Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei Dr. C*****, Italien, vertreten durch Krüger Bauer Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei und Gegner der gefährdeten Partei M*****, vertreten durch Dr. Markus Orgler, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Unterlassung, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 20. Februar 2019, GZ 1 R 21/19a-11, womit die einstweilige Verfügung des Landesgerichts Innsbruck vom 28. Dezember 2018, GZ 69 Cg 129/18x-4, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 2.197,80 EUR (darin 366,30 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens zu ersetzen.
Text
Begründung:
Dem Verfahren liegt eine auf Unterlassung gerichtete Klage verbunden mit einem Antrag auf einstweilige Verfügung zugrunde. Die Klägerin und gefährdete Partei (im Folgenden: Klägerin) begehrte, der beklagten und gefährdenden Partei (im Folgenden: Beklagter) zu untersagen, die Wohnverhältnisse der Klägerin mit Angabe, unter welcher Adresse sie sich hauptsächlich oder gelegentlich zu Wohnzwecken aufhält, öffentlich zu verbreiten.
Die Klägerin unterhält nach den Feststellungen des Erstgerichts mit Prof. Dr. G***** eine „private Beziehung“. Nach den Feststellungen des Rekursgerichts ist sie seine Lebensgefährtin. Prof. Dr. G***** schenkte der Klägerin 2006 eine Liegenschaft in E***** und erhielt ein lebenslanges unentgeltliches Fruchtgenussrecht an dieser Liegenschaft. Der Beklagte ist Publizist und Medieninhaber der Website d*****. Auf dieser Website veröffentlichte er einen Artikel mit dem Titel „Ist die Immobilie von K*****s Lebensgefährtin in E***** ein Freizeitwohnsitz?“, worin er unter anderem den Namen der Klägerin, verschiedene Adressen der Klägerin sowie ein Bild ihres Hauses in E***** veröffentlichte. Für den verständigen Leser ergibt sich aus dem sachlich gehaltenen Artikel der Eindruck, dass die Klägerin gegenüber der Grundverkehrsbehörde wahrheitswidrig angegeben hat, an der geschenkten Liegenschaft in E***** keinen Freizeitwohnsitz zu begründen, wogegen ihr tatsächlicher Hauptwohnsitz in Italien liegt.
Das Erstgericht erließ antragsgemäß die einstweilige Verfügung. Es billigte dem Beklagten im Hinblick auf die im Artikel thematisierte „Zweitwohnsitzproblematik“ grundsätzlich ein berechtigtes Interesse an einer identifizierenden Berichterstattung bezogen auf die Klägerin zu. Es bestehe allerdings keine erkennbare Notwendigkeit die konkrete, vollständige Adresse der Klägerin zu veröffentlichen. Der Beklagte könne auch ohne Angabe der vollständigen Adressen zur öffentlichen Debatte beitragen. Die Veröffentlichung der konkreten und vollständigen Adressen sei daher überschießend und unverhältnismäßig.
