TE Bvwg Beschluss 2019/5/10 W103 2194716-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.05.2019
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Entscheidungsdatum

10.05.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W103 2194716-1/5E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. AUTTRIT als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.04.2018, Zl. 1178503105-180037944, beschlossen:

A) In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben

und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 in der Fassung BGBl. I Nr. 122/2013, zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation, stellte am 23.01.2018 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz, nachdem er zuvor unrechtmäßig in das Bundesgebiet eingereist war.

Anlässlich seiner am Tag der Antragstellung durchgeführten Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer zunächst an, er sei der Sohn des ehemaligen Vizepräsidenten der tschetschenischen Republik Itchkeria. Dieser habe im Jahre 1994 gegen die Russen gekämpft und sei damals Militärkommandeur im ersten Tschetschenienkrieg gewesen. Aus diesem Grunde habe die Familie 1998 aus Tschetschenien fliehen müssen.

Am 01.03.2018 wurde der Beschwerdeführer im Beisein einer geeigneten Dolmetscherin für die russische Sprache niederschriftlich vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen.

Es folgen die entscheidungsrelevanten Auszüge aus dieser Einvernahme:

...(.....)...

... F: Wie empfanden Sie die Erstbefragung? Gaben Sie damals die Wahrheit an?

A: Alles war in Ordnung. Ich gab die Wahrheit an.

Reiseweg: F: Sind Ihre Angaben zum Reiseweg (Anmerkung: Dem Asylwerber wurden die Angaben zum Reiseweg vom Einvernahmeleiter im Wesentlichen wiedergegeben.), die Sie anlässlich der vorangegangenen Einvernahmen machten, vollständig und wahrheitsgemäß?

A: Ja.

F: Reisten Sie legal oder illegal in Österreich ein?

A: Ich reiste illegal in Österreich ein.

F: Haben Sie sich jemals einen russischen Auslandsreisepass oder Inlandspass ausstellen lassen?

A: Ja. Diesen vernichtete ich am Flughafen XXXX .

F: Hatten Sie sonstige amtliche Dokumente?

A: Ja. Das Original der Geburtsurkunde befindet sich bei der Mutter. Eine Kopie habe ich mit. Ich hatte auch einen Inlandspass. Dieser ist aber abgelaufen.

F: Wo liegt Ihr Geburtsort/Wohnort?

A: Der Geburtsort liegt in Tschetschenien ( XXXX ). Einen Wohnort kann ich nicht bekanntgeben, weil ich an Tschetschenien keine Erinnerungen habe.

F: Haben Sie nie mit Ihrer Mutter über die Heimat gesprochen?

A: Nein. Ich weiß, dass wir in XXXX ein Haus hatten, wenn ich mich nicht irre.

F: Wurde Ihnen in Österreich ein nicht auf das Asylgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht erteilt?

A: Nein.

F: Haben Sie in Österreich Verwandte? Besteht in Österreich eine besondere private Bindung (ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis muss vorliegen) beziehungsweise besteht ein Familienleben in Österreich?

A: Mein Bruder und dessen Familie leben in Österreich. Es besteht kein gemeinsamer Wohnsitz. Es gibt in Österreich keine Personen, zu denen ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis besteht. Ich habe keine Bekanntschaften geschlossen.

F: Haben Sie noch Angehörige und Bekannte in der Russischen Föderation? Besteht Kontakt zu diesen?

A: Mütterlicherseits gibt es Onkeln und Tanten (samt Familienangehörigen).

F: Haben Sie während Ihres Aufenthaltes in Österreich Sprachkenntnisse in Deutsch erworben?

A: Nein. Ich kenne deutsche Wörter, kann aber keine zusammenhängenden Sätze bilden.

F: Gehen Sie in Österreich einer legalen Arbeit nach?

A: Nein.

F: (Teilnahme am gesellschaftlichen Leben in Österreich:) Besuchen Sie eine Schule, eine Universität oder einen Kurs? Sie sind Mitglied in einer Organisation oder in einem Verein?

A: Nein.

F: Leiden Sie an schweren Erkrankungen? Nehmen Sie laufend Medikamente ein?

A: Nein.

F: Sind Sie in der Russischen Föderation vorbestraft?

A: Nein. Ich bin auch nicht in Ägypten, in der Türkei oder in Aserbaidschan vorbestraft.

F: Wie war Ihre wirtschaftliche Situation in der Russischen Föderation? Wovon lebten Sie?

A: In der Russischen Föderation war ich ein Kleinkind. In Aserbaidschan ( XXXX ) hatte ich Arbeit. Ich arbeitete für ein Reisebüro als Dolmetscher und Reiseführer.

F: Erteilten Sie jemanden eine Vollmacht (Vollmacht betreffend der Vertretung im Asylverfahren oder Zustellvollmacht)?

A: Nein.

Grund: Ich kam nach Österreich, weil ich der Sohn meines Vaters bin. Es war für mich in den anderen Ländern und in Russland gefährlich. Ich fasste den Entschluss, nach Österreich zu fahren, weil es Drohungen gegen meinen Bruder, der in XXXX lebt, gegeben hat. Die Behörden der tschetschenischen Republik drohten uns (Kommt ihr nicht nach Hause, werden wir euch zwangsweise in die Heimat bringen! Wir werden euer Leben zerstören.). Es ist in der Türkei nicht sicher. Auch in Aserbaidschan ist es nicht sicher. Ich fasste daher den Entschluss, nach Österreich zu reisen, weil dies ein sicherer Ort ist. Ich verdiente in Aserbaidschan gut. Zuletzt stellte ich in XXXX bei UNHCR einen Antrag auf Anerkennung als Flüchtling. Man sagte mir, dass ich warten muss. Ich konnte den Ausgang nicht abwarten, weil mein Aufenthaltstitel für Aserbaidschan abgelaufen wäre. Ich war gezwungen, Aserbaidschan zu verlassen. Wenn man mich dort erwischt hätte, hätten mich die aserbaidschanischen Behörden an Russland ausgeliefert. Das wäre für mich lebensgefährlich gewesen. Dann erfuhr ich, dass es für mich diese Reisemöglichkeit gibt, nach Österreich zu gelangen.

F: Seit wann bestehen Ihre Probleme?

A: Das Problem gab es immer.

