Entscheidungsdatum
15.04.2019Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W192 1318370-2/11E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Ruso als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX StA. Georgien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.03.2018, Zahl: 443455104/150299017, zu Recht erkannt:
A) I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. bis V. wird gemäß den §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z. 3, 57 AsylG 2005 i. d. g. F., § 9 BFA VG i. d. g. F., §§ 52, 55 Abs. 1a FPG i.d.g.F. und § 18 Abs. 1 Z 1 BFA-VG i.d.g.F. als unbegründet abgewiesen.
II. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt VI. wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG i.d.g.F. iVm § 53 Abs. 2 Z. 6 FPG i.d.g.F. mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass die Dauer des Einreiseverbotes auf ein Jahr herabgesetzt wird.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang
1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Georgiens, stellte am 23.03.2015 den vorliegenden Antrag auf internationalen Schutz, nachdem er zuvor illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist war. Anlässlich seiner am 25.03.2015 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes abgehaltenen niederschriftlichen Erstbefragung führte er im Wesentlichen aus, er sei Angehöriger der georgischen Volksgruppe, orthodoxen Glaubens, verheiratet und Vater zweier volljähriger Söhne, von denen einer gemeinsam mit ihm ins Bundesgebiet gereist sei. Den Entschluss zur Ausreise habe er rund ein Jahr zuvor gefasst; er hätte bereits im Jahr 2008 um Asyl in Österreich angesucht und damals einen negativen Bescheid erhalten. Zum Grund seiner neuerlichen Antragstellung gab der Beschwerdeführer an, er sei seit eineinhalb Jahren Dialysepatient, habe sich körperlich sehr schlecht gefühlt und habe sich während der Behandlung mit Hepatitis C angesteckt. Da die Medizin in Georgien nicht so gut entwickelt wäre und er sich jeden Tag schlechter und schwächer gefühlt hätte, habe er beschlossen, mit seinem Sohn nach Österreich zu kommen, um sich medizinisch helfen zu lassen. Ohne seinen Sohn könne er seien Alltag nicht mehr meistern und sei pflegebedürftig. Für den Fall einer Rückkehr fürchte er, dass er aufgrund seiner Krankheit nicht überleben werde.
Nach Zulassung seines Verfahrens wurde der Beschwerdeführer am 23.10.2017 niederschriftlich vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen und gab zusammengefasst zu Protokoll, er befinde sich in einem schlechten Gesundheitszustand, sei seit ungefähr vierzehn Jahren zuckerkrank, seit vier Jahren Dialysepatient und sehe schlecht. Seit seiner Ankunft in Österreich werde er hier behandelt. Er ginge dreimal wöchentlich zur Dialyse und nehme eine Vielzahl an Medikamenten ein. Im Herkunftsstaat sei er seit Oktober 2013 in einem näher bezeichneten Krankenhaus Dialysepatient gewesen, er habe dort keine begleitenden Medikamente erhalten. Er habe sich die Kosten der Medikamente nicht leisten können, habe trotz Antrags keine Sozialhilfe erhalten und eine Pension in der Höhe von 150 Lari bezogen. Die Dialysebehandlung sei kostenlos gewesen. Seine Ehefrau lebe unverändert im Herkunftsstaat und arbeite dort als Pädagogin; einer seiner Söhne befinde sich gemeinsam mit dem Beschwerdeführer in Österreich, ein weiterer Sohn befinde sich als Asylwerber in Tschechien. Der Beschwerdeführer sei im Herkunftsstaat in verschiedenen Berufsfeldern tätig gewesen, zuletzt habe er bis 2013 als Taxifahrer gearbeitet. Der Beschwerdeführer habe zwei Brüder, welche sich in Georgien aufhielten und berufstätig wären; desweiteren gebe es zahlreiche Cousins und Cousinen sowie Nichten und Neffen. Die Kosten für die schlepperunterstützte Ausreise hätten sich auf 4.000,- bis 5.000,- USD belaufen, welche durch eine Sammlung seiner Verwandten aufgebracht worden wären. Der Beschwerdeführer habe nie Probleme mit den Behörden seines Heimatlandes gehabt, habe sich nie politisch betätigt und habe keine Schwierigkeiten wegen seines Religionsbekenntnisses oder seiner Volksgruppenzugehörigkeit erlebt. Die Ausreise aus dem Herkunftsstaat und Antragstellung auf internationalen Schutz in Österreich sei aufgrund seiner Gesundheit erfolgt. Er sei Dialysepatient und wünsche eine bessere Behandlung sowie die Chance auf eine Transplantation. Er wolle einfach länger leben; weitere Gründe habe er nicht. Im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland müsste er sterben.
In Österreich lebe er gemeinsam mit seinem Sohn in einer Asylunterkunft, besuche aktuell keinen Deutschkurs, ginge keiner Arbeit nach und beziehe Grundversorgung. Sein Sohn unterstütze ihn im Alltag, spreche Deutsch und übersetze für ihn.
Der Beschwerdeführer legte eine Kopie seines im Jahr 2009 ausgestellten österreichischen Führerscheins, einen Dialyseausweis sowie ein Konvolut an ärztlichen Unterlagen vor.
Mit Eingaben vom 08.11.2017 und vom 15.11.2017 brachte der Beschwerdeführer weitere medizinische Unterlagen aus Georgien und aus Österreich in Vorlage.
Am 21.12.2017 wurde nach entsprechender Anfrage durch das Bundesamt ein Auszug aus der Apothekenverwaltung bezüglich der vom Beschwerdeführer während seines Aufenthalts im Bundesgebiet eingenommenen Medikamente zum Verwaltungsakt genommen.
