TE Bvwg Erkenntnis 2019/4/18 W187 2178614-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 18.04.2019
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Entscheidungsdatum

18.04.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W187 2178614-1/18E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Hubert REISNER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX und XXXX zu Recht erkannt:

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs 1 und 4 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer reiste schlepperunterstützt unter Umgehung der Einreisebestimmungen in das Bundesgebiet ein und stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.

Er wurde am selben Tag im Rahmen einer Erstbefragung von einem Organwalter des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari zu seiner Identität, seiner Reiseroute und seinen Fluchtgründen einvernommen. Hier gab er an, am XXXX in Afghanistan, XXXX , geboren zu sein, der Volksgruppe der Hazara anzugehören und Christ zu sein. Als Beweggrund für seine Ausreise führte er an, dass sein Leben in Gefahr gewesen sei, da er zum Christentum konvertiert sei.

2. Am XXXX wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari nach Ermittlung seiner persönlichen Daten niederschriftlich zu seinem Antrag auf internationalen Schutz einvernommen. Hier wiederholte er seine Angaben sowie seinen Fluchtgrund aus der Erstbefragung und führte diesen weiter aus. Zudem legte er Empfehlungsschreiben vor.

3. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gegen den Beschwerdeführer wurde gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Unter Spruchpunkt VI. wurde die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG mit 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.

4. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer, unterstützt durch den amtswegig beigegebenen und im Spruch ausgewiesenen Rechtsvertreter, fristgerecht vollumfängliche Beschwerde wegen unrichtiger Tatsachenfeststellung, unrichtiger Beweiswürdigung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung. Gemeinsam mit der Beschwerde wurden weitere Integrationsunterlagen und Empfehlungsschreiben des Beschwerdeführers vorgelegt.

5. Das BFA legte die Beschwerde und den Akt des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

6. Mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung wurden den Parteien aktuelle Länderinformationen zu Afghanistan übermittelt.

7. Am XXXX und (fortgesetzt) am XXXX fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, im Zuge derer der Beschwerdeführer im Beisein eines Dolmetschers bzw einer Dolmetscherin für die Sprache Dari und des ausgewiesenen Rechtsvertreters vom erkennenden Richter zu seinem Antrag auf internationalen Schutz und seinen Beschwerdegründen einvernommen wurde. Die belangte Behörde blieb der Verhandlung fern.

Die Verhandlungsschriften lauten auszugsweise:

(Verhandlung vom XXXX )

"[...]

Richter: Verstehen Sie den Dolmetscher gut?

Beschwerdeführer: Ich verstehe Sie bis jetzt.

Richter: Sind Sie psychisch und physisch in der Lage, der heute stattfindenden mündlichen Verhandlung zu folgen? Liegen Gründe vor, die Sie daran hindern?

Beschwerdeführer: Ja.

Richter: Nehmen Sie regelmäßig Medikamente, befinden Sie sich in medizinischer Behandlung?

Beschwerdeführer: Ich nehme im Sommer Medikamente gegen die Allergie die ich habe, jetzt im Winter nehme ich keine Medikamente ein. Auf Nachfrage des D ob ich chronische Krankheiten habe wofür ich Medikamente einnehme gebe ich an, nein. Für die heutige Verhandlung bin ich fit, obwohl ich nicht ausgeschlafen bin, bin ich trotzdem konzentriert.

[...]

Richter: Können Sie sich an Ihre Aussage vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erinnern? Waren diese richtig, vollständig und wahrheitsgetreu?

Beschwerdeführer: Sowohl als auch, ja.

Richter: Geben Sie Ihr Geburtsdatum an. Wo sind Sie auf die Welt gekommen?

Beschwerdeführer: Wann ich genau geboren bin ist mir nicht bekannt, will wir Afghanen Probleme mit den Geburtsdaten haben, hier in Österreich wurde festgehalten der XXXX . Mein Geburtsort ist XXXX , XXXX , XXXX , Afghanistan.

Richter: Welche Sprachen sprechen Sie? Können Sie diese lesen und schreiben?

Beschwerdeführer: Ich spreche Dari, ein wenig Englisch, Deutsch, Holländisch und Paschtu und sehr wenig Türkisch. Ich kann in Dari und in Deutsch schreiben aber nicht perfekt. Ebenso auch in Englisch.

Richter: Geben Sie Ihre Volksgruppe, Religion und Ihren Familienstand an.

Beschwerdeführer: Ich gehöre der Volksgruppe der Hazara an und bin verheiratet und habe Kinder.

Richter: Wie viele Kinder?

Beschwerdeführer: Ich habe fünf Kinder.

Richter: Können Sie bitte soweit wie möglich chronologisch angeben, wann und wo Sie sich in Afghanistan aufgehalten haben.

Beschwerdeführer: Geboren bin ich im genannten Heimatdorf, ich habe in diesem Heimatdorf durchgehend bis zur Ergreifung der Macht seitens der Taliban gelebt. In welchem Jahr die Taliban offiziell an die Macht kamen ist mir nicht bekannt. Nachdem die Taliban an die Macht kamen ging ich in den Iran und dann weiter in die Türkei. Eine Zeit lang habe ich in der Türkei gelebt, von der Türkei kam ich nach Europa und traf in den Niederlanden ein, gegen Ende des Jahres 2000. Ich blieb in den Niederlanden bis ungefähr Ende 2005. Gegen Ende 2005 ging ich freiwillig zurück nach Afghanistan. Warum ich freiwillig ging war dadurch begründet, dass ich keinen erfreulichen Ausgang meines Asylverfahrens in Sicht hatte, ich hatte in allen Instanzen negative Antworten erhalten. Die Taliban waren nicht mehr an der Macht in Afghanistan, diese Gründe haben mich bewogen mich für eine freiwillige Ausreise aus den Niederlanden nach Afghanistan zu entscheiden. Nachdem ich dann in Afghanistan war heiratete ich und gründete eine Familie und hatte dort ein Geschäft. Genau weiß ich nicht ob es im Jahr 2013 oder 2014 war, ich ließ mich bei der Polizei als Polizist registrieren. Ich habe knapp drei Jahre bei der Polizei gearbeitet. Dann ereignete sich dort ein Vorfall, wodurch mein Leib und Leben gefährdet wurde und dieser hat veranlasst, dass sich mein Land verlassen habe. Meine Ausreise aus Afghanistan beim zweiten Mal fand gegen Ende 2015 statt. Anfang des Jahres 2016 war ich schon in Pakistan. Von Pakistan kam ich dann mit Hilfe des Schleppers in den Iran, von dort in die Türkei, von der Türkei dann nach Europa.

