TE Bvwg Erkenntnis 2019/5/13 W171 2006578-2

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Veröffentlicht am 13.05.2019
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Entscheidungsdatum

13.05.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch

W171 2006576-2/19E

W171 2006578-2/17E

W171 2150124-1/8E

W171 2208264-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gregor MORAWETZ, MBA als Einzelrichter über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX , 2.) XXXX , geb. XXXX , 3.) mj. XXXX , geb. XXXX , gesetzlich vertreten durch die Mutter XXXX , 4.) XXXX , geb. XXXX , gesetzlich vertreten durch die Mutter XXXX , alle StA Russische Föderation, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , 1.) XXXX , 2.) XXXX , 3.) XXXX , und vom XXXX , 4.) XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20.03.2019, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerden werden gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 55, 57 AsylG 2005 idgF, § 9 BFA-VG idgF und §§ 52, 55 FPG idgF als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1. Der Erstbeschwerdeführer (in der Folge: BF1) und die Zweitbeschwerdeführerin (BF2) sind Staatsangehörige der Russischen Föderation, Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe und verheiratet. Sie stellten am 13.12.2012 infolge irregulärer Einreise die verfahrensgegenständlichen Anträge auf Gewährung internationalen Schutzes und legten jeweils ihren russischen Inlandspass als Nachweis ihrer Identität vor. Am gleichen Tag wurden die BF vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes niederschriftlich erstbefragt. Zum Grund seiner Flucht gab der BF1 an, dass ihn die Polizei nicht in Ruhe lasse. Er sei einige Male zuhause abgeholt und am Abend wieder freigelassen worden. Er sei geschlagen worden. Sein Bruder sei bereits vor einem Monat nach Österreich gekommen, da er von der Polizei gesucht werde. Ihm sei gesagt worden, dass er nicht in Ruhe gelassen werde, bis sein Bruder nach Tschetschenien zurückkehre. Er hätte deshalb auch an Ämtern und Behörden in Tschetschenien Schwierigkeiten erwartet.

Die BF2 gab an, dass ihr Mann die Ausreise beschlossen habe. Er habe irgendwelche Probleme, sie wisse aber keine Details darüber. Einmal habe sie mitbekommen, dass er von der Polizei abgeholt worden sei. Sie sei sofort zu ihren Großeltern gefahren. Ihr Mann habe ihr nicht gesagt, was die Polizei von ihm gewollt habe. Sie selbst sei nicht verfolgt worden.

2. Die BF wurden am 08.01.2014 jeweils im Beisein einer Dolmetscherin für die russische Sprache niederschriftlich vor dem nunmehrigen Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen.

Der BF1 legte im Zuge seiner Einvernahme eine Ladung vom 11.09.2013 für den 16.09.2013 vor.

Die BF2 gab in ihrer Einvernahme an, dass sie kurz nach ihrem 17. Geburtstag geheiratet habe. Die Ehe sei zwei bis drei Monate später registriert worden. Beide hätten bei der Behörde unterschreiben müssen. Ihr Reisepass sei am 10.09.2012 zur Vorbereitung auf die Ausreise ausgestellt worden. Ihr Mann habe selbst keinen Pass. Nach der Hochzeit habe sie immer bei ihrem Mann und seiner Mutter gelebt. In Tschetschenien habe sie eine Fehlgeburt erlitten. Ihr Mann erzähle ihr nichts zu seinen Fluchtgründen. Etwa drei oder vier Monate nach der Hochzeit, im September oder Oktober, sei ihr Mann von zuhause mitgenommen worden. Drei oder vier Männer hätten ihren Mann um neun oder zehn Uhr morgens mitgenommen. Sie selbst sei sofort zu ihren Großeltern gefahren. Nach einer Woche sei sie nach Hause gekommen. Zu der Zeit habe sie eine Fehlgeburt gehabt, daher habe ihr Mann ihr nichts erzählt. Sie wisse nicht, ob er noch einmal mitgenommen worden sei. Nach dem Vorfall habe sie wieder im Haus ihrer Schwiegermutter gelebt. Ihr Mann habe sich manchmal, vielleicht einmal pro Woche, bei seiner Schwester aufgehalten. Sie habe nicht gesehen, dass ihr Mann bei der Festnahme verletzt worden sei.

3. Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl jeweils vom XXXX wurden die Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen und die Anträge gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen. Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG wurden die BF in die Russische Föderation ausgewiesen.

