals herrschende Dürre wurde hingewiesen.

5. Das BFA wies mit dem gegenständlichen Bescheid vom 13.10.2017, zugestellt am 17.10.2017, den Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und den Antrag bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt II.). Dem BF wurde gemäß § 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz (FPG) erlassen und weiters gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Somalia zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise des BF betrage gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

Ausgeführt wurde, dass die Identität des BF nicht feststehe. Die Zugehörigkeit zur vorgebrachten Volksgruppe wurde als glaubhaft angesehen. Der BF sei nicht bin der Lage gewesen, sein Fluchtvorbringen glaubhaft zu machen.

Zu Spruchpunkt II. führte das BFA aus, dass davon auszugehen sei, dass der BF ein junger, arbeitsfähiger Mann sei, der im Falle der Rückkehr Unterstützung durch seine Angehörigen erhalten würde.

Zu Spruchpunkt III. wurde schließlich das Vorliegen eines schützenswerten Familien- oder Privatlebens in Österreich verneint.

6. Gegen diesen Bescheid erhob der BF mit Schreiben vom 10.11.2017 fristgerecht Beschwerde. Vorgebracht wurde, dass der BF von der Al Shabaab aufgefordert worden sei, sich ihnen anzuschließen. Als er dem nicht nachgekommen sei, sei er in seinem Geschäft aufgesucht, zusammengeschlagen und entführt worden. Er sei dann in ein Gefängnis gesperrt worden. Von dort sei ihm die Flucht gelungen. In der Erstbefragung sei er von der Dolmetscherin aufgefordert worden, sich kurz zu fassen, er habe in der Befragung vor dem BFA diese dann konkretisiert, worin kein Widerspruch liege. Der Rekrutierungsprozess sei ein individueller, man könne nicht davon ausgehen, dass nur Kinder und Jugendliche rekrutiert würden. Abgesehen davon sie er ein interessantes Einzelobjekt für die Al Shabaab, da er auf ihrer Liste gestanden und trotzdem entkommen sei. Auf die damals herrschende Dürre in Somalia wurde hingewiesen.

7. Die gegenständliche Beschwerde und der bezughabende Verwaltungsakt wurde dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) am 15.11.2107 vorgelegt.

8. Das BVwG führte in der gegenständlichen Rechtssache am 20.06.2018 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der BF und sein gewillkürter Vertreter persönlich teilnahmen. Ein Vertreter des BFA nahm an der Verhandlung nicht teil.

Zu seiner Person befragt bestätigte der BF die bisher im Verfahren gemachten Angaben. Er gehöre dem Clan der Hawadle, Subclan Madahweyne, an.

Er habe nach wie vor Kontakt zu seiner Familie, die Mutter und die Schwester lebten wie zuvor mit dem Vater gemeinsam als Nomaden im Dorf D. in der Provinz Hiiraan. Dieser habe dem BF im Februar 2017 erzählt, dass der Bruder des BF getötet worden sei. Er wisse jedoch nicht wie. Der Vater habe gesagt, nachdem der BF in Baladhaawo angekommen sei, habe die Al Shabaab den Bruder entführt. Sie habe ihn in einem Kampf eingesetzt, wobei er gestorben sei. Woher der Vater das wisse, könne der BF nicht sagen, man erfahre schnell, wenn jemand in einem Kampf ums Leben gekommen sei.

Der BF habe zusammen mit einem Partner ein Lebensmittelgeschäft geführt, ob dieses noch existiere, könne er nicht sagen.

In Österreich spiele er in seiner Freizeit Fußball in einem Verein. Einen Deutschkurs A1 habe er abgeschlossen, für A2 fehle ihm noch das Kursgeld. Er verrichte gelegentlich gemeinnützige Tätigkeiten. Aus den vorgelegten Unterlagen zum Thema Integration geht hervor, dass der BF Englisch und etwas Arabisch spreche. In der Verhandlung wurde festgestellt, dass sich der BF auf Deutsch verständlich machen kann. Einen Befund der Barmherzigen Brüder zu seinen psychischen Problemen werde er nachreichen.

Er könne schon wegen der Dürre nicht nach Somalia zurückkehren könne. Seine Eltern seien sehr alt und könnten ihn nicht unterstützen.

Zu seinem Fluchtgrund befragt gab er an, dass er von der Al Shabaab verurteilt worden sei, da er sich geweigert habe mit ihnen zusammenzuarbeiten. Sie hätten gesagt, dass sie ihn töten würden. Er sei etwa zwei Wochen im Gefängnis gewesen und sie hätten ihn jeden Tag geschlagen. Er habe schließlich zugesagt mitzuarbeiten. Als auch die anderen beiden Mithäftlinge zugestimmt hätten, hätte man sie an einen anderen Ort bringen wollen. Sie seien beim Transport kurz stehen geblieben, um das Abendgebet zu verrichten. Sie wären von sechs bewaffnete Männer begleitet worden, einer hätte auf sie aufgepasst. Als sie alle gebetet hätten, hätte eine Schießerei zwischen der Al Shabaab und Stammesmilizen begonnen. Er habe in Baladhaawo erfahren, dass es Stammesmilizen gewesen wären. Danach habe jeder irgendwohin laufen müssen. Er und ein anderer Gefangener seien gemeinsam weggerannt. Sie hätten nach eineinhalb Tagen Nomaden um Hilfe gebeten.

