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32/01 Finanzverfahren allgemeines AbgabenrechtNorm
ASVG §67aBeachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):Ro 2017/15/0028Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofrätin Dr. Büsser sowie die Hofräte MMag. Maislinger, Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Engenhart, über die Revisionen 1. des Finanzamtes Grieskirchen Wels in 4601 Wels, Dragonerstraße 31, Zl. Ro 2017/15/0027, (mitbeteiligte Partei I G m.b.H. als Masseverwalterin im Konkurs über das Vermögen der R GmbH in W, vertreten durch MMag. Christoph Doppelbauer, Rechtsanwalt in 4600 Wels, Vogelweiderstraße 9) und 2. der I G m.b.H. als Masseverwalterin im Konkurs über das Vermögen der R GmbH, vertreten durch MMag. Christoph Doppelbauer, Rechtsanwalt in 4600 Wels, Vogelweiderstraße 9, Zl. Ro 2017/15/0028, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 23. Mai 2017, Zl. RV/5102142/2015, betreffend Abrechnungsbescheid, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Revision des Finanzamtes (Erstrevisionswerbers) wird als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat der mitbeteiligten Partei (Zweitrevisionswerberin) Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das angefochtene Erkenntnis wird auf Grund der Revision der zweitrevisionswerbenden Partei wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der zweitrevisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Gerichtsbeschluss vom 25. Oktober 2013 wurde über das Vermögen der X GmbH der Konkurs eröffnet und die zweitrevisionswerbende Partei zum Masseverwalter bestellt. Nach den Feststellungen des Bundesfinanzgerichts wurde die Produktion noch bis 5. November 2013 und die Montage bis 26. November 2013 fortgeführt. Am 9. Jänner 2014 kam es zur vollständigen Betriebsschließung.
2 Die X GmbH hat vor und nach der Konkurseröffnung Dienstnehmer beschäftigt und als beauftragtes Unternehmen Bauleistungen iSd § 19 Abs. 1a UStG 1994 erbracht. Sie wurde am 14. November 2013 aus der Gesamtliste der haftungsfreistellenden Unternehmen (HFU-Gesamtliste, § 67b Abs. 6 ASVG) gestrichen. In der Folge haben die Auftrag gebenden Unternehmen (im Folgenden: Auftraggeber) zur Vermeidung einer Haftung nach § 82a Abs. 1 EStG 1988 Zahlungen an das Dienstleistungszentrum bei der Wiener Gebietskrankenkasse (im Folgenden: AGH-Zahlungen) geleistet. Der an die Abgabenbehörde weitergeleitete Anteil betrug insgesamt 11.400,65 EUR.
3 Am 2. Oktober 2014 beantragte die Masseverwalterin die "AGH-Beträge" auf das Massekonto rückzuzahlen, weil die Zahlungseingänge im "Massezeitraum" erfolgt seien und daher der Masse zustünden.