4. Gegen diese Bescheide erhoben die BF fristgerecht Beschwerde.

5. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX , XXXX und XXXX wurden die bekämpften Bescheide behoben und die Angelegenheiten gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zur Erlassung neuer Bescheide an das BFA zurückverwiesen.

Begründend wurde ausgeführt, dass sich im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht herausgestellt habe, dass der BF1 der russischen Sprache nicht ausreichend mächtig sei. Die erstinstanzliche Einvernahme sei daher unter Beiziehung eines Dolmetschers für die tschetschenische Sprache zu wiederholen.

6.. Bei einer Einvernahme vor dem BFA am XXXX gab der BF1 an, dass er mit seinen Brüdern in Kontakt stehe. Drei Brüder würden im Heimatort wohnen. XXXX wohne in Russland. Wo genau wisse er nicht, er sei dauernd woanders. XXXX habe immer Probleme mit den Behörden und dem FSB gehabt. Ein Freund von XXXX sei Widerstandskämpfer gewesen. XXXX sei deshalb immer wieder mitgenommen und geschlagen worden. Der Freund sei schließlich umgebracht und auf einer Müllhalde begraben worden. XXXX habe ihn mit Freunden von dort geborgen und auf einem Friedhof begraben. Sein Bruder sei dann verraten worden und habe sich versteckt. Jemand habe erzählt, dass der BF1 auch dabei gewesen sei, daher habe er Probleme bekommen. Er sei misshandelt worden und habe seither Rückenschmerzen.

Sein Bruder sei geladen worden, er sei an seiner statt hingegangen. Er sei dort bedroht und misshandelt worden. Er sei mehrmals mitgenommen worden. Viele seien misshandelt worden, jeder könne einfach so umgebracht werden.

XXXX habe seinen Freund etwa zwischen Februar und Mai begraben. Er sei dann zwei Mal mitgenommen worden. Beim ersten Mal sei er von zuhause abgeholt und in einem Bus geschlagen worden, dann hätten sie ihn irgendwo hingeworfen und weiter geschlagen. Er könne nicht sagen, wann oder wo dies passiert sei.

Der zweite Vorfall habe sich genauso ereignet. Er sei mitgenommen und in dem Bus geschlagen worden. Er sei gefragt worden, weshalb er den Widerstandskämpfer begraben habe und wer dabei gewesen sei. Jemand müsse behauptet haben, dass er bei dem Begräbnis dabei gewesen sei. Er vermute, dass es daran liege, dass er sehr oft mit XXXX zusammen gewesen sei, auch in der Arbeit.

Auf die Vorladungen angesprochen, die er vorgelegt habe, gab der BF1 an, sich an nichts erinnern zu können. Er wisse auch nicht, ob seine Frau von beiden Vorfällen Kenntnis habe, oder ob diese zuhause gewesen sei.

Er sei statt seines Bruders zur Behörde gegangen, als dieser eine Ladung erhalten habe. Dort sei ihm gedroht worden, dass sie nicht in Ruhe gelassen würden, bis XXXX zurückkehre. Er sei in mehreren Abteilungen in XXXX und XXXX gewesen. Das Gespräch habe ca. eine Stunde gedauert. Er sei auch wegen anderer Probleme zu den Behörden gegangen. Um welche Probleme es sich gehandelt habe, könne er nicht sagen. Es sei dabei auch um Probleme aus seiner Jugendzeit gegangen.

Die BF2 gab in ihrer Einvernahme am selben Tag an, dass sie nach ihrer Hochzeit bis zu ihrer Flucht etwa sechs Monate im Haus ihres Mannes gelebt habe. Ihr Mann sei einmal mitgenommen worden. Sie habe in dem Moment so viel Stress gehabt, dass sie zu ihren Eltern gegangen sei. Aus diesem Grund habe sie auch gesundheitliche Probleme. Sie sei bei ihrer Heirat erst 15 oder 16 Jahre alt gewesen. Nach der Hochzeit habe sie einen Monat bei ihrer Mutter gelebt, deswegen wisse sie nicht, was in dieser Zeit passiert sei. Zu den Problemen ihres Mannes wisse sie nur, dass es mit seinen Bruder XXXX zu tun habe.

7. Mit Bescheiden des BFA vom XXXX wurden die Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.) und gemäß § 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG 2005 erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).

