TE Bvwg Erkenntnis 2019/4/30 W196 2211366-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.04.2019
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Entscheidungsdatum

30.04.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W196 2211366-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. SAHLING als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX geb. am XXXX StA. Russische Föderation gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.11.2018, Zl. 1196050508-180586735, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 26.02.2019, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde der XXXX wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben und gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin, Staatsangehörige der Russischen Föderation und Zugehörige der tschetschenischen Volksgruppe, stellte nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet am 22.06.2018 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Anlässlich ihrer niederschriftlichen Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag der Antragstellung gab die Beschwerdeführerin an, Staatsangehörige der Russischen Föderation, Zugehörige der tschetschenischen Volksgruppe und muslimischen Glaubens zu sein. Sie sei wegen ihrer sexuellen Orientierung erpresst und verfolgt worden.

In der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 08.10.2018 gab die Beschwerdeführerin im Wesentlichen an, dass sie am 17.06.2018 die Russische Föderation legal verlassen habe, wobei sie am 21.06.2018 illegal nach Österreich eingereist sei. Ihre Lebensgefährtin kenne sie schon ihr gesamtes Leben, da die Tante der Beschwerdeführerin den Onkel ihrer Lebensgefährtin geheiratet habe. Sie würde mit ihrer Lebensgefährtin schon lange, glaublich seit ihrem 18. Lebensjahr, eine Beziehung führen. Ihre Lebensgefährtin sei im Zuge des zweiten Tschetschenienkrieges nach Österreich gekommen. Vor drei Jahren habe sie ihre Lebensgefährtin über die Internetseite XXXX gefunden. Sie habe auch zu anderen jungen Frauen Kontakt, jedoch kein Verhältnis gehabt. Dezidiert zu ihren Fluchtgründen befragt gab sie an, dass die Probleme im Juli 2017 begonnen hätten. Sie habe eine Bekannte gehabt, die ebenfalls lesbisch gewesen sei. Diese Frau hätte mit der Beschwerdeführerin Zusammensein wollen und ihr den Vorschlag unterbreitet mit ihr eine intime Beziehung zu führen. Sie habe die Beschwerdeführerin gebeten, bei ihr zu bleiben, aber sie habe das nicht gewollt und abgelehnt. Daraufhin habe sie der Beschwerdeführerin mit Selbstmord gedroht, woraufhin die Beschwerdeführerin ihre Nummer blockiert habe. Daraufhin habe die besagte Frau die Sim-Karte der Beschwerdeführerin, die auf ihren Namen registriert gewesen sei, blockiert. Sie habe alle über den Anbieter alle ihre Kontakte ausgedruckt, da es ja auf ihren Namen gelaufen sei. Die besagte Frau habe begonnen, alle Kontakte der Beschwerdeführerin zu kontaktieren. Auch habe sie die Cousine der Beschwerdeführerin dazu zu bringen versucht mit ihr Frieden zu schließen. Als sie verstanden habe, dass die Beschwerdeführerin nicht vorhabe mit ihr eine Beziehung einzugehen, habe sie die Verwandten und auch den Polizeiinspektor darüber informiert, dass die Beschwerdeführerin lesbisch sei. Folglich sei der Inspektor zu ihr nach Hause gekommen und habe sie befragt, wobei sie ihm gegenüber nicht zugegen habe, dass sie lesbisch sei. Die Frau habe daraufhin telefonisch das Untersuchungskomitee in Grosny kontaktiert. Dann wären der Bezirksinspektor mit einem Mitarbeiter des Untersuchungskomitees zu ihr gekommen und sei sie wieder befragt worden, wobei sie die Gerüchte wieder dementiert habe. Folglich habe die Frau auch den Mullah im Dorf telefonisch kontaktiert, woraufhin dieser mit dem Cousin der Beschwerdeführerin namens XXXX in der Moschee gesprochen habe. Er habe ihm offiziell erklärt, dass die Beschwerdeführerin lesbisch sei und es Probleme gäbe, wenn er sie nicht stoppe. Die Beschwerdeführer habe sich vor allen Verwandten rechtfertigen müssen, und allen sagen, dass es nur eine Verleumdung sei. Folglich habe die Frau Fotos manipuliert und diese verteilt, wobei in Erfahrung gebracht worden sei, dass diese manipuliert gewesen seien. Folglich seien bei der Beschwerdeführerin um drei Uhr in der Früh Leute aus dem zweiten Regiment von Ramzan Kadyrow eingedrungen. Sie hätten die Beschwerdeführerin mitgenommen und in einen Keller gebracht. Dort sei sie festgehalten, geschlagen und befragt worden, ob sie wirklich lesbisch sei. Die ersten zwei oder drei Tage habe sie gesagt, dass sie es nicht sei, wobei sie am vierten Tag zugegeben habe, nachdem sie begonnen hätten sie zu foltern, lesbisch zu sein. Sie hätten ihr Geständnis aufgeschrieben und in einem Journalbuch aufgeschrieben. Sie hätten ihr gesagt, dass sie monatlich Geld zahlen müsse, da sonst offiziell veröffentlichen werde, dass sie lesbisch sei und dass sie öffentlich bestraft werde. Sie habe monatlich 100 000 Rubel bezahlen müssen. Sie habe einige Monate Geld bezahlt und sei dann geflüchtet. Dem Gesetz nach hätten die Kadyrow Leute kein Recht sie wegen ihrer Orientierung zu bestrafen, Russland verbiete nicht lesbisch zu sein, sie hätten sie jedoch illegal verschleppt. Aufgrund der Angaben der Beschwerdeführerin wurde ihre Lebensgefährtin am selben Tag vor dem Bundesamt niederschriftlich einvernommen.

Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag auf internationalen Schutz der Beschwerdeführerin bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Unter Spruchpunkt II. des Bescheides wurde der Antrag der Beschwerdeführerin bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf die Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen. Ferner wurde unter Spruchpunkt III. ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V). Unter Spruchpunkt VI. wurde gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin hinsichtlich ihrer sexuellen Orientierung bzw. Ausrichtung, nämlich die von ihr behauptete Homosexualität, nicht in der Lage gewesen sei, diese durch ihre Aussagen oder durch Nachweise kohärent und plausibel vorzubringen und nachzuweisen. So werde dem Vorbringen der Beschwerdeführerin in seiner Gesamtheit kein Glauben geschenkt. Ihre Behauptung einer konkreten Verfolgung in der Heimat könne nur als eine in den Raum gestellte Behauptung gewertet werden, der aufgrund der mangelnden Plausibilität und Nachvollziehbarkeit, keine Glaubwürdigkeit geschenkt werden könne. Zum Vorbringen der Beschwerdeführerin sei vorab auszuführen, dass es im Asylverfahren nicht ausreiche, dass Behauptungen aufgestellt würden, sondern müssten diese glaubhaft gemacht werden. Dazu müsse das Vorbringen in gewissem Maß substantiiert und nachvollziehbar sein, die Handlungsabläufe den allgemeinen Lebenserfahrungen entsprechen und hätte die Beschwerdeführerin persönlich glaubwürdig auftreten müssen. Ihre Aussagen würden diesen Anforderungen aber nicht entsprechen.

Gegen den oben genannten Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben, in welcher nach Wiederholung des fluchtauslösenden Ereignisses auf das im angefochtenen Bescheid herangezogene Länderinformationsblatt verweisen wurde. Dazu wurde ausgeführt, dass die Lage sexueller Minderheiten im Nordkaukasus als besonders gravierend qualifiziert werde. Personen, die für homosexuell gehalten werden, würden verschleppt, geschlagen, gefoltert und in manchen Fällen sogar getötet. Andere würden ihren Familien übergeben, "damit diese sie gemäß lokalen "Traditionen" töteten, um "Familienehre zu wahren". Die prekäre Situation für sexuelle Minderheiten werde insbesondere durch Äußerungen des tschetschenischen Oberhauptes, Ramzam Kadyrow, überdeutlich, der einerseits behaupte, dass es keine homosexuellen Personen in Tschetschenien geben würde und er anderenfalls deren Deportation ins Ausland vorschlage. Zudem wurde auf diverse Berichte verweisen, wonach LGBTI-Personen in der Russischen Föderation das Recht auf freie Meinungs- und Versammlungsfreiheit verwehrt werde. Des Weiteren würden Hassverbrechen aufgrund der sexuellen Orientierung bzw. der Geschlechtsidentität staatlicherseits nicht verfolgt, vielmehr müssten LGBTI-Personen mit Repressalien seitens der russischen Behörden rechnen.

Am 26.02.2019 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Zuhilfenahme einer geeigneten, weiblichen Dolmetscherin für die Sprache Tschetschenisch statt, an der die Beschwerdeführer und ihre Rechtsvertreterin teilnahmen.

Die stellig gemachte Zeugin (Z1) gibt nach der Belehrung gemäß §§ 49 und 50 AVG wie folgt an:

R: Erzählen Sie bitte über Ihre Beziehung zur BF?

Z1: Wir hatten so eine Art Verwandtschaft. Meine Tante war verheiratet mit dem Onkel der BF. Die BF ist immer auf Besuch zu ihrer Tante gekommen und ich wohnte in unmittelbarer Nachbarschaft, so haben wir uns kennengelernt. Ich glaube, ich war 17 Jahre alt, als wir uns kennengelernt haben. Auch schon davor haben wir uns gekannt, als wir ca. 8 Jahre alt waren. Die Beziehung hat angefangen, als wir ca. 17 Jahre alt waren. Wir waren in einem Dorf namens XXXX . Wir waren sehr vorsichtig, damit niemand etwas von unserer Beziehung merkt. Wir waren nur zusammen, wenn die Tante der BF nicht zu Hause. Wir sind allein in ein Zimmer gegangen. Die BF hat dort immer übernachtet, wenn sie zu Besuch gekommen ist. Die Beziehung hat von meiner Seite aus angefangen. Kurz bevor ich nach Österreich gekommen bin, wurde ich mit einem Mann verheiratet. Wir waren nur eine Woche in Traiskirchen zusammen. Ich habe geheiratet, weil in Tschetschenien ist es so, dass eine junge Frau verheiratet sein muss. Zu der Zeit, als ich geheiratet habe, hatte ich weder eine Mutter noch einen Vater. Ich wurde von Verwandten immer wieder darauf hingewiesen, dass ich heiraten sollte. Ich habe hier keine Beziehungen zu Tschetschenen, weil ich immer gefragt werde, warum ich nicht heirate oder warum ich keine Kinder habe. Mit der BF hatte ich eine Beziehung bis der Krieg begonnen hat. Dann ist die BF nach Inguschetien geflüchtet und ich bin nach Österreich geflüchtet. In Österreich haben wir uns dann wieder getroffen. Zwischendurch hatten wir noch schriftlichen Kontakt über soziale Medien. Ich habe gehofft, dass ich hier in Österreich Arbeit finde und die Staatsbürgerschaft bekomme und dann die Freundin nachholen und heiraten könnte. Die BF wollte nicht gleich herkommen, weil sie noch ihre kranke Mutter zu Hause pflegen wollte.