4 Auf Grund dieses Rückzahlungsantrages erließ das Finanzamt einen Abrechnungsbescheid, in dem festgestellt wurde, dass die Verrechnung der eingegangenen Beträge aus der Auftraggeberhaftung in Höhe von insgesamt 11.400,65 EUR rechtmäßig erfolgt sei. Die Zahlungen hätten aus vor der Insolvenzeröffnung erbrachten Leistungen resultiert. Nach § 214 BAO seien Zahlungen und sonstige Gutschriften mit den dem Fälligkeitstag nach ältesten verbuchten Abgabenschulden zu verrechnen. Im Hinblick auf den vom Gesetzgeber mit den Bestimmungen der §§ 67a ASVG und 82a EStG 1988 verfolgten Zweck, den in der Baubranche häufig vorkommenden Sozialbetrug hintanzuhalten und in der Insolvenz der Auftragnehmer die Sozialversicherungsträger und die Finanzämter zu schützen, erscheine die Anwendung des § 214 BAO notwendig, um diesen Schutz zu erreichen. Entscheide sich der Auftraggeber für die Leistung des Haftungsbetrages, könne die Masse nur 75 % des Werklohnes beanspruchen, ohne eine Ergänzungszahlung nach § 3 Abs. 2 IO fordern zu können. Die auf Grund der "Drittleistungen" eingelangten Zahlungen seien nach den allgemeinen sozialversicherungs- bzw. steuerrechtlichen Vorschriften zu verrechnen. Die Bestimmungen der §§ 19 und 20 IO stünden der Anwendung des § 214 BAO nicht entgegen, weil bei einer Drittleistung kein Fall einer Aufrechnung vorliege. Bei einer Drittleistung fehle das für eine Aufrechnung erforderliche Element der Gegenseitigkeit. Der Auftraggeber sei nicht Abgabenschuldner, er könne lediglich zur Haftung für lohnabhängige Abgaben gemäß § 82a EStG 1988 herangezogen werden. Eine auf den Leistungszeitraum bezogene Aufteilung nach § 46 IO scheine nicht geboten, weil der Gesetzgeber durch § 82a Abs. 4 EStG 1988 eine eindeutige Regelung geschaffen habe.
5 In der gegen den Abrechnungsbescheid erhobenen Beschwerde wird ausgeführt, dass zum Zeitpunkt der Konkurseröffnung ein Guthaben in Höhe von 107.546,36 EUR auf dem Abgabenkonto bestanden habe. Durch die Vorsteuerrückrechnung gemäß § 16 Abs. 3 UStG 1994 habe sich ein Rückstand von 13.237,18 EUR ergeben. In der Folge seien am 13. Jänner 2014 die bedingten Lohnabgaben aus den angemeldeten Arbeitnehmeransprüchen in Höhe von 294.171,13 EUR angemeldet worden. Die Masseverwalterin habe im Fortführungszeitraum ihre Abgabenpflichten voll erfüllt, insbesondere Umsatzsteuer und Lohnabgaben bezahlt. Dennoch sei die Rückzahlung der AGH-Beträge in Höhe 11.400,65 EUR abgewiesen worden. Richtig sei, dass die in Frage stehenden AGH-Zahlungen aus vor der Insolvenzeröffnung erbrachten Leistungen stammen würden. Diese Feststellung sei aber irrelevant, weil der Gesetzgeber bei der Haftung nach § 67a ASVG bzw. § 82a EStG 1988 nicht auf die Leistungserbringung, sondern lediglich auf die Zahlung durch den Auftraggeber abstelle. Die Verwaltungspraxis der Aufteilung der Zahlung nach dem Leistungserbringungszeitraum finde im Gesetzestext keine Deckung.
6 Das Finanzamt entgegnete in der abweisenden Beschwerdevorentscheidung, dass zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung am 25. Oktober 2013 sehr wohl Rückstände vorhanden gewesen seien, die bereits vor Konkurseröffnung entstanden seien (Meldung von Lohnabgaben für den Zeitraum September 2013). Dass die Lohnabgaben mit Bescheid vom 8. Jänner 2014 nachträglich berichtigt worden seien, habe in der Einschränkung der angemeldeten Forderungen Berücksichtigung gefunden.
7 In ihrem Vorlageantrag vertrat die zweitrevisionswerbende Partei die Ansicht, dass mit Rechtswirksamkeit der Eröffnung des Konkursverfahrens alle Zahlungseingänge aus Kundenforderungen, soweit diese nicht rechtswirksam zediert seien, der Konkursmasse zustünden. Die Ansicht der Finanzbehörde würde dazu führen, dass eine Betriebsfortführung im Konkurs nicht mehr möglich sei. § 82a EStG 1988 sehe ausdrücklich nur eine Haftung für lohnabhängige Abgaben vor, die von der Behörde auch als solche zu verbuchen sei. Bestünden aber keine rückständigen Lohnabgaben (was das Finanzamt mit der Notwendigkeit der nachträglichen Richtigstellung bestätigt habe), fehle die Berechtigung des Einbehalts der anteiligen AGH-Zahlungen. Diese Zahlungen seien daher der Konkursmasse zurückzuzahlen.
