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19/05 MenschenrechteNorm
ARHG §13Betreff
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Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Nedwed, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin MMag. Ginthör als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des M Z in K, vertreten durch Dr. Wolfgang Blaschitz, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Walfischgasse 11/10, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Mai 2018, Zl. W112 2006683- 1/32E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),
Spruch
I. den Beschluss gefasst:
Die Revision wird hinsichtlich der Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz und der Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen zurückgewiesen.
II. zu Recht erkannt:
Im Übrigen wird die Revision als unbegründet abgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation, stellte am 8. Dezember 2013 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2 Mit Bescheid vom 17. März 2014 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz zur Gänze ab (Spruchpunkte I. und II.), erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel nach §§ 57 und 55 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers in die Russische Föderation zulässig sei, und setzte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest (Spruchpunkt III.).
3 Am 11. Juli 2014 und am 20. August 2014 langten jeweils Mitteilungen des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung ein, wonach sich der Revisionswerber in Syrien aufgehalten und an Kampfhandlungen teilgenommen habe. Der Revisionswerber sei nach Österreich gereist, um sich hier einer ärztlichen Behandlung zu unterziehen und anschließend nach Syrien in den "Dschihad" zurückzukehren.
4 Mit Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau (LG Krems) vom 22. Juli 2015 wurde der Revisionswerber wegen des Verbrechens der terroristischen Vereinigung gemäß § 278b Abs. 2 Strafgesetzbuch (StGB) und der Vergehen der pornografischen Darstellung Minderjähriger nach § 207a Abs. 3 StGB zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Von weiteren wider ihn erhobenen Vorwürfen wurde der Revisionswerber freigesprochen. Der Revisionswerber habe sich als Mitglied an der terroristischen Vereinigung Ansar Al-Sham beteiligt und sich zudem drei pornografische Darstellungen mündiger minderjähriger Personen verschafft und diese besessen.
5 Der Oberste Gerichtshof wies die Nichtigkeitsbeschwerde des Revisionswerbers gegen dieses Urteil mit Beschluss vom 7. April 2016 zurück. Das Oberlandesgericht Wien setzte die verhängte Freiheitsstrafe mit Urteil vom 9. Juni 2016 auf vier Jahre herab.
6 Am 21. Oktober 2016 veröffentlichte Interpol Moskau eine Fahndung nach dem Revisionswerber zur Durchführung der Strafverfolgung wegen der Teilnahme an einer illegalen bewaffneten Gruppierung nach § 208 Abs. 2 des russischen Strafgesetzbuches und beantragte die Auslieferung des Revisionswerbers.
7 Mit rechtskräftigem Beschluss vom 15. März 2017 stellte das LG Krems fest, dass die Auslieferung des Revisionswerbers auf Grund des Ersuchens der Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation vom 10. Februar 2017 zur Strafverfolgung unzulässig sei. Begründend führte das LG Krems aus, das Auslieferungsersuchen betreffe zum einen bereits in Österreich verfolgte Straftaten, deretwegen der Revisionswerber rechtskräftig verurteilt bzw. freigesprochen worden sei. Eine Auslieferung scheitere insoweit am Grundsatz des "ne bis idem". Zum anderen würden dem Revisionswerber darin Taten zu einem Zeitpunkt angelastet, zu dem der Revisionswerber bereits in österreichischer Haft gewesen sei. Abgesehen davon könnte diesbezüglich nur ein österreichischer Tatort vorliegen. Insoweit sei der Tatverdacht also durch inländische Strafhaft widerlegt, jedenfalls bestünde aber inländische Gerichtsbarkeit, die einer Auslieferung entgegenstehe. 8 Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) führte am 9. Februar 2018 eine mündliche Verhandlung durch, in welcher der Revisionswerber unter anderem angab, im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat um sein Leben zu fürchten, weil er in Syrien gewesen sei.
9 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das BVwG die gegen den Bescheid des BFA vom 17. März 2014 erhobene Beschwerde in der Sache vollinhaltlich als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für zulässig.