Das Rekursgericht änderte den Beschluss dahingehend ab, dass es den Sicherungsantrag abwies. Es führte aus, dass der Beklagte nicht über die „Wohnverhältnisse“ der Klägerin im Sinne der höchstgerichtlichen Rechtsprechung zum höchstpersönlichen Lebensbereich berichtet habe. Im Zusammenhang mit dem gelegentlichen Aufenthalt zu Wohnzwecken in E***** habe der Beklagte nicht eine (tatsächlich zutreffende) Tatsache berichtet, sondern er habe ausdrücklich festgehalten, dass sich die Klägerin „nach übereinstimmenden Aussagen von E***** Dorfbewohnern wie von Mitarbeitern der Feststpiele E***** … zusammengerechnet nur wenige Wochen im Jahr in ihrem Haus in E***** aufhält ...“. Der Beklagte habe also nur wiedergegeben, was ihm von Dritten erzählt worden sei. Das sei aber keine Tatsachenangabe, sodass dieser Teil des Sicherungsbegehrens vom Wortlaut her nicht berechtigt sei. Es verbleibe damit die Prüfung der Frage, ob die Veröffentlichung der Wohnadresse der Klägerin in Italien als rechtswidriger Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Klägerin auf Wahrung ihrer Geheimnissphäre zu werten sei. Der Bericht des Beklagten thematisiere eine seit Jahren in Tirol bestehende Problematik, dass kapitalkräftige, oft prominente Personen aus anderen EU-Mitgliedstaaten oder Drittländern zu weit überhöhten Preisen Liegenschaften in Tirol erwerben, um dort einen nach dem Tiroler Landesrecht unzulässigen Freizeitwohnsitz zu begründen. Durch diese Liegenschaftstransaktionen seien die Preise für Bauland und allgemein für das Wohnen in einem Ausmaß gestiegen, dass die heimische Bevölkerung einen großen Teil des Einkommens für das Wohnen aufwenden müsse. Der Artikel des Beklagten leiste einen Beitrag zu einer Debatte von öffentlichem und politischem Interesse. Es genüge kein bloßer Hinweis, dass die Klägerin in Italien oder L***** wohne. Der Beklagte müsse, um Glaubwürdigkeit zu erlangen, belegen, wo die Klägerin tatsächlich ihren Lebensmittelpunkt und Hauptwohnsitz unterhalte. Der Lebensgefährte der Klägerin gebe in öffentlichen Medien das Klosteranwesen in L***** selbst als seinen Wohnsitz an. Damit sei aber auch der Wohnsitz der Klägerin als dessen Lebensgefährtin öffentlich bekannt, selbst wenn der Beklagte nicht die genaue Straßenbezeichnung in seinen Artikel aufgenommen hätte. Dies führe zum Schluss, dass durch die Benennung der Adresse in L***** nicht rechtswidrig in die Privatsphäre der Klägerin eingegriffen worden sei. Ein Geheimnisschutz könne dann nicht bestehen, wenn eine Tatsache ohnedies aufgrund öffentlicher Preisgabe durch den Betroffenen selbst oder durch ihm nahestehende Personen erfolgt sei. Die Interessenabwägung falle aufgrund dieser Erwägungen zu Gunsten des Beklagten aus.
Den ordentlichen Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht zu, weil die Entscheidung des Rekursgerichts nicht mit der höchstgerichtlichen Rechtsprechung in Einklang stehe.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts – nicht zulässig.
1.1. Aus § 16 ABGB folgt das Recht auf Achtung der Geheimnissphäre als Persönlichkeitsrecht (RS0009003). Das Recht auf Wahrung der Geheimsphäre schützt sowohl gegen das Eindringen in die Privatsphäre der Person als auch gegen die Verbreitung rechtmäßiger erlangter Information über die Geheimsphäre (RS0009003 [T9]). Schutzgegenstand ist die Privatheit der Person und ihrer nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Äußerungen. Das gilt auch für das Berufs- und Geschäftsleben, ohne dass Berufs- und Geschäftsgeheimnisse über § 16 ABGB geschützt sind (RS0009003 [T10]).
1.2. Eine Überspannung des Schutzes der Persönlichkeitsrechte würde zu einer unerträglichen Einschränkung der Interessen anderer und jener der Allgemeinheit führen; es bedarf vielmehr einer Wertung, bei welcher dem Interesse am gefährdeten Gut stets auch die Interessen der Handelnden und die der Allgemeinheit gegenübergestellt werden müssen (RS0008990). Ob schutzwürdige Interessen des Genannten beeinträchtigt wurden und zu wessen Gunsten die vorzunehmende Interessenabwägung ausschlägt, hängt von den besonderen Umständen des Einzelfalls ab und berührt daher im Allgemeinen keine erhebliche Rechtsfrage (RS0008990 [T6]).