Richter: Wie haben Sie in Afghanistan gewohnt?

Beschwerdeführer: Zuletzt? Ich habe mit meiner Frau und mit meinen Kindern gelebt. Das Haus in dem wir damals lebten gehörte uns.

Richter: Welche Schulbildung haben Sie erhalten?

Beschwerdeführer: Ich habe nie eine öffentliche, moderne Schule besucht. Als ich ein kleines Kind war schickte mich mein Vater in eine Koranschule. Zwei, drei Jahre habe ich in einer Koranschule gelernt.

Richter: Wo und wie leben Ihre Verwandten?

Beschwerdeführer: Es leben derzeit meine Schwester, mein Onkel väterlicherseits, mein Onkel mütterlicherseits in der Stadt Herat. Mein Bruder lebt im genannten Heimatdorf. Ich hatte Tanten väterlicherseits und mütterlicherseits gehabt. Diese sind aber alle bereits gestorben. Ergänzend gebe ich an, dass ich zwei Brüder habe. Ein weiterer von diesen zwei Brüdern lebt ebenso im genannten Dorf, alle beide leben im genannten Dorf. Eine Schwester von mir lebt bei meinem Bruder im Heimatdorf, sie ist nicht verheiratet. Es gibt noch Cousins und Cousinen, soll ich diese auch aufzählen?

Richter: Nur, wenn Sie zu diesen in Kontakt stehen.

Beschwerdeführer: Kontakt habe ich nicht mit ihnen, ich habe lediglich mit meiner Frau Kontakt.

Richter: Wollen Ihre Frau und Kinder auch nach Österreich kommen?

Beschwerdeführer: Es würde von den Umständen abhängen. Wenn ich hier dauerhaft leben will und hierbleiben will, muss dann meine Familie zu mir ziehen.

Richter: Wie ist Ihr Leben derzeit in Österreich? Was machen Sie in Österreich?

Beschwerdeführer: Derzeit wohne ich in einem Flüchtlingsheim, mit fünf weiteren Flüchtlingen. Tagsüber gehe ich zur Schule. Mit dieser Schule meine ich einen Pflichtschulabschluss-kurs. Ich würde diesen Kurs in vier Monaten abschließen. Sonntags gehe ich zur Kirche. Vor ungefähr einem Jahr half ich dem Roten Kreuz in einem Programm mit der Bezeichnung "Team Österreich Tafel", durch dieses Programm wurde gratis Essen den Bedürftigen zur Verfügung gestellt. Wenn ich zu Hause bin lerne ich weiter neben der deutschen Sprache auch andere Fächer. Das ist alles.

Richter: Haben Sie Freunde in Österreich?

Beschwerdeführer: Ja. Bei diesen Freunden handelt es sich nicht nur um Freunde aus meinem Flüchtlingsheim und Afghanen, sondern auch um Österreicher. Aus der Kirche habe ich auch Bekanntschaften. Einer von meinen afghanischen Freunden lebt seit langem in Wien.

Richter: Sind Sie Mitglied in einem Verein?

Beschwerdeführer: Nein.

Richter: Hatten Sie Probleme mit der Polizei oder einem Gericht?

Beschwerdeführer: Nein.

Richter: Schildern Sie den Vorfall, der zu Ihrer Flucht geführt hat!

Beschwerdeführer: In Afghanistan war ich in einem Anhaltezentrum, einem Gefängnis eingesetzt, als Polizist. Mein Vorgesetzter ebnete damals den Fluchtweg für einen Gefangenen aus der Gefangenschafft. Nachdem dieser Gefangene die Flucht ergriffen hatte, beschuldigte er mich dafür. Er warf mir vor meinen Job damals nicht richtig gemacht zu haben und nicht gut auf das Gefängnis aufgepasst zu haben. An dieser Stelle möchte ich Ihnen angeben, dass ich diesem Vorgesetzten damals von meinem Interesse an der christlichen Religion, damals als ich in den Niederlanden war, erzählt hatte.

[...]

Der Richter vertagt die Verhandlung auf unbestimmte Zeit."

(Fortgesetzte Verhandlung vom XXXX ):

"Richter: Verstehen Sie die Dolmetscherin gut?

Beschwerdeführer: Ja.

Richter: Sind Sie psychisch und physisch in der Lage, der heute stattfindenden mündlichen Verhandlung zu folgen? Liegen Gründe vor, die Sie daran hindern?

Beschwerdeführer: Ja.

Richter: Nehmen Sie regelmäßig Medikamente, befinden Sie sich in medizinischer Behandlung?

Beschwerdeführer: Ich nehme Tabletten gegen meine Allergie ein. Gelegentlich nehme ich auch Augentropfen.

[...]

Richter: Können Sie sich an Ihre Aussage vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erinnern? Waren diese richtig, vollständig und wahrheitsgetreu?

Beschwerdeführer: Die Einvernahme vor dem BFA wurde mir nicht rückübersetzt. Damit meine ich, dass der Dolmetscher die Einvernahme überflogen hat und nur stellenweise rückübersetzt hat.

Richter: Geben Sie Ihr Geburtsdatum an. Wo sind Sie auf die Welt gekommen?

Beschwerdeführer: Mein genaues Geburtsdatum kenne ich nicht, daher wurde hier der XXXX bestimmt. Ich bin in der Provinz XXXX im Distrik XXXX im Dorf XXXX geboren.

Richter: Welche Sprachen sprechen Sie? Können Sie diese lesen und schreiben?