BFA: Wer war der Verwandte, der Ihnen nahelegte, doch zu heiraten und wie alt waren Sie?

Z1: Der Verwandte war ein Cousin meines Vaters. Sein Name war XXXX . Er hat im gleichen Dorf gelebt wie ich. Im Krieg wurde das Dorf zerstört, dann sind wir alle nach Gudermes übersiedelt. Ich habe gehört, dass er im letzten Jahr verstorben ist.

BFA: Wie war die Reaktion der BF, als sie gehört hat, dass Sie geheiratet haben?

Z1: Das weiß ich nicht. Wie konnte ich das wissen, wenn sie in einer anderen Region gelebt hat und wir keinen Kontakt hatten. Vielleicht hat sie es auch gar nicht gewusst. Auch wenn sie mich gesehen hätte und es gewusst hätte, hätte sie nicht darauf reagiert, da sie genau wüsste, warum ich geheiratet habe. Ich habe den Mann nur in Traiskirchen gesehen, als wir nach Österreich gekommen sind. Ich habe aber gehört, dass er Selbstmord begangen haben soll und dass er auch eine Frau ermordet hätte.

R: Ich habe auch Ihr Asylverfahren geleitet. Damals haben Sie nicht die heutigen Gründe als Fluchtgrund angegeben. Was war der tatsächliche Grund für Ihre Flucht?

Z1: Natürlich war das nicht dieses Problem. Ich habe bis heute Angst über diesen Grund zu sprechen. Ich habe niemals etwas über diesen Grund erzählt. Ich hatte auch andere Gründe, diese habe ich angegeben.

R: Wieso haben Sie noch nicht die österreichische Staatsbürgerschaft?

Z1: Es geht mir gesundheitlich nicht gut, ich bin depressiv. Ich war auch im Otto-Wagner-Spital. Nicht jeder würde das aushalten, was ich gesehen habe. Ich habe so viel gesehen, ich spüre bis heute, wie ein sechsjähriger Bub auf meiner Brust gestorben ist. Ich bin zu krank. Ich habe eineinhalb Jahre bei Sony und bei Manner gearbeitet. Zurzeit bin ich auf Rehab. Ich arbeite immer am Nachmittag fünf Stunden beim Verein LOK.

RV: Beim Erlangen der Staatsbürgerschaft schaden auch die Lücken zwischen den Arbeitsverhältnissen.

R: Sie haben die BF wiedergetroffen, als sie nach Österreich gekommen ist. Erzählen Sie darüber.

Z1: Mein Zustand hat sich sehr verbessert, seit sie da ist. Ich fühle mich wie ein Mensch, seit sie da ist. Im Krieg wurden wir getrennt und wir hatten für ca. acht bis neun Jahre keinen Kontakt zueinander. Ich habe nicht gewusst, wie ich zu ihr kommen könnte.

R: Sie hatten doch vor, sie nach Österreich nachzuholen, dazu mussten Sie doch wissen, wo sich die BF befindet?

Z1: Die BF hat mich gefunden auf einer Web-Site. Sie hat mir eine Freundschaftsanfrage geschickt. Das war ca. vor drei Jahren.

R: Wie hat sich das dann weiterentwickelt?

Z1: Ich habe zurückgeschrieben. Wir haben dann unsere Telefonnummern ausgetauscht und waren auf WhatsApp verbunden. Sie hat mir eine Tschetschenische Telefonnummer besorgt.

R: Wie war das dann, als Sie sich persönlich wieder getroffen haben?

Z1: Wir haben uns das erste Mal gesehen in Traiskirchen. Wir sind in ein Kaffeehaus gegangen. Wir haben und geküsst. Am Wochenende ist sie zu mir nach Wien gekommen. Dann sind wir in einen Verein für Lesben namens XXXX gegangen und haben darum gebeten, dass die BF eine Unterkunft bekommt. Sie hat ein Zimmer bekommen dort.

RV: Es gibt eine spezielle Einrichtung namens XXXX , die Wohnungen für homosexuelle, geflüchtete Personen zur Verfügung stellen. Dort hat die BF eine Wohnung bekommen und dort wohnt sie noch immer.

Z1: Wir wohnen aber zusammen. Sie geht jede Woche dorthin und ist noch dort gemeldet. Sie ist aber sehr oft bei mir. Die BF hat von 08:00 bis 11:00 Uhr Deutschkurs und kommt dann zu mir nach Hause. Wir essen zu Mittag bei mir. Die BF kocht und danach gehe ich arbeiten. Die BF ist zu Hause. Ich komme ca. um 19:00 Uhr nach Hause. Am Wochenende gehen wir gerne in den Park und spielen Federball und Fußball. Manchmal bleiben wir auch zu Hause. Ich lese auch gerne Romane über lesbische Paare. Zurzeit lese ich ein Buch namens Maria.

