Entscheidungsdatum
20.05.2019Norm
BBG §40Spruch
W217 2218446-1/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Julia STIEFELMEYER als Vorsitzende und die Richterin Mag. Ulrike LECHNER, LL.M sowie die fachkundige Laienrichterin Verena KNOGLER, BA, MA, als Beisitzerinnen über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Wien, vom 22.03.2019, OB: XXXX , betreffend die Abweisung des Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses, in nicht-öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (in der Folge: BF) beantragte mit Schriftsatz vom 21.11.2018, eingelangt beim Sozialministeriumservice (in der Folge: belangte Behörde) am 23.11.2018, die Ausstellung eines Behindertenpasses, die Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" sowie die Ausstellung eines Parkausweises gemäß § 29b StVO 1960. Beigelegt wurde ein Konvolut an medizinischen Befunden.
2. Im von der belangten Behörde eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten von DDr. XXXX , FÄ für Orthopädie, vom 23.01.2019, basierend auf einer persönlichen Untersuchung des BF, wird im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
"Anamnese:
Microdiskektomie L4/5 am 2.5.2003, Lumboischialgie bds
Arterielle Hypertonie
Seit 2015 perianales Ekzem
Derzeitige Beschwerden:
‚2003 wurde eine Bandscheibenoperation durchgeführt, damals Schmerzen in das rechte Bein ausstrahlend, derzeit eher links ausstrahlend. Seit einem Insektenstich im Kreuz habe ich immer wieder eine offene Stelle, Salbenbehandlung. Mit der rechten Schulter habe ich keine Probleme mehr. Physiotherapie mache ich derzeit nicht, letzte Rehab. war 2003. Im Sitzen habe ich keine Beschwerden, Schmerzen beim Gehen nach einigen Schritten, das linke Bein lässt immer wieder aus. CK Wert ist immer wieder erhöht, habe Muskelschmerzen vor allem im Liegen, Besserung durch Aufstehen, Ursache konnte nicht gefunden werden.
Kann nur 20-30m gehen, Schmerzen von der LWS in die linke Wade. Schmerzmittel lehne ich ab.'
Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:
Medikamente: Thrombo ASS, Tebofortan, Psoracutan, Enstilar, Concor, Crestor, Oleovit D3
Allergie:0
Nikotin:0
Laufende Therapie bei Hausarzt Dr. XXXX
Sozialanamnese:
verwitwet, 1 Sohne, lebt alleine in Wohnung und im Sommer in EFH
Pensionist, Starkstrommonteur
Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):
Befund Dr. XXXX , Arzt für Allgemeinmedizin 21.11.2018 (Diskusherniation rechts mediolateral L4/L5 mit Pelottierung der intraspinalen Nervenwurzel von L5 rechts sowie hochgradige Pelottierung der intraforminellen Nervenwurzel von L4 Absolute Neuroforamenstenose rechts ausgeprägte Arthrose des Facettengelenkes L5/S1 links Einengung des Recessus lateralis links L5/S1 mediolaterale Discusprotrusion links L5/S1 mit Pelottierung der intrspinalen Nervenwurzeln von S1 sowie intraforaminären Nervenwurzel von L% links Flochgradige Neuroformanestenose links)
MRT der LWS 02.03.2018 (L4/5 zeigt sich eine rechts mediolaterale Diskushemiation
Segment L5/S1ausgeprägte Arthrose des Facettengelenke)
Entlassungsbericht 12.07.2003 (Lumboischialgie bei St.p. Diskektomie L4/L5 wegen Diskusprolaps PHS calcarea dext . Arterielle Hypertonie Hypercholesterinämie)
Befund Orthopädie OWS 12.5.2003 (Microdiskektomie L4/5 am 2.5.2003)
Untersuchungsbefund:
Allgemeinzustand: gut, 89a
Ernährungszustand: BMI 26,0
Größe: 170,00 cm Gewicht: 75,00 kg Blutdruck: 120/80
Klinischer Status - Fachstatus:
Caput/Collum: klinisch unauffälliges Hör- und Sehvermögen
Thorax: symmetrisch, elastisch
Atemexkursion seitengleich, sonorer Klopfschall, VA. HAT rein, rhythmisch.
Abdomen: klinisch unauffällig, keine pathologischen Resistenzen tastbar, kein Druckschmerz.
