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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AufG 1992 §5 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens, Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Hinterwirth als Richter im Beisein des Schriftführers Mag. Brandtner, über die Beschwerde des M A in Wien, geboren 1956, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 8. Mai 1996, Zl. 117.532/2-III/11/96, betreffend Aussetzung eines Verfahrens in Angelegenheit einer Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der verfahrensgegenständliche Antrag des Beschwerdeführers vom 23. März 1995 auf Verlängerung seiner bis 25. Mai 1995 gültigen Aufenthaltsbewilligung ("Wiedereinreise-Sichtvermerkes") wurde vom Landeshauptmann von Wien als Aufenthaltsbehörde erster Instanz gemäß § 5 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Z. 4 des Fremdengesetzes 1992 (FrG) infolge Eingehens einer Scheinehe mit Bescheid vom 28. September 1995 abgewiesen. Der Beschwerdeführer erhob Berufung.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 8. Mai 1996 wurde das Berufungsverfahren gemäß § 38 AVG
"bis zur rechtskräftigen Entscheidung über das derzeit anhängige Verfahren beim BG Hernals, Zl. 82 NSt 1505/95 (gemeint wohl richtig: 23 C 68/96 b)" ausgesetzt. Begründend führte die belangte Behörde aus, daß im gegenständlichen Fall beim Bezirksgericht Hernals unter der Zl. 82 NSt 1505/95 ein Nichtigkeitsverfahren wegen des Verdachtes einer Scheinehe anhängig sei. Da eine Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz nur dann erteilt werden dürfe, wenn kein Sichtvermerksversagungsgrund vorläge, sei diese Tatsache im Rahmen des § 5 Abs. 1 AufG iVm § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG relevant. Ein rechtskräftiges Urteil "des Berufungswerbers" wegen § 23 EheG sei im Rahmen des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG zu würdigen.
Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Bescheid zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluß vom 24. September 1996, B 2052/96-6, deren Behandlung ablehnte und sie in der Folge dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die ergänzte Beschwerde erwogen:
§ 38 AVG lautet:
"Sofern die Gesetze nicht anderes bestimmen, ist die Behörde berechtigt, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen und diese Beurteilung ihrem Bescheid zugrunde zu legen. Sie kann auch das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage aussetzen, wenn die Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei der zuständigen Behörde bildet oder ein solches Verfahren gleichzeitig anhängig gemacht wird."
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde eine verfahrensrechtliche Entscheidung getroffen und kein Verlängerungsantrag des Beschwerdeführers abgewiesen, weswegen auf diesen Beschwerdefall - entgegen der Ansicht der Behörde erster Instanz - weder die Bestimmungen des § 113 Abs. 6 und 7 noch des § 115 Abs. 2 FrG 1997 zur Anwendung kommen.
Der Beschwerdeführer rügt, die belangte Behörde berufe sich lediglich auf eine Aktenzahl der Staatsanwaltschaft und verkenne, daß zur Entscheidung über die Frage der Nichtigkeit einer Ehe ausschließlich das Gericht, nicht aber die in diesem Verfahren Parteistellung genießende Staatsanwaltschaft zuständig sei. Dem Beschwerdeführer ist darin beizupflichten, daß die Behörde nur dann zur Aussetzung eines Verfahrens berechtigt ist, wenn die Vorfrage bereits den Gegenstand eines anhängigen oder zugleich anhängig zu machenden Verfahrens bei der zur Entscheidung der Vorfrage zuständigen Behörde bzw. dem hiefür zuständigen Gericht bildet (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. April 1997, Zl. 95/19/1268).
Diesbezüglich ist allerdings der Wortlaut des Bescheidspruches eindeutig, der auf "das derzeit anhängige Verfahren beim BG (=Bezirksgericht) Hernals" verweist. Daß das Ehenichtigkeitsverfahren im Zeitpunkt der Aussetzung des Verfahrens betreffend die Aufenthaltsbewilligung durch die belangte Behörde (die Zustellung des angefochtenen Bescheides erfolgte am 14. Mai 1996) bereits beim zuständigen Gericht anhängig war, geht auch aus einer im Akt erliegenden Mitteilung der Staatsanwaltschaft Wien vom 1. April 1996 hervor, wonach die "Ehenichtigkeitsklage beim BG Hernals gemäß § 23 EheG erhoben worden ist". Es ist dem Beschwerdeführer zwar zuzugestehen, daß die belangte Behörde die Aktenzahl der Staatsanwaltschaft und nicht die des anhängigen Gerichtsverfahrens im angefochtenen Bescheid zitiert hat; dieser Umstand vermag aber angesichts der Anhängigkeit des Gerichtsverfahrens im Entscheidungszeitpunkt nicht zu schaden.