BFA: Was isst die BF gerne? Was kocht sie gut?

Z1: Sie kann Torten machen und auch sonst kocht sie gut. Für mich kocht sie Plov, Torten und Napoleon. Zum Frühstück gibt es Eier und Toast.

R: In welchen Park gehen Sie gerne?

Z1: In den Kongress-Park. Die BF geht am Donnerstag zu XXXX und wir gehen ins Frauenkaffee in der Langegasse.

BFA: Seit wann haben Sie Kontakt mit XXXX ?

Z1: Von Anfang an habe ich regelmäßigen Kontakt zu XXXX . Ich organisiere auch die Parade.

Die Zeugin wird aus dem Zeugenstand entlassen und die BF betritt wieder den Verhandlungssaal und wird befragt.

R: Ich habe die Z1 gefragt, wie Sie sich kennengelernt haben. Ich möchte Sie das gleiche fragen. Wie haben Sie sich kennengelernt? Was war in Tschetschenien und was ist hier?

BF: Ich kann mich nicht genau erinnern, wie alt ich war, als ich die Z1 kennengelernt habe. Wir waren noch Kinder, ca. 14 Jahre. Wir waren in Verwandtschaft, meine Tante war verheiratet mit ihrem Onkel. Ich war auf Besuch bei meiner Tante und dort haben wir uns kennengelernt. Die Beziehung ist langsam entstanden. Ich habe eigentlich bemerkt, dass ich auf Frauen stehe, schon als ich ganz klein war, ca. vier oder fünf Jahre alt. Bei uns wurde über solche Themen nicht offen gesprochen. Ich habe nicht gewusst, dass das ein Problem ist, weil man nicht darüber gesprochen hat. Natürlich habe ich verstanden, dass es nicht in Ordnung ist, wenn man unverheiratet ist. Die Beziehung zur BF hat plötzlich angefangen. Das war vor dem Beginn des Krieges, ich war ca. 17/18 Jahre alt. Wir haben uns bei der Tante getroffen und dann hat der Krieg begonnen. Niemand hat von unserer Beziehung gewusst, wir haben das auch nur praktiziert, als wir alleine waren, wenn ich dort übernachtet habe. Dann bin ich nach Inguschetien geflüchtet. Ich konnte die Z1 während des Krieges nicht finden. Ihre Eltern haben politische Probleme bekommen und wurden umgebracht. Ich hatte keinen Kontakt zu ihr gehabt. Nach dem zweiten Krieg bin ich von Inguschetien zurückgekommen und die Eltern der Z1 waren zu dieser Zeit schon tot. Ich habe sie dann weiter nicht finden können, denn der Onkel und die Tante waren auch tot. Ich habe niemanden gekannt dort den ich nach ihr fragen konnte. In diesem Dorf, in dem wir uns früher getroffen hatten, war niemand mehr, es war zerstört. Ich bin nach XXXX zurückgekehrt, dort gab es noch Menschen. Ich hatte keine Möglichkeit sie zu suchen, da es dort kein Internet gab. Als ich einen Internetzugang bekommen habe, habe ich als erstes begonnen nach der Z1 zu suchen. Ich habe im Haus meiner Eltern gelebt. Zu dieser Zeit gab es keine Möglichkeit zu arbeiten, aber später, als wieder etwas aufgebaut wurde, konnte ich arbeiten. Ich habe mit zwei Brüdern und mit meiner Mutter gelebt. Ich habe mit Lebensmitteln gehandelt und sie verkauft. Diese habe ich in XXXX gekauft. Ich habe sie im Internet gesucht, habe sie aber leider nicht gefunden. Andere Freundinnen hatte ich nicht.

R: Von Ihnen wollte niemand, dass Sie heiraten?

BF: Nein, im Gegenteil. Von meiner Familie wollte niemand, dass ich heirate, da ich die einzige Tochter der Familie war.

R: Was ist weiter passiert?

BF: Ich glaube es war der 14.11.2015 als ich die Z1 im russischen Netzwerk gefunden habe. Bis dahin habe ich einfach nur weitergelebt. Seit ich sie gefunden habe, haben wir immer miteinander kommuniziert. So stark wie vor dem Krieg waren meine Gefühle nicht, aber ich habe immer davon geträumt, sie wiederzusehen. Sie war mir sehr wichtig, weil ich sonst keine Menschen wie sie gekannt habe. Sie war mir sehr nahe. Dann haben wir immer sehr lange telefoniert und viel miteinander gesprochen. Wir haben uns erzählt, was in unserem Leben passiert ist. Die Z1 konnte nicht nach Tschetschenien zurückkehren, da ihre Familie Probleme mit der Regierung hatte und daher hat sie mir einmal geschrieben, ob ich zu ihr hierher nach Österreich kommen könnte. Ich habe das bejaht und habe gewartet, bis sie die Staatsbürgerschaft bekommt, diese wollte sie erwerben. Ich wollte mit ihr hier leben und sie heiraten, damit ich auch zu meiner kranken Mutter fahren könnte. Ich wollte mit einem Visum herkommen. Dann habe ich ein Problem bekommen.