Integument: perianal Ekzem, nässend, Vorlagen.
Schultergürtel und beide oberen Extremitäten:
Rechtshänder. Der Schultergürtel steht horizontal, symmetrische Muskelverhältnisse.
Die Durchblutung ist ungestört, die Sensibilität wird als ungestört angegeben.
Die Benützungszeichen sind seitengleich vorhanden.
Sämtliche Gelenke sind bandfest und klinisch unauffällig.
Aktive Beweglichkeit: Schultern, Ellbogengelenke, Unterarmdrehung, Handgelenke, Daumen und Langfinger seitengleich frei beweglich. Grob- und Spitzgriff sind uneingeschränkt durchführbar. Der Faustschluss ist komplett, Fingerspreizen beidseits unauffällig, die grobe Kraft in etwa seitengleich, Tonus und Trophik unauffällig.
Nacken- und Schürzengriff sind endlagig eingeschränkt durchführbar.
Becken und beide unteren Extremitäten:
Freies Stehen sicher möglich, Zehenballengang und Fersengang beidseits mit Anhalten und ohne Einsinken durchführbar.
Der Einbeinstand ist mit Anhalten möglich. Die tiefe Hocke ist ansatzweise möglich.
Die Beinachse ist im Lot. Symmetrische Muskelverhältnisse.
Beinlänge ident.
Die Durchblutung ist ungestört, keine Ödeme, keine Varizen, die Sensibilität wird als ungestört angegeben. Die Beschwielung ist in etwa seitengleich.
Sämtliche Gelenke sind bandfest und klinisch unauffällig.
Aktive Beweglichkeit: Hüften, Knie, Sprunggelenke und Zehen sind annähernd frei beweglich.
Das Abheben der gestreckten unteren Extremität ist beidseits bis 60° bei KG 5 möglich.
Wirbelsäule:
Schultergürtel und Becken stehen horizontal, Lot weicht 3 cm nach rechts ab, ggr. großbogige skoliotisches Abweichen nach rechts, sonst regelrechte Krümmungsverhältnisse. Die Rückenmuskulatur ist symmetrisch ausgebildet. Mäßig Hartspann. Ggr. Klopfschmerz über der Wirbelsäule, ISG und Ischiadicusdruckpunkte sind frei.
Aktive Beweglichkeit:
HWS: in allen Ebenen endlagig eingeschränkt beweglich
BWS/LWS: FBA: 20 cm, F und S je 20° beweglich
Lasegue bds. negativ, Muskeleigenreflexe seitengleich untermittellebhaft auslösbar.
Gesamtmobilität - Gangbild:
Kommt selbständig gehend mit Halbschuhen ohne Hilfsmittel, das Gangbild ggr. verlangsamt, hinkfrei, teilweise kurzfristig unsicher mit Einsinken links, Richtungswechsel sicher ohne Anhalten.
Das Aus- und Ankleiden wird selbständig im Sitzen durchgeführt.
Status Psychicus:
Allseits orientiert; Merkfähigkeit, Konzentration und Antrieb unauffällig; Stimmungslage ausgeglichen.
Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:
Lfd. Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:
Pos. Nr.
GdB %
1
Perianales Ekzem Wahl dieser Position, da chronisch, jedoch geringe Ausdehnung.
01.01.01
10
2
Degenerative Veränderungen der Wirbelsäue, Zustand nach Bandscheibenoperation L4L/5, Lumboischialgie bds Unterer Rahmensatz, da rezidivierende Beschwerden bei fortgeschrittenen radiologischen Veränderungen mit mäßig eingeschränkter Beweglichkeit ohne Wurzelreizzeichen und ohne objektivierbares neurologisches Defizit.
02.01.02
30
3
Bluthochdruck
05.01.01
10
Gesamtgrad der Behinderung 30 v. H.
Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:
Leiden 1 wird durch die weiteren Leiden nicht erhöht, da kein ungünstiges Zusammenwirken vorliegt.
Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:
keine
Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten:
Kein Vorgutachten vorliegend
Begründung für die Änderung des Gesamtgrades der Behinderung:
X Dauerzustand
(...)"
