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001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
AVG §38Betreff
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Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl, den Hofrat Dr. Lukasser sowie die Hofrätin Dr. Leonhartsberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Bleiweiss, über die Revision der U G in K, vertreten durch die Hock & Partner Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Stallburggasse 4, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 23. Februar 2018, Zl. LVwG-AV-597/003-2016, betreffend Abweisung eines Wiederaufnahmeantrags in einer Angelegenheit eines Apothekenkonzessionsverfahrens (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Mistelbach), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 23. Februar 2018 wurde der Antrag der Revisionswerberin auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes (LVwG) Niederösterreich vom 18. Juli 2016, Zl. LVwG-AV-597/001/2016, abgeschlossenen Verfahrens, mit welchem ihre Beschwerde gegen die Abweisung ihres Antrags auf Erteilung der Konzession zur Errichtung und zum Betrieb einer neuen öffentlichen Apotheke in W. ohne weiteres Verfahren abgewiesen worden war, gemäß § 28 Abs. 1 iVm § 32 Abs. 1 VwGVG als unbegründet abgewiesen. Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurde gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt.
2 Begründend ging das LVwG zunächst davon aus, dass der Wiederaufnahmeantrag als rechtzeitig eingebracht anzusehen sei. Die Revisionswerberin habe vorgebracht, dass aufgrund eines Erkenntnisses des LVwG vom 21. Juli 2017 betreffend das Konzessionsansuchen eines anderen Antragstellers eine neue Tatsache vorläge. In dieser Entscheidung sei festgehalten worden, dass die in § 47 Abs. 2 Apothekengesetz (ApG) normierte Sperrfrist wegen geänderter Rechtslage seit 30. Juni 2016 (gemeint wohl: 3. Juni 2016) nicht mehr gelte. Dies müsse für den Antrag der Revisionswerberin gleichermaßen gelten. Die geänderte Rechtslage sei ab Kundmachung im Bundesgesetzblatt zu beachten, sodass das Verfahren nach der aktuellen Rechtslage und nicht nach der Rechtslage bei Antragstellung zu beurteilen sei.
Dazu führte das LVwG aus, dass es sich beim Umstand des in einer anderen Rechtssache mittlerweile ergangenen Erkenntnisses um keine "nova reperta" im Sinn des § 69 Abs. 1 Z 2 AVG und damit um keinen Wiederaufnahmegrund handle, weil eine nachträglich hervorgekommene gerichtliche Entscheidung weder eine Tatsache noch - für sich - ein Beweismittel sei. Auch könne eine in einem anderen Verfahren geäußerte Rechtsansicht, selbst wenn sie in den im anderen Verfahren ergangenen Bescheid eingeflossen sei, keinen solchen Wiederaufnahmegrund darstellen (Hinweis auf VwGH 29.9.1993, 93/02/0173; 17.2.2006, 2006/18/0031). Aber auch sonst würde das Vorbringen der Revisionswerberin nicht zum Erfolg führen, weil § 47 Abs. 2 ApG auf den tatsächlichen Zustand in einem bestimmten Zeitpunkt, nämlich jenem der Antragstellung, im Verhältnis zu den der Vorerledigung zugrunde gelegten lokalen Verhältnissen, abstelle, weil die in § 47 Abs. 2 ApG normierte Sperrfrist ein gesetzliches Hindernis für die Einbringung eines Konzessionsansuchens darstelle. Das Verfahren der Revisionswerberin unterscheide sich insofern maßgeblich von jenem des Antragstellers in dem mittlerweile ergangenen, seitens der Revisionswerberin als Wiederaufnahmegrund herangezogenen, Erkenntnis des LVwG, als der dortige Antragsteller seinen Antrag erst nach Inkrafttreten der in Rede stehenden Novelle BGBl. I Nr. 30/2016 (Einfügung des § 10 Abs. 6a ApG) gestellt habe, zum Zeitpunkt der Antragstellung der Revisionswerberin am 17. Dezember 2015 die neue Rechtslage hingegen noch nicht in Kraft gewesen sei.
3 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG). 4 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in
nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 5 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 6 Zur Zulässigkeit bringt die Revisionswerberin fehlende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vor, weil entgegen der im angefochtenen Erkenntnis vertretenen Rechtsansicht nicht alleine die Interpretation und Anwendung des § 32 VwGVG maßgeblich sei, sondern vor allem die Bestimmung des ApG über die "Sperrfrist" (§ 47 Abs. 2 ApG). Es liege keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Rechtsfrage vor, ob eine "Durchbrechung" der Sperrfrist des § 47 Abs. 2 ApG zugunsten eines anderen Bewerbers in einem anderen Verwaltungsverfahren über die Erteilung einer Apothekenkonzession die zuvor wegen Antragstellung innerhalb der Sperrfrist abgewiesene Revisionswerberin dazu berechtige, eine Wiederaufnahme ihres Verfahrens zu verlangen. Es existiere weiters keine Judikatur zur Frage, ob die nachträgliche Entscheidung über die "Durchbrechung" der Sperrfrist als eine in einem wesentlichen Punkt andere Entscheidung über eine Vorfrage oder als "neue Tatsache" zu qualifizieren sei. Schließlich liege zur Rechtsfrage, ob die - aus Sicht der Revisionswerberin rechtswidrige - Entscheidung des LVwG im vorangegangenen - rechtskräftig negativ abgeschlossenen - Verfahren mit dem Rechtsbehelf des Wiederaufnahmeantrags der Partei, die auf die gleichmäßig geltende Sperrfrist für alle Bewerber vertraut habe, bekämpfbar sei, keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vor.
