TE Bvwg Erkenntnis 2019/4/2 W114 1425572-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.04.2019
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Entscheidungsdatum

02.04.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §9 Abs1
AsylG 2005 §9 Abs4
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z4
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W114 1425572-2/15E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Bernhard DITZ über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch Rechtsanwalt XXXX , XXXX , XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark vom 18.04.2018, Zl. 811204709-160760285/BMI-BFA_STM_RD, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 19.02.2019 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. XXXX , geb. XXXX , (im Weiteren: Beschwerdeführer oder BF), ein afghanischer Staatsbürger, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und schiitischer Moslem, stellte am 11.10.2011 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes, Außenstelle Graz, vom 13.03.2012, AZ 11 12.047-BAG, sowohl hinsichtlich der Zuerkennung von Asyl als auch hinsichtlich der Zuerkennung von subsidiärem Schutz abgewiesen. Der BF wurde aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan ausgewiesen.

3. Der dagegen erhobenen Beschwerde vom 22.03.2012 wurde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 18.08.2014 mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes (BVwG) vom 19.12.2014, GZ W132 1525572-1/19E, insofern stattgegeben, als dem Beschwerdeführer in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan der Status eines subsidiär Schutzberechtigen zuerkannt wurde und eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 19.12.2015 erteilt wurde.

Das BVwG begründete diese Entscheidung damit, dass der Beschwerdeführer bei einer allfähigen Rückkehr nach Afghanistan eine asylrelevante drohende Verfolgungsgefahr habe nicht glaubhaft machen können.

Entscheidungserheblich für die Gewährung des subsidiären Schutzes war, dass der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt seiner Einreise nach Österreich noch minderjährig war und dass Minderjährige zu einer besonders vulnerablen Gruppe zu zählen sind, hinsichtlich derer ein erhöhter Schutzbedarf bestehe. Zudem wurde in dieser Entscheidung auf der Grundlage der damals bestehenden Judikatur der Höchstgerichte ausgeführt, dass der BF über keine ausreichenden Kenntnisse der örtlichen und infrastrukturellen Gegebenheiten in Afghanistan verfüge, um sich dort eine Lebensgrundlage aufzubauen. Weiters - so damals das BVwG - müsse berücksichtigt werden, dass der BF in Afghanistan über keinerlei familiäre und soziale Anknüpfungspunkte verfüge.

Dieses Erkenntnis wurde weder vom BF noch vom Bundesamt für Fremdenrecht und Asyl (BFA) angefochten.

4. Am 29.09.2014 erfolgte eine Meldung der Polizeiinspektion Feldkirchen bei Graz an die Staatsanwaltschaft Graz, dass der BF am 29.09.2014 wegen Selbst- und Fremdgefährdung gefesselt in eine Krankenanstalt eingewiesen wurde. Dabei habe der Beschwerdeführer immer wieder wüste Beschimpfungen und Drohungen ausgestoßen.

5. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 21.08.2015, HV 66/2015w, wurde der Beschwerdeführer wegen §§ 15 iVm 127 und 129 Z 1 StGB schuldig gesprochen und zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 10 Monaten verurteilt, wobei der Vollzug der Freiheitsstrafe unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

6. Am 11.11.2014 erfolgte eine Meldung der Polizeiinspektion Feldkirchen bei Graz an die Staatsanwaltschaft Graz, dass der BF am 04.11.2014 in alkoholisiertem Zustand in Feldkirchen bei Graz einen Bekannten mit einem Küchenmesser verletzt habe und diesem dessen Geldbörse und sein Mobiltelefon geraubt habe.

Nur zwei Minuten davor habe der BF einem weiteren Bekannten Stoße auf seinen Oberkörper versetzt, wodurch dieser zu Sturz gekommen sei. Der Bekannte habe sich dadurch leichte Verletzungen an der Stirn zugezogen.

7. Mit Urteil des Landesgerichtes Graz für Strafsachen vom 20.05.2015, 7 Hv 38/15t-29, wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des Raubes und wegen Körperverletzung schuldig gesprochen und zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von acht Monaten verurteilt, wobei der Vollzug der Freiheitsstrafe unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

8. Gegen dieses Urteil haben sowohl der Beschwerdeführer als auch die Staatsanwaltschaft Graz Berufung erhoben.

9. Mit Urteil des Oberlandesgerichtes Graz vom 08.04.2016, 1 Bs 16/16m, wurde der Berufung des BF keine Folge gegeben, der Berufung der Staatsanwaltschaft Graz jedoch insoweit Folge gegeben, als anstelle einer Freiheitsstrafe von acht Monaten eine solche mit einem Ausmaß von zwölf Monaten trat und nur neun Monate dieser Freiheitsstrafe unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehen wurden.

10. Am 10.01.2018 wurde der Beschwerdeführer neuerlich vom BFA einvernommen und dazu befragt, was geschehen würde, wenn er nach Afghanistan zurückkehren würde.

Der BF führte dabei aus, dass er bei einer Rückkehr nach Afghanistan in Gefahr sei, ohne diese Gefahr zu konkretisieren. Er ergänzte, dass er in Afghanistan niemanden habe. Er sei lange nicht mehr in Afghanistan gewesen. Er wisse nicht, wie er dort leben sollte. Er könne dort auf jeden Fall nicht leben. In seiner Heimatprovinz Ghazni könne er gar nicht leben. Für Kabul oder die anderen größeren Städte gelte das gleiche. Es gebe jeden Tag Anschläge und es würden dort jeden Tag Menschen sterben.

Er habe im Einzelhandel bei XXXX 14 Monate gearbeitet; er habe Deutsch gelernt und die B2-Deutschprüfung erfolgreich absolviert. Er setze ab Ende Februar 2018 bei der Firma XXXX seine Maurerlehre im

2. Lehrjahr fort, die er wegen seines Gefängnisaufenthaltes habe abbrechen müssen. Er habe eine Freundin, die Österreicherin sei, mit der er jedoch nicht zusammenwohne. Er betreibe gerne Sport und besuche ein Fitnessstudio.

Dazu legte der BF eine Teilnahmebestätigung an einem Werte- und Orientierungskurs vom 07.09.2017 sowie eine Kopie einer Lohn-/Gehaltsabrechnung vom Juni 2017 vor, in der ausgewiesen werde, dass er in diesem Monat ein Einkommen in Höhe von EUR XXXX erwirtschaftet habe, vor.

11. Obwohl offensichtlich ein Aberkennungsverfahren geführt wurde, wurde mit Bescheid des BFA, Regionaldirektion Steiermark, vom 17.04.2018, Zl. 811204709-1413982/BMI-BFA_STM_RD, dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 die befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 19.12.2019 verlängert.

12. Mit Bescheid des BFA, Regionaldirektion Steiermark, vom 18.04.2018, Zl. 811204709-160760285/BMI-BFA_STM_RD, wurde der mit Erkenntnis vom 19.12.2014, Zahl W132 145572-2/19E, zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.). Die mit Bescheid vom 17.04.2018, Zl. 811204709/1413982 erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter wurde dem BF gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 entzogen (Spruchpunkt II.) Gemäß § 57 AsylG wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.). Darüber hinaus wurde gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG gegen den BF ein auf Dauer von 5 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.

