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E000 EU- Recht allgemeinNorm
B-VG Art133 Abs4Beachte
* Fortgesetztes Verfahren im VwGH nach EuGH-Entscheidung: Ra 2016/12/0110 B 09.05.2018Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens, Hofrätin Mag.a Nussbaumer-Hinterauer, Hofrat Mag. Feiel sowie die Hofrätinnen MMag. Ginthör und Dr. Koprivnikar als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kratschmayr, über die Revision der Landespolizeidirektion Kärnten, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. Oktober 2016, GZ. W213 2001786- 1/6E, betreffend Feststellung der besoldungsrechtlichen Stellung (mitbeteiligte Partei: R F in O, vertreten durch Dr. Thomas Praxmarer, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Bürgerstraße 19/I), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der am 10. März 1959 geborene Mitbeteiligte steht als Gruppeninspektor in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund. Seine Dienststelle ist die Landespolizeidirektion Kärnten.
2 Mit Bescheid vom 20. März 2013 wies die Landespolizeidirektion Kärnten den Antrag des Mitbeteiligten auf Neufestsetzung seiner besoldungsrechtlichen Stellung nach § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 7a Gehaltsgesetz 1956, BGBl. Nr. 54 (GehG), und auf allfällige Nachzahlung von aus diesem Anlass gebührenden Bezügen ab.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten stattgegeben und der Bescheid der Landespolizeidirektion Kärnten dahingehend abgeändert, dass dem Mitbeteiligten gemäß §§ 8, 12 und 113 Abs. 10 GehG in der Fassung BGBl. I Nr. 82/2010 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 und 2, Art. 6 Abs. 1, Art. 9 und 16 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zum 1. Juli 2012 ein Gehalt der Verwendungsgruppe E2b, Gehaltsstufe 19, mit nächster Vorrückung am 1. Juli 2014 gebühre. Die Revision erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.
4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision, in der inhaltliche Rechtswidrigkeit verbunden mit dem Antrag geltend gemacht wird, das angefochtene Erkenntnis aus diesem Grund aufzuheben.
5 Mit Beschluss vom 9. Mai 2018, Ra 2016/12/0110-3, setzte der Verwaltungsgerichtshof das Revisionsverfahren bis zur Vorabentscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) über die mit Vorlageentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. Juni 2017, Martin Leitner gegen Landespolizeidirektion Tirol, C-396/17, vorgelegten Fragen aus. 6 In der zuletzt genannten Rechtssache hat der EuGH mit Urteil vom 8. Mai 2019 in Beantwortung der vom Bundesverwaltungsgericht in seiner Vorlageentscheidung vom 30. Juni 2017 aufgeworfenen Fragen Folgendes erkannt:
"1. Die Art. 1, 2 und 6 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf sind in Verbindung mit Art. 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass sie einer rückwirkend in Kraft gesetzten nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, wonach zur Beseitigung einer Diskriminierung wegen des Alters die Überleitung von Beamten im Dienststand in ein neues Besoldungs- und Vorrückungssystem vorgesehen ist, in dem sich die erste Einstufung dieser Beamten nach ihrem letzten gemäß dem alten System bezogenen Gehalt richtet.
2. Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und Art. 9 der Richtlinie 2000/78 sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens den Umfang der Kontrolle, die von den nationalen Gerichten ausgeübt werden kann, einschränkt, indem Fragen im Zusammenhang mit der Grundlage des anhand des alten Besoldungs- und Vorrückungssystems berechneten ?Überleitungsbetrags' ausgeschlossen werden.
3. Das nationale Gericht ist, wenn nationale Rechtsvorschriften nicht im Einklang mit der Richtlinie 2000/78 ausgelegt werden können, verpflichtet, im Rahmen seiner Befugnisse den Rechtsschutz, der dem Einzelnen aus dieser Richtlinie erwächst, zu gewährleisten und für ihre volle Wirkung zu sorgen, indem es erforderlichenfalls jede entgegenstehende nationale Vorschrift unangewendet lässt. Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass die Wiederherstellung der Gleichbehandlung in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens, wenn eine unionsrechtswidrige Diskriminierung festgestellt wurde und solange keine Maßnahmen zur Wiederherstellung der Gleichbehandlung erlassen wurden, voraussetzt, dass den durch das alte Besoldungs- und Vorrückungssystem benachteiligten Beamten die gleichen Vorteile gewährt werden wie den von diesem System begünstigten Beamten, sowohl in Bezug auf die Berücksichtigung vor Vollendung des 18. Lebensjahrs zurückgelegter Vordienstzeiten als auch bei der Vorrückung in der Gehaltstabelle, und dass den diskriminierten Beamten infolgedessen ein finanzieller Ausgleich in Höhe der Differenz zwischen dem Gehalt, das der betreffende Beamte hätte beziehen müssen, wenn er nicht diskriminiert worden wäre, und dem tatsächlich von ihm bezogenen Gehalt gewährt wird."