Ferner bringt der Beschwerdeführer vor, daß eine gemäß § 38 AVG relevante Vorfrage nur dann vorläge, wenn die einzuholende Entscheidung die Aufenthaltsbehörde binde. Eine Bindungswirkung von gerichtlichen Entscheidungen sei im Verwaltungsverfahren nur im § 116 Abs. 2 BAO eingeschränkt geregelt und eine analoge Anwendung auf andere Verfahrenssysteme sei - so die Literatur - nicht zulässig. Auch dieses Vorbringen ist nicht geeignet, eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufzuzeigen.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist unter einer Vorfrage im Sinne des § 38 AVG eine für die Entscheidung der Verwaltungsbehörde präjudizielle Rechtsfrage zu verstehen, über die als Hauptfrage von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten oder auch von derselben Behörde, jedoch in einem anderen Verfahren, zu entscheiden ist; präjudiziell ist nur eine Entscheidung, die eine Rechtsfrage betrifft, deren Beantwortung für die Hauptfragenentscheidung unabdingbar, das heißt eine notwendige Grundlage ist, und die diese Rechtsfrage in einer die Verwaltungsbehörde bindenden Weise regelt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 2. Juli 1990, Zl. 90/19/0181). Dies trifft auf den konkreten Beschwerdefall zu.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine Eheschließung ausschließlich oder überwiegend zur Beschaffung fremdenrechtlich bedeutsamer Berechtigungen ein Rechtsmißbrauch und damit ein Verhalten, das auch ohne zusätzliche Anhaltspunkte den Schluß rechtfertigt, daß der (weitere) Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung gefährden würde (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 19. April 1996, Zl. 96/19/0645, mwN). Für die Entscheidung der Aufenthaltsbehörde über das Vorliegen des dargestellten Grundes für die Versagung einer Aufenthaltsbewilligung ist die Frage, ob eine derartige nichtige Ehe vorliegt, als Vorfrage zu beurteilen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. September 1996, Zl. 96/19/1651).
Wenn auch die Verwaltungsbehörden das Vorliegen eines Sichtvermerksversagungsgrundes selbständig zu beurteilen haben, so sind sie doch an den rechtskräftigen Urteilspruch über das Bestehen einer "Scheinehe" in deren Umfang gebunden; die Rechtskraft eines Ehenichtigkeitsurteils steht einer anderen Beurteilung durch die Verwaltungsbehörden entgegen. Diese haben daher bei Beurteilung der Vorfrage, ob eine "Scheinehe" vorliegt, vom Spruch und von den tragenden Gründen einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung auszugehen (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom 8. Mai 1998, Zl. 95/19/1242).
Liegt somit eine rechtskräftige Entscheidung über die Nichtigkeit einer Ehe vor und wird in den Gründen des Urteils festgestellt, daß die Ehe ausschließlich zu dem Zweck geschlossen wurde, um einem Eheteil fremdenrechtliche Vorteile zu verschaffen, hat die Aufenthaltsbehörde in Bindung an das Urteil davon auszugehen, daß der Eheabschluß aus den im Urteil dargestellten Gründen erfolgte. Diese Gründe rechtfertigten aber
jedenfalls - ohne weitere Ermittlungen der Aufenthaltsbehörden - die Annahme, der Sichtvermerksversagungsgrund des § 10 Abs.1 Z 4 FrG sei verwirklicht.
Das vom Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang zitierte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 4. September 1996, Zl. 95/21/1209, ist mit dem vorliegenden Fall deshalb nicht vergleichbar, weil es sich mit der Rechtmäßigkeit eines Aufenthaltsverbotes und nicht mit der Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung befaßte; für die Frage der Rechtmäßigkeit der Aussetzung des vorliegenden Berufungsverfahrens (in Angelegenheiten der Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung) ist daraus nichts zu gewinnen.
Ob nun die Behörde die Vorfrage selbst beurteilt oder aber bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen das Verfahren aussetzt, ist in ihr Ermessen gestellt (vgl. hg. Erkenntnis vom 24. Mai 1994, Zl. 93/04/0240). Im Rahmen der verwaltungsgerichtlichen Überprüfung von Ermessensentscheidungen war im gegenständlichen Fall weder ein Ermessensmißbrauch noch eine Ermessensüberschreitung festzustellen.
Soweit der Beschwerdeführer Verfahrensvorschriften für verletzt erachtet, nehmen seine diesbezüglichen Ausführungen keinen Bezug zum alleinigen Verfahrensgegenstand der Aussetzung eines Berufungsverfahrens, weshalb darauf nicht näher einzugehen war.
Der Behörde ist somit keine Rechtswidrigkeit anzulasten. Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Von einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 12. Februar 1999
Schlagworte
Ermessen VwRallg8European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1996193525.X00Im RIS seit
11.07.2001Zuletzt aktualisiert am
17.05.2009