10 Begründend führte das BVwG zusammengefasst aus, der Revisionswerber habe die Asylausschlussgründe der Ziffern 2 und 4 des § 6 Abs. 2 AsylG 2005 verwirklicht, weshalb der Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten bereits aus diesem Grund abzuweisen sei. Die Verbrechen des Revisionswerbers würden sich als objektiv besonders schwerwiegend erweisen, zumal er sich alleine wegen seines fundamentalistischen Verständnisses nach Syrien begeben habe, um sich der - auf die Errichtung eines Gottesstaates abzielenden - Terrororganisation Ansar Al-Sham anzuschließen. Zudem habe sich der Revisionswerber durch eine Vielzahl von Handlungen über einen einjährigen Tatzeitraum aktiv an dieser Organisation beteiligt, diese auch von Österreich aus - sowohl finanziell als auch durch die Verbreitung der Ideologien - unterstützt, seine R??ckkehr geplant und sich nicht von seinen Taten distanziert. Auch sehe der Revisionswerber den Unrechtgehalt jener Taten, derentwegen er strafgerichtlich verurteilt worden sei, nicht ein. Insgesamt könne dem Revisionswerber, auch unter Berücksichtigung seines Verhaltens in Haft, keine positive Zukunftsprognose ausgestellt werden.
11 Das BVwG verneinte eine dem Revisionswerber im Falle seiner Rückkehr in die Russische Föderation drohende Doppelbestrafung hinsichtlich jener Taten, die bereits dem österreichischen Urteil zugrunde lagen, sowie eine drohende unrechtmäßige Bestrafung hinsichtlich jener Vorwürfe, deren Begehung insofern bereits widerlegt sei, weil sich der Revisionswerber zu den angelasteten Zeiten bereits in Österreich in Untersuchungshaft befunden habe. Dem Revisionswerber stehe eine zumutbare und erreichbare innerstaatliche Fluchtalternative in Moskau zur Verfügung. 12 Hinsichtlich der Erlassung einer Rückkehrentscheidung und der gleichzeitig zu treffenden Feststellung gemäß § 52 Abs. 9 FPG führte das BVwG insbesondere aus, dass dem Revisionswerber im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation (außerhalb Tschetscheniens) keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 und Art. 3 EMRK - sei es im Verfahren, sei es durch die Haftbedingungen - droht. Auch stehe einer Abschiebung § 13 Auslieferungs- und Rechtshilfegesetz (ARHG) nicht entgegen, zumal das BVwG an die Entscheidung des Strafgerichts nicht gebunden sei. Zudem habe das LG Krems die Auslieferung nicht aufgrund des Vorliegens einer drohenden Verletzung des Revisionswerbers in seinen Rechten nach Art. 2 und 3 EMRK abgelehnt. Die russischen Behörden wüssten aufgrund des Auslieferungsverfahrens nunmehr von dem österreichischen Urteil und der Revisionswerber könne durch die Vorlage einer Haftbestätigung auch die weiteren gegen ihn erhobenen Vorwürfe widerlegen. Vor diesem Hintergrund liege ein neuer Sachverhalt vor und die Entscheidung des Auslieferungsgerichts stehe der Erlassung einer Rückkehrentscheidung nicht entgegen.
13 Da Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zur Frage der Bindungswirkung gemäß § 13 ARHG einer Entscheidung des Auslieferungsgerichts, das die Auslieferung für unzulässig erklärt habe, im Hinblick auf die Erlassung einer Rückkehrentscheidung fehle, ließ das BVwG die ordentliche Revision zu.
14 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende ordentliche Revision, die zusammengefasst geltend macht, der Entscheidung des Strafgerichts komme für die nachfolgende Entscheidung der Asylbehörde Bindungswirkung zu. Durch die materielle Rechtskraft dieser Entscheidung werde gegenüber jedermann bindend festgestellt, dass der Revisionswerber nicht in die Russische Föderation ausgeliefert werden dürfe. Das Auslieferungsersuchen indiziere die Gefahr einer neuerlichen ungerechtfertigten Strafverfolgung in der Russischen Föderation. Allen im Ausland wegen der Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung verurteilten Personen drohe in Russland eine Verletzung in ihren Rechten nach Art. 2 und 3 EMRK. Zudem sei das BVwG zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Revisionswerber den Asylaberkennungsgrund des § 6 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 verwirklicht habe, zumal das BVwG keine Überprüfung dahingehend vorgenommen habe, ob dem Revisionswerber die individuelle Verantwortung für die Verwirklichung terroristischer Handlungen zugerechnet werden könne. Die Feststellungen des BVwG würden jedenfalls nicht ausreichen, um das Vorliegen eines Asylausschlussgrundes beurteilen zu können.
15 Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.
