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66/01 Allgemeines SozialversicherungsgesetzNorm
ASVG §354 Z1Betreff
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Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler, den Hofrat Dr. Strohmayer, die Hofrätin Dr. Julcher und die Hofräte Mag. Berger und Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision der A F in L, vertreten durch die Kropiunig Kropiunig Rechtsanwalts GmbH in 8700 Leoben, Max-Tendler-Straße 28, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 5. November 2018, Zl. G305 2199138-1/7E, betreffend Entschädigung nach § 420 Abs. 5 ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Betriebskrankenkasse voestalpine Bahnsysteme, 8700 Leoben, Kerpelystraße 201; weitere Partei: Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Die Betriebskrankenkasse voestalpine Bahnsysteme hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
1 Mit Schreiben vom 15. März 2017 beantragte die Revisionswerberin bei der belangten Behörde die Erlassung eines Bescheides "bezüglich der Entschädigungsleistung, mit Berechnungsmodus" an die Revisionswerberin ab 1. September 2013 sowie an ihren verstorbenen Ehemann, A. F., ab 1. April 1993 und (im Hinblick auf eine Abfertigungszahlung) ab 1. April 1994. 2 Mit dem vom Obmann und vom leitenden Angestellten der belangten Behörde gefertigten Bescheid vom 22. März 2018 über den Berechnungsmodus wurden die Entschädigungsleistungen an A. F. sowie an die Revisionswerberin gemäß § 420 Abs. 5 ASVG berechnet. Eine Zahlung der berechneten Entschädigungsleistungen wurde nicht verfügt.
3 A. F. sei von 1978 bis 31. März 1993 Obmann der belangten Behörde gewesen. Seit 1. April 1993 habe er eine ASVG-Pension sowie eine Pension als ehemaliger Nationalratsabgeordneter bezogen. Vom 1. April 1993 bis 31. März 1994 habe er die gesetzliche Abfertigung bezogen. Eine Pensionsentschädigung für ausgeschiedene Funktionäre (iSd § 420 Abs. 5 ASVG idF BGBl. Nr. 294/1990) sei ihm nicht ausbezahlt worden. Am 10. August 2013 sei er verstorben.
4 Die Revisionswerberin habe "die Pensionsentschädigung rückwirkend ab dem Inkrafttreten des Bezügebegrenzungsgesetzes von 1997 samt Zinsen" begehrt. Am 6. April 2016 sei durch die belangte Behörde ein als Beschluss bezeichneter Bescheid ergangen, mit dem der Revisionswerberin aus dem Titel "Entschädigungsleistungen an ausgeschiedene Funktionäre und deren Hinterbliebene" für den Zeitraum vom 1. September 2013 bis 31. März 2016 eine Auszahlung in Höhe von brutto EUR 14.500,-- und ab April 2016 monatliche Zahlungen in Höhe von brutto EUR 550,-- zugesprochen worden seien. Die Berechnungen der Nachzahlung sowie der weitergehenden monatlichen Zahlungen seien auf Basis der der belangten Behörde vorliegenden Informationen ergangen. Die Zahlungen seien als "unpräjudizielle Akontozahlungen" gewährt worden. Die Revisionswerberin sei um Übermittlung von Nachweisen ihrer Netto- und Bruttopension für die Jahre 2013 bis 2016 ersucht worden. Im November 2017 habe sie die angeforderten Unterlagen nachgereicht.
5 A. F. habe einen die ASVG-Höchstpension übersteigenden Betrag an Pensionsbezügen (gesetzliche Pension und Nationalratspension) erhalten, der auf die zu gewährende Entschädigungsleistung anzurechnen sei. Da die Differenz höher gewesen sei als der zu erhaltende Entschädigungsbetrag, habe A. F.
- bis auf einzelne genannte Monate - keinen Anspruch auf Nachzahlung der Entschädigungsleistung.
