TE Bvwg Erkenntnis 2019/4/30 W210 2194890-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.04.2019
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Entscheidungsdatum

30.04.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch

W210 2194890-1/27E

SCHRIFTLICHE AUSFERTIGUNG DES AM 24.04.2019 VERKÜNDETEN

ERKENNTNISSES

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Anke SEMBACHER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , StA. Afghanistan, geboren am XXXX , vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.04.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 24.04.2019 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste unter Umgehung der Einreisebestimmungen in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 29.11.2015 (damals als Minderjähriger) gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Der Beschwerdeführer wurde am 30.11.2015 von einem Organwalter des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Beisein eines Rechtsberaters und eines Dolmetschers für die Sprache Dari zu seiner Identität, seiner Reiseroute, seinem Fluchtgrund und einer allfälligen Rückkehrgefährdung befragt. Als Fluchtgrund führte er an, im Iran als Schafhirte gearbeitet zu haben, sein Arbeitgeber habe ihn geschlagen und ihm manchmal kein Geld gezahlt. Außerdem habe er nicht zur Schule gehen dürfen. Er habe Afghanistan im Alter von einem Jahr mit seinen Eltern verlassen.

3. Der (damals minderjährige) Beschwerdeführer wurde am 25.10.2016 vor dem BFA im Beisein seines gesetzlichen Vertreters und eines Dolmetschers für die Sprache Dari niederschriftlich zu seinem Antrag auf internationalen Schutz und allfälligen Rückkehrbefürchtungen einvernommen. Dem gesetzlichen Vertreter des Beschwerdeführers wurden aktuelle Länderinformationen zu Afghanistan übergeben.

4. Mit nunmehr angefochtenem Bescheid vom 11.04.2018 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gegen den Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Unter Spruchpunkt VI. wurde ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage. Dieser Bescheid wurde dem mittlerweile volljährigen Beschwerdeführer am 13.04.2018 durch Hinterlegung zugestellt.

5. Mit Schreiben vom 04.05.2018 erhob der Beschwerdeführer, vertreten durch den zugewiesenen Rechtsvertreter, vollumfängliche Beschwerde gegen den spruchgegenständlichen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge der Verletzung von Verfahrensvorschriften und inhaltlicher Rechtswidrigkeit.

6. Am 03.05.2018 langte ein Abschlussbericht der LPD Wien wegen eines Vergehens gegen das SMG bei der belangten Behörde ein.

7. Das BFA legte die Beschwerde und den Akt des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor und verzichtete unter einem auf die Teilnahme an einer Beschwerdeverhandlung.

8. Am 14.05.2018 erhob die StA Wien Anklage wegen des Vergehens nach § 27 Abs. 2a SMG iVm § 15 StGB.

9. Die belangte Behörde teilte am 05.06.2018 mit, dass der Beschwerdeführer in Untersuchungshaft genommen worden war.

10. Mit Eingabe vom 25.06.2018 übermittelte die belangte Behörde das Urteil des LG für Strafsachen Wien vom 29.05.2018, XXXX , mit dem der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des versuchten unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 2a SMG und § 15 StGB zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt wurde.

10. Mit Eingabe vom 10.07.2018 übermittelte die belangte Behörde das Urteil des LG für Strafsachen Wien vom 15.06.2018, XXXX , mit dem der Beschwerdeführer zu Spruchpunkt A./ wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 8. Fall, Abs. 2a und Abs. 3 SMG sowie zu Spruchpunkt B./ wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 1. und 2. Fall und Abs. 2 SMG zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt wurde. Die Probezeit zu XXXX wurde auf 5 Jahre verlängert.

11. Mit Eingabe vom 22.10.2018 übermittelte die belangte Behörde einen Bericht der LPD Niederösterreich zum Selbstmordversuch des Beschwerdeführers am 21.10.2018.

12. Mit Eingabe vom 23.10.2018 übermittelte die belangte Behörde den Abschlussbericht der LPD Niederösterreich - XXXX wegen XXXX gegen den Beschwerdeführer samt dessen Beschuldigtenvernehmung.

13. Mit Eingabe vom 30.10.2018 übermittelte die belangte Behörde einen weiteren Bericht der LPD Niederösterreich zum Selbstmordversuch des Beschwerdeführers am 21.10.2018.

14. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 24.04.2019 in Anwesenheit des ausgewiesenen Rechtsvertreters des Beschwerdeführers, eines Dolmetschers für die Sprache Dari und einer Vertrauensperson des Beschwerdeführers eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, im Zuge derer der Beschwerdeführer zu seinen Beweggründen hinsichtlich der Ausreise aus Afghanistan und allfälligen Rückkehrbefürchtungen befragt wurde. Die Verhandlung war zuvor bereits für den 08.04.2019 anberaumt gewesen, konnte an diesem Tage wegen einer Erkrankung des Beschwerdeführers aber nicht durchgeführt werden. In der Verhandlung gab die Vertreterin des Beschwerdeführers auch eine Stellungnahme zu den vorab mit der Ladung übermittelten sowie in der Verhandlung ins Verfahren eingeführten Länderberichten ab.

15. Das gegenständliche Erkenntnis wurde im Anschluss an die mündliche Verhandlung verkündet samt Belehrung nach § 29a VwGVG. Eine Abschrift des Protokolls wurde der Vertreterin ausgehändigt und der belangten Behörde nachweislich zugestellt.

16. Mit Schreiben vom 24.04.2019 beantragte die Vertreterin des BF die schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt des BFA und den hg. Akt des Bundesverwaltungsgerichts betreffend den Beschwerdeführer, durch Einsicht in die in das Verfahren eingebrachten Länderberichte sowie durch Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers, seinem Leben und einer Rückkehr nach Afghanistan:

Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger, am 01.01.1999 im Dorf XXXX in Afghanistan geboren. Seine Familie gehört der Volksgruppe der Tadschiken an, er ist sunnitischer Moslem. Der Beschwerdeführer verließ Afghanistan mit seiner Familie im Alter von 2 Jahren.