Begründend wurde zu Spruchpunkt I. ausgeführt, dass der Beschwerdeführer nicht mehr Jugendlicher, sondern mittlerweile jedenfalls volljährig sei. Es sei daher nicht davon auszugehen, dass er bei einer Rückkehr nach Afghanistan in eine ausweglose Situation geraten würde. Die Voraussetzung der Minderjährigkeit, die zur Gewährung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten geführt hätte, liege nicht mehr vor, sodass ausgehend von diesem geänderten Sachverhalt dem Beschwerdeführer der gewährte Status eines subsidiär Schutzberechtigten abzuerkennen sei. Damit sei auch verknüpft, dass dem BF seine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter ebenfalls abzuerkennen sei. Die Voraussetzungen, die gemäß § 57 AsylG zu einer Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz führen würden, würden nicht vorliegen. Der Erlassung einer Rückkehrentscheidung stehe das Recht des BF auf Achtung des Privat- oder Familienlebens insbesondere angesichts der zweimaligen Verurteilung und eines fehlenden Schuldbewusstseins, nicht entgegen. Er habe sich seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein müssen. Angesichts der abweisenden Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz ergebe sich die Zulässigkeit einer Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan. Die Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ergebe sich aus § 55 FPG. Besondere Umstände, die der Beschwerdeführer bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen habe, stünden dem nicht entgegen. Bei der anzustellenden Abwägung der betroffenen Interessen sei dem geordneten Vollzug des Fremdenwesens und der öffentlichen Ordnung und Sicherheit mehr Gewicht einzuräumen, als den Interessen des Beschwerdeführers.

Dieser Bescheid wurde dem BF am 23.04.2018 durch Hinterlegung zugestellt.

13. Diese Entscheidung des BFA wurde mit Beschwerde des Beschwerdeführers, vertreten durch Rechtsanwalt XXXX vom 14.05.2018, eingelangt im BFA am selben Tag, angefochten.

In der Begründung führte der BF aus, dass das BFA bei der Erlassung des angefochtenen Bescheides Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen habe, die bei deren Berücksichtigung zu einem anderen und für den BF günstigeren Bescheid geführt hätten. Das Ermittlungsverfahren sei nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden. Das BFA habe in seiner Entscheidung ausgeführt, dass dem Beschwerdeführer aufgrund "der rechtskräftigen Verurteilung durch das Oberlandesgericht" der Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuerkennen sei und die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht mehr vorliegen würden. Die Begründung der Entscheidung sei nicht rechtskonform. Bei den beiden rechtskräftigen Verurteilungen wären Milderungsgründe nur unzureichend berücksichtigt worden. So sei eine Straftat in berauschtem Zustand und in einem jugendlichen Alter durchgeführt worden. Zudem habe das BFA nicht berücksichtigt, dass der BF sich seit der zweiten verübten Straftat wohlverhalten habe und sich bereits seit rd. sieben Jahren legal in Österreich aufhalte. Eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit liege nicht vor. Der BF empfinde große Reue hinsichtlich der von ihm begangenen Straftaten. Er sei ordnungsgemäß beschäftigt, sozialversichert und verfüge über eine ortsübliche Unterkunft und sehr gute Kenntnisse der Deutschen Sprache. Er habe bereits Anspruch auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels Daueraufenthalt EU. Eine aufenthaltsbeendende Maßnahme sei nur zulässig, wenn aufgrund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet sei. Der BF sei sozial als auch beruflich nachhaltig in Österreich integriert. Die Sicherheitslage in Afghanistan verbiete aufgrund der westlichen Gesinnung des BF, welche sich dadurch zeige, dass er tätowiert sei und Piercings trage, eine Rückkehr des BF nach Afghanistan. Er wäre bei einer Rückkehr nach Afghanistan der Gefahr ausgesetzt, als Spion von Taliban angesehen zu werden.

Die Beschwerde enthält auch Textblöcke, die sich mit einem Glaubensabfall vom Islam, mit Ausführungen zu einem Gutachten von Friederike Stahlmann vom 28.03.2018, und mit allgemeinen Ausführungen zur Sicherheitslage in Afghanistan, in der Provinz Ghazni und zur Situation von Hazara in Afghanistan befassen, ohne jedoch eine Verbindung zum gegenständlichen verfahrensgegenständlichen angefochtenen Asylverfahren herzustellen.

Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot stelle sich als nicht rechtskonform dar.

14. Diese Beschwerde und die Unterlagen des Verwaltungsverfahrens wurden dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Schreiben des BFA vom 17.05.2018 am 22.05.2018 zur Entscheidung vorgelegt.

15. Angesichts der in der Beschwerde angeführten herausragenden Integration des Beschwerdeführers wurde dieser mit Schreiben des BVwG vom 23.05.2018, GZ. W114 1425572-2-2Z, aufgefordert, Nachweise die diese herausragende Integration bescheinigen würden, vorzulegen.

16. Am 26.06.2018 wurden vom BF dem BVwG Nachweise vorgelegt.

In einem Begleitschreiben wurde ausgeführt, dass sein Vermieter und Mitbewohner hinsichtlich der behaupteten guten Integration als Zeuge geladen werden könnte. Der Beschwerdeführer habe eine B2-Deutschsprachprüfung abgelegt, jedoch das Zertifikat verloren; dessen Neuausstellung sei beantragt worden und dieses werde nachgereicht.

17. In einer weiteren Nachricht vom 10.10.2018 führte der BF unter Hinweis auf ein nicht datiertes und nicht vollständig vorgelegtes Schreiben der Steiermärkischen Krankenanstaltengesellschaft m.b.H. / Landeskrankenhaus Graz Süd-West / Department für Gastroenterologie und Infektiologie, mit, dass er HIV-positiv sei und deswegen regelmäßig im Dreimonatsrhythmus zur Behandlung nach Graz fahre. Aus dem vorgelegten Schreiben geht hervor, dass sich der BF offensichtlich am 05.08.2013 mit dem Aids-Erreger infiziert hat, seit 08.08.2013 deswegen in Graz in Behandlung steht und sein letzter Behandlungstermin am 11.01.2016 stattfand.

18. Im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 19.02.2019 wurde der Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Rechtsanwalt XXXX , zu seiner Person, zu seinen Verurteilungen, zu seiner HIV-Infektion und zu einer allfälligen Rückkehr nach Afghanistan und zu seiner Integration in Österreich befragt. Die Verhandlung fand im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Dari statt. Das BFA verzichtete mit Schreiben am 13.12.2018 auf eine Teilnahme an der Verhandlung. In dieser Verhandlung legte der Beschwerdeführer zusätzlich folgende Unterlagen vor:

* Bestätigung über den Besuch eines A2-Deutsch-Sprachkurses vom 13.12.2012;

* Bis 31.12.2019 befristeter Mietvertrag, abgeschlossen zwischen dem BF als Mieter und XXXX als Vermieter;

* Bestätigung über den Besuch eines B1-Deutsch-Sprachkurses vom 13.02.2019;

* Zwischenbericht der Bewährungshilfe vom 31.01.2019;

* Bestätigung der der Steiermärkischen Krankenanstaltengesellschaft m. b.H. / Landeskrankenhaus Graz Süd-West / Department für Gastroenterologie und Infektiologie, vom 06.02.2019, über die Behandlung seiner HIV-Erkrankung, wobei diesem Schreiben als Behandlungstermin der 14.12.2018 und der nächste Behandlungstermin am 01.03.2019 entnommen werden können. Diesem Schreiben kann auch entnommen werden, dass die Therapie von 09/2018 bis 11/2018 unterbrochen wurde.

