RS Vfgh 2019/6/18 G150/2018 ua

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Veröffentlicht am 18.06.2019
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Index

82/02 Gesundheitsrecht allgemein

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs1 Z1 litc
B-VG Art140 Abs1 Z2
EMRK Art2, Art8
StGG Art2
Tabak- und Nichtraucherinnen- bzw NichtraucherschutzG §12, §13a, §13b, §17
BG zur authentischen Interpretation des §13a Abs2 TabakG 1995 ArtI
EU-Grundrechte-Charta Art3, Art31
VfGG §7 Abs1

Leitsatz

Keine Verfassungswidrigkeit der Ausnahmeregelung vom Rauchverbot für Gastronomiebetriebe gegenüber (Betreibern an) öffentlichen Orten mit generellem Rauchverbot; keine unsachliche Differenzierung "innerhalb der Gastronomiebetriebe" durch die Ausnahme vom Rauchverbot für "kleine" Gastronomiebetriebe; kein Anspruch auf ein Rauchverbot am Arbeitsplatz auf Grund des Gleichheitsgrundsatzes; keine gleichheitswidrige Differenzierung zwischen öffentlichen – vorwiegend anderen Zwecken dienenden – Räumen und Raucherräumen in der Gastronomie; keine gleichheitswidrige Ungleichbehandlung zwischen Gastronomiebetrieben mit kleinen und großen Flächen; keine Verletzung des Vertrauensschutzes durch Beibehaltung der Ausnahmeregelungen für Gastronomiebetriebe; Mitgliedstaaten der EMRK verfügen (noch) über einen Beurteilungsspielraum beim Konsum von Tabakwaren

Rechtssatz

Zurückweisung der Individualanträge auf Aufhebung näher bezeichneter Wortfolgen in §12 Abs1 Z4 und §17 Abs12 Tabak- und Nichtraucherinnen- bzw NichtraucherschutzG (TNRSG) idF BGBl I 13/2018, mangels (Mit-)Anfechtung all jene Bestimmungen, die aus dem Blickwinkel der geltend gemachten Bedenken eine untrennbare Einheit mit den angefochtenen Bestimmungen bilden. Die Bedenken der Antragsteller richten sich letztlich gegen die Beibehaltung der inhaltlichen Ausnahmeregelung vom Rauchverbot in der Gastronomie des §13a TNRSG, der gemäß §17 Abs8 iVm §17 Abs12 TNRSG idF BGBl I 13/2018 - nach wie vor - in Kraft steht. Durch die Aufhebung im beantragten Umfang beabsichtigen die Antragsteller, eine Rechtslage zu erwirken, wonach §13a TNRSG gemäß §17 Abs8 TNRSG, wie durch die Novellen BGBl I 101/2015 und BGBl I 22/2016 vorgesehen, am 30.04.2018 außer Kraft trat. Bei untrennbar in Zusammenhang stehenden Bestimmungen ist es jedoch Sache des VfGH, darüber zu befinden, ob und in welcher Weise die behauptete Verfassungswidrigkeit beseitigt werden kann. Daran vermag auch die mit Schriftsatz vom 18.09.2018 eingebrachte Ergänzung des Antrages um die Eventualbegehren auf Aufhebung der §§13a und 13b Abs4 TNRSG idF BGBl I 13/2018 nichts zu ändern: Der Antragsteller ist gemäß §62 Abs1 VfGG an sein (ursprüngliches) Antragsbegehren gebunden; für eine durch eine spätere Eingabe beantragte Ausdehnung des Prüfungsgegenstandes besteht keinerlei gesetzliche Handhabe. Entgegen dem Vorbringen der Antragsteller in der mündlichen Verhandlung ist für den VfGH letztlich auch auf Grund der Ergänzung des Antrages unzweifelhaft, dass §13a TNRSG ursprünglich nicht (mit-)angefochten war.

Zulässigkeit des Antrags der Landesregierung auf Aufhebung von §13a, §13b Abs4 sowie von Teilen von §12 Abs1 Z4 und §17 Abs12 TNRSG idF BGBl I 13/2018. Die antragstellende Landesregierung macht ihren Antrag lediglich von der Voraussetzung abhängig, dass die von ihr als verfassungswidrig bekämpfte Bestimmung in Geltung steht, und damit von einer Zulässigkeitsvoraussetzung, dass nämlich überhaupt ein tauglicher Anfechtungsgegenstand iSd Art140 Abs1 Z2 B-VG existiert.