Die Herkunftsprovinz der Familie ist XXXX . Die Eltern und fünf der sechs Geschwister des Beschwerdeführers leben im Iran in XXXX , eine Schwester lebt in Afghanistan. Sein Vater ist Bauarbeiter, ernährt damit die Familie, der Familie geht es gut, sie ist zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung auf Suche nach einer neuen Mietgelegenheit. Der Beschwerdeführer steht mit seiner Kernfamilie täglich in Kontakt. Der Beschwerdeführer spricht Dari und Farsi.

Der Beschwerdeführer hat Onkeln und Tanten sowohl im Iran als auch in Afghanistan.

Der Beschwerdeführer reiste zusammen mit einem Cousin ein, dieser wohnt in derselben Unterkunft. Dieser Cousin ist der Sohn eines Onkels väterlicherseits und einer Tante mütterlicherseits.

Der Beschwerdeführer besuchte keine Schule und arbeitete von seinem

7. bis zum 11. Lebensjahr als Hirte, danach zwei Jahre mit seinem Vater auf Baustellen und danach bis zu seiner Ausreise wieder als Hirte. Der Beschwerdeführer lebte im Iran bei seinen Eltern, die Familie lebte vom Gehalt des Vaters.

Der Beschwerdeführer ist gesund und ledig, er hat keine Kinder. Der Beschwerdeführer hat eine Freundin, mit dieser hat er keine Hausgemeinschaft. Der Beschwerdeführer nahm zu Beginn des Jahre 2019 einige Termine bei der Suchtberatung Mistelbach wahr, um seinen Alkoholkonsum zu besprechen. Im Februar 2019 hatte er einen Termin bei einer Fachärztin für Psychiatrie. Er führte am 18.03.2019 ein Erstgespräch bei der Diakonie - Jefira - Interkulturelles Psychotherapiezentrum Niederösterreich hinsichtlich der von der Fachärztin empfohlenen Psychotherapie und wurde dort auf eine Warteliste für eine Therapie gesetzt. Der Beschwerdeführer benötigt keine Medikamente.

Der Beschwerdeführer geht in Österreich keiner Arbeit nach, er hat bis dato keinen Deutschkurs, außer A0, absolviert und keine Prüfung abgelegt. Er geht keiner ehrenamtlichen Tätigkeit nach und ist auch in keinem Verein.

Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des LG für Strafsachen Wien vom 29.05.2018, XXXX wegen des Vergehens des versuchten unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 2a SMG und § 15 StGB zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt.

Der Beschwerdeführer wurde am 30.05.2018 in Untersuchungshaft genommen.

Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des LG für Strafsachen Wien vom 15.06.2018, XXXX zu Spruchpunkt A./ wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 8. Fall, Abs. 2a und Abs. 3 SMG sowie zu Spruchpunkt B./ wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 1. und 2. Fall und Abs. 2 SMG zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Die Probezeit zu XXXX wurde auf 5 Jahre verlängert.

Weiters wurde ein Bericht über die Beschuldigtenvernehmung des Beschwerdeführers hinsichtlich des Verdachts des Besitzes pornographischer Darstellungen Minderjähriger übermittelt.

Am 21.10.2018 versuchte der Beschwerdeführer nach Alkoholkonsum sich durch das Aufschneiden der Pulsadern das Leben zu nehmen. Er begründete dies damit, dass sein Vater von seiner Haftstrafe aufgrund seiner Suchtmitteldelikte erfahren hatte und darüber traurig war, mit dieser Schmach wollte der Beschwerdeführer nicht leben.

Dem Beschwerdeführer droht in Afghanistan keine gegen ihn gerichtete Verfolgung oder Bedrohung durch staatliche Organe oder durch Private, sei es vor dem Hintergrund seiner ethnischen Zugehörigkeit, seiner Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung (oder aus anderen Gründen).

1.2. Zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers - Afghanistan:

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil (Länderinformationsblatt für Afghanistan vom 29.06.2018 mit letzter Kurzinformation vom 26.03.2019 - LIB 26.03.2019, S.16). Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (LIB 26.03.2019, S.59).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (LIB 26.03.2019, S.59). Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt

23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan; für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712. Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevanter Vorfälle registriert (LIB 26.03.2019, S. 60).

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren. Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt) bedrohen. Dies ist den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zuzuschreiben (LIB 26.03.2019, S.62). Trotz verschiedener Kampfhandlungen und Bedrohungen blieben mit Stand Dezember 2018 die Provinzzentren aller afghanischen Provinzen unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Regierung (LIB 26.03.2019, S. 16).

Im Jänner 2018 waren 56.3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14.5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29.2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (LIB 26.03.2019, S.70).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht. In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt. Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden; auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (LIB 26.03.2019, S.63).

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (LIB 26.03.2019, S. 63). Die Auflistung der high-profile Angriffe zeigt, dass die Anschläge in großen Städten, auch Kabul, hauptsächlich im Nahebereich von Einrichtungen mit Symbolcharakter (Moscheen, Tempel bzw. andere Anbetungsorte), auf Botschaften oder auf staatliche Einrichtungen stattfinden. Diese richten sich mehrheitlich gezielt gegen die Regierung, ausländische Regierungen und internationale Organisationen (LIB 26.03.2019, S.63.).

Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, das Personenstands- und Urkundenwesen in Afghanistan ist kaum entwickelt. Die lokalen Gemeinschaften verfügen über zahlreiche Informationen über die Familien in dem Gebiet und die Ältesten haben einen guten Überblick (LIB 26.03.2019, S. 346 f.).

Zur Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers - zur Provinz Balkh und der Hauptstadt Mazar-e Sharif:

Die Provinz Balkh liegt in Nordafghanistan. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.382.155 geschätzt. Mazar-e Sharif ist die Hauptstadt der Provinz Balkh. Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana [Anm.: Provinzhauptstadt Faryab] und Pul-e-Khumri [Anm.: Provinzhauptstadt Baghlan] und ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst (LIB 26.03.2019, S. 102). Die Infrastruktur ist noch unzureichend, da viele der Straßen, vor allem in den gebirgigen Teilen des Landes, in schlechtem Zustand und in den Wintermonaten unpassierbar sind (LIB 26.03.2019, S. 103). Mazar-e Sharif ist jedoch grundsätzlich auf dem Straßenweg mittels Bus erreichbar, eine Fahrt kostet zwischen 400 und 1.000 Afghani (LIB 26.03.2019, S.258). In Mazar-e Sharif gibt es zudem einen internationalen Flughafen, durch den die Stadt über den Luftweg von Kabul sicher zu erreichen ist (LIB 26.03.2019, S. 103 und 261). Der Flughafen befindet sich 9 km östlich der Stadt (EASO Country Guidance, Seite 102), die Verbindungsroute in die Stadt ist bei Tageslicht jedenfalls sicher (EASO Country Guidance, S. 29).