Beschwerdeführer: Lesen und Schreiben kann ich auf Dari, obwohl ich nicht richtig schreiben kann, beim Lesen tue ich mir wesentlich leichter. Englisch beherrsche ich auch ein wenig, Türkisch ebenso, Deutsch habe ich auch erlernt sowie Holländisch.

Richter: Geben Sie Ihre Volksgruppe, Religion und Ihren Familienstand an.

Beschwerdeführer: Ich gehöre zur Volksgruppe der Hazara, ich bin Christ. Ich bin verheiratet. Unsere Eheschließung wurde nicht staatlich erfasst, sondern nur traditionell vor einem Mullah.

Richter: Haben Sie Kinder?

Beschwerdeführer: Ja, 5 Kinder. Sie leben in Afghanistan.

Richter: Können Sie bitte soweit wie möglich chronologisch angeben, wann und wo Sie sich in Afghanistan aufgehalten haben.

Beschwerdeführer: Ich habe in Afghanistan nur in meinem Heimatdorf gelebt. Als die Taliban gekommen sind, haben wir flüchten müssen. Ich bin dann damals alleine in den Iran gekommen und habe mich dort eine Zeit lang aufgehalten. Ich bin dann weiter in die Türkei gereist, wo ich mich auch eine Zeit lang aufgehalten habe. Von dort aus bin ich nach Griechenland und weiter nach Italien gekommen. Ich habe dann in Holland einen Asylantrag gestellt. Fünf Jahre habe ich in Holland gelebt. Dort wurde mein Asylantrag abgelehnt. Ich bin dann freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt, weil die Taliban von dort abgezogen sind. Ich habe dann geheiratet. Ich habe dann in Afghanistan weiter gelebt, bis mein Leben wieder in Gefahr war. Schlussendlich musste ich Ende 2015 die Heimat Afghanistan verlassen.

Richter: Wie haben Sie in Afghanistan gewohnt?

Beschwerdeführer: Ich habe in einem Eigentumshaus gewohnt.

Richter: Was haben Sie in Afghanistan gemacht, gearbeitet, gelernt oder etwas Anderes?

Beschwerdeführer: Bevor ich damals meine Reise nach Holland angetreten habe, habe ich auf meinen eigenen Grundstücken gearbeitet. Nach meiner Rückkehr aus Holland habe ich ein Geschäft geführt. Ich habe alles Mögliche verkauft, unter anderem auch Lebensmittel, aber auch Treibstoff.

Richter: Welche Schulbildung haben Sie erhalten?

Beschwerdeführer: Ich habe bedauerlicherweise keine Schule besucht, als ich ein Kind war. Als ich klein war, habe ich drei Jahre Unterricht von einem Mullah erhalten.

Richter: Wo und wie leben Ihre Verwandten?

Beschwerdeführer: Meine Angehörigen, also die Kinder und die Ehefrau leben nach wie vor in Afghanistan. Meine Ehefrau arbeitet als Lehrerin.

Richter: Haben Sie Kontakt zu Ihrer Familie (Vater, Mutter, Bruder, Schwester, Onkel)?

Beschwerdeführer: Ja mit meiner Ehefrau.

Richter: Haben Sie in Afghanistan Verwandte oder sonstige wichtige Kontaktpersonen und wie heißen sie? Wo leben sie? Haben Sie zu ihnen Kontakt?

Beschwerdeführer: Meine zwei Brüder leben dort, so wie meine zwei Schwestern, wobei eine Schwester verheiratet ist. Kontakt habe ich keinen zu ihnen.

Richter: Will Ihre Familie auch nach Österreich kommen?

Beschwerdeführer: Ja, sie müssen nach Österreich kommen, da ich ein Christ bin, sind sie durch mich auch gefährdet. Unsere Heimat ist Afghanistan. Woanders können wir nicht leben. Ich meine, dass sie durch mich auch dort gefährdet sind, weil ich ein Christ bin.

Richter: Wie ist Ihr Leben derzeit in Österreich? Was machen Sie in Österreich?

Beschwerdeführer: Ich besuche zur Zeit die VHS. Seit ca. 10 Monaten besuche ich diese Schule. Davor hatte ich eine Vorbereitungsphase, die auch drei bis vier Monate gedauert hat. Bis Mai werden wir noch unterrichtet. Danach erhalte ich den Pflichtschulabschluss.

Richter: Haben Sie Freunde in Österreich?

Beschwerdeführer: Ja.

Richter: Sind Sie Mitglied in einem Verein?

Beschwerdeführer: Nein.

Richter: Hatten Sie Probleme mit der Polizei oder einem Gericht?

Beschwerdeführer: Nein.

Richter: Schildern Sie den Vorfall, der zu Ihrer Flucht geführt hat!

Beschwerdeführer: Mein Mitarbeiter, der zugleich auch mein Chef war, hat den Menschen vor Ort verkündet, dass ich ein Christ bin. Er hat ebenfalls erzählt, dass ich in Holland gelebt habe. Er hat auch herumerzählt, dass ich Kirchen besucht hätte. Dadurch war ich hoch gefährdet. Wenn ein Moslem den Islam verlässt, so ist das auch festgelegt, dass diese Person ermordet gehört. Ich habe vor dem BFA bereits alles gesagt. Die Einvernahme hat damals acht Stunden gedauert mit einer 10-minütigen Pause.

Richter: Verweisen Sie damit auf Ihre Aussage vor dem BFA?

Beschwerdeführer: Ja.

Richter: Sind Sie jemals persönlich bedroht oder angegriffen worden?

Beschwerdeführer: Ja. Ich wurde bedroht. Mein Chef, den ich bereits erwähnt habe, hat geschworen, dass ich nicht am Leben gelassen werde, entweder durch ihn oder durch andere getötet werde.

Richter: Wodurch sind Sie aktuell in Afghanistan bedroht?

Beschwerdeführer: Die Gefahr, die jedem Christen droht, jedem einzelnen, der zuvor ein Moslem war. Wenn man vom Islam abfällt und Christ wird, so wird man mit dem Tod bestraft.

