TE Bvwg Erkenntnis 2019/5/15 W124 2143032-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.05.2019
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Entscheidungsdatum

15.05.2019

Norm

AsylG 2005 §3
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W124 2143032-1/20E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Felseisen als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 3 AsylG 2005 als unbegründet

abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in der Folge: BF) reiste unrechtmäßig in das Bundesgebiet ein und stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen seiner niederschriftlichen Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am XXXX gab er zu seiner Person an, er sei afghanischer Staatsangehöriger, gehöre der Volksgruppe der Hazara sowie der schiitischen Glaubensrichtung des Islam an. Im Herkunftsstaat habe er bis zum Jahr XXXX in der afghanischen Provinz Baghlan gelebt, woraufhin er in den Iran verzogen sei. Sein Vater sei vor fünf Jahren gestorben, seine Mutter lebe nach wie vor in Afghanistan und seine Schwester wohne seit fünf Jahren bei einer Tante im Iran. Zu seinen Fluchtgründen führte er aus, sein Onkel mütterlicherseits habe vor fünf Jahren mit seinem Vater einen Streit gehabt. Sein Vater sei nach vier bis fünf Tagen verstorben, woraufhin er mit seiner Mutter und seiner Schwester bei seinem Onkel mütterlicherseits geblieben sei. Dieser habe ihn und seine Schwester oft geschlagen. Daher habe ihre Mutter den BF und seine Schwester mit einer Tante mütterlicherseits in den Iran geschickt, wo er bis vor ca. einem Monat gelebt habe. Den Iran habe er verlassen, da er keine legale Arbeit finden oder zur Schule gehen habe können.

2. Am XXXX erfolgte die niederschriftliche Einvernahme des BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: Bundesamt). Zu seiner Person gab er an, er spreche Dari und Farsi, habe keine Schulausbildung, sei Analphabet und habe im Iran als Hilfsarbeiter gearbeitet. Zehn Jahre lang habe er in der Provinz Baghlan gelebt, woraufhin seine Mutter zu seinem Onkel gegangen sei und er gemeinsam mit seiner Schwester und seiner Tante in den Iran gereist sei. Sie sei keine echte Tante gewesen, sondern eine gute Freundin seiner Mutter. Auf Vorhalt seiner Angaben, wonach er bei seinem Onkel gewohnt habe, erklärte er, er habe für einen Monat mit seiner Schwester bei seinem Onkel gewohnt. Auf weiteren Vorhalt, dass er demnach wissen müsse, wo der Onkel wohne, gab der BF zu Protokoll, nach dem Tod seines Vaters sei der Onkel zu ihnen nach Baghlan gekommen und er habe bei ihnen gewohnt. Sie seien nicht bei ihm eingezogen.

Zu seinen Angehörigen im Herkunftsstaat brachte er vor, er habe einen Onkel mütterlicherseits und glaube, seine Mutter sei vielleicht bei ihm. Konkrete Hinweise, wo er wohne, habe er nicht. Sein Onkel sei nicht von Baghlan; er kenne dessen Herkunftsprovinz nicht. Der BF habe Tanten und Onkel väterlicherseits und mütterlicherseits, aber er kenne sie nicht, weil er sie nie gesehen habe. Er wisse nicht, wo sie leben würden.

Zur Situation im Herkunftsstaat führte er an, er sei zuletzt im Jahr 2010 zuhause gewesen. Nach dem Tod seines Vaters sei sein Onkel zu ihnen gekommen und hätte gemeinsam mit ihnen zuhause in Baghlan gelebt. Nach ihrer Ausreise hätten auch der Onkel und seine Mutter das Haus verlassen. Das wisse er, weil sein Onkel von Anfang an gewollt habe, dass der BF, seine Schwester sowie seine Mutter zu ihm ziehen. Seine Mutter habe das nicht gewollt, da sie Angst gehabt habe, dass er ihnen etwas antue. Zuerst habe sein Onkel mit seinem Vater gestritten und dann habe sein Onkel den Vater umgebracht. Den BF und seine Schwester habe er immer geschlagen und beleidigt. Er sei ein gewalttätiger Mann gewesen. Seine Mutter habe heimlich alles organisiert und die beiden weggeschickt.

Vorbestraft sei er im Herkunftsstaat nicht. Mit der Polizei, einem Gericht oder anderen Behörden habe er nicht zu tun gehabt und er sei weder angehalten, noch festgenommen oder verhaftet worden. Sonstige Probleme mit Behörden habe er ebenso wenig gehabt.

Zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates führte der BF an, sein Vater und sein Onkel hätten ein uraltes Problem gehabt. Als der Onkel den Vater das erste Mal gesehen habe, seien sie wieder miteinander in Konflikt geraten und hätten gestritten. Der Onkel habe seine Mutter, seine Schwester sowie den BF mitnehmen wollen und habe den Vater bedroht. Dieser habe ihm entgegnet, er müsse ihn zuerst umbringen, um an seine Familie zu gelangen. Dies habe der BF selbst gehört. Daraufhin sei der BF vier bis fünf Tage nicht zuhause gewesen, sondern sei bei einem Freund untergekommen. Sein Freund habe ihm dann gesagt, der BF solle zurückkehren, da er Schreie gehört habe. Als er daraufhin nachhause gegangen, sei sein Vater tot am Boden gelegen. Seine Schwester und seine Mutter hätten geweint. Niemand habe etwas gesagt. Der BF habe gewusst, dass der Onkel den Vater getötet habe, weil er ihn ein paar Tage zuvor bedroht habe. Danach seien auch die Nachbarn gekommen, welche die Schreie gehört hätten. Der Onkel habe gesagt, er wolle nicht, dass Leute ins Haus kommen. Er habe die Leiche mitgenommen und in den Stall gebracht. Den Nachbarn habe er gesagt, dass der Vater des BF von einer Kuh getötet worden sei. Seine Mutter, seine Schwester und ihn habe er bedroht. Er habe ihnen gesagt, sie dürften niemanden etwas erzählen. Den Nachbarn habe er erklärt, dass sie jetzt gehen müssten und er sie verständigen werde, sobald die Leiche beerdigt werden würde. Der Onkel habe die Leiche mit den Nachbarn gemeinsam mitgenommen. In weiterer Folge sei der Vater im Dorf beerdigt worden. Seine Schwester und er hätten an der Beerdigung nicht teilnehmen dürfen, aber seine Mutter sei dort gewesen. Sie habe nichts reden dürfen und sei traurig und verletzt gewesen. Am nächsten Tag habe der Onkel den BF und seine Schwester mitnehmen wollen. Da die Mutter dagegen gewesen sei, habe sie mit ihrer Freundin gesprochen und alles vorbereitet. Der Onkel habe zu ihr gesagt, sie solle alles einpacken. Die Mutter habe dem BF erklärt, sie wolle nicht, dass er auch ihnen beiden etwas antue. Die Freundin seiner Mutter habe schon lange geplant gehabt, in den Iran zu fliehen und habe sich bereit erklärt, seine Schwester und ihn mitzunehmen. Ihrer Mutter hätten sie gesagt, dass sie sie nicht alleine lassen wollten, aber sie wollten auch nicht mit einem Mörder in ein Haus ziehen.

