Entscheidungsdatum
19.03.2019Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
G306 2183110-1/13E
G306 2183114-1/10E
G306 2183116-1/9E
G306 2183112-1/9E
G306 2183108-1/9E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dietmar MAURER als Einzelrichter über die Beschwerden 1.) des XXXX, geb. XXXX, 2.) der XXXX, geb. XXXX, 3.) des XXXX, geb. XXXX, 4.) des XXXX, geb. XXXX und 5.) der XXXX, geb. XXXX, allesamt StA.: Irak, vertreten durch Diakonie und Flüchtlingsdienst gem. GmbH, ARGE Rechtsberatung, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.12.2017, Zl.en XXXX, XXXX, XXXX, XXXX und XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 18.12.2018, zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerden werden als unbegründet a b g e w i e s e n !
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Erstbeschwerdeführer (im Folgenden: BF1), die Zweitbeschwerdeführerin (im Folgenden: BF2), der Drittbeschwerdeführer (im Folgenden: BF3), der Viertbeschwerdeführer (im Folgenden: BF4) sowie die Fünftbeschwerdeführerin (im Folgenden: BF5), die beiden Letztgenannten gesetzlich vertreten durch den BF1 und die BF2, der BF3 gesetzlich vertreten durch die BF2, stellten gemeinsam am 12.10.2015 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz gemäß § 2 Abs. 1 Z 13 des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005).
2. Am 09.11.2015 fand vor einem Organ der Bundespolizei die niederschriftliche Erstbefragung des BF1 und der BF2 statt.
3. Am 25.04.2017 wurden der BF1 und die BF2 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA), im Asylverfahren niederschriftlich einvernommen.
4. Mit den oben im Spruch angeführten Bescheiden des BFA, den beschwerdeführenden Parteien (im Folgenden: bfP) zugestellt am 18.12.2017, wurden die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt II.), ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm. § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Irak zulässig ist (Spruchpunkt V.), sowie gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise im Ausmaß von 2 Wochen festgelegt (Spruchpunkt VI.).
5. Mit per E-Mail am 09.01.2018 beim BFA eingebrachtem gemeinsamen Schriftsatz erhoben die bfP durch ihre Rechtsvertretung (im Folgenden: RV) Beschwerde gegen den zuvor genannten Bescheid an das Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG).
Darin wurde neben der Anberaumung einer mündlichen Verhandlung, jeweils in eventu, die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, sowie jener des subsidiär Schutzberechtigten, die Erklärung der dauerhaften Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung samt Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK, sowie die Zurückverweisung der Rechtssache zu neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde beantragt.
6. Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden dem BVwG vom BFA vorgelegt, wo sie am 17.01.2018 einlangten.
7. Am 18.12.2018 fand in der Grazer Außenstelle des BVwG eine mündliche Verhandlung statt, an jener die bfP sowie deren RV persönlich teilnahmen.
Die belangte Behörde wurde geladen, nahm jedoch entschuldigt an der Verhandlung nicht teil.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die bfP führen die im Spruch angeführten Identitäten (Namen und Geburtsdatum) und sind Staatsangehörige der Republik Irak. Die bfP sind Angehörige der Volksgruppe der Araber und bekennt sich der BF1 zum muslimisch-schiitischen und die BF2 zum muslimischen-sunnitischen Glauben. Es konnte nicht festgestellt werden, zu welcher konkreter muslimischen Glaubensrichtung sich die BF3 bis BF5 bekennen. Die Muttersprache der bfP ist arabisch.
Der BF1 und die BF2 sind miteinander verheiratet und leibliche Eltern des BF4 und der BF5. Der BF3 ist der leibliche Sohn der BF2.
Der BF1, die BF2 und der BF3 verließen den Irak am 02.09.2011, und reisten die bfP in weiterer Folge, nach einem längeren Aufenthalt in Syrien und der Türkei, während jenem der BF4 und die BF5 geboren wurden, ins Bundesgebiet ein, wo sie letztlich am 17.01.2018 die gegenständlichen Asylanträge stellten.