Richter: Sind Sie getauft?

Beschwerdeführer: Ja. Ich wurde am XXXX in einer Kirche in XXXX katholisch getauft. Ich habe damals die Zeugen Jehovas kennengelernt. Sie haben mir die Bibel gegeben. Ich habe damals nicht entschieden, ein Teil oder Mitglied zu werden. Damals habe ich in Niederösterreich, in Graz und in Wien an Treffen teilgenommen.

Richter: Besuchen Sie regelmäßig katholische Messen?

Beschwerdeführer: Ja. Jeden Sonntag besuche ich die reguläre Messe. Darüber hinaus nehme ich auch an anderen Feierlichkeiten teil.

Richter: Was hat Sie dann überzeugt, zur katholischen Kirche zu kommen oder zu gehen?

Beschwerdeführer: Ich habe bereits in Holland mit anderen Katholiken die Messe besucht. Ich habe bereits damals den Glauben als Katholik gefunden. Ich war zwar damals nicht getauft. Allerdings habe ich an Jesus Christus und alles, was dazu gehört, fest in meinem Inneren geglaubt.

Richter: Haben Sie eine wie auch immer geartete Taufvorbereitung besucht?

Beschwerdeführer: Ja. Ca. von Anfang des Jahres 2018 bis zum 3. Monat hatten wir einmal pro Woche einen Firmungskurs. Etwa 3 bis 4 Wochen vor der Taufe hatte ich eine Vorbereitungszeit. Mir wurden die sieben Sakramente beigebracht. Mir wurde auch gesagt, dass nach der Taufe mir "Brot in den Mund gelegt". Das ist der Leib Christi. Das, woran ich glaube, wurde mir in richtiger Reihenfolge erklärt, welche Regeln ich einhalten muss. Das war es.

Richter: Meines Wissens nach ist das mit dem Leib Christi ein anderes Sakrament, das typischerweise kleine Kinder im Alter mit 6 oder 7 Jahren bekommen. Das hat mit der Taufe nicht wirklich etwas zu tun.

Beschwerdeführer: Ich habe damit gemeint, dass ich das auch gelernt habe. Mir wurden auch die 10 Gebote beigebracht. Mir wurde erklärt, dass erst durch die Taufe die Vollkommenheit, das heißt, dass man erst dann Christ wird.

Richter: Wie sind Sie nach Österreich gekommen?

Beschwerdeführer: Mit Schlepperhilfe.

Richter: Wie haben Sie die Reise bezahlt?

Beschwerdeführer: Ich hatte das Geld.

Richter: Schildern Sie bitte nochmals die Gründe Ihrer Beschwerde!

Beschwerdeführer: Weil ich eine negative Entscheidung erhalten habe.

Richter: Was würde passieren, wenn Sie jetzt nach Afghanistan zurückkehren müssten?

Beschwerdeführer: Wie ich bereits zuvor erwähnt habe, bin ich ein Christ. Wenn jemand als Moslem den Islam verlässt, so ist das bereits im Koran festgelegt, dass diese Person mit dem Tod zu bestrafen ist.

[...]."

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung legte der Beschwerdeführer eine Bestätigung über den Beginn eines Pflichtschulabschlusslehrganges vom XXXX und seinen Taufschein, ausgestellt vom römisch-katholischen Pfarramt am XXXX , vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt des BFA und den gegenständlichen Verfahrensakt betreffend den Beschwerdeführer sowie durch Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

1. Feststellungen

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers und seinem Leben in Afghanistan und Österreich

Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und bekennt sich zum Christentum. Er ist in Afghanistan in der Provinz XXXX , Distrikt XXXX , geboren und ist volljährig. Seine Muttersprache ist Dari.

Er ist traditionell verheiratet und hat fünf Kinder. Seine Ehefrau und Kinder leben in Afghanistan.

Der Beschwerdeführer besuchte in Afghanistan drei Jahre eine Koranschule und hat Berufserfahrung als Landwirt, Verkäufer und Polizist.

Aufgrund der schlechten Sicherheitslage verließ der Beschwerdeführer seinen Herkunftsstaat zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt im Jahr 2000 und hielt sich sodann fünf Jahre in den Niederlanden auf, wo er einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Nach negativem Ausgang seines Asylverfahrens kehrte der Beschwerdeführer im Jahr 2005 mit Hilfe einer Rückkehrorganisation freiwillig nach Afghanistan zurück.

Nach seiner Rückkehr nach Afghanistan ehelichte er seine nunmehrige Ehefrau und nahm seine Tätigkeit als Polizist bzw Gefängniswerter auf.

Der Beschwerdeführer reiste Ende 2015 neuerlich aus Afghanistan aus und im Februar 2016 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein, wo er am XXXX gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Diesen begründete er (ua) mit einer Verfolgung seiner Person aufgrund seines christlichen Glaubens.

Der Beschwerdeführer hält sich seit seiner Einreise im Februar 2016 durchgehend in Österreich auf und spricht bereits gut Deutsch. Er bezieht Leistungen aus der Grundversorgung und ist nicht erwerbstätig. Er besucht regelmäßig Deutschkurse und absolviert derzeit einen Pflichtschulabschlusslehrgang. Er engagierte sich im Rahmen des Projekts "Team Österreich Tafel" ehrenamtlich beim Roten Kreuz.

Der Beschwerdeführer leidet an einer Gräser-Allergie, ist ansonsten aber gesund und in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.2 Zur Konversion des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer entstammt einer schiitisch-muslimischen Familie, hat sich jedoch mittlerweile dem christlichen Glauben zugewandt. Er begann bereits während seines fünfjährigen Aufenthalts in den Niederlanden, sich für das Christentum zu interessieren und besuchte schon dort katholische Gottesdienste.

Nach seiner Rückkehr nach Afghanistan erwähnte der Beschwerdeführer gegenüber seinem damaligen Arbeitskollegen, dass er in den Niederlanden in der Bibel gelesen habe und in die Kirche gegangen sei. Sein Chef machte daraufhin öffentlich, dass der Beschwerdeführer dem Christentum zugewandt ist, woraufhin der Beschwerdeführer in Afghanistan Anfeindungen und Bedrohungen seitens seiner Mitmenschen erfuhr.