Auf Nachfrage gab er an, sein Vater sei am Friedhof in seinem Heimatdorf begraben worden. Wer bei der Beerdigung anwesend gewesen sei, wisse er nicht, da sie eingesperrt worden seien. Die Mutter habe ihnen nichts erzählt. Einen Tag, nachdem der Vater gestorben sei, sei er begraben worden.

Näher befragt, wie der Vater ausgesehen habe, als er tot am Boden gelegen sei, führte der BF aus, der Kopf sei geschwollen gewesen. Der BF habe auch eine Wunde an der Stirn sowie Blutspuren an der Wand gesehen und habe das Gefühl gehabt, dass der Onkel den Vater mit einem Stein erschlagen habe. Es sei im Wohnzimmer gewesen. Die Wunde habe er nicht angesehen, es sei aber sehr viel Blut geflossen und die Blutspuren seien an der Wand, am Boden und an den Kleidern des Vaters gewesen. Nur der Onkel, seine Mutter, seine Schwester und er hätten vom Tod gewusst. Die Nachbarn hätten nur an die Tür geklopft. Sie hätten erst in das Haus eintreten dürfen, als die Leiche im Stall gewesen sei. Die Leiche sei den ganzen Tag im Stall gewesen. Als sein Onkel die Tür aufgemacht habe, sei er sehr aggressiv gewesen und habe gesagt, es sei etwas Schlimmes passiert. Die Nachbarn dürften nicht hinein kommen. Er würde sie später kontaktieren, wenn sie die Leiche sehen dürften. Dann seien die Nachbarn in den Stall gegangen und hätten die Leiche gesehen. Es seien circa zwei Stunden vergangen. Der BF könne es nicht genau sagen, da es schon lange her sei. Die Polizei hätten sie nicht verständigt, da sie der Onkel mit dem Tod bedroht habe.

Zum Streit zwischen dem Onkel und dem Vater gab der BF zu Protokoll, seine Mutter sei sunnitische Tadschikin, während sein Vater schiitischer Hazara gewesen sei. Sie hätten entgegen des Willens seiner Großeltern mütterlicherseits geheiratet. Nach der Hochzeit seien die Eltern geflüchtet und nach Baghlan gezogen. Von dem Streit habe der BF von seiner Mutter erfahren, als er seinen Onkel das erste Mal getroffen habe. Da sein Vater die Mutter ohne Einverständnis der Großeltern nach Baghlan gebracht habe, habe sein Onkel seinen Vater töten wollen. Der BF sei damals zehn Jahre alt gewesen, als er ihn das erste Mal gesehen habe. Beim ersten Treffen hätten der Vater und der Onkel gestritten. Der Onkel sei jeden Tag gekommen und habe den Vater angegriffen sowie geschlagen. Er sei in Baghlan geblieben. Zwei Wochen vor ihrer Ausreise sei der Onkel mütterlicherseits nach Baghlan gekommen. Er habe seine Eltern 10 Jahre gesucht, bis er den Vater schließlich gesehen habe. Der BF korrigierte diese Angaben dahingehend, dass der Onkel zwölf Jahre gesucht habe. Der Streit habe nach dem ersten Treffen zehn Tage gedauert. Vierzehn Tage später sei sein Vater getötet worden. Die Geschwister seines Vaters hätten davon nicht erfahren, solange der BF noch dort gewesen sei. Der BF wisse nicht, wie viele Tanten und Onkel väterlicherseits er habe bzw. ob sein Vater zu ihnen Kontakt gehabt habe. Gemeinsam mit seiner Schwester habe er oft nach den Geschwistern der Eltern gefragt, diese hätten jedoch nie etwas gesagt, weil sie nach der Flucht keinen Kontakt mehr gewünscht hätten.

Seine Mutter habe nicht mit ihnen gemeinsam fliehen können, da der Onkel vielleicht geplant habe, dass sie einen anderen Mann heiraten müsse, jemanden mit sunnitischen Glaubensbekenntnis. Die Reise habe der Mann seiner Wahltante organisiert. Am vereinbarten Datum habe seine Mutter die beiden Kinder zur Tante gebracht und sie seien mit dem PKW losgefahren. Auf die Frage, warum die Mutter nicht mitgekommen sei, antwortete er: "Sie konnte nicht mitfliehen, weil sonst wäre ihr Leben auch in Gefahr und mein Onkel wollte nicht, dass wir drei in Baghlan bleiben." Auf Vorhalt der Widersprüchlichkeit dieser Angaben erklärte der BF, seine Mutter habe zu seiner Schwester gesagt, sie müssten zuerst in einem sicheren Land ankommen, die Mutter selbst werde später fliehen. Den Kontakt zur Mutter hätten sie nicht fortsetzen können, da sie sonst der Onkel gefunden hätte. Vor der Flucht habe seine Mutter ein fixes Datum mit dem Mann der Tante vereinbart. Da sie bis zu diesem Datum nicht nachgekommen sei, hätten sie angenommen, dass sie nicht fliehen habe können. Auf Vorhalt, dass es dem BF und seiner Schwester problemlos möglich gewesen sei zu fliehen, während seiner Mutter dies innerhalb von fünf Jahren nicht gelungen sei, gab der BF an, seine Mutter habe niemanden gehabt, der die Reise organisiere.