Die Provinz Balkh ist ethnisch heterogen, Tadschiken bilden die größte Gruppe, daneben leben auch Paschtunen, Usbeken, Hazara, Turkmenen und Araber in Balkh. Die Siedlungsgebiete sind entlang ethnischer Trennlinien angelegt (ACCORD, Afghanistan, Entwicklung der wirtschaftlichen Situation, der Versorgungs- und Sicherheitslage in Herat, Mazar-e Sharif (Provinz Balkh) und Kabul 2010-2018, 07.12.2018, S. 24).

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan. Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen. Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften. Im Zeitraum 1.1.2017 - 30.4.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (LIB 26.03.2019, S. 103 f.). Im Herbst 2018 wurde im Norden Afghanistans - darunter u.a. in der Provinz Balkh - eine große Zahl von Kampfhandlungen am Boden registriert; Vorfälle entlang der Ring Road beeinträchtigten die Bewegungsfreiheit (LIB 26.03.2019, S. 36).

Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte führen regelmäßig militärische Operationen durch, um regierungsfeindliche Aufständische zu verdrängen und sie davon abzuhalten, Fuß im Norden des Landes zu fassen. Dabei werden Taliban getötet und manchmal auch ihre Anführer (LIB 26.03.2019, S. 104).

Regierungsfeindliche Gruppierungen versuchen ihren Aufstand in der Provinz Balkh voranzutreiben. Sowohl Aufständische der Taliban als auch Sympathisanten des IS versuchen in abgelegenen Distrikten der Provinz Fuß zu fassen. Im Zeitraum 1.1.2017 - 15.7.2017 wurden keine IS-bezogenen Vorfälle in der Provinz registriert. Im Zeitraum 16.7.2017 - 31.1.2018 wurden dennoch vom IS verursachten Vorfälle entlang der Grenze von Balkh zu Sar-e Pul registriert (LIB 26.03.2019, S. 105).

Die Versorgung mit Lebensmitteln erweist sich - wie im Rest von Afghanistan - als grundsätzlich gegeben (EASO Country Guidance, Seite 104), ist aber den Einflüssen von Wetterextremen wie der im Jahr 2018 herrschenden Dürre (UNHCR-Richtlinien 30.08.2018, Seite 35) ausgesetzt.

Zur Provinz Herat:

Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans und liegt im Westen des Landes. Provinzhauptstadt ist Herat-Stadt, welche sich im gleichnamigen Distrikt befindet und eine Einwohnerzahl von 506.900 hat (LIB 26.03.2019, S. 139). In der Provinz befinden sich zwei Flughäfen: ein internationaler, etwa 10 km außerhalb von Herat-Stadt (LIB 26.03.2019, S. 261) und ein militärischer in Shindand (LIB 26.03.2019, S. 139). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf

1.967.180 geschätzt. In der Provinz leben Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Uzbeken und Aimaken. Herat ist eine relativ entwickelte Provinz im Westen des Landes. Das Harirud-Tal, eines der fruchtbarsten Täler des Landes, wo Baumwolle, Obst und Ölsaat angebaut werden, befindet sich in der Provinz. Bekannt ist Herat auch wegen seiner Vorreiterrolle in der Safran-Produktion. Die Safran-Produktion garantierte z.B. auch zahlreiche Arbeitsplätze für Frauen in der Provinz. Auch in unsicheren Gegenden wird Safran angebaut. Trotzdem stieg im Jahr 2017 in der Provinz die Opiumproduktion. In den Distrikten Shindand und Kushk, geprägt von schlechter Sicherheitslage, war der Mohnanbau am höchsten (LIB 26.03.2019, S.139).

Herat wird als eine der relativ friedlichen Provinzen Afghanistans gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv (LIB 26.03.2019, S. 140). Es gibt interne Konflikten zwischen verfeindeten Taliban-Gruppierungen. Anhänger des IS haben sich in Herat zum ersten Mal für Angriffe verantwortlich erklärt, die außerhalb der Provinzen Nangarhar und Kabul verübt wurden (LIB 26.03.2019, S. 142).

14 von 16 Distrikten der Provinz sind minenfrei. Aufgrund der schlechten Sicherheitslage und der Präsenz von Aufständischen wurden die Distrikte Gulran und Shindand noch nicht von Minen geräumt. In der Provinz leben u.a. tausende afghanische Binnenflüchtlinge (LIB 26.03.2019, S. 140).

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 139 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden in der Provinz Herat 495 zivile Opfer (238 getötete Zivilisten und 257 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Selbstmordanschlägen/komplexen Attacken und gezielten Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 37 % im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (LIB 26.03.2019, S. 140 f.).

In der Provinz werden militärische Operationen durchgeführt, um einige Gegenden von Aufständischen zu befreien. Auch werden Luftangriffe verübt. Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Aufständischen finden statt. In Herat sind Truppen der italienischen Armee stationiert, die unter dem Train Advise Assist Command West (TAAC-W) afghanische Streitmächte im Osten Afghanistans unterstützen (LIB 26.03.2019, S. 141). Herat zählt neben den Provinzen Badghis, Farah, Faryab, Ghazni, Helmand, Kandahar und Uruzgan zu den Provinzen Afghanistans, in welchen bis Oktober 2018 die meisten Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen stattfanden (LIB 26.03.2019, S. 16).

Mit Stand 19.03.2019 warem in der Provinz Herat die Distrikte Ghorvan, Zendejan, Pashtoon Zarghoon, Shindand, Guzarah und Baland Shahi von der Zerstörung und Beschädigung von Häusern infolge starker Regenfällen betroffen. Die Überflutungen folgten einer im April 2018 begonnen Dürre, von der Herat (und die Provinz Badghis) am meisten betroffen war und von deren Folgen (z.B. Landflucht in die naheliegenden urbanen Zentren) sie es weiterhin sind. In den beiden Provinzen wurden am 13.09.2018 ca. 266.000 IDPs (afghanische Binnenflüchtlinge) vertrieben; davon zogen 84.000 Personen nach Herat-Stadt und 94.945 nach Qala-e-Naw, wo sie sich in den Randgebieten oder in Notunterkünften innerhalb der Städte ansiedelten und auf humanitäre Hilfe angewiesen sind (LIB 26.03.2019, S. 12).