F: Weshalb kamen Sie nicht mit den Bruder XXXX nach Österreich?

A: Er reiste bei erster Gelegenheit ab. Ich war damals in Ägypten und noch nicht mit dem Sprachkurs fertig.

F: Weshalb begaben Sie sich wieder nach Aserbaidschan zurück?

A: Es gibt dort einen großen Zustrom arabischer Touristen. Ich fasste den Entschluss, dorthin zu gehen, weil es dort Arbeit gibt. Ich dachte, dass alles für mich einfacher wird, weil ich XXXX und Aserbaidschan kenne. Die Bedingungen waren in Aserbaidschan für mich günstiger als in der Türkei.

F: Weshalb warteten Sie das Verfahren von UNHCR in XXXX nicht ab?

A: Ich war in XXXX . Man sagte mir, dass ich drei Monate warten soll und dass ich dann angerufen werde. Drei Monate vergingen. Ich gab in XXXX auch so eine Art Interview wie hier ab. Ich erhielt aber keine Karte. Mein Aufenthaltsrecht lief dann ab. Jeden Tag drohte mir die Abschiebung nach Russland, weil ich ja illegal dort war. Mit einem russischen Pass darf man sich nur drei Monate in Aserbaidschan aufhalten.

F: Was war Ihr Problem? Bitte geben Sie Details an.

A: Mein Vater kämpfte gegen Russland. Das war von 1994 bis 2011. Er kämpfte in Tschetschenien. Ich sah meinen Vater wahrscheinlich das letzte Mal, als ich zwei oder drei Jahre alt war. Ich habe keine Erinnerungen an meinen Vater. Bei uns spricht man von Blutrache. Wenn mein Vater jemand von den anderen getötet hat, dann muss die Familie des Getöteten das Recht anwenden und einen Angehörigen des Täters töten.

F: Stellen Sie sich vor, es herrscht Krieg. Es wird geschossen. Von beiden Seiten. Wie kann man herausfinden, wer wen getötet hat?

A: Das ist unmöglich festzustellen. Unsere Leute hängen aber einer Person Morde an. Für sie ist das kein Problem, zu behaupten, der ist ein Terrorist und der hat Leute ermordet.

F: Waren Sie für terroristische Akte verantwortlich?

A: Nein.

F: Sind Sie ein Wahabit?

A: Nein.

F: Haben Sie ab Ende 1999 aktiv als Widerstandskämpfer auf tschetschenischer Seite mitgewirkt?

A: Nein. Als sie meinen Vater getötet haben, war ich 15 Jahre alt.

F: Wissen Sie Details über die Ermordung des Vaters?

A: Er kam ums Leben bei einem Bombenattentat in XXXX .

F: Woher weiß Ihre Familie das?

A: Aus dem Internet.

V: Informationen aus dem Internet müssen nicht zwangsweise der Wahrheit entsprechen. Was sagen Sie dazu?

A: Das ist aber meine einzige Quelle. Wir haben keine näheren Informationen.

F: Wie oft wurde Ihrer Familie gedroht (Kommt heim! ...)?

A: Das kam mehrmals vor.

F: Wie passierten die Drohungen? Kam wer zu Ihrer Familie?

A: Leute kamen zum Arbeitsplatz meines Bruders, der jetzt in XXXX lebt.

F: Wurde Ihre Familie weiter bedroht, als Ihr Bruder schon in Österreich war?

A: Ich kann mich nicht erinnern. Ich glaube nein.

F: Gibt es schriftliche Unterlagen, oder wurde nur mündlich gedroht?

A: Es gibt nichts Schriftliches.

V: Ihnen wurde am 13.01.2016 ein russischer Auslandsreisepass ausgestellt. Wären Sie ein Regimefeind, hätte dies auffallen müssen und wäre Ihnen sicher kein Auslandsreisepass ausgestellt worden. Was sagen Sie dazu?

A: Ich besorgte mir den Reisepass nicht in Russland.

V: Auch die Russischen Botschaften arbeiten mit Russland zusammen!

A: Keine Antwort.

F: War das der Grund der Asylantragstellung?

A: Ja.

F: Wollen Sie Ihre Angaben näher ausführen?

A: Nein.

F: Konnten Sie die Dolmetscherin bisher einwandfrei verstehen und haben Sie das Gefühl, dass diese Ihre Angaben richtig und vollständig wiedergibt?

A: Ja.

F: Waren Sie in der Russischen Föderation jemals in Haft oder wurden Sie jemals festgenommen?

A: Nein.

F: Hatten Sie in der Russischen Föderation jemals Probleme mit der Polizei oder einem Gericht?

A: Nein.

F: Wurden Sie in der Russischen Föderation jemals aus religiösen Gründen verfolgt?

A: Nein.

F: Waren Sie in der Russischen Föderation Mitglied einer politischen Partei?

A: Nein.

F: Wurden Sie in der Russischen Föderation jemals wegen Ihrer politischen Überzeugung verfolgt?

A: Nein.

F: Was befürchten Sie, im Falle der Rückkehr in der Russischen Föderation erleiden zu müssen?

A: Ich denke, ich bin überzeugt, dass mir das passiert, was mit meinem Bruder (Name: XXXX ) passiert ist, der jetzt in Frankreich lebt. Er wurde geschlagen und gefoltert. Erst, als die ganze Welt protestierte, haben sie ihn gehen lassen. Er wurde in Tschetschenien im Jahr 2009 festgehalten. Die Journalistin XXXX hat die Rechte meines Bruders verteidigt und kam er frei.

F: Haben Sie familiäre oder melderechtliche Anknüpfungspunkte in anderen Regionen der Russischen Föderation (außerhalb von Tschetschenien)?

A: In XXXX gibt es einen Onkel mütterlicherseits.

F: Weshalb zogen Sie nicht in Betracht, sich zum Beispiel in Moskau niederzulassen. Dort gibt es eine große tschetschenische Gemeinde. Was sagen Sie dazu?

A: Das ist auch Russland. Es gibt keinen Unterschied zwischen Tschetschenien und Moskau. Wenn die russischen Behörden in die Türkei oder nach Aserbaidschan fahren können, um dort Leute aufzuspüren, dann ist man in Moskau schon gar nicht sicher.

F: Meldete sich jemand von den Verfolgern persönlich bei Ihnen?

A: Nein.