16 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
17 Zu I.:
18 Soweit sich die Revision gegen die Abweisung des Antrages
auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung sowohl des Status des Asylberechtigten als auch des subsidiär Schutzberechtigten wendet, erweist sie sich als nicht zulässig. 19 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer
außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 20 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat ein Revisionswerber auch bei Erhebung einer ordentlichen Revision von sich aus die Zulässigkeit der Revision gesondert darzulegen, sofern er der Ansicht ist, dass die Begründung des Verwaltungsgerichtes für die Zulässigkeit der Revision nicht ausreicht, oder er andere Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung für relevant erachtet (vgl. etwa VwGH 24.3.2015, Ro 2014/05/0089, mwN).
21 Das BVwG begründete die Zulässigkeit der ordentlichen Revision ausschließlich mit dem Fehlen von Rechtsprechung zu § 13 ARHG im Hinblick auf die Erlassung einer Rückkehrentscheidung. Die Revision enthält keine gesonderte Darstellung der Zulässigkeit der Revision aus anderen Gründen.
22 Da in der Zulässigkeitsbegründung des BVwG eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Hinblick auf die Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz sowie die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach §§ 57 und 55 AsylG 2005 nicht dargetan wurde und in der Revision kein darüber hinausgehendes Zulässigkeitsvorbringen erstattet wurde, war die Revision hinsichtlich dieser Spruchpunkte zurückzuweisen.
23 Im Übrigen ist der Revision entgegenzuhalten, dass das BVwG neben dem Tatbestand des Asylausschlussgrundes des § 6 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 auch jenen des Abs. 1 Z 4 leg. cit. als erfüllt ansah. Das BVwG führte diesbezüglich aus, dass sich die Taten, derentwegen der Revisionswerber strafgerichtlich verurteilt worden sei, objektiv als besonders schwerwiegend erweisen würden und dem Revisionswerber - nach Durchführung einer Gefährdungsprognose - keine positive Zukunftsprognose ausgestellt werden könne. Diesen für sich tragenden Erwägungen tritt die Revision nicht konkret entgegen. Der vom BVwG darüber hinaus angenommene Asylausschlussgrund nach § 6 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 stellt lediglich eine Zusatzbegründung dar, auf die es nicht entscheidungswesentlich ankommt, weshalb sich eine Auseinandersetzung damit erübrigt (vgl. VwGH 6.11.2018, Ra 2018/18/0203, mwN).
24 Zu II.:
25 Darüber hinaus erweist sich die Revision als zulässig, sie
ist jedoch nicht berechtigt.
26 Nach § 52 Abs. 2 Fremdenpolizeigesetz (FPG) hat das BFA gegen einen Drittstaatsangehörigen unter anderem mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird.
27 § 46 Abs. 1 FPG normiert, dass Fremde, gegen die eine Rückkehrentscheidung, eine Anordnung zur Außerlandesbringung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot durchsetzbar ist, von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Auftrag des Bundesamtes zur Ausreise zu verhalten sind (Abschiebung), wenn die Überwachung ihrer Ausreise aus Gründen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit notwendig scheint (Z 1), sie ihrer Verpflichtung zur Ausreise nicht zeitgerecht nachgekommen sind (Z 2), auf Grund bestimmter Tatsachen zu befürchten ist, sie würden ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen (Z 3), oder sie einem Einreiseverbot oder Aufenthaltsverbot zuwider in das Bundesgebiet zurückgekehrt sind (Z 4).
28 Die im Revisionsfall maßgeblichen Bestimmungen des ARHG
lauten auszugsweise wie folgt:
"Vorrang der Auslieferung
§ 13. Ist ein Auslieferungsverfahren gegen einen Ausländer anhängig oder liegen hinreichende Gründe für die Einleitung eines solchen Verfahrens vor, so ist es unzulässig, ihn auf Grund anderer gesetzlicher Bestimmungen außer Landes zu bringen.
Österreichische Gerichtsbarkeit
§ 16. (1) Eine Auslieferung wegen strafbarer Handlungen, die der österreichischen Gerichtsbarkeit unterliegen, ist unzulässig.
(2) (...)
(3) Auch unter den Voraussetzungen des Abs. 2 ist eine Auslieferung dann unzulässig, wenn die auszuliefernde Person im Inland bereits rechtskräftig verurteilt, rechtskräftig freigesprochen oder aus anderen als den im § 9 Abs. 3 angeführten Gründen außer Verfolgung gesetzt worden ist. Im Fall des Abs. 2 Z 2 ist eine Auslieferung überdies dann unzulässig, wenn zu besorgen ist, dass die auszuliefernde Person durch eine Verurteilung im anderen Staat in der Gesamtauswirkung erheblich schlechter gestellt wäre als nach österreichischem Recht.
