Entscheidungsdatum
17.05.2019Norm
AsylG 2005 §5Spruch
W240 2218676-1/2E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Feichter über die Beschwerde von XXXX , StA. Ägypten, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.04.2019, Zl. 1219511905-190151965, zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde wird gemäß § 5 AsylG 2005 und § 61 FPG als
unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger aus Ägypten, stellte am 12.02.2019 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
Ein Abgleich im VIS System des Bundesministeriums für Inneres hat ergeben, dass dem Beschwerdeführer von der italienischen Botschaft ein Schengen-Visum für den Zeitraum 31.01.2019 bis 24.02.2019 erteilt worden war (vgl. AS 53).
Am Tag der Antragstellung wurde der Beschwerdeführer einer Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes unterzogen, wobei er angab, sein 25jähriger Bruder sei in Deutschland asylberechtigt. Er sei am 1. Februar 2019 nach Italien gelangt, wo er bis zum 04.02.2019 gewesen sei, er sei vom 05.02.2019 bis zum 07.02.2019 in Deutschland gewesen, dann wieder ab 07.02.2019 bis zum 10.02.2019 in Italien, bevor er am 11.02.2019 nach Österreich gelangt sei. Er habe in Italien einen Asylantrag stellen, jedoch hätte er keinen Asylantrag in Italien stellen können. Er sei deshalb geflüchtet, weil ihm als Christ in Ägypten Gefahr drohe.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl richtete am 15.02.2019 ein auf Art. 12 Abs. 2 oder 3 der Verordnung (EU) 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (in der Folge Dublin III-VO) gestütztes Aufnahmegesuch an Italien.
Mit Schreiben vom 16.04.2019 teilte das Bundesamt der italienischen Dublinbehörde mit, dass die Zuständigkeit im Fall des Beschwerdeführers wegen Unterlassung einer fristgerechten Antwort auf das österreichische Aufnahmegesuch auf Italien übergegangen ist.
Am 23.04.2019 fand eine Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl statt, in welcher der Beschwerdeführer insbesondere wie folgt angab:
"(...)
F: Sie wurden zu diesem Antrag auf int. Schutz bereits am 12.2.2019 durch das PAZ Salzburg erstbefragt. Entsprechen die dabei von Ihnen gemachten Angaben der Wahrheit bzw. möchten Sie dazu noch Korrekturen oder Ergänzungen anführen?
A: Ich habe dort die Wahrheit gesagt bis auf einen Fehler welcher vom Dolmetscher falsch übersetzt wurde. Im Falle der Rückkehr habe ich schon Hinweise, dass mein Leben in Ägypten in Gefahr ist.
F: Haben Sie in Österreich, im Bereich der Europäischen Union, in Norwegen, Island, Liechtenstein oder der Schweiz, Verwandte, zu denen ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis bzw. eine besonders enge Beziehung besteht?
A: Ja einen Bruder in Deutschland
F: Haben Sie Familienmitglieder in Österreich?
A: Nein
F: Haben Sie ansonsten Bezug zu Österreich?
A: Nein
Entscheidung:
Das Bundesasylamt gelangt vorläufig zur Ansicht, dass für die Prüfung Ihres in Österreich gestellten Asylantrages gemäß der Dublin III Verordnung der Europäischen Union ITALIEN zuständig ist. Zu Einzelheiten der Dublin III Verordnung sind Sie bereits in dem Ihnen anlässlich der Fingerabdrucknahme ausgefolgten Merkblatt informiert worden. Aufgrund der bereits vorliegenden Zustimmung ist beabsichtigt Ihren Asylantrag in Österreich als unzulässig zurückzuweisen und Ihre sofort durchsetzbare Ausweisung in diesen Staat zu veranlassen. Dazu wird Ihnen mitgeteilt, dass sie eine Mitteilung gem § 29 AsylG 2005 über ihre Ausweisung nach ITALIEN erhalten haben.
F: Haben Sie alles verstanden?
A: Ja, in Italien ging ich zur Polizei und wollte einen Asylantrag dort stellen aber sie haben mich nicht aufgenommen. Seit diesem Vorfall habe ich kein Sicherheitsgefühl in Italien gehabt und hatte Angst. Die mich verfolgen haben meiner Familie gesagt in Ägypten, dass diese eigene Leute in Italien haben und sie werden mich nicht in Ruhe lassen
F: Gab es in Italien Probleme Vorfälle?
A: Seitdem ich bei der Polizei war und ich nicht empfangen wurde hatte ich kein Sicherheitsgefühl mehr dort wie gesagt.
F: Möchten Sie zu den am 17.4.2019 Ihnen zur Kenntnis gebrachten aktuellen Länderinformationsblätter MS Italien etwas angeben?
A: Ich war in Italien, ich kann nur sagen die Flüchtlinge haben keine Rechte. Hier besuche ich jetzt einen Deutschkurs seit ca. 2 Monaten in Salzburg und ich wurde in Österreich menschlich auch behandelt. Ich möchte nicht nach Italien zurückkehren
Anmerkung:
Frage an die Rechtsberatung: Ist für die Rechtsberatung noch etwas offen?
Die Rechtsberatung hat keine Fragen und kein Vorbringen.