F: Woher wissen Sie dann vom Problem?

A: Ich bin selbst in der Lage, das Problem zu verstehen.

...(.....)...

2. Mit im Spruch angeführten Bescheid vom 05.04.2018 hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag der beschwerdeführenden Partei auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und den Antrag gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wurde gegen die beschwerdeführende Partei eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, erlassen (Spruchpunkt IV.) und wurde gemäß § 52 Absatz 9 FPG unter einem festgestellt, dass die Abschiebung der beschwerdeführenden Partei in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise der beschwerdeführenden Partei zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

Die belangte Behörde traf folgende Feststellungen:

"Zu Ihrer Person:

Ihre Identität steht fest. Sie sind Staatsangehöriger der Russischen Föderation, Angehöriger der Volksgruppe der Tschetschenen und bekennen sich zum Islam (Sunnit).

Tschetschenien verließen Sie mit der Mutter und den Geschwistern im Alter von zwei Jahren. Ein genauer Wohnort ist Ihnen daher nicht bekannt. Bis zum Jahr 2012 lebten Sie in XXXX (Aserbaidschan). Im Anschluss hielten Sie sich zwei Monate in XXXX auf. Danach lebten Sie bis zum Mai 2017 in XXXX (Ägypten). Anschließend reisten Sie für ein paar Tage in die Türkei. Von dort übersiedelten Sie wieder nach XXXX (Aserbaidschan), wo Sie sich bis Ende 2017 aufhielten.

Festgestellt wird, dass Sie illegal in Österreich eingereist sind. Die illegale Einreise erfolgte am 10.01.2018 über den Flughafen XXXX

.

Zu den Gründen für das Verlassen Ihres Herkunftsstaates:

Es konnte nicht festgestellt werden, dass Sie in der Russischen Föderation und in Tschetschenien aufgrund des Verwandtschaftsverhältnisses zu XXXX von den Behörden gesucht werden. Ferner steht nicht fest, dass Ihnen Blutrache in Tschetschenien, ausgehend von Hinterbliebenen, deren Angehörige durch Ihren Vater ums Leben gekommen sind, droht.

Zu Ihrer Situation im Fall Ihrer Rückkehr:

Es konnten keine stichhaltigen Gründe festgestellt werden, die gegen eine Rückkehr in die Russische Föderation sprechen.

Sie haben in der Russischen Föderation nahe Verwandte (Anmerkung: mehrere Onkel und Tanten mütterlicherseits), von denen Sie im Bedarfsfall Unterstützung (zum Beispiel: finanzielle Hilfeleistungen oder Unterkunft) erwarten können.

Zu Ihrem Privat- und Familienleben:

Fest steht, dass Sie am 10.01.2018 illegal in Österreich einreisten und dass Sie sich zumindest seit diesem Tag durchgehend in Österreich aufhalten.

In Österreich hält sich folgender Familienangehöriger auf: ein Bruder (Zahl: 1031815307; anerkannter Flüchtling; samt Familienangehörige).

Festgestellt wird, dass Sie in Österreich über ein schützenswertes Privatleben verfügen. In Ihrem Fall liegt zwar ein schützenswertes Privatleben vor, jedoch ist der staatliche Eingriff als verhältnismäßig anzusehen.

Festgestellt wird, dass Sie in Österreich über kein schützenswertes Familienleben verfügen."

Die belangte Behörde gab in der Beweiswürdigung folgendes an:

...(.....)...

"Betreffend die Feststellungen zu Ihrer Person:

Die Feststellungen zu Ihrer Identität und Nationalität stützen sich auf die Eintragungen im russischen Auslandsreisepass. Sie legten zwar nur zwei kopierten Seiten aus Ihrem Pass vor, jedoch bestehen für das Bundesamt keine Zweifel, dass die Kopien nicht vom Original angefertigt wurden. Die Feststellungen zu Ihrer ethnischen Zugehörigkeit, Ihrer Religion, Ihren Wohnorten und Ihrem familiären Umfeld ergaben sich aus Ihren unwiderlegten und glaubhaften Angaben.

Mangels eines vorgelegten Reisepasses mit gültigem Visum für Österreich wurde die Feststellung zur illegalen Einreise getroffen.

Da keine Aufzeichnungen über den Zeitpunkt der illegalen Einreise vorhanden sind, mussten diesbezüglich Negativfeststellungen getroffen werden.

Die Feststellung über Ihren Aufgriff am Flughaften XXXX gründet sich auf die Inhalte der abgefassten Mitteilungen und Aktenvermerke, welche dem Bundesamt von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Landespolizeidirektion Niederösterreich übermittelt wurden (Anmerkung: datiert mit 10.01.2018).

Betreffend die Feststellungen zu den Gründen für das Verlassen Ihres Herkunfts-staates:

Sie gaben an, dass Sie in der Russischen Föderation und in Tschetschenien aufgrund des Verwandtschaftsverhältnisses zu XXXX von den Behörden gesucht würden. Zudem würde Ihnen Blutrache in Tschetschenien, ausgehend von Hinterbliebenen, deren Angehörige durch Ihren Vater ums Leben gekommen sind, drohen.

Von der erkennenden Behörde wurde der angegebene Sachverhalt in Zweifel gezogen. Ihre Behauptungen haben Sie nur allgemein in den Raum gestellt, ohne diese belegen oder durch konkrete Anhaltspunkte glaubhaft machen zu können.

Diese Ansicht der erkennenden Behörde wurde aufgrund von Ungereimtheiten bestätigt. Vorweg ist auszuführen, dass ein Verwandtschaftsverhältnis zu XXXX , dem ehemaligen Vizepräsident der Tschetschenische Republik Itschkerien, für das Bundesamt nicht feststeht. Es gibt im Internet (zum Beispiel über Google) zahlreiche Berichte über XXXX . In keinem der Berichte sind Fakten über eine Ehegattin oder über Kinder festgehalten. In Ihrem Fall steht ausschließlich ein Familienverhältnis zur Mutter und zu den Geschwistern fest, das sich aus den vorgelegten Schriftstücken von UNHCR ableiten lässt, wobei als Einschränkung festgehalten werden muss, dass auch nicht vollständig sicher ist, ob Ihre Mutter seinerzeit nach Aserbaidschan ausschließlich leibliche Kinder, oder Kinder von zum Beispiel gefallenen Verwandten oder Bekannten mitgenommen hat.