Nach seiner Einreise in Österreich kam der Beschwerdeführer in Kontakt mit den Zeugen Jehovas. Er besuchte sodann regelmäßig die Zusammenkünfte und Bibelkurse der Zeugen Jehovas und nahm auch an einem dreitägigen Kongress der Zeugen Jehovas teil.

Der Beschwerdeführer besucht sonntags regelmäßig den katholischen Gottesdienst und nimmt an kirchliche Feierlichkeiten teil. Er befasst sich mit der christlichen Lehre und hat profunde Kenntnisse vom Christentum. Nach Absolvierung eines mehrwöchigen Tauf-Vorbereitungskurses wurde der Beschwerdeführer am XXXX von der römisch-katholischen Pfarrgemeinde getauft.

1.3 Zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers

Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.6.2018:

1.3.1 Politische Lage

Parlament und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus dem Unterhaus, auch wolesi jirga, "Kammer des Volkes", genannt, und dem Oberhaus, meshrano jirga auch

"Ältestenrat" oder "Senat" genannt. Das Unterhaus hat 250 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz im Unterhaus reserviert (AAN 22.1.2017; vgl. USDOS 20.4.2018, USDOS 15.8.2017, CRS 13.12.2017, Casolino 2011). Die Mitglieder des Unterhauses haben ein Mandat von fünf Jahren (Casolino 2011). Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von ca. 25% im Unterhaus (AAN 22.1.2017).

Das Oberhaus umfasst 102 Sitze (IPU 27.2.2018). Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für behinderte Personen bestimmt. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 20.4.2018; vgl. USDOS 15.8.2017).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leider die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 5.2018).

Die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen konnten wegen ausstehender Wahlrechtsreformen nicht am geplanten Termin abgehalten werden. Daher bleibt das bestehende Parlament weiterhin im Amt (AA 9.2016; vgl. CRS 12.1.2017). Im September 2016 wurde das neue Wahlgesetz verabschiedet und Anfang April 2018 wurde von der unabhängigen Wahlkommission (IEC) der 20. Oktober 2018 als neuer Wahltermin festgelegt. Gleichzeitig sollen auch die Distriktwahlen stattfinden (AAN 12.4.2018; vgl. AAN 22.1.2017, AAN 18.12.2016).

Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 15.8.2017). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (AE o. D.). Der Terminus "Partei" umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einer Anzahl von ihnen war es möglich, die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen (USIP 3.2015).

Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren, denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen traditionell mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des sich noch entwickelnden Parteiensystems ist auf strukturelle Elemente (wie z.B. das Fehlen eines Parteienfinanzierungsgesetzes) zurückzuführen sowie auf eine allgemeine Skepsis der Bevölkerung und der Medien. Reformversuche sind im Gange, werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen immer wieder gestört, etwa durch das Unterhaus selbst (AA 9.2016). Ein hoher Grad an Fragmentierung sowie eine Ausrichtung auf Führungspersönlichkeiten sind charakteristische Merkmale der afghanischen Parteienlandschaft (AAN 6.5.2018).

Mit Stand Mai 2018 waren 74 Parteien beim Justizministerium (MoJ) registriert (AAN 6.5.2018).

Parteienlandschaft und Opposition

Nach zweijährigen Verhandlungen unterzeichneten im September 2016 Vertreter der afghanischen Regierung und der Hezb-e Islami ein Abkommen (CRS 12.1.2017), das letzterer Immunität für "vergangene politische und militärische" Taten zusichert. Dafür verpflichtete sich die Gruppe, alle militärischen Aktivitäten einzustellen (DW 29.9.2016). Das Abkommen beinhaltete unter anderem die Möglichkeit eines Regierungspostens für den historischen Anführer der Hezb-e-Islami, Gulbuddin Hekmatyar; auch soll sich die afghanische Regierung bemühen, internationale Sanktionen gegen Hekmatyar aufheben zu lassen (CRS 12.1.2017). Tatsächlich wurde dieser im Februar 2017 von der Sanktionsliste des UN-Sicherheitsrates gestrichen (AAN 3.5.2017). Am 4.5.2017 kehrte Hekmatyar nach Kabul zurück (AAN 4.5.2017). Die Rückkehr Hekmatyars führte u.a. zu parteiinternen Spannungen, da nicht alle Fraktionen innerhalb der Hezb-e Islami mit der aus dem Friedensabkommen von 2016 erwachsenen Verpflichtung sich unter Hekmatyars Führung wiederzuvereinigen, einverstanden sind (AAN 25.11.2017; vgl. Tolonews 19.12.2017, AAN 6.5.2018). Der innerparteiliche Konflikt dauert weiter an (Tolonews 14.3.2018).

Ende Juni 2017 gründeten Vertreter der Jamiat-e Islami-Partei unter Salahuddin Rabbani und Atta Muhammad Noor, der Jombesh-e Melli-ye Islami-Partei unter Abdul Rashid Dostum und der Hezb- e Wahdat-e Mardom-Partei unter Mardom Muhammad Mohaqeq die semi-oppositionelle "Coalition for the Salvation of Afghanistan", auch "Ankara Coalition" genannt. Diese Koalition besteht aus drei großen politischen Parteien mit starker ethnischer Unterstützung (jeweils Tadschiken, Usbeken und Hazara) (AB 18.11.2017; vgl. AAN 6.5.2018).

Unterstützer des weiterhin politisch tätigen ehemaligen Präsidenten Hamid Karzai gründeten im Oktober 2017 eine neue politische Bewegung, die Mehwar-e Mardom-e Afghanistan (The People's Axis of Afghanistan), unter der inoffiziellen Führung von Rahmatullah Nabil, des ehemaligen Chefs des afghanischen Geheimdienstes (NDS). Später distanzierten sich die Mitglieder der Bewegung von den politischen Ansichten Hamid Karzais (AAN 6.5.2018; vgl. AAN 11.10.2017).