Zu seiner Rekrutierung gab er an, dass die Al Shabaab in ihrem Dorf an der Macht gewesen sei. Sie hätte die Bevölkerung aufgefordert, am Freitag ins Zentrum zu kommen, was sie auch getan hätten. Der Anführer habe ihnen erzählt, dass AMISOM auf dem Weg zum Dorf sei und dass sie bereits zwei Dörfer erobert hätten. Die Al Shabaab würde mindestens 50 Jugendliche benötigen, er habe eine Liste. Sie sollten innerhalb von 5 Tagen zum Stützpunkt kommen. Danach sei der BF zu seinem Partner gegangen und habe gesagt, dass er zu seiner Familie gehen wolle, um sie zu informieren. Die Familie lebe etwa einen Tag entfernt. Der BF habe dann den Eltern davon erzählt. Er habe dann beschlossen nach Baladhaawo zu gehen. Er sei an der Straße gestanden, an der die Busse durchfahren würden, das Haus sei in der Nähe. Da seien die Milizen gekommen und hätten begonnen, sie zu schlagen. Es wären vier Personen gewesen, sie hätten den BF und drei Rinder des Vaters mitgenommen.

Auf den Hinweis, dass der BF fünf Tage Zeit gehabt habe, sich zu melden, gab er an, dass der Ort T. und der Aufenthaltsort der Eltern weit voneinander entfernt gewesen sei, sie hätten gedacht, dass er habe weglaufen wollen.

Sein Name sei auf der Liste gewesen, da die Al Shabaab alle Familien und Jugendlichen kenne. Der BF sei bekannt gewesen, da er in einem Geschäft gearbeitet habe.

Er habe keine Familienangehörigen in anderen Teilen Somalias. Vor drei oder vier Monaten habe ihm der Vater erzählt, dass sie durch ein Schlechtwetter ihre Hütte verloren hätten.

Am 21.06.2018 wurde ein Schreiben des Psychosozialen Dienstes der Barmherzigen Brüder vom 17.03.2017 vorgelegt, wonach der BF am 17.03.2017 in Begleitung eines Freundes vorgesprochen habe. Er leide unter Flashbacks und Schlafstörungen, da bei der Überfahrt nach Europa 500 Personen gestorben seien. Es wurde PTBS diagnostiziert und dem BF ein mildes Psychopharmakon verschrieben.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Beweisaufnahme

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch Einsicht in:

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den dem BVwG vorliegenden Verwaltungsakt des BFA, beinhaltend die Niederschrift der Erstbefragung am 14.06.2016, die Niederschrift der Einvernahme vor dem BFA am 06.10.2017 sowie die Beschwerde vom 10.11.2017

-

die im Bescheid des BFA getroffenen Länderfeststellungen sowie die Feststellungen in der Beschwerde und die im gegenständlichen Erkenntnis zitierten aktuellen Länderfeststellungen

-

die vom BF vorgelegten Integrationsunterlagen und medizinischen Unterlagen.

Weiters herangezogen wurden die Angaben des BF in der Verhandlung vor dem BVwG am 20.06.2018.

Seitens des BF wurden im Verfahren vor dem BVwG keine Beweismittel oder sonstige Belege zu seiner Identität vorgelegt.

2. Feststellungen (Sachverhalt):

Das BVwG geht auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens von folgendem für die Entscheidung maßgebenden Sachverhalt aus:

a) Zur Person und zum Vorbringen der beschwerdeführenden Partei

1. Der BF ist volljährig, somalischer Staatsangehöriger und stammt aus der Region Hiiraan, Bundesstaat HirShabelle, Somalia. Er gehört dem Clan der Hawadle, Subclan Madahweyne an und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des BF ist Somali.

2. Der BF ist im Dorf T. (Anm: 60 km von Buulo Barde entfernt) geboren. Er hat fünf Jahre die Koranschule besucht und bis 01.08.2015 als Verkäufer gearbeitet. Seine Familie sind Nomaden, die Eltern und die Geschwister leben nach wie vor in der Region Hiiraan. Der BF hat Kontakt zu seiner Familie.

3. Der BF verließ Somalia am 01.08.2015 und reiste zu einem nicht bekannten Zeitpunkt unrechtmäßig ins Bundesgebiet ein, wo er am 13.06.2016 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

4. Der BF ist gesund und arbeitsfähig. Er hat in Österreich keine familiären Beziehungen. Er spielt in der Freizeit Fußball und kann sich auf Deutsch verständlich machen (Kursbesuchsbestätigung A1). Er geht ehrenamtlichen, jedoch keiner beruflichen Tätigkeit nach und pflegt nicht näher ausgeführte freundschaftliche Kontakte.