3. Im Rahmen des hierzu erteilten Parteiengehörs führte der BF zum Untersuchungsbefund Becken und untere Extremitäten aus, dass für ihn freies Stehen immer nur für kurze Zeit möglich sei, um größere Schmerzen zu vermeiden, müsse er sich zwischendurch immer wieder hinsetzen. Hinsichtlich der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel erläuterte der BF, dass es innerhalb von 300-400m im Umkreis seiner Wohnung kein öffentliches Verkehrsmittel gebe. Um von seiner Wohnung die nächstgelegene U-Bahnstation zu erreichen, müsse er eine Wegstrecke von ca. 900 m zurücklegen, was für ihn nur unter großer Mühe zu bewältigen wäre. Abgesehen davon sei er beim Ein- und Aussteigen schon öfters gestürzt. Folglich sei für ihn eine sichere Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel nur mit einer Begleitperson möglich. An seinem Sommerwohnsitz sei er auf die Benützung des eigenen KFZ angewiesen, da der Weg vom Wohnsitz bis zur nächstgelegenen Einkaufsmöglichkeit bzw. Restaurant (täglich 2-Mal) ca. 5 km betrage und kein öffentliches Verkehrsmittel verfügbar sei. In der Beilage übermittelte der BF weitere Befunde.
4. Die bereits befasste FÄ für Orthopädie führte in ihrer Stellungnahme vom 15.03.2019 hierzu aus:
"Antwort(en):
AW erklärt sich mit dem Ergebnis der Begutachtung vom 21.01.2019 nicht einverstanden und bringt in der Stellungnahme vom 5.2.2019 vor, dass die Mobilität eingeschränkt sei, er zum nächsten öffentlichen Verkehrsmitteln zumindest 900 m zurücklegen müsse und er beim Ein-und Aussteigen schon öfters gestürzt sei.
Befunde:
Befund Dr. XXXX Arzt für Allgemeinmedizin 10.1.2019
(Medikamentenverordnung (ThromboASS, Tebofortan, Psorakutan, Enstilar, Concor, Crestor, Oleovit D3)
Entlassungsbericht RZ XXXX 4. 4. 2012 (Diagnosenliste:
Periarthropathia humeroscapularis calcarea beidseits, Lumboischialgie bei Zustand nach Diskektomie L4/L5, Bluthochdruck, Hypercholesterinämie unter Therapie, Diabetes mellitus Typ 2, diätetische einstellbar)
Bericht RZ XXXX 12.7.2003
Entlassungsbericht XXXX Spital 12.5.2003 (Lumboischialgie rechts, konservative Therapie)
MRT der LWS 18.4.2003
Befund Unfallabteilung Krankenhaus XXXX 3.9.1993 (Schambeinastfraktur links, Contusionen und Prellungen, konservative Therapie)
Bericht XXXX Krankenhaus 1.3.1985 (Ösophagustumor, Leiomyom, keine Malignitätszeichen)
Stellungnahme:
Maßgeblich für die Einstufung behinderungsrelevanter Leiden nach den Kriterien der EVO sind objektivierbare Funktionseinschränkungen unter Beachtung sämtlicher vorgelegter Befunde.
Die bei der Begutachtung am 21.01.2019 festgestellten Defizite im Bereich des Stütz- und Bewegungsapparates, wobei Leiden 2 das führende Leiden darstellt und durch die weiteren Leiden nicht erhöht wird, wurden in der Beurteilung hinsichtlich Einstufung nach der EVO und hinsichtlich beantragter Zusatzeintragung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in vollem Umfang berücksichtigt.
Höhergradige Funktionseinschränkungen, vor allem im Bereich der Wirbelsäule, konnten nicht festgestellt werden, sodass das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke von etwa 300-400 m nicht erheblich erschwert ist, das Überwinden von Niveauunterschieden möglich ist und der sichere Transport bei ausreichender Stand- und Gangsicherheit nicht erheblich erschwert ist. Eine Gehhilfe wird nicht verwendet.
Die vorgelegten Befunde stehen nicht in Widerspruch zu getroffener Einstufung, festgestellte Abnützungserscheinungen der LWS werden berücksichtigt.
Die weiteren vorgelegten Befunde beschreiben keine einschätzungsrelevanten Leiden.
Befunde, die neue Tatsachen, noch nicht ausreichend berücksichtigte Leiden oder eine maßgebliche Verschlimmerung belegen könnten, wurden nicht vorgelegt, sodass an der getroffenen Beurteilung festgehalten wird."