Anwarul Haq Ahadi, der langjährige Anführer der Afghan Mellat, eine der ältesten Parteien Afghanistans, verbündete sich mit der ehemaligen Mujahedin-Partei Harakat-e Enqilab-e Eslami-e Afghanistan. Gemeinsam nehmen diese beiden Parteien am New National Front of Afghanistan teil (NNF), eine der kritischsten Oppositionsgruppierungen in Afghanistan (AAN 6.5.2018; vgl. AB 29.5.2017).

Eine weitere Oppositionspartei ist die Hezb-e Kongara-ya Melli-ye Afghanistan (The National Congress Party of Afghanistan) unter der Führung von Abdul Latif Pedram (AB 15.1.2016; vgl. AB 29.5.2017).

Auch wurde die linksorientierte Hezb-e-Watan-Partei (The Fatherland Party) wieder ins Leben gerufen, mit der Absicht, ein wichtiges Segment der ehemaligen linken Kräfte in Afghanistan zusammenzubringen (AAN 6.5.2018; vgl. AAN 21.8.2017).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Am 28. Februar 2018 machte Afghanistans Präsident Ashraf Ghani den Taliban ein Friedensangebot (NYT 11.3.2018; vgl. TS 28.2.2018). Die Annahme des Angebots durch die Taliban würde, so Ghani, diesen verschiedene Garantien gewähren, wie eine Amnestie, die Anerkennung der Taliban-Bewegung als politische Partei, eine Abänderung der Verfassung und die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Anführer (TD 7.3.2018). Quellen zufolge wird die Annahme bzw. Ablehnung des Angebots derzeit in den Rängen der Taliban diskutiert (Tolonews

16.4.2018; vgl. Tolonews 11.4.2018). Anfang 2018 fanden zwei Friedenskonferenzen zur Sicherheitslage in Afghanistan statt: die zweite Runde des Kabuler Prozesses [Anm.: von der afghanischen Regierung ins Leben gerufene Friedenskonferenz mit internationaler Beteiligung] und die Friedenskonferenz in Taschkent (TD 24.3.2018; vgl. TD 7.3.2018, NZZ 28.2.2018). Anfang April rief Staatspräsident Ghani die Taliban dazu auf, sich für die Parlamentswahlen im Oktober 2018 als politische Gruppierung registrieren zu lassen, was von diesen jedoch abgelehnt wurde (Tolonews 16.4.2018). Ende April 2018 kam es in diesem Zusammenhang zu Angriffen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich des IS, aber auch der Taliban) auf mit der Wahlregistrierung betraute Behörden in verschiedenen Provinzen.

Am 19.5.2018 erklärten die Taliban, sie würden keine Mitglieder afghanischer Sicherheitskräfte mehr angreifen, wenn diese ihre Truppen verlassen würden, und gewährten ihnen somit eine "Amnestie". In ihrer Stellungnahme erklärten die Aufständischen, dass das Ziel ihrer Frühlingsoffensive Amerika und ihre Alliierten seien (AJ 19.5.2018).

Am 7.6.2018 verkündete Präsident Ashraf Ghani einen Waffenstillstand mit den Taliban für den Zeitraum 12.6.2018 - 20.6.2018. Die Erklärung erfolgte, nachdem sich am 4.6.2018 über 2.000 Religionsgelehrte aus ganz Afghanistan in Kabul versammelt hatten und eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aussprachen (Tolonews 7.6.2018; vgl. Reuters 7.6.2018, RFL/RL 5.6.2018). Durch die Fatwa wurden Selbstmordanschläge für ungesetzlich (nach islamischem Recht, Anm.) erklärt und die Taliban dazu aufgerufen, den Friedensprozess zu unterstützen (Reuters 5.6.2018). Die Taliban selbst gingen am 9.6.2018 auf das Angebot ein und erklärten einen Waffenstillstand von drei Tagen (die ersten drei Tage des Eid-Fests, Anm.). Der Waffenstillstand würde sich jedoch nicht auf die ausländischen Sicherheitskräfte beziehen; auch würden sich die Taliban im Falle eines militärischen Angriffs verteidigen (HDN 10.6.2018; vgl. TH 10.6.2018, Tolonews 9.6.2018).

1.3.2 Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.2.2018).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.).

Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan (UNGASC 27.2.2018); für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712 (UNGASC 9.3.2017). Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevanter Vorfälle registriert (UNGASC 15.3.2016).

Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.8.2017).

Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielter Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht. Östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen (UNGASC 27.2.2018). Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.2.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016, ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden (UNGASC 27.2.2018).

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 6.6.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.2.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.2.2018).

Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.2.2018). Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.2.2018).

Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.2.2018, NZZ 21.3.2018, UNGASC 27.2.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.3.2018).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.2.2018; vgl. Slate 22.4.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.3.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.3.2018).

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.1.2018; vgl. BBC 29.1.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.1.2018).

Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (AJ 22.5.2018; AD 20.5.2018).

Registriert wurde auch eine Steigerung öffentlichkeitswirksamer gewalttätiger Vorfälle (UNGASC 27.2.2018), von denen zur Veranschaulichung hier auszugsweise einige Beispiele wiedergegeben werden sollen (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste enthält öffentlichkeitswirksame (high-profile) Vorfälle sowie Angriffe bzw. Anschläge auf hochrangige Ziele und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit).

• Selbstmordanschlag vor dem Ministerium für ländliche Rehabilitation und Entwicklung (MRRD) in Kabul: Am 11.6.2018 wurden bei einem Selbstmordanschlag vor dem Eingangstor des MRRD zwölf Menschen getötet und 30 weitere verletzt. Quellen zufolge waren Frauen, Kinder und Mitarbeiter des Ministeriums unter den Opfern (AJ 11.6.2018). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (Reuters 11.6.2018; Gandhara 11.6.2018).