5. Er ist nach eigenen Angaben in seinem Herkunftsstaat nicht vorbestraft und war nie inhaftiert oder hatte sonstige Probleme mit ansässigen Behörden. Er war nicht politisch aktiv und hatte keine über das Antragsvorbringen hinausgehenden Probleme in seinem Herkunftsstaat.

Ein konkreter Anlass für das (fluchtartige) Verlassen des Herkunftsstaates konnte nicht festgestellt werden. Es konnte auch nicht festgestellt werden, dass der BF im Fall der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer wie auch immer gearteten Verfolgungsgefahr ausgesetzt sein wird.

Gründe, die eine Verfolgung des BF im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat Somalia aus asylrelevanten Gründen maßgeblich wahrscheinlich erscheinen lassen, hat der BF nicht glaubhaft gemacht. Es kann somit nicht festgestellt werden, dass dem BF im Falle seiner Rückkehr nach Somalia eine Verfolgung aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder aus seiner politischen Gesinnung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit droht.

6. Bei einer Rückkehr nach Somalia in seine Heimatregion um die Stadt Buulo Barde droht dem BF kein maßgeblicher Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit. Er läuft nicht Gefahr, in dieser Region grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose beziehungsweise existenzbedrohende Situation zu geraten. Der BF ist in einem Dorf 60 km von Buulo Barde entfernt aufgewachsen, hat mehrere Jahre die Schule besucht. Hat eine mehrjährige Berufserfahrung als selbständiger Händler und war in einen Familienverband eingebunden. Die Kernfamilie des BF (Eltern und Geschwister) sowie weitere Verwandte (Tanten, Onkel) sind Nomaden und halten sich um Buulo Barde auf. Er hat mehrere Jahre einen Verkaufsstand betrieben und hat daher Erfahrung im Berufsleben. Es besteht nach wie vor Kontakt zur Familie. Dass die Eltern alles verloren hätten, konnte der BF nicht glaubhaft machen. Es sind keine Gründe ersichtlich, weshalb der BF nicht wieder von seiner Familie aufgenommen werden sollte.

Der BF kann somit bei einer Rückkehr mit finanzieller und sonstiger Unterstützung seitens seiner Familie rechnen. Er hat auch die Möglichkeit, Rückkehrunterstützung in Anspruch zu nehmen und damit eine weitere finanzielle Hilfe zu erhalten. Als gesunder leistungsfähiger Mann im berufsfähigen Alter ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf liefe der BF auch sonst nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose beziehungsweise existenzbedrohende Situation zu geraten. Der BF leidet an keinen schweren Erkrankungen.

b) Zur Lage im Herkunftsstaat

Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Somalia (Stand 12.1.2018, letzte Kurzinformation eingefügt am 17.9.2018).

Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

KI vom 17.9.2018: Positiver Trend bei Versorgungslage

Nach den überdurchschnittlichen Regenfällen 2018 wird die Getreideernte die größten Erträge seit 2010 einbringen. Die Lage bei der Nahrungsversorgung hat sich weiter verbessert (UN OCHA 11.9.2018; vgl. UN OCHA 5.9.2018), dies gilt auch für Einkommensmöglichkeiten und Marktbedingungen (FSNAU 1.9.2018). Die Preise für unterschiedliche Grundnahrungsmittel haben sich in Mogadischu gegenüber dem Vorjahr drastisch verbilligt und liegen nunmehr unter dem Fünfjahresmittel. Dies betrifft namentlich Bohnen (cowpea), rotes Sorghum und Mais (FEWS NET 31.8.2018). Insgesamt hat sich die Ernährungssituation verbessert, auch wenn es im ganzen Land noch eine hohe Rate an Unterernährung gibt - speziell unter IDPs (UN OCHA 11.9.2018). Die Dürre ist zwar offiziell vorbei, es braucht aber mehr als eine gute Regenzeit, bevor sich die Menschen davon erholen (UN OCHA 2.9.2018). Vor allem vom Verlust ihres Viehs, von Überschwemmungen (im April/Mai 2018, Juba- und Shabelle-Täler) und vom Zyklon Sagar (Mai 2018, Nordsomalia) betroffene Gemeinden werden noch längere Zeit für eine Rehabilitation brauchen. Zwischen Februar und Juli 2018 konnten humanitäre Organisationen 1,9 Millionen Menschen pro Monat erreichen (UN OCHA 5.9.2018).

Die Stufe für akute Unterernährung hat sich verbessert. Die Zahl von an schwerer akuter Unterernährung Betroffenen ist nur bei zwei Gruppen kritisch: Bei den IDPs in Mogadischu und in der Guban Pastoral Livelihood in West-Somaliland (UN OCHA 5.9.2018). Allerdings werden auch noch andere Teile oder Gruppen Somalias als Hotspots genannt, wo Interventionen als dringend erachtet werden.