Dass ein Verwandtschaftsverhältnis durch Vorlage einer Geburtsurkunde, wie im Verfahren Ihres Bruders, als eindeutiges Indiz der Verwandtschaft herangezogen werden könnte, erscheint aufgrund des Umstandes, dass es in der Russischen Föderation leicht möglich ist, an gefälschte Dokumente zu gelangen (Anmerkung zur Echtheit der Dokumente: Die von den staatlichen Behörden ausgestellten Dokumente, die die betreffenden Staatsangehörigen mit sich führen (insbesondere Reisedokumente), sind nicht selten mit unrichtigem Inhalt ausgestellt oder gefälscht. In Russland ist es möglich, Personenstandsurkunden wie zum Beispiel Staatsangehörigkeitsausweise, Geburts- und Heiratsurkunden, aber auch andere Dokumente, wie zum Beispiel Vorladungen, Haftbefehle, Gerichtsurteile etc., zu kaufen. Häufig sind diese Fälschungen primitiv und leicht zu identifizieren. Es gibt aber auch Fälschungen, die mit chemischen Mitteln auf Originalvordrucken professionell hergestellt wurden und nur mit speziellen Untersuchungen erkennbar sind. Überdies sind solche "Dokumente" relativ leicht zu beschaffen. Auswärtiges Amt Berlin, den 18.08.2006, Gz: 508-516.80/3 RUS, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation (einschließlich Tschetschenien) (Stand: Juli 2006)), ebenso wenig als taugliches Beweismittel zu dienen. Sie legten im Verfahren ebenfalls eine Kopie einer russischen Geburtsurkunde vor. Abgesehen davon, dass eine Übereinstimmung beim Familiennamen (Anmerkung: zu XXXX ) vorliegt, fiel dem Bundesamt auf, dass die von Ihnen vorgelegte Kopie (Anmerkung: hätten Sie ein Original vorgelegt, hätte eine technische Überprüfung der Urkunde vorgenommen werden können) am XXXX in XXXX [Tschetschenien] ausgestellt wurde, obwohl Sie im Verfahren immer behauptet haben, sich bis 2012 in XXXX (Aserbaidschan) aufgehalten zu haben. Dass sich Ihre Mutter, obwohl für Angehörige des XXXX Lebensgefahr in Tschetschenien bestehen würde, extra für die Ausstellung einer Geburtsurkunde nach Tschetschenien begeben hätte sollen, um dort noch dazu Kontakt zu Behörden zu suchen, ließ die Glaubhaftigkeit Ihrer Ausführungen anzweifeln. Das einzig verlässliche Mittel, ein Verwandtschaftsverhältnis zu XXXX nachweisen zu können, wäre ein DNA-Test gewesen, was jedoch angesichts der Tatsache, dass XXXX am 28.03.2011 in einem Rebellenlager in XXXX bei einem russischen Luftangriff getötet wurde, nicht mehr möglich ist. Im Verfahren konnten Sie auch sonst keine Details über das Leben XXXX bekanntgegeben, weshalb keine Rückschlüsse seitens der erkennenden Behörde aus Ihren Angaben gezogen werden konnten, ob es sich bei dieser ehemaligen tschetschenischen Persönlichkeit um Ihren Vater handelt ("... A: Mein Vater kämpfte gegen Russland. Das war von 1994 bis 2011. Er kämpfte in Tschetschenien. Ich sah meinen Vater wahrscheinlich das letzte Mal, als ich zwei oder drei Jahre alt war. Ich habe keine Erinnerungen an meinen Vater. ..."). Auffällig dabei ist, dass Sie laut eigenen Angaben nie mit Ihrer Mutter über die Zeit in Tschetschenien sprechen hätten sollen (... "F: Haben Sie nie mit Ihrer Mutter über die Heimat gesprochen? A: Nein. Ich weiß, dass wir in XXXX ein Haus hatten, wenn ich mich nicht irre. ..."). Bei dieser Gelegenheit hätten Sie sich, rein aus Selbstinteresse, auch nach Ihrem Vater erkundigen und letztendlich Details beim Bundesamt präsentieren können.

Gegen die Glaubhaftigkeit einer Verfolgung, die sich nicht nur auf Tschetschenien, sondern auf das gesamte Staatsgebiet der Russischen Föderation, aber auch auf die Türkei erstreckt, spricht auch der Umstand, dass Sie nicht in der Lage waren, überzeugend vorzubringen, woher Ihre Verfolger die Angehörigen des XXXX kennen sollten. Bei der Schilderung Ihres Lebenslaufes gaben Sie an, im Alter von zwei Jahren Tschetschenien verlassen zu haben. Damals, im Jahre 1998, war noch nicht einmal der zweite Tschetschenienkrieg ausgebrochen. Die Machthaber Ende der 90er Jahre und bis 2007 sind nicht mehr am Leben. Derzeit herrscht Kadirow Junior. Wenn Ihre Mutter und Ihre Geschwister bereits vor dem Ausbruch des zweiten Tschetschenienkrieges von XXXX in Sicherheit gebracht worden wären, erscheint es umso weniger plausibel, dass die darauffolgenden und jetzigen Machthaber überhaupt Kenntnis über die familiären Verhältnisse des XXXX haben könnten. Hätte dies den Tatsachen entsprochen, erscheint es nicht nachvollziehbar, weshalb die Machthaber Ihre Mutter nicht im benachbarten Aserbaidschan während des immerhin etwa 14-jährigen Aufenthaltes ausfindig machen hätten können. Dies sprach gegen die Glaubhaftigkeit Ihres Vorbringens und führte zu weiteren Zweifeln, ob das von Ihnen beschriebene Verwandtschaftsverhältnis zu XXXX der Wahrheit entspricht.

