Entscheidungsdatum
10.12.2018Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
L524 2210465-1/2E
L524 2210463-1/2E
L524 2210461-1/2E
L524 2210462-1/2E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Veronika SANGLHUBER LL.B. über die Beschwerde von (1.) XXXX , geb. XXXX , StA. Irak, (2.) XXXX , geb. XXXX , StA. Irak, (3.) XXXX , geb. XXXX , StA. Irak und (4.) XXXX , geb. XXXX , StA. Irak, alle vertreten durch ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, Wattgasse 48, 1170 Wien, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.11.2018, (1). Zl. 1109703800-180835182/BMI-EAST_OST,
(2.) Zl. 1109706802-180747593, (3.) Zl. 1109706203-180747607 und
(4.) Zl. 1109706105-180747615, zu Recht erkannt:
A) I. Die Beschwerden werden hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 68 Abs. 1 AVG als unbegründet abgewiesen.
II. Die Beschwerden werden hinsichtlich der Spruchpunkte III. bis
VI. gemäß § 57 AsylG, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG, § 52 Abs. 2 Z 2 FPG, § 52 Abs. 9 FPG und § 55 Abs. 1a FPG als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind miteinander verwandt sowie verheiratet und die Eltern des minderjährigen Drittbeschwerdeführers und der minderjährigen Viertbeschwerdeführerin. Die Beschwerdeführer sind irakische Staatsangehörige und stellten am 28.03.2016 die ersten Anträge auf internationalen Schutz.
Bei der am selben Tag erfolgten Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Erstbeschwerdeführer an, er sei Kurde und sunnitischer Moslem. Zu seinem Fluchtgrund gab er an, dass im Irak ein schlimmer Krieg herrsche. Es gebe keine Sicherheit mehr. Seine Kinder hätten keine Schule mehr besuchen können und im Falle einer Krankheit hätten sie dort auch nicht medizinisch versorgt werden können. Kirkuk sei der Mittelpunkt verschiedener Kämpfe.
Die Zweitbeschwerdeführerin gab an, sie sei Kurdin und sunnitischen Moslemin. Zu ihrem Fluchtgrund gab sie an, dass Krieg herrsche und sie Angst vor dem IS habe.
Für die minderjährigen Dritt- und Viertbeschwerdeführer wurden keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht.
2. Bei der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) am 14.09.2017 gab der Erstbeschwerdeführer im Wesentlichen an, dass er in Sulaymania gelebt habe. Sein Familienname sei XXXX und die Araber würden keine Kurden mögen. Mehr könne er zu diesem Thema nicht sagen. Seine Familienangehörigen im Irak hätten keine Probleme. Von März 2007 bis April 2015 sei er beim Militär in der Sportabteilung gewesen. Von 04.06.2014 bis 02.04.2015 habe er in Kirkuk gelebt und am 02.04.2015 habe er einen Drohbrief bekommen. Am 07.01.2016 sei er aus dem Irak ausgereist und einen Monat später sei seine Frau nachgekommen. Zu seinem Fluchtgrund befragt gab er an, dass er Soldat gewesen sei und im Militärdienst nicht mehr anwesend gewesen sei, weshalb man ihn als Verräter betrachtet habe. Einen Haftbefehl wegen Desertion gebe es nicht. Zusätzlich gebe es einen Bürgerkrieg zwischen den Parteien DPK und PUK sowie Probleme zwischen Schiiten und Sunniten und Probleme mit Goran. Im Irak herrsche Armut. Er habe im Mai 2014 Probleme mit einem Schüler gehabt, den er aufgefordert habe, Liegestütze zu machen. Dieser habe zu ihm gesagt, dass sie sich noch sehen würden. Einen Monat nach diesem Vorfall sei er nach Kirkuk versetzt worden. Auch andere Leute seien versetzt worden; bei ihm sei es aber wegen des persönlichen Problems mit dem Schüler gewesen. Am 02.04.2015 habe er dann den Drohbrief bekommen. Da dieser auf Arabisch geschrieben sei, habe er den Inhalt nicht ganz verstanden. Er glaube, dieser Drohbrief hänge mit verschiedenen Geschichten zusammen. Entweder mit seinem Namen oder mit dem Schüler. Von einem Freund habe er eine Liste mit Namen von Personen bekommen, die vom Militär gesucht würden. Auf die Frage, ob er alle Fluchtgründe genannt habe, gab Erstbeschwerdeführer an, weil sie jetzt hier seien und Alkohol getrunken hätten und seine Frau keinen Schleier mehr trage, würden ihre Familien denken, dass sie die westlichen Sitten angenommen hätten. Sie hätten gesagt, dass sie sie umbringen würden, wenn sie nicht von der Regierung umgebracht würden.
Die Zweitbeschwerdeführerin gab in der Einvernahme vor dem BFA an, dass sie persönlich keine Probleme gehabt habe. Ihr Mann habe Probleme mit einem Schüler gehabt, der Schiite sei. Wegen dieser Probleme seien sie im Juni 2014 nach Kirkuk verbannt bzw. geschickt worden. Am 01.04.2015 hätten sie einen Drohbrief bekommen. Am 09.02.2016 sei sie aus dem Irak ausgereist. Zu ihrem Fluchtgrund gab sie an, dass Frauen keine Rechte hätten. Sie habe die Schule beenden wollen, aber ihr Vater sei dagegen gewesen. Die Familie rede nicht mehr mit ihr, weil sie den Schleicher nicht mehr trage. Ihr Vater und ihr Bruder seien deswegen böse auf sie. Im Irak gebe es auch Krieg. Sie habe wegen der Sicherheitslage und wegen der Situation ihres Mannes das Land verlassen. Über die Probleme ihres Mannes wisse sie nichts Genaues. Der Drohbrief sei auf Arabisch verfasst und sie wisse nicht, was darin geschrieben sei. Den Drohbrief habe sie in der Erstbefragung nicht erwähnt, weil sie nicht danach gefragt worden sei. Im Falle eine Rückkehr würde sie von ihrem eigenen Bruder ermordet werden, weil sie den Hidschab nicht mehr trage. Ihre Kinder hätten keine eigenen Fluchtgründe.
3. Mit Bescheiden des BFA vom 05.04.2018 wurden die Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG (Spruchpunkt I.) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak gemäß § 8 Abs. 1 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).
Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass das Vorbringen nicht nur vage, widersprüchlich und unplausibel gewesen sei, sondern im Zuge der Befragungen verspätet erstattet und massiv gesteigert worden sei. Das Vorbringen zum Drohbrief habe der Erstbeschwerdeführer zu keinem Zeitpunkt mit konkreten und nachvollziehbaren Angaben untermauern können. Den Drohbrief habe er erst zwei Tage vor der Einvernahme beim BFA aus dem Internet ausgedruckt und er sei nicht individuell auf den Erstbeschwerdeführern abgestimmt. Die übrigen Beweismittel habe er nur in Kopie vorlegen können. Hätte es tatsächlich aufgrund eines Drohbriefes eine persönliche Verfolgung gegeben, dann wäre anzunehmen, dass er nicht ein weiteres knappes Jahr völlig unbehelligt in Suleymania verbringen hätte können. Besonders grobe Ungereimtheiten hätten sich auch zu seinem Vorbringen im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Soldat ergeben. Seine Angaben dazu seien verworren gewesen. Auf den vorgelegten Fotokopien sei der Erstbeschwerdeführer nicht einmal erkennbar. Auf tiefergehende Fragen habe der Erstbeschwerdeführer ausweichend reagiert, ohne eine konkrete substantiierte Antwort zu geben. Dies sei ein klarer Hinweis darauf, dass er nicht der behaupteten Tätigkeit nachgegangen sei. Der Erstbeschwerdeführer habe sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens nicht gleichbleibend schildern können.