Die Versorgung mit Lebensmitteln erweist sich - wie im Rest von Afghanistan - als grundsätzlich gegeben (EASO Country Guidance, Seite 104), ist aber den Einflüssen von Wetterextremen wie der im Jahr 2018 herrschenden Dürre (UNHCR-Richtlinien, 30.08.2018, Seite 35) ausgesetzt.

Wirtschaft:

Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Dennoch ist das Land weiterhin arm und von Hilfeleistungen abhängig. Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu (LIB 26.03.2019, S. 353). Mehr als 60% der afghanischen Arbeitskräfte arbeiten im Landwirtschaftssektor, dieser stagniert. Für ca. ein Drittel der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (inklusive Tiernutzung) die Haupteinnahmequelle. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet. 55% der afghanischen Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze. Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Mehr als ein Drittel der männlichen Bevölkerung (34,3%) Afghanistans ist nicht in der Lage, eine passende Stelle zu finden (LIB 26.03.2019, S. 354, UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018, Seite 19 und 20).

Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist angespannt und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Sogar für gut ausgebildete und gut qualifizierte Personen ist es schwierig ohne ein Netzwerk einen Arbeitsplatz zu finden, wenn man nicht empfohlen wird oder dem Arbeitgeber nicht vorgestellt wird. Vetternwirtschaft ist gang und gebe. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen. Es gibt lokale Webseiten, die offene Stellen im öffentlichen und privaten Sektor annoncieren. Die meisten Afghanen sind unqualifiziert und Teil des informellen, nicht-regulierten Arbeitsmarktes. Der Arbeitsmarkt besteht Großteiles aus manueller Arbeit ohne Anforderungen an eine formelle Ausbildung und spiegelt das niedrige Bildungsniveau wieder. In Kabul gibt es öffentliche Plätze, wo sich Arbeitssuchende und Nachfragende treffen. Viele bewerben sich, nicht jeder wird engagiert. Der Lohn beträgt für Hilfsarbeiter meist USD 4,3 und für angelernte Kräfte bis zu USD 14,5 pro Tag (EASO Afghanistan Netzwerke aus Jänner 2018, S. 29 - 30).

Rückkehrer:

Im Jahr 2017 kehrten sowohl freiwillig, als auch zwangsweise insgesamt 98.191 Personen aus Pakistan und 462.361 Personen aus dem Iran zurück. Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück. Im Jahr 2018 kehrten mit Stand

21.3. 1.052 Personen aus den an Afghanistan angrenzenden Ländern und nicht-angrenzenden Ländern zurück (LIB 26.03.2019, S. 366).

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (z. B. IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung, wo Rückkehrer/innen für maximal zwei Wochen untergebracht werden können (LIB 26.03.2019, S. 367 f.)

Die Organisationen IOM, IRARA, ACE und AKAH bieten Unterstützung und nachhaltige Begleitung bei der Reintegration einschließlich Unterstützung bei der Suche nach einer Beschäftigung oder Schulungen an. NRC bietet Rückkehrer/innen aus Pakistan, Iran und anderen Ländern Unterkunft sowie Haushaltsgegenstände und Informationen zur Sicherheit an und hilft bei Grundstücksstreitigkeiten. Unterschiedliche Organisationen sind für Rückkehrer/innen unterstützend tätig. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) unterstützt Rückkehrer/innen dabei, ihre Familien zu finden. Die internationale Organisation für Migration IOM bietet ein Programm zur unterstützten, freiwilligen Rückkehr und Reintegration in Afghanistan an. Das Norwegian Refugee Council (NRC) bietet Rückkehrer/innen aus Pakistan, Iran und anderen Ländern Unterkunft sowie Haushaltsgegenstände und Informationen zur Sicherheit an. Auch UNHCR ist bei der Ankunft von Rückkehrer/innen anwesend, begleitet die Ankunft und verweist Personen welche einen Rechtsbeistand benötigen an die Afghanistan Independent Human Rights Commission. Psychologische Unterstützung von Rückkehrer/innen wird über die Organisation IPSO betrieben (LIB 26.03.2019, S. 369 f.). Hilfeleistungen für Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung konzentrieren sich auf Rechtsbeistand, Arbeitsplatzvermittlung, Land und Unterkunft. Seit 2016 erhalten Rückkehr/innen Hilfeleistungen in Form einer zweiwöchigen Unterkunft (LIB 26.03.2019, S. 370).

Die Großfamilie ist die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Nur sehr wenige Afghanen in Europa verlieren den Kontakt zu ihrer Familie. Die Qualität des Kontakts mit der Familie hängt möglicherweise auch davon ab, wie lange die betreffende Person im Ausland war bzw. wie lange sie tatsächlich in Afghanistan lebte, bevor sie nach Europa migrierte. Der Faktor geographische Nähe verliert durch technologische Entwicklungen sogar an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten. Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migranten in Afghanistan dar. Dennoch haben alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können. Eine Ausnahme stellen möglicherweise jene Fälle dar, deren familiäre Netze in den Nachbarstaaten Iran oder Pakistan liegen (LIB 26.03.2019, S. 370 f.).

Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (LIB 26.03.2019, S. 371).

Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB 26.03.2019, S. 370 f.).