Der BF1, die BF2 und der BF3 lebten zuletzt in XXXXund halten sich weiterhin Familienangehörige des BF1 und der BF2 im Irak, konkret in XXXX, auf.
Der BF1 besuchte insgesamt 12 Jahre lang die Schule im Irak, maturierte und war bis zuletzt im Herkunftsstaat erwerbstätig.
Die BF2 besuchte ebenfalls mehrjährig die Schule, war jedoch nie erwerbstätig.
Der BF1, der BF3, der BF4 und die BF5 sind gesund, und der BF1 zudem arbeitsfähig.
Die BF2 leidet an chronischer Immunthyreoiditis Hashimoto mit latenter Hypothyreose, welche mit dem Medikament Thyrex 50 Mikrogramm behandelt wird. Sonst konnten weder weitere aktuelle und/oder lebensbedrohliche Erkrankungen bei der BF2 noch deren Arbeitsunfähig festgestellt werden.
Der BF1 und die BF2 besuchten Deutschsprachkurse in Österreich, und legte der BF1 eine Deutschsprachprüfung auf dem Niveau A2 erfolgreich ab. Bestimmte Deutschsprachkenntnisse konnten in Bezug auf die BF2 nicht festgestellt werden.
Der BF1 hat am XXXX2018 und die BF2 am XXXX2018 einen Werte- und Orientierungskurs in Österreich besucht.
Der BF3 besucht die Schule, der BF4 und die BF5 den Kindergarten im Bundesgebiet.
Der BF1 und die BF2 gehen keiner geregelten Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet nach, sondern leben die bfP überwiegend von Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung.
Der BF1 ging in den Zeiträumen 09.11.2018 bis 30.11.2018, 23.05.2018 bis 31.05.2018 sowie 21.04.2018 bis 30.04.2018 einer geringfügigen Beschäftigung nach. Die Entlohnung erfolgte durch Dienstleistungsschecks.
Bis auf eine Tochter der BF2 aus erster Ehe, XXXX, geb. XXXX1999, welcher mit XXXX2018 der Status der Subsidiär-Schutzberechtigten zuerkannt wurde, verfügen die bfP über keine familiären Anknüpfungspunkte in Österreich. Ein gemeinsamer Haushalt und/oder ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen der BF2 und der genannten Tochter konnte nicht festgestellt werden. Auch konnte kein besonderes Naheverhältnis festgestellt werden.
Mit Beschluss des BG XXXX, Zl. XXXX, vom XXXX2017 (AS 63 BF2), wurde die Obsorge von XXXX, der bis dahin alleine mit der Obsorge betrauten Kindsmutter, der BF2, gemäß § 181 Abs. 1 ABGB entzogen und in vollem Umfang auf das Land XXXX als Kinder- und Jugendhilfeträger alleine übertragen.
Die bfP erweisen sich in strafgerichtlicher Hinsicht als unbescholten.
Der BF1 ist im Rahmen eines Fußballteams, die BF2 im Rahmen von Koch- und Sportkursen in Österreich sozial engagiert.
Die bfP hatten mit den Behörden des Herkunftsstaates weder auf Grund ihres Religionsbekenntnisses oder ihrer Volksgruppenzugehörigkeit noch sonst irgendwelche Probleme.
Ein konkreter Anlass für das (fluchtartige) Verlassen des Herkunftsstaates konnte nicht festgestellt werden. Es konnte auch nicht festgestellt werden, dass die bfP im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Bedrohungsgefahr ausgesetzt sind oder dass sonstige Gründe vorliegen, die einer Rückkehr oder Rückführung (Abschiebung) in den Herkunftsstaat entgegenstehen würden.
Zur Lage im Herkunftsstaat:
Irak:
1. Politische Lage
Die politische Landschaft des Irak hat sich seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 enorm verändert (KAS 2.5.2018). Gemäß der Verfassung ist der Irak ein demokratischer, föderaler und parlamentarisch-republikanischer Staat (AA 12.2.2018), der aus 18 Provinzen (muhafazät) besteht (Fanack 27.9.2018). Artikel 47 der Verfassung sieht eine Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative vor (RoI 15.10.2005). Die Autonome Region Kurdistan ist Teil der Bundesrepublik Irak und besteht aus den drei nördlichen Provinzen Dohuk, Erbil und Sulaymaniya. Sie wird von einer Regionalverwaltung, der kurdischen Regionalregierung, verwaltet und verfügt über eigene Streitkräfte (Fanack 27.9.2018).