In XXXX habe ich eine Frau namens Marina kennengelernt. Sie war auch lesbisch. Wir waren einige Zeit bekannt. 2017 hat sie mir angeboten, dass ich mit ihr zusammenziehen sollte. Da ich das verneint habe, habe ich Probleme bekommen. Als ich Mariana abgelehnt habe, hat sie mir gedroht. Marina hatte mir eine SIM-Karte geschenkt, zu der Zeit, als wir noch guten Kontakt hatten. Sie war beleidigt und hat gedroht, sich umzubringen. Marina hat diese SIM-Karte sperren lassen und danach hat sie alle meine Kontakte dadurch herausgefunden. Dann hat sie begonnen, alle Kontakte anzurufen und hat ihnen erzählt, dass ich lesbisch sei. Dann haben mich alle meine Bekannten und Verwandten gefragt, ob ich lesbisch sei, ich habe das verneint. Es war sehr schwer für mich. Dann hat Marina auch die Polizei angerufen und hat auch dort gesagt, dass ich lesbisch sei, das war im Jahr 2017. Dann ist ein Polizist zu mir nach Hause gekommen und ich musste ihm erklären, dass ich nicht lesbisch bin. Der Polizist hat mir geglaubt und ist weggegangen. Danach hat Marina eine höhere Behörde angerufen und hat auch dort gesagt, dass ich lesbisch sei. Dann sind sie zu zweit gekommen, der Polizist, der schon bei mir war und ein anderer. Ich habe ihnen gesagt, dass Marina auf mich böse sei und deshalb so etwas über mich erzählt. Sie forderten mich auf, mich mit ihr zu versöhnen. Marina hat alles über mich gewusst, auch, dass die Polizei bei mir war. Sie hat auch den Mullah in meinem Heimatdorf informiert. An einem Freitag haben sich die Leute in der Moschee getroffen und der Mullah hat meinen Cousin angesprochen und ihm gesagt, dass er informiert wäre, dass ich lesbisch sei und wenn ich das weiter machen würde, würde ich Probleme bekommen. Danach sind alle unsere Verwandten zusammengekommen und haben wieder darüber gesprochen im Familienkreis. Ich habe ihnen gesagt, dass sich Marina nur rächen möchte, weil sie auf mich böse ist, weil sie mir ein lesbisches Angebot gemacht hat, das ich abgelehnt habe. Dann hat Marina die höchste muslimische Behörde angerufen und hat ihnen pornographische, manipulierte Fotos geschickt, die mich mit Frauen zeigten. Dann sind sie von der Religionsbehörde zu mir gekommen und haben die Verwandten gefragt, ob das stimmt. Die Fotos haben sie dann kontrolliert und haben gesehen, dass diese manipuliert sind und daher haben sie mir dann geglaubt. Einige Zeit, ca. einen Monat lang, war dann Ruhe, danach sind Leute in der Nacht zu uns gekommen. Sie waren schwarz gekleidet und haben mich mitgenommen. Sie haben mich in einen Keller gesperrt und haben mich bedroht und geschlagen. Sie haben mich immer gefragt, ob ich lesbisch sei. Ich habe es nicht zugegeben. Am vierten Tag haben sie begonnen, mich mit einem geheizten Metall zu stechen und haben mich wieder gefragt, ob ich lesbisch sei. Ich habe es gestanden. Danach haben sie mich zurückgebracht. Sie haben mich registriert und haben mich in ein behördliches Register betreffend Prostituierte und Homosexuelle eingetragen. Dies ist eine Art Strafregister. Es heißt auf Russisch Journal und auf Deutsch sagen wir Buch. Sie haben von mir 100.000 Rubel (das sind etwa 1.400 Euro) verlangt, damit sie keine Veröffentlichung im Fernsehen machen und mich nicht umbringen. Drei Mal habe ich das bezahlt, drei Monate hintereinander. Ich habe gewusst, das kann nicht so weitergehen. Ich habe zwar Geld verdient damals. Ich bin dann von Tschetschenien nach Minsk geflüchtet. Als ich den dritten Tag dort war, habe ich meine Mutter angerufen. Sie hat geweint. Ich habe ihr gesagt, dass alles in Ordnung sei. Aber die Mutter hat gesagt, dass ich nach Hause kommen soll, weil man sie sonst umbringen würden. Dann bin ich nach Hause zurückgefahren. Sie haben mich dafür bestraft, dass ich geflüchtet bin, ich musste 300.000 Rubel bezahlen. Sie haben mir gesagt, wenn ich noch einmal flüchten würde, würden sie mich umbringen, ich müsste weiter bezahlen. Ich habe zu dieser Zeit nicht schlecht verdient, ich hatte sechs Mitarbeiter. Ich habe genug Geld gehabt damals. Ab Jänner musste ich wieder jeden Monat 100.000 Rubel bezahlen. Ab Jänner bis April habe ich bezahlt. Ich hatte große Angst, dort zu leben. Dann bin ich zu meiner Freundin Malika gezogen. Ich habe mein Geschäft verkauft. Am 4. Mai bin ich von dort weggefahren. Bevor ich weggefahren bin, habe ich meine Mutter zum Bruder in die Stadt gebracht. Ich bin nach Moskau zu einer Freundin gefahren und von dort wieder zurück nach Minsk. Dort habe ich einen Monat bei Freunden verbracht. Als ich dort war, hat mir eine ebenfalls lesbische Freundin, die vor kurzem nach Frankreich gezogen war, geraten, wegzugehen. Ich hatte keine Zeit, ein Visum ausstellen zu lassen. Die Freundin hat mir erzählt, wie ich ohne Visum nach Österreich kommen könnte. Ich habe ein Flugticket von Moskau nach Monte Carlo gekauft. Die Rückfahrt war über Wien. Ich bin dann in Wien geblieben und habe um Asyl angesucht.