Aus einer durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in Auftrag gegebenen Interpretation der vorliegenden ärztlichen Befunde durch einen Arzt für Allgemeinmedizin vom 05.02.2018 ergibt sich im Wesentlichen, dass beim Beschwerdeführer ein schweres Stoffwechselsyndrom bei chronischem Nikotinabusus und Übergewicht (V.a. Fettleber) mit Bluthochdruck und langjährigem Diabetes mellitus, welcher seit November 2017 insulinpflichtig sei, vorliege. An diabetischen Sekundärmanifestationen bestünden eine schwere proliferative Retinopathie beidseits mit fortgeschrittenem Visusverlust sowie eine terminale Nephropathie mit kompensierender Hämodialyse seit 2013 und Begleitmedikation. Der Beschwerdeführer befinde sich aktuell nicht auf der Nierentransplantationsliste, zumal die langfristige Nachsorge nicht gewährleistet sei. Allerdings sei auch der bestehende Hepatitis C PCR positive Status eine (relative) medizinische Kontraindikation dafür. Letztlich hätten diabetische Veränderungen im Rahmen mehrerer Untersuchungen nicht erkannt werden können. Hinweise auf das Bestehen einer Pflegebedürftigkeit hätten den vorliegenden Befunden nicht entnommen werden können. Beim Beschwerdeführer bestehe eine lebenslange Behandlungsbedürftigkeit, im Falle eines Abbruchs der Behandlung (Hämodialyse) bestehe Lebensgefahr. Aufgrunddessen sei vor einer Überstellung die medizinische Versorgung prospektiv sicherzustellen. Während der Überstellung sei darauf zu achten, dass der Beschwerdeführer seine Medikation mit sich führe. Nach der Überstellung benötige dieser Zugang zu seiner Medikation, unmittelbaren Zugang zur Hämodialyse sowie zu fachärztlichen Kontrollen zur Weiterverfolgung von Diagnose/Therapie.
2. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Georgien (Spruchpunkt II.) abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 57 AsylG nicht erteilt, gem. § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen sowie festgestellt, dass dessen Abschiebung gem. § 46 FPG nach Georgien zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG wurde ausgesprochen, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt IV.). Einer Beschwerde gegen diese Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz wurde gemäß § 18 Abs. 1 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt V.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG 2005 wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VI.).
Begründend führte die belangte Behörde aus, beim Beschwerdeführer, dessen präzise Identität nicht feststehe, handle es sich um einen der Mehrheits- und Titularethnie angehörigen Georgier, welcher aus einem überwiegend von Georgiern bewohnten Gebiet stamme und sich zum Mehrheitsglauben des Christentums bekenne. Dieser sei ein Mann mittleren Alters mit bestehenden familiären Anknüpfungspunkten im Herkunftsstaat und einer - wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich - gesicherten Existenzgrundlage. Im Herkunftsstaat habe dieser seinen Lebensunterhalt zuletzt mithilfe seiner staatlichen Pension, Gelegenheitsarbeiten und dem Einkommen seiner Ehegattin bestritten. Der Beschwerdeführer habe zwei volljährige Söhne und zahlreiche nach wie vor in Georgien aufhältige Familienangehörige. Der Beschwerdeführer leide an näher angeführten Erkrankungen, welche als schwerwiegend bzw. lebensbedrohlich zu qualifizieren seien, jedoch im Herkunftsstaat zufolge näher zitierten Rechercheergebnissen der Staatendokumentation einer Behandlung zugänglich wären. Der Beschwerdeführer habe keine asylrelevanten Gründe geltend gemacht; dieser wolle sich in Österreich medizinisch behandeln lassen und erhoffe sich eine Nierentransplantation. Eine gegen den Beschwerdeführer gerichtete Bedrohung liege im Herkunftsstaat nicht vor. Dessen Gesundheitszustand stünde einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht entgegen, zumal er dort mehrjährig behandelt worden wäre, ohne in einen lebensbedrohlichen Zustand zu geraten. Laut den eingeholten Länderinformationen sei eine adäquate Dialysebehandlung im Herkunftsstaat sowie Behandlung der zusätzlichen Erkrankungen in spezialisierten Einrichtungen gewährleistet. Der Zugang zur Dialysebehandlung sei in Georgien unmittelbar und sofort im Rahmen der Notversorgung möglich. Der Beschwerdeführer verfüge in Georgien über eine Eigentumswohnung sowie zahlreiche familiäre Anknüpfungspunkte. Es könne nicht festgestellt werden, dass ihm in Georgien die Existenzgrundlage vollkommen entzogen sein würde.
Der Beschwerdeführer sei gemeinsam mit seinem Sohn ins Bundesgebiet eingereist, über dessen Antrag auf internationalen Schutz durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ebenfalls eine abweisende Entscheidung ausgesprochen worden wäre, und hätte keine Aspekte einer Integration dargelegt. Es lägen keine Umstände vor, die einer Rückkehr aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Georgien entgegenstünden. Da es sich bei Georgien um einen sicheren Herkunftsstaat handle, sei einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung abzuerkennen und keine Frist für die freiwillige Ausreise zu gewähren gewesen. Zur Begründung des gegen den Beschwerdeführer erlassenen Einreiseverbotes wurde festgehalten, dass der Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt und keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt worden wäre.
