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60/03 Kollektives Arbeitsrecht;Norm
ASVG §44 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Nowakowski und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde der S-GesmbH in P, vertreten durch Dr. Johannes Patzak, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Johannesgasse 16, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Burgenland vom 21. August 1998, Zl. 6-SO-N1159/9-1998, betreffend Beitragsnachverrechnung (mitbeteiligte Partei: Burgenländische Gebietskrankenkasse, 7001 Eisenstadt, Esterhazyplatz 3), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Die Bund (Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales) hat der beschwerdeführenden Gesellschaft Aufwendungen von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Kostenmehrbegehren der beschwerdeführenden Partei wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen, angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde der Beschwerdeführerin wegen "Nichtmeldung bzw. Unterversicherung sozialversicherungspflichtiger Dienstnehmer" einen Betrag von S 44.156,33 und einen Beitragszuschlag in der Höhe von S 6.524,18 zur Bezahlung vorgeschrieben.
Nach der Begründung des angefochtenen Bescheides wurden anläßlich einer am 8. August 1994 bei der Beschwerdeführerin durchgeführten Beitragsprüfung Feststellungen getroffen, die für zwei näher bezeichnete Dienstnehmer zu einer Nachverrechnung von Beiträgen und Sonderzahlungen für den Zeitraum Jänner 1991 bis Dezember 1993 sowie zur Verhängung eines Beitragszuschlages in der Höhe der Verzugszinsen von S 6.524,18 geführte hätten. Der Einspruch der Beschwerdeführerin habe sich gegen die Einstufung einer näher bezeichneten Dienstnehmerin gerichtet, die bisher in die Beschäftigungsgruppe 2 des Kollektivvertrages für das Gewerbe eingestuft gewesen ist, aber nach Auffassung der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse in Beschäftigungsgruppe 3 einzustufen gewesen wäre. Diese Dienstnehmerin sei - nach dem Einspruchsvorbringen der Beschwerdeführerin - als Verkäuferin von Elektrogeräten ohne fachliche und technische Kenntnisse, mit Vorbereitungsarbeiten der Buchhaltung für den Steuerberater (Belege, Ordner und Kassabuchführung) sowie mit einer monatlich gleichbleibenden Lohnkontenführung betraut gewesen, wobei Änderungen bei Lohn- und Gehaltsabrechnungen vom Steuerberater durchgeführt worden seien.
Nach den Feststellungen der belangten Behörde zu den Tätigkeitsmerkmalen für Angestellte des Gewerbes der Verwendungsgruppe II und III im genannten Kollektivvertrag zog die belangte Behörde daraus nach Hinweisen auf § 44 Abs. 1 und 49 Abs. 1 ASVG und auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach nicht der tatsächlich gezahlte, sondern der Anspruchslohn für die Beitragsbemessung maßgebend sei, folgende - den angefochtenen Bescheid allein
tragende - Schlußfolgerung:
"Vereint ein Dienstnehmer mehrere verschiedener Tätigkeiten, wenn auch nicht in seiner anspruchsvollsten Ausprägung, rechtfertigt gerade die Kombination und die erhöhte Schwierigkeit in der Vielseitigkeit die Einstufung in eine höhere Verwendungsgruppe. Bei gegebener Sach- und Rechtslage war daher spruchgemäß zu entscheiden."
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Beschwerdeführerin zieht in ihrer Beschwerde die zutreffende Rechtsauffassung der belangten Behörde, daß es für die Beitragsbemessung im Sinne der §§ 44 Abs. 1 und 49 ASVG auf den sogenannten "Anspruchslohn" ankommt, d.h., daß das dem Dienstnehmer zustehende Entgelt, nicht aber das tatsächlich gezahlte Entgelt für die Beitragsbemessung maßgebend ist, nicht mehr in Zweifel (vgl dazu etwa das Erkenntnis vom 30. März 1993, Zl. 92/08/0050 uva).
Sie bestreitet vielmehr ausschließlich die Richtigkeit der Einstufung der genannten Dienstnehmerin in Verwendungsgruppe III des maßgeblichen Kollektivvertrages; dies im wesentlichen mit der Begründung, daß bei dieser Dienstnehmerin kein so "hohes Maß an Eigenverantwortung" gegeben sei, welches die Einstufung in die Verwendungsgruppe III rechtfertige. Insbesondere ließen die Tätigkeiten der genannten Dienstnehmerinnen "keine Selbständigkeit bzw. Eigenständigkeit" erkennen. Leiste eine Dienstnehmerin mehrere Tätigkeiten, die jedoch allesamt in die Verwendungsgruppe II fielen, dann gehe es nicht an, allein durch die Mehrheit von Tätigkeiten eine Zugehörigkeit zur Verwendungsgruppe III anzunehmen.
