TE Vwgh Erkenntnis 2019/4/25 Ra 2019/13/0009

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Veröffentlicht am 25.04.2019
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Index

32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht

Norm

BAO §80 Abs1
BAO §9 Abs1

Betreff

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Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fuchs und Senatspräsident Dr. Nowakowski sowie die Hofräte MMag. Maislinger und Mag. Novak sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Karlovits, LL.M., über die Revision des T F in W, vertreten durch die Brand Rechtsanwälte GmbH in 1020 Wien, Schüttelstraße 55, Carre Rotunde, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 1. Februar 2018, Zl. RV/7105709/2015, betreffend Haftung nach §§ 9 und 80 BAO, zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Schreiben vom 6. März 2014 wurde dem Revisionswerber vorgehalten, auf dem Abgabenkonto der M GmbH würden Abgabenrückstände in Höhe von ca. 96.000 EUR aushaften, deren Einbringung bisher vergeblich versucht worden sei. Der Revisionswerber sei seit 17. Juni 2004 Geschäftsführer der M GmbH gewesen. Er sei für die Entrichtung der in diesem Zeitraum fällig gewordenen Abgaben in Höhe von ca. 39.000 EUR verantwortlich gewesen. Der Revisionswerber werde aufgefordert, anzugeben, ob er im gegebenen Zeitraum Zahlungen an andere Gläubiger geleistet habe. Außerdem werde er ersucht, eine Auflistung sämtlicher Gläubiger mit zum Zeitpunkt der Abgabenfälligkeiten gleichzeitig oder früher fällig gewordenen Forderungen ziffernmäßig darzulegen. Es seien dabei alle Zahlungen sowie alle verfügbar gewesenen liquiden Mittel anzugeben.

2 Der Revisionswerber antwortete hierauf, er habe sämtliche Steuern wahrheitsgemäß und vollständig erklärt und abgeführt. Ab Erkennbarkeit der Insolvenz habe der Revisionswerber sofort einen Rechtsanwalt eingeschaltet und entsprechend seinem Rat keine Zahlungen mehr geleistet, sondern fristgerecht einen Eigenantrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens gestellt.

3 Mit Bescheid vom 13. Mai 2014 wurde der Revisionswerber als Haftungspflichtiger gemäß § 9 iVm §§ 80 ff BAO für die aushaftenden Abgabenschuldigkeiten der M GmbH im Ausmaß von ca. 39.000 EUR in Anspruch genommen und aufgefordert, diesen Betrag innerhalb eines Monats ab Zustellung des Bescheides zu entrichten. Betreffend die Abgabenschuldigkeiten wurde auf eine Rückstandsaufgliederung verwiesen, die dem Bescheid beigelegt wurde.

4 Begründend wurde im Wesentlichen dargelegt, der Revisionswerber sei seit 17. Juni 2004 Geschäftsführer der M GmbH gewesen. Mit Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom 12. September 2008 sei ein Konkursverfahren über das Vermögen der M GmbH eröffnet worden; mit Beschluss vom 23. Dezember 2010 sei das Konkursverfahren nach Schlussverteilung aufgehoben worden. Die M GmbH sei in der Folge im Firmenbuch gelöscht worden; die Abgabenschulden seien uneinbringlich.

5 Die Rückstandsaufgliederung weist als offene Abgaben Lohnsteuer, Dienstgeberbeitrag, Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag sowie Umsatzsteuer und Einfuhrumsatzsteuer aus.

6 Dem Haftungsbescheid beigelegt waren weiters die entsprechenden Abgabenbescheide bzw. Haftungsbescheide zur Lohnsteuer, die an den Masseverwalter der M GmbH gerichtet waren, sowie der Bericht über das Ergebnis der Außenprüfung vom 21. Oktober 2008.

7 Der Revisionswerber erhob gegen den Haftungsbescheid und gegen die Abgabenbescheide Beschwerde.

8 Mit Beschwerdevorentscheidung vom 1. Oktober 2015 wies das Finanzamt die Beschwerde gegen den Haftungsbescheid als unbegründet ab.

9 Der Revisionswerber beantragte die Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht.

10 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde insoweit Folge, als die Haftung auf ca. 33.000 EUR eingeschränkt wurde, im Übrigen wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Das Bundesfinanzgericht sprach aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig ist.