3. Gegen den dargestellten Bescheid richtet sich die durch den nunmehrigen gewillkürten Vertreter am 11.04.2018 fristgerecht eingebrachte vollumfängliche Beschwerde, in welcher zusammengefasst ausgeführt wurde, von der Behörde wäre richtigerweise festzustellen gewesen, dass der Antragsteller an einer akut lebensbedrohlichen Beeinträchtigung seines Gesundheitszustandes leide, die im Herkunftsstaat zum Tod unter äußerst schlimmen Umständen führen und somit einer Rückkehr in den Herkunftsstaat entgegenstehen würde. Richtigerweise wäre bei einer umfassenden und ganzheitlichen Betrachtung festzustellen, dass der Antragsteller einer bestimmten sozialen Gruppe angehöre, nämlich jener der schwerkranken Personen, denen nur unzureichende finanzielle Mittel zur Verfügung stünden. Durch den georgischen Staat finde zwar keine direkte Verfolgung jener sozial benachteiligten Gruppe statt, doch ergebe sich die asylrelevante Verfolgungssituation insofern, als Georgien für diese Personen unzureichende medizinische Vorsorge treffe und diese Personengruppe damit einen frühen und meist qualvollen Tod zu erwarten habe. Aus den im angefochtenen Bescheid wiedergegebenen Länderfeststellungen und Erhebungsergebnissen ergebe sich, dass der Betroffene bei einer Rückkehr für die Dialyse und Nierentransplantation auf eine Warteliste gesetzt werden würde und eine sofortige Behandlung damit entgegen den Ausführungen der belangten Behörde nicht möglich sei. Die medizinische Grundversorgung möge zwar kostenlos gewährleistet sein, doch seien Medikamente für Spezialbehandlungen, insbesondere die neuen, direkt antiviral wirksamen Medikamente zur Behandlung von Hepatitis C, für die Betroffenen meist unbezahlbar. Die Suche nach einer geeigneten Spenderniere sei für den Betroffenen wohl unzumutbar und kaum erfolgversprechend möglich. Zudem sei anzuzweifeln, ob eine derart komplizierte Operation in Georgien überhaupt erfolgreich durchgeführt werden könnte. Die unbedingt notwendige (jahrelange) Nachbehandlung würde für den Beschwerdeführer nicht möglich sein. Der Beschwerdeführer beziehe eine nur geringe Pension und könnte die erforderlichen Behandlungen selbst mit Unterstützung durch Gattin und Kinder nicht finanzieren. Indem die Behörde weitere amtswegige Erhebungen unterlassen hätte, werde die Verpflichtung zur Vollständigen Ausschöpfung aller objektiv tauglicher Beweismittel verletzt. Die Abschiebung des schwer kranken Beschwerdeführers nach Georgien stelle eine unmenschliche Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK dar, zumal dieser keinen ausreichenden und effektiven Zugang zu medizinischer Versorgung und Betreuung hätte und in kurzer Zeit qualvoll und in extremer Armut versterben würde. Der Beschwerdeführer besitze besonders ausgeprägte private und soziale Bindungen im Aufenthaltsstaat, die sogar jene zum Herkunftsstaat an Intensität übersteigen würden und verfüge nur in Österreich über geeignete und leistbare Behandlungsmöglichkeiten. Zu seinem hier lebenden Sohn bestehe ein besonderes emotionales Abhängigkeitsverhältnis. Die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung sei zu Unrecht erfolgt, weshalb der Antrag gestellt wurde, der vorliegenden Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Gleichermaßen erweise sich die Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen für ein Einreiseverbot als unzutreffend, da vom unbescholtenen Beschwerdeführer keinerlei Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ausginge.
4. Mit Aktenvermerk vom 27.04.2018 hielt die damals zuständige Gerichtsabteilung fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nicht vorlägen.
Mit Schreiben vom 02.05.2018 wurden dem Beschwerdeführer sowie der belangten Behörde im Rahmen einer Verständigung vom Ergebnis einer stattgefundenen Beweisaufnahme Anfragebeantwortungen zu Behandlungsmöglichkeiten für Dialysepatienten in Georgien vom 20.06.2017 und vom 02.05.2018 durch das Bundesverwaltungsgericht zur Kenntnis gebracht.
Hierzu führte der rechtsfreundliche Vertreter des Beschwerdeführers in einer bezugnehmend eingebrachten Stellungnahme vom 15.05.2018 aus, dass sich die übermittelten Berichte als teils veraltet und hinsichtlich ihrer Quellen als nicht nachvollziehbar darstellen würden. Bestritten werde, dass in Georgien derzeit ausreichende Plätze für eine rasche Aufnahme in das staatliche Dialyseprogramm zur Verfügung stünden. Zudem seien die hygienischen Bedingungen bei der Dialysebehandlung meist ungenügend, sodass es überdurchschnittlich oft zur Ansteckung mit Hepatitis B und C komme und könne eine solche Behandlung für den Betroffenen eine substantielle finanzielle Belastung darstellen.
Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 24.08.2018 wurde der Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, als unzulässig zurückgewiesen.
5. Am 24.08.2018 wurde der Beschwerdeführer auf dem Luftweg nach Georgien abgeschoben. Seit dem 31.08.2018 liegt keine behördliche Wohnsitzmeldung des Beschwerdeführers im Bundesgebiet vor.
6. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 25.09.2018 wurde das gegenständliche Verfahren der bis dahin zuständigen Gerichtsabteilung abgenommen und der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung neu zugewiesen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen (Sachverhalt):
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers und dem vorgebrachten Fluchtgrund:
1.1.1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Georgien, Angehöriger der georgischen Volksgruppe sowie der christlich-orthodoxen Religionsgemeinschaft. Der Beschwerdeführer ist gemeinsam mit seinem volljährigen Sohn illegal und schlepperunterstützt in das Bundesgebiet eingereist und hat am 23.03.2015 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.
Der Beschwerdeführer stammt aus Tiflis, wo er zuletzt gemeinsam mit seiner Ehegattin eine Eigentumswohnung bewohnt hat. Der Beschwerdeführer hat zwei volljährige Söhne und verfügt in Georgien über zahlreiche verwandtschaftliche Anknüpfungspunkte.