19. Der vom BF angegebene und als Zeuge angebotene Vermieter XXXX hat seine Ladung zur mündlichen Verhandlung nicht behoben. Angesichts des Umstandes, dass der BF einen Mietvertrag vorgelegt hat, in welchem nicht XXXX als Vermieter genannt wird, wurde vom erkennenden Gericht von einer polizeilichen Vorführung von XXXX abgesehen.

18. Am 07.03.2019 legte der BF einen Versicherungsdatenauszug der Österreichischen Sozialversicherung vom 19.02.2019 vor. Aus diesem Auszug ist ersichtlich, dass der BF von 27.09.2017 bis 25.03.2018, unterbrochen durch einen Tag, an welchem er Krankengeld bezog, Arbeitslosengeld bezog, von 26.03.2018 bis 09.07.2018 als Arbeiter tätig war, von 10.07.2018 bis 11.11.2018 neuerlich Arbeitslosengeld bezog und seit 12.11.2018 Notstandshilfe bezieht, welche am 07.02.2019 für einen Tag von einem Krankengeldbezug unterbrochen wurde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des erhobenen Antrages auf internationalen Schutz, der Erstbefragung sowie Einvernahme des Beschwerdeführers durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie des BFA, der Beschwerde gegen den im Spruch genannten Bescheid des BFA, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG und der Einsichtnahme in den Bezug habenden Verwaltungsakt, das Zentrale Melderegister, das Fremdeninformationssystem, das Strafregister sowie das Grundversorgungs-Informationssystem und in das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 29.06.2018 mit Aktualisierungen und letzten Ergänzungen zum 22.01.2019 werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1.1. Zum Beschwerdeführer:

1.1.1. Der zum Zeitpunkt der Antragstellung auf internationalen Schutz am 11.10.2011 allenfalls gerade noch minderjährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und schiitischer Moslem. Zum Zeitpunkt der gegenständlichen Entscheidung ist der Beschwerdeführer jedoch jedenfalls volljährig. Er spricht die Sprachen Dari und Farsi. Er ist mit den Gepflogenheiten in einem afghanischen Haushalt vertraut. Der Beschwerdeführer wurde im Distrikt Malistan in der Provinz Ghazni in Afghanistan geboren. Seine Familie verfügt in Afghanistan über einen großen Grundbesitz, wobei dieser Grundbesitz von anderen Personen beansprucht bzw. annektiert wurde. Er besuchte in Afghanistan eine Schule und war in Afghanistan auch als Arbeiter tätig. Er verfügt über keine abgeschlossene Berufsausbildung. Er ist arbeitsfähig und möchte auch selbst als Maurer arbeiten. Er ist ledig und hat keine Kinder. Er trägt weder Piercings noch ist er tätowiert.

Der Beschwerdeführer hat neben seinen Eltern noch drei Brüder und zwei Schwestern, welche sich alle in Quetta in Pakistan befinden. Ein weiterer Bruder ist verstorben. Er steht zu seiner Familie in telefonischem Kontakt.

1.1.2. Der Beschwerdeführer ist mit einem HIV-Virus infiziert, wobei diese Ansteckung am 05.08.2013 im Rahmen eines gleichgeschlechtlichen Sexualkontaktes erfolgte. Er befindet sich deswegen seit 05/2016 in einer antiretroviralen Therapie in Graz (Die antiretrovirale Therapie ist eine medikamentöse Behandlungsstrategie bei HIV-Patienten. Hierbei kommen u. a. "Reverse-Transkriptase-Hemmer" zum Einsatz, die ein Schlüsselenzym der HIV-Vermehrung in den befallenen Zellen blockieren.), die im Zeitraum 09/2018 bis 11/2018 unterbrochen wurde. Die Therapie erfolgt, obwohl der BF in Wien wohnhaft ist, ambulant in Graz durch Kontrolluntersuchungen in einem Dreimonatsrhythmus und regelmäßiger Einnahme von Medikamenten nach einem Behandlungplan.

Der BF hat seine ihm seit 08.08.2013 bekannte AIDS-Erkrankung bis zum 10.10.2018 weder dem BFA noch dem BVwG mitgeteilt.

1.1.3. Der Beschwerdeführer verließ Afghanistan und reiste schlepperunterstützt bis nach Österreich, wobei der BF für seine Schleppung nach eigenen Angaben einen Betrag in Höhe von ca. EUR 5.000.-- aufzubringen vermochte.

1.1.4. Mit Erkenntnis des BVwG vom 19.12.2014, W132 1425572-1/9E, wurde dem Beschwerdeführer der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsort Afghanistan zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigtem bis zum 19.12.2015 erteilt.

Entscheidungserheblich für die Gewährung des subsidiären Schutzes war, dass er zum Zeitpunkt seiner Einreise nach Österreich noch minderjährig war und dass Minderjährige zu einer besonders vulnerablen Gruppe zu zählen sind, hinsichtlich derer ein erhöhter Schutzbedarf besteht. Zudem wurde in dieser Entscheidung auf der Grundlage der damals bestehenden Judikatur der Höchstgerichte ausgeführt, dass er über keine ausreichenden Kenntnisse der örtlichen und infrastrukturellen Gegebenheiten in Afghanistan verfüge, um sich dort eine Lebensgrundlage aufzubauen. Weiters - so damals das BVwG - müsse berücksichtigt werden, dass der BF in Afghanistan über keinerlei familiäre und soziale Anknüpfungspunkte verfüge.

Dieses Erkenntnis wurde nicht angefochten.

1.1.5. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 21.08.2015, HV 66/2015w, wurde der Beschwerdeführer wegen §§ 15 iVm 127 und 129 Z 1 StGB schuldig gesprochen und zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 10 Monaten verurteilt, wobei der Vollzug der Freiheitsstrafe unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

1.1.6. Am 04.11.2014 hat der BF in alkoholisiertem Zustand in Feldkirchen bei Graz einen Bekannten mit einem Küchenmesser verletzt und diesem dessen Geldbörse und sein Mobiltelefon geraubt.

Zuvor hat der BF einem weiteren Bekannten Stoße auf seinen Oberkörper versetzt, wodurch dieser zu Sturz gekommen ist und sich an der Stirn verletzt hat.

