TE Bvwg Beschluss 2019/4/9 G308 2181656-1

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Veröffentlicht am 09.04.2019
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Entscheidungsdatum

09.04.2019

Norm

ASVG §410
AVG §69
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

G308 2181656-1/8E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin MMag. Angelika PENNITZ als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX, geboren am XXXX, XXXX, gesetzlich vertreten durch den gerichtlichen Erwachsenenvertreter Rechtsanwalt Mag. Stephan MEDWED, Sterneckstraße 43, 9020 Klagenfurt am Wörthersee, gegen den Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt, Landesstelle Kärnten, vom 07.11.2017, Zahl: XXXX, betreffend die amtswegige Wiederaufnahme des Verfahrens über den Anspruch auf Ausgleichszulage:

A) In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid zur Gänze aufgehoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Pensionsversicherungsanstalt, Landesstelle Kärnten, zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

1. Der Anspruch der Beschwerdeführerin auf Ausgleichszulage wurde mit Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt, Landesstelle Kärnten (im Folgenden: belangte Behörde) vom 11.11.2004 ab 01.03.2004 anerkannt und festgestellt, dass die Ausgleichszulage monatlich EUR 139,90 beträgt.

Der Bescheid basiert auf einem von der Beschwerdeführerin eingereichten Fragebogen zur Ausgleichszulage vom 04.11.2004. Dieselben Fragebögen wurden von der Beschwerdeführerin im November 2007, im Jänner 2011 und im Oktober 2014 eingereicht.

2. Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid der belangten Behörde, vom 07.11.2017 wurde das Verfahren über den Anspruch auf Ausgleichszulage der Beschwerdeführerin wieder aufgenommen und der Bescheid [der belangten Behörde, Anm.] vom 11.11.2004 aufgehoben (Spruchpunkt 1.). Weiters wurde der Antrag auf Ausgleichszulage abgelehnt, der entstandene Überbezug an Ausgleichszulage von EUR 33.650,79 zurückgefordert und ausgesprochen, dass der festgestellte Überbezug in Raten von EUR 100,00 von der monatlichen Leistung abgezogen und zur Deckung des Überbezugs von den jährlichen Sonderzahlungen im April und Oktober jeweils die Hälfte einbehalten wird (Spruchpunkt 2.).

Nach Zitierung der Rechtsgrundlagen, und zwar "Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG) §§ 103, 107, 292, 293, 294, 296, 298 und 360b" sowie "Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz (AVG) §§ 69 und 70" führte die belangte Behörde wörtlich begründend aus:

"Die Ausgleichszulage gebührt in der Höhe des Unterschiedes zwischen der Summe aus Pension, dem übrigen Nettoeinkommen und den Beträgen aus Unterhaltsansprüchen einerseits und dem in Betracht kommenden Richtsatz andererseits, solange die pensionsberechtigte Person ihren rechtmäßigen, gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat.

Als Folge der Änderung des Einkommens ist die Ausgleichszulage in der wie im Spruch dieses Bescheides angeführten Höhe festzusetzen.

Der Pensionsversicherungsträger hat bei einer Änderung der für die Zuerkennung der Ausgleichszulage maßgebenden Sach- und Rechtslage die Ausgleichszulage neu festzustellen.

Die Änderung des Nettoeinkommens bzw. die Umstände, die eine Änderung des Richtsatzes bedingen, wurden nicht innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Frist gemeldet.

Der entstandene Überbezug ist daher rückzufordern.

Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anderes lautenden Bescheid herbeigeführt hätten. Unter den gleichen Voraussetzungen kann die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen erfolgen.

Das anrechenbare Einkommen hat sich geändert.

Das Verfahren war daher wiederaufzunehmen.