Dies sind im ländlichen Raum: Northern Inland Pastoral of Northeast (Teile von Sanaag, Sool und Bari); Hawd Pastoral of Northeast (Teile von Togdheer, Sool und Nugaal); Northwest Guban Pastoral (Teile von Awdal); der Bezirk Belet Weyne (Shabelle-Tal und agro-pastorale Teile); Agro-pastorale Teile und das Juba-Tal in Gedo; die Bezirke Mataban, Jalalaqsi und Buulo Burte in Hiiraan; Teile des Juba-Tals in Middle Juba. An Gruppen sind es die IDPs in Bossaso, Garoowe, Galkacyo, Qardho, Mogadischu, Baidoa, Kismayo und Doolow (FSNAU 1.9.2018). Überhaupt bleiben IDPs die am meisten vulnerable Gruppe (UN OCHA 11.9.2018).

Für die Deyr-Regenzeit 2018 (Oktober-Dezember) wird eine überdurchschnittliche Niederschlagsmenge prognostiziert (UN OCHA 5.9.2018; vgl. FAO 6.9.2018). Damit wird auch eine weitere Verbesserung bei den Weideflächen und bei der Wasserverfügbarkeit und i.d.F. Verbesserungen bei der Viehzucht und in der Landwirtschaft einhergehen (FAO 6.9.2018). Zusätzliche Ernten und weiter verbesserte Marktbedingungen werden zu weiteren Verbesserungen führen (FSNAU 1.9.2018)

Allerdings werden auch für das äthiopische Hochland höhere Niederschlagsmengen prognostiziert, was das Überschwemmungsrisiko entlang von Juba und Shabelle steigen lässt. Gegenwärtig sind einige Flussufer bzw. Flusseinfassungen beschädigt, was selbst bei normalen Regenmengen eine Gefahr darstellt (FAO 6.9.2018). Immerhin hat Somalia 2018 die schwersten Überschwemmungen seit 60 Jahren erlebt (WB 6.9.2018).

Quellen:

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ACTED (12.9.2018): Drought conditions continue to persist in Badhan district,

https://reliefweb.int/report/somalia/drought-conditions-continue-persist-badhan-district, Zugriff 14.9.2018

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FAO - FAO SWALIM / FSNAU (6.9.2018): Somalia Rainfall Outlook for 2018 Deyr (October-December) - Issued: 6 September 2018, https://reliefweb.int/report/somalia/somalia-rainfall-outlook-deyr-2018-october-december-issued-6-september-2018, Zugriff 14.9.2018

-

FEWS NET - Famine Early Warning Systems Network (31.8.2018):

Somalia Price Bulletin, August 2018, https://reliefweb.int/report/somalia/somalia-price-bulletin-august-2018, Zugriff 14.9.2018

-

FSNAU - Food Security and Nutrition Analysis Unit / Famine Early Warning System Network (1.9.2018): FSNAU-FEWS NET 2018 Post Gu Technical Release,

https://reliefweb.int/report/somalia/fsnau-fews-net-2018-post-gu-technical-release-01-sep-2018, Zugriff 14.9.2018

-

UN OCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (11.9.2018): Somalia - Humanitarian Snapshot (as of 11 September 2018),

https://reliefweb.int/report/somalia/somalia-humanitarian-snapshot-11-september-2018, Zugriff 14.9.2018

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UN OCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (5.9.2018): Humanitarian Bulletin Somalia, 1 August - 5 September 2018,

https://reliefweb.int/report/somalia/humanitarian-bulletin-somalia-1-august-5-september-2018, Zugriff 14.9.2018

-

UN OCHA - UN UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (2.9.2018): Somalia - Food security improving but recovery remains

fragile,https://reliefweb.int/report/somalia/somalia-food-security-improving-recovery-remains-fragile, Zugriff 14.9.2018

-

WB - Worldbank (6.9.2018): World Bank's Flagship Infrastructure Project Launched in Somalia,

https://reliefweb.int/report/somalia/world-bank-s-flagship-infrastructure-project-launched-somalia, Zugriff 14.9.0218

Politische Lage

Generell befindet sich das föderalistische System Somalias immer noch in einer frühen Phase und muss in den kommenden Jahren konsolidiert werden (UNSC 9.5.2017). Zwar gibt es in manchen Gebieten Verbesserungen bei der Verwaltung und bei der Sicherheit. Es ist aber ein langsamer Prozess. Die Errichtung staatlicher Strukturen ist das größte Problem, hier versucht die internationale Gemeinschaft zu unterstützen (BFA 8.2017). Kaum ein Bundesstaat ist in der Lage, das ihm zugesprochene Gebiet tatsächlich unter Kontrolle zu haben. Bei den neu etablierten Entitäten reicht die Macht nur wenige Kilometer über die Städte hinaus (BFA 8.2017; vgl. NLMBZ 11.2017). Während im Norden bereits die Gliedstaaten Somaliland und Puntland etabliert waren, begann mit dem international vermittelten Abkommen von Addis Abeba von Ende August 2013 der Prozess der Gliedstaatsgründung im weiteren Somalia, der nach der Gründung der Bundesstaaten Jubaland, South West State (SWS), Galmudug und Hirshabelle 2016 seinen weitgehenden Abschluss fand (AA 4.2017a). Offen ist noch der finale Status der Hauptstadtregion Benadir/Mogadischu (AA 4.2017a; vgl. UNSC 5.9.2017, BFA 8.2017).