1.3. Im Zusammenhang mit der Veröffentlichung von Fotos und Artikeln und der Interessenabwägung zwischen Art 8 EMRK und Art 10 EMRK ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) danach zu unterscheiden, ob die Veröffentlichungen nur dem Zweck dienten, die Neugier eines bestimmten Publikums im Hinblick auf Einzelheiten aus dem Privatleben einer bekannten Person zu befriedigen, oder ob sie als Beitrag zu einer Debatte von allgemeinem gesellschaftlichen Interesse angesehen werden können; in ersterem Fall gebietet die freie Meinungsäußerung eine weniger weite Auslegung (RS0123987). Der EGMR billigt den Vertragsstaaten für die Einschränkungen politischer Äußerungen oder Diskussionen in Angelegenheiten des öffentlichen Interesses einen sehr engen Beurteilungsspielraum zu (RS0123667 [T5]).
1.4. Die Interessenabwägung muss regelmäßig schon dann zugunsten der Berichterstattung ausfallen, wenn nicht überwiegende Gründe deutlich dagegen sprechen, ist doch die Einschränkung der verfassungsrechtlich geschützten Meinungsfreiheit andernfalls nicht im Sinne des Art 10 Abs 2 EMRK ausreichend konkretisiert (RS0008990 [T8]).
1.5. Es muss dem Handelnden ex ante erkennbar sein, ob seine Berichterstattung zulässig ist oder nicht. Die Furcht vor Inanspruchnahme aufgrund nicht ausreichend klar konturierter Persönlichkeitsrechte der Genannten könnte – im Sinne eines „chilling effect“ (dazu Grabenwarter, EMRK6 397 mwN) – die unverzichtbare Rolle der Presse als „öffentlicher Wachhund“ und ihre Fähigkeit, präzise und zuverlässige Informationen zu liefern, beeinträchtigen (RS0008990 [T9]).
2.1. Der „höchstpersönliche Lebensbereich“ bildet den Kernbereich der geschützten Privatsphäre und ist daher einer den Eingriff rechtfertigenden Interessenabwägung nicht zugänglich. Er ist nicht immer eindeutig abgrenzbar, erfasst aber jedenfalls die Gesundheit, das Sexualleben und das Leben in und mit der Familie (RS0122148).
2.2. Dem höchstpersönlichen Lebensbereich sind nicht nur im häuslichen Bereich zu Tage tretende Umstände und sich dort zutragende Ereignisse zuzurechnen; er umfasst vielmehr auch Gegebenheiten der sogenannten „Privatöffentlichkeit“, das heißt privates Handeln in öffentlichen Räumen, das aber doch in abgegrenzten Bereichen stattfindet, die eine gewisse Vertraulichkeit vermitteln und die bei objektiver Betrachtung nicht für die Anteilnahme einer unbegrenzten Öffentlichkeit bestimmt sind (RS0122148 [T4]). Zudem verlieren Tatsachen des höchstpersönlichen Lebensbereichs diesen Charakter nicht allein dadurch, dass sie zum Gegenstand eines behördlichen oder gerichtlichen Verfahrens werden oder in einem solchen erörtert werden (RS0122148 [T5]).
2.3. Es ist im Einzelfall nicht ausgeschlossen, dass auch eine Darstellung von Wohnverhältnissen wegen des dadurch möglichen Rückschlusses auf die Persönlichkeit des Bewohners diesen Kernbereich berührt (RS0122148 [T18]).
3.1. Nach Wanckel (in Götting/Schertz/Seitz, Handbuch Persönlichkeitsrecht² [2019] 368) fällt unter den Schutz des häuslichen Bereichs grundsätzlich auch die Wohnadresse, weil die Bekanntgabe der Adresse die Gefahr begründet, dass die Rückzugsfunktion beeinträchtigt wird. Die Rechtsprechung des deutschen Bundesgerichtshofs nimmt eine Einschränkung dieses Schutzes an, wenn die Adresse jedem ohne Mühe aus allgemein zugänglichen Quellen, wie zB dem Telefonbuch ersichtlich ist und daher kein sensibles, vom Betroffenen geheim gehaltenes Datum ist (GRUR 2004, 438). Informationen aus Verzeichnissen, die nur unter bestimmten Voraussetzungen aufgrund eines Antrags zugänglich sind und in die der Betroffene aufgrund rechtlicher Verpflichtungen mit seiner Wohnadresse aufgenommen wurde, wie zB dem Melderegister oder einer Mitgliederkartei eines Vereins, fallen nicht darunter. Wanckel vertritt die Ansicht, dass Entsprechendes auch für andere Quellen gelten muss, in denen der Betroffene seine Wohnanschrift angeben musste.