BFA: Hatte Marina besondere Beziehungen zu höheren Kreisen? Warum ist ihr nichts passiert?

BF: Dort in XXXX ist es nichts Besonderes, lesbisch zu sein. Dort gibt es auch Clubs für Lesbierinnen.

R: Wieso hat Marina so einen Einfluss gehabt? Warum wurde sie so ernst genommen bei den unterschiedlichen Behörden? Wissen Sie, was mit ihr in der Folge passiert ist?

BF: Ich kenne viele Frauen in XXXX. Ich hatte mir auch überlegt, Marina Ärger zu machen, denn es gibt in ihrem Dorf auch Verwandte, die das nicht so geschätzt haben. Ich habe dort eine Frau gekannt, die mit einem Tschetschenen verheiratet war. Über diesen wollte ich erfahren, aus welchem Dorf Marina kommt. Die Bekannte hat mir erzählt, dass Marina eine Position hätte, dass es nicht ratsam wäre, gegen sie vorzugehen. Wenn du nur über die Grenze gehst von Kabardino-Balkarien, wirst du Probleme bekommen.

R: Wie lange haben Sie Marina gekannt?

BF: Seit 2008 habe ich sie gekannt. Ich habe sie als normalen Menschen gekannt und habe erst später gemerkt, dass sie lesbisch ist.

R: Wie war das, als Sie nach Österreich gekommen sind? Wie haben Sie die Z1 hier das erste Mal getroffen?

BF: Ich wurde nach Traiskirchen gebracht und am ersten Tag ist die Z1 zu mir gekommen. Wir sind in die Stadt gegangen, sind in eine Pizzeria gegangen und auch in ein Kaffeehaus. Bis zum Abend waren wir zusammen, dann bin ich zurückgegangen. Ab diesem Tag ist sie jeden Tag zu mir gekommen. Am dritten oder vierten Tag habe ich eine weiße Karte bekommen. Diese habe ich ihr gezeigt und sie war sehr froh darüber. Dann hat mir die Z1 erzählt, wie ich zu ihr nach Wien kommen könnte. Dann bin ich zum ersten Mal zu ihr nach Wien gekommen und danach immer wieder. Jetzt wohne ich bei der Z1. Gemeldet bin ich im XXXX Bezirk. Ich kann nicht fix bei ihr wohnen, weil sie hat verschiedene Verwandte, die sie manchmal besuchen. Die Verwandten sollen nicht erfahren, dass wir lesbisch sind.

BFA: Um welche Verwandte handelt es sich dabei?

BF: Ich kenne sie nicht, aber ich weiß, dass diese auch im Zuge des Krieges hierhergekommen sind. Aber aufgrund meines Aussehens kann ich sie ohnehin nicht treffen.

R: Wie stellen Sie sich Ihre gemeinsame Zukunft vor?

BF: Die Verwandten kommen selten auf Besuch. Wir denken immer daran, wir wollen zusammenleben. Wir haben angefangen, die Dokumente für eine Heirat zusammenzusuchen. Wenn ich von hier weg müsste, nach Tschetschenien gehe ich auf keinen Fall zurück, eher bringe ich mich um.

R: Erzählen Sie bitte, wie ein Tag ausschaut, wenn Sie bei der Z1 übernachten, was machen Sie tagsüber?

BF: In der Früh gehe ich zum Deutschkurs, das ist für mich das wichtigste, dass ich Deutsch lerne. Dann habe ich mich zu einem Jogakurs angemeldet, dieser findet dienstags und donnerstags auf der Schmelz statt. Donnerstag Abend sind wir bei XXXX . Am ersten Freitag im Monat versammeln wir uns in einem Cafe in der Langegasse. Am Wochenende treffen wir uns mit Freunden und spielen Tennis, Karten und andere verschiedene Spiele. Das ist nicht Tennis sondern Federball, wir spielen es im Kongresspark. Zurzeit bereiten wir uns auf die Parade vor. Zu Hause koche ich gerne, die Z1 kocht nicht gerne. Die Z1 hilft mir beim Deutschlernen. Wenn wir irgendwo hingehen, zB demonstrieren, bereiten wir hierfür Schilder vor.

BF: Sie gehen also jeden Donnerstag zu XXXX und besuchen eine Veranstaltung? Was ist bei der letzten derartigen Veranstaltung gewesen?

BF: Wir sind jeden Donnerstag dort und trinken Kaffee und plaudern.

BFA: Keine weiteren Fragen.

BFA an Z1: Was sagen Sie zur Aussage der BF, dass Sie nicht zusammenleben können mit ihr, weil immer wieder Verwandte auf Besuch kommen und die BF daher nicht bei Ihnen dauerhaft einziehen könne?