8 Nach Durchführung ergänzender Erhebungen gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde teilweise Folge. Es wurde festgestellt, dass die Verrechnung der AGH-Zahlungen in Höhe von 10.610,92 EUR zu Recht erfolgt sei und die Verrechnung auf Körperschaftsteuer Oktober bis Dezember 2013 in Höhe von 45,02 EUR, Lohnsteuer September 2013 in Höhe von 255,08 EUR und Umsatzsteuer September 2013 von 489,26 EUR zu Unrecht erfolgt sei.
9 Begründend wurde auf das Wesentliche zusammengefasst ausgeführt, dass die Abgrenzung von Masse- und Insolvenzforderungen insolvenzrechtlicher Natur sei. Entscheidend seien daher nicht haftungsrechtliche Aspekte wie die als haftungsauslösend statuierte Zahlung des Werklohns, sondern die zeitraumbezogene Verwirklichung des Grundtatbestands, der in der Erbringung der Werkleistung liege und über die Beschäftigung von Dienstnehmern erst zu einem Beitragsrückstand (bzw. Abgabenrückstand) führe, der eine Haftung auslösen könne. AGH-Zahlungen für Leistungen, die bis zum Tag der Insolvenzeröffnung erbracht worden seien, seien dem als Insolvenzforderung zu wertenden Abgabenrückstand anzurechnen. Werde die Werkleistung ab dem der Insolvenzeröffnung folgenden Tag erbracht, seien die AGH-Zahlungen der Masse zugute zu halten. Bauleistungen vor der Insolvenzeröffnung führten zu Insolvenzforderungen (Hinweis auf Pramhas, BFGjournal 12/2016, 437 ff). Die AGH-Zahlungen für Leistungen, die bis zum Tag der Insolvenzeröffnung erbracht worden seien, seien daher mit den als Insolvenzforderungen zu wertenden Abgaben (Lohn- und Umsatzsteuer für September 2013, Körperschaftsteuervorauszahlung für das
4. Quartal 2013) zu verrechnen. Die AGH-Zahlungen für Leistungen, die ab dem der Insolvenzeröffnung folgenden Tag erbracht worden seien, seien demgegenüber der Masse zu Gute zu halten.
10 Im gegenständlichen Fall entfielen die vorgelegten Rechnungen zu einem geringfügigen Teil auf nach der Insolvenzeröffnung erbrachte Arbeitsleistungen. Die Aufrechnung der auf diesen Anteil entfallenden AGH-Zahlungen mit Insolvenzforderungen sei zu Unrecht erfolgt. Für AGH-Zahlungen in Höhe von 4.420,91 EUR sei nicht feststellbar, ob die Leistungen vor oder nach Konkurseröffnung erbracht worden seien. Die Aufteilung sei daher - wie im angefochtenen Erkenntnis näher dargestellt - im Schätzungswege vorzunehmen.
11 Das Beschwerdevorbringen, im Zeitpunkt der Konkurseröffnung habe kein Rückstand an lohnabhängigen Abgaben bestanden, sei zum einen nicht richtig. Zum anderen sei dieser Umstand rechtlich nicht relevant. Der Haftungsbetrag iSd § 82a EStG 1988 gelte als Drittleistung und unterliege als solche nicht dem Zweiten Abschnitt des Ersten Teiles/Erstes Hauptstück der IO, soweit er sich auf Leistungen beziehe, die vor Konkurseröffnung erbracht worden seien. Das Auftrag gebende Unternehmen überweise gleichzeitig mit der Leistung des Werklohnes 25 % des zu leistenden Werklohns an das Dienstleistungszentrum der Wiener Gebietskrankenkasse, wovon 5 % im Wege des Dienstleistungszentrums auf das Abgabenkonto des Auftragnehmers überwiesen würden. Die Zahlung stelle am Abgabenkonto eine Drittleistung dar und unterliege daher insoweit nicht der Anfechtung und sei insoweit auf Saldo zu verbuchen, als die AGH-Beträge Leistungen beträfen, die vor Eröffnung des Konkursverfahrens ausgeführt worden seien.