Die Angaben der Zweitbeschwerdeführerin zu den behaupteten Problemen seien vage und unsubstantiiert geblieben. Sie habe angegeben, niemals persönlich belangt, bedroht oder verfolgt worden zu sein. Sie habe keine konkreten Vorfälle genannt. Zudem sei auch die von ihrem Mann präsentierte Geschichte rund um seine angebliche Bedrohung auf Gemeinplätze beschränkt gewesen und sehr vage geschildert worden. Hätte es tatsächlich einen Drohbrief gegeben, wäre zu erwarten gewesen, dass dieses Vorbringen bereits in der Erstbefragung erstattet worden wäre. Zusammenfassend sei festzustellen, dass eine persönliche Bedrohung oder Verfolgung nicht glaubhaft gemacht worden sei.
Diese Bescheide erwuchsen in Rechtskraft.
4. Die Zweitbeschwerdeführerin stellte für sich und ihre Kinder, die minderjährigen Dritt- und Viertbeschwerdeführer am 07.08.2018 die zweiten Anträge auf internationalen Schutz.
Bei der am selben Tag erfolgten Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab die Zweitbeschwerdeführerin an, dass ihre alten Asylgründe noch immer aufrecht seien. Sie habe auch neue Gründe. Ihr Mann habe sie und die beiden Kinder im April 2018 gezwungen, mit ihm nach Deutschland zu reisen. Dort hätten sie ebenfalls einen Asylantrag gestellt, der abgelehnt worden sei. Ihr Mann habe gewollt, dass sie mit ihm nach Frankreich weiterreise. Das habe sie nicht gewollt und so sei es zu einem Streit gekommen. Sie sei ohne Einwilligung ihres Mannes mit den Kindern nach Österreich zurückgekehrt. Er wisse nicht, dass sie hier sei. Von ihm habe sie aber nichts zu befürchten. Ihre Familie Irak habe von der Trennung erfahren. Dadurch habe sie Schande über die Familie gebracht. Ihr Vater habe ihr gedroht, wenn er sie erwische, werde er sie umbringen und in den Wald schmeißen. Deshalb könne sie nicht mehr in die Heimat zurück. Ihre Kinder hätten keine eigenen Fluchtgründe.
Die Zweitbeschwerdeführerin gab bei der Einvernahme vor dem BFA am 22.08.2018 an, dass sie nach Ablehnung des Asylantrags mit ihrer Familie nach Deutschland gefahren sei. Auch der dort gestellte Asylantrag sei abgewiesen worden. Ihr Mann habe vorgeschlagen, nach Frankreich zu fahren. Das habe sie nicht gewollt und sie sei mit ihren Kindern nach Österreich zurückgekommen. Ihr Mann habe gemeint, dass sie befolgen müsse, was er sage. Ihr Mann wisse, dass sie jetzt in Österreich sei. Sie stelle erneut einen Antrag auf internationalen Schutz, weil ihr Mann und sie sich getrennt hätten. Ihr Mann werfe ihr vor, dass sie Schande über die Familie gebracht habe, weil sie ihn in Deutschland verlassen habe. Sie habe keinen Mann mehr und würde daher im Falle einer Rückkehr in den Irak von ihrem Vater getötet werden. Ihre Schwester habe dem Vater von der Trennung erzählt.
5. Der Erstbeschwerdeführer stellte am 03.09.2018 zweiten Antrag auf internationalen Schutz. Bei der am 04.09.2018 erfolgten Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Erstbeschwerdeführer an, dass seine alten Asylgründe aufrecht blieben. Anfang Mai 2018 sei sein Vater verstorben, danach habe er den negativen Bescheid bekommen. Da er Angst gehabt habe, in den Irak abgeschoben zu werden, habe er mit seiner Frau und den beiden Kindern in Deutschland einen Asylantrag gestellt, der abgelehnt worden sei. Da seine Frau mit den beiden Kindern nach Österreich zurückgekehrt sei, sei seine Familie zerstört worden. Er suche weiterhin Kontakt zu seinen Kindern, daher sei er wieder nach Österreich gekommen. In seine Heimat könne er nicht zurückkehren, da er vom Sohn seines Offiziers beim Militär mit dem Umbringen bedroht worden sei.
Bei der Einvernahme vor dem BFA am 27.09.2018 gab der Erstbeschwerdeführer an, dass er mit seiner Familie im April 2018 nach Deutschland gefahren sei. Dort hätten sie einen negativen Bescheid bekommen und sich Sorgen gemacht, dass sie von den deutschen Behörden nach Österreich und von Österreich in den Irak zurückgeschoben würden. Mit seiner Frau habe es Meinungsverschiedenheiten gegeben, da er nach Frankreich und seine Frau nach Österreich gewollt habe. Seine Frau sei dann mit den Kindern nach Österreich zurückgefahren. In seinem Stamm dürfe eine Frau nicht ohne Begleitung ihres Mannes frei herumlaufen. Nach dem Tod des Vaters habe sein Onkel väterlicherseits, der gleichzeitig sein Schwiegervater sei, die Stellung des Stammesführers übernommen. Dieser habe seinen Geschwistern gedroht, wenn der Erstbeschwerdeführer ihm in die Hände falle, werde er ihn umbringen. Diese Drohung sei dem Erstbeschwerdeführer gegenüber nicht geäußert worden; er habe das von seinen Geschwistern erfahren. Zu seinem Fluchtgrund gab er an, dass er innerhalb des Stammes keine Würde mehr besitze und von den Angehörigen mit dem Tod bedroht werde. Dies sei zusätzlich zu seinen Gründen vom ersten Asylantrag.
6. Mit den angefochtenen Bescheiden des BFA vom 12.11.2018, (1). Zl. 1109703800-180835182/BMI-EAST_OST, (2.) 1109706802-180747593, (3.) 1109706203-180747607 und (4.)1109706105-180747615, wurden die Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status des Asylberechtigen und hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkte I. und II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gem. § 46 FPG in den Irak zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG bestehe keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI.).
Begründend wurde ausgeführt, dass das gesamte Vorbringen im Erstverfahren bereits einer ausreichenden und sorgfältigen Prüfung unterzogen worden sei. Zusammenfassend sei keine konkrete Verfolgung oder sonstige Umstände vorgebracht worden, welche bei einer Rückkehr eine tatsächliche Gefahr für das Leben oder die körperliche Unversehrtheit darstellen könnten. Das Erstverfahren sei mit 12.05.2018 in Rechtskraft erwachsen. Es habe sich am maßgeblichen Sachverhalt seit Rechtskraft des ersten Asylverfahrens nichts geändert. Die Beschwerdeführer bezögen sich im gegenständlichen Verfahren nach wie vor auf jene Rückkehrhindernisse, welche bereits im ersten Verfahren vorgebracht worden seien. Im Vorverfahren sei vom Erstbeschwerdeführer zusammengefasst angegeben worden, er wäre auf Grund der schlechten allgemeinen Sicherheitslage ausgereist und die Kinder hätten keine Zukunftsperspektive. Sie hätten bei einer Rückkehr mit keinen Sanktionen zu rechnen. Im Zuge der Einvernahme habe der Erstbeschwerdeführer sein Vorbringen und mehrere Bedrohungsszenarien ins Treffen geführt. Die Angaben im ersten Verfahren seien als nicht glaubhaft erachtet worden; vielmehr sei festgestellt worden, dass das Vorbringen nicht nur vage, widersprüchlich und unplausibel gewesen sei, sondern im Zuge der Befragungen verspätet erstattet und massiv gesteigert worden sei.