Den Iran habe der BF verlassen, da er keine Zukunft gehabt habe und weder offiziell arbeiten, noch studieren habe dürfen. Die Iraner würden die Afghanen schlecht behandeln und sie beleidigen. Abgesehen von den Angriffen durch seinen Onkel habe es keine Übergriffe auf den BF gegeben. Einmal habe der Onkel seine Schwester geschlagen. Als der BF sie verteidigen habe wollen, sei auch er vom Onkel mit Händen und Fäusten geschlagen worden. Insgesamt habe sie der Onkel zwei- bis dreimal geschlagen. Er sei sehr stark gewesen.

Aufgrund seiner politischen Gesinnung, seiner Religions- oder seiner Volksgruppenzugehörigkeit sei der BF im Herkunftsstaat nicht verfolgt worden. Abgesehen von seinem Fluchtgrund habe er keine Probleme gehabt.

Zu seinen Rückkehrbefürchtungen führte der BF aus, er könne sich nicht vorstellen, weiter in Afghanistan zu leben, weil er kein religiöser Mensch sei und wegen dieser Religion seinen Vater verloren habe. Es gebe immer wieder Streit zwischen Sunniten und Schiiten. Fanatiker seien die Ursache von Selbstmordanschlägen in seinem Herkunftsstaat. Selbst wenn er seine Religion verstecke, habe er trotzdem Angst, dass ihn sein Onkel finde und töte.

Mit Stellungnahme vom XXXX brachte der BF im Wege seines Vertreters im Wesentlichen vor, die vom Bundesamt herangezogenen Länderberichte seien allgemein gehalten, veraltetet und unvollständig. Konkret würden Berichte zur Situation von Waisenkindern, von Kindern aus Mischehen, von Rückkehrern aus westlichen Ländern, zur Situation der Hazara sowie zur Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit der afghanischen Sicherheitsbehörden fehlen. Zur Problematik von Mischehen wurde zusammengefasst ausgeführt, dass es immer wieder zu Ehen zwischen Sunniten und Schiiten kommen würde. In einer Anfragebeantwortung der Staatendokumentation werde bestätigt, dass Personen, die eine solche Ehe eingehen, regelmäßig gesellschaftlichen Diskriminierungen ausgesetzt seien. Es sei darüber hinaus bekannt, dass gemischte Ehepaare und ihre Kinder in ländlichen Gebieten Afghanistans von ihren Familien und Verwandten diskriminiert würden.

Zur Lage der Hazara wurde unter anderem ausgeführt, die Länderfeststellungen seien widersprüchlich und könnten sohin nicht als Grundlage zur Entscheidung im Asylverfahren herangezogen werden. So werde ausgeführt, dass nach Angaben eines Vertreters einer internationalen Organisation mit Sitz in Kabul Angehörige der Hazara keiner gezielten Diskriminierung aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit ausgesetzt wären. Dies stehe in grobem Widerspruch zu den Ausführungen auf Seite 55 des Länderinformationsblattes, wonach gesellschaftliche Diskriminierungen gegen die schiitischen Hazara mit Bezug auf Klasse, Ethnie und Religion weiter in Form von Erpressung, durch illegale Besteuerung, Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physische Misshandlung und Verhaftung anhalte. Ferner sei der Vertreter der internationalen Organisation nicht genannt worden, wodurch eine Überprüfung der getroffenen Aussage unmöglich sei. Ergänzend wurden diverse Länderberichte zur Situation der Hazara auszugsweise wiedergegeben. Ferner wurden Judikate des BVwG sowie des VwGH zur Diskriminierung von Minderjährigen, welche gleichzeitig der Volksgruppe der Hazara angehörten, und sohin doppelter Diskriminierung ausgesetzt wären, auszugsweise zitiert. Zur Situation von Rückkehrern wurde auf die UNHCR-Richtlinien, konkret auf das Risikoprofil "Individuals perceived as "Westernized", verwiesen. Dazu wurde festgehalten, dass als verwestlicht wahrgenommene Personen von regierungsfeindlichen Akteuren aufgrund ihrer unterstellten anti-islamischen (religiösen) Einstellung verfolgt würden. Schließlich wurde zur Schutzunfähigkeit sowie die Schutzunwilligkeit des afghanischen Staates Stellung bezogen. Zur Asylrelevanz des Vorbringens wurde unter anderem vorgebracht, dass eine Gruppenverfolgung der Hazara insbesondere in Gebieten der Taliban anzunehmen sei, wie der VwGH in seiner Entscheidung vom 13.10.2015, Ra 2015/19/0106, ausgeführt habe. Ferner wurde auf die von UNHCR veröffentlichten Risikoprofile verwiesen. Abschließend wurde zusammenfassend ausgeführt, dass dem BF asylrelevante Verfolgung aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara, seines Bekenntnisses zur schiitischen Glaubensgemeinschaft sowie zu seiner Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Waisenkinder in Afghanistan drohe. Ferner drohe dem BF im Fall seiner Rückkehr aufgrund der instabilen Sicherheitslage und des Fehlens eines Familienanschlusses oder einer Wohn- und Arbeitsmöglichkeit eine Verletzung seiner in Art. 2 EMRK und Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte. Abschließend wurde auf die positive Integration des BF hingewiesen.

3. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom XXXX , Zl. XXXX , wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz betreffend die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) abgewiesen. Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 wurde ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt (Spruchpunkt II.) und gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum XXXX erteilt (Spruchpunkt III.).

4. Fristgerecht wurde vom BF im Wege seines Vertreters am XXXX gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie Verletzung von Verfahrensvorschriften erhoben. Begründend wurde nach Darstellung des Verfahrensgangs zur Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens ausgeführt, die belangte Behörde habe keine inhaltliche Würdigung der vorgelegten Stellungnahme vorgenommen. Ferner habe es die Behörde unterlassen, die Minderjährigkeit des BF zu berücksichtigen und habe ihre Manuduktions- und Sorgfaltspflichten verletzt. Ihrer Verpflichtung zur genauen Nachfrage sowie zum Vorhalt allfälliger Widersprüche sei sie ebenso wenig nachgekommen. Überdies hätte dem BF eine Möglichkeit zur Stellungnahme hinsichtlich der Zweifel an der Richtigkeit seiner Angaben eingeräumt werden müssen. Die belangte Behörde hätte zudem weitere Ermittlungen zur Klärung des maßgeblichen Sachverhalts anstellen und fallbezogene Feststellungen treffen müssen, um die Plausibilität und Glaubhaftigkeit seines Fluchtvorbringens beurteilen zu können.