12 Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof sei zulässig, weil Rechtsprechung zur Frage fehle, ob die Bestimmung des § 82a EStG 1988 nur AGH-Zahlungen vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens privilegieren solle oder auch Zahlungen nach dessen Eröffnung. Weiters sei ungeklärt, ob für die Verrechnung der AGH-Zahlungen die Bestimmung des § 214 BAO anzuwenden sei.
13 Gegen dieses Erkenntnis wenden sich sowohl die Revision des Finanzamtes (Zl. Ro 2017/15/0027) als auch jene der Masseverwalterin (Zweitrevisionswerberin, Zl. Ro 2017/15/0028).
14 Der Verwaltungsgerichtshof hat - nach Verbindung der beiden Revisionen zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung - erwogen:
15 Zur Vermeidung von Betrugsaktivitäten im Baubereich wurde mit dem Betrugsbekämpfungsgesetz 2010, BBKG 2010, BGBl. I Nr. 105/2010, mit einer Auftraggeberhaftung (im Folgenden: AGH), ähnlich der gesetzlichen Bestimmung im Bereich der Sozialversicherung (§ 67a ff ASVG), eine Haftungsbestimmung für Bauunternehmer eingeführt, die Aufträge an Subunternehmer weitergeben (vgl. RV 875 BlgNR 24. GP 3). Die mit Wirkung ab dem 1. Juli 2011 eingeführte Regelung des § 82a EStG 1988 sieht eine AGH für Lohnabgaben des Auftragnehmers vor.
16 § 82a EStG 1988 lautet auszugsweise:
"(1) Wird die Erbringung von Bauleistungen nach § 19 Abs. 1a UStG 1994 von einem Unternehmen (Auftrag gebendes Unternehmen) an ein anderes Unternehmen (beauftragtes Unternehmen) ganz oder teilweise weitergegeben, so haftet das Auftrag gebende Unternehmen für die vom Finanzamt einzuhebenden lohnabhängigen Abgaben, die das beauftragte Unternehmen abzuführen hat, bis zum Höchstausmaß von 5% des geleisteten Werklohnes.
(2) Die Haftung nach Abs. 1 tritt mit dem Zeitpunkt der Zahlung des Werklohnes ein und umfasst die vom beauftragten Unternehmen zu entrichtenden und vom Finanzamt einzuhebenden lohnabhängigen Abgaben, die bis zum 15. Tag nach Ablauf des Kalendermonats fällig werden, in dem die Leistung des Werklohnes erfolgt. Als Werklohn gilt das gesamte für die Erfüllung des Auftrages zu leistende Entgelt. Als Leistung des Werklohnes gilt auch jede Teilleistung dieses Entgeltes. Als Leistung gilt insbesondere auch die Erfüllung durch Aufrechnung seitens des Auftrag gebenden Unternehmens oder des beauftragten Unternehmens. Die Haftung kann geltend gemacht werden, wenn beim beauftragten Unternehmen zur Einbringung der vom Finanzamt einzuhebenden lohnabhängigen Abgaben erfolglos Exekution geführt wurde oder bezüglich des beauftragten Unternehmens ein Insolvenztatbestand nach § 1 IESG vorliegt.
(3) Die Haftung nach Abs. 1 entfällt,
1. wenn das beauftragte Unternehmen zum Zeitpunkt der
Leistung des Werklohnes in der Gesamtliste der haftungsfreistellenden Unternehmen (HFU-Gesamtliste) nach § 67b Abs. 6 ASVG geführt wird oder
2. - wenn Z 1 nicht zutrifft - das Auftrag gebende Unternehmen 5 % des zu leistenden Werklohnes (Haftungsbetrag) gleichzeitig mit der Leistung des Werklohnes an das Dienstleistungszentrum bei der Wiener Gebietskrankenkasse (§ 67c ASVG) überweist.