3.2. In der Entscheidung 4 Ob 216/13p (Luxusvilla) hat der Oberste Gerichtshof eine Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs verneint, als eine Zeitung ohne Abbildung des Wohnungsinneren oder einer privaten Szene und in nicht reißerischer Weise über Tatsachen berichtet hatte, deren Richtigkeit nicht bestritten war. Die dortige Klägerin war aufgrund der Beziehung mit einem Spitzenpolitiker bekannt. Die dortige Beklagte hatte darüber berichtet, dass der Politiker seinen Nebenwohnsitz in einer von der Klägerin gemieteten „Luxusvilla“ begründet habe, was aus mehreren Gründen politisch zu hinterfragen sei. Der Artikel war mit einer Abbildung des Politikers und der Klägerin sowie mit drei (kleinen) Fotos der Villa und ihrer Umgebung illustriert. Dabei gab die Beklagte auch die Gemeinde, nicht aber die konkrete Anschrift des Anwesens an. Der Oberste Gerichtshof billigte der Klägerin unter Verweis auf Art 8 EMRK ein berechtigtes Interesse zu, dass die (wenngleich nur ungefähre) Lage und das äußere Erscheinungsbild der von ihr bewohnten Villa nicht öffentlich gemacht werden. Dieses Interesse ist aber mit dem grundrechtlich geschützten Interesse der Beklagten gemäß Art 10 EMRK an der Berichterstattung abzuwägen. Weil der Zeitungsbericht der Beklagten in erster Linie den Partner der Klägerin betraf und der Bericht zudem eine eindeutige politische Zielrichtung aufwies, trug er zu einer öffentlichen Debatte bei, die im Interesse der Allgemeinheit lag. Im Ergebnis überwog das Veröffentlichungsinteresse der Beklagten gegenüber dem Geheimhaltungsinteresse der Klägerin.
3.3. In der Entscheidung 6 Ob 110/18x (Luxusimmobilie I) befasste sich der Oberste Gerichtshof mit einem Artikel über den Erwerb einer Liegenschaft um 35 Mio EUR durch einen international tätigen Fondsmanager und mit einem darauf folgenden Rechtsstreit mit der Immobilienmaklerin. Die Berichterstattung der Beklagten war nicht reißerisch, sondern im Wesentlichen auf die wahrheitsgemäße Wiedergabe von Tatsachen beschränkt. Die Überlegung des Berufungsgerichts, wonach die Veröffentlichung nicht bloß dem Zweck diente, die Neugier eines bestimmten Publikums zu befriedigen, war aus Sicht des Senats nicht zu beanstanden. Da der Kläger die Immobilie nicht persönlich, sondern über außereuropäische Gesellschaften erworben hatte, wurde durch den Artikel ein Beitrag zu einer Debatte von öffentlichem und politischem Interesse hergestellt. Im Ergebnis erachtete der Senat eine identifizierende Berichterstattung für zulässig und hielt fest, dass die Adresse der Liegenschaften nicht genannt und keine Bilder gezeigt werden.
