TE Vwgh Erkenntnis 1999/2/12 95/21/0920

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Veröffentlicht am 12.02.1999
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AVG §69 Abs1 Z2;
FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Rosenmayr, Dr. Pelant und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Ogris, über die Beschwerde des AO in Linz, geboren am 6. September 1961, vertreten durch Dr. Albin Walchshofer, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Bismarckstraße 7, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 29. Juni 1995, Zl. St 134-1/95, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens über einen Antrag gemäß § 54 FrG, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 1. März 1995 wurde gemäß § 54 Abs. 1 Fremdengesetz - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, festgestellt, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan gemäß § 37 Abs. 1 und 2 FrG bedroht sei. Die gegen diesen Bescheid an den Verwaltungsgerichtshof erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis vom 17. Mai 1995, Zl. 95/21/0126, als unbegründet abgewiesen.

Am 30. März 1995 beantragte der Beschwerdeführer die Wiederaufnahme des Verfahrens "der BPD Linz" unter Hinweis auf ein vorgelegtes Schreiben des "Kommandateurs der Exekutive Kabul" vom 25. Oktober 1994 mit dem Vorbringen, es seien neue Tatsachen und Beweismittel hervorgekommen, die ohne Verschulden des Antragstellers nicht hätten geltend gemacht werden können und zu anders lautenden Bescheiden geführt hätten.

Mit dem nun angefochtenen Bescheid vom 29. Juni 1995 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf Wiederaufnahme des mit Bescheid vom 1. März 1995 rechtskräftig abgeschlossenen Feststellungsverfahrens ab. Nach Wiedergabe des Inhaltes der Verwaltungsakten führte die belangte Behörde begründend aus, der vorgelegte handgeschriebene Brief habe nicht den Anschein, von einer staatlichen Behörde zu stammen, sondern den Charakter eines Drohbriefes, "etwa von einer jener Mudjaheddin-Organisationen, wie Sie sie seinerzeit aufgezählt haben". Daran ändere nichts, dass von einem Gericht der Islamischen Partei Afghanistans gesprochen würde, denn der Beschwerdeführer habe selbst angeführt, bei dem von der neuen afghanischen Führung gegen ehemalige Kommunisten eingerichteten Gericht handelte es sich um den "Volksgerichtshof". Die in § 37 Abs. 1 FrG bezeichnete Gefahr sei nur dann eine im Sinn dieser Bestimmung, wenn sie von dem betreffenden Staat ausgehe oder von ihm gebilligt werde. Wenn dem Beschwerdeführer von irgendwelchen Gruppierungen wegen seiner früheren Tätigkeit als Polizeibeamter Gefahr drohe, könne dies nicht zur Annahme einer Abschiebungsunzulässigkeit im Sinn des § 37 Abs. 1 FrG führen. Gleiches gelte für Verfolgungen im Sinn des § 37 Abs. 2 FrG. Auch diese müssten, um als solche angesehen zu werden, vom Staat ausgehen. Wenn der Beschwerdeführer nunmehr ein nicht-staatlichen Stellen zuzuordnendes Schreiben vorlege, wonach er zur Todesstrafe verurteilt worden sei, sei damit weder eine neue Tatsache noch ein neues Beweismittel hervorgekommen, das entweder allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid im Feststellungsverfahren herbeizuführen in der Lage sei, selbst wenn man, was sicherlich auch noch zu überprüfen wäre, von der inhaltlichen Richtigkeit dieses Schreibens ausgehen wolle.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Antrag des Beschwerdeführers auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan war im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen worden, es lägen keine objektiven Anhaltspunkte dafür vor, dass der Beschwerdeführer - der behauptetermaßen als hoher Kriminalbeamter und Parteisekretär mit verschiedenen politischen Aufgaben betraut gewesen wäre - wegen seiner früheren Tätigkeit für die Regierung und seiner politischen Gesinnung Nachstellungen von Seiten der nunmehr an der Macht befindlichen Mudjaheddins ausgesetzt wäre. Dagegen spreche auch, dass der Beschwerdeführer nach dem Machtwechsel immerhin sechs Monate unbehelligt geblieben sei. Er sei nach seiner Behauptung im Jahr 1992 zweimal zu Hause aufgesucht worden, wobei die Männer keine besonderen Uniformen getragen hätten. Er habe behauptet, er wäre von den offenbar miteinander konkurrierenden Mudjaheddin-Gruppen, wäre er von ihnen aufgegriffen worden, sicher an Ort und Stelle umgebracht worden.

Mit seinem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens legte der Beschwerdeführer ein Schreiben in persischer Sprache (und eine beglaubigte Übersetzung desselben) vor, demzufolge ihm von der Kommandantur der Exekutive Kabul vorgeworfen wird, er habe an den Mudjaheddin unverzeihlichen Verrat geübt, sei Sekretär der Atheisten (vermutlich der Kommunistischen Partei; Anm. des Übersetzers) gewesen, sei vom Gericht der Islamischen Partei Afghanistans, Provinz Kabul, wegen Atheismus' und Verrats zur Todesstrafe verurteilt worden und es würden, wenn er innerhalb eines Monats nicht bereit sei, seine Verfehlungen wieder gutzumachen, "die Brüder von der Islamischen Partei das Todesurteil an dir vollstrecken".

Gemäß § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG ist ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren wieder aufzunehmen, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten.

Die belangte Behörde verneinte die Eignung des vorgelegten Schreibens, als neu hervorgekommenes Beweismittel einen anders lautenden Bescheid herbeizuführen, allein mit der Begründung, die in § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG bezeichnete Gefährdung und/oder Bedrohung müsse vom betreffenden Staat ausgehen oder von ihm gebilligt werden. Ein nicht-staatlichen Stellen zuzuordnendes Schreiben stelle demgemäß kein die Wiederaufnahme begründendes neu hervorgekommenes Beweismittel dar.

Mit dieser Ansicht verkannte die belangte Behörde die Rechtslage. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa das Erkenntnis vom 25. September 1998, Zl. 95/21/0229) liegt eine aktuelle, also im Fall einer Abschiebung in den im Antrag genannten Staat dort gegebene Gefährdung und/oder Bedrohung im Sinn des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG dann vor, wenn diese Gefahr vom Staat ausgeht oder von diesem gebilligt wird oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbar ist. Ob die staatlichen Organe nicht willens oder nicht in der Lage sind, gegen die dem Beschwerdeführer vom Gericht der Islamischen Partei drohende Gefahr vorzugehen, ist demnach nicht von entscheidender Bedeutung.

Mit ihrer Rechtsansicht, sie brauche deswegen die Eignung des vorgelegten Beweismittels als Wiederaufnahmsgrund gemäß § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG nicht zu prüfen, weil dieses Schreiben nicht von einer staatlichen Behörde des Heimatlandes des Beschwerdeführers stammt, belastete die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 12. Februar 1999

Schlagworte

Neu hervorgekommene entstandene Beweise und Tatsachen nova reperta nova producta

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1995210920.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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