1.1.2. Beim Beschwerdeführer bestehen ein langjähriger, seit November 2017 insulinpflichtiger, Diabetes mellitus Typ 2 mit terminaler Niereninsuffizienz und chronischer Hämodialyse 3x/w seit 2013, degenerative Herzklappenveränderungen bei Ausschluss einer stenosierenden, koronaren Herzerkrankung, COPD bei chron. Nikotinabusus mit ca. 30 Packungsjahren, arterielle Hypertonie, schwere diabetische proliferative Retinopathie bds. - Zustand nach mehreren Laserkoagulationen, Z.n. Glaskörpereinblutung rechts 07/17, Cataracta cortico-nuclearis bds., Z.n. Kataraktoperation rechts 11/17, sowie Hepatitis C, PCR positiv. Der Beschwerdeführer benötigt regelmäßige Hämodialyse-Behandlungen, welche er im Bundesgebiet zuletzt dreimal wöchentlich in Anspruch nahm, er befand sich jedoch während seines Aufenthalts in Österreich nicht in dauernder stationärer Behandlung. Der Beschwerdeführer hat bereits im Herkunftsstaat in Behandlung gestanden und war im Vorfeld seiner Ausreise eineinhalb Jahre lang Dialysepatient. Er hat nicht dargetan, dass ihm eine benötigte Behandlung im Herkunftsstaat in der Vergangenheit verweigert worden oder individuell nicht zugänglich gewesen ist. Der Beschwerdeführer hat überdies nicht dargetan, dass er zum Entscheidungszeitpunkt eine Form der Nierentransplantation benötigen würde, welche in Georgien nicht erhältlich oder für ihn nicht individuell zugänglich ist.
1.1.3. Der Beschwerdeführer hat vorgebracht, seinen Herkunftsstaat ausschließlich aufgrund des Wunsches nach einer qualitativ hochwertigen und kostenfreien medizinischen Behandlung verlassen zu haben und keine darüberhinausgehenden Rückkehrbefürchtungen aufzuweisen. Der Beschwerdeführer hat keine Furcht vor individueller Verfolgung behauptet.
Es kann auch von Amts wegen nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Georgien aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht wäre.
1.1.4. Es besteht für den Beschwerdeführer in Georgien keine reale Bedrohungssituation für das Leben oder die körperliche Unversehrtheit. Der Beschwerdeführer liefe nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Es kann nicht festgestellt werden, dass sich die wirtschaftliche Situation des Genannten - auch unter Berücksichtigung künftig notwendig werdender Behandlungs- und Medikamentenkosten - als derart desolat erwiesen hätte, als dass der Beschwerdeführer, welcher im Herkunftsstaat zahlreiche enge familiäre Anknüpfungspunkte hat, Gefahr liefe, in Georgien in eine existenzbedrohende Notlage zu geraten.
1.1.5. Der unbescholtene Beschwerdeführer bestritt seinen Lebensunterhalt während seines Aufenthalts in Österreich aus Mitteln der Grundversorgung und verfügte über keine aufenthaltsberechtigten Familienangehörigen oder sonstige enge soziale Bezugspersonen im Bundesgebiet. Sein gemeinsam mit ihm eingereister volljähriger Sohn war im gleichen Umfang von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen betroffen. Der Beschwerdeführer hat sich keine nachgewiesenen Deutschkenntnisse angeeignet, ist keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen und war in keinem Verein Mitglied. Er hat keine Aspekte einer Integration in das österreichische Bundesgebiet dargetan.
Ein neuerlicher Aufenthalt des mittellosen Beschwerdeführers würde eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellen.
1.1.6. Der Beschwerdeführer wurde am 24.08.2018 auf dem Luftweg in den Herkunftsstaat abgeschoben, seit September 2018 liegt keine aufrechte behördliche Wohnsitzmeldung seiner Person im Bundesgebiet vor.
1.2. Zur Lage im Herkunftsstaat:
...
KI vom 30.3.2017, Visafreiheit (relevant für Abschnitt 19/ Bewegungsfreiheit)
Für Georgien ist am 28.3.2017 der visumfreie Reiseverkehr mit der Europäischen Union in Kraft getreten. Nach den neuen Regeln dürfen georgische Bürger die Länder des Schengen-Abkommens bis zu 90 Tage ohne ein Visum besuchen. Vorangegangen waren mehrjährige Verhandlungen (DW 28.3.2017). Die Einreise georgischer Staatsbürger in die Europäische Union ist auch nach der neuen Regelung an bestimmte Auflagen gebunden, wie an das Vorhandensein eines biometrischen Passes und den Nachweis ausreichender finanzieller Mittel für den Aufenthalt im Mitgliedstaat der EU, nachgewiesen etwa durch Kreditkarten oder Bargeld (GS o.D.).
Der georgische Innenminister, Giorgi Mghebrishvili, kündigte am 27.3.2017 an, dass die georgischen Grenzbeamten georgische Reisende in den Schengenraum detailliert befragen werden, um einen Missbrauch des Visaregimes und folglich dessen mögliche Suspendierung durch die EU zu verhindern. Bei Überschreitung des Aufenthaltes, der auf 90 Tage innerhalb von 180 Tagen beschränkt ist, würden laut Innenminister die EU-Mitgliedsstaaten proaktiv informiert werden. Überdies gab Mghebrishvili bekannt, dass Georgien am 4.4.2017 ein Partnerschaftsabkommen mit EUROPOL unterzeichnen werde (Civil.ge 28.3.2017).
Quellen:
-
Civil.ge (28.3.2017): Government Speaks on Safeguards against Visa-Waiver Abuse, http://www.civil.ge/eng/article.php?id=29970, Zugriff 30.3.2017
-
DW - Deutsche Welle (28.3.2017): Georgier dürfen ohne Visum in die EU reisen,
http://www.dw.com/de/georgier-d%C3%BCrfen-ohne-visum-in-die-eu-reisen/a-38164800, Zugriff 30.3.2017
-
GS - Georgienseite (o.D.): Visafreiheit für georgische Staatsangehörige,
http://www.georgienseite.de/startseite/magazin-georgien-nachrichten-bilder-galerien/georgien-nachrichten-news-tbilissi-magazin/informationen-der-deutschen-botschaft/, Zugriff 30.3.2017
1. POLITISCHE LAGE
In Georgien leben mit Stand 1.1.2016 laut georgischem Statistikamt 3,72 Mio. Menschen. 2014 waren es noch rund 4,49 Mio. Menschen auf
69.700 km² (GeoStat 2017).