• Angriff auf das afghanische Innenministerium (MoI) in Kabul: Am 30.5.2018 griffen bewaffnete Männer den Sitz des MoI in Kabul an, nachdem vor dem Eingangstor des Gebäudes ein mit Sprengstoff geladenes Fahrzeug explodiert war. Bei dem Vorfall kam ein Polizist ums Leben. Die Angreifer konnten nach einem zweistündigen Gefecht von den Sicherheitskräften getötet werden. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (CNN 30.5.2018; vgl. Gandhara 30.5.2018).

• Angriff auf Polizeistützpunkte in Ghazni: Bei Taliban-Anschlägen auf verschiedene Polizeistützpunkte in der afghanischen Provinz Ghazni am 21.5.2018 kamen mindestens 14 Polizisten ums Leben (AJ 22.5.2018).

• Angriff auf Regierungsbüro in Jalalabad: Nach einem Angriff auf die Finanzbehörde der Provinz Nangarhar in Jalalabad kamen am 13.5.2018 mindestens zehn Personen, darunter auch Zivilisten, ums Leben und 40 weitere wurden verletzt (Pajhwok 13.5.2018; vgl. Tolonews 13.5.2018). Die Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (AJ 13.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich der Islamische Staat (IS) zum Angriff (AJ 13.5.2018).

• Angriff auf Polizeireviere in Kabul: Am 9.5.2018 griffen bewaffnete Männer jeweils ein Polizeirevier in Dasht-e-Barchi und Shar-i-Naw an und verursachten den Tod von zwei Polizisten und verwundeten sechs Zivilisten. Auch wurden Quellen zufolge zwei Attentäter von den Sicherheitskräften getötet (Pajhwok 9.5.2018). Der IS bekannte sich zum Angriff (Pajhwok 9.5.2018; vgl. Tolonews 9.5.2018).

• Selbstmordangriff in Kandahar: Bei einem Selbstmordanschlag auf einen Konvoi der NATO-Truppen in Haji Abdullah Khan im Distrikt Daman der Provinz Kandahar sind am 30.4.2018 elf Kinder ums Leben gekommen und 16 weitere Menschen verletzt worden; unter den Verletzten befanden sich u.a. rumänische Soldaten (Tolonews 30.4.2018b; vgl. APN 30.4.2018b, Focus 30.4.2018, IM 30.4.2018). Weder der IS noch die Taliban reklamierten den Anschlag für sich (Spiegel 30.4.2018; vgl. Tolonews 30.4.2018b).

• Doppelanschlag in Kabul: Am 30.4.2018 fand im Bezirk Shash Derak in der Hauptstadt Kabul ein Doppelanschlag statt, bei dem Selbstmordattentäter zwei Explosionen verübten (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Die erste Detonation erfolgte in der Nähe des Sitzes des afghanischen Geheimdienstes (NDS) und wurde von einem Selbstmordattentäter auf einem Motorrad verübt; dabei wurden zwischen drei und fünf Menschen getötet und zwischen sechs und elf weitere verletzt (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b); Quellen zufolge handelte es sich dabei um Zivilisten (Focus 30.4.2018). Die zweite Detonation ging von einem weiteren Selbstmordattentäter aus, der sich, als Reporter getarnt, unter die am Anschlagsort versammelten Journalisten, Sanitäter und Polizisten gemischt hatte (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b, Pajhwok 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Dabei kamen u.a. zehn Journalisten ums Leben, die bei afghanischen sowie internationalen Medien tätig waren (TI 1.5.2018; vgl. AJ 30.4.2018, APN 30.4.2018a,). Bei den beiden Anschlägen sind Quellen zufolge zwischen 25 und 29 Personen ums Leben gekommen und 49 verletzt worden (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a, DZ 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Der IS bekannte sich zu beiden Angriffen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Quellen zufolge sind Geheimdienstmitarbeiter das Ziel des Angriffes gewesen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a).

• Angriff auf die Marshal Fahim Militärakademie: Am 29.1.2018 attackierten fünf bewaffnete Angreifer einen militärischen Außenposten in der Nähe der Marshal Fahim Militärakademie (auch bekannt als Verteidigungsakademie), die in einem westlichen Außendistrikt der Hauptstadt liegt. Bei dem Vorfall wurden mindestens elf Soldaten getötet und 15 weitere verletzt, bevor die vier Angreifer getötet und ein weiterer gefasst werden konnten. Der IS bekannte sich zu dem Vorfall (Reuters 29.1.2018; vgl. NYT 28.1.2018).

• Bombenangriff mit einem Fahrzeug in Kabul: Am 27.1.2018 tötete ein Selbstmordattentäter der Taliban mehr als 100 Menschen und verletzte mindestens 235 weitere (Reuters 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018). Eine Bombe - versteckt in einem Rettungswagen - detonierte in einem schwer gesicherten Bereich der afghanischen Hauptstadt (TG 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018) - dem sogenannten Regierungs- und Diplomatenviertel (Reuters 27.1.2018).

• Angriff auf eine internationale Organisation (Save the Children - SCI) in Jalalabad: Am 24.1.2018 brachte ein Selbstmordattentäter ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug am Gelände der Nichtregierungsorganisation (NGO) Save The Children in der Provinzhauptstadt Jalalabad zur Explosion. Mindestens zwei Menschen wurden getötet und zwölf weitere verletzt; der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 24.1.2018; vgl. Reuters 24.1.2018, TG 24.1.2018).

• Angriff auf das Hotel Intercontinental in Kabul: Am 20.1.2018 griffen fünf bewaffnete Männer das Luxushotel Intercontinental in Kabul an. Der Angriff wurde von afghanischen Truppen abgewehrt, nachdem die ganze Nacht um die Kontrolle über das Gebäude gekämpft worden war (BBC 21.1.2018; vgl. DW 21.1.2018). Dabei wurden mindestens 14 Ausländer/innen und vier Afghan/innen getötet. Zehn weitere Personen wurden verletzt, einschließlich sechs Mitglieder der Sicherheitskräfte (NYT 21.1.2018). 160 Menschen konnten gerettet werden (BBC 21.1.2018). Alle fünf Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (Reuters 20.1.2018). Die Taliban bekannten sich zu dem Angriff (DW 21.1.2018).