An der Spitze der Exekutive steht der irakische Präsident, der auch das Staatsoberhaupt ist. Der Präsident wird mit einer Zweidrittelmehrheit des irakischen Parlaments (majlis al-nuwwab, engl.: Council of Representatives, dt.: Repräsentantenrat), für eine Amtszeit von vier Jahren gewählt und genehmigt Gesetze, die vom Parlament verabschiedet werden. Der Präsident wird von zwei Vizepräsidenten unterstützt. Zusammen bilden sie den Präsidialrat (Fanack 27.9.2018).
Teil der Exekutive ist auch der Ministerrat, der sich aus dem Premierminister und anderen Ministern der jeweiligen Bundesregierung zusammensetzt (Fanack 27.9.2018; vgl. RoI 15.10.2005). Der Premierminister wird vom Präsidenten designiert und vom Parlament bestätigt (RoI 15.10.2005).
Am 2.10.2018 wählte das neu zusammengetretene irakische Parlament den moderaten kurdischen Politiker Barham Salih zum Präsidenten des Irak (DW 2.10.2018). Dieser wiederum ernannte den schiitischen Politik-Veteranen Adel Abd al-Mahdi zum Premierminister und beauftragte ihn mit der Regierungsbildung (BBC 3.10.2018). Abd al-Mahdi ist seit 2005 der erste Premier, der nicht die Linie der schiitischen Da'wa-Partei vertritt, die seit dem Ende des Krieges eine zentrale Rolle in der Geschichte Landes übernommen hat. Er unterhält gute Beziehungen zu den USA. Der Iran hat sich seiner Ernennung nicht entgegengestellt (Guardian 3.10.2018).
Der Premierminister führt den Vorsitz im Ministerrat und leitet damit die tägliche Politik (Fanack 27.9.2018)
Im Gegensatz zum Präsidenten, dessen Rolle weitgehend zeremoniell ist, liegt beim Premierminister damit die eigentliche Exekutivgewalt (Guardian 3.10.2018).
Die gesetzgebende Gewalt, die Legislative, wird vom irakischen Repräsentantenrat (Parlament) ausgeübt (Fanack 27.9.2018). Er besteht aus 329 Abgeordneten (CIA 17.10.2018; vgl. IRIS 11.5.2018).
Die konfessionell/ethnische Verteilung der politischen Spitzenposten ist nicht in der irakischen Verfassung festgeschrieben, aber seit 2005 üblich (Standard 3.10.2018). So ist der Parlamentspräsident gewöhnlich ein Sunnite, der Premierminister ist ein Schiite und der Präsident der Republik ein Kurde (Al Jazeera 15.9.2018).
In weiten Teilen der irakischen Bevölkerung herrscht erhebliche Desillusion gegenüber der politischen Führung (LSE 7.2018; vgl. IRIS 11.5.2018). Politikverdrossenheit ist weit verbreitet (Standard 13.5.2018). Dies hat sich auch in der niedrigen Wahlbeteiligung bei den Parlamentswahlen im Mai 2018 gezeigt (WZ 12.5.2018). Der Konfessionalismus und die sogennante "Muhassasa", das komplizierte Proporzsystem, nach dem bisher Macht und Geld unter den Religionsgruppen, Ethnien und wichtigsten Stämmen im Irak verteilt wurden, gelten als Grund für Bereicherung, überbordende Korruption und einen Staat, der seinen Bürgern kaum Dienstleistungen wie Strom- und Wasserversorgung, ein Gesundheitswesen oder ein Bildungssystem bereitstellt (TA 12.5.2018).