Wahrung rechtsstaatlicher Grundsätze; Asyl
§ 19. Eine Auslieferung ist unzulässig, wenn zu besorgen ist, dass
1. das Strafverfahren im ersuchenden Staat den Grundsätzen
der Art. 3 und 6 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, nicht entsprechen werde oder nicht entsprochen habe,
2. die im ersuchenden Staat verhängte oder zu erwartende Strafe oder vorbeugende Maßnahme in einer den Erfordernissen des Art. 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, nicht entsprechenden Weise vollstreckt werden würde, oder
3. die auszuliefernde Person im ersuchenden Staat wegen ihrer
Abstammung, Rasse, Religion, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Volks- oder Gesellschaftsgruppe, ihrer Staatsangehörigkeit oder wegen ihrer politischen Anschauungen einer Verfolgung ausgesetzt wäre oder aus einem dieser Gründe andere schwerwiegende Nachteile zu erwarten hätte (Auslieferungsasyl).
Spezialität der Auslieferung
§ 23. (1) Eine Auslieferung ist nur zulässig, wenn gewährleistet ist, dass
1. die ausgelieferte Person im ersuchenden Staat weder wegen
einer vor ihrer Übergabe begangenen Handlung, auf die sich die Auslieferungsbewilligung nicht erstreckt, noch ausschließlich wegen einer oder mehrerer für sich allein nicht der Auslieferung unterliegenden Handlungen (§ 11 Abs. 3) verfolgt, bestraft, in ihrer persönlichen Freiheit beschränkt oder an einen dritten Staat weitergeliefert wird,
2. bei einer Änderung der rechtlichen Würdigung der der
Auslieferung zugrunde liegenden Handlung oder bei Anwendung anderer als der ursprünglich angenommenen strafgesetzlichen Bestimmungen die ausgelieferte Person nur insoweit verfolgt und bestraft wird, als die Auslieferung auch unter den neuen Gesichtspunkten zulässig wäre.
(2) - (3) (...)"
29 Nach dem klaren Wortlaut des § 13 ARHG ist es unzulässig, einen Ausländer aufgrund anderer gesetzlicher Bestimmungen außer Landes zu bringen, solange ein Auslieferungsverfahren anhängig ist. Insofern ist von einem unbedingten Vorrang der Entscheidung des Auslieferungsgerichts auszugehen. Die Abschiebung eines Fremden während eines laufenden Auslieferungsverfahrens ist somit jedenfalls unzulässig.
30 Wie dieses Abschiebehindernis im asyl- und fremdenrechtlichen Verfahren Beachtung finden müsste, braucht im vorliegenden Zusammenhang nicht geklärt werden, weil das Auslieferungsverfahren im maßgeblichen Zeitpunkt der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung im gegenständlichen Fall bereits rechtskräftig abgeschlossen war.
31 In der Literatur wird darüber hinaus ausgeführt, § 13 ARHG stehe einer Abschiebung in den ersuchenden Staat nicht nur für die Zeit eines anhängiges Auslieferungsverfahrens, sondern auch nach einer abschlägigen Auslieferungsentscheidung entgegen, weil sonst der mit dem gerichtlichen Verfahren und dem Grundsatz der Spezialität verbundene Schutz verloren ginge. Eine solche Sperrwirkung sei insbesondere dann anzunehmen, wenn die Auslieferung wegen schwerwiegender grundrechtlicher Bedenken oder Überlegungen des ordre public abgelehnt worden sei. Da der Betroffene auch in anderen Fällen den durch das Auslieferungsverfahren garantierten Spezialitätsschutz und die gerichtliche Überprüfungsmöglichkeit verliere, dürfe der Grund der Ablehnung jedoch keine Rolle spielen (vgl. Murschetz, Auslieferung und Europäischer Haftbefehl, 2007, 237 sowie Göth-Flemmich in Höpfel/Ratz, WK2 AHG § 13, Rz 4).
