Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §37;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Rosenmayr, Dr. Pelant und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Ogris, über die Beschwerde des RB in Wien, geboren am 21. Dezember 1971, vertreten durch Dr. Thomas Talos, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Franz-Josefs-Kai 3, gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 1. September 1998, Zl. IV-880.001/FrB/98, betreffend Abschiebungsaufschub, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Aus dem angefochtenen Bescheid, dem Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten sowie aus der Beschwerde ergibt sich, daß der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Bundesrepublik Jugoslawien, am 4. August 1997 nach Österreich eingereist ist. Sein Asylantrag vom 5. August 1997 wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 13. August 1997 abgewiesen, mit Bescheid vom 14. August 1997 verfügte die Bezirkshauptmannschaft Baden hierauf seine Ausweisung. Über den im Ausweisungsverfahren gestellten Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit seiner Abschiebung in die Bundesrepublik Jugoslawien beschied die Bundespolizeidirektion Wien gestützt auf § 75 Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, am 22. Jänner 1998, daß keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, daß er dort gemäß § 57 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG bedroht sei.
Alle drei genannten Bescheide sind mangels Erhebung von Rechtsmitteln in Rechtskraft erwachsen. Im Hinblick darauf wurde über den Beschwerdeführer mit Bescheid vom 16. Februar 1998 u. a. zur Sicherung der Abschiebung die Schubhaft verhängt; aus dieser wurde er am 4. Juni 1998 entlassen.
Mit Antrag vom 25. Juni 1998 begehrte der Beschwerdeführer, ihm gemäß § 56 Abs. 2 FrG einen Abschiebungsaufschub im längstmöglichen Ausmaß zu gewähren. Diesem Antrag gab die Bundespolizeidirektion Wien (die belangte Behörde) mit dem hier angefochtenen Bescheid vom 1. September 1998 keine Folge. Ihre Entscheidung begründete sie nach Wiedergabe der maßgeblichen Gesetzesbestimmungen damit, daß der Beschwerdeführer in seinem Asylantrag angegeben habe, er wäre wegen des Verdachtes des illegalen Waffenbesitzes im Juli 1996 zu einer zweijährigen Haftstrafe verurteilt und nach der Verurteilung bis zur Rechtskraft vorläufig enthaftet worden; allerdings habe er keine Urteilsausfertigung vorlegen können. Außerdem habe seinem Asylantrag entnommen werden können, daß er nie Mitglied einer politischen Partei gewesen sei.
Ebenso - so die belangte Behörde weiter - habe der Beschwerdeführer angegeben (gemeint: in seinem Antrag nach § 56 Abs. 2 FrG), daß eine Abschiebung mangels Besitzes eines Reisedokumentes unmöglich wäre. Dazu habe er (jedoch) einerseits vorgebracht, daß die Polizei im Kosovo nie ein Reisedokument verlangt und daß er dieses im Stall versteckt hätte; andererseits habe er erklärt, daß er seinen Reisepaß einem Schlepper ausgehändigt hätte. "Zudem" müsse festgestellt werden, daß die Angaben des Beschwerdeführers völlig unglaubwürdig erschienen. Des weiteren sei festzuhalten, daß sowohl sein Asylantrag als auch sein Antrag gemäß § 75 FrG rechtskräftig negativ beschieden worden seien und daß die Bezirkshauptmannschaft Baden einen gleichfalls bereits rechtskräftigen Ausweisungsbescheid erlassen habe. Auf Grund des im § 46 AVG verankerten Grundsatzes der Unbeschränktheit der Beweismittel würden die Ergebnisse des Asylverfahrens berücksichtigt, "zumal Sie im gegenständlichen Antrag über Ihr im Asylverfahren erstattetes Vorbringen hinaus nichts Konkretes vorbrachten".
Mit seiner Beschwerde begehrt der Beschwerdeführer, diesen Bescheid wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragte.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Gemäß § 56 Abs. 2 FrG ist die Abschiebung eines Fremden auf Antrag oder von Amts wegen auf bestimmte, jeweils ein Jahr nicht übersteigende Zeit aufzuschieben (Abschiebungsaufschub), wenn sie unzulässig ist (§ 57) oder aus tatsächlichen Gründen unmöglich scheint.
2. In seinem Antrag vom 25. Juni 1998 hat der Beschwerdeführer hiezu einerseits vorgebracht, daß ihm eine Rückkehr nach Jugoslawien zum gegenwärtigen Zeitpunkt auf Grund der aktuellen Verfolgungssituation der albanischen Bevölkerung des Kosovo, von der er im Fall seiner Rückkehr ebenfalls betroffen wäre, unmöglich sei. Zahlreiche aktuelle Berichte belegten die gegenwärtige Vertreibung, Tötung und Verfolgung der albanischen Bevölkerung Kosovos. Unter anderem sei in einem - beigelegten - Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 12. Mai 1998 folgendes festgehalten:
"(Grundsätzlich) besteht derzeit für jede Person - egal ob Mann, Frau oder Kind, alt oder jung - eine hohe Wahrscheinlichkeit, in irgendeiner beliebigen, willkürlichen, nicht anlassbezogenen Form Opfer von Übergriffen zu werden. Ein etwas höheres Risiko besteht in letzter Zeit für jüngere Männer, denen pauschal unterstellt wird, Beziehungen zur Befreiungsarmee Kosovos zu unterhalten oder gar deren Mitglieder zu sein.