Im Wesentlichen wurde ausgeführt, dass nicht festgestellt werden könne, dass die BF Tschetschenien bzw. die Russische Föderation aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung verlassen hätten. Die Angaben der BF seien widersprüchlich und unplausibel. Das Beweisverfahren habe nicht ergeben, dass die BF bei einer allfälligen Rückführung in seinen Herkunftsstaat einer realen Gefahr einer Verletzung von Art 2, Art 3 oder der Protokollnummer 6 oder Nummer 13 zur Konvention der Europäischen Menschenrechte oder einer sonstigen ernsthaften Bedrohung unterliegen würde.

Zum Privat- und Familienleben wurde festgehalten, dass gegen die gesamte Familie aufenthaltsbeendende Maßnahmen getroffen worden seien. Die Schutzwürdigkeit sei insbesondere durch den kurzen Aufenthalt als gering einzustufen. Sonstige Gründe für die Erlangung eines Aufenthaltstitels habe das Ermittlungsverfahren nicht ergeben.

8. Gegen diesen Bescheid wurde mit Schriftsatz vom 14.09.2016 Beschwerde erhoben.

Begründend wurde ausgeführt, dass den Bescheiden ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren und veraltete Länderfeststellungen zugrunde lägen. Anschließend wurden mehrere Berichte zur Situation in Tschetschenien zitiert. Die Bescheide beruhten weiters auf einer mangelhaften Beweiswürdigung und unrichtigen rechtlichen Beurteilung.

Der Beschwerde lagen Kopien der vom BF bereits vorgelegten Ladungen, eine therapeutische Stellungnahme vom Juni 2016, ein Antrag auf Beschäftigungsbewilligung, mehrere Empfehlungsschreiben und Fotos, eine Unterschriftenliste und der Mutter-Kind-Pass der BF2 bei.

9. Der Drittbeschwerdeführer (BF3) wurde am XXXX im Bundesgebiet geboren. Die BF stellten für ihn als gesetzliche Vertreter am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.

10. Mit Bescheid des BFA vom XXXX wurde der Antrag des BF 3 auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.) und gemäß § 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG 2005 erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).

Begründend wurde auf die Bescheide des BF1 und der BF2 verwiesen.

11. Der Viertbeschwerdeführer (BF4) wurde am XXXX Bundesgebiet geboren. Die BF stellten für ihn als gesetzliche Vertreter am 09.04.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz.

12. Mit Bescheid des BFA vom XXXX wurde der Antrag des BF 4 auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.) und gemäß § 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG 2005 erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).

Begründend wurde auf die Bescheide des BF1 und der BF2 verwiesen.

13. Am 19.03.2019 wurden folgende Unterlagen übermittelt:

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Bestätigung über eine Schwangerschaft der BF2, Geburtstermin 26.10.2019

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Bestätigung über Physiotherapie des BF1 vom Juli 2015 bis Februar 2017

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Schreiben der Gemeinde

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Bestätigung über gemeinnützige Beschäftigung des BF1 von April bis November 2018

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Bestätigung über gemeinnützige Beschäftigung des BF1 von August 2016 bis Oktober 2017

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Bestätigung über freiwillige Mitarbeit des BF1 vom November 2016 bis Mai 2018

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Deutschkursbestätigung BF1 Jänner/Februar 2017

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diverse Empfehlungsschreiben

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Unterschriftenliste

14. In einer vor dem Bundesverwaltungsgericht am 20.03.2019 durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung wurde Beweis aufgenommen durch Einvernahme der BF, Einsichtnahme in den Verwaltungsakt und durch Einsicht in den Akt des Bundesverwaltungsgerichts.

Der BF1 gab an, er habe in Österreich die Deutschprüfung A2 abgelegt. Er arbeite mehrmals pro Woche in der XXXX gärtnerei bzw. für die Gemeinde und erhalte etwa 390,- EUR im Monat. Er sei mit seinen Arbeitskollegen befreundet. Er habe einen Cousin in Wien und einen in XXXX . Weiters lebe seine Schwester mit ihrem Mann hier.

In Tschetschenien lebten noch drei Brüder, eine Schwester und eine Tante. Sein Bruder XXXX lebe irgendwo in der Russischen Föderation. Seine Brüder seien berufstätig. Er spreche mit ihnen nicht über etwaige Probleme. Er habe Angst um seine Geschwister, er vermute, dass alles überwacht und kontrolliert werde.