LA: Wollen Sie noch etwas vorbringen, was nicht zur Sprache gekommen ist und Ihnen besonders wichtig erscheint?
VP: Ich möchte auch näher bei meinem Bruder in Deutschland bleiben. Österreich ist näher zu Deutschland als Italien
(...)"
Vom Beschwerdeführer wurden insbesondere folgende Unterlagen vorgelegt:
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Reisepass
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TRENITALIA Zugtickets (Rom - Stuttgart, Rom - München, München - Bremen)
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EGYPTAIR Ticket nach Rom
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DB Ticket (Milano- Rom, Zürich-Milano, Worms-Zürich
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Hotelrechnung Salzburg (zerrissen)
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UNITET ARAB EMIRATES Resident Identity Card
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Egypt Syndicate of Engineers (Karte mit Lichtbild)
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EXPO 2020 Dubai (Karte mit Lichtbild)
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fremdsprachige Karten mit Lichtbild
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zwei christliche Gebetsbilder
2. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass gemäß Art. 12 Abs. 2 Dublin III-VO Italien für die Prüfung des Antrages zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge dessen Abschiebung nach Italien gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.).
Die Feststellungen zur Lage in Italien wurden im Wesentlichen Folgendermaßen zusammengefasst (gekürzt durch das Bundesverwaltungsgericht):
Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen
KI vom 26.2.2019, Änderungen bei der Versorgung von Asylwerbern (Salvini-Gesetz) und neuer Circular Letter (relevant für Abschnitt 3/Dublin-Rückkehrer, Abschnitt 6/Unterbringung und Abschnitt 7/Schutzberechtigte)
Mit dem Gesetzesdekret Nr. 113 vom 4.10.2018 (in Verbindung mit dem Umwandlungsgesetz Nr. 132 vom 1.12.2018; umgangssprachlich als "Salvini-Dekret" bzw. "Salvini-Gesetz" bekannt), sind eine Reihe von Änderungen verbunden, die sich derzeit in Umsetzung befinden und zu denen nun mehr Informationen vorliegen:
Humanitärer Schutzstatus:
Vor der Einführung des neuen Dekrets standen in Italien drei
Schutzformen zur Verfügung: internationaler Schutz, subsidiärer Schutz und humanitärer Schutz. Letzterer wurde für die Dauer von zwei Jahren gewährt, wenn "besondere Gründe", insbesondere "humanitären Charakters" vorlagen. Zwischen 2014 und 2018 war der humanitäre Schutz die häufigste in Italien zuerkannte Schutzform. Nach der neuen Rechtslage ist der Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen an eine restriktive und vor allem taxative Liste von Gründen gebunden, aus denen eine befristete Aufenthaltserlaubnis (unterschiedlicher Dauer) erteilt werden kann:
1. für medizinische Behandlung ("cure mediche") (1 Jahr gültig;
verlängerbar);
2. Spezialfälle ("casi speciali" ):
a) für Opfer von Gewalt oder schwerer Ausbeutung
b) Für Opfer häuslicher Gewalt (1 Jahr gültig);
c) bei außergewöhnlichen Katastrophen im Herkunftsland (6 Monate gültig; verlängerbar);
d) in Fällen besonderer Ausbeutung eines ausländischen Arbeitnehmers, der eine Beschwerde eingereicht hat und an einem Strafverfahren gegen den Arbeitgeber mitwirkt;
e) bei Handlungen von besonderem zivilem Wert (zu genehmigen vom Innenminister auf Vorschlag des zuständigen Präfekten) (2 Jahre gültig; verlängerbar);
f) wenn zwar kein Schutz gewährt wurde, der Antragsteller aber faktisch nicht außer Landes gebracht werden kann ("protezione speciale" = non-refoulement).
Die Territorialkommissionen der nationalen Asylbehörde sind nach der neuen Rechtslage nicht mehr für die Prüfung der humanitären Gründe zuständig. Wenn kein Asylstatus oder subsidiärer Schutz zuerkannt wird, prüfen sie nur noch, ob Gründe gegen eine Ausweisung vorliegen. Ist das der Fall, leiten sie dies an die Quästuren weiter, welche für die Prüfung der humanitären Gründe zuständig sind. Begründet wurde dieser Schritt damit, dass ein zu weiter Ermessensspielraum in der Vergangenheit zu einem Ausufern der humanitären Aufenthaltstitel geführt hat (rund 40.000 in den letzten drei Jahren), jedoch zumeist ohne dass eine soziale und berufliche Eingliederung der Betroffenen stattgefunden hätte. Es kommt jedoch zu keiner Aberkennung bestehender humanitärer Titel. Diejenigen, die bereits einen (alten) Titel aus humanitären Gründen zuerkannt bekommen haben, können weiterhin alle damit verbundenen Ansprüche geltend machen. Abgelaufene (alte) Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen, werden jedoch nicht erneuert (VB 22.2.2019) und können auch durch rechtzeitigen Antrag nicht mehr verlängert werden. Sie können jedoch bei rechtzeitiger Antragstellung und Erfüllung der Voraussetzungen, in einen anderen Titel umgewandelt werden (Aufenthaltstitel für Arbeit, Familienzusammenführung, etc. oder in einen humanitären Titel neuer Rechtslage) (VB 25.2.2018). Ansonsten läuft der Titel ab und der Aufenthalt in Italien ist nicht mehr rechtmäßig (VB 22.2.2019).
