TE Vwgh Erkenntnis 2019/4/29 Ra 2018/20/0415

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Veröffentlicht am 29.04.2019
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §58 Abs2
AVG §60
VwGG §42 Abs2 Z3 litb
VwGG §42 Abs2 Z3 litc
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §29
VwGVG 2014 §29 Abs1

Betreff

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Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler, die Hofrätin Dr. Leonhartsberger und den Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, über die Revision des M C in G, vertreten durch Dr. Joachim Zierler, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Karmeliterplatz 4, dieser vertreten durch Mag. Ronald Frühwirth, Rechtsanwalt in 8020 Graz, Grieskai 48, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Juli 2018, Zl. I411 2107169- 1/12E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der aus Nigeria stammende Revisionswerber stellte am 25. Jänner 2013 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), den er im Wesentlichen damit begründete, dass ihm in Nigeria aufgrund seiner Homosexualität Verfolgung drohe. Er sei in der Schule dabei erwischt worden, wie er einen Freund geküsst habe und habe aufgrund dessen flüchten müssen. Im Falle der Rückkehr nach Nigeria fürchte er, ermordet zu werden.

2 Mit Bescheid vom 13. April 2015 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab. Unter einem sprach es aus, dass ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt werde, erließ gegen den Revisionswerber eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig sei, und legte die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die gegen den Bescheid erhobene Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 12. Juli 2018 mit Erkenntnis vom 16. Juli 2018 als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

4 Begründend führte das BVwG zusammengefasst aus, das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers sei nicht glaubhaft, weil er in der mündlichen Verhandlung zu seiner Homosexualität bzw. zu seinen Beziehungen nur sehr oberflächliche und vage Ausführungen gemacht und auch auf Nachfragen keinerlei Details preisgegeben habe. Darüber hinaus sei dem "auffällig unsubstantiierten" Fluchtvorbringen auch die Schlüssigkeit und Plausibilität abzusprechen gewesen. Auch zu seiner behaupteten aktuellen gleichgeschlechtlichen Beziehung in Österreich habe der Revisionswerber keine konkreten Angaben machen wollen bzw. können. Zum Fluchtgeschehen habe er "lebensfremd" vorgebracht, von seinem Vater ohne Dokumente und Geld auf ein Schiff gebracht worden zu sein. Obwohl die Schifffahrt drei Wochen gedauert hätte, habe der Revisionswerber nicht den Namen der Person nennen können, der er auf dem Schiff anvertraut worden sei. Ebenso sei nicht glaubhaft, dass er seit dem Verlassen seines Herkunftsstaates keinen Kontakt mehr zu seinen Angehörigen habe. Es sei nicht nachvollziehbar, dass sich sein Vater nach dem Vorfall in seinem "Versteck" täglich um ihn gekümmert habe und er mit seiner Mutter in regelmäßigem Kontakt gestanden sei, diese Verbindung aber nach der Ausreise zur Gänze abgerissen sein solle. Insgesamt stufe das BVwG - nicht zuletzt aufgrund des persönlichen Eindrucks - das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers als unglaubhaft ein.

5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit - unter anderem - geltend macht, das BVwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes insofern abgewichen, als die Beweiswürdigung im angefochtenen Erkenntnis in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen worden sei. Der Revisionswerber habe entgegen der Ansicht des BVwG auf die ihm gestellten Fragen zu seiner Homosexualität bzw. zu seinen Beziehungen klare und aussagekräftige Antworten gegeben. Soweit dem Revisionswerber vorgeworfen werde, seine Schilderungen seien "vage und detaillos" ausgefallen, werde in den beweiswürdigenden Ausführungen nicht offengelegt, welche Teile des Vorbringens unsubstantiiert geblieben seien. Dahingehend entzögen sie sich einer nachprüfenden Kontrolle. Soweit dem Revisionswerber vorgehalten werde, zu seiner aktuellen gleichgeschlechtlichen Beziehung in Österreich keine konkreten Angaben gemacht zu haben, sei lediglich eine Aussage des Revisionswerbers aus der mündlichen Verhandlung wiedergegeben worden, aus der sich nicht erschließe, welche Angaben sich das BVwG erwartet hätte. Im Ergebnis halte die Beweiswürdigung daher einer Schlüssigkeitsprüfung nicht stand. Dieser verfahrensrechtliche Mangel erweise sich als für den Verfahrensausgang relevant, da sich aus den - in der Revision näher wiedergegebenen - Länderfeststellungen der belangten Behörde im vor dem BVwG angefochtenen Bescheid ergebe, dass dem Revisionswerber im Falle der Glaubhaftmachung seiner homosexuellen Orientierung Verfolgung in Nigeria drohe und somit internationaler Schutz zuzuerkennen gewesen wäre.

6 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die außerordentliche Revision nach Vorlage derselben sowie der Verfahrensakten durch das BVwG und nach Einleitung des Vorverfahrens - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

7 Die Revision ist zulässig, sie ist auch berechtigt.

8 Der Verwaltungsgerichtshof ist als Rechtsinstanz tätig; zur Überprüfung der Beweiswürdigung ist er im Allgemeinen nicht berufen. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG liegt - als Abweichung von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - allerdings dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat.