Aus diesen Gründen habe das Bundesamt kein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt und die Entscheidung mit Verfahrensfehlern belastet. Da das Verfahren mangelhaft geblieben sei, dürften gemäß § 20 Abs. 2 BFA-VG sohin neue Tatsachen und neue Beweismittel vorgebracht werden. In weiterer Folge wurde, wie bereits in der Stellungnahme vom XXXX , auf die Mangelhaftigkeit der Länderfeststellungen hingewiesen und die Problematik von Mischehen zwischen Sunniten und Schiiten erörtert. Ferner wurde ausgeführt, dass keine Feststellungen zur fehlenden Familienanbindung des BF in Afghanistan getroffen worden seien. Feststellungen zur Verfolgungssituation würden ebenso fehlen. Überdies erweise sich die Beweiswürdigung als mangelhaft, da ein Abgleich mit den einschlägigen Länderberichten dem Bescheid nicht zu entnehmen sei. Bei der Beurteilung der Bedrohungslage hätte ferner berücksichtigt werden müssen, dass der Onkel des BF seinen Vater ermordet und darüber hinaus angedroht habe, den BF mit seiner Mutter und seiner Schwester in eine ihm unbekannte Provinz zu bringen, wo der BF als schiitischer Hazara, der einer Mischehe entstamme, unmittelbarer Verfolgung ausgesetzt gewesen wäre. Entgegen der Ausführungen der Behörde sei es auch nachvollziehbar, dass die Nachbarn dem Onkel des BF geglaubt hätten, zumal sie den Konflikt nicht gekannt hätten. Ferner sei seine Mutter nicht freiwillig zum Onkel des BF gezogen, sondern habe sich aus Angst seinem Willen unterwerfen müssen. Der BF habe schlüssig ausgeführt, dass die Flucht seiner Mutter zu jenem Zeitpunkt noch nicht möglich gewesen sei. Sie habe zuerst ihren Sohn in Sicherheit bringen wollen. Es sei vereinbart gewesen, dass der BF und seine Schwester sich mit der Mutter bei einer Bekannten treffen würden, um von dort aus zu fliehen. Als die Mutter aus unbekannten Gründen nicht aufgetaucht sei, sei ihm nichts Anderes übriggeblieben, als ohne sie zu flüchten. Ferner wurde ausgeführt, dass das Vorbringen des BF, wonach seine Familie nach dem Tod des Vaters zum Onkel ziehen hätte müssen und dieser ihn gezwungen habe, an der sunnitischen Religionsausübung teilzunehmen, auch in den Länderberichten Deckung finde. Zudem erscheine es willkürlich, dass die Behörde zwar davon ausgehe, der Vater des BF sei gestorben, jedoch nicht annehme, dass er ermordet worden sei. Abschließend wurden nach Darlegung der Tatbestandsvoraussetzungen für die Zuerkennung des Status des Asylberichtigten die wesentlichen Verfolgungsgründe wiederholt. Weiters wurde festgehalten, dass es sich hierbei um Diskriminierungen handle, die unter Art. 10 Abs. 1 lit a und d der Statusrichtlinie zu subsumieren seien, weshalb dem BF der Flüchtlingsstatus zuzuerkennen sei.

5. Mit Ladung vom XXXX wurde dem BF unter anderem das Länderinformationsblatt Afghanistan sowie Auszüge aus den gutachterlichen Stellungnahmen des Sachverständigen Dr. Rasuly zur Situation der Hazara zur Stellungnahme binnen 10 Tagen übermittelt.

6. Am XXXX fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Dari sowie eines landeskundlichen Sachverständigen statt.

Die Verhandlung nahm im Wesentlichen folgenden Verlauf:

(...)

R: Schreiben Sie mir bitte Ihren Namen, Ihr Geburtsdatum und Ihren Geburtsort auf.

Das Beiblatt wird als Beilage ./A zum Akt genommen.

BF: Ich bin im Dorf XXXX , im Distrikt XXXX , Provinz Baghlan geboren.

R: Wo haben Sie von der Geburt an bis zu Ihrer Ausreise in Afghanistan gelebt? Bitte geben Sie chronologisch an, in welchem Orten, Dörfern Sie in welchem Zeitraum gelebt haben.

BF: Von der Geburt bis zur Ausreise lebte ich in dem Dorf XXXX im Distrikt XXXX in der Provinz Baghlan.

R: Haben Sie von Ihren Elternhaus direkt Afghanistan verlassen?

BF: Ja.

R: Wie alt waren Sie da?

BF: Ca. 10, 11 Jahre alt.

R: Haben Sie an der von Ihnen angegebenen Adresse alleine gelebt?

BF: Nein, ich habe mit meinen Eltern und meiner Schwester zusammengelebt.

R: Woher stammt die Familie Ihres Vaters?

BF: Das weiß ich nicht so genau.

R: Das heißt, ich weiß es nicht so genau. Sagen Sie es mir ungefähr.

BF: Ich meinte damit, dass mein Vater nach Baghlan gezogen ist, davor weiß ich es nicht.

R: Wie heißt Ihr Großvater väterlicherseits?

BF: XXXX

R: Woher stammt Ihr Großvater väterlicherseits?

BF: Weiß ich nicht.

R: Welchen Beruf hat Ihr Großvater ausgeübt?

BF: Ich habe ihn gar nicht gesehen. Ich weiß es nicht.

R: Wie heißt Ihr Großvater mütterlicherseits?

BF: XXXX .

R: Welchen Beruf hat Ihr Großvater mütterlicherseits ausgeübt?

BF: Das weiß ich nicht.

R: Woher stammt Ihre Mutter?

BF: Das weiß ich nicht, aber ich bin in Baghlan geboren.

R: Woher stammt Ihre Mutter genau?

BF: Sie war Tadschikin.

R: Wo ist Ihre Mutter geboren?

BF: Das weiß ich nicht.

R: Wo ist Ihr Vater geboren?

BF: Das weiß ich nicht.

R: Wie viel Cousins und Cousinen haben Sie?

BF: Das weiß ich nicht.

R: Wie viel Onkel und Tanten haben Sie?

BF: Ich weiß, dass ich einen Onkel mütterlicherseits habe, das weiß ich zu 100%.