Versorgung:
Weitgehende Änderungen gibt es auch im Unterbringungssystem. Das bisherige System (CARA als Erstaufnahme, SPRAR als kommunal organisierte Unterbringung und Integration für Asylwerber und Schutzberechtigte, CAS als Notmaßnahme für Bootsflüchtlinge welche mittlerweile ca. 80% des italienischen Unterbringungssystems ausmachen) wird völlig neu organisiert. Künftig wird zwischen einer Erstaufnahme und einer sekundären Versorgungsschiene unterschieden (VB 19.2.2019).
Die Erstaufnahmeeinrichtungen ("prima accoglienza") werden CAS und CARA ersetzen. Zielgruppe dieser Einrichtungen sind Asylwerber (auch in einem Beschwerdeverfahren oder in Dublin-out-Verfahren bis zur Überstellung) sowie ausdrücklich auch Dublin-Rückkehrer. Fremde, die in Italien bereits einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben, werden in jener Region untergebracht, in welcher der Antrag ursprünglich eingebracht wurde. In allen anderen Fällen ist jene Region zuständig, in der sich der Flughafen befindet, an dem der Fremde ankommt. Für diese Erstaufnahmeeinrichtungen wurden seitens des italienischen Innenministeriums neue Ausschreibungsspezifikationen ausgearbeitet, die bereits durch den italienischen Rechnungshof genehmigt und an die Präfekturen übermittelt wurden. Die Ausschreibung und staatliche Verwaltung/Kontrolle der Einrichtungen obliegt nach wie vor den Präfekturen. Seitens des italienischen Innenministers wurde betont, dass die Einhaltung sämtlicher europarechtlicher Bestimmungen (hier insbesondere die Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU) unter Wahrung der menschlichen Würde jedenfalls sichergestellt sei. Herkunft, religiöse Überzeugung, Gesundheitszustand, Vulnerabilität sowie die Familieneinheit finden Berücksichtigung. Bei den Kernleistungen (Sozialbetreuung, Information, soziokulturelle Mediation, sanitäre Einrichtungen sowie Startpaket, Taschengeld und Telefonkarte) soll es zu keiner Kürzung oder Streichung kommen. Integrationsmaßnahmen werden im neuen System nur noch Schutzberechtigten zukommen. Bei den Ausschreibungsspezifikationen wird zwischen kollektiven und individuellen (z.B. Selbstversorger) Unterbringungsplätzen unterschieden. Die Versorgung sieht unter anderem folgende Leistungen vor:
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Unterbringung, Verpflegung
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Sozialbetreuung, Information, linguistisch-kulturelle Mediation
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notwendige Transporte
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medizinische Betreuung: Erstuntersuchung, ärztliche Betreuung in den Zentren zusätzlich zum allgemeinen Zugang zum nationalen Gesundheitsdienst
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Hygieneprodukte
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Wäschedienst oder Waschprodukte
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Erstpaket (Kleidung, Bettzeug, Telefonkarte)
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Taschengeld (€ 2,50/Tag/Person bis zu € 7,50/Tag für eine Kernfamilie)
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Schulbedarf
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usw.
Nach Auskunft des italienischen Innenministeriums sind Plätze für Familien sowie allein reisende Frauen (mit Kindern) vorgesehen. In den Spezifikationen sind Personalschlüssel, Reinigungsintervalle, Melde- und Aufzeichnungsverpflichtungen des Betreibers in Bezug auf Leistungen an die Bewohner, An-/Abwesenheiten etc. festgelegt. Die Präfekturen sind zu regelmäßigen, unangekündigten Kontrollen berechtigt und verpflichtet (VB 19.2.2019).
Die sekundären Aufnahmeeinrichtungen (früher SPRAR) heißen ab sofort SIPROIMI ("Sistema di protezione per titolari di protezione internazionale e per minori stranieri non accompagnati" - Schutzsystem für international Schutzberechtigte und unbegleitete minderjährige Fremde) und stehen Personen mit internationalem Schutz und unbegleiteten Minderjährigen zur Verfügung sowie Personen, die nach der neuen Rechtslage einen Aufenthaltstitel wegen besonders berücksichtigungswürdiger Umstände haben ("neue" humanitäre Titel). In diesen Einrichtungen werden zusätzlich zu den oben beschrieben Leistungen auch Maßnahmen mit dem Ziel einer umfassenden Integration (Gesellschaft, Arbeitsmarkt, Sprache, etc.) geboten (VB 19.2.2019).
Personen mit humanitärem Schutz nach alter Rechtslage, die sich mit Stichtag 05.10.2018 noch in einem SPRAR/SIPROIMI befanden, können dort für den vorgesehenen Zeitraum bzw. bis zum Ende des Projektzeitraumes weiterhin bleiben. Jene Fremde mit humanitärem Schutz nach alter Rechtslage, die sich noch in einer Erstaufnahmeeinrichtung befinden, verbleiben dort so lange, bis ihnen von der Quästur der Aufenthaltstitel ("permesso di soggiorno") übergeben wurde und werden danach aus dem Aufnahmesystem entlassen (VB 19.2.2019).