Keine Bedenken gegen die Ausnahmeregelung für Gastronomiebetriebe vom generellen Rauchverbot:

Es steht Gastronomiebetrieben abhängig von der räumlichen Beschaffenheit des Geschäftslokales gemäß §13a TNRSG offen, das Rauchen in (bestimmten) Räumen zur Verabreichung von Speisen oder Getränken zu gestatten. Dies entweder, wenn der zur Verabreichung von Speisen oder Getränken einzig zur Verfügung stehende Raum eine Grundfläche von weniger als 50 m² aufweist (§13a Abs3 Z1 TNRSG) oder wenn dieser Raum eine Grundfläche zwischen 50 m² und 80 m² aufweist, eine räumliche Teilung zur Schaffung eines geeigneten Raucher- und Nichtraucherraumes aber unzulässig ist (§13a Abs3 Z2 TNRSG). Den übrigen Gastronomiebetrieben steht es gemäß §13 Abs2 TNRSG frei, neben einem vom Rauchverbot umfassten Hauptraum zur Verabreichung von Speisen oder Getränken einen geeigneten Raum zur Verabreichung von Speisen oder Getränken für rauchende Gäste zu bezeichnen.

Keine Verletzung im Gleichheitsrecht hinsichtlich des Arbeitnehmerschutzes:

Die Rechtsordnung akzeptiert in vielfachem Zusammenhang menschliche Verhaltensweisen, die auf die eine oder andere Weise (auch erhebliche) negative Auswirkungen für andere Menschen oder die Allgemeinheit haben können, weil der Gesetzgeber den Freiheitsgewinn höher bewertet als die nachteiligen Folgen. Es ist im demokratischen Rechtsstaat die Aufgabe des Gesetzgebers, hier die Freiheit der einen mit der Schutzbedürftigkeit der anderen und mit den öffentlichen Interessen in Einklang zu bringen. Die Verfassung, insbesondere der Gleichheitsgrundsatz und Grundrechte wie Art8 EMRK, verlangen hier Verbote selbstbestimmter Handlungsfreiheit jedenfalls dann, wenn die Verwirklichung der Freiheit unverhältnismäßig ist.

Rauchen von Tabakwaren ist ein gesellschaftliches Phänomen, das gesundheitsschädlich ist und auch andere Menschen gefährdet. Auch wenn sich die Einstellung zum Rauchen im Laufe der Zeit wesentlich verändert hat und die mit dem Passivrauchen einhergehenden Gesundheitsgefährdungen Regelungen wie die zuvor mit Bundesgesetz BGBl I 101/2015 erlassenen ohne Zweifel rechtfertigen, ist dem Gesetzgeber aus dem Blickwinkel des verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatzes nicht entgegenzutreten, wenn er Rauchen in Gastronomiebetrieben in beschränkter Art und Weise weiterhin ermöglicht.

Der Gesetzgeber ist durch den Gleichheitsgrundsatz nicht gehalten, das Rauchen in Gastronomiebetrieben ausnahmslos zu verbieten. Der dem Gesetzgeber von Verfassungs wegen zukommende Gestaltungsspielraum ermöglicht ihm, bei seiner Regelung zum Schutz der Arbeitnehmer in Gastronomiebetrieben vor den Beeinträchtigungen durch das Passivrauchen auch Interessen zu berücksichtigen, die gegenteilig zu diesem Schutzanliegen sind. Die angefochtenen Regelungen des §13a TNRSG nehmen diese Abwägung nicht in unverhältnismäßiger Weise vor.

Angesichts der vom Gesetzgeber vorgesehenen Arbeitnehmerschutzbestimmungen (vgl insbesondere §13a TNRSG und §30 ArbeitnehmerInnenschutzG) ist es im Lichte des Gleichheitsgrundsatzes nicht unsachlich, wenn Arbeitnehmer, abhängig von der Art des Betriebes und der zu verrichtenden Tätigkeit, jeweils in unterschiedlichem Maße mit dem Beruf einhergehenden Beeinträchtigungen durch das Passivrauchen (je nach Entscheidung des Gastronomiebetreibers) ausgesetzt werden können. Ein grundsätzlicher Anspruch von Arbeitnehmern in Gastronomiebetrieben auf ein Rauchverbot am Arbeitsplatz lässt sich vor dem Hintergrund des Antragsvorbringens aus dem Gleichheitsgrundsatz nicht ableiten.

Keine gleichheitswidrige Differenzierung zwischen öffentlichen Orten und Raucherräumen in Gastronomiebetrieben:

Die Gegenüberstellung der Regelungen betreffend Räume zur Verabreichung von Speisen oder Getränken an Gäste nach §13a TNRSG und dem ansonsten in öffentlichen Räumen nach §§12, 13 TNRSG (bis auf Nebenräume) vorgesehenen ausnahmslosen Rauchverbot lässt außer Acht, dass diese Regelungen jeweils Räume mit unterschiedlicher Nutzung zum Gegenstand haben.

Es ist dem Gesetzgeber aus Sicht des Gleichheitsgrundsatzes nicht entgegenzutreten, wenn er öffentliche Räume, deren ausschließlicher Zweck die Verabreichung von Speisen und Getränke an Gäste ist, im Hinblick auf den Konsum von Tabakwaren anders regelt als öffentliche Räume, die vorwiegend anderen (öffentlichen) Zwecken (etwa Veranstaltungen, Schulungen, Vereinstätigkeiten oder der Beförderung) dienen. Eine gleichheitswidrige Differenzierung liegt auch im Hinblick auf Hotels nicht vor: Der VfGH geht davon aus, dass die Ausnahmeregelung des §13a TNRSG auch für Restaurants in Hotelbetrieben gilt.

Keine gleichheitswidrige Ungleichbehandlung zwischen Gastronomiebetrieben mit kleinen und großen Flächen:

Es ist aus Sicht des Gleichheitsgrundsatzes nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber Geschäftslokale von Gastronomiebetrieben mit einer Fläche bis zu 50 m² - bzw bis zu 80 m² im Falle bau-, feuer- oder denkmalschutzrechtlicher Beschränkungen - vom Rauchverbot ausnimmt und (nur) Gastronomiebetrieben mit höherer räumlicher Kapazität eine Pflicht des Bestandes eines rauchfreien Hauptraumes auferlegt. Die besondere Ausnahmeregelung des §13a Abs3 Z1 und Z2 TNRSG für Gastronomiebetriebe mit lediglich einem Raum zur Verabreichung von Speisen oder Getränken an Gäste bis zu 50 m² (bzw 80 m² bei bau-, feuer- oder denkmalschutzrechtlichen Beschränkungen) trägt in sachlich nicht zu beanstandender Weise dem Umstand Rechnung, dass diese Gastronomiebetriebe andernfalls durch die fehlende (räumliche oder rechtliche) Möglichkeit, geeignete Raucherräume neben einem Hauptraum einzurichten, im Wettbewerb mit größeren Gastronomiebetrieben schlechter gestellt wären.

Kein Verstoß gegen den Vertrauensschutz durch die Novelle BGBl I 13/2018:

Der VfGH hat in stRspr die Auffassung vertreten, dass das bloße Vertrauen auf den unveränderten Fortbestand der gegebenen Rechtslage als solches keinen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz genießt. Es bleibt vielmehr dem Gesetzgeber auf Grund des ihm zukommenden rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes grundsätzlich unbenommen, die Rechtslage auch zu Lasten des Betroffenen zu verändern.

Seit der Novelle BGBl I 101/2015 galt die Rechtslage, dass ab dem 01.05.2018 ein ausnahmsloses Rauchverbot in der Gastronomie gelten sollte. Für Gastronomiebetriebe, in denen das Rauchen im gesamten Geschäftslokal oder in getrennten Räumen gestattet war, hatte der (zunächst) mit Bundesgesetz BGBl I 101/2015 vorgesehene Entfall der Ausnahmeregelung des §13a TNRSG zur Konsequenz, dass diese Möglichkeit, den Gästen das Rauchen zu erlauben, ab dem 01.05.2018 wegfallen werde.

Es ist zwar nicht auszuschließen, dass sich Gastronomiebetreiber mit Blick auf das mit Bundesgesetz BGBl I 13/2018 (zunächst) vorgesehene absolute Rauchverbot in der Gastronomie veranlasst sahen, diese Rechtslage bei Entscheidungen etwa zur (räumlichen) Gestaltung des Geschäftslokals miteinzubeziehen. Es kann jedoch nicht davon gesprochen werden, dass die mit Bundesgesetz BGBl I 101/2015 eingeführten Regelungen gezielt zu aus Sicht des Vertrauensschutzes erheblichen Investitionen bewegen oder solche Investitionen bewirken wollten. Vor dem Hintergrund des zum Arbeitnehmerschutz Gesagten sowie des Umstandes, dass unternehmerische Entscheidungen stets unter Bedachtnahme auf die geltende Rechtslage getroffen und durch Gesetzesänderungen in ihren Auswirkungen mitunter nachteilig beeinflusst werden können, hat der Gesetzgeber durch die Beibehaltung der Ausnahmeregelungen für Gastronomiebetriebe gemäß §13a TNRSG den Gleichheitsgrundsatz auch aus dem Blickwinkel des Vertrauensschutzes nicht verletzt.

Kein Verstoß gegen Art2 und Art8 EMRK sowie gegen Art3 und Art31 GRC durch ausnahmsloses Rauchverbot in Gastronomie:

Vor dem Hintergrund des zum Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz beim Arbeitnehmerschutz dargelegten Gründen kommt den Mitgliedstaaten der EMRK bei der (jeweiligen) Bewertung der gesellschaftlichen Entwicklung dahin, in welchem Ausmaß der Konsum von Tabakwaren als sozialadäquat toleriert wird, (noch) ein Beurteilungsspielraum ("margin of appreciation") zu. Vor diesem Hintergrund verstoßen die angefochtenen Bestimmungen nicht gegen Art2 oder Art8 EMRK.

Entscheidungstexte

  • G150/2018 ua
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 18.06.2019 G150/2018 ua

Schlagworte

Gesundheitswesen, Nichtraucherschutz, Tabak, Vertrauensschutz, Rechtspolitik, EU-Recht, VfGH / Präjudizialität, VfGH / Prüfungsumfang

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2019:G150.2018

Zuletzt aktualisiert am

06.08.2020
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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