Im gegenständlichen Verfahren seien die Bedrohungen im Irak nun damit erweitert worden, dass der Erstbeschwerdeführer auf Grund seiner Trennung von seiner Ehefrau innerhalb des Stammes keine Würde mehr besitzen würde und vom Onkel mit dem Tode bedroht werden würde. Laut telefonischer Auskunft der Betreuungsstelle XXXX vom 14.10.2018 hätten der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin den Wunsch geäußert, den Erstbeschwerdeführer von der Betreuungsstelle Traiskirchen zur Zweitbeschwerdeführerin und den Kindern in die Betreuungsstelle XXXX zu transferieren. Diesem Wunsch sei nachgekommen worden. Dieses Vorgehen widerspreche sich jedoch massiv mit den Angaben des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin bei den Einvernahmen, wo angegeben worden sei, dass sie getrennt wären und nicht mehr zusammenleben wollen würden. Die nun im gegenständlichen Verfahren dargestellten Neuerungen hinsichtlich des Fluchtgrundes, dass sich der Erstbeschwerdeführer von der Zweitbeschwerdeführerin getrennt hätte und deswegen vom Onkel mit dem Tod bedroht werden würde, seien zu keinem Zeitpunkt genügend substantiiert gewesen, um diese als glaubwürdig zu bezeichnen, oder um darin einen neuen Sachverhalt zu erkennen, da auch keinerlei Beweise zu dieser Behauptung hätten vorgelegt werden können. Die Begründung des neuerlichen Asylantrages reiche nicht aus, einen neuen gegenüber dem früheren Asylantrag wesentlich geänderten entscheidungsrelevanten Sachverhalt entstehen zu lassen. Für das Bundesamt würden die neu vorgebrachten Gründe keinerlei glaubhaften Kern aufweisen.
Die Zweitbeschwerdeführerin habe im Vorverfahren zusammengefasst angegeben, Sie wäre auf Grund des Krieges und aus Angst vor dem IS ausgereist. Darüber hinaus habe sie angegeben, dass Frauen in ihrem Heimatland keine Rechte hätten und sie wegen der Geschichte ihres Gatten, des Erstbeschwerdeführers, der mit einem Schüler beim Militär während der Sportausübung ein Problem gehabt hätte, diskriminiert worden wäre. Sie habe ebenso zu Protokoll gegeben, dass ihr Vater und ihr Bruder auf sie böse wären, da sie ihren Schleier nicht mehr tragen würde und ihr Bruder Sie deswegen ermorden würde. Diese Angaben im ersten Verfahren seien als nicht glaubhaft erachtet worden.
Im gegenständlichen Verfahren habe die Zweitbeschwerdeführerin ihre Bedrohungen im Irak nun damit erweitert, dass ihr Vater von der Trennung des Erstbeschwerdeführers erfahren und sie mit einer Sprachnachricht bedroht hätte. Aus Angst, dass ihr Vater sie töten könnte, wäre es ihr jetzt nicht mehr möglich, in den Irak zurückzukehren. Die nun im gegenständlichen Verfahren dargestellten Neuerungen hinsichtlich des Fluchtgrundes, dass sich die Zweitbeschwerdeführerin von ihrem Ehemann getrennt hätte und deswegen von ihrem Vater bedroht worden wäre, sei zu keinem Zeitpunkt genügend substantiiert gewesen, um diese als glaubwürdig zu bezeichnen oder um darin einen neuen Sachverhalt zu erkennen, da sie keinerlei Beweise zu dieser Behauptung vorlegen habe können. Die Begründung des neuerlichen Asylantrages reiche nicht aus, einen neuen gegenüber dem früheren Asylantrag wesentlich geänderten entscheidungsrelevanten Sachverhalt entstehen zu lassen. Der Zweitbeschwerdeführerin sei eine Frist bis 30.08.2018 gewährt worden, um die erwähnte Sprachnachricht des Vaters als Beweismittel vorzulegen, was sie jedoch unterlassen habe. Für das Bundesamt würden die von ihr neu vorgebrachten Gründe keinerlei glaubhaften Kern aufweisen. Die Rechtskraft des Erstverfahrens stehe damit einer neuerlichen inhaltlichen Entscheidung entgegen.
7. Gegen diese Bescheide richten sich die fristgerecht erhobenen Beschwerden, in denen im Wesentlichen vorgebracht wird, dass die Behörde ihren Ermittlungspflichten nicht in gehörigem Maße nachgekommen sei. Die belangte Behörde habe den Antrag auf internationalen Schutz abgewiesen, weil das Vorbringen als widersprüchlich und unglaubwürdig erachtet worden sei. Diese Annahme basiere auf einer unschlüssigen Beweiswürdigung. Dass sich die Lage im Irak seit der letzten Entscheidung nicht geändert habe, wie die Behörde behaupte, stehe in Widerspruch zu einer Gerichtsentscheidung im Verfahren G307 2179580, wo subsidiärer Schutz gewährt worden sei. Durch die kurzzeitige Trennung des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin in Deutschland bestünde eine begründete Furcht vor Verfolgung durch die Familienangehörigen im Irak.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind verheiratet sowie miteinander verwandt; der Erstbeschwerdeführer ist der Cousin der Zweitbeschwerdeführerin. Sie sind die Eltern des minderjährigen Drittbeschwerdeführers und der minderjährigen Viertbeschwerdeführerin. Die Beschwerdeführer sind irakische Staatsangehörige, Kurden und sunnitische Moslems. Sie stammen aus Suleymania. Sie stellten am 28.03.2016 die ersten Anträge auf internationalen Schutz.
Im ersten Verfahren gab der Erstbeschwerdeführer zu seinem Fluchtgrund an, dass er Soldat gewesen sei und im Militärdienst nicht mehr anwesend gewesen sei, weshalb man ihn als Verräter betrachtet habe. Einen Haftbefehl wegen Desertion gebe es nicht. Zusätzlich gebe es einen Bürgerkrieg zwischen den Parteien DPK und PUK sowie Probleme zwischen Schiiten und Sunniten und Probleme mit Goran. Im Irak herrsche Armut. Er habe im Mai 2014 Probleme mit einem Schüler gehabt, den er aufgefordert habe, Liegestütze zu machen. Dieser habe zu ihm gesagt, dass sie sich noch sehen würden. Einen Monat nach diesem Vorfall sei er nach Kirkuk versetzt worden. Auch andere Leute seien versetzt worden; bei ihm sei es aber wegen des persönlichen Problems mit dem Schüler gewesen. Am 02.04.2015 habe er dann den Drohbrief bekommen. Da dieser auf Arabisch geschrieben sei, habe er den Inhalt nicht ganz verstanden. Er glaube, dieser Drohbrief hänge mit verschiedenen Geschichten zusammen. Entweder mit seinem Namen oder mit dem Schüler. Von einem Freund habe er eine Liste mit Namen von Personen bekommen, die vom Militär gesucht würden. Auf die Frage, ob er alle Fluchtgründe genannt habe, gab Erstbeschwerdeführer an, weil sie jetzt hier seien und Alkohol getrunken hätten und seine Frau keinen Schleier mehr trage, würden ihre Familien denken, dass sie die westlichen Sitten angenommen hätten. Sie hätten gesagt, dass sie sie umbringen würden, wenn sie nicht von der Regierung umgebracht würden.
Die Zweitbeschwerdeführerin gab im ersten Verfahren zu ihrem Fluchtgrund an, dass sie persönlich keine Probleme gehabt habe. Ihr Mann habe Probleme mit einem Schüler gehabt, der Schiite sei. Wegen dieser Probleme seien sie im Juni 2014 nach Kirkuk verbannt bzw. geschickt worden. Am 01.04.2015 hätten sie einen Drohbrief bekommen. Am 09.02.2016 sei sie aus dem Irak ausgereist. Zu ihrem Fluchtgrund gab sie an, dass Frauen keine Rechte hätten. Sie habe die Schule beenden wollen, aber ihr Vater sei dagegen gewesen. Die Familie rede nicht mehr mit ihr, weil sie den Schleicher nicht mehr trage. Ihr Vater und ihr Bruder seien deswegen böse auf sie. Im Irak gebe es auch Krieg. Sie habe wegen der Sicherheitslage und wegen der Situation ihres Mannes das Land verlassen. Über die Probleme ihres Mannes wisse sie nichts Genaues. Der Drohbrief sei auf Arabisch verfasst und sie wisse nicht, das darin geschrieben sei. Den Drohbrief habe sie in der Erstbefragung nicht erwähnt, weil sie nicht danach gefragt worden sei. Im Falle eine Rückkehr würde sie von ihrem eigenen Bruder ermordet werden, weil sie den Hidschab nicht mehr trage. Ihre Kinder hätten keine eigenen Fluchtgründe.