In den letzten Jahren war das italienische Aufnahmesystem angesichts der zahlreichen Anlandungen von Migranten von Überforderung und dem Versuch geprägt, möglichst viele Unterbringungsplätze in möglichst kurzer Zeit zu schaffen. Dabei entstanden verschiedene Arten von Unterbringungszentren auf Projektbasis in Gemeinden, Regionen und zentraler Ebene mit nur grob festgelegt Zielgruppen. Mit der Neustrukturierung wurde ein differenziertes Aufnahmesystem geschaffen, das auch der Kritik des italienischen Rechnungshofes Rechnung trägt, der die undifferenzierte Unterbringung bzw. Erbringung insbesondere von kostspieligen Integrationsmaßnahmen an Migranten ohne dauerhaften Aufenthaltstitel bemängelt hat. So werden Asylwerber zukünftig in den Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht. Personen mit Schutzstatus bzw. einer der neuen Formen des humanitären Schutzes sowie allein reisende Minderjährige erhalten Zugang zu den sekundären Aufnahmeeinrichtungen, in denen zusätzlich integrative Leistungen angeboten werden. Durch die neuen Vergabekriterien wurde auch auf den Vorwurf reagiert, die Aufnahmeeinrichtungen außerhalb des SPRAR seien inhomogen und würden keine einheitlichen Standards sicherstellen. Durch die Staffelung der Strukturen nach Unterbringungsplätzen mit entsprechend angepasstem Personalstand und Serviceleistungen kann seitens der Präfekturen im Rahmen der Vergabeverfahren auf den Bedarf und die Gegebenheiten vor Ort im jeweiligen Fall eingegangen werden, wodurch sich die Kosten von € 35/Person/Tag auf € 19-26/Person/Tag senken sollen. Dass eine solche Restrukturierung ohne Einbußen bei der Qualität oder dem Leistungsangebot (so der Vorwurf bzw. die Befürchtung der Kritiker) machbar ist, erscheint angesichts der vorliegenden Unterlagen aus Sicht des VB nachvollziehbar (VB 19.2.2019).
Auch die medizinische Versorgung von Asylwerbern ist weiterhin gewährleistet. Es wurde oft kritisiert, dass durch das neue Gesetz Asylwerber von der medizinischen Versorgung abgeschnitten würden, weil deren Registrierung bei den Gemeinden ("residenza") nicht mehr vorgesehen ist. Letzteres ist grundsätzlich richtig, allerdings unterscheidet Italien beim "Wohnsitz" zwischen "residenza" und "domicilio" (VB 19.2.2019). Nach der neuen Rechtslage ist die Einschreibung beim Nationalen Gesundheitsdienst für Asylwerber auf Basis des "domicilio" garantiert (CILD 1.2.2019), welcher üblicherweise im Aufnahmezentrum liegt. Somit ist auch für Asylwerber weiterhin die Ausstellung einer Gesundheitskarte ("tessera sanitaria") möglich, mit welcher sie Zugang zu den Leistungen erhalten. Zusätzlich sind in den Erstaufnahmezentren Ärzte beschäftigt, die neben medizinischen Erstuntersuchungen und Notfallmaßnahmen auch die nationalen Gesundheitsdienste entlasten sollen. Der Zugang zu medizinischer Notversorgung in öffentlichen Spitälern bleibt weiterhin bestehen, auch für illegale Migranten (VB 19.2.2019).
Im Sinne des Tarakhel-Urteils stellte Italien im Februar 2015 in einem Rundbrief eine Liste von Einrichtungen zur Verfügung, welche für die Unterbringung von Familien geeignet sind, welche als Dublin-Rückkehrer nach Italien kommen. Im Sinne der neuenRechtslage im Land hat Italien am 8. Jänner 2019 einen neuen Rundbrief versendet und auf die geänderten Gegebenheiten reagiert. Es wird darin bestätigt, dass in Übereinstimmung mit dem neuen Gesetz 132/2018, gemäß der Dublin-VO rücküberstellte Antragsteller nicht in SIPROIMI, sondern im Rahmen der Erstaufnahme (s.o.) untergebracht werden. Italien garantiert, dass diese Zentren dafür geeignet sein werden, um alle Arten von Betroffenen zu betreuen und die Einhaltung ihrer Grundrechte zu gewährleisten, vor allem die Familieneinheit und den Schutz Minderjähriger (MdI 8.1.2019).