Damit ist die Beschwedeführerin im Ergebnis im Recht:
Ungeachtet dessen, daß die belangte Behörde der Begründung des angefochtenen Bescheides nicht jene Sorgfalt hat zuteil werden lassen, die zur Nachvollziehbarkeit ihrer Gedankengänge erforderlich wäre, läßt sich der Begründung des angefochtenen Bescheides - gerade noch - zumindest entnehmen, daß die belangte Behörde offenbar die Behauptungen der Beschwerdeführerin über die Tätigkeiten der betroffenen Dienstnehmerin ihrer Entscheidung zugrunde gelegt und diese Tätigkeiten insgesamt der Verwendungsgruppe III des Kollektivvertrages zugeordnet hat. Eine Aussage dahingehend, daß eine Kumulierung von Tätigkeiten der Verwendungsgruppe II zu einer Einstufung in die Verwendungsgruppe III führe, ist hingegen dem angefochtenen Bescheid mit dieser Deutlichkeit (die zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes führen müßte) nicht zu entnehmen, zumal die belangte Behörde ausdrücklich von "mehreren verschiedenen Tätigkeiten" ausgeht, ohne diese einer gesonderten Qualifikation hinsichtlich ihrer Einstufung in die Verwendungsgruppen zu unterziehen.
Der aktenkundig gemachte, für das Unternehmen der beschwerdeführenden Partei (einem Gewerbebetrieb auf dem Gebiet der Elektroinstallationen) unbestrittenermaßen geltende Kollektivvertrag, abgeschlossen zwischen der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft, Sektion Gewerbe einerseits und dem Österreichischen Gewerkschaftsbund, Gewerkschaft der Privatangestellten, Sektion Industrie und Gewerbe andererseits vom 1. Jänner 1992 enthält 4 Paragraphe, darunter in § 2 ("Mindestgehälter") Gehaltstafeln für die Verwendungsgruppen I bis VI sowie M I bis M III, ohne ausdrückliche Bestimmungen darüber zu treffen, nach welchen Gesichtspunkten bei Mischverwendungen Arbeitnehmer in die eine oder andere Verwendungsgruppe einzuordnen sind.
In Ermangelung einer ausdrücklichen Bestimmung und vor dem Hintergrund des Erfordernisses, Dienstnehmer hinsichtlich ihrer gesamten Tätigkeit entweder in die eine oder die andere Verwendungsgruppe einzustufen, kann es daher - will man nach sachlichen Kriterien abgrenzen - nur auf die überwiegende Verwendung ankommen, sofern nicht eine zeitlich nicht überwiegende Verwendung wegen der besonderen Bedeutung für den Arbeitgeber dem Arbeitsverhältnis sein Gepräge gibt (vgl. OGH DRdA 1995, 29, Leitsatz 1 mit zustimmender Anmerkung von Csebrenyak).
Die Verwendungsgruppe II des Kollektivvertrages ist wie folgt umschrieben:
"Tätigkeitsmerkmale:
Angestellte, die einfache, nicht schematische oder mechanische Arbeiten nach gegebenen Richtlinien und genauer Arbeitsanweisung verrichten, für die in der Regel eine kurze Einarbeitungszeit erforderlich ist. Auch während der Einarbeitungszeit ist die Einreihung in die vorstehende Gruppe durchzuführen.
Vorgeschriebene Praxis:
...
Kaufmännische und administrative Angestellte,
z.B. Stenotypisten, Phonotypisten, Schreibkräfte für Textverarbeitungsanlagen, Fakturisten mit einfacher Verrechnung, Telefonisten mit Auskunftserteilung oder solche, die zehn oder mehr Nebenstellen bedienen, Fernschreiber, Werkstättenschreiber, die für größere Abteilungen oder mit vielseitigen Arbeiten beschäftigt sind, qualifizierte Hilfskräfte im Büro, Betrieb, Lager und Versand, qualifizierte Hilfskräfte an Buchungsmaschinen, soweit sie nicht auch eine der in Verwendungsgruppe III genannten Buchhaltungsarbeiten ausführen, Lohnrechner (das sind Angestellte, die ohne Rücksicht darauf, ob sie die Tätigkeit eines Lohnschreibers ausüben, auch die vorgeschriebenen Lohnsätze, Lohnabzüge und Lohnzuschläge errechnen und einsetzen, wenn sie diese Tätigkeit unter Anleitung von Angestellten einer höheren Verwendungsgruppe ausführen), Inkassanten, Verkäufer im Detailgeschäft, Tätigkeiten in der Datenerfassung zur Eingabe bzw. Übertragung von Daten auf Datenträger, einschließlich der Prüfung der eingegebenen Daten.
Technische Angestellte
..."
Verwendungsgruppe III ist wie folgt umschrieben:
Tätigkeitsmerkmale:
Angestellte, die nach allgemeinen Richtlinien und Weisungen technische oder kaufmännische Arbeiten im Rahmen des ihnen erteilten Auftrages selbständig erledigen.
Vorgeschriebene Praxis
...