In Kabul und in großen Städten stehen Häuser und Wohnungen zur Verfügung. Es ist auch möglich an Stelle einer Wohnung ein Zimmer zu mieten. Dies ist billiger als eine Wohnung zu mieten. Heimkehrer mit Geld können Grund und Boden erwerben und langfristig ein eigenes Haus bauen. Vertriebene in Kabul, die keine Familienanbindung haben und kein Haus anmieten konnten, landen in Lagern, Zeltsiedlungen und provisorischen Hütten oder besetzen aufgelassene Regierungsgebäude. In Städten gibt es Hotels und Pensionen unterschiedlichster Preiskategorien. Für Tagelöhner, Jugendliche, Fahrer, unverheiratete Männer und andere Personen, ohne permanenten Wohnsitz in der jeweiligen Gegend, gibt es im ganzen Land Angebote geringerer Qualität, sogenannte chai khana (Teehaus). Dabei handelt es sich um einfache große Zimmer in denen Tee und Essen aufgetischt wird. Der Preis für eine Übernachtung beträgt zwischen 0,4 und 1,4 USD. In Kabul und anderen großen Städten gibt es viele solche chai khana und wenn ein derartiges Haus voll ist, lässt sich Kost und Logis leicht anderswo finden. Man muss niemanden kennen um dort eingelassen zu werden (EASO Afghanistan Netzwerke aus Jänner 2018, S. 31).

Ethnische Minderheiten:

In Afghanistan leben mehr als 34.1 Millionen Menschen. Es sind ca. 40% Pashtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara und 9% Usbeken (LIB 26.03.2019, S. 314). Pashtunen sind somit die größte Ethnie Afghanistans (LIB 26.03.2019, S. 319). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten, wo diese mehrheitlich gesprochen werden, eingeräumt (LIB 26.03.2019, S. 315).

Tadschiken

Die Dari-sprachige Minderheit der Tadschiken ist die zweitgrößte und zweitmächtigste Gemeinschaft in Afghanistan. Sie machen etwa 30% der afghanischen Gesellschaft aus. Außerhalb der tadschikischen Kerngebiete in Nordafghanistan bilden Tadschiken in weiten Teilen Afghanistans ethnische Inseln, namentlich in den größeren Städten:In der Hauptstadt Kabul sind sie knapp in der Mehrheit. Aus historischer Perspektive identifizierten sich Sprecher des Dari-Persischen in Afghanistan nach sehr unterschiedlichen Kriterien, etwa Siedlungsgebiet oder Herkunftsregion. Dementsprechend nannten sie sich zum Beispiel kaboli (aus Kabul), herati (aus Herat), mazari (aus Mazar-e Scharif), panjsheri (aus Pajshir) oder badakhshi (aus Badakhshan). Sie konnten auch nach ihrer Lebensweise benannt werden. Der Name tajik (Tadschike) bezeichnete traditionell sesshafte persischsprachige Bauern oder Stadtbewohner sunnitischer Konfession. Die Tadschiken sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (LIB 26.03.2019, S. 319 und 320).

Religionen:

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben. Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformerische Muslime behindert. Anhänger religiöser Minderheiten und Nicht-Muslime werden durch das geltende Recht diskriminiert (LIB 26.03.2019, S. 304 f.).

Zur afghanischen Gesellschaft

Die patrilineare Gesellschaftsstruktur Afghanistans bedeutet, dass Kinder zur Familie ihres Vaters gehören und die Verwandtschaft der paternalen Linie folgt. Das ist das Ergebnis fest verankerter sozialer und kultureller Verhältnisse, des traditionelles Gesetzes, der Scharia und der förmlichen Gesetze. Eine Frau, die heiratet, verlässt ihre biologische Familie und wird Teil der Familie und des Haushaltes des Ehegatten. Gleichzeitig bietet die Institution der Ehe eine wichtige Möglichkeit, Bündnisse zwischen Familien zu schließen und bereits zuvor bestehende Netzwerke und Allianzen zu stärken (EASO Netzwerke, S. 14).

Ein afghanischer Haushalt besteht traditionell aus einem männlichen Familienoberhaupt, üblicherweise dem ältesten Mann, seiner Frau, seinen verheirateten Söhnen und deren Frauen und Kindern. Zusätzlich bilden ledige Töchter einen Teil des Haushaltes, genauso wie Witwen und möglicherweise andere Familienmitglieder, die besondere Betreuung benötigen, wie chronisch Kranke und Menschen mit geistiger Behinderung. Wenn das Familienoberhaupt stirbt, übernimmt normalerweise der älteste Sohn seine Position (EASO Netzwerke, S. 12).

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zu den Feststellungen zur Person und zum Leben des Beschwerdeführers sowie zu seiner Rückkehr nach Afghanistan:

Der im Spruch angeführte Name dient mangels Vorlage eines originalen Identitätsnachweises lediglich zur Identifizierung des Beschwerdeführers als Verfahrenspartei, ebenso das Geburtsdatum. Der angeführte Name wurde auch schon von der belangten Behörde verwendet, was in der Beschwerde nicht beanstandet wird.

Die weiteren Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, sohin zu seiner Staatsangehörigkeit, Herkunftsprovinz der Familie, Muttersprache, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit sowie zu seinem Familienstand, gründen auf den gleichlautenden und daher glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren (BFA-Akt, AS 19 und 75 ff.; BVwG-Akt, OZ 24, S. 3 ff).

Die Feststellungen zur fehlenden Schulbildung sowie zur Berufserfahrung des Beschwerdeführers im Iran basieren auf dessen konsistenten Angaben im Verfahren (BFA-Akt, AS 19, 29 und 77; BVwG-Akt, OZ 24, S. 4 und 12). Hinweise darauf, dass der Beschwerdeführer in Österreich weitere Verwandte oder Familienangehörige hat, ergaben sich nicht.