Quellen:
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CILD - Coalizione Italiana Libertà e Diritti Civili (1.2.2019):
ANAGRAFE E DIRITTI: COSA CAMBIA COL DECRETO SALVINI. Know Your Rights, https://immigrazione.it/docs/2019/know-your-rights.pdf, Zugriff 26.2.2018
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MdI - Ministero dell'Interno (8.1.2019): Circular Letter, per E-Mail
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VB des BM.I Italien (25.2.2019): Auskunft des VB, per E-Mail
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VB des BM.I Italien (22.2.2019): Bericht des VB, per E-Mail
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VB des BM.I Italien (19.2.2019): Bericht des VB, per E-Mail
KI vom 18.12.2018, Sicherheits- und Immigrationsdekret (Salvini-Dekret); Asylstatistik (relevant für Abschnitt2/ Allgemeines zum Asylverfahren; Abschnitt 3/Dublin-Rückkehrer, Abschnitt 6/Unterbringung und Abschnitt 7/Schutzberechtigte)
Das Sicherheits- und Immigrationsdekret des italienischen Innenministers Matteo Salvini ist am 28.11.2018 vom italienischen Parlament endgültig als Gesetz angenommen worden (GF 3.12.2018; vgl. DS 28.11.2018, INT 27.11.2018).
Es sieht eine Reihe von Änderungen im Asylbereich vor. Um die wichtigsten zu nennen: Der humanitäre Aufenthalt, zuletzt die am häufigsten verhängte Schutzform in Italien, wird künftig nur noch für ein Jahr (bislang zwei Jahre) und nur noch als Aufenthaltstitel für "spezielle Fälle" vergeben, nämlich wenn erhebliche soziale oder gesundheitliche Gründe vorliegen, bzw. wenn im Herkunftsland außergewöhnliche Notsituationen herrschen. Schutzberechtigten, die bestimmte Straftaten begehen, kann der Status leichter wieder aberkannt werden. Ebenso können Migranten, denen bereits die italienische Staatsbürgerschaft verliehen wurde, diese wieder verlieren, wenn sie wegen Terrorismusdelikten verurteilt werden. Die Aufenthaltsdauer in den Abschiebezentren wird von maximal 90 auf 180 Tage verdoppelt. Es wird insgesamt weniger Geld für den Bereich Immigration zur Verfügung gestellt, dafür mehr für die Repatriierung. Das SPRAR-System der Unterbringung soll künftig nur noch für unbegleitete minderjährige Asylwerber und anerkannte Schutzberechtigte zugänglich sein, während andere Asylwerber bis zum Abschluss ihres Verfahrens in den CAS/CARA bleiben sollen. Auch ist vorgesehen, dass besetzte Gebäude geräumt und Besetzer bestraft werden sollen. Italien wird hinkünftig eine Liste sicherer Herkunftsstaaten führen (GF 3.12.2018; vgl. INT 27.11.2018, SO 29.11.2018).
Vulnerable Asylwerber mit Ausnahme unbegleiteter Minderjähriger haben demnach keinen Zugang zum SPRAR-System mehr. Diese Personen werden nun im Rahmen des CAS-Systems untergebracht. Das italienische Innenministerium hat hierzu bekannt gegeben, dass für CAS daher neue Ausschreibungsbedingungen ausgearbeitet wurden, die seitens der Präfekturen in Zukunft bindend herangezogen werden müssen. Es steht derzeit noch eine abschließende Prüfung durch den italienischen Rechnungshof aus, daher wurden diese noch nicht veröffentlicht. Seitens des italienischen Innenministeriums wurde jedoch betont, dass die Einhaltung sämtlicher europarechtlicher Bestimmungen (hier insbesondere die Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU) unter Wahrung der menschlichen Würde jedenfalls sichergestellt sei. Bei den Kernleistungen (Sozialbetreuung, Information, soziokulturelle Mediation, sanitäre Einrichtungen sowie Startpaket, Taschengeld und Telefonkarte) komme es zu keiner Kürzung oder Streichung. Lediglich Integrationsmaßnahmen seien in der neuen Systematik Personen mit internationalem Schutz vorbehalten (VB 17.12.2018).
Von der Neuregelung des Aufnahmesystems in Italien sind auch Dublin-Rückkehrer betroffen. Diese werden bereits aktuell nicht mehr im Rahmen des SPRAR-Systems, sondern im CAS untergebracht und laut italienischem Innenministerium kann eine adäquate Unterbringung sichergestellt werden (VB 17.12.2018).
Laut offizieller italienischer Statistik wurden im Jahr 2018 bis zum 14. Dezember 52.350 Asylanträge in Italien gestellt. Mit selbem Datum waren 2018 bereits 53.834 Anträge negativ erledigt (inkl. Unzulässige), 6.852 erhielten Flüchtlingsstatus, 4.132 erhielten subsidiären Schutz, 19.884 erhielten humanitären Schutz. 7.651 Antragsteller waren nicht mehr auffindbar (MdI 14.12.2018).
Quellen:
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DS - Der Standard (28.11.2018): Salvini pflügt Italiens Asylrecht radikal um,
https://derstandard.at/2000092626603/Salvini-pfluegt-via-Sicherheitsdekret-italienisches-Asylrecht-um, Zugriff 5.12.2018
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GF - Guida Fisco (3.12.2018): Decreto Sicurezza: riassunto del testo e cosa prevede su immigrazione, https://www.guidafisco.it/decreto-sicurezza-testo-cos-e-cosa-prevede-cambia-salvini-immigrazione-2157, Zugriff 5.12.2018
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MdI - Ministero dell'Interno (14.12.2018): Commissione Nazionale per il Diritto di Asilo, per E-Mail
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INT - Internazionale (27.11.2018): Cosa prevede il decreto sicurezza e immigrazione,
https://www.internazionale.it/bloc-notes/annalisa-camilli/2018/11/27/decreto-sicurezza-immigrazione-cosa-prevede, Zugriff 18.12.2018
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SO - Spiegel Online (29.11.2018): Italien verschärft seine Einwanderungsgesetze drastisch, http://www.spiegel.de/politik/ausland/fluechtlinge-italien-verschaerft-seine-einwanderungsgesetze-drastisch-a-1241091.html, Zugriff 5.12.2018
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VB des BM.I Italien (17.12.2018): Bericht des VB, per E-Mail
1. Allgemeines zum Asylverfahren
In Italien existiert ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit gerichtlichen Beschwerdemöglichkeiten (AIDA 21.3.2018; für ausführliche Informationen siehe dieselbe Quelle).