3.4. Die Entscheidung 4 Ob 69/18b (Luxusimmobilie II) befasste sich ebenfalls mit einem Artikel über den Immobilienerwerb durch den international tätigen Fondsmanager und den damit zusammenhängenden Rechtsstreit mit der Immobilienmaklerin. Da im beanstandeten Artikel weder die Adresse noch in unzulässiger Weise sonstige „Wohnverhältnisse“ des Klägers veröffentlicht wurden, sondern nur die Lage und Art der Immobilie (Nobelbezirk, repräsentative Villa, malerischer Park) angegeben wurde, ging der Senat davon aus, dass kein Eingriff in den geschützten Kernbereich vorliegt. Der Senat billigte auch in diesem Fall dem Kläger ein berechtigtes Interesse zu, dass die (wenngleich nur ungefähre) Lage und weitere Angaben zur von ihm bewohnten Villa nicht öffentlich gemacht werden. Dieses Interesse ist aber mit dem ebenfalls grundrechtlich geschützten Interesse des Beklagten an der Berichterstattung abzuwägen. Der Kläger wurde als Person des öffentlichen Lebens beurteilt. Der Artikel sprach ein gesellschaftlich relevantes Thema an, dass eine vermögende Person, im Umgang mit privaten Geschäftspartnern Zahlungspflichten zu vermeiden versucht. Weiters wurde thematisiert, dass eine Person mit hohem Privatvermögen für den Kauf ihrer privaten Wohnimmobilie Gesellschaften mit Sitz in „Steuerparadiesen“ nutzt. Das Unterlassungsbegehren des Klägers bestand daher nicht zu Recht.
3.5. In der Entscheidung 4 Ob 124/13h (Promi-Anwalt) befasste sich der Oberste Gerichtshof mit einem Bericht über einen Brand in der Wohnung eines bekannten Strafverteidigers. Aufgrund der Angaben im Bericht war es relativ einfach die Wohnadresse des Klägers herauszufinden. Den höchstpersönlichen Lebensbereich berührte die Veröffentlichung nach Ansicht des Senats nicht. Jedoch schlug die nach Art 8 und 10 EMRK anzustellende Interessenabwägung zugunsten des Klägers aus. Der Senat hielt fest, dass es auf der Hand liegt, dass die Bekanntgabe der Privatadresse eines als Strafverteidiger tätigen Rechtsanwalts in dessen berechtigte Sicherheitsinteressen eingreift. Der Beklagten wurde zwar ein Interesse an der Berichterstattung zugestanden, aber es war kein Grund ersichtlich, welches Interesse die beklagte Medieninhaberin an der Veröffentlichung der (Identifizierungsmöglichkeit der) Privatadresse des Klägers haben sollte.
3.6. Die Entscheidung des EGMR vom 9. 10. 2012, Alkaya gegen Türkei, Bsw 42811/06, befasste sich mit Berichten über einen Einbruch in die Wohnung einer bekannte türkischen Schauspielerin. Türkische Medien hatten über den Einbruch unter Angabe der genauen Wohnadresse der Schauspielerin berichtet. Die staatlichen Gerichte wiesen die Klage der Schauspielerin gegen die Medien mit Hinweis auf ihre Bekanntheit ab. Der EGMR stellte zwar eine Verletzung des Art 8 EMRK fest; zur Begründung verwies er aber nur darauf, dass Berichte, die nur die Neugier bestimmter Leserkreise auf Informationen aus dem Privatleben Prominenter befriedigen, nicht zu einer öffentlichen Debatte beitragen und nicht erkennbar war, welche öffentlichen Interessen an der Bekanntmachung der Wohnadresse der Schauspielerin bestanden (Thienel, Rechtsprechung des EGMR 2012 [Teil I], ÖJZ 2013/71 [660]). Der EGMR ist also auch in diesem Fall der Veröffentlichung einer genauen Wohnanschrift eines Prominenten von der Notwendigkeit, eine Interessenabwägung vorzunehmen, ausgegangen.
4.1. Damit liegt entgegen der Begründung des Zulässigkeitsausspruchs des Rekursgerichts kein Widerspruch zur Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vor:
Der höchstpersönliche Lebensbereich der Klägerin wurde durch die Berichterstattung nicht berührt (vgl dazu EGMR vom 9. 10. 2012, Alkaya gegen Türkei, Bsw 42811/06). Es wurden ausschließlich Adressen der Klägerin und ein Bild von der Straßenansicht des Hauses in E***** veröffentlicht. Daraus können aber keine Rückschlüsse auf die Persönlichkeit der Klägerin gezogen werden, sodass ein Eingriff in den geschützten Kernbereich dadurch nicht vorliegt (vgl auch ErwGr 2.2. in 4 Ob 69/18b).