Dass Ihre Angaben nicht der Wahrheit entsprechen, zeichnete sich auch dadurch ab, dass es für das Bundesamt nicht plausibel erscheint, weshalb Ihre Familienangehörigen es unterlassen hätten sollen, sofort im Jahr 2009 mit dem angeblich zu Unrecht inhaftierten XXXX , der heute in Frankreich lebt, nach Frankreich zu flüchten. Auffällig in Ihrer Schilderung war auch, dass sich Ihre Mutter und weitere Geschwister weiterhin in der Türkei aufhalten sollen, obwohl für Sie diese Möglichkeit nicht bestanden hätte, weil es dort zu Übergriffen russischer oder tschetschenischer Gefolgsleute gekommen wäre. In diesem Zusammenhang wird auch angemerkt, dass es seltsam anmutet, wenn sich Ihre Verfolger die Mühe machen hätten sollen, nach Ihnen weltweit zu fahnden, Ihre Familie aufstöbern und danach lediglich eine Aufforderung zur Rückkehr aussprechen hätten sollen. Wäre es für Ihre Verfolger tatsächlich ein massives Anliegen, Ihre Familie in deren Gewalt zu bringen, wäre es naheliegend gewesen, Ihre Familie gewaltsam nach Tschetschenien zurückzu-führen. Diese Diskrepanzen erzeugten neuerlich Zweifel am Wahrheitsgehalt Ihres Vorbringens. Ebenso erscheint es unplausibel, sich als Reiseziel Österreich auszuwählen, wenn Sie gleichzeitig Internetberichte vorlegen, aus denen hervorgeht, dass in Österreich lebenden Tschetschenen medial von Kadirow gedroht wird. Offensichtlich sind Sie sich der Gefahren, ausgehend von Präsident Kadirow, bewusst, konnten aber Ihre Entscheidung, in Österreich weiterleben zu wollen, gefahrlos ausführen, zumal Sie, wie vom Bundesamt eingeschätzt, keiner Verfolgung ausgesetzt waren oder sind.

Auch die Ausstellung eines russischen Auslandspasses, die laut Ihren Angaben am 13.01.2016 auf der Russischen Botschaft in XXXX ), erfolgte, spricht gegen das Vorliegen einer latenten föderationsweiten Verfolgung Ihrer Person. Zur Beantragung und Ausstellung eines russischen Auslandsreisepasses liegen der erkennenden Behörde folgende Fakten vor: Die Identität des Antragstellers und allfällige Passversagungsgründe werden vor Ausstellung des Reisepasses vom Innenministerium durch Anfrage bei Polizei und dem nationalen Sicherheitsdienst FSB überprüft. Der Reisepassantrag wird dem FSB übermittelt, der nach Überprüfung ob es Umstände gibt, die die Ausreise eines Antragsstellers verbieten würden, seine Zustimmung an den FMS erteilt. Die Ausstellungsdauer beträgt bei: Antragstellung am Wohnsitz: nicht länger als 1 Monat; Antragstellung am vorübergehenden Aufenthaltsort: nicht länger als 4 Monate; Antrag-stellung am Konsulat/diplomatische Vertretung: nicht länger als 3 Monate. (Quelle: Analyse der Staatendokumentation vom 24.08.2010, Russische Föderation: Auslandsreisepässe)

Bei der in diesen Fakten beschriebenen Überprüfung durch den FSB (Anmerkung: auch bei Antragstellung auf einer diplomatische Vertretung) hätte auffallen müssen, dass es sich bei Ihrer Person um einen Regimefeind handelt.

Was die von Ihnen ins Treffen geführte Blutrache betrifft, ist festzuhalten, dass Sie diese nur äußerst vage beschrieben haben ("... Bei uns spricht man von Blutrache. Wenn mein Vater jemand von den anderen getötet hat, dann muss die Familie des Getöteten das Recht anwenden und einen Angehörigen des Täters töten. ..."). Im Krieg, wenn geschossen wird, ist es unmöglich herauszufinden, wer wen getötet hat und kann auf diese Weise kein "Schuldiger" festgestellt werden. Sie vermochten es nicht, diese Ungereimtheit überzeugend aufzulösen. Ferner ergibt die von Ihnen beschriebene Blutrache keinen Sinn, zumal, wie Ihren Angaben zu entnehmen ist, das Ziel der Blutrache (Anmerkung: XXXX ) ohnehin bereits ermordet wurde. Durch die Ermordung von XXXX wurde die Blutrache vollzogen. Ihre Angaben erwiesen sich auch unter diesem Aspekt als frei erfundenes Konstrukt ohne wahren Hintergrund.

Insgesamt betrachtet war Ihr Vorbringen mangels Glaubhaftigkeit nicht geeignet, Ihnen den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen."

...(.....)...

2.1 Mit Verfahrensanordnung vom 05.04.2018 wurde dem Beschwerdeführer amtswegig eine Rechtsberatungsorganisation im Hinblick auf eine allfällige Beschwerdeerhebung zur Seite gestellt.

3. Gegen den oben angeführten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl richtet sich die fristgerecht am 02.05.2018 eingebrachte Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Mangelhaftigkeit des Verfahrens. Unter einem wurde das im Spruch ersichtliche Vollmachtsverhältnis bekannt gegeben.

Zur Begründung wurde angeführt:

"Zu seinen Gründen für das Verlassen des Heimatlandes gab der BF im Wesentlichen an, dass er der Sohn des XXXX ist. Dieser hatte in den 1990er Jahren einige offizielle Posten in der Republik Itschkeria inne. Er war ein ranghohes Mitglied des kaukasischen Emirates (ab 2007), in welchem er als ein hochrangiger Feldkommandant diente. 2007 wurde er vom Präsidenten der selbsternannten tschetschenischen Republik Itschkeria Dokka Umarov zum Vizepräsidenten ernannt und gilt als Chefideologe der gesamten Bewegung. Am XXXX wurde XXXX von russischen Sicherheitskräften in einem Camp im Kaukasusgebirge getötet. Seine Familie wurde aufgrund der politischen Einstellung sowie den damit begangenen Taten bedroht und verfolgt. Sie flüchteten 1998 von Tschetschenien nach Aserbaidschan, Baku und erhielten sie dort vom UNHCR Flüchtlingsstatus. Aus Angst vor nach wie vor bestehender Verfolgung durch politische Gegner verließen sie XXXX , und flüchtete die Familie in die Türkei. Der BF, sowie die gesamte Familie, fürchtet sich ebenfalls vor Blutrache durch Überlebende der Opfer seines Vaters. Ende 2017 floh der BF von Aserbaidschan über Marokko nach Österreich.