Für die minderjährigen Dritt- und Viertbeschwerdeführer wurden keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht.
Mit Bescheiden des BFA vom 05.04.2018 wurden die Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG (Spruchpunkt I.) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak gemäß § 8 Abs. 1 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).
Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass das Vorbringen nicht nur vage, widersprüchlich und unplausibel gewesen sei, sondern im Zuge der Befragungen verspätet erstattet und massiv gesteigert worden sei. Das Vorbringen zum Drohbriefes habe der Erstbeschwerdeführer zu keinem Zeitpunkt mit konkreten und nachvollziehbaren Angaben untermauern können. Den Drohbrief habe er erst zwei Tage vor der Einvernahme beim BFA aus dem Internet ausgedruckt und er sei nicht individuell auf den Erstbeschwerdeführern abgestimmt. Die übrigen Beweismittel habe er nur in Kopie vorlegen können. Hätte es tatsächlich aufgrund eines Drohbriefes eine persönliche Verfolgung gegeben, dann wäre anzunehmen, dass er nicht ein weiteres knappes Jahr völlig unbehelligt in Suleymania verbringen hätte können. Besonders grobe Ungereimtheiten hätten sich auch zu seinem Vorbringen im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Soldat ergeben. Seine Angaben dazu seien verworren gewesen. Auf den vorgelegten Fotokopien sei der Erstbeschwerdeführer nicht einmal erkennbar. Auf tiefergehende Fragen habe der Erstbeschwerdeführer ausweichend reagiert, ohne eine konkrete substantiierte Antwort zu geben. Dies sei ein klarer Hinweis darauf, dass er nicht der behaupteten Tätigkeit nachgegangen sei. Der Erstbeschwerdeführer habe sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens nicht gleichbleibend schildern können.
Die Angaben der Zweitbeschwerdeführer zu den behaupteten Problemen seine vage und unsubstantiiert geblieben. Sie habe angegeben, niemals persönlich belangt, bedroht oder verfolgt worden zu sein. Sie habe keine konkreten Vorfälle genannt. Zudem sei auch die von ihrem Mann präsentierte Geschichte rund um seine angebliche Bedrohung auf Gemeinplätzen beschränkt gewesen und sehr vage geschildert worden. Hätte es tatsächlich einen Drohbrief gegeben, wäre zu erwarten gewesen, dass dieses Vorbringen bereits in der Erstbefragung erstattet worden wäre. Zusammenfassend sei festzustellen, dass eine persönliche Bedrohung oder Verfolgung nicht glaubhaft gemacht worden sei.
Diese Bescheide erwuchsen in Rechtskraft.
Danach reisten die Beschwerdeführer nach Deutschland, wo sie am 23.04.2018 erkennungsdienstlich behandelt wurden. Die Zweitbeschwerdeführerin kehrte mit den Dritt- und Viertbeschwerdeführern im August 2018 nach Österreich zurück und wies sich hier mit einer deutschen "Aufenthaltsgestattung zur Durchführung des Asylverfahrens" vom 07.06.2018 aus. Die Zweitbeschwerdeführerin stellte für sich und ihre Kinder am 07.08.2018 die zweiten Anträge auf internationalen Schutz. Der Erstbeschwerdeführer kehrte im September nach Österreich zurück und stellte am 03.09.2018 den zweiten Antrag auf internationalen Schutz.
Der Erstbeschwerdeführer war zunächst in Traiskirchen untergebracht und wurde am 16.10.2018 im Zuge einer Familienzusammenführung in die Betreuungsstelle nach XXXX überstellt, wo die Zweit- bis Viertbeschwerdeführer seit ihrer Rückkehr nach Österreich im August 2018 wohnten.
Zur Begründung des Folgeantrags gab die Zweitbeschwerdeführerin an, dass ihre alten Asylgründe noch immer aufrecht seien. Sie habe auch neue Gründe. Sie sei nach Ablehnung des Asylantrags mit ihrer Familie nach Deutschland gefahren. Auch der dort gestellte Asylantrag sei abgewiesen worden. Ihr Mann habe vorgeschlagen, nach Frankreich zu fahren. Das habe sie nicht gewollt und sei mit ihren Kindern nach Österreich zurückgekommen. Ihr Mann habe gemeint, dass sie befolgen müsse, was er sage. Ihr Mann wisse, dass sie jetzt in Österreich sei. Sie stelle erneut einen Antrag auf internationalen Schutz, weil ihr Mann und sie sich getrennt hätten. Ihr Mann werfe ihr vor, dass sie Schande über die Familie gebracht habe, weil sie ihn in Deutschland verlassen habe. Sie habe keinen Mann mehr und würde daher im Falle einer Rückkehr in den Irak von ihrem Vater getötet werden. Ihre Schwester habe dem Vater von der Trennung erzählt.
Der Erstbeschwerdeführer gab zur Begründung seines Folgeantrags an, dass seine alten Asylgründe aufrecht blieben. Er sei mit seiner Familie im April 2018 nach Deutschland gefahren. Dort hätten sie einen negativen Bescheid bekommen und sich Sorgen gemacht, dass sie von den deutschen Behörden nach Österreich und von Österreich in den Irak zurückgeschoben würden. Mit seiner Frau habe es Meinungsverschiedenheiten gegeben, da er nach Frankreich und seine Frau nach Österreich gewollt habe. Seine Frau sei dann mit den Kindern nach Österreich zurückgefahren. In seinem Stamm dürfe eine Frau nicht ohne Begleitung ihres Mannes frei herumlaufen. Nach dem Tod des Vaters habe sein Onkel väterlicherseits, der gleichzeitig sein Schwiegervater sei, die Stellung des Stammesführers übernommen. Dieser habe seinen Geschwistern gedroht, wenn der Erstbeschwerdeführer ihm in die Hände falle, werde er ihn umbringen. Diese Drohung sei dem Erstbeschwerdeführer gegenüber nicht selbst geäußert worden. Er habe das von seinen Geschwistern erfahren. Zu seinem Fluchtgrund gab er an, dass er innerhalb des Stammes keine würde mehr besitze und von den Angehörigen mit dem Tod bedroht werde. Dies sei zusätzlich zu seinen Gründen vom ersten Asylantrag.
Für die minderjährigen Dritt- und Viertbeschwerdeführer wurden keinen eigenen Fluchtgründe vorgebracht.
Die gesamte Familie der Beschwerdeführer lebt im Irak: Die Mutter, fünf Schwestern, ein Bruder, fünf Onkel und vier Tanten des Erstbeschwerdeführers und die Eltern, vier Schwestern und zwei Brüder der Zweitbeschwerdeführerin leben in Suleymania.
Die Beschwerdeführer sind in Österreich strafrechtlich unbescholten.
Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin haben jeweils einen Werte- und Orientierungskurs besucht und verfügen über ein ÖSD-Zertifikat A1. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind nicht Mitglied in einem Verein oder einer sonstigen Organisation in Österreich. Die Beschwerdeführer befinden sich in der Grundversorgung. Sie sind nicht erwerbstätig. Der Drittbeschwerdeführer und die Viertbeschwerdeführerin besuchen die Schule und sprechen Deutsch. Die Beschwerdeführer haben Freunde in Österreich, jedoch keine Verwandte.