32 Dieser Auffassung kann der Verwaltungsgerichtshof nicht beitreten.
33 § 13 ARHG sieht schon nach seinem Wortlaut ein Abschiebeverbot nur für die Dauer des Auslieferungsverfahrens vor, enthält aber keine Anordnung, aufgrund derer es nach Abschluss des Auslieferungsverfahrens unzulässig wäre, einen Fremden nach Prüfung der fremdenrechtlichen Voraussetzungen abzuschieben. 34 Für diese Sichtweise spricht auch die Überschrift des § 13 ARHG, die den Zweck der Vorschrift verdeutlicht, nämlich den "Vorrang der Auslieferung" sicherzustellen. Die Norm dient also der Strafrechtspflege im Allgemeinen und der Sicherstellung der Auslieferung (unter den im ARHG genannten Bedingungen) im Besonderen. Andere staatliche Behörden sollen daran gehindert sein, eine Auslieferung unter den Garantien des ARHG während des Auslieferungsverfahrens unter Berufung auf andere gesetzliche Abschiebemöglichkeiten zu konterkarieren. Damit wird beispielsweise auch verhindert, dass es zwischenzeitlich zu einer fremdenrechtlichen Außerlandesbringung in einen anderen Staat als den um die Auslieferung ersuchenden Staat kommen kann. 35 Dieser Vorrang endet mit dem Abschluss des Auslieferungsverfahrens. Eine Bindungswirkung der Asylbehörden an die Entscheidung des Auslieferungsgerichts enthält § 13 ARHG nicht (in diesem Sinne bereits VfSlg. 19789/2013). Einer solchen Bindungswirkung stünden auch die unterschiedlichen Prüfmaßstäbe für die Unzulässigkeit einer Außerlandesbringung im Auslieferungsverfahren und im Asyl- und Fremdenrechtsverfahren entgegen, wobei die möglichen Gründe für die Ablehnung einer Auslieferung deutlich mannigfaltiger sind (vgl. nur beispielsweise §§ 16 bis 22 AHRG sowie für eine systematische Darstellung der möglichen Auslieferungshindernisse Murschetz, aaO 157 bis 232). 36 Nach Abschluss des Auslieferungsverfahrens sind die Asyl- und Fremdenbehörden somit in der Beurteilung der Abschiebemöglichkeit eines Fremden an die Entscheidung des Auslieferungsgerichts nicht gebunden. Sie haben jedoch bei der Prüfung der Zulässigkeit einer Abschiebung auf die Entscheidung des Auslieferungsgerichts Bedacht zu nehmen, und zwar insbesondere dann, wenn das Auslieferungsgericht dasselbe Prüfkalkül (etwa eine drohende Verletzung von Art. 3 EMRK) angewandt hat. In diesen Fällen müssten die Asylbehörden unter Einbeziehung der Erwägungen des Auslieferungsgerichts nachvollziehbar darlegen, weshalb dem Betroffenen eine von den Asylbehörden wahrzunehmende Missachtung von Menschenrechten im Falle der Abschiebung nicht droht. 37 Im Revisionsfall hat das Auslieferungsgericht die Auslieferung in die Russische Föderation abgelehnt, weil der Revisionswerber wegen der im Auslieferungsersuchen angesprochenen Straftaten bereits in Österreich rechtskräftig verurteilt bzw. freigesprochen worden sei bzw. ihm Straftaten angelastet würden, die jedenfalls der inländischen Strafgerichtsbarkeit unterlägen. Der Begründung der Auslieferungsentscheidung lässt sich aber nicht entnehmen, dass der Revisionswerber im Falle einer Abschiebung (asylrelevant) verfolgt werden könnte oder die reale Gefahr einer Verletzung seiner durch Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte drohen würde.
38 Auch das BVwG hat Derartiges nicht festgestellt, sondern insbesondere festgehalten, dass dem Revisionswerber bei Abschiebung in die Russische Föderation (außerhalb Tschetscheniens) keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK drohe. Dem tritt die Revision nicht substantiiert entgegen.
39 Bei diesem Ergebnis bedarf es keiner Auseinandersetzung mit den weiteren Erwägungen des BVwG, wonach die vom Auslieferungsgericht angenommenen Auslieferungshindernisse nicht mehr vorliegen.
40 Die Revision war daher, soweit sie sich gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung des Revisionswerbers in die Russische Föderation und die Festlegung einer Frist für die freiwillige Ausreise wendet, gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Wien, am 10. April 2019
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RO2018180005.J00Im RIS seit
08.07.2019Zuletzt aktualisiert am
08.07.2019