Der Bruder des BF XXXX studierte von Februar 2006 bis Mai 2009 an der islamischen Al-Azhar-Universität. Am 27.05.2009 wurde er wegen vermeintlichen Verstoßes gegen Visaauflagen vom ägyptischen Geheimdienst (SSI) festgenommen. Am 19.06.2009 wurde er nach Russland abgeschoben und nach Moskau gebracht, wo er festgenommen wurde und verschwand. Plötzlich trat er am 29.06.2009 im tschetschenischen Fernsehen auf und teilte mit, dass er freiwillig nach Tschetschenien gekommen sei, an der Freiwilligkeit bestehen Zweifel. NGOs übten großen Druck aus um ihn ausfindig zu machen. Seine Anwältin XXXX , welche Aktivisten bei der NGO Memorial war, wurde am 15.07.2009 gekidnappt und ermordet (siehe dazu:

Anfragebeantwortung der BFA-Staatendokumentation vom 22.03.2016 zur Frage: Welche Informationen gab es über XXXX ? Hat sich die ermordete XXXX mit dem Fall auseinandergesetzt?). XXXX verließ am 22.07.2009 Tschetschenien und reiste mach Aserbaidschan.

Die in der ersten Instanz zur Entscheidung berufene Behörde spricht seinem Asylvorbringen jegliche Glaubwürdigkeit ab, mit der Begründung es hätten sich Ungereimtheiten ergeben. Es wird zum einen die Abstammung zum Vater XXXX als auch zur Mutter XXXX aufgrund mangelnder Beweise in Abrede gestellt. Dem ist entgegenzuhalten, dass bereits bei der Einvernahme eine Kopie des Duplikats der Geburtsurkunde des BF vorgelegt wurde. Mittlerweile wurde das originale Duplikat der Geburtsurkunde dem BF übermittelt und wurde dieses bei Erhalt der Behörde vorgelegt. Mit dem Duplikat ist es, wie auch der Beweiswürdigung im Bescheid zu entnehmen ist, möglich eine entsprechende Überprüfung auf Echtheit durchführen zu lassen. Das Vorbringen neuer Beweismittel ist gem. § 20 Abs1 Z3 BFA-VG zulässig, wenn es dem Fremden bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des BFA nicht zugänglich war.

Die Behörde hat sich mit der vorgelegten Kopie der Geburtsurkunde des BF unzureichend auseinandergesetzt. Zumal sich ein massiver Widerspruch im Bescheid der Behörde ergibt, wenn zum einen festgestellt wird: "[...] Tschetschenien verließen Sie mit der Mutter und den Geschwistern im Alter von zwei Jahren." (S.14 des Bescheides des BFA vom 05.04.2018) Zum anderen wird in der Beweiswürdigung festgehalten: "ln ihrem Fall steht ausschließlich ein Familienverhältnis zur Mutter und zu den Geschwistern fest, das sich den vorgelegten Schriftstücken von UNHCR ableiten lässt, wobei als Einschränkung festgehalten werden muss, dass auch nicht vollständig sicher ist, ob ihre Mutter seinerzeit nach Aserbaidschan ausschließlich leibliche Kinder, oder Kinder von zum Beispiel gefallenen Verwandten oder Bekannten mitgenommen hat." (S.45 des gegenständlichen Bescheides.) Es wird zum einen festgesteilt, dass es sich wohl um die Mutter und die Geschwister des BF handelt und zum anderen sei aber nicht sicher, ob es sich nicht um Pflegekinder der Mutter des BF handle (was an keiner Stelle in der Einvernahme des BF behauptet wurde). Es fehlt inhaltlich die Schlüssigkeit der Argumentation der Behörde.

Die Behörde argumentiert weiters, dass auf der vorgelegten Kopie der Geburtsurkunde des BF angegeben sei, dass diese am 24.01.2011 in XXXX , ausgestellt worden ist, obwohl der BF behaupte, dass er sich bis 2012 in Baku, Aserbaidschan, aufgehalten habe. Dem ist entgegenzuhalten, dass der BF über diesen scheinbaren Widerspruch nicht befragt wurde (somit keine Möglichkeit der Wahrung des rechtlichen Gehörs) und zum anderen, dass es in Tschetschenien möglich ist, sich eine Kopie dieser Dokumente ohne persönliche Anwesenheit der gesetzlichen Vertretung zu besorgen. Das Original der Geburtsurkunde des BF ging im Tschetschenienkrieg verloren. Das Duplikat wurde am 24 01.2011 ausgestellt und hat die Mutter aufgrund der nach wie vor bedrohlichen Situation in Tschetschenien nicht persönlich die Behörde konsultiert, sondern einen Freund gebeten dies zu tun. Es handelt sich um das Duplikat der Geburtsurkunde des BF und entspricht es der Wahrheit, dass dieser sich sogar bis zu seiner Ausreise aus Aserbaidschan vor seiner Flucht nach Österreich in Tschetschenien nicht mehr aufgehalten hat.

Weiters werden zwei private Familienfotos vorgelegt, auf welchem der BF mit seinem Vater XXXX abgebildet ist (das letzte gemeinsame Bild), bevor der Vater vom Untergrund aus versteckt politisch agierte. Zum Vergleich werden Bilder des XXXX aus dem Internet vorgelegt, auf welchen eindeutig zu erkennen ist, dass auf dem Familienbild tatsächlich XXXX abgebildet ist. Unverkennbar ist die Ähnlichkeit des BF mit seinem Vater.

Weiters wird zum Beweis dafür, dass der BF der Sohn des XXXX ist und dass er der Bruder seiner Geschwister ist, ein Bestätigungsschreiben der Schwester XXXX , ehemals XXXX , sowie des Bruders XXXX vorgelegt. XXXX hat politisches Asyl in Deutschland und XXXX in Frankreich erhalten (vorgelegt wurde bereits ein Artikel von Amnesty International bezüglich der Inhaftierung und des Verschwindens bezüglich XXXX vom 08.07.2009). Dem Bruder XXXX wurde Asyl gem § 3 AsylG in zweiter Instanz durch das Bundesverwaltungsgericht gewährt (IFA:1031815307, BVwG-Zahl: W221 2103866-1/18E, Erkenntnis vom 13.04.2016). Die genannten Geschwister können die Aussagen des BF vollinhaltlich bestätigen und werden als Zeugen in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht beantragt, primär aus verfahrensökonomischen Gründen der in Österreich lebende Bruder (per Anschrift: XXXX ).