4.2. Das Interesse der Klägerin, dass die Lage der von ihr – wenn auch nur vorübergehend – bewohnten Wohnungen und Häuser nicht öffentlich gemacht wird (vgl 4 Ob 216/13p; 4 Ob 69/18b), ist mit dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit abzuwägen. Wie bereits das Erst- und Rekursgericht ausgeführt haben, liefert der Artikel in Bezug auf die in Tirol allgemein diskutierte „Zweitwohnsitzproblematik“ einen Beitrag zu einer Debatte von öffentlichem und politischem Interesse, sodass nur ein enger Beurteilungsspielraum gegeben ist (RS0123667 [T5]). In Hinblick auf diese öffentliche Diskussion und wiederholten Missbräuchen und Umgehungsversuchen in diesem Zusammenhang besteht zweifellos ein öffentliches Interesse an der Aufklärung diesbezüglicher Missstände. Da tragender Grund für die Zulässigkeit der Berichterstattung schon der Verdacht eines Verstoßes gegen das Tiroler Grundverkehrsgesetz ist, würde es an der rechtlichen Beurteilung auch nichts ändern, wenn die Klägerin – wie sie behauptet – nicht Lebensgefährtin von Prof. Dr. K*****, sondern nur mit ihm „privat verbunden“ wäre.
4.3. Anders als in den im Vorigen zitierten Entscheidungen ist die Anschrift der Antragstellerin im vorliegenden Fall für die Berichterstattung wesentlich, müsste der Artikel sich doch andernfalls auf allgemeine und daher nicht weiter nachprüfbare Behauptungen beschränken.
4.4. Die Anführung des Hauses in E***** verstößt zudem schon deshalb nicht gegen die Privatsphäre der Klägerin, weil die Klägerin selbst behauptet, dieses Haus „weder als Haupt- noch als Nebenwohnsitz, sondern nur gelegentlich“ zu nutzen.
4.5. Bezüglich der Anschrift in N***** enthält der Artikel nicht die genaue Adresse, sondern nur die Straßenangabe. Zudem beschränkt sich der Artikel auf die Information, dass diese Adresse von der Klägerin gegenüber den italienischen Behörden angegeben wurde; dass sie dort wohne, wird in dem Artikel gerade nicht behauptet. Bei der Anschrift der Agentur A***** srl handelt es sich um eine Geschäftsanschrift. Derartige Angaben sind jedenfalls keine Wohnverhältnisse betreffende Details. Das italienische Autokennzeichen der Klägerin und ihre Telefonnummer sind in dem Artikel nicht vollständig angegeben.
4.6. Die genaue Lage des im Eigentum des Lebensgefährten der Klägerin stehenden Klosters ist nicht nur im Internet, sondern auch in jedem Reiseführer mühelos aufzufinden. Zu beachten ist auch, dass der inkriminierte Artikel nur das Faksimile einer von der Klägerin im geschäftlichen Verkehr in ihrer Eigenschaft als Vizepräsidentin der in dem Kloster angesiedelten Akademie verwendeten Visitenkarte enthält. An dieser Anschrift geht die Klägerin nach den Behauptungen im inkriminierten Artikel einer Tätigkeit als Bewirtschafterin und Verwalterin nach.
4.7. Wenn das Rekursgericht bei dieser Sachlage die Veröffentlichung der Anschrift des Klosters in Form des Abdrucks einer geschäftlichen Visitenkarte der Klägerin als zulässig angesehen hat, ist darin keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung zu erblicken.
5. Der Revisionsrekurs war daher spruchgemäß zurückzuweisen.
6. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsrekursverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO iVm §§ 402 Abs 4, 78 EO. Der Beklagte hat auf die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses hingewiesen.
Textnummer
E125330European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2019:0060OB00083.19B.0523.000Im RIS seit
25.06.2019Zuletzt aktualisiert am
16.02.2021