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41 Innere AngelegenheitenNorm
EMRK Art8 Abs2Leitsatz
Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch die Versagung einer Aufenthaltsbewilligung aufgrund verspäteter Antragstellung im Inland und nicht vor Einreise vom Ausland aus und Gefährdung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit durch lang andauernden illegalen Aufenthalt vor Antragstellung; Unterlassung der im Hinblick auf die familiären Bindungen des Beschwerdeführers in Österreich gebotenen InteressenabwägungSpruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines Rechtsvertreters die mit 18.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen vierzehn Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Beschwerdeführer - ein kroatischer Staatsangehöriger - reiste am 16. September 1991 unter Umgehung der Grenzkontrolle über Ungarn nach Österreich ein. Sein Asylantrag vom 17. September 1991 wurde am 28. September 1993 rechtskräftig abgewiesen. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde vom Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 18. September 1995, Z95/18/1076, abgewiesen. Der Beschwerdeführer wurde am 12. November 1993 aus der Bundesbetreuung entlassen.
In der Folge stellte der Beschwerdeführer einen in Tschechien zur Post gegebenen Antrag auf Erteilung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz (AufG), der am 22. Dezember 1995 bei der Bezirkshauptmannschaft Perg einlangte. Über Befragen gab der Beschwerdeführer an, er habe diesen Antrag nicht selbst in Tschechien eingebracht.
Mit Bescheid vom 28. März 1996 wies die Bezirkshauptmannschaft Perg den Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gemäß §6 Abs2 AufG zurück und führte zur Begründung aus, die Anträge seien nicht entsprechend den Bestimmungen des §6 Abs2 AufG vor Einreise vom Ausland aus gestellt worden.
Der Bundesminister für Inneres wies die gegen den oben genannten Bescheid erhobene Berufung mit dem angefochtenen Bescheid gemäß §6 Abs2 und §13 AufG sowie §5 Abs1 AufG iVm §10 Abs1 Z4 FremdenG als unbegründet ab.
Zur Begründung verweist der angefochtene Bescheid einerseits auf das nicht erfüllte formelle Erfordernis der Antragstellung vor der Einreise nach Österreich aus dem Ausland (§6 Abs2 AufG). Weiters führt der angefochtene Bescheid aus, der Beschwerdeführer sei durch das Asylverfahren nur bis zum 28. September 1993 zum Aufenthalt in Österreich berechtigt gewesen. Durch seinen lange andauernden (26 Monate) illegalen Aufenthalt sei ein Ausschließungsgrund iSd §10 Abs1 Z4 FrG gegeben. Abschließend heißt es in der Begründung des angefochtenen Bescheides:
"Aus oben angeführtem Sachverhalt und infolge der Verfahrensvorschriften des §6 Abs2 AufG ist die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung ausgeschlossen und war auf Ihr Vorbringen - auch im Zusammenhang mit Ihren persönlichen Verhältnissen - nicht weiter einzugehen."
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die gemäß Art144 B-VG erhobene Beschwerde, in welcher der Beschwerdeführer die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 Abs1 EMRK) geltend macht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt.
3. Der Bundesminister für Inneres als belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und beantragte - ohne auf das Vorbringen des Beschwerdeführers einzugehen - die Abweisung der Beschwerde.
II. 1. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
Die belangte Behörde hat ihre Entscheidung auf §10 Abs1 Z4 FremdenG, BGBl. 838/1992 idF 314/1994, gestützt. Diese Bestimmung hat folgenden Wortlaut:
"Die Erteilung eines Sichtvermerkes ist zu versagen, wenn
...
4. der Aufenthalt des Sichtvermerkswerbers die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde;"
Im Erkenntnis VfSlg. 13490/1993 hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, daß sich die Behörde bei der Vollziehung des §10 Abs1 Z4 FremdenG damit auseinanderzusetzen habe, ob ein Aufenthalt des Sichtvermerkswerbers im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit konkret derart gefährden würde, daß die in Art8 Abs2 EMRK umschriebenen öffentlichen Interessen einen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Antragstellers rechtfertigen.
2. Der angefochtene Bescheid verletzt den Beschwerdeführer in dem durch Art8 Abs1 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens:
2.1. Ein Eingriff in das durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich garantierte - unter Gesetzesvorbehalt stehende - Recht wäre dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen wäre, auf einer dem Art8 EMRK widersprechenden Rechtsvorschrift beruhte oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hätte; ein solcher Fall läge nur vor, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre, oder wenn sie der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art8 Abs1 EMRK widersprechenden und durch Art8 Abs2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellt hätte (vgl. VfSlg. 11638/1988).
2.2. Ein derartiger Fehler ist der belangten Behörde im vorliegenden Fall anzulasten:
Der Beschwerdeführer hat nach seinem eigenen Vorbringen enge familiäre Bindungen in Österreich. Er lebt hier mit seiner Frau L B und seinen vier Kindern D, geboren am 13. Jänner 1967, D, geboren am 17. April 1985, M, geboren am 9. November 1991 (in Österreich), und M, geboren am 17. Februar 1996 (in Österreich). Dieser Umstand war der belangten Behörde auch bekannt.
Dennoch hat sie die von Verfassungs wegen gebotene Interessenabwägung nicht vorgenommen. Sie hat in der Begründung des Bescheides ausdrücklich festgehalten, daß auf das Vorbringen des Beschwerdeführers - auch im Zusammenhang mit seinen persönlichen Verhältnissen - nicht weiter einzugehen gewesen sei. Beim gegebenen Sachverhalt durfte eine (ausdrückliche und mit Begründung versehene) Interessenabwägung nicht etwa deshalb entfallen, weil von vornherein festgestanden wäre, daß sie jedenfalls zum Nachteil des Fremden ausgehen würde.
Damit hat die belangte Behörde dem Gesetz einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt. Der angefochtene Bescheid war aus diesem Grunde aufzuheben.
III. Die Kostenentscheidung
gründet sich auf §88 VerfGG 1953. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von 3.000 S enthalten.
IV. Diese Entscheidung konnte
gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.
Schlagworte
Aufenthaltsrecht, Fremdenrecht, Privat- und FamilienlebenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1997:B3473.1996Dokumentnummer
JFT_10029776_96B03473_00