Der BF wurde daher mit Urteil des Landesgerichtes Graz für Strafsachen vom 20.05.2015, 7 Hv 38/15t-29, wegen des Verbrechens des Raubes und wegen Körperverletzung schuldig gesprochen und zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von acht Monaten verurteilt, wobei der Vollzug der Freiheitsstrafe unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

Gegen dieses Urteil haben sowohl der Beschwerdeführer als auch die Staatsanwaltschaft Graz Berufung erhoben.

1.1.7. Mit Bescheid des BFA, Regionaldirektion Steiermark vom 07.01.2016, Zl. 811204709-1413982/BMI-BFA_STM_RD, wurde dem BF gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 seine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 19.12.2017 verlängert.

1.1.8. Mit Urteil des Oberlandesgerichtes Graz vom 08.04.2016, 1 Bs 16/16m, wurde der Berufung des BF keine Folge gegeben. Der Berufung der Staatsanwaltschaft Graz wurde jedoch insoweit Folge gegeben, als anstelle einer Freiheitsstrafe von acht Monaten eine solche mit einem Ausmaß von zwölf Monaten trat und nur neun Monate dieser Freiheitsstrafe unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehen wurden.

Diese Entscheidung wurde rechtskräftig. Der Beschwerdeführer verbüßte von 27.07.2016 bis 26.09.2016 eine Freiheitsstrafe in der Justizanstalt Wien-Josefstadt bzw. in der Justizanstalt Ried im Innkreis.

1.1.9. Mit Schreiben vom 19.12.2017 des BFA wurde der BF zu einer "Einvernahme in seinem Aberkennungsverfahren" geladen, die für den 10.01.2018 angesetzt und auch durchgeführt wurde.

1.1.10. Am 17.04.2018 wurde dem Beschwerdeführer mit Bescheid des BFA, Regionaldirektion Steiermark, zur Zl. 811204709-1413982/BMI-BFA_STM_RD, gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 die im Bescheid des BFA, Regionaldirektion Steiermark vom 07.01.2016, Zl. 811204709-1413982/BMI-BFA_STM_RD bereits erteilte und verlängerte befristete Aufenthaltsberechtigung abermals verlängert und bis zum 19.12.2019 erteilt.

1.1.11. Bereits am nächsten Tag, dem 18.04.2018 erging der nunmehr angefochtene Bescheid des BFA zur Zl. 811204709-160760285/BMI-BFA_STM_RD.

1.1.12. Am 26.06.2018 wurden vom BF dem BVwG folgende Nachweise vorgelegt:

* Bestätigung der Teilnahme an einem Sozialprojekt mit dem Titel "Musik verbindet", wobei in diesem Projekt mit sechs Kindern bzw. Jugendlichen des MMV Gratwein und sechs Kindern bzw. Jugendlichen des UMF Quartiers Toscana für eine Percussionseinlage geprobt wurde;

* Verdienstnachweis von XXXX für den Monat April 2015 mit einem Auszahlungsbetrag in Höhe von EUR XXXX ;

* Ausbildungsvertrag hinsichtlich einer Maurerlehre mit Beginn des Lehrverhältnisses am 09.11.2015;

* Bestätigung eines Lehraustrittes (Maurerlehre) des BF vom 05.07.2016;

* Auszug aus dem Zentralen Melderegister;

* Einladungsschreiben der österreichischen Gewerkschaftsjugend zum Jugendsporttag 2016;

* Zwischenbericht der Bewährungshilfe vom 11.12.2017;

* Zwischenbericht der Bewährungshilfe vom 18.05.2018;

* Lohnzettel von XXXX für den Monat Jänner 2017 mit einem Auszahlungsbetrag in Höhe von EUR XXXX ;

* Lohnzettel von XXXX für den Monat Februar 2017 mit einem Auszahlungsbetrag in Höhe von EUR XXXX ;

* Lohnzettel von XXXX für den Monat März 2017 mit einem Auszahlungsbetrag in Höhe von EUR XXXX;

* Lohnzettel von XXXX für den Monat April 2017 mit einem Auszahlungsbetrag in Höhe von EUR XXXX ;

* Lohnzettel von XXXX für den Monat Mai 2017 mit einem Auszahlungsbetrag in Höhe von EUR XXXX ;

* Lohnzettel von XXXX für den Monat Juni 2017 mit einem Auszahlungsbetrag in Höhe von EUR XXXX ;

* Lohnzettel von XXXX für den Monat Juli 2017 mit einem Auszahlungsbetrag in Höhe von EUR XXXX ;

* Lohnzettel von XXXX für den Monat August 2017 mit einem Auszahlungsbetrag in Höhe von EUR XXXX ;

* Lohnzettel von XXXX für den Monat September 2017 mit einem Auszahlungsbetrag in Höhe von EUR XXXX ;

* Lohnzettel von XXXX für den Monat Mai 2018 mit einem Auszahlungsbetrag in Höhe von EUR XXXX ;

* Lohnzettel von XXXX für den Monat April 2018 mit einem Auszahlungsbetrag in Höhe von EUR XXXX ;

* Lohnzettel von XXXX für den Monat März 2018 mit einem Auszahlungsbetrag in Höhe von EUR XXXX ;

1.1.13. Der Beschwerdeführer ist nach Erhalt des Status eines subsidiär Schutzberechtigten am 19.12.2014 bis zum 08.04.2015 in Österreich keiner Beschäftigung nachgegangen. Vom 08.04.2015 bis 15.04.2015 war er Arbeiter bei XXXX und erwirtschaftete dabei ein Einkommen in Höhe von EUR XXXX und zusätzlich Sonderzahlungen in Höhe von EUR XXXX .

Vom 21.07.2015 bis 02.08.2015, vom 04.08.2015 bis 25.08.2015, vom 27.08.2015 bis 01.09.2015 und vom 04.09.2015 bis 11.09.2015 bezog der Beschwerdeführer Arbeitslosengeld.

Vom 09.11.2015 bis 05.07.2016 befand er sich in einem vom Berufsförderungsinstitut Wien unterstützten Ausbildungsverhältnis als Maurerlehrling und erwirtschaftete in diesem Zeitraum insgesamt ein Einkommen in Höhe von EUR XXXX .

Vom 27.09.2016 bis 26.01.2017 und vom 28.01.2017 bis 29.01.2017 bezog der BF Arbeitslosengeld.

Vom 30.01.2017 bis 20.09.2017 war er Angestellter bei XXXX gemeinnützige Gesellschaft mbH zur Förderung der Integration und bezog ein Einkommen in Höhe von EUR XXXX sowie Sonderzahlungen in Höhe von EUR XXXX .

Vom 24.08.2017 bis 31.08.2017 war der BF geringfügig beschäftigt und erwirtschaftete in diesem Zeitraum ein Einkommen in Höhe von EUR XXXX Vom 27.09.2017 bis 25.03.2018, unterbrochen durch einen Tag, an welchem er Krankengeld bezog, bezog der BF Arbeitslosengeld.

Vom 26.03.2018 bis 09.07.2018 war der BF als Arbeiter itworks Personalservice & Beratung gemeinnützige GmbH tätig und erwirtschaftete dabei ein Einkommen in Höhe von EUR XXXX sowie Sonderzahlungen in Höhe von EUR XXXX .