Die beiden letzten Sätze des § 67a Abs. 3 ASVG gelten entsprechend.
(4) Der Haftungsbetrag nach Abs. 3 Z 2 wirkt gegenüber dem beauftragten Unternehmen schuldbefreiend; er gilt als Drittleistung und unterliegt nicht dem Zweiten Abschnitt des Ersten Teiles/Erstes Hauptstück der Insolvenzordnung. Der Haftungsbetrag ist, sofern auch eine Überweisung nach § 67a Abs. 3 Z 2 ASVG erfolgt, gemeinsam mit dieser abzuführen. Für Zwecke der Weiterleitung des Haftungsbetrages nach Abs. 3 Z 2 an das Finanzamt sind die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer, oder, wenn nicht vorhanden, die Finanzamtsnummer und die Steuernummer des beauftragten Unternehmens mitzuteilen. Erfolgt eine Überweisung nach § 82a Abs. 3 Z 2 gemeinsam mit der Überweisung nach § 67a Abs. 3 Z 2 ASVG sind auch die in § 67a Abs. 4 ASVG genannten Daten anzugeben. Das beauftragte Unternehmen ist verpflichtet, dem Auftrag gebenden Unternehmen seine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer oder, wenn nicht vorhanden, seine Finanzamtsnummer und Steuernummer bekannt zu geben.
(5) Die beim Dienstleistungszentrum der Wiener Gebietskrankenkasse einlangenden Haftungsbeträge sind folgendermaßen zuzuordnen:
1. 80% entfällt auf den Haftungsbeitrag nach § 67a Abs. 3 Z 2 ASVG und 20% auf den Haftungsbetrag nach § 82a Abs. 3 Z 2.
2. Abweichend von Z 1 kann das Auftrag gebende Unternehmen mittels Verrechnungsweisung den Haftungsbetrag nach § 67a Abs. 3 Z 2 ASVG unter der Bezeichnung "AGH-SV" und den Haftungsbetrag nach § 82a Abs. 3 Z 2 unter der Bezeichnung "AGH-LSt" betragsmäßig bestimmen.
(...)"
17 Gemäß § 216 BAO hat die Abgabenbehörde auf Antrag einen Abrechnungsbescheid zu erlassen, wenn zwischen ihr und einem Abgabepflichtigen Meinungsverschiedenheiten bestehen, ob und inwieweit eine Zahlungsverpflichtung durch Erfüllung eines bestimmten Tilgungstatbestandes erloschen ist.
18 Der Abrechnungsbescheid dient ausschließlich der Entscheidung, ob und inwieweit eine Zahlungsverpflichtung durch Erfüllung eines bestimmten Tilgungstatbestandes erloschen ist. Wenngleich somit im Rahmen des Abrechnungsbescheides kein Raum besteht, etwa darüber abzusprechen, ob die strittigen Gutschriften Ansprüche der Masse oder Insolvenzgegenforderungen darstellen, so stellt sich die Frage nach der Verrechenbarkeit einer Abgabenforderung mit den strittigen Gutschriften als Vorfrage für die Entscheidung über das Bestehen eines (rückzahlbaren) Guthabens (vgl. mit weiteren Hinweisen VwGH 21.11.2013, 2011/15/0188).
19 Im Beschwerdefall ist strittig, ob bzw. in welchem Umfang die aus den AGH-Zahlungen resultierenden Gutschriften zur Tilgung von Insolvenzforderungen der Abgabenbehörde verwendet werden durften. Während das Finanzamt diese Zahlungen zur Gänze auf die ältesten als Insolvenzforderungen aushaftenden Schulden angerechnet wissen möchte, ist die Zweitrevisionswerberin der Auffassung, dass nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens vereinnahmte AGH-Zahlungen nicht mit Insolvenzforderungen des Bundes verrechnet werden dürfen.