Er sei gesund, habe aber mit dem Rücken Probleme. Eine Physiotherapie sei bereits abgeschlossen. Er fühle sich psychisch besser, habe aber immer noch Ängste und Schlafstörungen. Er verfüge über eine Berufsausbildung als Buchhalter.

Sein Bruder XXXX sei bereits in Österreich gewesen, als er angekommen sei. Er habe ihm mitgeteilt, dass seine Ehefrau von den Behörden abgeholt worden sei, daraufhin sei er nach Tschetschenien zurückgekehrt. Weder er selbst noch einer seiner Brüder seinen jemals Widerstandkämpfer gewesen. Er sei im Jahr 2012 einmal von einem Auto abgeholt und ganz schrecklich misshandelt worden. Insgesamt sei er zwei Mal mitgenommen und einmal aufgrund einer Ladung für seinen Bruder zur Behörde gegangen. Er wisse nicht, ob er zuerst abgeholt worden oder zuerst die Ladung gekommen sei. Er sei aufgrund der Ladung zur Behörde nach XXXX gefahren. Man habe ihm dort gesagt, dass XXXX jedenfalls gefunden werde und dass sie beide keine Ruhe haben würden, bis er wieder zurückgekehrt sei. Er sei bei der Behörde nicht misshandelt, lediglich unsanft angefasst worden. Als er zum ersten Mal mitgenommen worden sei, sei er vermutlich nach XXXX zur Abteilung Nr. 9 gebracht worden. Dort seien einige Männer uniformiert und auch in Zivil gewesen.

Auf Vorhalt der Angaben vom 14.06.2016, wonach er beim Transport in einem Bus geschlagen worden sei, gab er an, dass er heute den ersten Fall geschildert habe. Er könne sich nicht genau erinnern. Er wisse nur noch, dass er sicher beide Male geschlagen worden sei.

Auf die Frage, weshalb seine drei Brüder nicht dem Vorwurf ausgesetzt seien, bei dem Begräbnis teilgenommen zu haben, gab er an, dass sein Bruder und er immer viel zusammen gewesen seien. Sie seien einander näher gewesen als die anderen Brüder. Sein Name sei gezielt von jemandem genannt worden.

Ein Freund bei der Miliz habe ihm gesagt, dass er untertauchen solle. Er habe sich daher bei seiner Schwester versteckt. Bei seiner Schwester sei er nicht gesucht worden. Wie lange er bei seiner Schwester gewesen sei, könne er nicht sagen.

Die BF2 gab in der Verhandlung an, nach dem A2-Kurs keinen weiteren Deutschkurs besucht zu haben. Sie habe in Österreich einen Cousin ihrer Mutter, zu dem sie selten Kontakt habe. Sie habe einige Bekannte in Österreich und habe in ihrer Flüchtlingspension freiwillig mitgeholfen.

In Tschetschenien lebten noch ihr Großvater, drei Tanten, zwei Onkel, eine Schwester und mehrere Cousins. Ihre Mutter und zwei Halbbrüder lebten in XXXX in der Russischen Föderation.

Sie habe keine Berufsausbildung und habe in Tschetschenien nicht gearbeitet. Ihr älterer Sohn habe Probleme mit dem Gehör, ansonsten aber keine Beschwerden. Ihr jüngerer Sohn sei gesund.

Ihr Mann habe ihr nichts über die Gründe für die Ausreise erzählt, nur, dass er große Probleme habe. Sie sei einmal dabei gewesen, als ihr Mann abgeholt worden sei. Sie sei damals umgefallen und habe geblutet. Sie habe daraufhin eine Fehlgeburt erlitten. Sie sei gleich nach diesem Vorfall in ihr Elternhaus zurückgekehrt und habe dann nicht mehr mit ihrem Mann im gleichen Haushalt gelebt.

Auf Vorhalt einer früheren Aussage, wonach sie nach der Hochzeit immer bei ihrem Mann gelebt habe, gab sie an, dass sie aufgrund der Fehlgeburt für etwa eine Woche in ihr Elternhaus zurückgekehrt sei. Im Elternhaus ihres Mannes hätte sie arbeiten müssen, bei ihren Verwandten sie mehr Rücksicht auf ihre Fehlgeburt genommen worden.