5. Mit Bescheid vom 22.03.2019 wies die belangte Behörde den Antrag des BF auf Ausstellung eines Behindertenpasses ab. Begründend wurde darin ausgeführt, dass im Ermittlungsverfahren zur Feststellung des Grades der Behinderung ein Gutachten eingeholte worden sei. Danach betrage der Grad der Behinderung 30%. Da somit die Voraussetzungen für die Ausstellung des Behindertenpasses nicht gegeben seien, sei der Antrag abzuweisen.
6. Mit Schreiben vom 27.04.2019 wurde vom BF fristgerecht Beschwerde gegen den Bescheid erhoben. Darin führte er aus, dass er für die Beibringung von weiteren ärztlichen Befunden noch etwas Zeit benötige. Für die Untersuchung bei seiner Neurologin habe er leider erst für den 13.05.2019 einen Termin bekommen. Es würden in der Folge noch einige weitere Termine bei diversen Fachärzten nötig sein, für die er auch noch Termine vereinbaren müsse. Sobald ihm alle entsprechenden Befunde vorliegen würde, werde er diese umgehend übermitteln.
7. Die gegenständliche Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 07.05.2019 von der belangten Behörde vorgelegt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der BF beantragte mit Schriftsatz vom 21.11.2018, eingelangt bei der belangten Behörde am 23.11.2018, die Ausstellung eines Behindertenpasses, die Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" sowie die Ausstellung eines Parkausweises gemäß § 29b StVO 1960.
Der BF hat seinen Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt im Inland.
Beim BF wurden folgende Funktionsstörungen festgestellt:
1. Perianales Ekzem (Pos.Nr. 01.01.01)
2. Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Zustand nach Bandscheibenoperation L4L/5, Lumboischialgie bds. (Pos.Nr. 02.01.02)
3. Bluthochdruck (Pos.Nr. 05.01.01)
Der Gesamtgrad der Behinderung des BF beträgt 30 v.H.
2. Beweiswürdigung:
Das Datum der Einbringung des gegenständlichen Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses basiert auf dem Akteninhalt.
Die Feststellung zum Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt des BF im Inland ergibt sich aus der Einsichtnahme im zentralen Melderegister.
Die Feststellung hinsichtlich des Gesamtgrades der Behinderung des BF in der Höhe von 30 v.H. beruht auf dem von der belangten Behörde eingeholten Sachverständigengutachten vom 23.01.2019 einer FÄ für Orthopädie, basierend auf der persönlichen Untersuchung des BF, sowie deren Stellungnahme vom 15.03.2019.
In diesem Gutachten wird auf die Art der Leiden des BF und deren Ausmaß ausführlich, schlüssig und widerspruchsfrei eingegangen. Die medizinische Sachverständige setzt sich auf Grundlage von persönlicher Begutachtung mit den vorgelegten Befunden, die im Gutachten angeführt sind, auseinander. Die getroffene Einschätzung, basierend auf dem im Rahmen einer persönlichen Untersuchung erhobenen Befund, entspricht der festgestellten Funktionsbeeinträchtigung.
Pos.Nr. 01. (Haut) der Anlage zur Einschätzungsverordnung lautet:
"01.01 Entzündliche, exanthematische, toxische, allergische, infektiöse, immunologische bzw. autoimmunologische, nicht entzündliche Erkrankungen und gutartige Neubildungen der Haut, sichtbarer Schleimhäute und der Hautanhangsgebilde; Narben, Fehlbildungen und Pigmentstörungen.
01.01.01 Leichte Formen 10 %
Weitgehend begrenzt, bis zu zweimal im Jahr für wenige Wochen auftretend, therapeutisch gut beherrschbar."
Die Sachverständige begründete die Heranziehung der im Rahmen der EVO angewandten Pos.Nr. 01.01.01 mit 10 %, dass zwar eine chronisch, aber geringe Ausdehnung bestehe. Die Einstufung ist somit korrekt erfolgt.