11 Nach Wiedergabe des Verfahrensgangs führte das Bundesfinanzgericht im Wesentlichen aus, der Revisionswerber habe nicht behauptet, dass für die Entrichtung der haftungsgegenständlichen Abgaben keine Mittel zur Verfügung gestanden wären. Das Vorhandensein von Mitteln werde dadurch bestätigt, dass bis 4. Juni 2008 auf das Abgabenkonto der Primärschuldnerin Zahlungen geleistet worden seien. Auch das Vorbringen des Revisionswerbers, entsprechend dem Rat seines Rechtsanwaltes keine Zahlungen mehr geleistet zu haben, lasse auf das Vorhandensein von Mitteln zur Abgabenentrichtung schließen. 12 Entgegen dem Einwand, dass der Revisionswerber bis zum Zeitpunkt der Konkurseröffnung sämtliche fälligen Zahlungen erfüllt habe, sei am Abgabenkonto der Primärschuldnerin ab Verbuchung der Umsatzsteuer 2/2008 in Höhe von ca. 33.000 EUR am 28. April 2008 durchgehend ein Rückstand ausgewiesen. 13 Dass der Revisionswerber ab Erkennbarkeit der Insolvenz entsprechend dem Rat seines Rechtsanwaltes zur Vermeidung einer Gläubigerbevorzugung keine Zahlungen mehr geleistet habe, vermöge am Vorliegen einer schuldhaften Verletzung der ihm auferlegten Pflichten nichts zu ändern, da der Revisionswerber mit dieser Vorgangsweise die dem Abgabengläubiger gegenüber bestehende Pflicht zur zumindest anteiligen Tilgung der Abgabenforderung verletzt habe. Auch die gesetzliche Bestimmung des § 69 Abs. 2 IO in Gestalt der dort normierten Frist von 60 Tagen befreie den Revisionswerber nicht vom Vorwurf der schuldhaften Pflichtverletzung gegenüber der Abgabenbehörde.

14 Bei der im Rückstand enthaltenen Umsatzsteuer für die Voranmeldungszeiträume Februar und April 2008 handle es sich um die Festsetzung auf Grund der von der Primärschuldnerin selbst eingereichten Umsatzsteuer-Voranmeldungen mit Fälligkeiten 15. April sowie 16. Juni 2008. Die Beträge betreffend die Einfuhr-Umsatzsteuer seien den Zollbehörden anlässlich der Einfuhr der Waren einbekannt und damit das Abgabenkonto belastet worden (Fälligkeiten 16. Juni und 15. Juli 2008). Da dieses Zahlenmaterial von der Primärschuldnerin vor Einleitung des Insolvenzverfahrens stamme, sei auch davon auszugehen, dass dieses richtig sei.

15 Zutreffend sei der Einwand des Revisionswerbers, dass die Konkursquote von der offenen Abgabenschuld abzuziehen sei. 16 Hinsichtlich der mit Haftungsbescheid geltend gemachten Haftung für Lohnsteuer 2006 und 2007, Dienstgeberbeitrag 2005 und 2007 und Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag 2005 und 2007 sei zu bemerken, dass diese in Jahresbeträgen ohne nähere Aufgliederung festgesetzt worden sei. Diese Abgaben seien aber monatlich zu entrichten. Damit sei der Revisionswerber von der Abgabenbehörde nicht in die Lage gesetzt worden, konkret vorzubringen, weshalb er welche Abgabe nicht (vollständig) abgeführt und entrichtet habe. Der Haftungsbescheid sei daher hinsichtlich dieser Abgaben aufzuheben gewesen.

17 Unter Berücksichtigung der Konkursquote von 0,756% verbleibe betreffend Umsatzsteuer 2/2008 und 4/2008 sowie Einfuhrumsatzsteuer 4/2008 und 5/2008 ein Betrag von insgesamt ca. 33.000 EUR.

18 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die Revision.

19 Nach Einleitung des Vorverfahrens hat das belangte

Finanzamt eine Revisionsbeantwortung eingebracht.

20 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

21 In der Revision wird zur Zulässigkeit insbesondere geltend

gemacht, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis auf VwGH 9.6.1986, 85/15/0069) liege eine schuldhafte Pflichtverletzung nicht vor, da der Revisionswerber unmittelbar nach Erkennbarkeit der Insolvenz einen Rechtsanwalt eingeschaltet habe, der ihm vor dem Hintergrund der Zahlungsunfähigkeit geraten habe, überhaupt keine Zahlungen mehr zu leisten. Diesem Rat sei der Revisionswerber im Vertrauen auf dessen Richtigkeit gefolgt. 22 Damit wird die Zulässigkeit der Revision aufgezeigt; sie ist auch begründet.

23 Nach § 80 Abs. 1 BAO haben die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden. 24 Gemäß § 9 Abs. 1 BAO haften die in den §§ 80 ff BAO bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können. 25 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Vertreter darzutun, aus welchen Gründen ihm die Erfüllung abgabenrechtlicher Pflichten unmöglich gewesen sei, widrigenfalls die Abgabenbehörde eine schuldhafte Verletzung im Sinne des § 9 Abs. 1 BAO annehmen darf. Hat der Vertreter schuldhaft seine Pflicht verletzt, für die Abgabenentrichtung aus den Mitteln der Gesellschaft zu sorgen, so darf die Abgabenbehörde davon ausgehen, dass die Pflichtverletzung für die Uneinbringlichkeit ursächlich war (vgl. VwGH 19.5.2015, 2013/16/0016, mwN).

