TE Vwgh Erkenntnis 1999/2/12 97/19/0992

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Veröffentlicht am 12.02.1999
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/02 Novellen zum B-VG;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/01 Sicherheitsrecht;

Norm

AVG §1;
B-VG Art102 Abs2;
B-VG Art103 Abs4;
B-VG Art20 Abs1;
B-VG Art69 Abs1;
B-VG Art78b;
B-VGNov 1974;
SPG 1991 §2 Abs2;
SPG 1991 §4 Abs2;
VwGG §34 Abs1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens, Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Brandtner, über die Beschwerde der 1993 geborenen S H, vertreten durch den Vater S H, beide in Leopoldsdorf, letzterer vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 22. Oktober 1996, Zl. 306.649/2-III/11/96, betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.

Ein Kostenzuspruch findet nicht statt.

Begründung

Die Beschwerdeführerin stellte durch einen Vertreter am 11. Oktober 1995 bei der Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf einen Antrag auf unbefristeten Sichtvermerk "gemäß Fremdengesetz".

In Erledigung dieses Antrages erließ die Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf einen mit 19. Februar 1996 datierten Bescheid, dessen Betreff und Spruch wie folgt lauteten:

"Betrifft

H S, geb. 30.10.1993, bosn. StA

Antrag auf unbefristeten Sichtvermerk - Abweisung Bescheid

Die Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf als örtlich und sachlich zuständige Fremdenpolizeibehörde I. Instanz weist Ihren Antrag vom 11.10.1995 gerichtet auf die Erteilung eines Sichtvermerkes auf unbefristete Gültigkeitsdauer für S H, geb. 30.10.1993, ab.

Rechtsgrundlage

§§ 1 und 6 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz"

In der Begründung führte die Behörde u.a. aus, die Beschwerdeführerin benötige nach dem Aufenthaltsgesetz eine Aufenthaltsbewilligung, ein derartiger Antrag sei bereits am 7. Juni 1994 bei der österreichischen Botschaft in Preßburg gestellt worden, sei bisher jedoch nicht bei der Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf eingelangt, "sondern dürfte sich beim Amt der NÖ Landesregierung bezüglich der Vergabe eines Quotenplatzes befinden". Die Fertigung des Bescheides erfolgte "Für den Bezirkshauptmann".

In der dagegen erhobenen Berufung wurde neuerlich beantragt, der Beschwerdeführerin einen Sichtvermerk im beantragten Ausmaß gemäß FrG zu erteilen. Eine falsche rechtliche Beurteilung erblickte die Beschwerdeführerin darin, daß ein Antrag nach dem FrG auf Erteilung eines Sichtvermerkes "auf der Basis des Aufenthaltsgesetzes als Rechtsgrundlage abgelehnt" werde.

Nach der Aktenlage (vgl. OZ 22 des Verwaltungsaktes) legte die Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf diese Berufung zunächst der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vor. Diese übermittelte mit Schreiben vom 19. Juni 1996 (vgl. OZ 23 des Verwaltungsaktes) den Akt wieder der Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf und führte als Begründung an, daß Berufungsbehörde nicht die Sicherheitsdirektion, sondern die Niederösterreichische Landesregierung sei. Daraufhin legte die Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf mit Schreiben vom 27. Juni 1996 (vgl. OZ 24 des Verwaltungsaktes) die Berufung dem Amt der Niederösterreichischen Landesregierung vor, die ihn mit Schreiben vom 12. Juli 1996 (OZ 32 des Verwaltungsaktes) dem Bundesministerium für Inneres weiterleitete.

Mit Bescheid vom 22. Oktober 1996 wies der Bundesminister für Inneres die Berufung gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf "gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 6 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes" ab. Begründend führte der Bundesminister für Inneres aus, die Beschwerdeführerin habe ihren Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung vom Inland aus gestellt, sie halte sich nach wie vor im Inland auf. Gemäß § 6 Abs. 2 AufG sei die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung daher ausgeschlossen.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin zunächst Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 1 B-VG vor dem Verfassungsgerichtshof. Nachdem dieser mit Beschluß vom 12. März 1997, B 4983/96-6, die Behandlung der Beschwerde abgelehnt und diese antragsgemäß dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten hatte, wurde sie von der Beschwerdeführerin ergänzt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

Im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (die Zustellung erfolgte am 8. November 1996) ist für die Überprüfung seiner Rechtmäßigkeit durch den Verwaltungsgerichtshof die Rechtslage nach der Novelle zum Aufenthaltsgesetz BGBl. Nr. 201/1996 maßgeblich.

§ 1 Abs. 1 und § 6 Abs. 1 und 4 AufG lauteten (auszugsweise):

"§ 1.(1) Fremde (§ 1 Abs. 1 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992) brauchen zur Begründung eines Hauptwohnsitzes in Österreich eine besondere Bewilligung (im folgenden: 'Bewilligung' genannt)."

...

§ 6.(1) Außer in den Fällen des § 7 Abs. 1 werden die Bewilligung und deren Verlängerung auf Antrag erteilt. ...