Seit dem 10.07.2018 bis zur Entscheidung in der gegenständlichen Angelegenheit bezieht der BF nur mehr Arbeitslosengeld, Notstandshilfe und Krankengeld.

1.1.14. In der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht wurde der BF nochmals mit den von ihm begangenen Straftaten konfrontiert. Dabei hinterließ der BF nicht den Eindruck das Unrecht dieser Taten einzusehen und diese zu bereuen. Viel mehr versuchte er das erkennende Gericht zu überzeugen, dass er nichts Unrechtes gemacht habe und darzulegen, dass die gegen ihn verfügte Freiheitsstrafe zu Unrecht verhängt worden wäre, selbst als er von seinem berufsmäßigen Rechtsvertreter emotional aufgefordert wurde, ein ihn reuendes Verhalten an den Tag zu legen.

Dem Beschwerdeführer droht bei einer Überstellung in seine Herkunftsprovinz Ghazni aufgrund der volatilen Sicherheitslage in dieser Provinz ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit. Ihm stehen mit den größeren Städten in Afghanistan, insbesondere mit Mazar-e Scharif, Herat und eingeschränkt auch mit Kabul innerstaatliche Fluchtalternativen zur Verfügung. Diese Städte verfügen jeweils über einen international erreichbaren Flughafen, sodass die Anreise in diese Städte auch weitgehend gefahrfrei erfolgen kann. Allenfalls stünden nach Angaben der dem BVwG zugänglichen Länderinformationen zu Afghanistan auch andere friedlichere Regionen in Afghanistan als innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung.

Der Beschwerdeführer hat in Österreich keine Bezugsperson. Ob der Beschwerdeführer, wie von ihm behauptet, eine Freundin hat, kann nicht festgestellt werden; falls eine Freundin tatsächlich existiert, war diese jedoch augenscheinlich nicht bereit, im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG sich für einen Verbleib des BF in Österreich einzusetzen.

Der Beschwerdeführer befand sich seit seiner Antragstellung im Oktober 2011 auf Grund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG 2005 rechtmäßig im Bundesgebiet. Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF über eine Einstellungszusage verfügt bzw. er im Falle der Gewährung eines Status auch tatsächlich wieder beginnen würde, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen.

1.1.15 Der Beschwerdeführer verfügt über sehr gute Kenntnisse der deutschen Sprache. Er kann einer Konversation in deutscher Sprache problemlos folgen. Der Beschwerdeführer vermochte jedoch kein Sprachzertifikat vorlegen.

1.2. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018 (letzte Kurzinformation eingefügt am 31.01.2019):

Politische Lage:

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung ausgearbeitet und im Jahr 2004 angenommen (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. Casolino 2011). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahr 1964. Bei der Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.01.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.02.2015). Nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014 einigten sich die beiden Kandidaten Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah Mitte 2014 auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) (AM 2015; vgl. DW 30.09.2014). Mit dem RNE-Abkommen vom 21.09.2014 wurde neben dem Amt des Präsidenten der Posten des CEO (Chief Executive Officer) eingeführt, dessen Befugnisse jenen eines Premierministers entsprechen. Über die genaue Gestalt und Institutionalisierung des Postens des CEO muss noch eine loya jirga [Anm.: größte nationale Versammlung zur Klärung von wichtigen politischen bzw. verfassungsrelevanten Fragen] entscheiden (AAN 13.02.2015; vgl. AAN o. D.), doch die Einberufung einer loya jirga hängt von der Abhaltung von Wahlen ab (CRS 13.12.2017).

Die afghanische Innenpolitik war daraufhin von langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Regierungslagern unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah geprägt. Kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 wurden schließlich alle Ministerämter besetzt (AA 9.2016).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Am 28.02.2018 machte Afghanistans Präsident Ashraf Ghani den Taliban ein Friedensangebot (NYT 11.03.2018; vgl. TS 28.02.2018). Die Annahme des Angebots durch die Taliban würde, so Ghani, diesen verschiedene Garantien gewähren, wie eine Amnestie, die Anerkennung der Taliban-Bewegung als politische Partei, eine Abänderung der Verfassung und die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Anführer (TD 07.03.2018). Quellen zufolge wird die Annahme bzw. Ablehnung des Angebots derzeit in den Rängen der Taliban diskutiert (Tolonews 16.04.2018; vgl. Tolonews 11.04.2018). Anfang 2018 fanden zwei Friedenskonferenzen zur Sicherheitslage in Afghanistan statt: die zweite Runde des Kabuler Prozesses [Anm.: von der afghanischen Regierung ins Leben gerufene Friedenskonferenz mit internationaler Beteiligung] und die Friedenskonferenz in Taschkent (TD 24.03.2018; vgl. TD 07.03.2018, NZZ 28.02.2018). Anfang April rief Staatspräsident Ghani die Taliban dazu auf, sich für die Parlamentswahlen im Oktober 2018 als politische Gruppierung registrieren zu lassen, was von diesen jedoch abgelehnt wurde (Tolonews 16.04.2018). Ende April 2018 kam es in diesem Zusammenhang zu Angriffen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich des IS, aber auch der Taliban) auf mit der Wahlregistrierung betraute Behörden in verschiedenen Provinzen.

Am 19.05.2018 erklärten die Taliban, sie würden keine Mitglieder afghanischer Sicherheitskräfte mehr angreifen, wenn diese ihre Truppen verlassen würden, und gewährten ihnen somit eine "Amnestie". In ihrer Stellungnahme erklärten die Aufständischen, dass das Ziel ihrer Frühlingsoffensive Amerika und ihre Alliierten seien (AJ 19.05.2018).

Am 07.06.2018 verkündete Präsident Ashraf Ghani einen Waffenstillstand mit den Taliban für den Zeitraum 12.06.2018 - 20.06.2018. Die Erklärung erfolgte, nachdem sich am 04.06.2018 über 2.000 Religionsgelehrte aus ganz Afghanistan in Kabul versammelt hatten und eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aussprachen (Tolonews 07.06.2018; vgl. Reuters 07.06.2018, RFL/RL 05.06.2018). Durch dieses Fatwa wurden Selbstmordanschläge für ungesetzlich (nach islamischem Recht, Anm.) erklärt und die Taliban dazu aufgerufen, den Friedensprozess zu unterstützen (Reuters 05.06.2018). Die Taliban selbst gingen am 09.06.2018 auf das Angebot ein und erklärten einen Waffenstillstand von drei Tagen (die ersten drei Tage des Eid-Fests, Anm.). Der Waffenstillstand würde sich jedoch nicht auf die ausländischen Sicherheitskräfte beziehen; auch würden sich die Taliban im Falle eines militärischen Angriffs verteidigen (HDN 10.06.2018; vgl. TH 10.06.2018, Tolonews 09.06.2018).