15. In einem Schreiben vom XXXX wurde vorgebracht, dass der BF3 an einer Beeinträchtigung des Hörvermögens und einer verzögerten Sprachentwicklung leide. Er befinde sich in fachärztlicher Behandlung. Eine Diagnose habe bisher nicht gestellt werden können. Die Notwendigkeit einer Operation könne nicht ausgeschlossen werden.

Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung würden vorliegen. Die BF würden in Österreich über ein ausgeprägtes Privatleben verfügen, eine Abschiebung würde einen unverhältnismäßigen Eingriff in Art. 8 EMRK bedeuten.

Dem Schreiben lag ein Befund vom XXXX betreffend den BF3 bei. Die Diagnose lautet klin. Seromucotymp. bds (Sekretansammlung in der Paukenhöhle, Anm.), hypertr. Adenoide (Wucherung der Rachenmandeln, Anm.), Sprachentwicklungsverzögerung. Als Therapie wurde eine Vorstellung zur Logopädie und eine stationäre Aufnahme am XXXX in der HNO-Ambulanz vermerkt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen

1. Feststellungen

Die BF sind Staatsangehörige der Russischen Föderation. Ihre Identität steht fest. Der BF1 und die BF2 sind verheiratet, der BF3 und BF4 sind ihre minderjährigen Kinder.

Am 13.12.2012 stellten der BF1 und die BF2 die dem gegenständlichen Beschwerdeverfahren zugrundeliegenden Anträge auf internationalen Schutz.

Der BF3 wurde am XXXX im Bundesgebiet geboren. Die BF stellten für ihn als gesetzliche Vertreter am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.

Der BF4 wurde am XXXX im Bundesgebiet geboren. Die BF stellten für ihn als gesetzliche Vertreter am 09.04.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Die BF haben eine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention nicht glaubhaft gemacht.

Nicht festgestellt werden konnte, dass eine Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung der BF in die Russische Föderation eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder 13 zur Konvention bedeuten würde oder für die Beschwerdeführer als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich bringen würde.

Der BF1 hat in Tschetschenien drei Brüder und eine Tante. Ein weiterer Bruder lebt in der Russischen Föderation. Der BF1 war vor seiner Ausreise als Bauarbeiter tätig und verfügt über eine Ausbildung zum Buchhalter. Die BF2 hat einen Großvater, eine Schwester, Onkel und Tanten in Tschetschenien. Ihre Mutter lebt im Westen der Russischen Föderation. Die BF2 hat eine zehnjährige Schulbildung absolviert und war im Herkunftsland noch nicht berufstätig.

Die BF leiden an keinen lebensbedrohlichen Erkrankungen (im Endstadium), bezüglich derer es keine Behandlungsmöglichkeiten in der Russischen Föderation gibt. Der BF1 leidet an Rückenschmerzen, eine Physiotherapie wurde abgeschlossen. Der BF1 und die BF2 befinden sich derzeit nicht in ärztlicher Behandlung. Beide sind arbeitsfähig. Die BF2 ist schwanger, der errechnete Geburtstermin ist der 26.10.2019. Der BF3 leidet an klin. Seromucotymp. bds (Sekretansammlung in der Paukenhöhle, Anm.), hypertr. Adenoide (Wucherung der Rachenmandeln, Anm.) und einer Sprachentwicklungsverzögerung. Aufgrund dessen ist sein Hörvermögen beeinträchtigt.

Der BF1 und die BF2 verfügen über Deutschkenntnisse auf dem Niveau A2. Sie gingen in der Vergangenheit diversen gemeinnützigen Tätigkeiten nach. Der BF1 ist in seiner Gemeinde geringfügig beschäftigt und verfügt über diverse unverbindliche Einstellungszusagen.

Der BF1 und die BF2 sind unbescholten.

Der BF1 hat zwei Cousins im Bundesgebiet, zu diesen besteht gelegentlicher Kontakt. Zu einem Großcousin der BF2 besteht nur selten Kontakt. Die Schwester des BF1, XXXX stellte gemeinsam mit ihrem Ehemann am 23.06.2013 Anträge auf internationalen Schutz. Zu Schwester und Schwager des BF1 ergeht hg. ein gleichlautendes Erkenntnis. Die BF haben keine weiteren familiären Anknüpfungspunkte an Österreich.

Hinweise auf das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen für einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen kamen nicht hervor.