Für rückkehrende Asylsuchende bestehen die gleichen Risiken wie für die ansässige Bevölkerung. Sie weisen jedoch einige zusätzliche Maluspunkte auf: der Aufenthalt im Ausland macht sie für die serbischen Behörden und bewaffneten Kräfte a priori verdächtig, in irgendeiner Form Beziehungen zur Befreiungsarmee Kosovas zu unterhalten, deren Führung laut serbischer Propaganda im Ausland (namentlich in der Schweiz und in Deutschland) sitzen soll, bzw. für Waffen- und Finanznachschub gesorgt zu haben. Da sie zudem in der Regel nicht über reguläre Personalausweise verfügen, sondern lediglich über ein 'Laissez-passer', das überdies nur befristet gültig ist, sind sie für die serbischen Behörden leicht als abgewiesene Asylsuchende zu erkennen."
Auf den Beschwerdeführer träfen im Fall seiner Rückkehr bzw. Abschiebung nach Jugoslawien alle genannten Gefährdungen seiner Sicherheit und seines Lebens zu.
Andererseits sei die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Jugoslawien auch aus tatsächlichen Gründen unmöglich. Es fehle nämlich an einem Reisedokument, zumal die jugoslawische Vertretungsbehörde in Österreich gegenwärtig keine Heimreisezertifikate an Albaner aus dem Kosovo ausstelle. Bezüglich des Beschwerdeführers sei bereits am 23. Februar 1998 ein solches Heimreisezertifikat beantragt, von der jugoslawischen Vertretungsbehörde bislang auf dieses Ersuchen jedoch nicht geantwortet worden. Es sei anzunehmen, daß die jugoslawische Botschaft an dieser Vorgehensweise mittelfristig festhalten werde.
3. Dem zunächst zur Unzulässigkeit der Abschiebung (§ 57 FrG) erstatteten Vorbringen hält der bekämpfte Bescheid lapidar entgegen, daß insoweit "nichts Konkretes" behauptet worden sei. Diese Ansicht ist verfehlt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 36 Abs. 2 des Fremdengesetzes aus 1992, von der abzugehen im Hinblick auf die insoweit unverändert gebliebene Rechtslage kein Anlaß besteht, kann vom Antragsteller im Verfahren über einen Antrag auf Gewährung eines Abschiebungsaufschubes nicht verlangt werden, gegen ihn gerichtete Mißhandlungen oder Verfolgungen "nachzuweisen"; es trifft ihn aber die Verpflichtung, zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes durch Erstattung eines mit Beweisanboten untermauerten konkreten Vorbringens zumindest bezüglich jener Umstände beizutragen, die in seiner Sphäre gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 23. Juni 1998, Zl. 98/21/0073, m.w.N.). Ein diesen Anforderungen entsprechendes Vorbringen hat der Beschwerdeführer erstattet. Naturgemäß konnte er, weil seit August 1997 ohne Unterbrechung in Österreich aufhältig, eine ihm für den Fall seiner Abschiebung drohende Gefahr im Sinn des § 57 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG, die aus einer Veränderung der Verhältnisse in Jugoslawien seit 1998 resultiert, nicht auf Grund ihm selbst widerfahrener Ereignisse oder auf Grund eigener unmittelbarer Wahrnehmungen darlegen. Im übrigen eignen sich zur Dartuung einer derartigen Gefahr nicht nur dem Einzelnen gegenüber gesetzte Verfolgungsmaßnahmen. Sie kann auch darin begründet sein, daß regelmäßig Maßnahmen im Sinn des § 57 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodaß die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (siehe zur vergleichbaren Problematik aus asylrechtlicher Sicht die hg. Erkenntnisse vom 16. Juni 1994, Zl. 94/19/0295, vom 22. Juni 1994, Zl. 93/01/0061 und vom 15. September 1994, Zl. 94/19/0384 und 0385). In diesem Sinn hat der Beschwerdeführer hinreichend deutlich auf seine gegenwärtige Situation als (im Fall seiner Abschiebung) zurückkehrender Asylsuchender hingewiesen und erkennbar behauptet, jedenfalls auf Grund dessen als jüngerer Mann albanischer Abstammung, auch ohne Hinzutreten individueller Spezifika, (gegebenenfalls) mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Behandlung im hier relevanten Sinn ausgesetzt zu sein. Diese Behauptung hat er durch die seinem Antrag beigelegten Berichte, vor allem durch den schon genannten und auszugsweise zitierten Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 12. Mai 1998 - in dem u. a. auch die namentlich bekannten Opfer der von serbischen Sicherheitskräften verursachten Massaker angeführt sind - ausreichend bescheinigt. Die belangte Behörde wäre daher verpflichtet gewesen, sich mit dem betreffenden Vorbringen des Beschwerdeführers auseinanderzusetzen und hiezu Ermittlungen anzustellen, zumal gemäß § 56 Abs. 2 FrG bei Vorliegen der dort genannten Voraussetzungen ein Abschiebungsaufschub auch von Amts wegen anzuordnen ist. Das hat die belangte Behörde - in der irrtümlichen Annahme, das Vorbringen des Beschwerdeführers sei nicht ausreichend konkret und damit in Verkennung der Rechtslage - unterlassen, weshalb sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastete.
4. Der Bescheid vom 1. September 1998 erweist sich aber auch insoweit als rechtswidrig, als die belangte Behörde ohne ausreichende Grundlage zu dem Ergebnis gelangte, die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Jugoslawien sei nicht aus tatsächlichen Gründen unmöglich. Sie hat sich in diesem Zusammenhang nämlich in keiner Weise mit dem Antragsvorbringen auseinandergesetzt, daß die jugoslawischen Vertretungsbehörden in Österreich gegenwärtig keine Heimreisezertifikate an Albaner aus dem Kosovo ausstellten. Insoweit bedarf der Sachverhalt daher noch einer Ergänzung.
5. Nach dem Gesagten war der bekämpfte Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG (wegen des Prävalierens der inhaltlichen Rechtswidrigkeit) aufzuheben.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 12. Februar 1999
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1998210469.X00Im RIS seit
20.02.2002