[Rechtsmittelbelehrung]"

3. Mit Schriftsatz des gerichtlichen Erwachsenenvertreters vom 05.12.2017 erhob die Beschwerdeführerin Beschwerde gegen den oben angeführten Bescheid. Begründend wurde ausgeführt, dass die belangte Behörde zur Wiederaufnahme des Verfahrens in ihrer Begründung lediglich ausgeführt habe, dass sich das anrechenbare Einkommen geändert hätte. Der Bescheid leide an erheblichen Verfahrensmängeln und inhaltlicher Rechtswidrigkeit. Gemäß § 69 Abs. 3 AVG könne nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheides die Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z 1 stattfinden. Dabei handle es sich um jene Fälle, in denen der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonst wie erschlichen worden sei. In jedem Fall müsse das Verhalten vorsätzlich begangen worden sein. Der ursprüngliche Bescheid stamme vom 11.11.2004 und sei daher bereits 13 Jahre alt. Aus dem bekämpften Bescheid könne nicht entnommen werden, wieso die belangte Behörde vermeine, dass der Bescheid durch eine solche Handlung des § 69 Abs. 1 Z 1 AVG herbeigeführt oder erschlichen worden sei. Der Bescheid erweise sich bereits deshalb als rechtswidrig. Der angefochtene Bescheid entspreche zudem in keinster Weise dem in § 60 AVG vorgesehenen Ermittlungsverfahren und den Anforderungen an eine Bescheidbegründung. Gegenständlich liege eine Scheinbegründung vor. Es werde beantragt, den angefochtenen Bescheid ersatzlos zu beheben.

4. Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden von der belangten Behörde vorgelegt und langten am 04.01.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

In der gemeinsam mit den Verwaltungsakten vorgelegten Stellungnahme der belangten Behörde vom 29.12.2017 führte diese aus, dass der belangten Behörde im Jahr 2016 durch Zufall bekannt geworden sei, dass die Beschwerdeführerin jedenfalls bereits seit Pensionsbeginn 2004 mehrere Eigentumswohnungen besitze und daraus monatliche Mieteinkünfte erziele, die jedenfalls einen Bezug einer Ausgleichszulage ausschließen würden. Dies sei vom Sachwalter der Beschwerdeführerin bestätigt und darüber hinaus mitgeteilt worden, dass die Beschwerdeführerin keine Einkommenssteuererklärungen vorgenommen habe.

Die Unterlassungen der Beschwerdeführerin bzw. ihrer ehemaligen Sachwalterin würden nach Ansicht der belangten Behörde den strafrechtlichen Tatbestand des schweren gewerbsmäßigen Betruges gemäß § 147 f StGB im Sinne von § 69 Abs. 1 Z 1 AVG erfüllen. Die Wiederaufnahme des gegenständlichen Verfahrens sei jedenfalls zu Recht erfolgt, da der Beschwerdeführerin von Beginn an keine Ausgleichszahlungen gebührt hätten. Die belangte Behörde beantrage die Beschwerde zurück-, in eventu abzuweisen.

5. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 08.01.2018 wurde der Vorlagebericht der belangten Behörde dem gesetzlichen Erwachsenenvertreter der Beschwerdeführerin zur Stellungnahme vorgelegt.

6. Am 02.02.2018 langte die Stellungnahme der Beschwerdeführerin vom selben Tag beim Bundesverwaltungsgericht ein. Nach Ansicht der Beschwerdeführerin liege schon deshalb kein Wiederaufnahmegrund vor, weil es für die belangte Behörde leicht zu ermitteln gewesen wäre (etwa durch eine Grundbuchsabfrage), dass diese mehrere Eigentumswohnungen besitze. Weiters liege keine Irreführungsabsicht vor, da sich etwa aus den vorgefundenen steuerlichen Unterlagen aus dem Jahr 2013 ergebe, dass die Beschwerdeführerin in diesem Jahr insgesamt Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von EUR 516,40 erwirtschaftet habe. Bei einem Steuerfreibetrag von EUR 730,00 ergebe sich daraus keine Erklärungspflicht. Es sei davon auszugehen, dass sich die Situation in den übrigen Jahren ähnlich dargestellt habe. Jedenfalls habe die Beschwerdeführerin keine Absicht gehabt, sich Leistungen zu erschleichen.

7. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 05.03.2019 wurde der belangten Behörde die Stellungnahme der Beschwerdeführerin zur Gegenäußerung übermittelt.

Die belangte Behörde nahm mit Schreiben vom 22.03.2019, am 25.03.2019 beim Bundesverwaltungsgericht einlangend, Stellung und führte zusammengefasst aus, dass entgegen der Behauptung der Beschwerdeführerin der angefochtene Bescheid nicht rechtswidrig sei, da aus dem Spruch klar ersichtlich sei, dass der Antrag auf Ausgleichszulage von Anfang an abgelehnt wird. Die Mitarbeiter der belangten Behörde hätten in ihrer EDV auch nicht die Möglichkeit, eine Grundbuchsabfrage durchzuführen und sei es auch nicht ihre Aufgabe, die diesbezüglichen Angaben der Beschwerdeführerin zu überprüfen. Es treffe die Leistungsbezieher eine gesetzliche Meldepflicht gemäß § 40 ASVG. Diese beziehe sich gemäß § 292 ASVG auf jedes Nettoeinkommen und nicht nur auf Einkommen im Sinne des Steuerrechts oder ab einer bestimmten Höhe.

8. Mit Schreiben vom 27.03.2019 teilte die Beschwerdeführerin durch ihren Erwachsenenvertreter mit, dass in den Fragebögen betreffend Ausgleichszulage 2004, 2007, 2011 und 2014 nach Einkünften, und nicht nach bestehendem Eigentum gefragt wurde. Einkünfte lagen jedoch nicht vor, so dass seitens der Beschwerdeführerin völlig korrekt geantwortet wurde. Es fehlte jedenfalls jegliche Absicht die Behörde in die Irre zu führen.

Weiters wurden vorgelegt Kaufverträge und ein Beschluss des BG Klagenfurt zu den diversen Wohnungen, und auf die wirtschaftlich schlechte Lage der Beschwerdeführerin verwiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

Der relevante Sachverhalt ergibt sich aus den unter Punkt I. getroffenen Ausführungen.

2. Beweiswürdigung:

Der festgestellte Sachverhalt steht aufgrund der außer Zweifel stehenden und von den Parteien nicht beanstandeten Aktenlage fest.

Die Beschwerdeführerin wird im gegenständlichen Verfahren von einem Sachwalter bzw. nunmehr gerichtlichen Erwachsenenvertreter vertreten. Die belangte Behörde hat nicht ermittelt, seit wann die Beschwerdeführerin bereits besachwaltert war und in welchem konkreten Umfang sie der Sachwalterschaft unterlag. Es steht somit nicht fest, dass die Beschwerdeführerin die übermittelten Formulare zur Ausgleichszulage selbst ausgefüllt hat oder dazu und auch zur Unterzeichnung derselben tatsächlich berechtigt gewesen war. Ein entsprechender Vorhalt oder ein Parteiengehör erfolgte nicht.

Die belangte Behörde hat auch keinerlei nähere Ermittlungen zum Vorliegen eines - allfälligen - Straftatbestandes in objektiver und subjektiver Hinsicht durchgeführt.

Der angefochtene Bescheid erweist sich als mangelhaft. Er enthält weder Feststellungen über den zugrundeliegenden Sachverhalt und eine Bescheidbegründung, noch hat dazu ein adäquates Ermittlungsverfahren stattgefunden.

Zudem erfolgte im angefochtenen Bescheid keine Subsumtion unter einen Tatbestand des § 69 Abs. 1 AVG. Welcher Wiederaufnahmegrund nun seitens der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid aufgegriffen wurde, ergibt sich aus diesem nicht. Eine rechtliche Überprüfung der Zulässigkeit der Wiederaufnahme des Verfahrens ist daher nicht möglich.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

3.1. Gemäß § 28 Absatz 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Absatz 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Absatz 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen, im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Ausführlich hat sich der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014,

Ro 2014/03/0063, (ebenso VwGH 27.01.2015, Ro 2014/22/0087) mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet:

Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stelle die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis stehe diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat.

Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. VwGH 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063).

Gemäß § 60 AVG sind in der Begründung eines Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Die Begründung eines Bescheides bedeutet die Bekanntgabe der Erwägungen, aus denen die Behörde zur Überzeugung gelangt ist, dass ein bestimmter Sachverhalt vorliegt und dass damit der Tatbestand einer bestimmten Rechtsnorm verwirklicht ist. Die Begründung eines Bescheides hat Klarheit über die tatsächlichen Annahmen der Behörde und ihre rechtlichen Erwägungen zu schaffen. In sachverhaltsmäßiger Hinsicht hat sie daher alle jene Feststellungen in konkretisierter Form zu enthalten, die zur Subsumierung dieses Sachverhaltes unter die von der Behörde herangezogene Norm erforderlich sind. Denn nur so ist es möglich, den Bescheid auf seine Rechtsrichtigkeit zu überprüfen (VwGH 23.11.1993, Zl. 93/04/0156; 13.10.1991, Zl. 90/09/0186; 28.07.1994, Zl. 90/07/0029).

Wie sich aus den folgenden Erwägungen ergibt, ist dies in der gegenständlichen Rechtssache von der belangten Behörde jedoch in qualifizierter Weise unterlassen worden.

3.2. Der mit "Wiederaufnahme des Verfahrens" betitelte § 69 AVG lautet:

"§ 69. (1) Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und:

1. der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist oder

2. neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten, oder

3. der Bescheid gemäß § 38 von Vorfragen abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. vom zuständigen Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde;

4. nachträglich ein Bescheid oder eine gerichtliche Entscheidung bekannt wird, der bzw. die einer Aufhebung oder Abänderung auf Antrag einer Partei nicht unterliegt und die im Verfahren die Einwendung der entschiedenen Sache begründet hätte.

(2) Der Antrag auf Wiederaufnahme ist binnen zwei Wochen bei der Behörde einzubringen, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, wenn dies jedoch nach der Verkündung des mündlichen Bescheides und vor Zustellung der schriftlichen Ausfertigung geschehen ist, erst mit diesem Zeitpunkt. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheides kann der Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden. Die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen.

(3) Unter den Voraussetzungen des Abs. 1 kann die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheides kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z 1 stattfinden.

(4) Die Entscheidung über die Wiederaufnahme steht der Behörde zu, die den Bescheid in letzter Instanz erlassen hat."

3.2.1. Die Wiederaufnahme von Amts wegen ist daher aus denselben Gründen, aus denen die Partei einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens stellen kann, zulässig. Die Wiederaufnahme steht der Behörde auch in Bezug auf ein durch Bescheid rechtskräftig abgeschlossenes Verfahren zu, wobei die Wiederaufnahme von Amts wegen das Vorliegen eines Tatbestandes des § 69 Abs. 1 AVG voraussetzt (vgl VwGH vom 28.09.1993, 93/12/0253). Die Wiederaufnahmegründe des § 69 Abs. 1 Z 2 bis 4 AVG können nur innerhalb einer objektiven Frist von drei Jahren wahrgenommen werden. Die amtswegige Wiederaufnahme auf der Grundlage des § 69 Abs. 1 Z 1 AVG ist jedoch an keine Frist gebunden. Eine subjektive Frist für die amtswegige Wiederaufnahme ist nicht vorgesehen. Zuständig für die Wiederaufnahme ist dabei jene Behörde, die den Bescheid in letzter Instanz erlassen hat (vgl Hengstschläger/Leeb, AVG 4. Teilband, § 69 Rz 75 ff).

Dem Verwaltungsakt kann weder ein durchgeführtes Ermittlungsverfahren noch die Gewährung eines solchen Parteiengehörs entnommen werden.