Hinsichtlich der Lage im Irak schließt sich das Bundesverwaltungsgericht den schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen des BFA an. Diese Länderfeststellungen werden auch der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes zu Grunde gelegt. Zusammengefasst gelangt das Bundesverwaltungsgericht daher insbesondere zu folgenden die asyl- und abschiebungsrelevante Lage betreffenden Feststellungen:
KI vom 18.5.2018: Parlamentswahlen
Am 12.5.2018 wurden im Irak Parlamentswahlen abgehalten. Die Wahlbeteilung lag bei 44,5 Prozent - die niedrigste Beteiligung seit dem Sturz Saddam Husseins 2003 (Die Presse 13.5.2018). Als Sieger geht das Wahlbündnis Sa'irun des schiitischen Geistlichen Muqtada al-Sadrs hervor, das nicht mehr vom ersten Platz zu verdrängen ist (Spiegel Online 17.5.2018). Auf zweitem Platz liegt, nach ersten Ergebnissen, das Fatah Bündnis des Milizenführers Hadi al-Ameri, der eng mit den iranischen Revolutionsgarden verbunden ist (Die Presse 13.5.2018). Die Nasr Allianz des amtierenden Ministerpräsidenten Haider al-Abadi kommt im Zwischenergebnis nur auf den dritten Platz (NZZ 15.5.2018).
Obwohl die Wahlkommission die Resultate der Wahl zunächst schon am 14.5.2018 veröffentlichen wollte, liegt bis dato kein offizielles Endergebnis vor (Spiegel Online 17.5.2018). Anschuldigungen von Wahlbetrug in der zwischen Kurden und irakischer Zentralregierung umstrittenen Stadt Kirkuk verzögern die Veröffentlichung der Endergebnisse (The Washington Post 17.5.2018). Laut Wahlkommission belagerten Bewaffnete am Mittwoch, den 16.5.2018, etliche Wahllokale in der Stadt und hielten Mitarbeiter der Wahlkommission in Geiselhaft (Reuters 16.5.2018). Der Gouverneur von Kirkuk sowie der Leiter der Exekutivorgane, Generalmajor Maan al-Saadi, bestritten dies und erklärten, dass die Lage stabil sei und es sich um friedliche und unbewaffnete Proteste um die Wahllokale herum handle (The Washington Post 17.5.2018; Reuters 16.5.2018).
Quellen:
? Neue Züricher Zeitung (15.5.2018): Der Überraschungssieger in der Parlamentswahl öffnet neue Horizonte für den Irak, https://www.nzz.ch/international/irak-ueberraschender-wahlsieg-bei-parlamentswahl-oeffnet-horizonte-ld.1386066, Zugriff 18.5.2018
? Die Presse (13.5.2018): Irak-Wahl: Niedrigste Beteiligung seit Sturz Saddam Husseins,
https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5425941/IrakWahl_Niedrigste-Beteiligung-seit-Sturz-Saddam-Husseins, Zugriff 18.5.2018
? Reuters (16.5.2018): Iraqi election commission says Kirkuk voting stations under siege, staff inside, https://www.reuters.com/article/us-iraq-election-kirkuk/iraqi-election-commission-says-kirkuk-voting-stations-under-siege-staff-inside-idUSKCN1IH1YA, Zugriff 18.5.2018
? Der Spiegel Online (17.5.2018): Die Wandlung des "Mullah Atari", http://www.spiegel.de/politik/ausland/irak-wahl-muqtada-al-sadrs-wandlung-von-hardliner-zum-versoehner-a-1207894.html, Zugriff 18.5.2018
? The Washington Post (17.5.2018): During wait for Iraqi election results, political blocs scramble for influence, https://www.washingtonpost.com/world/during-wait-for-iraqi-election-results-foreign-states-scramble-for-influence/2018/05/17/a1d111d0-59da-11e8-9889-07bcc1327f4b_story.html?noredirect=on&utm_term=.beca16f25693, Zugriff 18.5.2018
KI vom 23.11.2017: Weitere Entwicklungen im Anschluss an das Kurdenreferendum, weitere Rückeroberungen von IS-Gebiet und Update Sicherheitslage mit Fokus auf Bagdad.
Am 29.10.2017 erklärte Mas'ud Barzani seinen Rücktritt als Präsident der kurdischen Region. Er lehnte in einem Brief an das kurdische Parlament eine Verlängerung seines Mandats über den 1.11.17 hinaus ab (IFK 6.11.2017). Barzani bleibt Vorsitzender der KDP (Kurdistan Democratic Party) und somit weiterhin ein wichtiger politischer Akteur. Die weiter andauernde Lähmung des kurdischen Regionalparlamentes versetzt die beiden Parteien KDP und PUK (Patriotische Union Kurdistans) weiterhin in die Lage, politische Entscheidungen ohne die Einbeziehung der Partei Goran oder anderer Parteien zu treffen (CR 14.11.2017).
Nach der Offensive der irakischen Armee und der PMF (Popular Mobilization Forces) in die von den Kurden kontrollierten Gebiete, besteht derzeit ein Waffenstillstand, es herrscht jedoch weiterhin Unsicherheit, nicht nur bezüglich der weiteren Vorgehensweise der irakischen Regierung, sondern auch die wirtschaftliche Situation Kurdistans betreffend. Unterdessen gibt es neue Beweise dafür, dass im Zuge der Offensive in den vorwiegend kurdischen Gebieten Plünderungen, Brandstiftungen, Häuserzerstörungen und willkürliche Angriffe offenbar insbesondere von Seiten der PMF (auch von Seiten turkmenischer PMF-Milizen) stattfanden. Tausende haben dabei ihre Häuser, ihre Geschäfte und ihre sonstigen Besitztümer verloren. (AI 24.10.2017; Bas 14.11.2017; HRW 20.10.2017).
Laut den Vereinten Nationen (VN) kam es im Zuge der Offensive der irakischen Regierung zur Vertreibung von zehntausenden Menschen aus den sogenannten "umstrittenen Gebieten". 180.000 Menschen sind (mit Stand 18.11.2017) nach wie vor vertrieben, 172.000 sind zurückgekehrt. Die meisten dieser Vertriebenen sind Kurden, aber auch Mitglieder anderer Minderheiten, einschließlich sunnitischer Araber und Turkmenen. Die meisten Vertriebenen lebten in den Städten Kirkuk, Daquq (Provinz Kirkuk), sowie Tuz Khurmatu (Rudaw 18.11.2017). Aus Furcht vor Repressalien kehren sie derzeit nicht in ihre Heimatgebiete zurück (Reuters 9.11.2017).
Am Abend des 12.11.2017 fand in der Grenzregion zwischen Iran und Irak ein Erdbeben der Stärke 7,3 statt. Im Irak war dabei die an der Grenze zum Iran befindliche Stadt Halabja (im Autonomen Kurdengebiet) am stärksten betroffen. Acht Menschen starben im Irak, mehr als 500 wurden verletzt und hunderte Familien wurden obdachlos. Zumindest drei Gesundheitszentren wurden beschädigt. Verglichen mit dem Iran war der Irak deutlich geringer von dem Erdbeben betroffen (UNFPA 19.11.2017).
Im Zuge der Rückeroberungen von IS-Gebieten (IS: sogenannter Islamischer Staat) werden weiterhin Massengräber gefunden. Zuletzt wurde in der Nähe der Militärbasis al-Bakara etwa drei Kilometer vor der Stadt Hawija ein Grab mit mindestens 400 Toten (mutmaßlichen IS-Opfern) entdeckt (MOI 3.11.2017; Standard 11.11.2017). Umgekehrt treten weitere Berichte von Racheakten von Seiten der Befreier zutage, laut Nahostexpertin Gudrun Harrer scheint der Zyklus der Gewalt mit dem Sieg über den IS nicht unterbrochen (Harrer 24.11.2017). Mehr als 3,1 Millionen Iraker (die überwältigende Mehrheit Sunniten) sind weiterhin Vertriebene. Weitere 2,3 Millionen sind in ihre Heimatgebiete zurückgekehrt. Für den Wiederaufbau ihrer Städte erhielten die Sunniten nicht viel Hilfe von der Zentralregierung, die sich mehr auf die Bekämpfung/Zurückdrängung des IS und zuletzt der Kurden konzentrieren (NYTimes 26.10.2017).
Ab dem 3.11.2017 mit Stand 17.11.2017 wurden die drei letzten irakischen Städte, die sich noch unter der Kontrolle des IS befanden, Al-Qaim, Ana und Rawa (alle drei im Westen des Landes) von den irakischen Streitkräften zurückerobert. Laut der US-geführten Koalition zur Bekämpfung des IS hat dieser nun 95 Prozent jener irakischen und syrischen Territorien verloren, welches er im Jahr 2014 als Kalifat ausgerufen hatte (Telegraph 17.11.2017; IFK 6.11.2017). Das Wüstengebiet nördlich der drei Städte bleibt vorerst weiterhin IS-Terrain. Die Gebiete rund um Kirkuk und Hawija gehören zu jenen Gebieten, bei denen das Halten des Terrains eine große Herausforderung darstellt. (MEE 16.11.2017; Reuters 5.11.2017; BI 13.11.2017). Es stellt sich auch die Frage, wo sich jene IS-Kämpfer aufhalten, die, nicht getötet wurden oder die nicht in Gefängnissen sitzen (Alleine in Mossul gab es vor der Rückeroberung 40.000 IS-Kämpfer). Viele sind in die Wüste geflohen oder in der Zivilbevölkerung untergetaucht. Es gab es auch umstrittene Arrangements, die den Abzug von IS-Kämpfern und ihren Familien erlaubten. Der IS ist somit nicht verschwunden, nur sein Territorium [mit Einschränkungen s.u.] (Harrer 24.11.2017).
Seit der IS Offensive im Jahr 2014 ist die Zahl der Opfer im Irak nach wie vor nicht auf den Wert der Zeit zwischen 2008 - 2014 zurückgegangen, in der im Anschluss an den konfessionellen Bürgerkrieg 2006-2007 eine Phase relativer Stabilität einsetzte (MRG 10.2017; vgl. IBC 23.11.2017). Von dem Höchstwert von 4.000 zivilen Todesopfern im Juni 2014 ist die Zahl 2016 [nach den Zahlen von Iraq Body Count] auf 1.500 Opfer pro Monat gesunken; dieser sinkende Trend setzt sich im Jahr 2017 fort (MRG 10.2017). Nach den von Joel Wing dokumentierten Vorfällen, wurden in den Monaten August, September und Oktober 2017 im Irak 2.988 Zivilisten getötet (MOI 9.-11.2017). Zu diesen Zahlen gelten die im Länderinformationsblatt Irak in Abschnitt 3.1 erwähnten Einschränkungen und Anmerkungen - kriminelle Gewalt wurde in dieser Statistik nur zum Teil berücksichtigt, Stammesgewalt gar nicht .
Bagdad:
Obwohl der IS Bagdad [kontrollgebietsmäßig] nie erreicht hat, verzeichnete die Hauptstadt laut Angaben der UN jeweils entweder die höchste oder die zweithöchste - nach der Provinz Ninewa - Anzahl an zivilen Todesopfern. Um ein Beispiel zu nennen: UNAMI berichtet, dass im Februar 2017 120 Zivilisten getötet und 300 verletzt wurden. In demselben Monat im Jahr 2016 war Bagdad der am stärksten betroffene Bezirk, UNAMI berichtete von 277 Todesopfern und 838 Verletzten. (Update: Für den Monat Oktober 2017 berichtet UNAMI 177 zivile Opfer (38 Tote, 139 Verletzte). Wichtig ist, anzumerken, dass diese Zahlen ausschließlich verifizierte Opfer inkludieren und als das absolute Minimum gesehen werden müssen [Anm.: Es gelten die in Abschnitt 3.1 des LIB Irak getätigten Aussagen und Anmerkungen]. Zum Beispiel beinhalten sie auch nicht jene Opfer, die in manchen Teilen der Stadt regelmäßig tot aufgefunden und geborgen werden (MRG 10.2017; UNAMI 1.11.2017). Nach wie vor kommt es in Bagdad täglich zu sicherheitsrelevanten Vorfällen mit zivilen Opfern (Wing 9.-11.2017; vgl. IBC 28.2.2017). Laut Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes ist in Bagdad weiterhin mit schweren Anschlägen insbesondere auf irakische Sicherheitsinstitutionen und deren Angehörige, auf Ministerien, Hotels, öffentliche Plätze und religiöse Einrichtungen zu rechnen (AA 23.11.2017). Für die fragile Sicherheitssituation in der Hauptstadt gibt es zahlreiche Gründe. Abgesehen davon, dass es ein attraktives Ziel für Anschläge ist, beherbergten und beherbergen die Gebiete rund um Bagdad historisch entstandene Terrorzellen, u.a. von Al-Qaeda und dem IS. Dies ist insbesondere in der Nachbarprovinz Anbar im Westen, sowie im Bezirk Jurf al-Sakhar in der Provinz Babil der Fall. Dazu kommen die äußeren Bezirke Bagdads, dem sogenannten "Bagdad-Belt", der aus spärlich besiedelten ländlichen Gegenden besteht, in denen sich bewaffnete Gruppen leicht verstecken können.
Die Acht-Millionenmetropole Bagdad hat eine höhere Kriminalitätsrate als jede andere Stadt des Landes. Hauptverantwortlich dafür ist der schwache staatliche Sicherheitsapparat sowie die schwache Exekutive. Seit dem Krieg gegen den IS verblieb in Bagdad aufgrund von Militäreinsätzen in anderen Teilen des Landes phasenweise nur eine geringe Zahl an Sicherheitspersonal. Da große Teile der Armee im Sommer 2014 abtrünnig wurden, sind zum Wiederaufbau der Armee mehrere Jahre nötig. Gleichzeitig erschienen bewaffnete Gruppen, vor allem Milizen mit Verbindungen zu den 'Popular Mobilization Forces' (PMF), auf der Bildfläche, mit divergierenden Einflüssen auf die Stabilität der Stadt. Der Zusammenbruch der Armee führte zusätzlich zu einem verstärkten Zugang und zu einer größeren Verfügbarkeit von Waffen und Munition. Dazu kommt die Korruption, die in allen Einrichtungen des Sicherheitsapparates und der Exekutive herrscht. Trotz dieser Probleme gibt es aktuell eine Verbesserung der Situation, die sich auch auf die Meinung der Bewohner über den irakischen Gesetzesvollstreckungsapparat auswirkt. Obwohl konfessionell bedingte Gewalt in Bagdad existiert, ist die Stadt nicht in gleichem Ausmaß in die Spirale der konfessionellen Gewalt des Bürgerkriegs der Jahre 2006-2007 geraten. Stattdessen kommt es zu einem Anstieg der Banden-bedingten Gewalt (Bandenkriege), die meist finanziell motiviert sind, in Kombination mit Rivalitäten zwischen Sicherheitskräften/-akteuren (MRG 10.2017).
Terrorattacken:
Terrorattacken werden meist mit verschiedenen Arten von IEDs (Improvised Explosive Devices) ausgeführt, inklusive am Körper getragene ('body-born' oder BBIEDs, in Fahrzeugen transportierte ('vehicle-borne' oder S/VBIEDs) und unter Fahrzeugen befestigte Sprengfallen ('under-vehicle-borne' oder UVBTs). Dabei handelt es sich um typische Taktiken des IS. Sie zielen dabei auf große Menschenansammlungen wie z.B. auf Märkten, in Einkaufszentren und Moscheen ab, wo der Kollateralschaden maximiert werden kann. Auch wenn diese Attacken alle Teile der Stadt treffen können, sind [ethno-religiös] gemischte Gebiete besonders gefährdet. Auch werden Kontrollpunkte regelmäßig angegriffen mit dem Ziel Sicherheitskräfte zu schwächen. Wegen des hohen Verkehrsaufkommens werden an den Kontrollpunkten selten sorgfältige Fahrzeugdurchsuchungen durchgeführt, weshalb das Problem schwer einzudämmen ist (MRG 10.2017).
Es sollte auch erwähnt werden, dass UVBTs besonders häufig verwendet werden, um Individuen zu attackieren. Diese Attentate können durch persönliche oder stammesbezogene Auseinandersetzungen motiviert sein, in spezifischen Fällen sind sie politisch motiviert.
Kidnappings und Entführungen:
Kidnappings und Entführungen kommen überall in Bagdad vor, unterscheiden sich aber in Häufigkeit und Art der Opfer. Man kann generell zwischen finanziell motivierten Entführungen und denen, die politisch oder persönlich motiviert sind, unterscheiden. Während erstere von kriminellen Gangs begangen werden, werden die politisch oder persönlich motivierten von bewaffneten Gruppen oder Individuen ausgeführt. Geschätzte 65-75 Prozent können als kriminelle Akte kategorisiert werden, während zwischen einem Viertel und einem Drittel als politisch oder als Folge von persönlichen Auseinandersetzungen gesehen werden können. Die zentralen und relativ wohlhabenden Bezirke Karkh und Rusafa zeigen die höchsten Zahlen an Kidnappings und sind für etwa die Hälfte der dokumentierten Fälle des gesamten Gouvernements verantwortlich (MRG 10.2017).
Obwohl die offiziellen Daten nicht veröffentlicht wurden zeigt eine Aufzeichnung des Innenministeriums, dass in den ersten neun Monaten des Jahres 2016 in Bagdad zumindest 700 Kidnappings stattgefunden haben (MRG 10.2017).
Allerdings können sich diese in vielen Fällen überschneiden. Es wurde zum Beispiel berichtet, dass schiitische Milizen Kidnappings und Erpressungen als einkommensgenerierende Aktivitäten einsetzen. Während es sich dabei um einen kriminellen Akt handelt, kann zusätzlich auch ein politisches oder religiöses Motiv dahinter stehen. Milizen haben z.B. Mitglieder anderer Gruppen entführt und verschleppt. Opfer der von den Gruppen durchgeführten Kidnappings sind tendentiell eher Sunniten als Schiiten. Es ist auch häufig, dass Milizen Kidnappings in Gegenden, die nicht unter ihrer eigenen Kontrolle stehen, ausführen, etwa um ihre Reputation in den von ihnen kontrollierten Gebieten nicht aufs Spiel zu setzen (MRG 10.2017).
Da es zu Protesten in der Bevölkerung kam, und zu Forderungen an den Staat, Maßnahmen zu ergreifen, wurde in den letzten zwei Jahren das Thema Kidnappings in der Öffentlichkeit diskutiert. Immer wieder kam es zu Wellen von Entführungen, die gegen bestimmte Professionen und Gruppen der Gesellschaft gerichtet waren. Anfang 2017 tauchten Berichte auf, dass Sicherheitskräfte eine kriminelle Gruppe zu identifizieren suchten, die auf die Entführung von Kindern in der Gegend um Bagdad al-Jadida spezialisiert war. Im August 2017 veröffentlichte Niqash einen Artikel über eine vor Kurzem vorgefallene Serie an Kidnappings, die gegen Ärzte und medizinisches Personal gerichtet waren. Diese wurden von kriminellen Banden durchgeführt, aber auch von Stämmen, die Wiedergutmachung für Verwandte forderten, die nicht behandelt werden konnten oder die im Spital verstorben waren. Im Mai 2017 wurde eine Gruppe von Studenten und Anti-Korruptions-Aktivisten gekidnappt, angeblich von einer Miliz. Dennoch war einer der meist diskutierten Fällen die Entführung von Afrah Shawqi, einem Journalisten, der nur wenige Tage davor einen Artikel im Al-Sharq al-Awsat über die Straffreiheit von schiitischen Milizen im Irak veröffentlicht hatte. In beiden Fällen wurden die Opfer freigelassen, nachdem großer öffentlicher Druck auf den Premierminister selbst, sowie auf das Innenministerium ausgeübt worden war. Regierungsbeamte und andere politische Führungskräfte wurden ebenso ins Visier genommen wie z.B. bei jenem Fall eines hohen Beamten des Justizministeriums, der im September 2015 gekidnappt wurde, oder jenem Fall eines sunnitischen Stammesführers, dessen Entführung und Ermordung Anlass zu einer Kampagne von Amnesty International wurde (MRG 10.2017).
All diese Fälle haben Regierung und Sicherheitsdienste gezwungen, sich aktiver diesem Problem zu widmen. In vergangenen Jahren, sowie auch in den Jahren 2006-2007, war die Exekutive beinahe gänzlich außerstande, mit dieser Art der Gewalt umzugehen. Heute spricht Premierminister Abadi, der sich manchmal persönlich in Fälle involviert, lautstark über die Bedenken der Bevölkerung, und unternimmt Schritte, um die Kapazitäten der Gesetzesvollstreckung auszuweiten. Dennoch werden Milizen in erfolgreichen Fällen - wenn es Sicherheitskräften gelingt, Banden zur Anklage bringen - selten erwähnt. Es ist praktisch unmöglich einzuschätzen, wie oft die von den Sicherheitskräften Verhaftungen Mitglieder von Milizen einschließen, da Fälle von Kidnappings mit Lösegeldforderungen einfach als kriminelle Akte kategorisiert werden. Dies kann nur durch anekdotische Hinweise und durch Zeugenaussagen belegt werden. Allerdings besteht das Problem, dass die Opfer oft selber nicht wissen woher die Bedrohung kommt oder wer der Empfänger des geforderten Lösegeldes ist (MRG 10.2017).
Schießereien mit Handfeuerwaffen:
Was die Verwendung von Handfeuerwaffen betrifft, können generelle Muster zwischen dem zentralen Gebiet und der Peripherie der Provinz Bagdad unterschieden werden. Morde und Anschläge auf Zivilisten sind innerhalb der Stadt Bagdad weiter verbreitet, die Bezirke Karkh, Rusafa und Adhamiya sind diesbezüglich überrepräsentiert. Diese Anschläge richten sich z.B. gegen Geschäftsbesitzer, Anwälte sowie Angestellte der Regierung. Schießereien kommen auch in Verbindung mit Raubüberfällen vor. Zusätzlich stehen viele Tötungen in Verbindung mit Kidnappings, bei denen das Lösegeld nicht gezahlt wurde.
Im Gegensatz dazu sind Vorfälle mit Handfeuerwaffen im 'Bagdad Belt' üblicherweise gegen Sicherheitsdienste wie die Iraqi Security Forces (ISF) und Mitglieder von sunnitischen und schiitischen Milizen gerichtet, und finden meistens bei Kontrollpunkten statt. Dies kann man in Abu Ghraib, Mahmudiya und Tarmiya beobachten. Diese Gebiete verzeichnen auch eine große Anzahl an Schießereien in Verbindung mit stammesbezogenen Auseinandersetzungen (MRG 10.2017).
Konfessionalismus und Diskriminierung:
Konfessionalismus und Diskriminierung sind weiterhin ein weit verbreitetes Phänomen in Bagdad, wenn sie auch nicht dasselbe Ausmaß an Gewalt erreicht haben, der während des konfessionellen Krieges in den Jahren 2006-2007 dokumentiert wurde. Dies anzumerken, ist von wichtig, weil von vielen angenommen wurde, dass durch das Ausbreiten des IS ab 2014 frühere Muster an Gewalt nach Bagdad zurückkehren würde. Das hat er auch, allerdings in einem geringeren Ausmaß. Wie diverse Menschenrechtsberichte gezeigt haben, fachen Terrorattacken des IS in Bagdad viele Arten an Vergeltungsmaßnahmen gegen sunnitische Zivilisten an, die vorwiegend von schiitischen Milizen begangen werden. Diese beinhalten Kidnappings, Ermordungen sowie ungesetzlichen Freiheitsentzug. Dennoch ist der offensichtlichere Konfessionalismus - bei dem sunnitische Bewohner Kontrollpunkte nicht passieren konnten ohne namentlich aufgerufen zu werden und manchmal schikaniert oder festgenommen wurden - heute relativ selten. Dies trifft allerdings nicht auf sunnitische Internvertriebene (IDPs) zu, die in der Provinz Bagdad regelmäßig diskriminiert werden. Nachdem der IS in großen Teilen von Anbar und Salah al-Din die Macht ergriffen hatte, flohen Tausende nach Bagdad. In vielen Fällen war es ihnen von vorne herein nie gestattet, in die Provinz einzureisen. Die, die es dennoch geschafft haben, berichten von extrem eingeschränkter Reisefreiheit (da Personalausweise aufzeigen in welchem Gouvernement sie ausgestellt wurden), von Schwierigkeiten, als Gebietsfremde des Gouvernements an wesentliche Dokumente zu gelangen, sowie von Schikanen aufgrund des Pauschalverdachts der IS-Zugehörigkeit. Für Internvertriebene besteht, aufgrund fehlender Netzwerke für persönliche Unterstützung, auch ein größeres Risiko, entführt zu werden.
Eine weitere Seite des Konfessionalismus sind Verhaftungen, oft willkürlich, welche meist in Verbindung mit einer Anklage wegen Terrorismus nach Artikel 4 vollzogen werden und beinahe ohne Ausnahme Sunniten betreffen. Diese Festnahmen sind nach Terroranschlägen häufig, wenn Sicherheitsdienste Durchsuchungsaktionen durchführen, um Mitglieder oder Unterstützer des IS ausfindig zu machen (MRG 10.2017).
Kleinere Gemeinschaften, inklusive Minderheiten und solche, die sich ineiner Minderheitssituation wiederfinden, stehen unter signifikantem Risiko. Die Anzahl an Christen in Bagdad nimmt unter dieser Bedrohungssituation weiterhin ab, wenn auch kleine christliche Gemeinden in gemischten Bezirken bestehen bleiben; so auch in Karkh und in Karrada und Palästina. Faili-Kurden (schiitische Kurden), einschließlich jener, die in Sadirya und im südlichen Teil Bagdads leben, haben unter Bombenangriffen gelitten und berichten von erhöhten Spannungen, die in Zusammenhang mit dem kurdischen Unabhängigkeitsreferendum stehen. Palästinenser, die vorwiegend in al-Baladiyat leben, sind diesen gezielten Attacken ebenso ausgesetzt und bleiben weiterhin besonders gefährdet (MRG 10.2017).
Sicherheitskräfte in der Provinz Bagdad:
Irakische Sicherheitskräfte (ISF):
Die ISF werden in Bagdad vom 'Baghdad Operations Command' (BOC) repräsentiert, Geheimdienste und irakische Polizeieinheiten, die im Bagdad Gouvernement agieren, sind dem Verteidigungsministerium unterstellt. Der BOC besteht aus mehreren Brigaden, die der 6., 11. und 17. Abteilung der irakischen Armee angehören, sowie aus spezialisierten Militär- und Polizei-Einheiten, inklusive Bereitschaftspolizei und Schutzeinheiten für Diplomaten. Die irakische Armee ist gemeinsam mit staatlichen und lokalen Polizeieinheiten für die Sicherheit verantwortlich. Zusätzlich zu regulären Sicherheitsfunktionen, sind die ISF gemeinsam mit Einheiten, die in Verbindung zum Innenministerium stehen, für die Überprüfung von Internvertriebenen und Rückkehrern und damit in Zusammenhang stehende Regulierungen zuständig (MRG 10.2017).
Polizeikräfte werden oft als Erweiterung der Badr-Partei gesehen. Darüber hinaus wird das Polizeikorps, abgesehen von Teilen der Staatspolizei, als schwer korrupt erachtet. In wenigen Ausnahmen sind Offiziere der Staatspolizei ehemalige Offiziere der Armee und werden als weniger korrupt und konfessionalistisch gesehen. Die meisten sind allerdings durch politische Einflussnahme und Vereinbarungen verschiedener Parteien an ihre Position gelangt (MRG 10.2017).
Im Allgemeinen vertraut die Bevölkerung eher der Armee als der Polizei. Die Mehrheit der Bewohner Bagdads, die in einer Umfrage einer NGO befragt wurden, ob sie in einer Notsituation die Polizei kontaktieren würden, sagten sie würden erst versuchen, das Problem selbst zu beheben. Knapp unter 50 Prozent meinten, sie würden der Polizei unter keinen Umständen Bericht erstatten. Im Vergleich dazu:
über 70 Prozent derer, die in Gebieten leben, in denen die Armee für die Sicherheit verantwortlich ist, gaben an, sie würden, wenn nötig, ihre lokalen Sicherheitskräfte kontaktieren. In derselben Umfrage wurden Bewohner gefragt, ob sie jemals Bestechungsgeld gezahlt hätten, um Unterstützung von offiziellen Sicherheitskräften zu erhalten, was 30 Prozent der Befragten bejahten. Zuletzt wurden Bewohner gefragt ob sich die Sicherheits-Situation in Bagdad verbessern oder verschlechtern würde, worauf beinahe 70 Prozent antworteten, das sie sich verbessere (MRG 10.2017).
Islamischer Staat (IS):
Der IS konnte Mitte 2014 Gebiete im Provinz Bagdad nicht unter seine Kontrolle bringen. Allerdings hat sich IS-Aktivität mehrmals vom angrenzenden Provinz Anbar in den westlichen Bezirk Abu Ghraib ausgeweitet. Teile des 'Bagdad-Belt' sind historisch gesehen Unterstützungsgebiete des IS, welche IS-Attacken in zentraler gelegenen Gebieten Bagdads ermöglichen (MRG 10.2017).
In der Provinz Bagdad beschränken sich die Aktivitäten des IS vor allem auf "unkonventionelle Attacken" gegen Zivilisten und hochrangige Opfer - in erster Linie durch die Verwendung von IEDs (MRG 10.2017).
Popular Mobilization Forces (PMF):
[Erläuterungen zu den PMF siehe auch Länderinformationsblatt Irak Abschnitt 3.2.2]
Während die PMF generell auf Schlachtfeldern quer durch das Land eingesetzt wurden, bewahren einige eine signifikante Präsenz in Bagdad. Die älteren und größeren [überwiegend schiitischen] Milizen sind jene, die vorwiegend als aktive Gruppen einen Teil der Sicherheitskräfte der Stadt repräsentieren. [...] Sunnitische Milizen kommen in der Stadt Bagdad nicht vor, aber sehr wohl in manchen Teilen des 'Bagdad-Belt', besonders in den Bezirken, die an Anbar und das Gouvernement Salah al-Din grenzen, inklusive Taji, Tarmiya und Abu Ghraib. Auf lokaler Ebene agieren PMF-Einheiten parallel und oft im Konflikt mit den ISF. Bewaffnete Konflikte zwischen ISF und PMUs, wenn auch selten, wurden im Gouvernement Bagdad beobachtet. Während die PMF weitläufig von der schiitischen Bevölkerung unterstützt werden, wurden sie beschuldigt, Menschenrechtsverletzungen gegen sunnitische Zivilisten in Gebieten begangen zu haben, die vom IS zurückerobert wurden, - wie von diversen Organisationen wie z.B. Human Rights Watch, Amnesty International und Minority Rights Group dokumentiert wurde. Berichterstattung dieser Art tendiert dazu, sich auf die Gouvernements zu konzentrieren, in denen in den letzten zwei Jahren Militäreinsätze stattgefunden haben - wie in etwa in Anbar, Ninewa und Salah al-Din - sowie auf Gebiete, in denen außer Frage steht, dass Milizen ungestraft agierten. Aufgrund dessen werden Menschenrechtsverletzungen innerhalb des Gouvernements Bagdad nicht so eingehend verfolgt (MRG 10.2017).
Im Folgenden werden einige Beispiele der wichtigsten PMF-Milizen aufgezählt, die in Bagdad operieren: Badr-Organisation, Asaib Ahl al-Haq, Saraya al-Salam, Saraya al-Khorasani, Kataib Hizbullah (MRG 10.2017).
Quellen:
-
AA-Auswärtiges Amt (23.11.2017): Irak: Reisewarnungen, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/irak-node/iraksicherheit/202738#content_1, Zugriff 23.11.2017