Z1: Auf keinen Fall sollen die Angehörigen erfahren, dass wir lesbisch sind. Bei den Verwandten handelt es sich um Neffen. Wenn sie es erfahren würden, würden sie es nicht begreifen. Sie würden den Kontakt zu mir abbrechen. Mein Neffe verdächtigt mich ohnehin, weil ich nicht verheiratet bin. Er hat mich einmal mit einem Hemd gesehen, wo ein Regenbogen drauf ist, da wollte er wissen, was das bedeutet. Die Tochter des Neffen schaut auch wie ein Mann aus, und das mag er gar nicht.

R: Wenn Sie sich engagieren und auf Demos gehen und Regenbogen-Leibchen tragen, muss man schon damit rechnen, dass das ein Tschetschene sieht und es dem Neffen erzählt.

Z1: Wenn ich dorthin gehe, maskiere ich mich.

R: Wie stellen Sie sich Ihr gemeinsames zukünftiges Leben vor?

Z1: Wir wollen unbedingt zusammen sein. Wir sehen unsere Zukunft hier.

BF: Wir sind nicht schuld daran, dass wir so geboren wurden. Wir können nur hier zusammen sein und glücklich sein. Wir mussten für lange Zeit getrennt leben und haben darunter sehr gelitten. Jetzt sind wir wieder zusammengekommen und wir können nur hier zusammen sein.

Z1: Ich will nicht mehr ohne sie leben. Ich habe psychische Probleme.

BFA: Sie haben bei Ihrer Einvernahme vor dem BFA gesagt, dass Sie planen, eine eingetragene Partnerschaft anzustreben. Haben Sie diesbezüglich schon Schritte gesetzt?

Z1: Am 17.01.2019 waren wir wieder beim Magistrat im 3. Bezirk. Es war schon das zweite Mal. Beim ersten Mal waren wir im Magistrat im

16. Bezirk. Dort war man sehr unfreundlich bei uns. Momentan müssen wir Unterlagen zusammensuchen. Ich brauche eine Bestätigung, dass ich unverheiratet bin. Wir müssen einen Weg finden, dass wir dieses Dokument bekommen. Wir brauchen eine Bestätigung vom Standesamt in Moskau.

BF: Ich wurde von einer Psychologin gefragt, ob ich wegen meiner Freundin nach Österreich gekommen bin und ich habe gesagt, nein. Ich bin wegen meiner Probleme gekommen, sonst wäre ich schon etwas früher gekommen. Ich wäre eigentlich lieber in Tschetschenien, denn dort hatte ich mein Leben. Ich habe meine Mutter verloren, weil ich sie nicht mehr besuchen kann.

RV: Woher kennen Sie die BF und Z1?

Z2: Ich kenne sie von meiner Arbeit bei XXXX . Ich arbeite dort seit 2018 und ich habe die beiden dort kennengelernt. XXXX ist eine Organisation die sich im Haus der XXXX befindet. Deswegen habe ich nicht nur in meiner Arbeit mit ihnen zu tun, sondern auch im Community-Center. Wir sind gemeinsam zu XXXX -Veranstaltungen gegangen. ZB waren wir Anfang Jänner bei einer Donnerstags-Demo und ich habe sie dort mit Postern gesehen. Seit Dezember habe ich die BF regelmäßig getroffen bei XXXX und ich habe sie auch beraten. Ich arbeite mit russisch sprechenden Flüchtlingen. Ich arbeite als Sozialarbeiterin. Ich helfe bei der Wohnungssuche, bei Wegen zum Sozialamt usw.

RV: Welche Veranstaltungen besucht die BF regelmäßig?

Z2: Wir haben ein XXXX -Cafe am Donnerstag, wo XXXX Leute sich kennenlernen können und Zeit zusammen verbringen können.

RV: Kommt da die BF alleine oder mit der Z1?

Z2: Ich habe sie nur einmal gemeinsam dort gesehen, weil die Z1 nachmittags arbeitet und es in ihre Arbeitszeit fällt.

RV: Sie haben die beiden gemeinsam gesehen?

Z2: Ja.

RV: Sie würden auch die Beziehung der beiden bestätigen?

Z2: Ja. Im Dezember haben mir meine Kolleginnen über unsere Klientinnen erzählt, sie haben mir über die BF erzählt und sie haben mir ihre Daten gezeigt und mir ihre Geschichte erzählt. Sie haben mir gesagt, dass diese zwei Frauen zusammen sind, später habe ich sie auch zusammen gesehen. Ich habe sie auch in der XXXX Cafe in der XXXX gesehen, das ist ein feministischer, lesbischer Transgender-Ort. Ich habe gesehen, dass sie eine intime Beziehung haben.

RV: Haben Sie auch nur den geringsten Zweifel an der sexuellen Orientierung der beiden?

Z2: Nein, nicht nur, weil ich es gehört habe, ich kann das beurteilen und auch fühlen.

RV: Bei XXXX , lehnen Sie da Leute ab, die nur vorgeben, lesbisch zu sein, um Vorteile im Asylverfahren zu haben?