R: Haben Sie außer Ihren Onkel mütterlicherseits noch andere Verwandte in Afghanistan?

BF: Nein.

R: Hat Ihr Vater Geschwister?

BF: Nein.

R: Woher wissen Sie das?

BF: Weil ich ihn gefragt habe und er es verneinte.

R: Haben Sie Ihre Eltern gefragt, woher Ihre Familie stammt, woher Sie kommen?

BF: Nein, habe ich nicht.

R: Welchen Beruf üben Sie derzeit aus?

BF: Nachdem ich meinen Pflichtschulabschluss gemacht habe, bin ich auf der Suche nach einer Lehrstelle. In ein paar Stellen habe ich auch ein Praktikum gemacht.

R: Wie hat in Afghanistan Ihr Vater den Lebensunterhalt bestritten?

BF: Von der Landwirtschaft, wir hatten Tiere, Kühe und Schafe.

R: Hat Ihr Vater eigene Felder gehabt?

BF: Das Haus, in dem wir gelebt haben, gehörte meinem Vater.

R: Fragewiederholung.

BF: Nein.

R: Welche Felder hat er bewirtschaftet?

BF: Mein Vater war Bauer. Es gab Leute die Tiere und Grund hatten, für diese hat er gearbeitet.

R: Wovon hat Ihr Vater gelebt, wenn er für diese Leute gearbeitet hat?

BF: Für die, die er gearbeitet hat, haben ihn bezahlt.

R: Konnte Ihr Vater mit diesem Lohn leben bzw. wie waren Ihre Lebensverhältnisse in Afghanistan?

BF: Damals war ich noch ein Kind. Ich habe gedacht, dass es uns an nichts fehlen würde. Jetzt im Nachhinein weiß ich, dass etwas gefehlt hat.

R: Wie alt waren Sie, als Sie Ihr Elternhaus verlassen haben?

BF: 10 Jahre.

R: Wohin haben Sie sich dann begeben?

BF: In den Iran, Teheran.

R: Wie lange haben Sie sich dort aufgehalten?

BF: Von XXXX bis Ende XXXX .

R: Wie haben Sie dort Ihren Lebensunterhalt bestritten?

BF: Am Anfang habe ich auf einer Baustelle gearbeitet und danach wechselte ich in eine Schneiderei, wo ich bis zuletzt gearbeitet habe.

R: Konnten Sie mit dem Geld dort leben, das Sie dort bekommen haben?

BF: Ja, ich konnte davon leben. Ich hatte nicht so viele Ausgaben.

R: Welche Ausgaben haben Sie gehabt?

BF: Lebensmittel.

R: Haben Sie außer Lebensmittel noch andere Ausgaben gehabt?

BF: Nein, ja natürlich Kleidung.

R: Warum sind Sie nicht länger im Iran verblieben?

BF: Weil es dort legal keine Möglichkeiten gab zu arbeiten und ich habe auch keine Möglichkeit gehabt mich weiterzubilden oder zu studieren. Im Iran sind die Leute Rassisten.

R: Sind im Iran alle Leute Rassisten?

BF: Ich habe nicht die Mehrheit entdeckt die gut zu Afghanen sind.

R: Fragewiederholung.

BF: Nein, 100% nicht, überall gibt es gute und schlechte Leute.

R: Wie weit sind Sie Opfer eines rassistischen Übergriffes geworden?

BF: Wir konnten nicht hinausgehen. Wenn ich mich auf der Straße alleine bewegt habe, hatte ich Angst, dass ich beraubt werde, weil mir solche Vorfälle schon ein paar Mal passiert sind.

R: In welchem Jahr haben Sie Ihr Elternhaus verlassen?

BF: Es war im Jahr XXXX .

R: Mit wem haben Sie Ihr Elternhaus verlassen?

BF: Mit einer Frau, die ich Tante genannt habe und meine Schwester.

R: Wie heißt ihre von Ihnen als Personen genannte Tante und Ihre Schwester?

BF: Meine Schwester heißt XXXX . Die Tante heißt XXXX .

R: Wo wohnt Ihre Wahltante und Ihre Schwester?

BF: In Teheran.

R: Wieso ist es denen möglich im Iran zu leben?

BF: Sie haben dort keine Möglichkeit, aber sie haben dort auch keine Möglichkeit das Land zu verlassen. Für die Frauen ist es noch schwerer.

R: Wieso ist Ihre Schwester nicht gleich mit Ihnen ausgereist?

BF: Meine Schwester wollte das nicht.

R: Warum wollte sie das nicht?

BF: Weil sie gehört hat, dass den Frauen schlimme Sachen unterwegs passieren könnten.

R: Sie sagen aber auch, dass die Iraner mehrheitlich Rassisten sind.

BF: Afghanen gibt es genug im Iran. Viele Afghanen leben im Iran.

R: Viele Afghanen leben im Iran ohne dass ihnen etwas passiert?

BF: Sicher passiert dort immer viel, aber man hört nichts darüber. Sie äußern sich nicht.

R: Wie geht es Ihrer Mutter?

BF: Seit XXXX habe ich keinen Kontakt zu ihr.

R: Warum nicht?

BF: Weil ich es nicht konnte, ich habe keine Adresse und keine Telefonnummer.

R: Ist Ihre Mutter noch im Elternhaus?

BF: Ich vermute nicht.

R: Haben Sie Erkundigungen darüber eingeholt?

BF: Ich habe nur diese Tante gehabt, die ich gefragt habe, wo meine Mutter sei. Sie sagte mir, dass sie nicht mehr im Elternhaus sei, aber wo genau sie ist, wisse sie nicht.

R: Woher weiß Ihre Wahltante, dass Ihre Mutter nicht mehr im Elternhaus ist, aber sie weiß, dass Ihre Mutter nicht mehr im Elternhaus ist? Woher hat sie diese Information?

BF: Das weiß ich nicht. Als ich in den Iran kam, habe ich meine Mutter sehr vermisst, deshalb habe ich meinte Tante gefragt und sie meinte, sie wisse es nicht.

R: Woher weiß Ihre Wahltante, dass Ihre Mutter nicht mehr in Ihrem Elternhaus ist? Woher hat sie diese Information?

BF: Ich weiß es nicht, vielleicht hat sie mich angelogen.