Dem Bundesverwaltungsgericht ist jedoch eine nachfolgende Überprüfung des erstinstanzlichen Bescheides verwehrt, da eine Sachverhaltsfeststellung samt Beweiswürdigung und daraus resultierender Begründung dem angefochtenen Bescheid nicht zu entnehmen ist.

Die belangte Behörde verkennt dabei, dass es sich gegenständlich nicht ausschließlich um einen Leistungsbescheid, sondern bezogen auf die Wiederaufnahme des Verfahrens um einen Bescheid in Verwaltungssachen handelt. Sie hätte demnach gemäß den Bestimmungen des § 360b ASVG jene des AVG anzuwenden gehabt.

Die Wahrung des Parteiengehörs, das zu den fundamentalen Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit der Hoheitsverwaltung gehört, ist von Amts wegen, ausdrücklich, in förmlicher Weise und unter Einräumung einer angemessenen Frist zu gewähren (vgl etwa VwGH vom 02.09.2013, 2012/08/0085, vom 22.04.2015, 2012/10/0239). Das Parteiengehör besteht nicht nur darin, den Parteien im Sinn des § 45 Abs. 3 AVG Gelegenheit zu geben, vom Ergebnis einer Beweisaufnahme Kenntnis zu erlangen und dazu Stellung zu nehmen, sondern ihnen ganz allgemein zu ermöglichen, ihre Rechte und rechtlichen Interessen geltend zu machen, mithin Vorbringen zu gegnerischen Behauptungen zu erstatten, Beweisanträge zu stellen und überhaupt die Streitsache zu erörtern (vgl VwGH vom 09.05.2017, Ro 2014/08/0065, mit Verweis auf VwGH vom 20.12.2005, 2005/12/0157).

Die belangte Behörde hat praktisch überhaupt kein Ermittlungsverfahren durchgeführt und wesentliche Verfahrens- und Parteienrechte verletzt.

3.2.2. In Anbetracht der zwischen dem ersten Bescheid aus dem Jahr 2004 und der Wiederaufnahme des Verfahrens im Jahr 2017 verstrichenen Zeit wäre zudem nur ein Tatbestand des § 69 Abs. 1 Z 1 AVG (gerichtlich strafbare Handlung oder Erschleichung des Bescheides) zur Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen geeignet gewesen.

Dazu ist auszuführen, dass das Vorliegen der gerichtlich strafbaren Handlung nicht durch ein gerichtliches Urteil erweisen und festgestellt worden sein muss (vgl VwGH vom 08.05.1998, 97/19/0132; vom 18.02.2002, 99/10/0238). Wenn es bislang zu keiner Verurteilung durch ein Gericht gekommen ist, hat die wieder aufnehmende Behörde selbst als Vorfrage zu prüfen und zu beurteilen, ob es sich um ein gerichtlich strafbares Verhalten handelt, durch das der Bescheid herbeigeführt wurde (vgl VwGH vom 18.02.2002, 99/10/0238). Die Begehung der Straftat muss von der das Verfahren wieder aufnehmenden Behörde aufgrund der ihr vorliegenden Unterlagen als erwiesen angenommen werden, ein bloßer Verdacht, dass eine gerichtlich strafbare Handlung vorliegt, reicht nicht aus (vgl VwGH vom 24.03.1988, 87/08/0298; 19.04.1994, 93/11/0271). Es muss dabei feststehen, dass die objektive und subjektive Tatseite der gerichtlich strafbaren Handlung erfüllt sind (vgl VwGH vom 24.03.1980, 810/79, ua) und kein Rechtfertigungsgrund vorliegt (vgl Hengstschläger/Leeb, AVG § 69 Rz 11 (Stand 01.04.2009, rdb.at)).

Die belangte Behörde hat weiters auch keinerlei nähere Ermittlungen zum Vorliegen eines - allfälligen - Straftatbestandes in objektiver und subjektiver Hinsicht durchgeführt.