Zur Situation in der Russischen Föderation wird festgestellt:

Der Inhalt dieser Kurzinformation wird mit heutigem Datum in das LIB Russische Föderation übernommen (Abschnitt 1/Relevant für Abschnitt 19. Bewegungsfreiheit bzw. 19.2. Tschetschenen in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens).

Bekanntlich werden innerstaatliche Fluchtmöglichkeiten innerhalb Russlands seitens renommierter Menschenrechtseinrichtungen meist unter Verweis auf die Umtriebe der Schergen des tschetschenischen Machthabers Kadyrow im ganzen Land in Abrede gestellt. Der medialen Berichterstattung zufolge scheint das Netzwerk von Kadyrow auch in der tschetschenischen Diaspora im Ausland tätig zu sein. Dem ist entgegenzuhalten, dass renommierte Denkfabriken auf die hauptsächlich ökonomischen Gründe für die Migration aus dem Nordkaukasus und die Grenzen der Macht von Kadyrow außerhalb Tschetscheniens hinweisen. So sollen laut einer Analyse des Moskauer Carnegie-Zentrums die meisten Tschetschenen derzeit aus rein ökonomischen Gründen emigrieren: Tschetschenien bleibe zwar unter der Kontrolle von Kadyrow, seine Macht reiche allerdings nicht über die Grenzen der Teilrepublik hinaus. Zur Förderung der sozio-ökonomischen Entwicklung des Nordkaukasus dient ein eigenständiges Ministerium, das sich dabei gezielt um die Zusammenarbeit mit dem Ausland bemüht (ÖB Moskau 10.10.2018).

Quellen:

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ÖB Moskau (10.10.2018): Information per Email

Der Inhalt dieser Kurzinformation wird mit heutigem Datum in das LIB Russische Föderation übernommen (Abschnitt 1/Relevant für Abschnitt 4. Rechtsschutz / Justizwesen).

Die russischen Behörden zeigen sich durchaus bemüht, den Vorwürfen der Verfolgung von bestimmten Personengruppen in Tschetschenien nachzugehen. Bei einem Treffen mit Präsident Putin Anfang Mai 2017 betonte die russische Ombudsfrau für Menschenrechte allerdings, dass zur Inanspruchnahme von staatlichem Schutz eine gewisse Kooperationsbereitschaft der mutmaßlichen Opfer erforderlich sei. Das von der Ombudsfrau Moskalkova gegenüber Präsident Putin genannte Gesetz sieht staatlichen Schutz von Opfern, Zeugen, Experten und anderen

Teilnehmern von Strafverfahren sowie deren Angehörigen vor. Unter den Schutzmaßnahmen sind im Gesetz Bewachung der betroffenen Personen und deren Wohnungen, strengere Schutzmaßnahmen in Bezug auf die personenbezogenen Daten der Betroffenen sowie vorläufige Unterbringung an einem sicheren Ort vorgesehen. Wenn es sich um schwere oder besonders schwere Verbrechen handelt, sind auch Schutzmaßnahmen wie Umsiedlung in andere Regionen, Ausstellung neuer Dokumente, Veränderung des Aussehens etc. möglich. Die Möglichkeiten des russischen Staates zum Schutz von Teilnehmern von Strafverfahren beschränken sich allerdings nicht nur auf den innerstaatlichen Bereich. So wurde im Rahmen der GUS ein internationales Abkommen über den Schutz von Teilnehmern im Strafverfahren erarbeitet, das im Jahr 2006 in Minsk unterzeichnet, im Jahr 2008 von Russland ratifiziert und im Jahr 2009 in Kraft getreten ist. Das Dokument sieht vor, dass die Teilnehmerstaaten einander um Hilfe beim Schutz von Opfern, Zeugen und anderen Teilnehmern von Strafverfahren ersuchen können. Unter den Schutzmaßnahmen sind vorläufige Unterbringungen an einem sicheren Ort in einem der Teilnehmerstaaten, die Umsiedlung der betroffenen Personen in einen der Teilnehmerstaaten, etc. vorgesehen (ÖB Moskau 10.10.2018).