Der Beschwerdeführer hat im Verfahren unterschiedliche Angaben zu weiteren Verwandten in Afghanistan und im Iran gemacht, die einzige Übereinstimmung bei diesen Aussagen ist, dass es diese Verwandten gibt, jedoch machte er ständig unterschiedliche Angaben über deren Wohnort und Verwandtschaftsgrad (BFA-Akt, AS 77; BVwG-Akt, OZ 24, S. 4 ff.): So gab er vor dem BFA auf die Frage nach weiteren Familienangehörigen im Heimatland bzw. Herkunftsland an: "In Afghanistan gibt es eine Tante oder so. Im Iran habe ich noch Onkeln." (BFA-Akt, AS 77). Weiters spricht er von zwei Onkeln, einem mütterlicherseits und einem väterlicherseits, die beide im Nachnamen XXXX heißen, macht aber keine Angaben zu deren Aufenthaltsort (BFA-Akt, AS 85). Vor dem BVwG gab der Beschwerdeführer dann wiederum auf die Frage nach Familie in Afghanistan entgegengesetzt dazu an, dass eine Schwester und Onkel und Tanten mütterlicherseits in Afghanistan leben würden, diese Verwandten habe er noch nie im Leben getroffen und seine Schwester vor ca. 14 Jahren zuletzt gesehen (BVwG-Akt, OZ 24, S. 4). Dann gab der Beschwerdeführer auf die Frage, wieviele Brüder sein Vater gehabt hätte an, dass der Vater einen Bruder gehabt hätte, dessen Namen hätte er aber vergessen (BVwG-Akt, OZ 24, S. 5), erst nach einer Frage der Richterin dazu unter Nennung des von ihm zuvor beim BFA genannten Namen konnte er sich an dessen Namen wieder erinnern (BVwG-Akt, OZ 24, S. 6). Auf die Frage nach Cousins antwortete der Beschwerdeführer sodann, dass sein Onkel väterlicherseits, der im Heimatdorf der Familie lebte, sechs oder sieben Söhne habe, er stehe mit diesen aber nicht in Kontakt. Er kenne lediglich die Namen zweier dieser Cousins (BVwG-Akt, OZ 24, S. 6). Schließlich antwortete er auf die Frage, ob seine Eltern mit deren Geschwistern Kontakt hielten, dass die Verwandten im Iran in der Nähe leben und die Familien sich regelmäßig einander besuchen würden (BVwG-Akt, OZ 24, S. 8), er habe im Iran drei Onkel mütterlicherseits und eine Tante väterlicherseits. Aus diesen unterschiedlichen Angaben kann lediglich die Existenz von Tanten und Onkeln sowohl mütterlicherseits als auch väterlicherseits verlässlich abgeleitet werden, nicht aber die genaue Anzahl und das genaue Verhältnis sowie deren genaue Identität. Gleichbleibend stellten sich lediglich die Angaben zum Cousin in Österreich dar (BVwG-Akt, OZ 24, S. 5).

Die Feststellungen zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich und zu dessen Deutschkenntnissen gründen auf den Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung (BVwG-Akt, OZ 24, S. 10 und 12). Dass der Beschwerdeführer Leistungen aus der Grundversorgung bezieht und nicht erwerbstätig ist, ergibt sich zudem aus den eingeholten Auszügen der GVS-Datenbank.

Dass der Beschwerdeführer in Österreich eine Beziehung mit einer österreichischen Staatsbürgerin hat, gab dieser in der mündlichen Verhandlung selbst zu Protokoll (BVwG-Akt, OZ 24, S. 7 und 12). Anhaltspunkte für eine Lebensgemeinschaft mit seiner Freundin ergaben sich nicht, zumal der Beschwerdeführer erklärte, dass seine Freundin in Wien besucht zu haben und sie somit gemäß der ZMR-Auskunft des Beschwerdeführers in einer anderen Gemeinde als der Beschwerdeführer wohnt. Die Frage der erkennenden Richterin, ob er verlobt oder verheiratet sei, verneinte der Beschwerdeführer ebenfalls (BVwG-Akt, OZ 24, S. 6 und 7).

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers und die Feststellung, dass er keine Medikamente benötigt, gründen auf dessen Angaben in der mündlichen Verhandlung (BVwG-Akt, OZ 24, S. 3), jene zur beabsichtigten Therapie bei der Diakonie, den absolvierten Gesprächen bei der Suchtberatung auf den dazu vorgelegten Mitteilungen dieser Institute (BVwG-Akt, OZ 22). Hinsichtlich des Besuches der Fachärztin ergibt sich dieser einerseits aus dem Schreiben der Suchtberatung (BVwG-Akt, OZ 22) sowie aus den Angaben der Vertrauensperson am 08.04.2019 (BVwG-Akt, OZ 19, Seite 5).

Die Feststellungen zu den strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers in Österreich ergeben sich aus der eingeholten Strafregisterauskunft und den vorgelegten Urteilen (BVwG-Akt, OZ 10 und 11), jene zum polizeilichen Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Besitzes pornographischer Darstellungen Minderjährigen aus dem ebenso übermittelten Bericht samt Beschuldigtenvernehmung (BVwG-Akt, OZ 13). Zu letzterem gab der Beschwerdeführer in der Verhandlung an, er sei einer Gruppe auf Telegramm beigetreten, wo diese Bilder und Videos gepostet würden, diese würden automatisch gespeichert werden. Auf die Frage, warum er diese Gruppe nicht verlassen habe, meinte der Beschwerdeführer, dass man, sobald man sich auf Telegramm registriere, jedes Mal wieder erneut hinzugefügt würde, sobald man die Gruppe verlassen würde (BVwG-Akt, OZ 24, Seite 11). Der Selbstmordversuch ergibt sich einerseits aus den vorgelegten Berichten der Polizei (BVwG-Akt, OZ 12 und 14) sowie aus den Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung, in der er glaubwürdig angab, dass sein Vater von den Verurteilungen aufgrund des SMG erfahren hätte, deswegen traurig gewesen sei, womit der Beschwerdeführer nicht habe umgehen können (BVwG-Akt, OZ 24, S. 11).

Die Untersuchungshaft ab 30.05.2018 ergibt sich aus dem dazu übermittelten Bericht (BVwG-Akt, OZ 8) und den Angaben des Beschwerdeführers in der Verhandlung (BVwG-Akt, OZ 24, Seite 11).