20 1. Zur Revision des Finanzamtes (Erstrevisionswerber):
21 Das Finanzamt vertritt die Ansicht, dass sämtliche nach Insolvenzeröffnung des beauftragten (Dienstnehmer beschäftigenden) Unternehmens eingelangten Zahlungen nach den allgemeinen steuerrechtlichen Vorschriften (§§ 213 ff BAO) zu verrechnen seien. Das Bundesfinanzgericht habe zu Unrecht auf den Zeitpunkt der den AGH-Zahlungen zu Grunde liegenden Leistungen abgestellt. Im Revisionsfall seien jedoch sämtliche den AGH-Zahlungen zu Grunde liegenden Werkverträge vor der Insolvenzeröffnung abgeschlossen worden. Damit seien - unabhängig von den Gutschriftsbuchungen - sämtliche Gegenansprüche vor der Insolvenzeröffnung entstanden und eine Aufrechnung mit Insolvenzforderungen ohne Einschränkung zulässig.
22 Mit Erkenntnis vom 6. März 2019, Ro 2015/08/0019, hat der Verwaltungsgerichtshof mit näherer Begründung ausgesprochen, dass AGH-Zahlungen zur Vermeidung einer Haftung nach § 67a Abs. 3 Z 2 ASVG für Werkleistungen, die bis zum Tag der Insolvenzeröffnung erbracht wurden, auf die als Insolvenzforderungen zu wertenden Beitragsrückstände anzurechnen sind, hingegen für Werkleistungen, die ab dem der Insolvenzeröffnung folgenden Tag erbracht wurden, auf die als Masseforderungen unberichtigt aushaftenden Beiträge.
23 Im Hinblick auf den in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers, den Haftungsbetrag im Einkommensteuergesetz dem Haftungsbetrag gemäß § 67a ASVG in allen Belangen nachzubilden (vgl. RV 875 BlgNR 24. GP 5), besteht kein Anlass, die Verrechnung des Haftungsbetrages nach § 82a Abs. 3 Z 2 EStG 1988 im Falle der Insolvenz des Auftragnehmers nach von der Rechtsprechung zum § 67a ASVG abweichenden Grundsätzen vorzunehmen.
24 Dass die demnach erforderliche Abgrenzung nach dem Zeitraum der Leistungserbringung, die der jeweiligen AGH-Zahlung zu Grunde liegt, mitunter nur im Wege einer Schätzung möglich ist, spricht entgegen der in der Revision des Finanzamtes vertretenen Ansicht nicht gegen den vom Bundesfinanzgericht beschrittenen "Mittelweg". Zum einen ist der Vorgang einer Schätzung dem Abgabenrecht - im Rahmen der Abgabenerhebung - nicht fremd (vgl. § 184 BAO). Zum anderen sind im Rahmen eines anhängigen Insolvenzverfahrens die abgabenrechtlichen Sachverhalte ohnedies näher (auch im Hinblick auf die Vollständigkeit der vom Schuldner gemeldeten Lohnabgaben) zu prüfen und ist davon auszugehen, dass der Insolvenzverwalter die notwendigen Unterlagen, die eine Anrechnung von AGH-Zahlungen auf Masseforderungen bzw. die Rückzahlung der AGH-Zahlungen rechtfertigen, im Einzelfall vorlegen wird.
25 In der Revision des Finanzamtes wird nicht behauptet, dass dem Bundesfinanzgericht bei Abgrenzung der AGH-Zahlungen nach Maßgabe der ihnen zu Grunde liegenden Leistungen ein Fehler unterlaufen wäre oder diese Abgrenzung nach unsachlichen Gesichtspunkten vorgenommen worden wäre.