6 Die Revisionswerberin habe über den gesamten Pensionsbezugszeitraum bis Dezember 2017 einen die ASVG-Höchstpension übersteigenden Betrag an Pensionsbezügen (ASVG-Witwenpension und Witwenpension Nationalrat) erhalten. Der Differenzbetrag übersteige die zu erhaltende Entschädigung, sodass die Revisionswerberin nach den Entschädigungsgrundsätzen keinen Anspruch auf Zahlung der Entschädigung habe. Sie habe eine "unpräjudizielle Akontozahlung" in Höhe von EUR 14.518,27 erhalten. Dieser Betrag sei ihr mit Schreiben vom 6. April 2016 zugesprochen und am 29. April 2016 überwiesen worden. Ferner sei mit Beschluss vom gleichen Tag eine monatliche Zahlung in Höhe von EUR 550,-- zugesprochen worden, welche seit dem 29. April 2016 regelmäßig an sie überwiesen werde. Unter Berücksichtigung der bereits erhaltenen "unpräjudiziellen Akontozahlung" sei eine weitere Auszahlung nicht zu gewähren. Mit Schreiben vom 26. März 2018 habe die belangte Behörde der Revisionswerberin mitgeteilt, dass die Akontozahlungen in Höhe von monatlich EUR 550,-- brutto eingestellt würden. Die belangte Behörde behalte sich die Rückforderung der für den Zeitraum September 2013 bis März 2016 zu Unrecht geleisteten Zahlungen vor. 7 Gegen diesen Bescheid erhob die Revisionswerberin Beschwerde, in der sie sich gegen die Anrechnung der erhaltenen Pensionsleistungen auf die Entschädigungen wandte. Sie beantragte, den angefochtenen Bescheid dahingehend abzuändern, dass ihr die Entschädigungsleistung entsprechend den Grundsätzen für die Gewährung von Entschädigungen an die Mitglieder von Verwaltungskörpern der Sozialversicherungsträger im gesetzlichen Ausmaß gewährt werde, eventualiter stellte sie einen Aufhebungs- und Zurückweisungsantrag.
8 Mit dem in Revision gezogenen Beschluss hat das Verwaltungsgericht die Beschwerde wegen Unzuständigkeit zurückgewiesen. Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG sprach es aus, dass eine Revision nicht zulässig sei. Zwischen den Verfahrensparteien stehe außer Streit, dass der Revisionswerberin (als Hinterbliebene) und ihrem Ehemann gemäß § 420 Abs. 5 ASVG Entschädigungsleistungen iSd § 14 der Grundsätze des Bundesministers für Arbeit und Soziales für die Gewährung von Entschädigungen an die Mitglieder von Verwaltungskörpern der Sozialversicherungsträger (Entschädigungsgrundsätze - EG) zustünden. Es bestünden Auffassungsunterschiede bezüglich der für die Ermittlung der Entschädigungsleistung anzuwendenden Berechnungsmethode. § 354 ASVG enthalte eine taxative Aufzählung der "Leistungssachen". § 355 ASVG enthalte eine demonstrative Aufzählung der "Verwaltungssachen". Für die Zuordnung einer Angelegenheit zu den Leistungssachen sei ausschlaggebend, ob die Höhe bzw. der Umfang des Anspruchs auf Versicherungsleistungen streitig sei.
9 Der erstinstanzliche Bescheid enthalte eine Berechnung einer Entschädigungsleistung gemäß § 14 der Entschädigungsgrundsätze. Er spreche daher (ausschließlich) über eine Leistungssache iSd § 354 Z 1 ASVG ab.
10 Gemäß § 65 ASVG seien Leistungssachen der Sozialversicherung iSd § 354 ASVG beim Arbeits- und Sozialgericht mit Klage anzufechten. Die im erstinstanzlichen Bescheid enthaltene Rechtsmittelbelehrung sei unzutreffend. Dem Bundesverwaltungsgericht sei die Behandlung einer Leistungssache entzogen. Die Beschwerde sei zurückzuweisen. Die Revision sei nicht zulässig, weil die von der Revisionswerberin aufgeworfenen Rechtsfragen "durch den Verwaltungsgerichtshof mehrfach eindeutig und in der zitierten Richtung beantwortet" worden seien. 11 Gegen diesen Beschluss richtet sich die Revision. Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Revision beantragt.
12 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
13 Die Revisionswerberin bringt zur Zulässigkeit der Revision
vor, dass zur Frage der Zuständigkeit für die genannten Entschädigungsleistungen keine Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes vorliege. Der Verfassungsgerichtshof habe mit Erkenntnis vom 11. Dezember 1996, B 3876/95, erkannt, dass eine vergleichbare Entschädigungsleistung der Betriebskrankenkasse der Wiener Verkehrsbetriebe auf dem Verwaltungsrechtsweg zu entscheiden sei. Eine diesbezüglich erhobene Klage beim Arbeits- und Sozialgericht Wien sei mit Beschluss wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurückgewiesen worden. Dieser Beschluss sei vom Oberlandesgericht Wien bestätigt worden. Im Übrigen gebe es zu diesem Themenkreis keine Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes. 14 Die Revision ist aus den genannten Gründen zulässig. Sie ist auch berechtigt.
15 § 420 Abs. 5 ASVG idF vor der 52. Novelle, BGBl. Nr. 20/1994, sah vor, dass ua den Obmännern der Verwaltungskörper sowie deren Hinterbliebenen Entschädigungen gewährt werden können. Der Bundesminister für Soziale Verwaltung hatte hiefür nach Anhörung des Hauptverbandes Grundsätze aufzustellen und für verbindlich zu erklären (Entschädigungsgrundsätze - EG). Die Entscheidung über die Gewährung der Entschädigungen und über ihr Ausmaß oblag dem Vorstand des Verwaltungskörpers.