7 Die vorliegende Revision macht zur Begründung ihrer Zulässigkeit geltend, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, welche Rechtslage im vorliegenden Fall anzuwenden sei. Das "angefochtene Erkenntnis" "begründe" keine einschlägige Rechtsprechung und es sei das Ergebnis dieses Erkenntnisses im Hinblick auf das "Besoldungsrechtsanpassungsgesetz" und die diesbezüglichen Gesetzesmaterialien sowie insbesondere durch die in diesem Gesetz enthaltene Rückwirkungs- und Anwendbarkeitsanordnung des § 175 Abs. 79a GehG auf Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof nicht mehr für die Bestimmung der Rechtslage entscheidend. Dies gelte auch für bereits vor Inkrafttreten des Besoldungsrechtsanpassungsge setzes eingeleitete Verfahren, sofern sie noch nicht durch den Verwaltungsgerichtshof abgeschlossen worden seien.
Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan:
8 Gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichts ist die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abweicht, eine solche fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs nicht einheitlich beantwortet wird. 9 Bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist der Verwaltungsgerichtshof an den Ausspruch des Verwaltungsgerichts nach § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a VwGG). Er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 10 Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, sind gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist in jeder Lage des Verfahrens zu fassen (§ 34 Abs. 3 VwGG). 11 Mit der angefochtenen Entscheidung wurde eine den Mitbeteiligten diskriminierende Bestimmung unangewendet gelassen und ein unionsrechtskonformer Rechtsbestand dadurch hergestellt, dass eine Neufestsetzung der besoldungsrechtlichen Stellung erfolgte. Wie der EuGH in seinem Urteil vom 8. Mai 2019 festgehalten hat, widerspricht eine rückwirkend in Kraft gesetzte Regelung (§ 169c GehG in der Fassung des Besoldungsrechtsanpassungs gesetzes BGBl. I Nr. 104/2016), die die diskriminierende Wirkung der alten Regelung perpetuiert, dem Unionsrecht. Die nationalen Gerichte sind verpflichtet, den Rechtsschutz zu gewährleisten und gegebenenfalls widersprechende nationale Regelungen unangewendet zu lassen. Damit ist geklärt, dass der Verwaltungsgerichtshof das Besoldungsrechtsanpassungsgesetz BGBl. I Nr. 104/2016, soweit es - auch in § 175 Abs. 79, Abs. 79a, Abs. 79b und Abs. 86 GehG - die Diskriminierung des Mitbeteiligten rückwirkend festzuschreiben versucht, wegen Widerspruchs zum Unionsrecht keinesfalls anzuwenden hat. Im Zusammenhang mit der Erlassung des Besoldungsrechtsanpassungsgesetzes stellt sich daher infolge der nunmehrigen Klarstellung der Rechtslage durch den EuGH keine vom Verwaltungsgerichtshof zu lösende Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung mehr. Ebenso ergibt sich aus diesem Urteil des EuGH, dass der Mitbeteiligte einen Anspruch auf inhaltliche Überprüfung seiner besoldungsrechtlichen Stellung hat, weil Fragen im Zusammenhang mit der Grundlage des anhand des alten Besoldungs- und Vorrückungssystems berechneten "Überleitungsbetrags" nicht von der gerichtlichen Überprüfung ausgeschlossen werden dürfen. Folglich wäre auch nach Herausgabe des Besoldungsrechtsanpassungsge setzes unionsrechtskonform inhaltlich über den Antrag des Mitbeteiligten zu entscheiden. Auf die Frage, ob der Verwaltungsgerichtshof aus dem Grunde des § 175 Abs. 79a GehG - wäre dieser nicht ohnedies infolge Verstoßes gegen das Unionsrecht unanwendbar - das Besoldungsrechtsanpassungsgesetz ausnahmsweise auch bei Überprüfung bereits vor seiner Herausgabe ergangener Entscheidungen anzuwenden gehabt hätte, kommt es eben im Hinblick auf die Unanwendbarkeit des dort verankerten "Anwendungsverbotes" nicht an.
12 Die vorliegende Amtsrevision war daher in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat nach § 34 Abs. 1 VwGG wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.
Wien, am 27. Mai 2019
Gerichtsentscheidung
EuGH 62017CJ0396 Leitner VORABSchlagworte
Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2Gemeinschaftsrecht Anwendungsvorrang, partielle Nichtanwendung von innerstaatlichem Recht EURallg1Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2016120110.L00Im RIS seit
22.07.2019Zuletzt aktualisiert am
14.01.2020