Georgien ist eine demokratische Republik. Das politische System hat sich durch die Verfassungsreform 2013 von einer semi-präsidentiellen zu einer parlamentarischen Demokratie gewandelt, (AA 11.2016a). Staatspräsident ist seit 17.11.2013 Giorgi Margvelashvili (RFE/RL 17.11.2013). Regierungschef ist seit dem überraschenden Rücktritt von Irakli Garibaschwili Giorgi Kvirikashvili (seit 29.12.2015) (RFE/RL 29.12.2015). Beide gehören der Partei bzw. dem Parteienbündnis "Georgischer Traum" an.
Georgien besitzt ein Einkammerparlament mit 150 Sitzen, das durch eine Kombination aus Verhältnis- und Mehrheitswahlrecht für vier Jahre gewählt wird. Am 8.10. und 30.10.2016 fanden Parlamentswahlen in Georgien statt. Die bislang regierende Partei, "Georgischer Traum", sicherte sich die Verfassungsmehrheit, indem sie 115 der 150 Sitze im Parlament gewann. Die "Vereinigte Nationale Bewegung" (UNM) des Expräsidenten Mikheil Saakashvili errang 27 und die "Allianz der Patrioten Georgiens" (APG) sechs Sitze (RFE/RL 1.11.2016). Mit der APG, die im ersten Wahlgang am 8.10.2016 knapp die Fünf-Prozent-Hürde schaffte, ist erstmals eine pro-russische Partei im Parlament vertreten. In der notwendigen Stichwahl am 30.10.2016 in 50 Wahlkreisen, die nach dem Mehrheitswahlrecht bestimmt werden, gewann der "Georgische Traum" 48 Wahlkreise (Standard 31.10.2016). Die übrigen zwei Sitze gingen jeweils an einen unabhängigen Kandidaten und einen Vertreter der "Partei der Industriellen" (VK 31.10.2016).
Die Wahlbeobachtungsmission der OSZE bewertete gemeinsam mit anderen internationalen Beobachtern die Stichwahl als kompetitiv und in einer Weise administriert, die die Rechte der Kandidaten und Wähler respektierte. Allerdings wurde das Prinzip der Transparenz sowie das Recht auf angemessene Rechtsmittel bei der Untersuchung und Beurteilung von Disputen durch die Wahlkommissionen und Gerichte oft nicht respektiert (OSCE/ODIHR u.a. 30.10.2016). Transparency International - Georgia beurteilte den Wahlgang als ruhig. Obgleich 70 relativ ernsthafte prozedurale Verstöße festgestellt wurden, hatten diese keinen entscheidenden Einfluss auf den Wahlausgang (TI-G 31.10.2016).
Die Opposition warf dem Regierungslager Wahlmanipulationen vor. Unter anderem sollen Wähler unter Druck gesetzt und Stimmen gekauft worden (Standard 31.10.2016, vgl. CK 31.10.2016).
Bei der Präsidentschaftswahl im Oktober 2013 konnte sich der Kandidat von "Georgischer Traum", Georgi Margwelaschwili, mit klarer Mehrheit bereits im ersten Wahldurchgang gegen den Wunschkandidaten des amtierenden Präsidenten Michail Saakaschwili (Vereinte Nationale Bewegung), durchsetzen. Saakaschwili, zuletzt umstritten, durfte nach zwei Amtszeiten laut Verfassung nicht mehr zur Wahl antreten. Diese Wahl brachte den ersten demokratischen Machtwechsel an der georgischen Staatsspitze seit dem Zerfall der Sowjetunion (FAZ 27.10.2013).
Die Regierungspartei "Georgischer Traum" sicherte sich infolge eines überwältigenden Sieges bei den Gemeinderatswahlen im Sommer 2014 die Kontrolle über die lokalen Selbstverwaltungskörperschaften. Medien und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) berichteten, dass es im Vorwahlkampf angeblich Druck auf oppositionelle Kandidaten gab, ihre Kandidatur zurückzuziehen. Überdies sei es zu Störungen von Versammlungen der Opposition und zu etlichen Vorfällen von Gewalt gegen Wahlaktivisten gekommen. Obschon diese den Behörden bekannt waren, blieb eine amtliche Verfolgung aus (HRW 29.1.2015).
Am 27.6.2014 unterzeichneten die EU und Georgien ein Assoziierungsabkommen. Das Abkommen soll Georgien in den Binnenmarkt integrieren, wobei die Prioritäten in der Zusammenarbeit in Bereichen wie Außen- und Sicherheitspolitik sowie Justiz und Sicherheit liegen. Russland sah sich hierdurch veranlasst, seinen Druck auf die Regierung in Tiflis zu erhöhen. Am 24. November 2014 unterzeichneten Russland und das abtrünnige georgische Gebiet Abchasien eine Vereinbarung über eine "strategische Partnerschaft", mit der Moskau seine militärische und wirtschaftliche Kontrolle in Abchasien erheblich ausweitete (EP 5.12.2014).
