Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr.
Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner und den Hofrat Dr.
Stefula als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Mörk und Nicolai Wohlmuth in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei B***** P*****, gegen die beklagte Partei F***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Werner Piplits und Mag. Marko MacKinnon, LL.M., Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung und Herausgabe, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 29. Jänner 2019, GZ 10 Ra 112/18s-15, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO
zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
Es geht um die Qualifikation einer im Dienstvertrag enthaltenen Regelung zum Ausmaß der Arbeitszeit als (verbindliche) Willenserklärung und nicht als (unverbindlichen) deklarativen Hinweis auf die damals aktuelle kollektivvertragliche Normalarbeitszeit, also als bloße Wissenserklärung.
1.1. Eine Willenserklärung liegt vor, wenn die Äußerung auf die
Herbeiführung von
Rechtsfolgen gerichtet ist, also Rechte und Pflichten zu begründen, zu ändern oder aufzuheben (vgl RIS-Justiz RS0014137 [T1]; RS0014180; RS0014160 [T40]; aus der Lehre statt vieler
F. Bydlinski, Willens- und Wissenserklärungen im Arbeitsrecht, ZAS 1976, 83 [83]; Rummel in Rummel/Lukas, ABGB4 § 863 Rz 6). Bei einer Wissenserklärung geht es demgegenüber darum, dass die eine Partei der anderen oder beide Parteien übereinstimmend sich bloß ihre Vorstellungen über bestimmte Tatsachen mitteilen, jedoch keinen Willen dahin äußern, mit der Erklärung bestimmte Rechtsfolgen bewirken zu wollen (RS0120267; F. Bydlinski aaO, Rummel aaO Rz 7).
1.2. Ob eine Willenserklärung oder eine Wissenserklärung vorliegt, muss im
Einzelfall an Hand des Wortlauts der Erklärung und allfälliger näherer Umstände, wie im Zusammenhang stehender Erklärungen und/oder Verhaltensweisen der Beteiligten, geprüft werden (RS0028641). Dabei ist nicht die subjektive Auffassung des Erklärenden oder der
Wille der einen oder anderen Partei maßgeblich, sondern wie der Empfänger die Erklärung bei objektiver Betrachtungsweise verstehen musste (8 ObS 291/00b = ZAS 2002, 49 [C. Graf]; 8 ObA 34/05s = DRdA 2006/43 [Kerschner]; 7 Ob 17/08p [Pkt 10.1.]; 7 Ob 96/16t [Pkt 3.2.]).
1.3. Die Auslegungsfrage, ob eine Willenserklärung oder eine Wissenserklärung vorliegt, entzieht sich wie andere Auslegungsfragen in der Regel aufgrund ihrer Einzelfallbezogenheit generellen Aussagen und begründet daher keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO, sofern keine auffallende Fehlbeurteilung vorliegt, die vom Obersten Gerichtshof im Interesse der Rechtssicherheit wahrgenommen werden muss (9 ObA 122/04p; 8 ObA 28/16z).
2. Im vorliegenden Fall waren mündliche Erörterungen der Vertragsparteien über die Vertragsbestimmungen nicht feststellbar, insbesondere nicht, wie das Wort „derzeit“ zu verstehen sei.
Die Rechtsansicht, dass für einen objektiven Erklärungsempfänger nicht klar erkennbar war, dass mit dem strittigen Passus über das konkrete Ausmaß der Arbeitszeit lediglich informativ die damals aktuelle kollektivvertragliche Normalarbeitszeit wiedergegeben werden sollte, ist bei der vorliegenden Vertragsgestaltung nicht unvertretbar. An mehreren anderen Stellen des Dienstvertrags wird ausdrücklich auf den Kollektivvertrag Bezug genommen, hier jedoch nicht. Die Rechtsansicht, dass das Wort „derzeit“ nicht zwingend auf eine bloße Wissenserklärung hindeutet, sondern auch zum Ausdruck bringen kann, dass nach derzeitiger Übereinkunft der Vertragsparteien die Arbeitszeit 38,5 Stunden betragen soll, bewegt sich hier ebenfalls noch im Rahmen einer noch vertretbaren Auslegung, ebenso, dass die Verwendung des Wortes „beträgt“ nicht zwingend für eine Wissenserklärung spricht (vgl etwa zB: „Der Kaufpreis beträgt 100 EUR“).
Die Beklagte releviert nicht, dass die Parteien ein „Vollzeit“-, aber kein Teilzeitarbeitsverhältnis iSd § 19d AZG vereinbaren wollten. Bei einem bereits seit 1990 bestehenden Arbeitsbeitsverhältnis, in dem es nur verschiedene „Neufassungen“ des Arbeitsvertrags gab, bedürfte es schon im Hinblick auf die frühere Gesetzeslage näherer Ausführungen dazu.
Einer weiteren Begründung bedarf dieser Zurückweisungsbeschluss nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).
Textnummer
E125285European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2019:008OBA00016.19I.0429.000Im RIS seit
26.06.2019Zuletzt aktualisiert am
21.01.2021