26 Unter dem Gesichtspunkt des dem Vertreter vorzuwerfenden Verschuldens an der Verletzung der Vertreterpflichten ist es beachtlich, wenn er auf Grund eines Rechtsirrtums die Entrichtung der Abgaben unterlassen hat und ihm ein solcher Rechtsirrtum (ausnahmsweise) nicht vorzuwerfen ist. Mit dem bloßen Hinweis auf eine andere Rechtsmeinung des Abgabepflichtigen wird ein nicht vorwerfbarer Rechtsirrtum nicht dargetan (vgl. VwGH 22.4.2015, 2013/16/0208, mwN). Insbesondere kann sich jemand nicht erfolgreich auf entschuldigenden Rechtsirrtum stützen, der es unterlässt, geeignete Erkundigungen über die Rechtslage anzustellen (vgl. VwGH 27.2.2008, 2005/13/0095; 21.11.2013, 2013/16/0203).

27 Die Betrauung eines Steuerberaters mit der Wahrnehmung abgabenrechtlicher Pflichten entbindet zwar den Vertreter einer juristischen Person nicht von seinen Pflichten. Sie kann ihn aber entschuldigen, wenn er im Haftungsverfahren Sachverhalte vorträgt, aus denen sich ableiten lässt, dass der Vertreter dem Steuerberater alle abgabenrechtlich relevanten Sachverhalte vorgetragen und sich von diesem über die (vermeintliche) Rechtsrichtigkeit der eingeschlagenen Vorgangsweise hat informieren lassen, ohne dass zu einem allfälligen Fehler des Steuerberaters hinzutretende oder von einem solchen Fehler unabhängige eigene Fehlhandlungen des Vertreters vorgelegen wären (vgl. VwGH 18.7.2001, 2001/13/0078, VwSlg. 7637/F; 30.6.2010, 2007/13/0047, je mwN).

28 Der Revisionswerber hatte bereits in seiner Stellungnahme zur Aufforderung des Finanzamts mitgeteilt, er habe ab Erkennbarkeit der Insolvenz sofort einen Rechtsanwalt eingeschaltet und entsprechend seinem Rat keine Zahlungen mehr geleistet, sondern fristgerecht einen Eigenantrag auf Eröffnung eines Konkursverfahrens gestellt. Zu näheren Präzisierungen oder Beweisanboten hiezu wurde der Revisionswerber im Verfahren nie aufgefordert (etwa dazu, wann Erkennbarkeit der Insolvenz eingetreten sei, wann er welchen Rechtsanwalt eingeschaltet habe, welche Informationen er diesem erteilt habe, sowie dazu, wann der Antrag auf Konkurseröffnung gestellt worden sei), wozu das Finanzamt und das Bundesfinanzgericht aber verpflichtet gewesen wären (vgl. VwGH 18.10.2007, 2006/15/0073, mwN).

29 Nach der oben dargelegten Rechtslage konnte das Befolgen des Rates eines Rechtsanwaltes das Verhalten des Revisionswerbers entschuldigen. Wenn das Bundesfinanzgericht hiezu darauf verweist, der Revisionswerber habe mit diesem Verhalten seine Pflicht zur zumindest anteiligen Tilgung der Abgabenforderungen verletzt (VwGH 15.12.2004, 2004/13/0146), so würde aber eine Haftung bei einem entschuldigenden Rechtsirrtum entfallen.

30 Dass der Revisionswerber - aus einem konkreten Anlass - der Auskunft des Rechtsanwaltes hätte misstrauen müssen oder aus eigenem Zweifel an der Richtigkeit dieser Auskunft gehabt hätte (vgl. VwGH 30.6.2010, 2007/13/0047), wurde vom Bundesfinanzgericht nicht angenommen und wäre auch im Hinblick auf die unterschiedliche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes betreffend Haftung für Abgaben einerseits und Beiträge nach dem Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetz oder dem ASVG anderseits nicht naheliegend (vgl. hiezu etwa VwGH 24.2.2010, 2006/13/0110, mit Hinweis auf VwGH 26.1.2005, 2002/08/0213, VwSlg. 16.532/A; sowie VwGH 9.11.2011, 2011/16/0116, VwSlg. 8677/F, mit Hinweis auf das Erkenntnis eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom 12. Dezember 2000, 98/08/0191, VwSlg. 15.528/A).

31 Da sich das Bundesfinanzgericht mit dem Einwand des Fehlens eines Verschuldens des Revisionswerbers im Hinblick auf das Befolgen eines Rates eines Rechtsanwaltes nicht auseinandergesetzt hat, war das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG aufzuheben.

32 Von der vom Revisionswerber beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.

33 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 20

14.

Wien, am 25. April 2019

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019130009.L00

Im RIS seit

24.07.2019

Zuletzt aktualisiert am

24.07.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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