Viele sunnitische Iraker stehen der schiitischen Dominanz im politischen System kritisch gegenüber. Die Machtverteilungsarrangements zwischen Sunniten und Schiiten sowie Kurden festigen den Einfluss ethnisch-religiöser Identitäten und verhindern die Herausbildung eines politischen Prozesses, der auf die Bewältigung politischer Sachfragen abzielt (AA 12.2.2018).
Die Zeit des Wahlkampfs im Frühjahr 2018 war nichtsdestotrotz von einem Moment des verhaltenen Optimismus gekennzeichnet, nach dem Sieg über den sogenannten Islamischen Staat (IS) im Dezember 2017 (ICG 9.5.2018). Am 9.12.2017 hatte Haider al-Abadi, der damalige irakische Premierminister, das Ende des Krieges gegen den IS ausgerufen (BBC 9.12.2017). Irakische Sicherheitskräfte hatten zuvor die letzten IS-Hochburgen in den Provinzen Anbar, Salah al-Din und Ninewa unter ihre Kontrolle gebracht. (UNSC 17.1.2018).
Quellen:
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Al Jazeera (15.9.2018): Deadlock broken as Iraqi parliament elects speaker,
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BBC - British Broadcasting Corporation (3.10.2018): New Iraq President Barham Saleh names Adel Abdul Mahdi as PM, https://www.bbc.com/news/world-middle-east-45722528. Zugriff 18.10.2018
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CIA - Central Intelligence Agency (17.10.2018): The World Factbook
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The Guardian (3.10.2018): Iraqi president names Adel Abdul-Mahdi as next prime minister,
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Zugriff
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TA - Tagesanzeiger (12.5.2018): Im Bann des Misstrauens,
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UNSC - United Nations Security Council (17.1.2018): Report of the Secretary-General
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WZ - Wiener Zeitung (12.5.2018): Erste Wahl im Irak nach Sieg gegen IS stößt auf wenig Interesse, https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/welt/weltpolitik/964399_Erste-Wahl-im-Irak-nach-Sieg-gegen-IS-stoesst-auf-wenig-Interesse.html, Zugriff 23.10.2018
1.1. Parteienlandschaft
Es gibt vier große schiitische politische Gruppierungen im Irak: die Islamische Da'wa-Partei, den Obersten Islamischen Rat im Irak (OIRI) (jetzt durch die Bildung der Hikma-Bewegung zersplittert), die Sadr-Bewegung und die Badr-Organisation. Diese Gruppen sind islamistischer Natur, sie halten die meisten Sitze im Parlament und stehen in Konkurrenz zueinander - eine Konkurrenz, die sich, trotz des gemeinsamen konfessionellen Hintergrunds und der gemeinsamen Geschichte im Kampf gegen Saddam Hussein, bisweilen auch in Gewalt niedergeschlagen hat (KAS 2.5.2018)
Die meisten politischen Parteien verfügen über einen bewaffneten Flügel oder werden einer Miliz zugeordnet (Niqash 7.7.2016; vgl. BP 17.12.2017) obwohl dies gemäß dem Parteiengesetz von 2015 verboten ist (Niqash 7.7.2016; vgl. WI 12.10.2015). Milizen streben jedoch danach, politische Parteien zu gründen (CGP 4.2018) und haben sich zu einer einflussreichen politischen Kraft entwickelt (Niqash 5.4.2018; vgl. Guardian 12.5.2018).
Die sunnitische politische Szene im Irak ist durch anhaltende Fragmentierung und Konflikt gekennzeichnet, zwischen Kräften, die auf Provinz-Ebene agieren, und solchen, die auf
Bundesebene agieren. Lokale sunnitische Kräfte haben sich als langlebiger erwiesen als nationale (KAS 2.5.2018)
Die politische Landschaft der Autonomen Region Kurdistan ist historisch von zwei großen Parteien geprägt: der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) und der Patriotischen Union Kurdistans (PUK). Dazu kommen Gorran ("Wandel"), eine 2009 gegründete Bewegung, die sich auf den Kampf gegen Korruption und Nepotismus konzentriert, sowie eine Reihe kleinere islamistische Parteien (KAS 2.5.2018).