2.2. Zu den Feststellungen hinsichtlich des Fluchtvorbringens des Beschwerdeführers:

Voranzustellen ist, dass es Aufgabe des Asylwerbers ist, durch ein in sich stimmiges und widerspruchsfreies Vorbringen, allenfalls durch entsprechende Bescheinigungsmittel, einen asylrelevanten Sachverhalt glaubhaft zu machen (VwGH 25.03.1999, 98/20/0559). Es entspricht der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, dass Gründe, die zum Verlassen des Heimatlandes bzw. Herkunftsstaates geführt haben, im Allgemeinen als nicht glaubwürdig angesehen werden, wenn der Asylwerber die nach seiner Meinung einen Asyltatbestand begründenden Tatsachen im Laufe des Verfahrens - niederschriftlichen Einvernahmen - unterschiedlich oder sogar widersprüchlich darstellt, wenn seine Angaben mit den der Erfahrung entsprechenden Geschehnisabläufen oder mit tatsächlichen Verhältnissen bzw. Ereignissen nicht vereinbar und daher unwahrscheinlich erscheinen, oder wenn er maßgebliche Tatsachen erst sehr spät im Laufe des Asylverfahrens vorbringt (VwGH 06.03.1996, 95/20/0650; vgl. auch Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 2004/83/EG - StatusRL, ABl. L Nr. 304, 12, sowie Putzer, Leitfaden Asylrecht2, [2011], Rz 31). Kann ein Beschwerdeführer sein Vorbringen nicht durch Bescheinigungsmittel untermauern, ist es umso wichtiger, sein Vorbringen gleichbleibend, konkret und nachvollziehbar zu gestalten. Allgemein gehaltene Behauptungen reichen jedenfalls für eine Glaubhaftmachung nicht aus (vgl. VwGH 17.10.2007, 2006/07/0007). Der Verwaltungsgerichtshof hat zudem in mehreren Erkenntnissen betont, dass die Aussage des Asylwerbers die zentrale Erkenntnisquelle darstellt und daher der persönliche Eindruck des Asylwerbers für die Bewertung der Glaubwürdigkeit seiner Angaben von Wichtigkeit ist (VwGH 24.06.1999, 98/20/0453; VwGH 25.11.1999, 98/20/0357).

Im vorliegenden Verfahren hat der Beschwerdeführer zunächst in seiner Erstbefragung und sodann in einer ausführlichen Einvernahme vor dem BFA Gelegenheit gehabt, seine Fluchtgründe umfassend darzulegen. Aus dem Protokoll der niederschriftlichen Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem BFA geht hervor, dass die belangte Behörde Rückfragen tätigte und dem Beschwerdeführer Gelegenheit gab, sein Vorbringen zu konkretisieren. Die erkennende Richterin konnte zudem im Zuge der mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck vom Beschwerdeführer gewinnen und sich von der Glaubwürdigkeit seines Vorbringens ein eigenes Bild machen. Der Beschwerdeführer hatte somit ausreichend Zeit und Gelegenheit, seine Fluchtgründe umfassend und im Detail darzulegen sowie allfällige Beweismittel und geeignete Nachweise zur Untermauerung seines Vorbringens vorzulegen. Er wurden mehrmals zur umfassenden und detaillierten Schilderung seiner Fluchtgründe aufgefordert sowie über die Folgen unrichtiger Angaben belehrt.

Die erkennende Richterin berücksichtigt zudem, dass der Beschwerdeführer im Zeitpunkt seines Antrags auf internationalen Schutz, seiner Erstbefragung und seiner Einvernahme vor dem BFA (mündiger) Minderjähriger war. Bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Minderjährigen bedarf es einer besonders sorgfältigen Beurteilung der Art und Weise des erstatteten Vorbringens zu den Fluchtgründen (vgl. etwa VwGH 24.09.2014, Ra 2014/19/0020, 16.04.2002, 2000/20/0200 und 14.12.2006, 2006/01/0362). Die Dichte dieses Vorbringens darf nicht mit "normalen Maßstäben" gemessen werden (vgl. dazu auch die UNHCR-Richtlinien zum Internationalen Schutz Nr. 8 - Asylanträge von Kindern vom 22.12.2009, Rz 4). Im Zeitpunkt seiner Einvernahme im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht war der Beschwerdeführer jedoch bereits volljährig.

Das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers ist unter diesen Gesichtspunkten zu würdigen und ist hierzu Folgendes auszuführen:

Im Rahmen der Erstbefragung gab der Beschwerdeführer an, er habe Afghanistan im Alter von einem Jahr mit seinen Eltern verlassen, den Grund kenne er nicht. Im Iran hab er als Schafhirte gearbeitet, der Arbeitgeber habe ihn geschlagen, manchmal kein Geld gegeben. Im Iran habe er die Schule nicht besuchen dürfen. Weitere Angaben machte er nicht (BFA-Akt, AS 29).

Demgegenüber gab er im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme im Oktober 2016 an, dass es im Iran schlecht gewesen sei, die Polizisten dort seien sehr schlecht, außerdem sei ein Cousin mit ihm im Iran verfeindet (BFA-Akt, AS 81). Seine Schwester Moshgan sei mit einem Cousin väterlicherseits verlobt worden, dieser habe die Schwester immer geschlagen. Dann gibt der Beschwerdeführer an: "Ich habe geschaut, dass sie nicht heiraten, dass die Verlobung aufgelöst wird. Deswegen hat er mir gedroht, dass er mich umbringen möchte". Auf die Frage, ob die Verlobung nun aufgehoben sei, antwortet der Beschwerdeführer: "Ja. Sie hat jemanden anderen geheiratet". Auf die Frage, warum die Familie weiter im Iran wohnen könne, gibt er sodann an: "Meine Familie wurde auch bedroht [,] aber ich bin geflüchtet."