7 Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen hat, sind die Wiederaufnahmegründe des § 32 Abs. 1 VwGVG denjenigen des § 69 Abs. 1 AVG nachgebildet, sodass auf das bisherige Verständnis dieser Wiederaufnahmegründe zurückgegriffen werden kann (vgl. VwGH 31.8.2015, Ro 2015/11/0012; 27.2.2019, Ra 2018/10/0098 mwN).
8 Nach der hg. Judikatur können Tatsachen und Beweismittel im Sinn des § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG nur dann einen Grund für die Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens darstellen, wenn sie bei Abschluss des seinerzeitigen Verfahrens bereits vorhanden waren und deren Verwertung der Partei jedoch ohne ihr Verschulden erst nachträglich möglich wurde, nicht jedoch, wenn es sich um erst nach Abschluss des seinerzeitigen Verfahrens neu entstandene Tatsachen und Beweismittel handelt. Dieser Wiederaufnahmegrund ermöglicht nicht die neuerliche Aufrollung eines abgeschlossenen Verwaltungsverfahrens in Fragen, die im früheren Verfahren hätten vorgebracht werden können. Der Wiederaufnahmegrund des Hervorkommens neuer Tatsachen oder Beweismittel kann von vornherein nur ein Umstand sein, der den Sachverhalt betrifft, der dem das wiederaufzunehmende Verfahren abschließenden Bescheid/Erkenntnis zugrunde gelegt wurde. Eine in einem anderen Verfahren geäußerte Rechtsansicht kann niemals einen solchen Wiederaufnahmegrund darstellen. Auch das nachträgliche Erkennen, dass im abgeschlossenen Verwaltungsverfahren Verfahrensmängel oder eine unrichtige rechtliche Beurteilung seitens der Behörde vorgelegen seien, bildet keinen Wiederaufnahmegrund nach dieser Bestimmung (vgl. VwGH 17.2.2006, 2006/18/0031; vgl. zu allem die bei Hengstschläger/Leeb, AVG § 69 Rz 30 wiedergegebene Judikatur, jeweils zu § 69 Abs. 1 Z 2 AVG). 9 Im vorliegenden Fall berief sich die Revisionswerberin auf eine unrichtige rechtliche Beurteilung im Rahmen des abgeschlossenen, wiederaufzunehmenden Apothekenkonzessionsverfahren , wobei diese Unrichtigkeit aus einem nachträglich ergangenen Erkenntnis des LVwG im Apothekenkonzessionsverfahren eines anderen Bewerbers abzuleiten sei. Ausgehend von dieser Begründung des Wiederaufnahmeantrags kann dem LVwG nicht entgegengetreten werden, wenn es angesichts der wiedergegebenen Judikatur zur Auffassung gelangte, die vorgebrachte unrichtige rechtliche Beurteilung, die aus einer in einem anderen Verfahren geäußerten Rechtsansicht abgeleitet werde, bilde keinen Wiederaufnahmegrund. 10 Eine Beurteilung des geltend gemachten Wiederaufnahmegrunds als Vorfrage im Sinn des § 38 AVG scheidet schon deshalb aus, weil nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs der Umstand, dass eine gleichartige, ähnliche Rechtsfrage in einem anderen Verfahren zu klären ist, noch nicht bedeutet, dass eine Vorfrage im Sinne des § 38 AVG gegeben wäre. Vielmehr muss eine Vorfrage in einem anderen Verfahren als Hauptfrage zu beurteilen sein (vgl. VwGH 24.2.2016, Ra 2015/09/0128; 1.6.2017, Ra 2017/08/0022; 29.8.2018, Ro 2017/17/0022). Im vorliegenden Fall war jedoch der Verfahrensgegenstand sowohl des abgeschlossenen Verfahrens die Revisionswerberin betreffend, als auch des Verfahrens des weiteren Antragstellers derselbe, nämlich die Entscheidung über einen Apothekenkonzessionsantrag, sodass schon deshalb keine Vorfragenbeurteilung als Hauptfrage vorliegt. Dass im Zuge des Verfahrens über den nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens der Revisionswerberin gestellten Antrag eines von ihr verschiedenen Antragstellers für denselben Standort die Frage, ob dessen Antrag im Hinblick auf die in § 47 Abs. 2 ApG festgelegte Sperrfrist zulässig sei, aufgrund einer Rechtslagenänderung anders beurteilt wurde, begründet in diesem Zusammenhang nicht das Vorliegen einer (bindenden Entscheidung über eine) Vorfrage iSd § 38 AVG.
11 Im Übrigen verneinte das LVwG das Vorliegen einer gleichartigen Rechtsfrage, weil § 47 Abs. 2 ApG auf den Zeitpunkt der Antragstellung abstelle; der Antrag der Revisionswerberin sei - anders als jener des späteren Antragstellers - nach der Rechtslage vor der ApG-Novelle BGBl. I Nr. 30/2016 eingebracht worden und daher nach der damaligen Rechtslage zu beurteilen gewesen. Dagegen wendet sich die Zulassungsbegründung nicht. 12 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 30. April 2019
Schlagworte
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018100064.L00Im RIS seit
10.07.2019Zuletzt aktualisiert am
10.07.2019