Die Bildung der Bundesstaaten erfolgte im Lichte der Clan-Balance.

Rein technisch bedeutet dies: Galmudug und HirShabelle für die Hawiye; Puntland und Jubaland für die Darod; der SWS für die Rahanweyn; Somaliland für die Dir (BFA 8.2017).

Die Beziehungen zwischen der Bundesregierung und den Regierungen der Bundesstaaten sind angespannt, da es bei der Sicherheitsarchitektur und bei der Ressourcenverteilung nach wie vor Unklarheiten gibt (SEMG 8.11.2017). Außerdem hat der Schritt zur Föderalisierung zur Verschärfung von lokalen Clan-Spannungen beigetragen und eine Reihe gewalttätiger Konflikte ausgelöst. Die Föderalisierung hat zu politischen Kämpfen zwischen lokalen Größen und ihren Clans geführt (BS 2016). Denn in jedem Bundesstaat gibt es unterschiedliche Clankonstellationen und überall finden sich Clans, die mit der Zusammensetzung ihres Bundesstaates unzufrieden sind, weil sie plötzlich zur Minderheit wurden. Sie fühlen sich marginalisiert (BFA 8.2017).

Im Zuge der Föderalisierung Somalias wurden mehrere Teilverwaltungen (Bundesstaaten) neu geschaffen: Galmudug Interim Administration (GIA); die Jubaland Interim Administration (JIA); Interim South West State Administration (ISWA). Keine dieser Verwaltungen hat die volle Kontrolle über die ihr unterstehenden Gebiete (USDOS 3.3.2017). Außerdem müssen noch wichtige Aspekte geklärt und reguliert werden, wie etwa die Machtverteilung zwischen Bund und Ländern, die Verteilung der Einkünfte oder die Verwaltung von Ressourcen. Internationale Geber unterstützen den Aufbau der Verwaltungen in den Bundesstaaten (UNSC 5.9.2017).

HirShabelle (Hiiraan, Middle Shabelle): Bei der Bildung des Bundesstaates HirShabelle wurde längere Zeit über gestritten. Beide Regionen (Hiiraan und Middle Shabelle) haben erklärt, dass sie genügend Einwohner hätten, um jeweils einen eigenen Bundesstaat gründen zu können. Trotzdem wurden die Regionen fusioniert (BFA 8.2017). Im Jänner 2016 fand eine Konferenz zur Bildung eines Bundesstaates aus Hiiraan und Middle Shabelle statt. In der Folge wurde im Oktober 2016 der Bundesstaat Hirshabelle eingerichtet: Ein Parlament wurde zusammengestellt und ein Präsident - Ali Abdullahi Osoble - gewählt. Anführer der Hawadle haben eine Teilnahme verweigert (USDOS 3.3.2017). Das Kabinett wurde Mitte März 2017 vom Parlament bestätigt (BFA 8.2017; vgl. UNSC 9.5.2017). Der Großteil der Regierung von HirShabelle befindet sich in Mogadischu. Die Bildung des Bundesstaates scheint alte Clan-Konflikte neu angeheizt zu haben, die Hawadle fühlen sich marginalisiert (BFA 8.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (1.1.2017): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia

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AA - Auswärtiges Amt (4.2017a): Somalia - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Somalia/Innenpolitik_node.html, Zugriff 13.9.2017

-

BFA - BFA Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM,

http://www.bfa.gv.at/files/berichte/FFM%20Report_Somalia%20Sicherheitslage_Onlineversion_2017_08_KE_neu.pdf, Zugriff 13.9.2017

-

BS - Bertelsmann Stiftung (2016): BTI 2016 - Somalia Country Report,

https://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2016/pdf/BTI_2016_Somalia.pdf, Zugriff 20.11.2017

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DW - Deutsche Welle (10.2.2017): Kommentar: Farmajo, der neue Präsident Somalias - Wie viele Löcher hat der Käse? http://www.dw.com/de/kommentar-farmajo-der-neue-pr%C3%A4sident-somalias-wie-viele-l%C3%B6cher-hat-der-k%C3%A4se/a-37496267, Zugriff 24.11.2017

-

EASO - European Asylum Support Office (2.2016): Somalia Security Situation,

http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1457606427_easo-somalia-security-feb-2016.pdf, Zugriff 21.12.2017