Quellen:

-

ÖB Moskau (10.10.2018): Information per Email

2. Politische Lage

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (CIA 12.7.2018, vgl. GIZ 7.2018c). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weit reichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 7.2018a, vgl. EASO 3.2017). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister und entlässt sie (GIZ 7.2018a). Wladimir Putin ist im März 2018, bei der Präsidentschaftswahl im Amt mit 76,7% bestätigt worden. Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl ärgster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motivierten Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, um an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018, FH 1.2018). Putin kann dem Ergebnis zufolge nach 18 Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen. Gemäß der Verfassung darf er nach dem Ende seiner sechsjährigen Amtszeit nicht erneut antreten, da es eine Beschränkung auf zwei aufeinander folgende Amtszeiten gibt (Tagesschau.de 19.3.2018, vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58,4% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Parlament - Staatsduma und Föderationsrat - ist in seinem Einfluss stark beschränkt. Der Föderationsrat ist als "obere Parlamentskammer" das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten: Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus der Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für vier Jahre nach dem Verhältniswahlrecht auf der Basis von Parteilisten gewählt. Es gibt eine Siebenprozentklausel. Wichtige Parteien sind die regierungsnahen Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern und

Gerechtes Russland (Spravedlivaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern. Die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, die die Nachfolgepartei der früheren KP ist. Die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist, die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern, die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), linkszentristisch, mit 85.000 Mitgliedern, die Partei der Volksfreiheit (PARNAS) und die demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 7.2018a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (339 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (40 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (AA 5.2018b).

Russland ist eine Föderation, die aus 85 Föderationssubjekten (einschließlich der international umstrittenen Einordnung der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges, Sewastopol) mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 7.2018a, vgl. AA 5.2018b). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 7.2018a).

Es wurden acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten) geschaffen, denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum ("exekutive Machtvertikale") deutlich (GIZ 7.2018a).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (5.2018b): Russische Föderation - Außen- und Europapolitik,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/russischefoederation/201534, Zugriff 1.8.2018

-

CIA - Central Intelligence Agency (12.7.2018): The World Factbook, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 1.8.2018

-

EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-stateactors-of-protection.pdf, Zugriff 1.8.2018

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FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1428824.html, Zugriff 1.8.2018

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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836, Zugriff 1.8.2018

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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 1.8.2018

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OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (18.3.2018): Russian Federation Presidential Election Observation Mission Final Report,

https://www.osce.org/odihr/elections/383577?download=true, Zugriff 29.8.2018

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Presse.at (19.3.2018): Putin: "Das russische Volk schließt sich um Machtzentrum zusammen",

https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5391213/Putin_Das-russische-Volkschliesst-sich-um-Machtzentrum-zusammen, Zugriff 1.8.2018

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Standard.at (19.3.2018): Putin sichert sich vierte Amtszeit als Russlands Präsident,

https://derstandard.at/2000076383332/Putin-sichert-sich-vierte-Amtszeit-als-Praesident, Zugriff 1.8.2018

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Tagesschau.de (19.3.2018): Klarer Sieg für Putin, https://www.tagesschau.de/ausland/russland-wahl-putin-101.html, Zugriff 1.8.2018

2.1. Tschetschenien

Die Tschetschenische Republik ist eine der 22 Republiken der Russischen Föderation. Die Fläche beträgt 15.647 km2 (Rüdisser 11.2012) und laut offizieller Bevölkerungsstatistik der Russischen Föderation zum 1.1.2018 beläuft sich die Einwohnerzahl Tschetscheniens auf 1,4 Millionen (GKS 25.1.2018), wobei die offiziellen Angaben von unabhängigen Medien infrage gestellt werden. Laut Aussagen des Republiksoberhauptes Ramzan Kadyrow sollen rund 600.000 TschetschenInnen außerhalb der Region leben, die eine Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handle es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens, die bereits vor über einem Jahrhundert entstanden seien, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum (ÖB Moskau 12.2017). In Bezug auf Fläche und Einwohnerzahl ist Tschetschenien somit mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik.

Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der Bewohner/innen Tschetscheniens gaben [bei der letzten Volkszählung] 2010 an, ethnische Tschetschenen/innen zu sein. Der Anteil ethnischer Russen/innen an der Gesamtbevölkerung liegt bei 1,9%. Rund 1% sind ethnische Kumyk/innen, des Weiteren leben einige Awar/innen, Nogaier/innen, Tabasar/innen, Türk/innen, Inguschet/innen und Tatar/innen in der Republik (Rüdisser 11.2012).