Laut offizieller italienischer Statistik wurden 2018 bis zum 21. September 42.613 Asylanträge in Italien gestellt. Mit selbem Datum waren 2018 38.512 Anträge negativ erledigt (inkl. unzulässige),
4.756 erhielten Flüchtlingsstatus, 2.838 erhielten subsidiären Schutz, 17.728 erhielten humanitären Schutz. 5.433 Antragsteller waren nicht mehr auffindbar (MdI 21.9.2018).
Die Asylverfahren nehmen je nach Region sechs bis fünfzehn Monate in Anspruch. Wenn Rechtsmittel ergriffen werden, kann sich diese Dauer auf bis zu zwei Jahren erstrecken (USDOS 20.4.2018).
Am 24.9.2018 hat Italiens Regierung ein Dekret verabschiedet, das Verschärfungen im Asylrecht vorsieht. Der Schutz aus humanitären Gründen würde weitgehend abgeschafft werden, besetzte Häuser sollen geräumt werden und deren Bewohnern drohen Haftstrafen. Auch die Regelungen für den Verlust des Schutzanspruchs würden verschärft werden. Das vom Kabinett einstimmig verabschiedete Dekret bleibt unter Juristen jedoch umstritten. Es muss nun vom Präsidenten unterzeichnet und dann innerhalb von 60 Tagen auch noch vom Parlament verabschiedet werden, bevor es in Kraft treten kann. In Anbetracht der umstrittenen Materie, kann es also noch zu einer Abschwächung des Dekrets kommen (NZZ 25.9.2018).
Quellen:
-
AIDA - Asylum Information Database (21.3.2018): Italian Council for Refugees (CIR) / Association for Legal Studies on Immigration (ASGI): Country Report: Italy,
http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2017update.pdf, Zugriff 3.8.2018
-
MdI - Ministero dell'Interno (21.9.2018): Commissione Nazionale per il Diritto di Asilo, per E-Mail
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NZZ - Neue Zürcher Zeitung (25.9.2018): Italien verschärft sein Asylrecht: Der Schutz aus humanitären Gründen wird abgeschafft, https://www.nzz.ch/international/italien-verschaerft-sein-asylrecht-ld.1422862, Zugriff 25.9.2018
-
USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017: Italy, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430262.html, Zugriff 24.9.2018
2. Dublin-Rückkehrer
Wenn Italien einer Überstellung ausdrücklich zustimmt, wird der Flughafen angegeben, welcher der für das konkrete Asylverfahren zuständigen Quästur am nächsten liegt. Wenn Italien durch Fristablauf zustimmt, landen Rückkehrer üblicherweise auf den Flughäfen Rom-Fiumicino und Mailand-Malpensa. Ihnen wird am Flughafen von der Polizei eine Einladung (verbale di invito) ausgehändigt, der zu entnehmen ist, welche Quästur für ihr Asylverfahren zuständig ist. Die Quästuren sind oft weit von den Ankunftsflughäfen entfernt und die Asylwerber müssen auf eigene Faust und zumeist auch auf eigene Kosten innerhalb weniger Tage dorthin reisen, was bisweilen problematisch sein kann(AIDA 21.3.2018).
Die Situation von Dublin-Rückkehrern hängt vom Stand ihres Verfahrens in Italien ab:
1. Wenn ein Rückkehrer noch keinen Asylantrag in Italien gestellt hat, kann er dies tun, so wie jede andere Person auch (AIDA 21.3.2018).
2. Ist das Verfahren des Rückkehrers in der Zwischenzeit positiv ausgegangen, hat er eine Aufenthaltserlaubnis erhalten (AIDA 21.3.2018).
3. Ist das Verfahren des Rückkehrers noch anhängig, wird es fortgesetzt und er hat dieselben Rechte wie jeder andere Asylwerber auch (AIDA 21.3.2018).
4. Wenn das Verfahren vor endgültiger Entscheidung unterbrochen wurde, etwa weil sich der Antragsteller diesem entzogen hat, und der Betreffende wird von Italien im Rahmen von Art. 18(1)(c) zurückgenommen, wird das Verfahren auf Antrag wieder aufgenommen (EASO 12.2015).
5. Bei Rückkehrern, die unter Art. 18(1)(d) und 18(2) fallen und welche Italien verlassen haben, bevor sie über eine negative erstinstanzliche Entscheidung informiert werden konnten, beginnt die Rechtsmittelfrist erst zu laufen, nachdem der Rückkehrer von der Entscheidung in Kenntnis gesetzt wurde (EASO 12.2015; vgl. AIDA 21.3.2018).