Am Samstag dem 26.01.2019 endete die sechstägige Friedensgesprächsrunde in Doha, Katar, zwischen dem U.S.-Chefunterhändler Zalmay Khalilzad und den Taliban-Vertretern (DP 28.01.2019; vgl. NYT 28.01.2019, CNN 27.01.2019, Tolonews 28.01.2019). Quellen zufolge wurde ein erster Vertragsentwurf ausgehandelt, wonach sich die Taliban dazu verpflichten würden, ausländische Terrororganisationen von Afghanistan fernzuhalten, und die USA würden im Gegenzug dazu ihren Truppenabzug aus Afghanistan innerhalb von 18 Monaten garantieren. Dieser sei jedoch an weitere Bedingungen gebunden, die noch genau besprochen werden müssen, wie die Ausrufung eines Waffenstillstands zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung sowie die Forderung von direkten Gesprächen zwischen diesen beiden Akteuren (NYT 28.01.2019; vgl. DP 28.01.2019, FP 29.01.2019). Inoffiziellen Quellen zufolge wurde bei den Gesprächen u.a. die Schaffung einer Interimsregierung, in der auch die Taliban vertreten sein sollen, angedacht, was jedoch von Khalilzad dementiert wurde (NYT 28.01.2019; vgl. DP 28.01.2019). Die nächste Friedensgesprächsrunde wird voraussichtlich Ende Februar 2019 stattfinden (NYT 28.01.2019; vgl. FP 29.01.2019). Der afghanische Präsident Ashraf Ghani äußerte während einer Fernsehansprache am 28.01.2019 sein Unbehagen bzgl. eines voreiligen Abzugs der U.S.-Truppen aus Afghanistan und erinnerte an die dramatischen Auswirkungen des sowjetischen Abzuges Ende der 1980er Jahre, dem Anarchie und die Ermordung des ehemaligen Präsidenten Mohammad Najibullah folgten (NYT 28.01.2019). Ghani, der die Taliban mehrmals dazu aufgefordert hatte, direkt mit seiner Regierung zu verhandeln, zeigte sich des Weiteren über den Ausschluss der afghanischen Regierung aus den Friedensgesprächen besorgt (NYT 28.01.2019; vgl. DP 28.01.2019, IM 28.01.2019). Während sich einige Quellen hinsichtlich gründlicher Friedensgespräche und eines effizient ausgehandelten Abkommens optimistisch zeigen (Internazionale 30.01.2019; vgl. WP 30.01.2019), fürchten andere, dass ein Abzug der amerikanischen Truppen den Zusammenbruch der afghanischen Regierung wegen der Taliban und vorhersehbarer Machtkämpfe zwischen den verschiedenen lokalen Akteuren zur Folge haben könnte (DP 28.01.2019; vgl. FP 29.01.2019).

Sicherheitslage in Afghanistan:

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil. Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum 16.08.2018 - 15.11.2018 5.854 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 2% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 5% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (63%) aus. Selbstmordanschläge gingen um 37% zurück, was möglicherweise an erfolgreichen Bekämpfungsmaßnahmen in Kabul-Stadt und Jalalabad liegt. Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Streitkräfte stiegen um 25%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten. In der Provinz Kandahar entstand die Befürchtung, die Sicherheitsbedingungen könnten sich verschlechtern, nachdem der Polizeichef der Provinz und der Leiter des National Directorate for Security (NDS) im Oktober 2018 ermordet worden waren (UNGASC 07.12.2018). Gemäß dem Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR) fanden bis Oktober 2018 die meisten Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen in den Provinzen Badghis, Farah, Faryab, Ghazni, Helmand, Kandahar, Uruzgan und Herat statt. Von Oktober bis Dezember 2018 verzeichneten Farah, Helmand und Faryab die höchste Anzahl regierungsfeindlicher Angriffe (SIGAR 30.01.2019).

Nach dem Taliban-Angriff auf Ghazni-Stadt im August 2018, bestand weiterhin die Befürchtung, dass die Taliban großangelegte Angriffe im Südosten des Landes verüben könnten. Dies war zwar nicht der Fall, dennoch setzten Talibankämpfer die afghanischen Sicherheitskräfte am Stadtrand von Ghazni, in Distrikten entlang des Highway One nach Kabul und durch die Einnahme des Distrikts Andar in Ghazni im Oktober weiterhin unter Druck. Im Westen der Provinz Ghazni, wo die ethnische Gruppierung der Hazara eine Mehrheit bildet, verschlechterten sich die Sicherheitsbedingungen wegen großangelegter Angriffe der Taliban, was im November zur Vertreibung zahlreicher Personen führte. In Folge eines weiteren Angriffs der Taliban im Distrikt Khas Uruzgan der Provinz Uruzgan im selben Monat wurden ebenfalls zahlreiche Hazara-Familien vertrieben. Des Weiteren nahmen Talibankämpfer in verschiedenen Regionen vorübergehend strategische Positionen entlang der Hauptstraßen ein und behinderten somit die Bewegungsfreiheit zwischen den betroffenen Provinzen. Beispiele dafür sind Angriffe entlang Hauptstraßen nach Kabul in den Distrikten Daymirdad und Sayyidabad in Wardak, der Route Mazar - Shirbingham und Maimana - Andkhoy in den nördlichen Provinzen Faryab, Jawzjan und Balkh und der Route Herat - Qala-e-Naw im westlichen Herat und Badghis (UNGASC 07.12.2018). Trotz verschiedener Kampfhandlungen und Bedrohungen blieben mit Stand Dezember 2018 gemäß SIGAR die Provinzzentren aller afghanischen Provinzen unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.01.2019).

Im Laufe des Wahlregistrierungsprozesses und während der Wahl am 20. und am 21. Oktober wurden zahlreiche sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, welche durch die Taliban und den Islamischen Staat - Provinz Khorasan (ISKP) beansprucht wurden (UNGASC 07.12.2018; vgl. UNAMA 10.10.2018, UNAMA 11.2018). Während der Wahl in der Provinz Kandahar, die wegen Sicherheitsbedenken auf den 27. Oktober verschoben worden war, wurden keine sicherheitsrelevanten Vorfälle registriert. Die afghanischen Sicherheitskräfte entdeckten und entschärften einige IED [Improvised Explosive Devices - Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen] in Kandahar-Stadt und den naheliegenden Distrikten (UNAMA 11.2018). Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) hatte zwischen 01.01.2018 und 30.09.2018 im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen insgesamt 366 zivile Opfer (126 Tote und 240 Verletzte) registriert (UNAMA 10.10.2018). Am offiziellen Wahltag, dem 20. Oktober, wurden 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) registriert, darunter 117 Kinder (21 Tote und 96 Verletzte) und 48 Frauen (2 Tote und 46 Verletzte). Am folgenden Wahltag, dem 21. Oktober, wurden 47 weitere zivile Opfer (4 Tote und 43 Verletzte) verzeichnet, inklusive 17 Kinder (2 Tote und 15 Verletzte) und Frauen (3 Verletzte). Diese Zahlen beinhalten auch Opfer innerhalb der Afghan National Police (ANP) und der Independet Electoral Commission (IEC) (UNAMA 11.2018). Die am 20. Oktober am meisten von sicherheitsrelevanten Vorfällen betroffenen Städte waren Kunduz und Kabul. Auch wenn die Taliban in den von ihnen kontrollierten oder beeinflussten Regionen die Wählerschaft daran hinderten, am Wahlprozess teilzunehmen, konnten sie die Wahl in städtischen Gebieten dennoch nicht wesentlich beeinträchtigen (trotz der hohen Anzahl von Sicherheitsvorfällen) (UNGASC 07.12.2018).