R: Haben Sie über den Weg des internationalen Roten Kreuzes bzw. den internationalen Roten Halbmond versucht mit Ihrer Mutter Kontakt aufzunehmen?

BF: Ja.

R: Haben Sie die Bestätigung dabei?

BF: Als ich in einem Heim für Minderjährige gelebt habe, hatte sie dort die Unterlagen. Jetzt vermute ich, dass ich sie nicht habe.

R: Wo haben Sie die Unterlagen hingetan?

BF: Die befanden sich bei meinem Betreuer.

R: Wie hieß Ihre Betreuerin?

BF: XXXX . Den Familiennamen habe ich vergessen.

R: Was war der Inhalt des Schreibens des Roten Kreuzes bzw. des internationalen Roten Halbmond?

BF: Ich kann mich an den Inhalt nicht mehr erinnern.

R: Obwohl es um Ihre Mutter geht?

BF: Ja.

R: Warum haben Sie mit Ihrer Wahltante Afghanistan verlassen und nicht mit Ihrer Mutter?

BF: Weil meine Mutter gesagt hat, wir sollen gehen und sie folgt uns nach.

R: Warum ist Ihre Mutter nicht gleich mit Ihnen mitgegangen und hat Sie Ihrer Wahltante anvertraut?

BF: Das weiß ich nicht genau. Das habe ich mich auch gefragt. Ich vermute, wenn sie mit uns mitgereist wäre, wären wir in Gefahr und sie auch.

R: Warum sollten Sie in Gefahr sein, wenn Ihre Mutter mit Ihnen und Ihrer Schwester unterwegs ist?

BF: Seitens meines Onkels mütterlicherseits.

R: Warum sollten Sie ohne Ihrer Mutter nicht in Gefahr sein?

BF: Ich habe gesagt vermutlich, ich habe nicht gesagt zu 100%. Wenn meine Mutter mit uns mitgereist wäre, hätte mein Onkel uns schneller gefunden.

R: Wie hätte Ihr Onkel Sie schneller gefunden bzw. warum hätte Sie Ihr Onkel schneller gefunden, wenn Ihre Mutter mitgereist wäre?

BF: Meine Mutter war bei meinem Onkel, weil mein Onkel nicht wollte, dass meine Mutter, meine Schwester oder ich flüchten können.

R: Fragewiederholung.

BF: Das weiß ich nicht. Die Frage ist sehr kompliziert.

R: Warum wollte Ihr Onkel nicht, dass Sie, Ihre Schwester oder Ihre Mutter flüchten?

BF: Er wollte uns mitnehmen, wo er gelebt hat.

R: Wo hat er genau gelebt?

BF: Das weiß ich nicht.

R: Was hat Ihre Mutter bzw. Ihr Vater gesagt, wo Ihr Onkel lebt?

BF: Sie haben mir darüber nichts gesagt.

R: Haben Sie mit Ihren Onkel zusammengelebt?

BF: Nein, wir haben nicht zusammengelebt. Er war nur ein paar Tage bei uns als Gast.

R: Wie lange?

BF: Genau weiß ich es nicht. Nicht sehr lange.

R: Wie viele Tage?

BF: Ich kann es nicht ungefähr sagen.

R: In welchem Jahr war das und in welchem Monat?

BF: XXXX , das Monat weiß ich nicht.

R: Hat Sie Ihr Onkel öfter besucht?

BF: Einmal ist er gekommen.

R: Wie alt waren Sie da?

BF: 10 Jahre.

R: Warum hat er Sie erst besucht, als Sie 10 Jahre alt gewesen sind?

BF: Am Anfang haben wir gedacht, dass wir niemanden haben. Auf einmal tauchte mein Onkel auf und ich habe gefragt, wer er sei. Man sagte, er sei mein Onkel.

R: An welchem Tag ist Ihr Onkel bei Ihnen aufgetaucht?

BF: An dem Tag kann ich mich nicht erinnern.

R: Was haben Sie gemacht, als Ihr Onkel aufgetaucht ist?

BF: Ich war zu Hause.

R: Was haben Sie da gemacht?

BF: Ich kann mich daran nicht mehr erinnern.

R: Zu welcher Tageszeit ist Ihr Onkel aufgetaucht?

BF: Es war ca. zu Mittag.

R: Wo waren Ihre Eltern zu diesem Zeitpunkt?

BF: Mein Vater war in der Arbeit und meine Mutter war zu Hause.

R: Wie hat Ihr Vater bzw. Ihre Mutter reagiert, als Ihr Onkel nach Hause gekommen ist, nachdem er sie so lange nicht mehr besucht hat.

BF: Meine Mutter war darüber nicht glücklich, sie hat sich Sorgen gemacht, als sie meinen Onkel gesehen hat. Mein Vater war auch nicht glücklich darüber.

R: Wieso waren Ihre Eltern über das Erscheinen Ihres Onkels nicht glücklich, nachdem er sie so lange nicht mehr besucht hat?

BF: Weil meine Eltern schon viel früher mit meinem Onkel ein Problem hatten.

R: Was heißt das?

BF: Als die Sorgen bei uns zu Hause größer geworden sind, habe ich meine Mutter gefragt, was Sache sei, da habe ich herausgefunden, dass die Eltern meiner Mutter nicht einverstanden waren, dass mein Vater und meine Mutter heiraten, weil meine Mutter Tadschikin und Sunnitin war und mein Vater Hazara und Schiite war. In Afghanistan sind diese Sachen üblich, dass man sagt, der eine ist Hazara und der andere ist Tadschike. Das Heiraten von Tadschiken und Hazara bzw. Hazara mit Paschtunen ist dort Tabu.

R: Wann haben die Sorgen Ihrer Eltern angefangen, wie alt waren Sie da?

BF: Als mein Onkel auftauchte, ich war ca. 10 Jahre alt.

R: Wie wurde Ihr Onkel von Ihren Eltern dann empfangen?

BF: Es war nicht gut. Sie waren nicht glücklich ihn zu sehen.

R: Beschreiben Sie mir genau den Tag wie Ihr Onkel gekommen ist. Beschreiben Sie mir den Tag ganz genau.

BF: Ich kann das nicht so genau. Das war vor 8 Jahren. Es war zu Mittag. Er sah meine Mutter und uns, wobei er uns zuvor noch nie gesehen hat. Dann kam mein Vater nach Hause.