6. Wurde der Rückkehrer beim ersten Aufenthalt in Italien von einer negativen Entscheidung in Kenntnis gesetzt und hat dagegen nicht berufen, kann er zur Außerlandesbringung in ein Schubhaftlager gebracht werden (AIDA 21.3.2018).
7. Hat sich der Rückkehrer dem persönlichen Interview nicht gestellt und sein Antrag wurde daher negativ beschieden, kann er nach Rückkehr ein neues Interview beantragen (AIDA 21.3.2018).
(Für weitere Informationen, siehe Kapitel 6.3. Dublin-Rückkehrer.)
Quellen:
-
AIDA - Asylum Information Database (21.3.2018): Italian Council for Refugees (CIR) / Association for Legal Studies on Immigration (ASGI): Country Report: Italy,
http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2017update.pdf, Zugriff 3.8.2018
-
EASO - European Asylum Support Office (12.2015): Quality Matrix Report: Dublin procedure, per E-Mail
3. Unbegleitete minderjährige Asylwerber (UMA) / Vulnerable
In Italien gelten folgende Personenkreise als vulnerabel:
Minderjährige, unbegleitete Minderjährige, Schwangere, alleinstehende Eltern mit minderjährigen Kindern, Opfer von Menschenhandel, Opfer von Genitalverstümmelung und ernsthaft physisch oder psychisch Kranke sowie Alte, Behinderte, und Opfer von Folter, Vergewaltigung oder anderen Formen physischer, psychischer oder sexueller Gewalt. In Italien ist kein eigener Identifizierungsmechanismus für Vulnerable vorgegeben. Es gibt lediglich Leitfäden des Gesundheitsministeriums. Die Identifizierung ist in jeder Phase des Verfahrens durch am Verfahren beteiligte Personen, Beamte oder Betreuer möglich. Die zuständige erstinstanzliche Asylbehörde kann zur Absicherung eine medizinische Untersuchung verlangen. Wenn im Zuge des Interviews ein Vertreter der Behörde den Verdacht hat, es mit einer vulnerablen Person zu tun zu haben, kann er diese speziellen Diensten zuweisen. Wenn die Vulnerabilität eines Antragstellers festgestellt wurde, ist dessen Zugang zu angemessener medizinischer und psychologischer Versorgung und Betreuung sicherzustellen. Vulnerable werden im Verfahren prioritär behandelt (AIDA 21.3.2018).
Beim Schutz von Minderjährigen sind deren Reifegrad und Entwicklung zu berücksichtigen und es ist im besten Interesse des Kindes zu handeln. Der Schutz asylwerbender Minderjähriger wurde durch Gesetz 47/2017 gestärkt, das auch Regeln für die Altersfeststellung festlegt. Es besagt, dass in Ermangelung von Ausweispapieren und bei Zweifeln am Alter des Antragstellers, die Staatsanwaltschaft am Jugendgericht eine sozialmedizinische Untersuchung anordnen kann. Die Untersuchung wird im multidisziplinären Ansatz von entsprechend geschulten Fachkräften durchgeführt, mit möglichst nicht-invasiven Methoden und unter Achtung der Integrität der Person (AIDA 21.3.2018; vgl. CoE/GoI 10.4.2018).
Derzeit wird NGOs zufolge Gesetz 47/2017 aber nicht effektiv umgesetzt und das Alter lediglich mittels Handwurzelröntgen festgestellt und auch keine Schwankungsbreite berücksichtigt. Bis zum Ergebnis dauert es oft Monate und in dieser Zeit wird der Betroffene oft als Erwachsener behandelt. Für medizinische Untersuchungen ist jedenfalls die Zustimmung des Minderjährigen bzw. dessen Vormunds einzuholen (AIDA 21.3.2018). .
Wird den Behörden die Existenz eines unbegleiteten Minderjährigen bekannt, ist dies umgehend dem Staatsanwalt am Jugendgericht zur Kenntnis zu bringen, damit das Jugendgericht einen Vormund bestimmen kann, der für Schutz und Wohlergehen des Minderjährigen während des gesamten Asylverfahrens und danach zuständig ist. In der Zwischenzeit kann der Leiter der Unterbringung den UM beim Stellen eines Asylantrags unterstützen, aber der Vormund muss den UM auf den folgenden Stufen des Verfahrens vertreten. Derzeit ist die gebräuchlichste Vorgehensweise, dass der Bürgermeister der Gemeinde, in der der UM untergebracht ist, als Vormund eingesetzt wird und diese Aufgabe an Personen innerhalb der Gemeinde delegiert, die mit sozialen Aufgaben betraut sind. Ein Vormund kann maximal drei Minderjährige betreuen. Die Jugendgerichte führen zu diesem Zweck ein Register freiwilliger Vormunde, die von Amts wegen entsprechend geprüft und geschult werden (AIDA 21.3.2018).