• Selbstmordattentat mit einem mit Sprengstoff beladenen Tanklaster:

Am 31.5.2017 kamen bei einem Selbstmordattentat im hochgesicherten Diplomatenviertel Kabuls mehr als 150 Menschen ums Leben, mindestens 300 weitere wurden schwer verletzt (FAZ 6.6.2017; vgl. AJ 31.5.2017, BBC 31.5.2017; UN News Centre 31.5.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (FN 7.6.2017).

Angriffe gegen Gläubige und Kultstätten

Registriert wurde eine steigende Anzahl der Angriffe gegen Glaubensstätten, religiöse Führer sowie Gläubige; 499 zivile Opfer (202 Tote und 297 Verletzte) waren im Rahmen von 38 Angriffen im Jahr 2017 zu verzeichnen. Die Anzahl dieser Art Vorfälle hat sich im Gegensatz zum Jahr 2016 (377 zivile Opfer, 86 Tote und 291 Verletzte bei 12 Vorfällen) verdreifacht, während die Anzahl ziviler Opfer um 32% gestiegen ist (UNAMA 2.2018). Auch verzeichnete die UN in den Jahren 2016 und 2017 Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Religiösen Führern ist es nämlich möglich, durch ihre Predigten öffentliche Standpunkte zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 7.11.2017). Ein Großteil der zivilen Opfer waren schiitische Muslime. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 7.11.2017; vgl. UNAMA 2.2018). Es wurden aber auch Angriffe auf sunnitische Moscheen und religiöse Führer ausgeführt (TG 20.10.2017; vgl. UNAMA 7.11.2017)

Diese serienartigen und gewalttätigen Angriffe gegen religiöse Ziele, haben die afghanische Regierung veranlasst, neue Maßnahmen zu ergreifen, um Gebetsstätten zu beschützen: landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempel vor Angriffen zu schützen (UNGASC 20.12.2017).

Beispiele von Anschlägen gegen Gläubige und Glaubensstätten

• Angriff auf Treffen der Religionsgelehrten in Kabul: Am 4.6.2018 fand während einer loya jirga zwischen mehr als 2.000 afghanischen Religionsgelehrten, die durch eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aufriefen, ein Selbstmordanschlag statt. Bei dem Angriff kamen 14 Personen ums Leben und weitere wurden verletzt (Tolonews 7.6.2018; vgl. Reuters 5.6.2018). Quellen zufolge bekannte sich der IS zum Angriff (Reuters 5.6.2018; vgl. RFE/RL 5.6.2018).

• Angriff auf Kricket-Stadion in Jalalabad: Am 18.5.2018, einem Tag nach Anfang des Fastenmonats Ramadan, kamen bei einem Angriff während eines Kricket-Matchs in der Provinzhauptstadt Nangarhars Jalalabad mindestens acht Personen ums Leben und mindestens 43 wurden verletzt (TRT 19.5.2018; vgl. Tolonews 19.5.2018, TG 20.5.2018). Quellen zufolge waren das direkte Ziel dieses Angriffes zivile Zuschauer des Matchs (TG 20.5.2018; RFE/RL 19.5.2018), dennoch befanden sich auch Amtspersonen unter den Opfern (TNI 19.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich keine regierungsfeindliche Gruppierung zum Angriff (RFE/RL 19.5.2018); die Taliban dementierten ihre Beteiligung an dem Anschlag (Tolonews 19.5.2018; vgl. TG 20.5.2018).

• Selbstmordanschlag während Nowruz-Feierlichkeiten: Am 21.3.2018 (Nowruz-Fest; persisches Neujahr) kam es zu einem Selbstmordangriff in der Nähe des schiitischen Kart- e Sakhi-Schreins, der von vielen afghanischen Gemeinschaften - insbesondere auch der schiitischen Minderheit - verehrt wird. Sie ist ein zentraler Ort, an dem das Neujahrsgebet in Kabul abgehalten wird. Viele junge Menschen, die tanzten, sangen und feierten, befanden sich unter den 31 getöteten; 65 weitere wurden verletzt (BBC 21.3.2018). Die Feierlichkeiten zu Nowruz dauern in Afghanistan mehrere Tage und erreichen ihren Höhepunkt am 21. März (NZZ 21.3.2018). Der IS bekannte sich auf seiner Propaganda Website Amaq zu dem Vorfall (RFE/RL 21.3.2018).

• Angriffe auf Moscheen: Am 20.10.2017 fanden sowohl in Kabul, als auch in der Provinz Ghor Angriffe auf Moscheen statt: während des Freitagsgebets detonierte ein Selbstmordattentäter seine Sprengstoffweste in der schiitischen Moschee, Imam Zaman, in Kabul. Dabei tötete er mindestens 30 Menschen und verletzte 45 weitere. Am selben Tag, ebenso während des Freitagsgebetes, griff ein Selbstmordattentäter eine sunnitische Moschee in Ghor an und tötete 33 Menschen (Telegraph 20.10.2017; vgl. TG 20.10.2017).

• Tötungen in Kandahar: Im Oktober 2017 bekannten sich die afghanischen Taliban zu der Tötung zweier religiöser Persönlichkeiten in der Provinz Kandahar. Die Tötungen legitimierten die Taliban, indem sie die Getöteten als Spione der Regierung bezeichneten (UNAMA 7.11.2017).

• Angriff auf schiitische Moschee: Am 2.8.2017 stürmten ein Selbstmordattentäter und ein bewaffneter Schütze während des Abendgebetes die schiitische Moschee Jawadia in Herat City; dabei wurden mindestens 30 Menschen getötet (BBC 3.8.2017; vgl. Pajhwok 2.8.2017). Insgesamt war von 100 zivilen Opfer die Rede (Pajhwok 2.8.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 3.8.2017).

• Entführung in Nangarhar: Die Taliban entführten und folterten einen religiösen Gelehrten in der Provinz Nangarhar, dessen Söhne Mitglieder der ANDSF waren - sie entließen ihn erst, als Lösegeld für ihn bezahlt wurde (UNAMA 7.11.2017).

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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