16 Im Zuge der Neuregelung der Abschnitte I bis IV des 8. Teiles des ASVG durch die 52. Novelle wurde § 420 Abs. 5 ASVG mit Wirksamkeit vom 1. Jänner 1994 u.a. dahin geändert, dass die Zuständigkeit des Vorstands zur Entscheidung über die Entschädigungen aus dem Gesetz beseitigt wurde. Für künftige Funktionäre waren keine Pensionen mehr vorgesehen.
17 Nach den Übergangsbestimmungen des § 553 Abs. 4 bis 7 ASVG blieb für die dort genannten Personen bzw. Funktionsträger (zu denen auch die Revisionswerberin und ihr verstorbener Ehemann zählen) die alte Rechtslage betreffend die Entschädigungen für ausgeschiedene Funktionäre anwendbar. Die Übergangsbestimmungen verfolgen den Zweck, dass Funktionsträger, die sich vor Inkrafttreten der Gesetzesänderung bereits im Amt befunden haben, unter bestimmten weiteren Voraussetzungen keine Verschlechterungen hinsichtlich der Entschädigungen für die Zeit nach ihrem Ausscheiden treffen sollen.
18 Nach Inkrafttreten der 52. Novelle zum ASVG richtet sich die Zuständigkeit für Streitigkeiten über Rechte der Mitglieder der Verwaltungskörper nach § 450 Abs. 1 ASVG. Demnach hat bei Streit über Rechte und Pflichten der Verwaltungskörper und deren Mitglieder die Aufsichtsbehörde (Bundesminister) zu entscheiden. Diese Zuständigkeit der Aufsichtsbehörde besteht aber ausdrücklich nur "vorbehaltlich der gesetzlichen Bestimmungen über die Zuständigkeit anderer Stellen".
19 Eine solche Zuständigkeit einer anderen Stelle war vor der 52. Novelle im § 420 Abs. 5 ASVG alter Fassung normiert, wonach die Entscheidung über die Gewährung der Entschädigung und über ihr Ausmaß dem Vorstand obliegt. Der Anspruch der Revisionswerberin auf Entschädigungsleistungen ist gemäß § 553 Abs. 4 bis 7 ASVG nach der am 31. Dezember 1993 geltenden Rechtslage zu beurteilen. Das bedeutet auch, dass für die Entscheidung darüber - sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach und für die erstmalige Zuerkennung ebenso wie etwa für Neubemessungen - der Vorstand zuständig ist, während § 450 Abs. 1 ASVG nur eine subsidiäre Entscheidungsbefugnis der Aufsichtsbehörde vorsieht (VwGH 11.7.2012, 2009/08/0248).
20 Der Ehemann der Revisionswerberin, auf den die streitgegenständlichen Ansprüche zurückgehen, war kein bei der belangten Behörde versicherter Dienstnehmer, sondern deren Funktionär. Der Anspruch auf Entschädigungsleistung gemäß § 420 Abs. 5 ASVG idF vor der 52. Novelle, BGBl. Nr. 20/1994, richtet sich nicht nach den die Sozialversicherung betreffenden gesetzlichen Vorschriften des ASVG und war auch nicht von etwaigen Beitragsleistungen abhängig, sondern ist nach den vom Bundesminister für Soziale Verwaltung nach Anhörung des Hauptverbandes aufgestellten Grundsätzen (Entschädigungsgrundsätze - EG) zu beurteilen. In der gegenständlichen Rechtssache geht es daher nicht um die Feststellung des Bestandes, des Umfangs oder des Ruhens eines Anspruchs auf eine Versicherungsleistung iSd § 354 Z 1 ASVG, sondern - trotz wirtschaftlicher Ähnlichkeit mit einer Pension - um eine (in früheren Zeiten) außerhalb des Systems der Sozialversicherung etablierte Entschädigung auf der Grundlage einer speziellen Verordnung. Es handelt sich somit nicht um eine Leistungssache, sondern um eine Verwaltungssache iSd § 355 ASVG. Die Zulässigkeit der Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Bescheid der belangten Behörde gründet sich auf § 414 Abs. 1 ASVG. Die Zurückweisung der Beschwerde war verfehlt. 21 Der angefochtene Bescheid war gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
22 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Das auf Ersatz der Eingabengebühr gerichtete Mehrbegehren war im Hinblick auf die sachliche Abgabenfreiheit der Beschwerde gemäß § 110 Abs. 1 Z 3 ASVG abzuweisen.
Wien, am 8. Mai 2019
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019080001.L00Im RIS seit
01.08.2019Zuletzt aktualisiert am
02.08.2019