R: Um wie viel Uhr?

BF: Es war dunkel.

R: Fragewiederholung.

BF: 18 Uhr.

R: Was war in der Zeit zwischen dem Erscheinen Ihres Onkels und der Zeit des nach Hause kommen Ihres Vaters.

BF: 18 Uhr habe ich gesagt, weil ich zwei Mal gefragt wurde, es war dunkel.

R: Was war zwischen dem Erscheinen Ihres Onkels und dem nach Hause kommen Ihres Vaters?

BF: Ich weiß es nicht, ich kann es nicht genau sagen.

R: Was ist dann passiert, nachdem Ihr Vater um ca. 18 Uhr nach Hause gekommen ist?

BF: Sie haben sich gesehen und sprachen miteinander.

R: Über was?

BF: Was Erwachsene besprechen. Ich habe nicht zugehört und selbst wenn ich zugehört hätte, könnte ich mich heute nicht erinnern, aber ihr Verhalten war nicht sehr freundschaftlich.

R: Wie hat sich das gezeigt, dass deren Verhalten nicht sehr freundschaftlich war?

BF: Es ist klar, wenn man sich 10 oder 20 Jahre nicht gesehen und nach so langer Zeit man sich wiedersieht, zeigt man dies mit Weinen oder Freude, wenn man ein freundschaftliches Verhältnis hat. Hier war das nicht so.

R: Wie können Sie dann wissen, dass die Beiden über etwas, das Erwachsene normalerweise sprechen, wenn Sie nicht zugehört haben?

BF: Z.B. wenn sie sich unterhalten, höre ich zwar, dass sie sich unterhalten, aber ich weiß trotzdem nicht worüber, weil ich nicht genau aufpasse. Z.B. wenn man den Zug fährt unterhalten sich die Leute auch, man hört zwar, dass Personen miteinander reden, aber man weiß den Inhalt trotzdem nicht, weil man nicht genau zuhört.

R: Haben Sie miteinander Abend gegessen?

BF: Ja.

R: Wie viel Uhr?

BF: Das weiß ich nicht genau.

R: Haben Sie an dem Tag zu einer anderen Zeit Abend gegessen als sonst?

BF: Nein, wie immer.

R: Wann haben Sie wie immer zu Abend gegessen?

BF: Wenn ich die Uhrzeit sagen soll, das weiß ich nicht.

R: Was ist dann nach dem Abendessen passiert?

BF: Wir gingen schlafen. Normalerweise geht man schlafen.

R: Gingen Sie immer nach dem Abendessen sofort schlafen?

BF: Ja, ich persönlich gehe früh schlafen.

R: Fragewiederholung.

BF: Ja.

R: Um wie viel Uhr sind Sie an diesem Tag schlafen gegangen?

BF: Das weiß ich nicht. Ist es normal, dass wenn ich eine Frage beantworte, die Frage mir zum wiederholten Mal gestellt wird?

R: Wann sind Sie für gewöhnlich schlafen gegangen in Afghanistan?

BF: Möglicherweise 20 oder 21 Uhr.

R: Wann sind Sie aufgestanden?

BF: Früh am Morgen, möglicherweise um 5 oder 6 Uhr.

R: Was haben Sie gemacht, am nächsten Tag, nachdem Ihr Onkel zu Ihnen nach Hause gekommen ist. Beschreiben Sie mir hier ebenfalls minutiös den Tagesablauf vom Aufstehen bis zum Schlafen gehen.

BF: Wie soll ich das minutiös erklären? Ich kann das nicht.

R: Was haben sie gemacht und zwar vom Aufstehen bis zum Bett gehen.

BF: Das weiß ich nicht mehr.

R: Wie war das Verhältnis zwischen Ihren Eltern und Ihres Onkels bei seiner mehrtägigen Anwesenheit?

BF: Das war nicht gut.

R: Wie hat sich das geäußert, dass Sie beurteilen, dass es nicht gut war.

BF: Sie haben gestritten.

R: Worüber haben Sie gestritten?

BF: Worüber sie gestritten haben, habe ich nicht mehr genau in Erinnerung, aber später habe ich erfahren, dass der Streit darüber war, warum meine Eltern trotzdem geheiratet haben, obwohl die Eltern meiner Mutter damit nicht einverstanden waren.

R: Haben diese Streitigkeiten während Ihres Aufenthaltes Ihres Onkels täglich stattgefunden?

BF: Ja.

R: Wie hat Ihr Vater darauf reagiert?

BF: Mein Vater war damit nicht einverstanden. Er war nicht glücklich, er wollte, dass mein Onkel weggeht.

R: Wie hat er drauf reagiert?

BF: Seitdem mein Onkel auftauchte, herrscht im ganzen Haus Sorgen und Stress. Wir haben unseren Frieden im Haus verloren als er auftauchte.

R: Ich will wissen wie Ihr Vater auf den Streit reagiert hat.

BF: Er hat auch mit ihm gestritten. Es war nicht einverstanden, dass mein Onkel da war. Ich kann mich nicht richtig konzentrieren, weil Sie untereinander sprechen und ich dadurch unterbrochen werde.

Vom R wird angemerkt, dass dies nicht der Fall ist und dieser der Dolmetscherin die Fragen zum Übersetzen stellt.

Die Verhandlung wird um 11:15 Uhr unterbrochen.

Die Verhandlung wird um 11:27 Uhr fortgesetzt.

R: Wie hat Ihr Vater konkret auf den Streit reagiert?

BF: Mein Vater wollte, dass wir unsere Ruhe, die wir daheim bereits hatten, wieder zurückkehrt.

R: Hat er etwas unternommen um diesen Zustand wiederherzustellen?

BF: Er hat versucht meinen Onkel mütterlicherseits aus dem Haus zu werfen.

R: Wie hat er das versucht?

BF: Sie haben gestritten und mein Vater hat ihm gesagt, er solle weggehen.

R: Wie hat Ihr Vater darauf reagiert, nachdem Ihr Onkel offensichtlich nicht wegging?

BF: Da fand dann eine schwere Auseinandersetzung zwischen den beiden statt.

R: Am wievielten Tag des Besuchs Ihres Onkels fand das statt?

BF: Daran kann ich mich nicht mehr genau erinnern, aber es hat nicht so lange gedauert.

R: Was hat Ihr Vater vorher gemacht, bevor es zu der schweren Auseinandersetzung gekommen ist?