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EASO - European Asylum Support Office (8.2014): South and Central Somalia: Country Overview,

http://www.ecoi.net/file_upload/90_1412334993_easo-2014-08-coi-report-somalia.pdf, Zugriff 21.11.2017

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NLMBZ - (Niederlande) Ministerie von Buitenlandse Zaken (11.2017):

Algemeen Ambtsbericht Zuid- en Centraal- Somalië, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1512376193_correctie-aab-zuid-en-centraal-somalie-2017-def-zvb.pdf, Zugriff 10.1.2018

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ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi (9.2016): Asylländerbericht Somalia

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SEMG - Somalia and Eritrea Monitoring Group (8.11.2017): Report of the SEMG on Somalia,

https://www.un.org/ga/search/view_doc.asp?symbol=S/2017/924, Zugriff 14.11.2017

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UNHRC - UN Human Rights Council (6.9.2017): Report of the independent expert on the situation of human rights in Somalia http://www.refworld.org/docid/59c12bed4.html, Zugriff 11.11.2017

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UNNS - UN News Service (13.9.2017): Somalia facing complex immediate and long-term challenges, UN Security Council told, http://www.refworld.org/docid/59bfc8b34.html, Zugriff 11.11.2017

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UNSC - UN Security Council (5.9.2017): Report of the Secretary-General on Somalia,

http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1505292097_n1726605.pdf, Zugriff 8.11.2017

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UNSC - UN Security Council (9.5.2017): Report of the Secretary-General on Somalia,

http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1496910356_n1712363.pdf, Zugriff 10.11.2017

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UNSOM - United Nations Assistance Mission in Somalia (13.9.2017):

SRSG Keating Briefing to the Security Council, https://unsom.unmissions.org/srsg-keating-briefing-security-council-1, Zugriff 11.11.2017

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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Somalia, http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2016&dlid=265300, Zugriff 13.9.2017

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WB - World Bank (18.7.2017): Somalia Economic Update, http://documents.worldbank.org/curated/en/552691501679650925/Somalia-economic-update-mobilizing-domestic-revenue-to-rebuild-Somalia, Zugriff 20.11.2017

Sicherheitslage und Situation in den unterschiedlichen Gebieten

Vergleicht man die Areas of Influence der Jahre 2012 und 2017, hat es kaum relevante Änderungen gegeben. Die Regierung und ihre Verbündeten kontrollieren zwar viele Städte, darüber hinaus ist eine Kontrolle aber kaum gegeben. Behörden oder Verwaltungen gibt es nur in den größeren Städten. Der Aktionsradius lokaler Verwaltungen reicht oft nur wenige Kilometer weit. Selbst bei Städten wie Kismayo oder Baidoa ist der Radius nicht sonderlich groß. Das "urban island scenario" besteht also weiterhin, viele Städte unter Kontrolle von somalischer Armee und AMISOM sind vom Gebiet der al Shabaab umgeben. Folglich befinden sich Große Teile des Raumes in Süd-/Zentralsomalia unter der Kontrolle oder zumindest unter dem Einfluss der al Shabaab (BFA 8.2017).

Dahingegen können nur wenige Gebiete in Süd-/Zentralsomalia als frei von al Shabaab bezeichnet werden - etwa Dhusamareb oder Guri Ceel.

Süd-/Zentralsomalia

Die Präsenz von AMISOM in Somalia bleibt auch mittelfristig essentiell, um die Sicherheit in Somalia zu gewährleisten. Sollte AMISOM überhastet abziehen oder die Verantwortung zu früh an somalische Sicherheitsbehörden übergeben, besteht das Risiko von Rückschritten bei der Sicherheit (UNSC 5.9.2017; vgl. ICG 20.10.2017).

AMISOM hat große Erfolge erzielt, was die Einschränkung der territorialen Kontrolle der al Shabaab anbelangt (ICG 20.10.2017). Weite Teile des Landes wurden durch AMISOM und durch die somalische Armee aus den Händen der al Shabaab zurückgeholt (UNHRC 6.9.2017), und AMISOM hat al Shabaab weitgehend zurückgedrängt (ÖB 9.2016). AMISOM und die somalische Regierung konnten ihre Kontrolle in zurückgewonnenen Gebieten etwas konsolidieren (AI 22.2.2017). Es ist aber kaum zur Einrichtung von Verwaltungen gekommen (BFA 8.2017).

Gleichzeitig hat AMISOM ihre Kräfte überdehnt. Die Mission tut sich schwer dabei, nunmehr den Kampf gegen eine Rebellion führen zu müssen, welche sich von lokalen Konflikten nährt. Die al Shabaab ist weiterhin resilient (ICG 20.10.2017). Außerdem beherrschen einige der neu errichteten Bundesstaaten nicht viel mehr, als ein paar zentrale Städte. Der effektive Einfluss von AMISOM und den somalischen Verbündeten bleibt jedoch in vielen Fällen auf das jeweilige Stadtgebiet konzentriert, auch wenn es teils zu weiteren Exkursionen kommt. In einigen Städten ist es in jüngerer Vergangenheit zu Verbesserungen gekommen. Dies gilt mehrheitlich auch für Mogadischu (BFA 8.2017).