Die EU würdigte im Juni 2016 im Rahmen ihrer Globalen Strategie zur Europäischen Außen- und Sicherheitspolitik die Rolle Georgiens als friedliche und stabile Demokratie in der Region. Am 1.7.2016 trat das Assoziierungsabkommen zwischen der EU und Georgien in Kraft, wodurch laut der EU die politische Assoziierung und wirtschaftliche Integration zwischen Georgien und der Union merkbar gestärkt werden. Georgien hat seine Demokratie und Rechtsstaatlichkeit konsolidiert und die Respektierung der Menschenrechte, der Grundfreiheiten sowie der Anti-Diskriminierung gestärkt (EC 25.11.2016).
Quellen:
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Vestnik Kavkaza (31.10.2016): Georgian Dream wins 48 districts out of 50,
http://vestnikkavkaza.net/news/Georgian-Dream-wins-48-districts-out-of-50.html, Zugriff 21.2.2017
2. SICHERHEITSLAGE
Die Lage in Georgien ist - mit Ausnahme der Konfliktgebiete Abchasien und Südossetien - insgesamt ruhig. Beide genannte Gebiete befinden sich nicht unter der Kontrolle der Regierung in Tiflis. In den Gebieten und an ihren Verwaltungsgrenzen sind russische Truppen stationiert (AA 20.3.2017a).
Im Zuge der Auflösung der UdSSR erhöhten sich die Spannungen innerhalb Georgiens in den Gebieten Abchasien und Südossetien, als der autonome Status der Provinzen von georgischen Nationalisten in Frage gestellt wurde. Nach der georgischen Unabhängigkeit führten heftige Auseinandersetzungen mit der Zentralregierung 1992 zu Unabhängigkeitserklärungen Südossetiens und Abchasiens, die aber von der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt wurden. Der Einfluss des nördlichen Nachbarlandes wuchs kontinuierlich, unter anderem durch Ausgabe russischer Pässe an die abchasische und südossetische Bevölkerung. Nach zahlreichen blutigen Zwischenfällen und Provokationen aller Seiten eskalierte der Konflikt um Südossetien am 7. August 2008 nach einem Vorstoß georgischer Truppen in die südossetische Hauptstadt Tskhinvali zu einem georgisch-russischen Krieg, der nach fünf Tagen durch einen von der EU vermittelten Waffenstillstand beendet wurde. Am 26. August 2008 erkannte Russland Abchasien und Südossetien, einseitig und unter Verletzung des völkerrechtlichen Prinzips der territorialen Integrität Georgiens, als unabhängige Staaten an und schloss wenig später mit diesen Freundschaftsverträge ab, die auch die Stationierung russischer Truppen in den Gebieten vorsehen. Infolge des Krieges wurden nach Schätzungen internationaler Hilfsorganisationen bis zu 138.000 Personen vorübergehend zu Vertriebenen und Flüchtlingen. Etwa 30.000 Georgier aus Südossetien konnten bis heute nicht in ihre Heimat zurückkehren. Die zivile EU-Beobachtermission EUMM nahm Anfang Oktober 2008 in Georgien ihre Arbeit auf. Das OSZE-Mandat lief Ende 2008 aus, UNOMIG endete im Juni 2009. EUMM ist damit die einzige verbliebene internationale Präsenz zur Stabilisierung in Georgien (AA 11.2016b).
Ein wichtiges diplomatisches Instrument zur Deeskalation des Konflikts sind die sogenannten "Geneva International Discussions - GID" (Genfer Internationale Gespräche). Diese finden seit 2008 unter Beteiligung der involvierten Konfliktparteien unter dem gemeinsamen Vorsitz von Vertretern der Vereinten Nationen, der Europäischen Union und der OSZE statt. Aus den Genfer Gesprächen resultierte der "Incident Prevention and Response Mechanism (IPRM)" sowie die Involvierung der EUMM, sodass die lokalen Sicherheitsbehörden der Konfliktparteien vor Ort in Kontakt treten können bzw. ihnen die Möglichkeit zum Dialog eröffnet wird (OSCE 6.11.2014).
Abchasien und Südossetien bleiben außerhalb der Kontrolle der Zentralregierung und werden von mehreren tausend russischen Truppen und Grenzpolizisten unterstützt. Russische Grenzschutzbeamte beschränken die Bewegung der örtlichen Bevölkerung. Die Behörden beschränken die Rechte, vor allem von ethnischen Georgiern, am politischen Prozess teilzuhaben, in Eigentumsfragen oder bei der Registrierung von Unternehmen. Überdies ist die Reisefreiheit eingeschränkt. Die südossetischen Behörden verweigern den meisten ethnischen Georgien, die während und nach dem Krieg von 2008 vertrieben wurden, nach Südossetien zurückzukehren. Die Behörden erlauben den meisten internationalen Organisationen keinen regelmäßigen Zugang zu Südossetien, um humanitäre Hilfe zu leisten. Die Russische "Grenzziehung" der administrativen Grenzen der besetzten Gebiete setzte sich während des Jahres fort, trennte die Bewohner aus ihren Gemeinden und untergrub ihren Lebensunterhalt (USDOS 3.3.2017).