9 Wie der Verwaltungsgerichtshof schon zu dem gemäß § 17 VwGVG auch von den Verwaltungsgerichten anzuwendenden § 45 Abs. 2 AVG ausgesprochen hat, bedeutet der Grundsatz der freien Beweiswürdigung nicht, dass der in der Begründung der (nunmehr verwaltungsgerichtlichen) Entscheidung niederzulegende Denkvorgang der Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof nicht unterliegt. Die Bestimmung des § 45 Abs. 2 AVG hat nur zur Folge, dass die Würdigung der Beweise keinen gesetzlichen Regeln unterworfen ist. Dies schließt aber eine Kontrolle in die Richtung nicht aus, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind, also nicht den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut widersprechen. Unter Beachtung dieser Grundsätze hat der Verwaltungsgerichtshof auch zu prüfen, ob das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Beweiswürdigung alle in Betracht kommenden Umstände vollständig berücksichtigt hat (vgl. zuletzt etwa VwGH 14.3.2019, Ra 2018/18/0441, mwN). 10 In der Begründung des Erkenntnisses eines Verwaltungsgerichts ist in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung durch die Parteien ermöglichenden und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zug??nglichen Weise darzutun, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrunde gelegt wurde, aus welchen Erwägungen das Verwaltungsgericht zur Ansicht gelangte, dass gerade dieser Sachverhalt vorliege, und aus welchen Gründen es die Subsumtion dieses Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand als zutreffend erachtete. Sind die einen tragenden Teil der Begründung darstellenden Ausführungen für den Verwaltungsgerichtshof nicht nachvollziehbar und somit nicht überprüfbar, so liegt ein wesentlicher Verfahrensfehler vor, der zur Aufhebung der Entscheidung führt (vgl. etwa VwGH 10.12.2014, Ro 2014/09/0056, mwN).

11 Der Verwaltungsgerichtshof hat auch bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass die bloße Zitierung von Beweisergebnissen, wie etwa die Wiedergabe von Aussagen, weder erforderlich noch hinreichend ist, mag unter bestimmten Umständen auch die Aufzählung aufgenommener Beweise zweckmäßig sein. Nichts anderes hat zu gelten, wenn das Verwaltungsgericht in seiner Begründung den inkludierten Aktenteilen über weite Strecken lediglich solche Ergänzungen beifügt, die selbst ohne Begründungswert bleiben (vgl. VwGH 20.5.2015, Ra 2015/20/0067, mwN).

12 Diesen in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes aufgestellten Anforderungen an eine nachvollziehbare Beweiswürdigung entspricht das angefochtene Erkenntnis nicht:

13 Soweit das BVwG dem Revisionswerber vorhält, er habe auf die ihm in der mündlichen Verhandlung gestellten Fragen zu seiner Homosexualität bzw. seinen gleichgeschlechtlichen Beziehungen nur oberflächliche und vage Antworten gegeben, denen zudem ihre Schlüssigkeit sowie Plausibilität abzusprechen gewesen seien, legt es nicht näher dar, aus welchen Gründen es zu dieser Einschätzung gekommen ist. Die einzige dazu ergangene "Begründung" stellt die Wiedergabe der Aussage des Revisionswerbers zu der Frage, wie seine Eltern auf sein "coming out" reagiert hätten, dar, auf die er erwiderte, dass seine Eltern gesagt hätten, er solle niemandem davon erzählen, da es sich nur um eine Phase handle und er aufgrund seines jungen Alters nicht wisse, was er wolle. Damit ist nicht nachvollziehbar begründet, warum sein Fluchtgrund "oberflächlich, vage, unschlüssig und unplausibel" sein sollte. Ebenso wenig legt das BVwG offen, inwieweit die Angaben des Revisionswerbers zu seiner gleichgeschlechtlichen Beziehung in Österreich nicht konkret genug gewesen wären, zumal die diesbezüglich wiedergegebene Passage des Verhandlungsprotokolls eine solche Beurteilung nicht nahe legt.

14 Wenn das BVwG die mangelnde Glaubhaftmachung des Fluchtvorbringens damit begründet, dass der Revisionswerber "lebensfremd" vorgebracht habe, von seinem Vater ohne Dokumente und Geld auf ein Schiff gebracht worden zu sein, legt es erneut nicht offen, inwieweit das Vorbringen "lebensfremd" wäre. Auch die versuchte Begründung, "obwohl die Schifffahrt drei Wochen gedauert haben soll, konnte der (Revisionswerber) nicht den Namen dieser Person (gemeint: jener, der der Revisionswerber anvertraut worden sei) nennen", ist unschlüssig, weil sie außer Acht lässt, dass der Revisionswerber ausgesagt hat, er wissen den Namen "nicht mehr". 15 Einzig die Begründung, es sei nicht nachvollziehbar, dass der Kontakt zum Vater des Revisionswerbers abgebrochen sei, obwohl dieser sich, während der Revisionswerber sich versteckt gehalten habe, täglich um ihn gekümmert habe, hält einer Überprüfung auf Schlüssigkeit stand. Diese nicht das zentrale Verfolgungsvorbringen betreffende Beurteilung vermag jedoch für sich alleine nicht die Feststellung des BVwG zu tragen, der Revisionswerber sei nicht homosexuell.

16 Im Ergebnis liefert die Beweiswürdigung des BVwG - die über die dargestellten Punkte hinaus keine Erwägungen enthält - somit keinen das wesentliche Vorbringen betreffenden Begründungswert. Damit hält das angefochtene Erkenntnis den dargestellten Anforderungen an eine nachvollziehbare Beweiswürdigung und eine überprüfbare Begründung nicht stand.

17 Das angefochtene Erkenntnis war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

18 Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 29. April 2019

Schlagworte

Begründung BegründungsmangelBegründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018200415.L00

Im RIS seit

10.07.2019

Zuletzt aktualisiert am

10.07.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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