BF: Sie haben diskutiert.

R: Außer der Diskussion?

BF: Ich habe die Frage nicht verstanden.

R: Fragewiederholung.

BF: Sie haben gestritten und diskutiert.

R: Den ganzen Tag?

BF: Wenn sie zusammengekommen sind.

R: Hat Ihr Vater die Polizei geholt?

BF: Nein.

R: Den Dorfältesten?

BF: Das weiß ich nicht.

R: Um was ist es bei dem Streit in diesen Tagen gegangen?

BF: Ich kann mich an etwas Allgemeines erinnern und das war die Sache mit der Heirat.

R: Über was ist es bei diesem Streit noch gegangen, nachdem sich dieser über mehrere Tage gezogen hat?

BF: Es ging grundsätzlich darum, dass mein Onkel mütterlicherseits meine Mutter, meine Schwester und mich mitnehmen wollte. Mein Vater wollte dies natürlich nicht.

R: Warum wollte er das?

BF: Weil er es meinem Opa und meiner Oma versprochen hat.

R: Warum ist er erst nach 10 Jahren aufgetaucht?

BF: Weil er nicht gewusst hat wo wir sind, er hatte die Adresse meines Vaters nicht.

R: Woher hatte er dann diese Adresse?

BF: Das habe ich ihn nicht gefragt.

R: Haben Sie sich während des Aufenthaltes Ihres Onkels auch im Elternhaus aufgehalten?

BF: Ich war zu Hause, aber ich bin auch mit meinem Vater zur Arbeit gegangen. Das heißt, ich war den ganzen Tag nicht zu Hause.

R: Wenn Sie nicht zu Hause waren, waren Sie dann mit Ihrem Vater unterwegs?

BF: Ja oder ich war mit meinen Freunden draußen.

R: Was ist an dem Tag genau passiert, an dem es zum Extremfall gekommen ist? Können Sie mir den Tag vom Aufstehen bis zum Bett gehen Tag minutiös beschreiben?

BF: Der Morgen begann ganz normal. Wir frühstückten zusammen. An dem Tag war ich nicht gezwungen mit meinem Vater zur Arbeit zu gehen.

R: Welcher Wochentag war das?

BF: Das weiß ich nicht.

BF: Eine Zeit lang war ich zu Hause, dann ging ich hinaus.

R: Wie lange waren Sie zu Hause und wann gingen Sie dann draußen?

BF: Möglicherweise war ich ein bis zwei Stunden zu Hause und bin dann nach draußen zu meinen Freunden.

R: Wie spät war es, als Sie zu Ihren Freunden gegangen sind?

BF: Ich weiß es nicht genau, aber es war gegen Mittag. Einer meiner Freunde kam dann zu mir und sagte bei uns laute Stimmen zu hören seien.

R: Wie hat dieser Freund geheißen?

BF: Ich weiß es nicht, er war nicht mein bester Freund. Ich hatte nur einen Freund, der hieß XXXX .

R: Wo hat dieser Freund gewohnt, der die lauten Stimmen gehört hat?

BF: In der Nähe von uns.

R: Wie weit von Ihnen entfernt?

BF: Das weiß ich nicht genau, aber das Dorf war nicht sehr groß.

R: Wie viele Häuser war er von Ihnen entfernt?

BF: Das weiß ich nicht genau.

R: Warum hat Ihr Freund laute Stimmen dort gehört?

BF: Weil bei uns ein Streit stattgefunden hat.

R: Was hat er dort genau gehört?

BF: Wenn mehrere Leute miteinander streiten, was passiert dann? Diese Leute hat er gehört.

R: Hat Ihr Freund mehrere Stimmen wahrnehmen können?

BF: Er sagte mir nur, dass bei uns Streitstimmen kommen.

R: Hat Ihr Freund mehre Stimmen wahrnehmen können?

BF: Ich weiß es nicht genau.

R: Um wie viel Uhr hat Ihr Freund Ihnen diese Mitteilung gebracht?

BF: Es war gegen Mittag.

R: Was heißt gegen Mittag?

BF: Es war 12 Uhr.

R: Hat Ihr Freund gehört, wobei es in diesem Streit gegangen ist?

BF: Ich vermute nicht.

R: Was haben Sie gemacht, nachdem Ihr Freund Ihnen diese Information zukommen lassen hat?

BF: Ich ging sofort nach Hause.

R: Was haben Sie gesehen bzw. gehört, nachdem Sie nach Hause gegangen sind?

BF: Ich sah meinen Vater am Boden liegen und er blutete.

R: Wo blutete er?

BF: An seinem Kopf.

R: Wo genau am Kopf?

BF: An der Stirn. Meine Mutter und meine Schwester standen da und weinten.

R: Haben Sie die Polizei geholt oder den Dorfältesten darüber verständigt?

BF: Nein.

R: Warum nicht?

BF: Ich weiß es nicht, möglicherweise wegen der Angst.

R: War der Onkel zu diesem Zeitpunkt, als Sie nach Hause gekommen sind, am Tatort?

BF: Ja.

R: Was hat er getan?

BF: Er sagte, es soll niemand erfahren, was hier vorgefallen ist.

R: Was ist genau dort vorgefallen?

BF: Sie stritten miteinander und ich glaube er schlug mit einem Stein meinem Vater auf dem Kopf.

R: Wie hätte man es machen soll, dass niemand davon erfährt, wenn Ihr Freund bereits diesen Streit gehört hat?

BF: "Er wollte es nicht verstecken, dass mein Vater diese Welt verlassen hatte, sondern, dass er es getan hat".

R: Können Sie mir das erklären?

BF: Der Leichnam meines Vaters lag am Boden. Er wollte nicht, dass die Leute es erfahren. Er brachte meinen Vater in den Kuhstall in unserem Innenhof und legte ihn dort hin und wollte den Leuten sagen, dass er von einer Kuh getreten und gegen die Wand geschleudert wurde.

R: Wie hätte Ihr Onkel das machen können bzw. verheimlichen können, wenn Ihr Freund bereits lautstark von diesem Streit gehört hat?

BF: Er hatte nur lautes Schreien gehört. Er hatte nicht gehört wer.

SV: Welche Personen haben zu dem Zeitpunkt, als Sie nach Hause gekommen sind und der Leichnam

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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