Die Regierung kontrolliert bzw. beeinflusst - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 22.10.2018 53,8% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 bedeutet. 33,9% der Distrikte sind umkämpft und 12,3% befinden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 63,5% der Bevölkerung leben in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befinden; 10,8% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 25,6% leben in umkämpften Gebieten. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Kontrolle bzw. Einfluss von Aufständischen sind Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.01.2019).

Der ISKP ist weiterhin im Osten des Landes präsent und bekennt sich zu Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen in Nangarhar und zu sechs Angriffen in Kabul-Stadt. Des Weiteren finden in den Provinzen Nangarhar und Kunar weiterhin Kämpfe zwischen ISKP- und Talibankämpfern statt. Die internationalen Streitkräfte führten Luftangriffe gegen den ISKP in den Distrikten Deh Bala, Achin, Khogyani, Nazyan und Chaparhar der Provinz Nangarhar aus (UNGASC 07.12.2018).

Global Incident Map zufolge wurden im Berichtszeitraum (01.01.2018 - 31.12.2018) 4.436 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Durch die folgende kartografische Darstellung der Staatendokumentation soll die Verteilung des Konflikts landesweit veranschaulicht werden.

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(BFA Staatendokumentation 20.02.2019)

In der folgenden Grafik der Staatendokumentation wird das Verhältnis zwischen den vier Quartalen des Jahres 2018 anhand der registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle für den Zeitraum 01.01.2018 - 31.12.2018 veranschaulicht.

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(BFA Staatendokumentation 20.02.2019)

Zivile Opfer:

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im Berichtszeitraum (01.01.2018 - 31.12.2018) 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte), eine allgemeine Steigerung von 5% sowie eine Steigerung der Zahl der Toten um 11% gegenüber dem Vorjahreswert. 42% der zivilen Opfer (4.627 Opfer;

1.361 Tote und 3.266 Verletzte) wurden durch IED im Zuge von Anschlägen und Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich ISKP) verursacht. Die Anzahl der Selbstmordanschläge unter Einsatz von IED stieg dabei um 22% und erreichte somit einen Rekordwert. Diese Art von Anschlägen verursachte 26% aller zivilen Opfer, während IED, die bei Nichtselbstmordanschlägen verwendet wurden, 16% der zivilen Opfer forderten. Kabul war mit insgesamt 1.866 Opfern (596 Tote und 1.270 Verletzte) die Provinz mit der höchsten Anzahl an Selbstmordanschlägen durch IED, während die Zahl der Opfer in Nangarhar mit insgesamt 1.815 (681 Tote und 1.134 Verletzte) zum ersten Mal fast die Werte von Kabul erreichte (hauptsächlich wegen des Einsatzes von IED bei Nichtselbstmordanschlägen). Kabul-Stadt verzeichnete insgesamt 1.686 zivile Opfer (554 Tote und 1.132 Verletzte) wegen komplexen und Selbstmordangriffen (UNAMA 24.02.2019).

Zusammenstöße am Boden (hauptsächlich zwischen regierungsfreundlichen und regierungsfeindlichen Gruppierungen) verursachten 31% der zivilen Opfer (insgesamt 3.382; davon 814 Tote und 2.568 Verletzte), was einen Rückgang um 3% im Vergleich mit dem Vorjahreswert bedeutet. Grund dafür war der Versuch regierungsfreundlicher Gruppierungen, die zivile Bevölkerung zu schonen. Die Verlagerung der Kämpfe in dünn besiedelte Gebiete, die Vorwarnung der lokalen Zivilbevölkerung bei Kampfhandlungen und die Implementierung von Strategien zum Schutz der Bevölkerung waren einige der bestimmenden Faktoren für den Rückgang bei zivilen Opfern. Jedoch ist die Opferzahl bei gezielt gegen die Zivilbevölkerung gerichteten komplexen Angriffen und Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen gestiegen (plus 48% gegenüber 2017; 4.125 Opfer insgesamt, davon 1.404 Tote und 2.721 Verletzte). Sowohl der ISKP als auch die Taliban griffen gezielt Zivilisten an: Der ISKP war für 1.871 zivile Opfer verantwortlich, darunter waren u.a. Mitglieder der schiitischen Gemeinschaft, und die Taliban für 1.751. Obwohl die Gesamtzahl der zivilen Opfer durch gezielte Tötungen von Einzelpersonen (hauptsächlich durch Erschießung) zurückging, blieben Zivilisten inklusive religiöser Führer und Stammesältester weiterhin Ziele regierungsfeindlicher Gruppierungen. Die Gesamtzahl der durch Luftangriffe verursachten zivilen Opfer stieg im Vergleich mit dem Vorjahreswert um 61% und die Zahl der Todesopfer erreichte 82%. 9% aller zivilen Opfer wurden Luftangriffen (mehrheitlich der internationalen Luftwaffe) zugeschrieben, der höchste Wert seit 2009 (UNAMA 24.02.2019).

Ungefähr 24% der zivilen Opfer (2.612, davon 1.185 Tote und 1.427 Verletzte), werden regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben; 14% den afghanischen Sicherheitskräften, 6% den internationalen Streitkräften und 4% unbestimmten regierungsfreundlichen Gruppierungen. Die Steigerung um 4% gegenüber dem Vorjahr geht auf Luftangriffe der internationalen Streitkräfte und Fahndungsaktionen der afghanischen Sicherheitskräfte und regierungsfreundlicher Gruppierungen zurück (UNAMA 24.02.2019).

Die verbleibenden 13% der verzeichneten zivilen Opfer wurden im Kreuzfeuer während Zusammenstößen am Boden (10%), durch Beschuss aus Pakistan (1%) und durch die Explosion von Blindgängern verursacht (UNAMA 24.02.2019).

Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele:

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.02.2018, NZZ 21.03.2018, UNGASC 27.02.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.03.2018).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 01.06. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.02.2018; vgl. Slate 22.04.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.03.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.03.2018).

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.01.2018; vgl. BBC 29.01.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.01.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.01.2018).

Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (AJ 22.05.2018; AD 20.05.2018).

Registriert wurde auch eine Steigerung öffentlichkeitswirksamer gewalttätiger Vorfälle (UNGASC 27.02.2018), von denen zur Veranschaulichung hier auszugsweise einige Beispiele wiedergegeben werden sollen (Die folgende Liste enthält öffentlichkeitswirksame (high-profile) Vorfälle sowie Angriffe bzw. Anschläge auf hochrangige Ziele und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit):

* Angriff auf das Hotel Intercontinental in Kabul: Am 20.01.2018 griffen fünf bewaffnete Männer das Luxushotel Intercontinental in Kabul an. Der Angriff wurde von afghanischen Truppen abgewehrt, nachdem die ganze Nacht um die Kontrolle über das Gebäude gekämpft worden war (BBC 21.01.2018; vgl. DW 21.01.2018). Dabei wurden mindestens 14 Ausländer/innen und vier Afghan/innen getötet. Zehn weitere Personen wurden verletzt, einschließlich sechs Mitglieder der Sicherheitskräfte (NYT 21.01.2018). 160 Menschen konnten gerettet werden (BBC 21.01.2018). Alle fünf Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (Reuters 20.01.2018). Die Taliban bekannten sich zu dem Angriff (DW 21.01.2018).