26 Zu ergänzen bleibt, dass aus dem vom Finanzamt für seinen Standpunkt ins Treffen geführten Urteil des OGH vom 25. November 1998, 3 Ob 76/97s, wonach der Anspruch auf Werklohn bereits mit Abschluss eines Werkvertrages existent wird, für die revisionsgegenständliche Frage nichts zu gewinnen ist, weil es gegenständlich nicht um den Anspruch auf Leistung des Werklohns geht, sondern um die Entscheidung des Auftraggebers, zur Vermeidung einer allfälligen Haftung Zahlungen iSd § 82a Abs. 3 Z 2 EStG 1988 an das Dienstleistungszentrum zu leisten.
27 Die Revision des Finanzamtes erweist sich daher insgesamt als unbegründet und war deshalb gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
28 2. Zur Revision der Zweitrevisionswerberin:
29 Die Zweitrevisionswerberin wendet gegen das angefochtene Erkenntnis ein, die Auftraggeberhaftung setze beim beauftragten Unternehmen anfallende und daher vom beauftragten Unternehmen zu entrichtende und vom Finanzamt einzuhebende lohnabhängige Abgaben voraus. Nach dem Gesetzeswortlaut und der historischen Absicht des Gesetzgebers setze die Regelung des § 82a EStG 1988 einen relevanten Rückstand an lohnabhängigen Abgaben voraus und schränke damit eine Verrechnungsbefugnis, soweit eine solche überhaupt unter Beachtung der insolvenzrechtlichen Bestimmungen zustehen sollte, dahingehend ein, dass eine Verrechnung nur mit dem jeweils relevanten Rückstand an lohnabhängigen Abgaben vorgenommen werden dürfe. Bestehe kein derartiger Rückstand scheide eine Verrechnungsbefugnis von vornherein aus.
30 Mit diesem Vorbringen wird eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Erkenntnisses aufgezeigt.
31 Nach dem Willen des Gesetzgebers soll die Bestimmung des § 82a EStG 1988 dazu dienen, der nach Einführung der Reverse Charge Regelung im Baugewerbe zu beobachtenden sukzessiven Verlagerung der Betrugsszenarien im Zusammenhang mit der Beauftragung von Subunternehmen von der Umsatzsteuer hin zu den Lohnabgaben entgegenzuwirken. Mit der Einführung einer zur Haftung für Sozialversicherungsbeiträge analogen Haftung auch für die vom Finanzamt einzuhebenden lohnabhängigen Abgaben (Lohnsteuer, DB, DZ) soll das bei derartigen Konstellationen verbleibende Risiko der Nichtabfuhr der Lohnsteuer unterbunden werden (vgl. RV 875 BlgNR 24. GP 5).
32 Vor diesem Hintergrund dienen die AGH-Zahlungen aber ausschließlich der bevorzugten Befriedigung der aushaftenden Lohnabgaben. Eine darüberhinausgehende Bevorzugung anderer Abgabenschulden folgt daraus nicht. Soweit das Bundesfinanzgericht daher auch die Verrechnung der AGH-Zahlungen mit Rückständen an Umsatzsteuer und Körperschaftsteuervorauszahlungen bestätigt hat, hat es die Rechtslage verkannt.
33 Soweit die Verrechnung - zum geringen Teil - auch Lohnabgaben betrifft, hat das Bundesfinanzgericht eine konkrete Auseinandersetzung mit dem von der Zweitrevisionswerberin schon im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorgebrachten und in der Revision näher ausgeführten Einwand, derartige Rückstände lägen unter Berücksichtigung der vorgenommenen Berichtigung zu den relevanten Zeitpunkten nicht vor, offenbar in Verkennung der Rechtslage zur Relevanz dieses Vorbringens unterlassen.
34 Das angefochtene Erkenntnis war daher auf Grund der Revision der Zweitrevisionswerberin zur Gänze gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen (teilweise prävalierender) Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
35 Die Kostenentscheidungen gründen sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 20
14.
Wien, am 3. April 2019
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RO2017150027.J00Im RIS seit
19.07.2019Zuletzt aktualisiert am
19.07.2019