Seit Beginn des Bürgerkrieges 1991 gab es in weiten Landesteilen kaum wirksamen Schutz gegen Übergriffe durch Clan- und andere Milizen sowie bewaffnete kriminelle Banden. In Süd-/Zentralsomalia herrscht weiterhin in vielen Gebieten Bürgerkrieg. Die somalischen Sicherheitskräfte kämpfen mit Unterstützung der Mission der Afrikanischen Union in Somalia (AMISOM) gegen die radikalislamistische Miliz al Shabaab. Die Gebiete sind teilweise unter der Kontrolle der Regierung, teilweise unter der Kontrolle der al Shabaab oder anderer Milizen (AA 1.1.2017; vgl. ÖB 9.2016) oder sind von AMISOM Offensiven betroffen (ÖB 9.2016). Kämpfe - vor allem unter Beteiligung von al Shabaab, aber auch unter Beteiligung von Clans - sowie Zwangsräumungen haben zu Vertreibungen und Verlusten geführt (HRW 12.1.2017). Dabei haben AMISOM und die somalische Armee seit Juli 2015 keine großen Offensive mehr geführt (SEMG 8.11.2017). Im Jahr 2016 gab es zwar Kämpfe zwischen AMISOM/Regierung und al Shabaab, es kam aber kaum zu Gebietswechseln (AI 22.2.2017). Im Jahr 2017 ist es zu weniger direkten militärischen Auseinandersetzungen zwischen al Shabaab und AMISOM gekommen. Die am meisten vom militärischen Konflikt betroffenen Gebiete sind die Frontbereiche, wo Ortschaften und Städte wechselnder Herrschaft unterworfen sind; sowie das Dreieck Mogadischu-Afgooye-Merka (BFA 8.2017).

Die reduzierten Kapazitäten der al Shabaab haben dazu geführt, dass sich die Gruppe auf Guerilla-Taktik und asymmetrische Kriegsführung verlegt hat. Al Shabaab begeht verübt komplexe Angriffe, Selbstmordattentate, und gezielte Attentate auf Einzelpersonen (UKHO 7.2017). Die Gruppe setzt den Guerillakampf im ländlichen Raum Süd-/Zentralsomalias fort. Regelmäßig kommt es zu Angriffen auf somalische und AMISOM-Truppen, die sich auf Verbindungsstraßen bewegen (UNSC 5.9.2017; vgl. UNSC 9.5.2017).

Al Shabaab kontrolliert weiterhin wichtige Versorgungsrouten und hält gegen Städte unter Kontrolle von AMISOM und Regierungskräften Blockaden aufrecht (HRW 12.1.2017). Durch Guerilla-Aktivitäten isoliert al Shabaab mehrere Städte, die teils als Inseln im Gebiet der Gruppe aufscheinen (BFA 8.2017). AMISOM muss an vielen Einsatzorten von UNSOS aus der Luft versorgt werden, da die Überlandrouten nicht ausreichend abgesichert sind (UNSC 5.9.2017).

Es hat mehrere Fälle gegeben, wo internationale Truppen Gebiete in Bakool, Galgaduud, Hiiraan und Lower Shabelle ohne große Ankündigung geräumt haben. In der Folge ist al Shabaab unmittelbar in diese Gebiete zurückgekehrt und hat an der lokalen Bevölkerung zahlreiche Menschenrechtsverletzungen (Mord, Folter, Entführung, Vernichtung humanitärer Güter, Zwangsrekrutierung) begangen (SEMG 8.11.2017). Die Vergangenheit hat gezeigt, dass eben jene Orte, aus denen die ENDF oder AMISOM rasch abgezogen sind, am meisten unter dem Konflikt leiden. Sobald die Regierungskräfte abziehen, füllt nämlich al Shabaab das entstandene Vakuum auf. Vergeltungsmaßnahmen gegen Zivilisten folgen umgehend. Es gibt regelmäßig Berichte darüber, dass AS mutmaßliche Kollaborateure hingerichtet hat. Die Menschen dort leben unter ständiger Bedrohung (BFA 8.2017).

Im September 2017 überrannte al Shabaab mehrere Stützpunkte der somalischen Armee, namentlich in Bulo Gaduud, Belet Xawo, Ceel Waaq und Bariire (19.12.2017 VOA).

Eine Infiltration von unter Kontrolle der Regierung stehenden Städten mittels größerer Kampfverbände der al Shabaab kommt nur in seltenen Fällen vor. Bisher wurden solche Penetrationen innert Stunden durch AMISOM und somalische Verbündete beendet. Eine Infiltration der Städte durch verdeckte Akteure der al Shabaab kommt in manchen Städten vor (BFA 8.2017). Al Shabaab ist dadurch nach wie vor in der Lage, auch auf die am schwersten bewachten Teile von Mogadischu oder anderer Städte tödliche Angriffe zu führen (AI 22.2.2017).