...

"(4) Über den Antrag entscheidet, außer in den Fällen des § 7, der nach dem beabsichtigten Aufenthalt zuständige Landeshauptmann. Der Landeshauptmann kann, wenn dies im Interesse der Einfachheit, Zweckmäßigkeit oder Sparsamkeit der Verwaltung gelegen ist, die nach dem beabsichtigten Aufenthalt des Fremden zuständige Bezirksverwaltungsbehörde mit Verordnung ermächtigen, alle oder bestimmte Fälle in seinem Namen zu entscheiden. ..."

§ 7 Abs. 1 und Abs. 7, § 65 Abs. 1 und § 67 Abs. 1 FrG lauteten:

"§ 7.(1) Ein Sichtvermerk kann einem Fremden auf Antrag erteilt werden, sofern ein gültiges Reisedokument vorliegt und kein Versagungsgrund gemäß § 10 gegeben ist. Der Sichtvermerk kann befristet oder unbefristet erteilt werden.

...

(7) Ergibt sich aus den Umständen des Falles, daß der Antragsteller für den Aufenthalt eine Bewilligung gemäß den §§ 1 und 6 des Bundesgesetzes, mit dem der Aufenthalt von Fremden in Österreich geregelt wird (Aufenthaltsgesetz), BGBl. Nr. 466/1992, benötigt, so darf dem Fremden kein Sichtvermerk nach diesem Bundesgesetz erteilt werden. Das Anbringen ist als Antrag gemäß § 6 des Aufenthaltsgesetzes unverzüglich an die zuständige Behörde weiterzuleiten, der Antragsteller ist davon in Kenntnis zu setzen.

...

§ 65.(1) Behörde im Sinne dieses Bundesgesetzes ist, sofern nicht anderes bestimmt ist, die Bezirksverwaltungsbehörde, im örtlichen Wirkungsbereich einer Bundespolizeibehörde diese.

...

§ 67.(1) Die örtliche Zuständigkeit richtet sich, sofern nicht anderes bestimmt ist, nach dem Wohnsitz des Fremden im Inland, falls kein solcher errichtet ist, nach seinem Aufenthalt zum Zeitpunkt des ersten behördlichen Einschreitens.

...

§ 70.(1) Über Berufungen gegen Bescheide nach diesem Bundesgesetz entscheidet, sofern nicht anderes bestimmt ist, die Sicherheitsdirektion in letzter Instanz."

§ 2 und § 4 Abs. 1 und 2 des Sicherheitspolizeigesetzes (SPG) lauten:

"(1) Die Sicherheitsverwaltung obliegt den Sicherheitsbehörden.

(2) Die Sicherheitsverwaltung besteht aus der Sicherheitspolizei, dem Paß- und dem Meldewesen, der Fremdenpolizei, der Überwachung des Eintrittes in das Bundesgebiet und des Austrittes aus ihm, dem Waffen-, Munitions-, Schieß- und Sprengmittelwesen sowie aus dem Pressewesen und den Vereins- und Versammlungsangelegenheiten.

...

§ 4.(1) Oberste Sicherheitsbehörde ist der Bundesminister für

Inneres.

(2) Dem Bundesminister für Inneres unmittelbar unterstellt besorgen Sicherheitsdirektionen, ihnen nachgeordnet Bezirksverwaltungsbehörden und Bundespolizeidirektionen, die Sicherheitsverwaltung in den Ländern."

§ 1 der Verordnung des Landeshauptmannes von Niederösterreich über die Vollziehung des Aufenthaltsgesetzes, LGBl. Nr. 4020/1-0, lautete:

"§ 1. Die Bezirksverwaltungsbehörden des Landes Niederösterreich mit Ausnahme des Magistrates der Landeshauptstadt St. Pölten und des Magistrates der Stadt Wiener Neustadt werden ermächtigt, über alle Fälle nach dem Aufenthaltsgesetz in erster Instanz im Namen des Landeshauptmannes zu entscheiden."

Im Falle der Beschwerdeführerin, die in ihrem Antrag auf Erteilung eines unbefristeten Sichtvermerkes vom 11. Oktober 1995 als Wohnort Leopoldsdorf im Marchfelde angegeben hatte, war, da in den §§ 7 ff FrG zur Entscheidung über Anträge auf Erteilung von Sichtvermerken keine abweichende Zuständigkeit normiert ist, und eine Bundespolizeibehörde mit Wirkungsbereich für den Wohnsitz der Beschwerdeführer nicht errichtet ist, nach den §§ 65 Abs. 1 und 67 Abs. 1 FrG die Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf sachlich und örtlich zuständige Fremdenpolizeibehörde.

Zur Entscheidung über Anträge auf Erteilung von Aufenthaltsbewilligungen war die Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf gemäß § 1 der Verordnung des Landeshauptmannes von Niederösterreich LGBl. Nr. 4020/1-0 namens des Landeshauptmannes als Aufenthaltsbehörde zuständig (vgl. § 6 Abs. 4 AufG).