Die Erinnerungen des BF an seinen Vater XXXX sind nur minimal vorhanden, da er bei Verlassen seines Heimatortes erst zwei Jahre alt war. Der BF hat nur wenige Informationen bezüglich der Vergangenheit seines Vaters erfahren, da die Mutter ihre Kinder beschützen wollte. Die Mutter war der Meinung: umso geringer der Wissenstand ihrer Kinder sei, umso sicherer wären sie.

Zur aktuellen Situation von Angehörigen von Feinden der tschetschenischen Regierung ist auf die LIB zur Russischen Föderation vom 21.07.2017 zu verweisen, in welchen Folgendes festgehalten wird:

"Allgemeine Menschenrechtslage /Tschetschenien:

NGOs beklagen weiterhin schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen durch tschetschenische Sicherheitsorgane, wie Folter, das Verschwindenlassen von Personen, Geiselnahmen, das rechtswidrige Festhalten von Gefangenen und die Fälschung von Straftatbeständen. Entsprechende Vorwürfe werden kaum untersucht, die Verantwortlichen genießen zumeist Straflosigkeit. [...]

Im Mai 2016 wandte sich Kadyrow darüber hinaus mit einer kaum verhüllten Warnung vor Kritik an seiner Politik in einem TV-Beitrag an die in Europa lebende tschetschenische Diaspora. Diese werde für jedes ihrer Worte ihm gegenüber verantwortlich sein; man wisse, wer sie seien und wo sie leben, sie alle seien in seinen Händen, so Kadyrow (ÖB Moskau 12.2016). Nach dem Angriff auf Grosny im Dezember 214 verfügte Ramzan Kadyrow, dass die Häuser der Familien von Terroristen niedergebrannt werden und die Angehörigen des Landes verwiesen werden (Tagesspiegel 19.12.2014, vgl. HRW 12.1.2017).

[...]

Rebellentätigkeit / Unterstützung von Rebellen:

Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird hart vorgegangen (ÖB Moskau 12.2016).

[...]

Im November 2013 wurden in Russland neue Gesetze verabschiedet, welche die Bestrafung von Familien und Verwandten von Terrorverdächtigen vorsehen. Sie legalisieren Kollektivbestrafungen, welche bereits in mehreren Republiken des Nordkaukasus als Form des Kampfes gegen den Aufstand praktiziert werden. Die Gesetzgebung erlaubt es den Behörden, Vermögenswerte der Familien von Terrorverdächtigen zu beschlagnahmen und die Familien zu verpflichten, für Schäden aufzukommen, welche durch Handlungen der Terrorverdächtigen entstanden sind. Das Gesetz sieht vor, dass Familienangehörige und Verwandte von Terrorverdächtigen belegen müssen, dass ihre Vermögenswerte, Immobilien und weitere Besitztümer nicht durch "terroristische Aktivitäten" erworben wurden. Wenn nicht bewiesen werden kann, dass die Vermögenswerte legal erworben wurden, kann der Staat sie beschlagnahmen."

Die LIB zur Russischen Föderation, konkret zu Tschetschenien, bestätigen die Aussagen des BF insbesondere in Bezug auf die Verfolgung von Familienangehörigen politischer Feinde, zu welchen sein Vater XXXX eindeutig zählte. Die Ermordung des Feindes ändert nichts an der Gefährlichkeit der Verfolgung der noch lebenden Kernfamilie, der Ehefrau als auch der blutsverwandten Nachkommen.

Bei einer Rückkehr nach Tschetschenien ist zu berücksichtigen, dass der BF Tschetschenien 1998 gemeinsam mit seiner Familie im Alter von nur zwei Jahren verließ und bis 2012 als Flüchtling in XXXX , lebte (UNHCR Asylstatus der Familie in Aserbaidschan, jeweils befristet auf ein Jahr, siehe Anlage). Nunmehr hat er seit beinahe 20 Jahren nicht mehr in Tschetschenien gelebt und fand seine gesamte Sozialisierung in Aserbaidschan statt. Er hat keinerlei Kontakte in der Heimat. Es lebt ein Onkel außerhalb von Tschetschenien in XXXX , doch ist völlig unklar, wie konkret dessen Verhältnisse sind und ob er den BF unterstützen könnte, was eher unwahrscheinlich ist.

Sein Bruder XXXX lebt in Frankreich mit Asylstatus, seine Schwester XXXX hat politisches Asyl in Deutschland und sein Bruder XXXX in Österreich (politisches Asyl). Der Rest der Kernfamilie lebt in der Türkei, möchte diese aber alsbald verlassen. Seine Kernfamilie ist nicht in Tschetschenien wohnhaft und fehlen ihm jegliche Anknüpfungspunkte, sowohl sozialer, finanzieller als existenzieller Natur. Eine Rückkehr nach Tschetschenien würde ihn in eine existenzbedrohende und lebensgefährliche Situation bringen, welche mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine Verletzung des Art. 2, 3 EMRK zur Folge haben würde. Aufgrund seiner verwandtschaftlichen Nähe zu einer wichtigen Figur der tschetschenischen Aufstandsbewegung, seines Vaters XXXX , wird er zum Feindbild des aktuellen politischen Machtsystems, wie auch seine Brüder (siehe dazu die Entführung des XXXX sowie die Bedrohungen des XXXX ).

Auch im Asylverfahren gelten die AVG-Prinzipien der amtswegigen Erforschung des maßgeblichen Sachverhalts und der Wahrung des Parteiengehörs. Laut Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs haben die im Asylwesen tätigen Spezialbehörden das ihnen zugängliche Wissen von Amts wegen zu verwerten. Diesen Anforderungen hat das BFA nicht Genüge getan.

Schlussendlich ist anzumerken, dass er während seines Asylverfahrens immer daran interessiert waren, am Verfahren mitzuwirken. Durch seine Aussagen war er stets bemüht, der Behörde bei deren Entscheidungsfindung - Wahrheitsfindung - zu helfen. Er hat sowohl in freier Erzählung als auch auf Nachfrage detailliert und konkret zu seinen Asylgründen Stellung genommen. In Anbetracht der konkreten Umstände seines Falles hätte die Behörde bei richtiger rechtlicher Beurteilung somit zu dem Ergebnis kommen müssen, dass dem BF internationaler Schutz, jedenfalls aber der Status der subsidiär Schutzberechtigten, gewährt wird."