Die Unsicherheit in den von der Regierung kontrollierten Gebieten, einschließlich Mogadischu, sowie politische Machtkämpfe behindern Fortschritte im Bereich der Justiz und die Reform des Sicherheitssektors (ÖB 9.2016). Politische Anstrengungen zur Etablierung bzw. Stärkung von Bundesländern verstärkten Clankonflikte in manchen Bereichen (ÖB 9.2016; vgl. BS 2016, BFA 8.2017). Auch dabei kommen Zivilisten zu Schaden (HRW 12.1.2017).

Auch Regierungstruppen und Clanmilizen geraten regelmäßig aneinander. Dadurch werden viele Zivilisten schwerverletzt bzw. getötet. In solchen Fällen bleibt Zivilisten nichts andres übrig als die Flucht zu ergreifen, da weder Clan- noch staatlicher Schutz gegeben ist (ÖB 9.2016).

Gezielte Angriffe auf Zivilisten und zivile Infrastruktur mittels Selbstmordattentätern und anderen Sprengstoffanschlägen durch die al Shabaab haben weiterhin gravierende Folgen (HRW 12.1.2017). Zivilisten kommen im Kreuzfeuer, bei gezielten Attentaten, durch Sprengsätze oder Handgranaten und bei komplexen Anschlägen ums Leben oder werden verwundet (AI 22.2.2017). Generell hat al Shabaab vermehrt Gewalt gegen Zivilisten angewandt, nötigt oder bestraft in den Gebieten unter ihrer Kontrolle ganze Gemeinden. Aufgrund der durch die Dürre verstärkten Ressourcenknappheit hat al Shabaab Dörfern niedergebrannt und Älteste enthauptet, um ihre Steuerforderungen durchzusetzen - so z.B. im Raum Xaradheere im November 2016 (SEMG 8.11.2017). Im ersten Trimester 2017 wurden von al Shabaab 36 Personen entführt, davon wurden 15 später wieder freigelassen (UNSC 9.5.2017).

UNSOM hat für den Zeitraum 1.1.2016-14.10.2017 insgesamt 2.078 getötete zivile Opfer in Somalia dokumentiert; hinzu kommen 2.507 Verletzte. Für 60% der Opfer ist die al Shabaab verantwortlich (UNHRC 10.12.2017a). (UNHRC 10.12.2017b)

Für das Jahr 2016 berichtet das UN Mine Action Service von 267 durch Sprengstoffanschläge getötete und 727 verletzte Personen. Bei Kämpfen kamen zwischen Jänner und August 2016 492 Zivilisten ums Leben (USDOS 3.3.2017). Andererseits beruft sich die SEMG auf Zahlen von ACLED. Demnach seien im Zeitraum Jänner 2016 bis Mitte August 2017 bei 533 Zwischenfällen mit improvisierten Sprengsätzen insgesamt 1.432 Zivilisten zu Schaden gekommen, 931 davon wurden getötet (SEMG 8.11.2017). Das Rote Kreuz wiederum berichtet, dass im Jahr 2016 ca. 5.300 durch Waffen verletzte Personen in vom IKRK unterstützten Spitälern eine Behandlung erhalten haben; v.a. in Mogadischu, Baidoa und Kismayo (ICRC 23.5.2017). Es ist offenbar schwierig, die genaue Zahl festzustellen (AI 22.2.2017).

Im ersten Trimester 2017 wurden 646 Zivilisten getötet oder verletzt (UNSC 9.5.2017), im zweiten Trimester waren es 582 (ca. die Hälfte der letztgenannten Zahl ist al Shabaab zuzuschreiben, 12 Opfer der AMISOM, 41 den staatlichen Sicherheitskräften; bei durch die Dürre verschärften Ressourcenkonflikten kamen 175 Zivilisten zu Schaden) (UNSC 5.9.2017). Bei einer geschätzten Bevölkerung von rund 11 Millionen Einwohnern (CIA 6.11.2017) liegt die Quote getöteter Zivilisten: Gesamtbevölkerung für Gesamtsomalia im ersten Trimester 2017 bei ca. 1:17.000, im zweiten Trimester bei 1:18.900.

Auch wenn die Zahl von Gewalt gegen Zivilisten seit dem Jahr 2013 relativ konstant bleibt, so hat sich die Letalität - etwa aufgrund der Proliferation von destruktiveren Methoden - erhöht. Im Durchschnitt kommen bei jedem Vorfall also mehr Menschen zu Schaden (SEMG 8.11.2017). Absolutes Beispiel dieses Trends ist der Anschlag vom 14.10.2017 in Mogadischu, bei welchem mehr als 500 Menschen getötet wurden - wiewohl sich al Shabaab bislang nicht zu d

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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