Im Beschwerdefall hat die Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf als Fremdenpolizeibehörde erster Instanz über einen Antrag der Beschwerdeführerin auf Erteilung eines unbefristeten Sichtvermerks entschieden. Daß sie ihre Entscheidung nicht als Aufenthaltsbehörde getroffen hat, ergibt sich nicht nur aus der ausdrücklichen Bezugnahme auf ihre Funktion als Fremdenpolizeibehörde erster Instanz und die Abweisung des Antrages der Beschwerdeführerin auf Erteilung eines unbefristeten Sichtvermerkes im Bescheidspruch, sondern auch aus dem Umstand, daß der Bescheid keinen Hinweis auf eine Entscheidung im Namen des Landeshauptmannes enthält. Darüber hinaus nimmt die Bescheidbegründung auf einen Antrag der Beschwerdeführerin auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung Bezug, der (noch) nicht bei ihr eingelangt sei, sondern sich beim Amt der Niederösterreichischen Landesregierung "bezüglich der Vergabe eines Quotenplatzes befinden dürfte". Auch daraus ergibt sich, daß die Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf nicht als Aufenthaltsbehörde eingeschritten ist. An dieser Beurteilung ändert es auch nichts, daß sich die Behörde in ihrer Entscheidung auf Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes gestützt hat.

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt es für den Instanzenzug darauf an, welche Behörde den Bescheid erlassen hat, nicht jedoch darauf, welche ihn hätte erlassen sollen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 13. Mai 1963, Slg. 6028/A, und vom 13. September 1988, Zl. 88/04/0067).

In der Sicherheitsverwaltung (einem Bereich der unmittelbaren Bundesverwaltung), zu der gemäß § 2 Abs.2 SPG auch die Besorgung der Fremdenpolizei zählt, geht der Instanzenzug, falls ein solcher nicht ausdrücklich ausgeschlossen ist, von der Bezirksverwaltungsbehörde (bzw. Bundespolizeidirektion) an die Sicherheitsdirektion, der die Bezirksverwaltungsbehörden (bzw. Bundespolizeidirektionen) gemäß § 4 Abs. 2 SPG nachgeordnet sind (vgl. auch Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht6 (1995), RZ 508).

Gemäß § 70 Abs. 1 FrG entscheidet über Berufungen gegen Bescheide "nach diesem Bundesgesetz" (gemeint: dem FrG) die Sicherheitsdirektion in letzter Instanz. Der Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf ist zwar von dieser, wie dargelegt, als Fremdenpolizeibehörde erster Instanz erlassen worden, stützt sich jedoch nicht auf das FrG. § 70 Abs. 1 FrG kommt demnach nicht zur Anwendung. Nach herrschender Lehre und Judikatur geht jedoch in einer Angelegenheit der unmittelbaren Bundesverwaltung der Instanzenzug bis zum zuständigen Bundesminister, soweit bundesgesetzlich nichts anderes bestimmt ist, weil - wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluß vom 31. März 1978, Zl. 369/1978, ausgesprochen hat, Art. 20 Abs. 1 und Art. 69 Abs. 1 B-VG den Gedanken des hierarchischen Aufbaus der staatlichen Verwaltung zum Ausdruck bringen. Daran hat sich auch durch die B-VG-Novelle 1974 (Neufassung des Art. 103 Abs. 4 B-VG) nichts geändert, weil diese nur für die mittelbare Bundesverwaltung eine Abkürzung des Instanzenzuges ermöglichte (vgl. dazu die hg. Beschlüsse vom 19. März 1992, Zl. 90/17/0199 sowie vom 14. Februar 1997, Zl. 96/19/3578).

Zur Entscheidung über die Berufung gegen den Bescheid der als Fremdenpolizeibehörde einschreitenden Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf war demnach die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich zuständig. Der belangten Behörde kam eine Zuständigkeit zur Entscheidung über diese Berufung nicht zu, sie hatte diese vielmehr an die zuständige Berufungsbehörde weiterzuleiten. Diese hätte den Antrag der Beschwerdeführerin als solchen auf Begründung eines Hauptwohnsitzes im Bundesgebiet zu werten und den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf ersatzlos zu beheben gehabt, worauf diese - als Aufenthaltsbehörde im Namen des Landeshauptmannes von Niederösterreich - über den Antrag (neu) zu entscheiden gehabt hätte.

Indem die belangte Behörde eine Berufungsentscheidung traf und damit eine Zuständigkeit in Anspruch nahm, die ihr nicht zukam, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 2 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff, insbesondere § 59 Abs. 1 VwGG. Ein Antrag auf Kostenersatz wurde im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof von der Beschwerdeführerin nicht gestellt.

Wien, am 12. Februar 1999

Schlagworte

Instanzenzug Offenbare Unzuständigkeit des VwGH Nichterschöpfung des Instanzenzuges Allgemein Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetze Organisationsrecht Instanzenzug VwRallg5/3

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1997190992.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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