Abgesehen von den großen konfessionell bzw. ethnisch dominierten Parteien des Irak, gibt es auch nennenswerte überkonfessionelle politische Gruppierungen. Unter diesen ist vor allem die Iraqiyya/Wataniyya Bewegung des Ayad Allawi von Bedeutung (KAS 2.5.2018).
Die folgende Grafik veranschaulicht die Sitzverteilung im neu gewählten irakischen Parlament. Sairoon, unter der Führung des schiitischen Geistlichen Muqtada al-Sadrs, ist mit 54 Sitzen die größte im Parlament vertretene Gruppe, gefolgt von der Fath-Bewegung des Milizenführers Hadi al-Amiri und Haider al-Abadi's Nasr ("Victory")-Allianz (LSE 7.2018).
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Quelle: LSE - London School of Economics and Political Science (7.2018): The 2018 Iraqi Federal Elections, http://eprints.lse.ac.uk/89698/7/MEC_Iraqi-elections_Report_2018.pdf. Zugriff 2.11.2018
Die Wahl im Mai 2018 war von Vorwürfen von Unregelmäßigkeiten und Wahlbetrug begleitet (Al- Monitor 23.8.2018; vgl. Reuters 24.5.2018, Al Jazeera 6.6.2018). Eine manuelle Nachzählung der Stimmen, die daraufhin angeordnet wurde, ergab jedoch fast keinen Unterschied zu den zunächst verlautbarten Ergebnissen und bestätigte den Sieg von Muqtada al-Sadr (WSJ 9.8.2018; vgl. Reuters 10.8.2018). Die Mehrheit der Abgeordneten im Parlament ist neu und jung (WZ 9.10.2018). Im Prozess zur Designierung des neuen Parlamentssprechers, des Präsidenten und des Premierministers stimmten die Abgeordneten zum ersten Mal individuell und nicht in Blöcken - eine Entwicklung, die einen Bruch mit den üblichen, schwer zu durchbrechenden Loyalitäten entlang parteipolitischer, konfessioneller und ethnischer Linien, darstellt (Arab Weekly 7.10.2018).
Quellen:
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Al Jazeera (6.6.2018): Iraq orders recount of all 11 million votes from May 12 election, https://
www.aljazeera.com/news/2018/06/iraq-orders-recount-11-million-votes-12-election-
180606163950024.html. Zugriff 23.10.2018
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Al-Monitor (23.8.2018): Many Iraqi legislators call for canceling election results, https://www.almonitor.com/pulse/originals/2018/05/iraq-election-fraud.html. Zugriff 23.10.2018
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The Arab Weekly (7.10.2018): Room for optimism in Iraq under new leadership,
https://thearabweekly.com/room-optimism-iraq-under-new-leadership. Zugriff 23.10.2018
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militias-Nujaba. Zugriff 22.10.2018
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CGP - Center for Global Policy (4.2018): The Role of Iraq's Shiite Militias in the 2018 Elections, https://www.cgpolicy.org/wp-content/uploads/2018/04/Mustafa-Gurbuz-Policy-Brief.pdf, Zugriff 22.10.2018
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Fanack (27.9.2018): Governance & Politics of Iraq, https://fanack.com/iraq/governance-and- politics-of-iraq/. Zugriff 17.10.2018
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Niqash (5.4.2018): Formerly-Armed Angels? The Controversial Iraqi Militia That Now Prefers Social Work To Politics, http://www.niqash.org/en/articles/security/5873/. Zugriff 22.10.2018
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Reuters (19.5.2018): Cleric Moqtada al-Sadr's bloc wins Iraq election,
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election-idUSKCN1IJ2X0. Zugriff 19.10.2018
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SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (8.2016): Die "Volksmobilisierung" im Irak,
h
ttps://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2016A52_sbg.pdf.
Zugriff
22.10.2018
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SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Die Badr-Organisation: Irans wichtigstes
politisch-militärisches Instrument im Irak,
https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A27 sbg.pdf, Zugriff
22.10.2018
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WI - al-Waqä'i'a al-iräqiyya (12.10.2015): Law No. 36 of 2015 on Political Parties,
httPs://www.ilo.org/dvn/natlex/docs/ELECTRONIC/102986/124758/F1240401810/4383.pdf.