Insbesondere zur subjektiven Tatseite wäre zu berücksichtigen, dass die Beschwerdeführerin im gegenständlichen Verfahren von einem Sachwalter bzw. nunmehr gerichtlichen Erwachsenenvertreter vertreten wird. Die belangte Behörde hat nicht ermittelt, seit wann die Beschwerdeführerin bereits besachwaltert war und in welchem konkreten Umfang sie der Sachwalterschaft unterlag. Es steht somit nicht fest, dass die Beschwerdeführerin die übermittelten Formulare zur Ausgleichszulage selbst ausgefüllt hat oder dazu und auch zur Unterzeichnung derselben tatsächlich berechtigt gewesen war und somit objektive sowie subjektive Tatseite eines Straftatbestandes (welches Tatbestandes auch immer) vorliegen würden.

3.2.3. Der angefochtene Bescheid entspricht nicht den Anforderungen des § 60 AVG. Welcher Wiederaufnahmegrund nun seitens der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid aufgegriffen wurde, ergibt sich aus diesem nicht. Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid die Wiederaufnahme des Verfahrens über die der Beschwerdeführerin seit 2004 zustehende Ausgleichszulage ohne nähere Begründung und Bezugnahme auf eine konkrete Rechtsvorschrift sowie ohne vorangehendes Ermittlungsverfahren verfügt.

Die drei logisch aufeinander aufbauenden und formal zu trennenden Elemente eines ordnungsgemäß begründeten Bescheides bestehen erstens in einer im Indikativ gehaltenen Tatsachenfeststellung, zweitens in der Beweiswürdigung und drittens in der rechtlichen Beurteilung (vgl. das Erkenntnis des VwGH vom 26.01.2012, Zl. 2009/09/0143). Lässt ein Bescheid die Trennung dieser Begründungselemente in einer Weise vermissen, dass die Rechtsverfolgung durch die Partei oder die nachprüfende Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts maßgeblich beeinträchtigt wird, dann führt ein solcher Begründungsmangel zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides schon aus diesem Grund (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. Mai 1997, Zl. 94/13/0200). Dem Qualitätserfordernis eines rechtsstaatlichen Bescheides wird somit nicht genüge getan (vgl. VwGH 24.04.2014, Zl. 2012/08/0134).

So hat die belangte Behörde im Bescheid außer Acht gelassen festzustellen, warum sie zur Ansicht kommt, dass ein Wiederaufnahmegrund vorliegt. Diesbezügliche Ausführungen finden sich erst in der Stellungnahme im Rahmen der Vorlage der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Dass sich teilweise entsprechende Erläuterungen in dieser Stellungnahme vom 29.12.2017 finden, reicht aber jedenfalls nicht. Denn nach der ständigen Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts kann ein Mangel in der Bescheidbegründung nicht durch Ausführungen bzw. Nachtragungen in der Gegenschrift behoben werden (vgl. VwGH 28.03.1985, Zl. 83/06/0010; 25.09.1990, Zl. 86/07/0237; 19.02.2004, Zl. 2003/20/0502; u.a.).

3.2.4. Mit Blick auf die in Verwaltungsverfahren geltenden Grundsätze, insbesondere jenes der Offizialmaxime und der materiellen Wahrheit, (vgl. Walter/Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahren9 (2011), Rz 315ff), wonach die belangte Behörde zur amtswegigen Ermittlung des verfahrensrelevanten Sachverhaltes verpflichtet ist, wäre es der belangten Behörde mit Hinblick auf ihre mangelhaften Ermittlungen und unterlassenen Feststellungen sohin verwehrt gewesen, den gegenständlichen Sachverhalt als im Sinne eines umfassenden Ermittlungsverfahrens hinreichend geklärt anzusehen. Die belangte Behörde hätte hinreichende Feststellungen zu treffen, diese zu begründen und durch Subsumtion des erhobenen Sachverhaltes unter die einschlägigen rechtlichen Normen eine Entscheidung zu treffen und diese hinreichend und nachvollziehbar zu begründen gehabt. (vgl. VwGH 13.2.1991, 90/03/0112; 17.8.2000, 99/12/0254; 3.9.2002, 2002/09/0055: wonach rechtliche Beurteilungen auf getroffene Feststellungen zu beruhen haben.)