Welcher Cousin dies genau sein soll, sagt der Beschwerdeführer nicht, sowohl beim BFA (AS 83) als auch beim BVwG nennt er dazu zwei Namen. Vor dem BVwG gab der Beschwerdeführer an, dass er beschlossen habe, die Verlobung seiner Schwester aufzulösen. Er habe zu einem Zeitpunkt, an dem er bereits in Österreich war, davon erfahren, dass seine Schwester weggelaufen sei, habe dann mit seinen Eltern gesprochen und ihnen mitgeteilt, dass die Verlobung aufgelöst werden soll (BVwG-Akt, OZ 24, S. 9). Auch wenn nicht übersehen werden darf, dass der Beschwerdeführer im Zeitpunkt seiner Einvernahme vor dem BFA noch minderjährig war, ist davon auszugehen, dass der damals mündige Minderjährige in der Lage war, korrekte Zeitangaben zu machen, dies gelingt aber nicht, schilderte der Beschwerdeführer das Szenario doch als fluchtauslösend vor dem BFA - Auflösung der Verlobung, dann Bedrohung an den Beschwerdeführer selbst, dann Ausreise - einerseits und andererseits als Geschehnis nach seiner Flucht vor dem BVwG andererseits. Somit scheitert dieses Vorbringen bereits an der mangelnden zeitlichen Einordnung. Zudem darf nicht übersehen werden, dass der Beschwerdeführer auch unterschiedliche Angaben zur Anzahl seiner Onkel und Tanten gemacht hatte (siehe oben unter II.2.1. zu den Familienmitgliedern im Iran und Afghanistan). Darüberhinaus ergibt sich aus den Feststellungen zur afghanischen Gesellschaftsstruktur unter II.1.2., dass der Vater das männliche Familienoberhaupt ist, erst im Fall seines Todes folgen ihm seine Söhne nach; eine Entscheidung durch den Sohn zu Lebzeiten des Familienoberhauptes ist somit schlicht unglaubwürdig. Auch muss unter diesen Umständen darauf geachtet werden, dass die gesamte restliche Familie unbehelligt im Iran lebt, mit den dort lebenden Verwandten Kontakt hält und keinerlei Bedrohungen ausgesetzt ist (BVwG-Akt, OZ 24, S. 6 und 8). Schließlich fällt ins Auge, dass das Vorbringen nach Vorhalt der Länderberichte und der zeitlichen Widersprüche immer weiter gesteigert wurde, so gab der Beschwerdeführer nach diesen Vorhalten erstmals an, dass er mit dem Cousin im Iran nur diskutiert habe, die Bedrohungen erst nach der Flucht geäußert wurden, er davon am Telefon erfahren hätte. Erstmals gab er an, dass seine Mutter 2017 oder 2018 mit dem Messer bedroht worden sei, da er und seine Mutter das Problem gewesen seien, da sie von Anfang an gegen die Verlobung gewesen wären (BVwG-Akt, OZ 24, S. 10). Dabei handelt es sich jedoch nach Ansicht der erkennenden Richterin um Schutzbehauptungen und den Versuch, die Widersprüche zu relativieren. Eine abschließende Erklärung und Aufklärung der Widersprüche kann darin jedoch nicht erblickt werden. In einer Gesamtschau kann dieses Vorbringen, aus dem sich eine Bedrohung in Afghanistan und im Iran ergeben soll, mangels Glaubwürdigkeit nicht den Feststellungen zugrunde gelegt werden.

Auch der Ausreisegrund der Familie aus Afghanistan konnte nicht zugrundegelegt werden, gab der Beschwerdeführer doch sowohl bei der Erstbefragung (BFA-Akt, AS 29) als auch vor dem BVwG an, den Grund für die Ausreise nicht zu kennen (BVwG-Akt, OZ 24, S. 7). Lediglich vor dem BFA gab er an, der Vater habe Feindschaften gehabt, die Feinde würde er aber nicht kennen (BFA-Akt, AS 83).

In einer Gesamtschau entstand für die erkennende Richterin - unter Berücksichtigung der Minderjährigkeit des Beschwerdeführers im Zeitpunkt seiner Erstbefragung und seiner Einvernahme vor dem BFA und unter Berücksichtigung des in der mündlichen Beschwerdeverhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks vom Beschwerdeführer - das Bild, dass der Beschwerdeführer das von ihm geschilderte Fluchtvorbringen nicht selbst erlebt hat, da die Angaben in maßgeblichen Eckpunkten uneinheitlich sind, in weiten Teilen nicht mit den tatsächlichen Gegebenheiten im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers übereinstimmen und sich die Person des Beschwerdeführers als unglaubwürdig herausgestellt hat. Aus all diesen Gründen konnten seine Fluchtvorbringen Vorbringen nicht als glaubwürdig gewertet werden.

Andere Anhaltspunkte, die eine mögliche Verfolgung des Beschwerdeführers in seinem Herkunftsstaat für wahrscheinlich erscheinen lassen, sind im gesamten Verfahren ebenfalls nicht hervorgekommen.

2.3. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Die Feststellungen zur Situation in Afghanistan stützen sich auf objektives, in das Verfahren eingebrachte und dem Beschwerdeführer mit der Möglichkeit zur Stellungnahme zur Kenntnis gebrachte Berichtsmaterial. Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln. Diese Berichte sind nach wie vor als hinreichend aktuell anzusehen und setzen sich aus Informationen aus regierungsoffiziellen und nichtregierungsoffiziellen Quellen zusammen. Die entsprechenden Fundstellen sind in den Klammern neben den Absätzen ersichtlich.

Bei den nun zugrundegelegten Berichten handelt es sich um das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 29.06.2018 (Stand: 26.03.2019), die UNHCR-Richtlinien zu Afghanistan vom 30.08.2018, die EASO Country Guidance Notes zu Afghanistan vom Juni 2018, den EASO Bericht zu Netzwerken in Afghanistan, Jänner 2018, die ACCORD-Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Entwicklung der wirtsch. Situation, der Versorgungs- und Sicherheitslage in Herat, Mazar-e Sharif (Provinz Balkh) und Kabul) vom 07.12.2018 sowie das Dossier der Staatendokumentation zur Clan- und Stammesstruktur aus 2016.

Der Beschwerdeführer hat zu den in das Verfahren eingebrachten Berichten Stellung genommen. Es wurden jedoch keinerlei Gründe dargelegt, die an der Richtigkeit der Informationen zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers Zweifel aufkommen ließen, zumal die nun verwendeten Berichte aktueller sind, als jene, auf die sich die Beschwerde bezieht.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zur Zulässigkeit der Beschwerde:

Der gegenständlich bekämpfte Bescheid wurde am 13.04.2018 rechtswirksam zugestellt. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde vom 04.05.2018 erweist sich als rechtzeitig und zulässig, sie ist jedoch nicht begründet:

3.2. Zu Spruchpunkt A) - Abweisung der Beschwerde:

3.2.1. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit der Antrag nicht wegen Drittstaatssicherheit oder wegen Zuständigkeit eines anderen Staates oder wegen Schutzes in einem EWR-Staat oder in der Schweiz zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 55/1955 (Genfer Flüchtlingskonvention, in der Folge: GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der RL 2004/83/EG des Rates verweist).

Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Antrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offen steht oder wenn er einen Ausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.

Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (idF des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) - deren Bestimmungen gemäß § 74 AsylG 2005 unberührt bleiben - ist ein Flüchtling, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren."

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist somit die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074 uva.).

Verlangt wird eine "Verfolgungsgefahr", wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonv

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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