Zugriff 22.10.2018
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WoR - War on the Rocks (25.8.2017): Iraq's competing security forces after the battle for Mosul, https://warontherocks.com/2017/08/iraqs-competing-security-forces-after-the-battle-for-
mosul/, Zugriff 22.10.2018
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WSJ - Wall Street Journal (9.8.2018): Iraq Election Results Unchanged After Recount on Fraud Allegations, https://www.wsj.com/articles/iraq-election-results-unchanged-after-recounton-fraud-allegations-1533852653. Zugriff 23.10.2018
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WZ - Wiener Zeitung (9.10.2018): Schlüsselland Irak,
https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/welt/weltpolitik/994916_Schluesselland-Irak.html.
Zugriff 15.10.2018
1.2. Protestbewegung
Die Protestbewegung, die es schon seit 2014 gibt, gewinnt derzeit an Bedeutung. Zumeist junge Leute gehen in Scharen auf die Straße, fordern bessere Lebensbedingungen, Arbeitsplätze, Reformen, einen effektiven Kampf gegen Korruption und die Abkehr vom religiösen Fundamentalismus (WZ 9.10.2018). Im Juli 2018 brachen im Süden des Landes, in Basra, nahe den Ölfeldern West Qurna und Zubayr Proteste aus. Diese eskalierten, nachdem die Polizei in West Qurna auf Demonstranten schoss (ICG 31.7.2018). Reich an Ölvorkommen, liefert die Provinz Basra 80 Prozent der Staatseinnahmen des Irak. Unter den Einwohnern der Provinz wächst jedoch das Bewusstsein des Gegensatzes zwischen dem enormem Reichtum und ihrer eigenen täglichen Realität von Armut, Vernachlässigung, einer maroden Infrastruktur, Strom- und Trinkwasserknappheit (Carnegie 19.9.2018; vgl. NPR 27.9.2018).
Die Proteste im Juli weiteten sich schnell auf andere Städte und Provinzen im Süd- und Zentralirak aus (DW 15.7.2018; vgl. Presse 15.7.2018, CNN 17.7.2018, Daily Star 19.7.2018). So gingen tausende Menschen in Dhi Qar, Maysan, Najaf und Karbala auf die Straße, um gegen steigende Arbeitslosigkeit, Korruption und eine schlechte Regierungsführung, sowie die iranische Einmischung in die irakische Politik zu protestieren (Al Jazeera 22.7.2018). Die Proteste erreichten auch die Hauptstadt Bagdad (Joel Wing 25.7.2018; vgl. Joel Wing 17.7.2018). Am 20.7. wurden Proteste in 10 Provinzen verzeichnet (Joel Wing 21.7.2018). Demonstranten setzten die Bürogebäude der Da'wa-Partei, der Badr-Organisation und des Obersten Islamischen Rats in Brand; praktisch jede politische Partei wurde angegriffen (Al Jazeera 22.7.2018). Es kam zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften, sowie zu Todesfällen (Kurier 15.7.2018; vgl. CNN 17.7.2018, HRW 24.7.2018). Ende August war ein Nachlassen der Demonstrationen zu verzeichnen (Al Jazeera 3.8.2018). Im September flammten die Demonstrationen wieder auf. Dabei wurden in Basra Regierungsgebäude, die staatliche Fernsehstation, das iranische Konsulat, sowie die Hauptquartiere fast aller Milizen, die vom Iran unterstützt werden, angegriffen. Mindestens 12 Demonstranten wurden getötet (Vox 8.9.2018; vgl. NPR 27.9.2018).
Quellen:
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Al Jazeera (22.7.2018): Iraq protests: What you should know,
https://www.aljazeera.com/indepth/features/iraq-protests-180717074846746.html.
Zugriff
23.10.2018
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Al Jazeera (3.8.2018): Protests in Iraq dwindle after weeks of anger,
https://www.aljazeera.com/news/2018/08/protests-iraq-dwindle-weeks-anger-
180803192747710.html, Zugriff 24.10.2018