Die Vereinten Nationen zeigten sich Ende Jänner 2017 besorgt darüber, dass die angekündigten Schließungen von Grenzübertrittsstellen seitens der abchasischen Behörden negative Konsequenzen für die Bevölkerung beidseits der administrativen Grenze haben werden. Für die Menschen in Abchasien wird es schwieriger sein, auf grundlegende Dienstleistungen wie Gesundheitswesen und Bildung in Georgien zurückzugreifen und an Wirtschaftsaktivitäten und gesellschaftlichen Veranstaltungen jenseits der Grenze teilzunehmen. Auch wird der Zugang zu Schulbildung für Kinder mit georgischer Muttersprache, die aus Abchasien kommend die Grenze nach Georgien überqueren, behindert (UN 26.1.2017).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (20.3.2017a): Georgien, Reise- und Sicherheitshinweise,
http://www.auswaertiges-amt.de/sid_8108DEE44ECFAF67827A2F89BA2ACDB3/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/Nodes/GeorgienSicherheit_node.html, Zugriff 20.3.2017
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AA - Auswärtiges Amt (11.2016b): Staatsaufbau/Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Georgien/Innenpolitik_node.html, Zugriff 20.3.2017
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OSCE - Organization for Security and Co-operation in Europe (6.11.2014): Geneva International Discussions remain unique and indispensable forum, Co-chairs tell OSCE Permanent Council, http://www.osce.org/cio/126442, Zugriff 21.2.2017
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UN - United Nations in Georgia (27.1.2017): Statement of Niels Scott, Resident Coordinator, on behalf of the United Nations Country Team regarding announced closure of crossing points along the Inguri River,
http://www.ungeorgia.ge/eng/news_center/media_releases?info_id=507, Zugriff 22.2.2017
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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016,
http://www.ecoi.net/local_link/337143/466903_en.html, 17.3.2017
3. RECHTSSCHUTZ / JUSTIZWESEN
Georgien unternimmt Anstrengungen, sich bei der Rechtsreform und der Wahrung der Menschen- und Minderheitenrechte den Standards des Europarats anzupassen. 1996 wurde ein Verfassungsgericht eingerichtet, 1997 die Todesstrafe abgeschafft und 2007 die Abschaffung der Todesstrafe in der Verfassung verankert. In den Jahren seit der "Rosenrevolution" 2003/2004 hat Georgien anerkennenswerte Fortschritte bei der Polizeireform, dem erfolgreichen Kampf gegen die "Kleine Korruption" (Korruption im alltäglichen Umgang), der Reform der Steuergesetzgebung und der Verbesserung der Investitionsbedingungen erzielt. Im Rahmen der Justizreform wurde der Instanzenzug neu geregelt und eine radikale Verjüngung der Richterschaft durchgesetzt (AA 11.2016b).
Fortschritte sind insbesondere im Justizwesen und Strafvollzug zu erkennen, wo inzwischen eine unmenschliche Behandlung (auch Folter), die in der Vergangenheit durchaus systemisch vorhanden war, in aller Regel nicht mehr festgestellt werden kann. Der Aufbau eines unabhängigen und nach rechtsstaatlichen Grundsätzen handelnden Justizwesens gehört zu den wichtigsten Zielen der aktuellen Regierung. Zwei Reformwellen wurden bereits durchgeführt, die dritte Reformwelle steht seit einiger Zeit bevor. Sie betrifft insbesondere die unparteiische Zuteilung von Rechtsfällen an Richter und die Ernennung von Richtern aufgrund von Qualifikation und Eignung in einem transparenten Verfahren. Sehr aktive NGOs und der unabhängige Ombudsmann beobachten diesen Prozess aufmerksam (AA 10.11.2016).
Das dritte Paket an Gesetzesänderungen, das den anhaltenden Mangel an Transparenz im Justiz-Management bereinigen soll, wozu auch die Rechenschaftspflicht des Hohen Rates der Justiz sowie die zufällige Zuweisung von Fällen gehören, konnte laut Europäischer Kommission zwar Fortschritte verzeichnen, ist jedoch noch nicht vollständig angenommen worden. Die Begründungen für das Abhalten von geschlossenen oder öffentlichen Anhörungen werden nicht immer richtig kommuniziert. Die Transparenz bei der Zuteilung von Fällen, bei der Auswahl der Richteranwärter und der Gerichtsverwalter ist nicht vollständig gewährleistet. Der Umgang mit Disziplinarverfahren erfordert eine Stärkung. Die Mehrheit der Richter hat keine dauerhafte Amtszeit und die umstrittene dreijährige Probezeit für Richter besteht weiterhin. Die Justiz ist immer noch ernsthaft unterbesetzt und der Aktenrückstand steigt (EC 25.11.2016).
Kritisch betrachtet werden muss weiterhin die starke Neigung von Politikern, Richtern bei Gerichtsentscheidungen in brisanten Fällen eine vorrangig politische Motivation zu unterstellen und ggf. gesetzliche Änderungen vorzuschlagen. Politisch motivierte Strafverfolgung war bis 2012 erkennbar und erfolgte in der Regel durch Vorwürfe von Korruption, Amtsmissbrauch oder Steuervergehen. Nach dem Regierungswechsel wurden 190 in Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft als politische Gefangene erklärte Häftlinge entlassen. Seit 2012 laufende Ermittlungen und teilweise schon mit rechtskräftigen Urteilen abgeschlossene Strafverfahren gegen hochrangige Mitglieder und nachgeordnete Mitarbeiter der ehemaligen Regierung werden aus Sicht des [deutschen] Auswärtigen Amtes nicht als politisch motiviert eingeschätzt, sondern sind Teil der erforderlichen juristischen Aufarbeitung der rechtswidrigen bzw. strafrechtlich relevanten Handlungen der Vorgängerregierung. Die Tatsache, dass Gerichte hierbei nicht immer den Anträgen der Staatsanwaltschaft folgen, zeigt eine wachsende Unabhängigkeit der Justiz und deutliche Grenzen für eine etwaige politische Zielsetzung der Verfahren (AA 10.11.2016).
Freedom House bewertete Anfang 2016 die Einmischung der Regierung und der Legislative in die Justiz weiterhin als erhebliches Problem, obwohl sich die gerichtliche Transparenz und die Rechenschaftspflicht in den letzten Jahren verbessert haben, letztere zum Teil aufgrund des verstärkten Medienzugangs zu den Gerichtssälen. Menschenrechtsorganisationen haben konsequent die Praxis der Staatsanwaltschaft kritisiert, wiederholt neue Anklagen gegen Gefangene einzureichen, um ihre Zeit in der Untersuchungshaft zu verlängern, eine Vorgehensweise, die durch eine Diskrepanz zwischen dem Strafgesetzbuch und der Verfassung möglich gemacht wird. Im September 2015 allerdings befand das Verfassungsgericht im Fall des ehem. Bürgermeisters von Tiflis, Ugulava, diese Praxis der Verlängerung der Untersuchungshaft als verfassungswidrig, weil die verfassungsmäßige Grenze von neun Monaten nicht überschritten werden darf. Ugulava gehörte zu zahlreichen ehemaligen UNM-Vertretern, die seit 2012 mit Strafprozessen konfrontiert wurden, was Fragen über den politischen Einflussnahme auf den Staatsanwalt aufwarf (FH 27.1.2016).