Laut italienischen Gesetzen ist bei der Unterbringung auf spezifische Bedürfnisse der Asylwerber Rücksicht zu nehmen. Dies gilt insbesondere für Vulnerable. Legislativdekret 142/2015 sieht einen Gesundheitscheck in der Erstaufnahme vor, um auch spezielle Unterbringungsbedürfnisse erkennen zu können. Diese speziellen Unterbringungsmöglichkeiten sind auch in den SPRAR-Strukturen sicherzustellen. Die Bewertung spezieller Bedürfnisse wird in den Unterbringungseinrichtungen vorgenommen, allerdings nicht systematisch und je nach Qualität und Finanzlage des jeweiligen Zentrums unterschiedlich. Bei Familien ist auf jeder Unterbringungsstufe die Familieneinheit zu berücksichtigen. In der Praxis kann es vorkommen, dass der Familienvater bei den Männern untergebracht wird und die Mutter mit den Kindern bei den Frauen. Es ist auch möglich, dass eine Aufteilung auf verschiedene Zentren stattfindet, wobei die Kinder üblicherweise bei der Mutter bleiben. Familien können aus temporären Strukturen auf freie Plätze in SPRAR transferiert werden, da diese besser für Familien geeignet sind. Solche Transfers sind abhängig von der Zusammensetzung der Familie, Vorliegen von Vulnerabilität bzw. Gesundheitsproblemen und der Warteliste für SPRAR-Plätze (AIDA 21.3.2018).
Bei UMA ist bei der Unterbringung das beste Interesse des Kindes durch Gespräche zu evaluieren und zu berücksichtigen. In Erstaufnahmeeinrichtungen (etwa 60 mit zusammen 950 Plätzen sind für UMA geeignet) dürfen diese nur für begrenzte Zeit untergebracht werden. Laut Gesetz sind UM binnen zehn Tagen zu identifizieren und binnen 30 Tagen in eine SPRAR-Unterbringung zu verlegen. In dieser Zeit soll die Feststellung des Alters und der individuellen Bedürfnisse geschehen. Im Feber 2018 gab es landesweit 3.488 speziell für UMA gewidmete Plätze im SPRAR. Für UM gibt es, zum Unterschied von erwachsenen Asylwerbern, keinen zentralen Verteilungsmechanismus zwischen den Regionen. Folglich konzentrieren sich UM besonders in Sizilien, Kalabrien und der Lombardei (AIDA 21.3.2018; vgl. FMR 2.2018).
Bei einer Verknappung der Unterbringungsplätze in der Erstaufnahme können UM notfalls auch in CAS untergebracht werden (Ende 2017 gab es 77 CAS für UM in Italien), was von NGOs kritisiert wird. UM dürfen nicht in Zentren für Erwachsene oder Schubhaftzentren untergebracht werden, trotzdem gab es 2017 Fälle in denen Minderjährige in Zentren für Erwachsene oder gar nicht untergebracht wurden. UM werden jedenfalls bis sechs Monate nach Erreichen der Volljährigkeit untergebracht (AIDA 21.3.2018).
Es gibt Berichte über Probleme bei der Überweisung Vulnerabler und unbegleiteter Minderjähriger an geeignete Einrichtungen (USDOS 20.4.2018).
Unbegleitete Minderjährige dürfen nicht in CPR untergebracht werden. Behauptet ein Insasse eines CPR minderjährig zu sein, wird eine Altersfeststellung angeordnet und der Betreffende bis zum Vorliegen des Ergebnisses in einer Unterbringungseinrichtung für Minderjährige untergebracht (CoE/GoI 10.4.2018).
In Italien herrscht Schulpflicht bis zum Alter von 16 Jahren, das gilt auch für Fremde, die sich in Italien aufhalten, selbst wenn dieser Aufenthalt illegal ist. Diese Kinder haben Zugang zu öffentlichen Schulen wie italienische Kinder und haben dieselben Rechte auf Berücksichtigung besonderer Bedürfnisse. Einige Schulen zögern jedoch, eine hohe Zahl ausländischer Kinder zuzulassen. Die Schulen nahe den Aufnahmezentren haben oft nicht genug Plätze zur Verfügung und bisweilen verhindern auch die Eltern der ausländischen Kinder, oder die Kinder selbst, den Schulbesuch (AIDA 21.3.2018).
Laut offizieller italienischer Statistik wurden 2018 bis 21. September 3.286 unbegleitete minderjährige Asylwerber im Land registriert. Mit selbem Datum waren 2018 1.453 Anträge negativ erledigt (inkl. unzulässige), 329 erhielten Flüchtlingsstatus, 135 erhielten subsidiären Schutz, 4.798 erhielten humanitären Schutz. 183 Antragsteller waren nicht mehr auffindbar (MdI 21.9.2018).
Quellen:
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AIDA - Asylum Information Database (21.3.2018): Italian Council for Refugees (CIR) / Association for Legal Studies on Immigration (ASGI): Country Report: Italy,
http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2017update.pdf, Zugriff 3.8.2018
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CoE - Council of Europe - European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (10.4.2018): Response of the Italian Government to the report of the European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (CPT) on its visit to Italy from 7 to 13 June 2017,
https://www.ecoi.net/en/file/local/1428939/1226_1523350752_2018-14-inf-eng-pdf.pdf, Zugri