4. Die Beschwerdevorlage des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl langte am 08.05.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.1. Gemäß § 7 Abs. 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht u.a. über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (Z. 1) sowie über Beschwerden gegen Maßnahmen unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt gemäß dem 1. Hauptstück des 2. Teiles des BFA-VG und gemäß dem 7. und 8. Hauptstück des FPG (Z. 3).

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da weder im BFA-VG noch im AsylG 2005 eine Senatsentscheidung vorgesehen ist, liegt gegenständlich somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg. cit.). Gemäß § 58 Abs. 1 VwGVG trat dieses Bundesgesetz mit 1. Jänner 2014 in Kraft. Gemäß Abs. 2 leg. cit. bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu Spruchpunkt A:

1.2. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß Abs. 2 leg. cit. hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht selbst zu entscheiden, wenn 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen und die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraus. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 2.

Satz VwGVG (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013)

§ 28 VwGVG Anm. 11).

§ 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für

eine kassatorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.

Aus der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu der vergleichbaren Bestimmung des § 66 Abs. 2 AVG ergibt sich, dass nur Mängel der Sachverhaltsfeststellung d.h. im Tatsachenbereich zur Behebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit berechtigen (vgl. VwGH 19.01.2009, 2008/07/0168; VwGH 23.5.1985, 84/08/0085).

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit den Erkenntnissen vom 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315 und Zl. 2000/20/0084, grundsätzliche Ausführungen zur Anwendbarkeit des § 66 Abs. 2 AVG im Asylverfahren im Allgemeinen und durch den Unabhängigen Bundesasylsenat im Besonderen getätigt. Dabei hat er im letztgenannten insbesondere Folgendes ausgeführt:

"Bei der Abwägung der für und gegen eine Entscheidung gemäß § 66 Abs. 2 AVG sprechenden Gesichtspunkte muss nämlich auch berücksichtigt werden, dass das Asylverfahren nicht nur möglichst kurz sein soll. Zur Sicherung seiner Qualität hat der Gesetzgeber einen Instanzenzug vorgesehen, der zur belangten Behörde und somit zu einer gerichtsähnlichen, unparteilichen und unabhängigen Instanz als besonderem Garanten eines fairen Asylverfahrens führt (vgl. bereits das Erkenntnis vom 16. April 2002, Zl. 99/20/0430). Die der belangten Behörde in dieser Funktion schon nach der Verfassung zukommende Rolle einer obersten Berufungsbehörde (Art. 129c Abs. 1 B-VG) wird aber ausgehöhlt und die Einräumung eines Instanzenzuges zur bloßen Formsache degradiert, wenn sich das Asylverfahren einem eininstanzlichen Verfahren vor der Berufungsbehörde nähert, weil es das Bundesasylamt ablehnt, auf das Vorbringen sachgerecht einzugehen und brauchbare Ermittlungsergebnisse in Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen. Diese über die Unvollständigkeit der Einvernahme hinaus gehenden Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens sprechen auch bei Bedachtnahme auf die mögliche Verlängerung des Gesamtverfahrens unter dem Gesichtspunkt, dass eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst bei der ‚obersten Berufungsbehörde' beginnen und zugleich - abgesehen von der im Sachverhalt beschränkten Kontrolle der letztinstanzlichen Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof - bei derselben Behörde enden soll, für die mit der Amtsbeschwerde bekämpfte Entscheidung."

Es besteht kein Grund zur Annahme, dass sich die dargestellte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht auf die neue Rechtslage übertragen ließe. Es liegt weiterhin nicht im Sinne des Gesetzes, wenn das Bundesverwaltungsgericht erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und beurteilt, sodass es seine umfassende Kontrollbefugnis nicht wahrnehmen kann. Eine ernsthafte Prüfung des Antrages soll nicht erst beim Bundesverwaltungsgericht beginnen und zugleich enden.

1.3. Der Verwaltungsgerichtshof hat sich im seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und folgende für die Auslegung des § 28 VwGVG maßgeblichen Gesichtspunkte aufgezeigt:

Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht komme nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 1 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, auch dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt. Der Verfassungsgesetzgeber habe sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I 51, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen ist. Angesichts des in §?28?VwGVG insgesamt verankerten Systems stelle die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis stehe diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlange das im §?28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck finde, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werde. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen würde daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt habe. Gleiches gelte, wenn konkrete Anhaltspunkte für die Annahme bestünden, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).

Der Verwaltungsgerichtshof verlangt in seiner Rechtsprechung eine ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens eines Asylwerbers unter dem Gesichtspunkt der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers und der objektiven Wahrscheinlichkeit seines Vorbringens, wobei letzteres eine Auseinandersetzung mit (aktuellen) Länderberichten verlangt (VwGH 26.11.2003, 2003/20/0389).

Ebenso hat der Verfassungsgerichtshof, in nunmehr ständiger Rechtsprechung, ausgesprochen, dass willkürliches Verhalten einer Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, dann anzunehmen ist, wenn in einem entscheidenden Punkt jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen wird oder ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren gar nicht stattfindet, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteienvorbringens oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (vgl. VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001). Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (vgl. VfSlg. 13.302/1992 mwN, 14.421/1996, 15.743/2000).

2. Der angefochtene Bescheid erweist sich in Bezug auf den ermittelten Sachverhalt aus folgenden Gründen als mangelhaft:

2.1. Die von der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts geforderte ganzheitliche Würdigung bzw. die Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens ist im gegenständlichen Fall unterblieben und ist die belangte Behörde nach dem Dafürhalten des Bundesverwaltungsgerichts ihrer Begründungspflicht nicht ausreichend nachgekommen. Im vorliegenden Fall sind die seitens der Höchstgerichte gestellten Anforderungen an ein rechtsstaatliches Asylverfahren missachtet worden, dies aus folgenden Erwägungen:

Der Beschwerdeführer, seinen Angaben zufolge ein Angehöriger der Volksgruppe der Tschetschenen, brachte als seinen Fluchtgrund im Wesentlichen vor, er sei der Sohn des ehemaligen Vizepräsidenten der tschetschenischen Republik Itchkeria und werde aus diesem Grund in der russischen Föderation verfolgt.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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