In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das

vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018). So musste im Mai 2016 der Vorsitzende des Obersten Gerichts Tschetscheniens nach Kritik von Kadyrow zurücktreten, obwohl die Ernennung/Entlassung der Richter grundsätzlich in föderale Kompetenz fällt. Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen parallel zu den Wahlen zum Oberhaupt der Republik durchzuführen. Bei den Wahlen vom 18.9.2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Kadyrow wurde laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen, in deren Vorfeld Human Rights Watch über massive Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet hatte. Das tschetschenische Oberhaupt bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml (ÖB Moskau 12.2017). Vertreter russischer und internationaler NGOs berichten immer wieder von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen, einem Klima der Angst und Einschüchterung (AA 21.5.2018). Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen. Anfang 2016 sorgte Kadyrow landesweit für Aufregung, als er die liberale Opposition in Moskau als Staatsfeinde bezeichnete, die danach trachteten, Russland zu zerstören. Nachdem er dafür von Menschenrechtsaktivisten sowie von Vertretern des präsidentiellen Menschenrechtsrats scharf kritisiert worden war, wurde in Grozny eine Massendemonstration zur Unterstützung Kadyrows organisiert (ÖB Moskau 12.2017).

Während der mittlerweile über zehn Jahre dauernden Herrschaft des amtierenden Republikführers Ramzan Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Verhältnis zur Russischen Föderation ambivalent. Einerseits ist Kadyrow bemüht, die Zugehörigkeit der Republik zu Russland mit Nachdruck zu bekunden, tschetschenischen Nationalismus mit russischem Patriotismus zu verbinden, Russlands Präsidenten in der tschetschenischen Hauptstadt Grozny als Staatsikone auszustellen und sich als "Fußsoldat Putins" zu präsentieren. Andererseits hat er das Föderationssubjekt Tschetschenien so weit in einen Privatstaat verwandelt, dass in der Umgebung des russischen Präsidenten die Frage gestellt wird, inwieweit sich die von Wladimir Putin ausgebaute föderale Machtvertikale dorthin erstreckt. Zu Kadyrows Eigenmächtigkeit gehört auch eine Außenpolitik, die sich vor allem an den Mittleren Osten und die gesamte islamische Welt richtet. Kein anderer regionaler Führer beansprucht eine vergleichbare, über sein eigenes Verwaltungsgebiet und die Grenzen Russlands hinausreichende Rolle. Kadyrow inszeniert Tschetschenien als Anwalt eines russländischen Vielvölker-Zusammenhalts, ist aber längst zum "inneren Ausland" Russlands geworden. Deutlichster Ausdruck dieser Entwicklung ist ein eigener Rechtszustand, in dem islamische und gewohnheitsrechtliche Regelungssysteme sowie die Willkür des Republikführers in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands geraten (SWP 3.2018).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

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GKS - Staatliches Statistikamt (25.1.2018): Bevölkerungsverteilung zum 1.1.2018,

http://www.gks.ru/free_doc/new_site/population/demo/PrPopul2018.xlsx, Zugriff 1.8.2018

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ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

-

Rüdisser, V. (11.2012): Russische Föderation/Tschetschenische Republik. In: Länderinformation n°15, Österreichischer Integrationsfonds,

http://www.integrationsfonds.at/themen/publikationen/oeif-laenderinformation/, Zugriff 1.8.2018

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SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (3.2018): Tschetscheniens Stellung in der Russischen Föderation. Ramsan Kadyrows Privatstaat und Wladimir Putins föderale Machtvertikale, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2018S01_hlb.pdf, Zugriff 1.8.2018

3. Sicherheitslage

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen. Todesopfer forderte zuletzt ein Terroranschlag in der Metro von St. Petersburg im April 2017. Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 28.8.2018a, vgl. BMeiA 28.8.2018, GIZ 6.2018d). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 28.8.2018).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderten Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien

hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Gewaltzwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36). Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an die internationale Kooperation (SWP 4.2017).

Eine weitere Tätergruppe rückt in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sogenannten IS kämpfen, wird auf einige tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (28.8.2018a): Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/russischefoederationsicherheit/201536#content_0, Zugriff 28.8.2018

-

BmeiA (28.8.2018): Reiseinformation Russische Föderation, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/russische-foederation/, Zugriff 28.8.2018

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Deutschlandfunk (28.6.2017): Anti-Terrorkampf in Dagestan. Russische Methoden,

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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