Während viele der Richter bemerkenswerte Anstrengungen unternahmen, ihr Niveau dadurch zu verbessern, indem sie ihren Entscheidungen mehr Substanz verliehen, besonders bei hochkarätigen Fällen, bleibt die Staatsanwaltschaft das schwächste Glied im Justizbereich. Bis 2012 war die Staatsanwaltschaft ein Teil der Exekutive, und die Gerichte waren bis zu einem gewissen Grad von der Exekutive abhängig. Die Staatsanwälte haben sich mittlerweile daran gewöhnt, ihren Vorbringen eine adäquate Qualität zu verleihen. Nur bei wenigen Gelegenheiten scheinen sie zurückhaltend zu sein. Nach der Trennung der Staatsanwaltschaft vom Justizministerium wurde allerdings keine Aufsichtsbehörde für die Staatsanwaltschaft institutionalisiert. Dieser Umstand beschädigt potentiell den Ruf des gesamten Justizsystems. Die Staatsanwaltschaft hat mehr als 4.000 Anträge von Opfern angeblicher Folter, unmenschlicher Behandlung oder Zwang erhalten, sowie von Personen, welche gezwungen wurden, ihr Eigentum während der Herrschaft von Mikheil Saakaschwili aufzugeben. Seit 2012 stellt der Umfang der Strafverfahren gegen die ehemalige Führung eine Herausforderung für die aktuelle Regierung dar. Ihr wird vorgeworfen, politisch motivierte Untersuchungen einzuleiten bzw. Gerichtsprozesse zu führen. Gleichzeitig wird die Staatsanwaltschaft oft kritisiert, weil sie nicht die Fälle von Beamten untersucht hat, die ihre Befugnisse überschritten haben, oder von Polizisten, die gegen das Gesetz verstoßen haben oder von Menschen, die behaupten, im Gefängnis misshandelt worden zu sein. Als Reaktion auf diese Situation hat die Staatsanwaltschaft ihre Absicht bekundet, eine neue Abteilung zu schaffen, die im Rahmen von Gerichtsverfahren begangene Straftaten untersuchen wird (BTI 1.2016).
Das georgische Strafrecht mit dem ursprünglichen Ansatz einer "zero tolerance policy" zeigte eine enorm hohe Verurteilungsrate von 99%, mitunter wegen konstruierter Straftaten, sowie hohe Haftstrafen. Mit dem Regierungswechsel 2012/13 erfolgte eine kontinuierliche Liberalisierung des Strafrechts durch Reduzierung der Strafmaße, aber auch eine erkennbar geringere Verurteilungsrate; diese ist auf eine stärkere Emanzipierung der Richterschaft von den Anträgen der Staatsanwaltschaft zurückzuführen, aber auch auf eine Stärkung der Rechte der Verteidigung im Strafprozess (AA 10.11.2016).
Am 12.1.2016 präsentierte der Menschenrechtskommissar des Europarats, Nils Muižnieks, seine Beobachtungen zur Menschenrechtslage in Georgien. Mehrere Gesprächspartner wiesen auf die Mängel bei der Auswahl, Ernennung und Versetzung von Richtern hin. Versetzungen und Beförderungen von Richtern scheinen nicht durch spezifische Regeln und Kriterien reguliert zu sein, was die diesbezüglichen Entscheidungen als willkürlich erscheinen lässt und folglich das öffentliche Vertrauen in die Justiz untergräbt. Der Menschenrechtskommissar empfahl die diesbezügliche Umsetzung der Empfehlungen der Venediger Kommission und des Direktorats für Menschenrechte des Europarats (DHR) aus dem Jahr 2014. Überdies empfahl er, dass die Gerichtsfälle nach dem Zufallsprinzip den Richtern zugeteilt werden. Denn es gab Befürchtungen, dass prominente Fälle Richtern zugeteilt wurden, die als loyal zur Regierung gelten. Überdies sah der Menschenrechtskommissar die geltende dreijährige Probezeit für Richter als bedenklich an, weil letztere hierdurch anfälliger gegenüber einer möglichen Druckausübung sind. Auch in diesem Punkt empfahl Muižnieks die Umsetzung der Empfehlungen der Venediger Kommission und des DHR, welche die Abschaffung der Probezeit für Richter vorsahen. Dem Menschenrechtskommissar wurden Berichte zuteil, wonach es wiederholt zu Drohungen und Einschüchterungen von Verfassungsrichtern kam. So beispielsweise im Fall "Ugulava [ehem. Bürgermeister von Tiflis] gegen das Parlament Georgiens". Richter und deren Familienmitglieder wurden von Bürgern bedrängt, die sich vor den Privathäusern der Richter versammelten und u.a. mit physischer Gewalt drohten (CoE-CommHR 12.1.2016).
Am 21.7.2016 erklärte der Vorsitzende des Verfassungsgerichts, dass einige Richter des Gerichtshofes von den Behörden unter Druck gesetzt worden seien, in mehreren hochkarätigen Fällen Urteile zu verschieben oder zugunsten Angeklagten zu entscheiden. Staatsanwälte haben am 1.8.2016 darauf reagiert und eine Untersuchung zu den Vorwürfen eingeleitet (AI 22.2.2017).
Quellen: