Entscheidungsdatum
27.02.2019Norm
B-VG Art.133 Abs4Spruch
G306 2213277-1/2E
Beschluss
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dietmar MAURER als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX, geb. XXXX,
StA.: Norwegen, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Flüchtlingshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für
Fremdenwesen und Asyl, vom 20.12.2018, Zl. XXXX, beschlossen:
A) In Erledigung der Beschwerden wird der bekämpfte Bescheid zur Gänze
a u f g e h o b e n und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl
z u r ü c k v e r w i e s e n .
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
Verfahrensgang und Sachverhalt:
Seit wann sich die Beschwerdeführerin (BF) durchgehend in Österreich aufhält ist nicht festgestellt. Die BF ist seit dem XXXX.2016 durchgehend in diversen Justizanstalten mit Hauptwohnsitz gemeldet.
Die BF wurde mit Beschluss des Landesgericht für Strafsachen XXXX vom XXXX.2016, Zahl XXXX in Untersuchungshaft genommen.
Mit dem Schreiben des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 08.09.2016 wurde die BF aufgefordert, sich zur beabsichtigten Erlassung eines Aufenthaltsverbots zu äußern. Sie erstattete keine Stellungnahme.
Mit Urteil des Landesgericht für Strafsachen XXXX vom XXXX.2016, rk XXXX.2017, Zahl XXXX, wurde die BF gemäß § 21 Abs. 1 StGB in eine Anstalt für abnorme Rechtsbrecher eingewiesen. Die BF beging eine Tat, die mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist. Wäre ihr die Tat zuzurechnen gewesen, so hätte sie das Verbrechen der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs. 4 StGB begangen. Eine dagegen eingebrachte Berufung wurde vom OLG XXXX, nicht Folge gegeben.
Mit dem oben genannten Bescheid wurde gegen die BF gemäß § 67 Abs 1 und 3 FPG ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 70 Abs 3 FPG kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.) und einer Beschwerde gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.). Das Aufenthaltsverbot wurde im Wesentlichen mit der Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher der BF, begründet.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde der BF mit den Anträgen, das Aufenthaltsverbot aufzuheben, in eventu, die Dauer herabzusetzen, in eventu den Bescheid zu beheben und zur Verfahrensergänzung an die Behörde zurückzuverweisen; eine mündliche Verhandlung anzuberaumen sowie ein psychiatrisches Gutachten erstellen zu lassen; die Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, in eventu die ordentliche Revision zuzulassen.
Das BFA legte die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vor, wo sie am 25.01.2019 einlangten.
Beweiswürdigung:
Der oben angeführte Sachverhalt ergibt sich aus dem Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und des Gerichtsakts des BVwG. Entscheidungswesentliche Widersprüche liegen nicht vor.
Rechtliche Beurteilung:
Die BF ist als Staatsangehöriger von Norwegen EWR-Bürger iSd § 2 Abs 4 Z 8 FPG.
Gemäß § 67 Abs 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet ist. Das Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können diese Maßnahmen nicht ohne weiteres begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen EWR-Bürger, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch den Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Gemäß § 67 Abs 2 FPG kann ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden. Wenn der EWR-Bürger eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt (so etwa, wenn er zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren verurteilt wurde), kann das Aufenthaltsverbot gemäß § 67 Abs 3 FPG auch unbefristet erlassen werden.
Bei Erlassung eines Aufenthaltsverbots ist eine einzelfallbezogene Gefährdungsprognose zu erstellen, bei der das Gesamtverhalten des Betroffenen in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen ist, ob und im Hinblick auf welche Umstände die maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache einer Verurteilung oder Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (VwGH 19.02.2014, 2013/22/0309).
Gemäß § 28 Abs 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG (Bescheidbeschwerden) in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z 2). Gemäß § 28 Abs 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, wenn die Voraussetzungen des Abs 2 nicht vorliegen, im Verfahren über Bescheidbeschwerden in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist dann an die rechtliche Beurteilung gebunden, von der das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
Die Zurückverweisungsmöglichkeit gemäß § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG ist eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte. Eine Aufhebung des Bescheids kommt nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht oder seine Feststellung durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher insbesondere dann in Betracht, wenn die Behörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Behörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.
Die Verwaltungsgerichte haben nicht nur bei Vorliegen der in den Z 1 und Z 2 des § 28 Abs 2 VwGVG genannten Voraussetzungen in der Sache selbst zu entscheiden, sondern nach Maßgabe des § 28 Abs 3 VwGVG grundsätzlich auch dann, wenn trotz Fehlens dieser Voraussetzungen die Verwaltungsbehörde dem nicht unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063). Wenn die Behörde den entscheidungswesentlichen Sachverhalt unzureichend festgestellt hat, indem sie keine für die Sachentscheidung brauchbaren Ermittlungsergebnisse geliefert hat, ist eine Zurückverweisung gemäß § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG zulässig (VwGH 28.03.2017, Ro 2016/09/0009) zulässig.
Ausgehend von diesen Grundsätzen liegen hier die Voraussetzungen für eine Sachentscheidung durch das BVwG nicht vor. Weder steht der maßgebliche Sachverhalt fest noch würde seine Feststellung durch das Gericht die Prozessökonomie fördern, zumal ganz gravierende Ermittlungslücken vorliegen.
Die BF verübte am XXXX.2016 die ihr zu Last gelegene Tat. Die BF wurde am XXXX.2016 in Untersuchungshaft genommen. Das BFA übermittelte der BF bereits am 08.09.2016 eine Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme. Eine Stellungnahme langte - aus welchen Gründen auch immer - bei der belangten Behörde nie ein. Der nunmehr bekämpfte Bescheid wurde am 20.12.2018 erlassen - also mehr als 2 Jahre nachdem die belangte Behörde der BF ein schriftliches Parteiengehör eingeräumt hat. Die belangte Behörde erachtete es nicht als erforderlich, obwohl sie nunmehr von der strafrechtlichen Verurteilung und Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher wusste, der BF neuerlich eine Verständigung zur beabsichtigten Erlassung eines Aufenthaltsverbotes zukommen zu lassen. Die belangte Behörde begnügte sich mit offensichtlich getätigten Systemabfragen, ohne sich persönlich einen Eindruck von der BF zu verschaffen. Die BF gab nie eine Stellungnahme ab. Die belangte Behörde hat es offensichtlich nie in Erwägung gezogen die BF niederschriftlich zu befragen. Die belangte Behörde hat ihrerseits auch keinerlei Ermittlungstätigkeiten betreffend des aktuellen Gesundheitszustandes wahrgenommen. Die belangte Behörde begnügte sich einzig und allen auf die personsbezogenen Angaben der BF im strafrechtlichen Verfahren und stellte selbst keine weiteren Ermittlungen an. Auf der Grundlage der bisherigen mangelhaften Ermittlungen des BFA ist daher noch keine abschließende rechtliche Beurteilung des Sachverhalts möglich; dieser ist vielmehr in wesentlichen Teilen ergänzungsbedürftig.
Die Behörde wird daher im fortgesetzten Verfahren die BF zu ihren privaten, persönlichen Verhältnissen sowie zu ihrem gegenwärtigen Gesundheitszustandes zu befragen haben. Indem sich die belangte Behörde über die BF einen persönlichen Eindruck verschafft hat, wird es ihr auch möglich sein, eine nachvollziehbare Gefährderprognose erstellen zu können. Was die Erlassung des unbefristeten Aufenthaltsverbotes anbelangt, ist es nicht nachvollziehbar auf welcher konkrete gesetzliche Grundlage die belangte Behörde diese stützt. Der von der belangte Behörde herangezogene § 67 FPG idgF. beinhaltet keine Regelung, dass gegen eine Person die in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen wird - ohne Strafausspruch - ein unbefristete Aufenthaltsverbot erlassen werden kann.
Da zu den tragenden Sachverhaltselementen noch keine Ermittlungen durchgeführt wurden und zur Klärung des relevanten Sachverhalts zusätzliche Ermittlungen notwendig sein werden und dadurch bedingte Weiterungen des Verfahrens nicht ausgeschlossen werden können, führt es weder zu einer Kostenersparnis noch zu einer Verfahrensbeschleunigung, wenn das BVwG die Erhebungen selbst durchführt. In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, dass § 67 FPG grundsätzlich (nur) Fälle schwerer Kriminalität erfasst und dem BFA bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbots ein entsprechender Begründungsaufwand zukommt (Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht § 67 FPG K1).
Im Ergebnis ist der angefochtene Bescheid daher - dem in der Beschwerde eventualiter gestellten Aufhebungs- und Rückverweisungsantrag entsprechend - gemäß § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an das BFA zurückzuverweisen.
Eine mündliche Verhandlung entfällt gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG, weil schon aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.
Die Revision war wegen der Einzelfallbezogenheit der Entscheidung über die Anwendung des § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG, die keine grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG begründet, nicht zuzulassen (siehe z.B. VwGH 25.01.2017, Ra 2016/12/0109).
Schlagworte
Aufenthaltsverbot, Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:G306.2213277.1.00Zuletzt aktualisiert am
24.06.2019