Pos.Nr. 02.01. (Wirbelsäule) der Anlage zur Einschätzungsverordnung lautet:
"02.01.01 Funktionseinschränkungen geringen Grades 10 - 20 %
Akute Episoden selten (2-3 Mal im Jahr) und kurzdauernd (Tage) Mäßige radiologische Veränderungen Im Intervall nur geringe Einschränkungen im Alltag und Arbeitsleben Keine Dauertherapie erforderlich
02.01.02 Funktionseinschränkungen mittleren Grades 30 - 40 %
Rezidivierende Episoden (mehrmals pro Jahr) über Wochen andauernd maßgebliche radiologische Veränderungen, andauernder Therapiebedarf wie Heilgymnastik, physikalische Therapie, Analgetika Beispiel:
Bandscheibenvorfall ohne Wurzelreizung (pseudoradikuläre Symptomatik)
30 %: Rezidivierende Episoden (mehrmals pro Jahr) über Wochen andauernd, maßgebliche radiologische Veränderungen, andauernder Therapiebedarf wie Heilgymnastik, physikalische Therapie, Analgetika
40 %: Rezidivierend und anhaltend, Dauerschmerzen eventuell episodische Verschlechterungen, maßgebliche radiologische und/oder morphologische Veränderungen maßgebliche Einschränkungen im Alltag und Arbeitsleben"
Die Sachverständige begründete die Heranziehung der im Rahmen der EVO angewandten Pos.Nr. 02.01.02 mit 30 %, sohin mit dem unteren Rahmensatz, da rezidivierende Beschwerden bei fortgeschrittenen radiologischen Veränderungen mit mäßig eingeschränkter Beweglichkeit ohne Wurzelreizzeichen und ohne objektivierbares neurologisches Defizit bestehen. Auch diese Einstufung ist somit korrekt erfolgt.
Die leichte Hypertonie ist nach der Anlage der Einschätzungsverordnung mit 10% zu berücksichtigen.
Diese Schlussfolgerungen der medizinischen Sachverständigen finden Bestätigung in ihren Aufzeichnungen bei der persönlichen Untersuchung am 21.01.2019 im Rahmen des oben wiedergegebenen Untersuchungsbefundes ("Integument: perianal Ekzem, nässend, Vorlagen. Wirbelsäule: Schultergürtel und Becken stehen horizontal, Lot weicht 3 cm nach rechts ab, ggr. großbogige skoliotisches Abweichen nach rechts, sonst regelrechte Krümmungsverhältnisse. Die Rückenmuskulatur ist symmetrisch ausgebildet. Mäßig Hartspann. Ggr. Klopfschmerz über der Wirbelsäule, ISG und Ischiadicusdruckpunkte sind frei. Aktive Beweglichkeit: HWS: in allen Ebenen endlagig eingeschränkt beweglich. BWS/LWS: FBA: 20 cm, F und S je 20° beweglich. Lasegue bds. negativ, Muskeleigenreflexe seitengleich untermittellebhaft auslösbar. Blutdruck: 120/80).
In ihrer Stellungnahme vom 15.03.2019 legte die Sachverständige klar, dass der GdB der führenden Gesundheitsschädigung unter Leiden 2 durch die weiteren Leiden nicht erhöht werde.
Die vom BF eingebrachte Beschwerde enthält kein substantielles Vorbringen, welches die Einholung eines weiteren Gutachtens erfordern würde. Der BF stützt sich lediglich auf neue Befunde, die er erst einzuholen beabsichtige.
Der BF ist dem von der belangten Behörde eingeholten Sachverständigengutachten sowie deren Stellungnahme nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten, steht es dem Antragsteller, so er der Auffassung ist, dass seine Leiden nicht hinreichend berücksichtigt wurden, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes doch frei, das im Auftrag der Behörde erstellte Gutachten durch die Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen seiner Wahl zu entkräften (vgl. etwa das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27.06.2000, Zl. 2000/11/0093). Seitens des Bundesverwaltungsgerichts bestehen keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit der vorliegenden Sachverständigengutachten. Das von der belangten Behörde eingeholte Sachverständigengutachten sowie deren Stellungnahme werden daher in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung zu Grunde gelegt.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchpunkt A)
1. Zur Entscheidung in der Sache
Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten:
"§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn
1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder
2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder
3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder
4. ...
5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.
(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpaß auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist.
§ 41. (1) Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3) oder ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn
1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder
2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder
3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.
§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum, eine allfällige Versicherungsnummer, den Wohnort und einen festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.
.....
§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.
(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.
(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen."