Kaufmännische oder administrative Angestellte,
z.B. Korrespondenten, Übersetzer, Stenotypisten und Phonotypisten mit besonderer Verwendung, Stenotypisten und Phonotypisten mit einer Fremdsprache, Bürokräfte in Buchhaltung (das sind Kontenführer, Kontokorrentführer, Saldokontisten, Magazin, Material-, Lagerbuchhalter, auch wenn sie an Buchungsmaschinen oder sonstigen Anlagen, die der Erstellung der Erfolgsrechnung dienen, tätig sind), Lohn- und Gehaltsverrechner (das sind Angestellte, die über die Arbeit eines Lohnrechners hinaus die Lohn- und Gehaltslisten auszahlungsreif gestalten und allenfalls die im Lohnbüro erforderlichen Nacharbeiten, z.B. Abrechnung mit Sozialversicherungsträgern, Finanzamt, durchführen), Telefonisten mit regelmäßiger fremdsprachiger Auskunftserteilung, Sekretärin, Fakturisten mit einfachen Verrechnungsaufgaben, zu denen Branchenkenntnisse und Branchenerfahrungen notwendig sind, Kassiere ..., Angestellte im Ein- und Verkauf, Statistiker, Magazineure, Expedienten (ausgenommen Postexpedienten), Registraturleiter, Programmierer im Sinne obiger Tätigkeitsmerkmale, insbesondere während der Einarbeitung, Operator, Tätigkeiten in der Datenerfassung mit Aufsichts- oder Koordinierungsfunktion, Vertreter, Verkäufer im Detailgeschäft mit besonderen Fachkenntnissen oder Fremdsprachen, diplomiertes Krankenpflegepersonal.
Technische Angestellte
..."
Geht man davon aus, daß die belangte Behörde die Behauptungen der Beschwerdeführerin über die Tätigkeiten der Dienstnehmerin als Feststellungen übernehmen wollte, so fällt die Tätigkeit als Verkäuferin von Elektrogeräten ohne besondere Fachkenntnisse zweifelsfrei in jene der Verwendungsgruppe II. Hinsichtlich der Buchhaltungsarbeiten würde eine monatlich gleichbleibende Lohnkontenführung (sollte darunter bloß die Eintragung gleichbleibender Lohnbestandteile in die jeweiligen Rubriken eines Lohnkontos zu verstehen sein) ebenfalls höchstens in die Verwendungsgruppe II fallen, da diese (angenommenermaßen: gleichbleibende) Tätigkeit keinerlei eigenständige Berechnungsvorgänge beinhaltete und damit sogar hinter jener eines Lohnrechners noch zurückbliebe. Die Beschwerdeführerin fiele aber allenfalls als qualifizierte Hilfskraft an Buchungsmaschinen (sollte sie eine solche Tätigkeit überwiegend ausgeübt haben) dann dennoch unter die Verwendungsgruppe III, wenn sie zumindest eine der in Verwendungsgruppe III genannten Buchhaltungsarbeiten ausgeführt hätte; bei diesen handelt es sich um Kontenführung, Kontokorrentführung, sowie um die Tätigkeit eines Saldokontisten bzw. eines Magazin-, Material- oder Lagerbuchhalters.
Es zeigt sich daher, daß die Behauptungen der Beschwerdeführerin selbst bei ihrer Übernahme in die Tatsachenfeststellungen nicht ausreichen, um die Einstufung der Dienstnehmerin abschließend beurteilen zu können: Feststellungen anhand der Kriterien des Kollektivvertrages im Einzelnen, sowie zu der Frage, welche Tätigkeiten die Dienstnehmerin gegebenenfalls überwiegend ausgeübt hat, fehlen im angefochtenen Bescheid zur Gänze, weshalb sich dieser derzeit in der entscheidungswesentlichen Frage auch der nachprüfenden Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof entzieht.
Nach den Feststellungen des Kassenprüfers hat die betreffende Dienstnehmerin "Buchhaltung und Lohnverrechnung" verrichtet und als Verkäuferin im Geschäft gearbeitet. Die belangte Behörde wird unter Berücksichtigung der gegebenen Aktenlage daher durch geeignete Ermittlungsschritte (etwa Befragung der Organe der Beschwerdeführerin, sowie der Dienstnehmerin oder anderer Arbeitnehmer, die über deren Beschäftigung Auskunft geben können) zunächst festzustellen haben, welche konkreten Tätigkeiten die Dienstnehmerin in den hier maßgeblichen Zeiträumen verrichtet hat, insbesondere ob diese mit jener Beschreibung übereinstimmen, welche sich im Einspruch der beschwerdeführenden Partei finden. Die belangte Behörde wird dabei in der Begründung auch die von ihr selbst eingeholten Zeugenaussagen (vgl. die Niederschriften vom 5. Juli 1995) mitzuberücksichtigen haben, jedenfalls aber in der Begründung ihres Bescheides in nachvollziehbarer Weise darzulegen haben, von welchem Sachverhalt hinsichtlich der Tätigkeit der Dienstnehmerin die belangte Behörde ausgeht und aufgrund welcher Überlegungen sie diesen Sachverhalt als erwiesen angenommen hat.
Infolge der dargelegten Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes war der angefochtene Bescheid daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Die Stempelgebühren konnten im Hinblick auf die auch vor dem Verwaltungsgerichtshof geltende sachliche Gebührenfreiheit (vgl. § 110 ASVG) nicht zuerkannt werden.
Wien, am 16. Februar 1999
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1998080308.X00Im RIS seit
20.11.2000