* Angriff auf eine internationale Organisation (Save the Children - SCI) in Jalalabad: Am 24.01.2018 brachte ein Selbstmordattentäter ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug am Gelände der Nichtregierungsorganisation (NGO) Save The Children in der Provinzhauptstadt Jalalabad zur Explosion. Mindestens zwei Menschen wurden getötet und zwölf weitere verletzt; der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 24.01.2018; vgl. Reuters 24.01.2018, TG 24.01.2018).

* Bombenangriff mit einem Fahrzeug in Kabul: Am 27.01.2018 tötete ein Selbstmordattentäter der Taliban mehr als 100 Menschen und verletzte mindestens 235 weitere (Reuters 27.01.2018; vgl. TG 28.01.2018). Eine Bombe - versteckt in einem Rettungswagen - detonierte in einem schwer gesicherten Bereich der afghanischen Hauptstadt (TG 27.01.2018; vgl. TG 28.01.2018) - dem sogenannten Regierungs- und Diplomatenviertel (Reuters 27.01.2018).

* Angriff auf die Marshal Fahim Militärakademie: Am 29.01.2018 attackierten fünf bewaffnete Angreifer einen militärischen Außenposten in der Nähe der Marshal Fahim Militärakademie (auch bekannt als Verteidigungsakademie), die in einem westlichen Außendistrikt der Hauptstadt liegt. Bei dem Vorfall wurden mindestens elf Soldaten getötet und 15 weitere verletzt, bevor die vier Angreifer getötet und ein weiterer gefasst werden konnten. Der IS bekannte sich zu dem Vorfall (Reuters 29.01.2018; vgl. NYT 28.01.2018).

* Doppelanschlag in Kabul: Am 30.04.2018 fand im Bezirk Shash Derak in der Hauptstadt Kabul ein Doppelanschlag statt, bei dem Selbstmordattentäter zwei Explosionen verübten (AJ 30.04.2018; vgl. APN 30.04.2018). Die erste Detonation erfolgte in der Nähe des Sitzes des afghanischen Geheimdienstes (NDS) und wurde von einem Selbstmordattentäter auf einem Motorrad verübt; dabei wurden zwischen drei und fünf Menschen getötet und zwischen sechs und elf weitere verletzt (DZ 30.04.2018; vgl. APN 30.04.2018); Quellen zufolge handelte es sich dabei um Zivilisten (Focus 30.04.2018). Die zweite Detonation ging von einem weiteren Selbstmordattentäter aus, der sich, als Reporter getarnt, unter die am Anschlagsort versammelten Journalisten, Sanitäter und Polizisten gemischt hatte (DZ 30.04.2018; vgl. APN 30.04.2018, Pajhwok 30.04.2018, Tolonews 30.04.2018). Dabei kamen u.a. zehn Journalisten ums Leben, die bei afghanischen sowie internationalen Medien tätig waren (TI 01.05.2018; vgl. AJ 30.04.2018, APN 30.04.2018). Bei den beiden Anschlägen sind Quellen zufolge zwischen 25 und 29 Personen ums Leben gekommen und 49 verletzt worden (AJ 30.04.2018; vgl. APN 30.04.2018, DZ 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018). Der IS bekannte sich zu beiden Angriffen (DZ 30.04.2018; vgl. APN 30.04.2018). Quellen zufolge sind Geheimdienstmitarbeiter das Ziel des Angriffes gewesen (DZ 30.04.2018; vgl. APN 30.04.2018).

* Selbstmordangriff in Kandahar: Bei einem Selbstmordanschlag auf einen Konvoi der NATO-Truppen in Haji Abdullah Khan im Distrikt Daman der Provinz Kandahar sind am 30.04.2018 elf Kinder ums Leben gekommen und 16 weitere Menschen verletzt worden; unter den Verletzten befanden sich u.a. rumänische Soldaten (Tolonews 30.04.2018; vgl. APN 30.04.2018, Focus 30.04.2018, IM 30.04.2018). Weder der IS noch die Taliban reklamierten den Anschlag für sich (Spiegel 30.04.2018; vgl. Tolonews 30.04.2018).

* Angriff auf Polizeireviere in Kabul: Am 09.05.2018 griffen bewaffnete Männer jeweils ein Polizeirevier in Dasht-e-Barchi und Shar-i-Naw an und verursachten den Tod von zwei Polizisten und verwundeten sechs Zivilisten. Auch wurden Quellen zufolge zwei Attentäter von den Sicherheitskräften getötet (Pajhwok 09.05.2018). Der IS bekannte sich zum Angriff (Pajhwok 09.05.2018; vgl. Tolonews 09.05.2018).

* Angriff auf Regierungsbüro in Jalalabad: Nach einem Angriff auf die Finanzbehörde der Provinz Nangarhar in Jalalabad kamen am 13.05.2018 mindestens zehn Personen, darunter auch Zivilisten, ums Leben und 40 weitere wurden verletzt (Pajhwok 13.05.2018; vgl. Tolonews 13.05.2018). Die Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (AJ 13.05.2018). Quellen zufolge bekannte sich der Islamische Staat (IS) zum Angriff (AJ 13.05.2018).

* Angriff auf Polizeistützpunkte in Ghazni: Bei Taliban-Anschlägen auf verschiedene Polizeistützpunkte in der afghanischen Provinz Ghazni am 21.05.2018 kamen mindestens 14 Polizisten ums Leben (AJ 22.05.2018).

* Angriff auf das afghanische Innenministerium (MoI) in Kabul: Am 30.05.2018 griffen bewaffnete Männer den Sitz des MoI in Kabul an, nachdem vor dem Eingangstor des Gebäudes ein mit Sprengstoff geladenes Fahrzeug explodiert war. Bei dem Vorfall kam ein Polizist ums Leben. Die Angreifer konnten nach einem zweistündigen Gefecht von den Sicherheitskräften getötet werden. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (CNN 30.05.2018; vgl. Gandhara 30.05.2018)

* Selbstmordanschlag vor dem Ministerium für ländliche Rehabilitation und Entwicklung (MRRD) in Kabul: Am 11.06.2018 wurden bei einem Selbstmordanschlag vor dem Eingangstor des MRRD zwölf Menschen getötet und 30 weitere verletzt. Quellen zufolge waren Frauen, Kinder und Mitarbeiter des Ministeriums unter den Opfern (AJ 11.06.2018). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (Reuters 11.06.2018; Gandhara 11.06.2018).

* Bei einem Selbstmordanschlag in Kabul-Stadt kamen am 31.10.2018 ca. sieben Personen ums Leben und weitere acht wurden verletzt (Dawn 01.11.20181; vgl. 1TV 31.10.2018, Pajhwok 31.10

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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