Wie oben unter Punkt II.2. ausgeführt, wird der gegenständlichen Entscheidung das von der belangten Behörde eingeholte Sachverständigengutachten sowie die Stellungnahme von 15.03.2019 zu Grunde gelegt, aus dem sich der Grad der Behinderung des BF von 30 v. H. ergibt.
Der BF ist den Ausführungen der beigezogenen medizinischen Sachverständigen, der das Bundesverwaltungsgericht folgt, nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten, er hat - wie bereits oben ausgeführt - kein aktuelles Sachverständigengutachten bzw. keine sachverständige Aussage vorgelegt, in welcher in sachverhaltsbezogener und rechtlich erheblicher Form die Auffassung vertreten worden wäre, dass die Befundnahme und Schlussfolgerung des dem gegenständlichen Verfahren beigezogenen medizinischen Sachverständigen unzutreffend oder unschlüssig sei.
Zum alleinigen Vorbringen des BF, das Problem sei der lange Anmarschweg zu öffentlichen Verkehrsmitteln, ist auf das Erkenntnis des VwGH vom 22.10.2001, Zl. 2001/11/0258, zu verweisen, wonach es für die Berechtigung der zusätzlichen Eintragung in den Behindertenpass hinsichtlich der "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernden Gesundheitsschädigung" entscheidend auf die Art und die Schwere der dauernden Gesundheitsschädigung und deren Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ankommt, nicht aber auf andere Umstände, die die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel erschweren.
Im gegenständlichen Fall beruhen die Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht in der Art und Schwere der Gesundheitsschädigung, sondern entscheidend in der Entfernung der nächstgelegenen Haltestelle zum Wohnsitz bzw. Sommerwohnsitz des BF.
Es bleibt dem BF unbenommen, mit neuen Befunden, sollte er daraus ein anderes Verfahrensergebnis ableiten wollen - dies im Wege eines neuen Antrages bei der belangten Behörde geltend zu machen.
2. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung
Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn
1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder
2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.
Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.
Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.
Der EGMR hat in seinen Entscheidungen vom 10. Mai 2007, Nr. 7401/04 (Hofbauer/Österreich Nr. 2), und vom 3. Mai 2007, Nr. 17.912/05 (Bösch/Österreich), unter Hinweis auf seine frühere Rechtsprechung dargelegt, dass der Beschwerdeführer grundsätzlich ein Recht auf eine mündliche Verhandlung vor einem Tribunal hat, außer es lägen außergewöhnliche Umstände vor, die eine Ausnahme davon rechtfertigten. Der EGMR hat das Vorliegen solcher außergewöhnlichen Umstände angenommen, wenn das Verfahren ausschließlich rechtliche oder "hoch-technische" Fragen ("exclusively legal or highly technical questions") betrifft. Der Gerichtshof verwies im Zusammenhang mit Verfahren betreffend ziemlich technische Angelegenheiten ("rather technical nature of disputes") auch auf das Bedürfnis der nationalen Behörden nach zweckmäßiger und wirtschaftlicher Vorgangsweise, das angesichts der sonstigen Umstände des Falles zum Absehen von einer mündlichen Verhandlung berechtige (VwGH 03.10.2013, 2012/06/0221).
In seinem Urteil vom 18. Juli 2013, Nr. 56.422/09 (Schädler-Eberle/Liechtenstein) hat der EGMR in Weiterführung seiner bisherigen Judikatur dargelegt, dass es Verfahren gebe, in denen eine Verhandlung nicht geboten sei, etwa wenn keine Fragen der Beweiswürdigung aufträten oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten seien, sodass eine Verhandlung nicht notwendig sei und das Gericht auf Grund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden könne (VwGH 03.10.2013, 2012/06/0221).
Im gegenständlichen Fall wurde der Grad der Behinderung des BF unter Mitwirkung eines ärztlichen Sachverständigen nach den Bestimmungen der Einschätzungsverordnung eingeschätzt. Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ist vor dem Hintergrund des vorliegenden Sachverständigengutachten geklärt. In der vorliegenden Beschwerde wurden ausschließlich Rechtsfragen aufgeworfen, zu deren Lösung im Sinne der Judikatur des EGMR eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist. Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union stehen somit dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG nicht entgegen.
Zu Spruchteil B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Dieser Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.
Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.
Schlagworte
Behindertenpass, Grad der Behinderung, SachverständigengutachtenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W217.2218446.1.00Zuletzt aktualisiert am
24.06.2019