Da die belangte Behörde all dies jedoch unterlassen hat, erweist sich deren Entscheidung sohin als gravierend mangelhaft.

Aus Sicht des Gerichts verstößt das Vorgehen der belangten Behörde im konkreten Fall somit gegen die in § 37 iVm § 39 Abs. 2 AVG 2005 determinierten und laut der Rechtsprechung des VwGH auch bereits vor der Vollanwendung des AVG durch die Sozialversicherungsträger von diesen im Ergebnis zu erfüllenden Ermittlungspflichten, wonach dieser den maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln und festzustellen hat.

Im gegenständlichen Fall ist der angefochtene Bescheid und das diesem zugrundeliegende Verfahren aufgrund der Unterlassung der notwendigen Ermittlungen zu wesentlichen Punkten und hinreichender Begründung somit als mangelhaft zu bewerten. Weder erweist sich der Sachverhalt in Verbindung mit der Beschwerde als geklärt, noch ergibt sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspräche. Im Gegenteil ist das Verfahren vor der belangten Behörde mit den oben dargestellten Mängeln behaftet. Weitreichende Erhebungen, welche grundsätzlich von der belangten Behörde durchzuführen sind, wären demnach durch das Bundesverwaltungsgericht zu tätigen. In Anbetracht des Umfanges der noch ausstehenden Ermittlungen würde deren Nachholung durch das erkennende Gericht ein Unterlaufen der vorgesehenen Konzeption des Bundesverwaltungsgerichtes als gerichtliche Rechtsmittelinstanz bedeuten. Besondere Gesichtspunkte, die aus der Sicht des Bundesverwaltungsgerichts gegen eine Kassation des angefochtenen Bescheides sprechen würden, sind im vorliegenden Fall nicht erkennbar.

3.2.5. Zusammenfassend ist der belangten Behörde vorzuhalten, dass eine Begründung für den Bescheid zu vermissen ist und dieser damit nicht den Erfordernissen einer umfassenden und in sich schlüssigen Begründung einer behördlichen Entscheidung entspricht (vgl. § 60 iVm. § 58 Abs. 2 AVG).

Aus den dargelegten Gründen war daher der angefochtene Bescheid der belangten Behörde gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG spruchgemäß zu beheben und die gegenständliche Rechtssache an die belangte Behörde als zuständige erstinstanzliche Behörde zur neuerlichen Entscheidung zurückzuverweisen. Die belangte Behörde wird in dem neuerlich zu führenden Verfahren Bezug habende Ermittlungsschritte, insbesondere hinsichtlich des tatsächlichen Vorliegens eines Straftatbestandes oder einer Erschleichung und in diesem Zusammenhang unter besonderer Berücksichtigung des Umstandes, dass die Beschwerdeführerin über einen gerichtlichen Erwachsenenvertreter (im ebenfalls nicht bekannten Umfang) verfügt, unter Wahrung des Rechts der Beschwerdeführerin auf Parteiengehör vorzunehmen und den dabei erhobenen Sachverhalt sowie die vorgelegten Beweismittel, allenfalls mit Setzung von weiteren Ermittlungsschritten rechtlich unter die konkret anzuwendenden Normen zu subsumieren und zu würdigen haben.

3.3. Entfall der mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Im gegenständlichen Verfahren konnte eine mündliche Verhandlung unterbleiben, da das Bundesverwaltungsgericht die Voraussetzungen des § 24 Abs. 2 Z 1 Halbsatz VwGVG als gegeben erachtet, zumal bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit der Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Schlagworte

Ausgleichszulage, Ermittlungspflicht, Kassation, mangelnde
Sachverhaltsfeststellung, Sachwalter, Straftatbestand,
Wiederaufnahme

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:G308.2181656.1.00

Zuletzt aktualisiert am

19.06.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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