Z2: Ja, es gibt Regeln, jede Person hat einen Rechtsberater und wenn wir das Gefühl hat, dass uns jemand nur etwas vorspielt, sagen wir ihm, dass wir nicht die richtige Organisation für ihn sind, weil wir wissen, dass die Konsequenz für alle unsere Klientinnen sein könnte, denn mit unserem Stempel sagen wir aus, dass eine Person lesbisch ist. Die Ämter glauben das und wenn wir das leichtfertig hergeben würden, wäre das nicht so.

BFA: Sind Sie auch privat befreundet mit der BF?

Z2: Nein, ich berate sie und wir treffen uns bei unseren Veranstaltungen als Community-Members.

BFA: Unterstützen Sie die BF auch zB bei der Frage der Eheschließung?

Z2: XXXX unterstützt nur im Bereich Asyl, für diese Behördenwege haben wir zu wenig Kenntnisse.

BFA: Wie sehen die Unterstützungen aus? Unternehmen Sie auch zB Ausflüge zusammen?

Z2: Wir organisieren nichts, aber wir könnten dabei sein, wenn etwas veranstaltet wird.

RV: From where do you know BF?

Z3: From XXXX

RV: Since when do you have contact to her?

Z3: Since five month.

RV: Do you also know Z1?

Z3: Yes, I know both of them. I saw them kiss each other. Sometimes, when we are together, I picked pictures from them and they asked me to delete them, because it would be dangerous for them.

RV: Would you say that BF and Z1 are a couple?

Z3: I know they are a couple, because I know that they love each other. BF told me, that she loves Z1.

BFA: No questions.

R an Z1: Wer hat die Fotos gemacht?

Z1: Die Fotos sind Selfies.

Im Zuge der Verhandlung wurden diverse Unterlagen vorgelegt:

* Bestätigung von XXXX ;

* Verein XXXX Bestätigung;

* Russian LGBT Network Certificate;

* Fotos welche die BF und die Z1 zeigen;

* Urteil Verwaltungsgericht Potsdam vom 27.04.2017;

* OSCE Organization for Security and Co-operation in Europe Office for Democratic Institutions and Human Rights vom 13.12.2018;

* ACCORD Anfrage: Anfragebeantwortung zur Russischen Föderation:

Lage von LGBT-Personen tschetschenischer oder inguschetischer Herkunft; Lage von LGBT-Personen in Russland allgemein (isnbesondere in Moskau und St. Petersburg); Lage von Regenbogenfamilien; Lage von Trans-Personen vom 30.05.2018;

* Schriftliche Stellungnahme der Rechtsvertreterin

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Aufgrund der Einsichtnahme in den bezughabenden Verwaltungsakt, des Antrages auf internationalen Schutz und der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 22.06.2018, der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 08.10.2018 sowie der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 26.02.2019, werden die folgenden Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige der Russischen Föderation, Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe und bekennt sich zum muslimischen Glauben. Die Beschwerdeführerin ist in Grosny geboren, wo sie auch bis zur Ausreise lebte. Die Beschwerdeführerin reiste illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 22.06.2018 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Die Beschwerdeführerin bezeichnet sich selbst als homosexuell (lesbisch), sie führt in Österreich aktuell eine homosexuelle Beziehung.

Die Beschwerdeführerin verließ ihren Herkunftsstaat aus Furcht vor Verfolgung aufgrund ihrer sexuellen Orientierung. Vor ihrer Ausreise kam es in diesem Zusammenhang zu einem Vorfall, wodurch ihre sexuelle Orientierung in ihrer Lebensumgebung allgemein bekannt wurde und welcher diese Verfolgungsangst maßgeblich verstärkte.

Festgestellt wird, dass der Beschwerdeführerin in der Russischen Föderation mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine an asylrelevante Merkmale anknüpfende aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität droht.

Die Beschwerdeführerin ist strafrechtlich unbescholten.

Es liegen keine Gründe vor, nach denen die Beschwerdeführerin von der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten auszuschließen ist oder nach denen ein Ausschluss der Beschwerdeführerin hinsichtlich der Asylgewährung zu erfolgen hat.

Zur maßgeblichen Situation in der Russischen Föderation, insbesondere in Tschetschenien, wird basierend auf dem aktuellen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Folgendes festgestellt:

Zur Situation in der Russischen Föderation wird festgestellt:

Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

1. Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

Ende 2018 kam es in Tschetschenien wieder zur Verhaftung von Homosexuellen. Laut Angaben des russischen LGBT-Netzwerkes wurden mindestens 40 Frauen und Männer inhaftiert, mindestens zwei sollen im Zuge von Folter getötet worden sein (LGBT Netzwerk 14.1.2019, vgl. Nowaja Gaseta 18.1.2019). Laut dem Leiter des LGBT-Netzwerkes, Igor Kotschetkow, kam es nicht nur zur physischen Bedrohung bis zur Inkaufnahme des Todes der Festgehaltenen, sondern die Sicherheitskräfte sollen auch versucht haben, die Frauen und Männer daran zu hindern, aus der Teilrepublik auszureisen oder vor Gericht zu ziehen (NZZ 18.1.2019, vgl. UN News 13.2.2019). Die Kampagne, deren Muster und auch der Ort der Inhaftierung, eine Anlage in der Stadt Argun, erinnern an eine erste Welle an Verhaftungen von tschetschenischen Homosexuellen vor zwei Jahren. Nach Einschätzung von Menschenrechtsaktivisten gingen die Einschüchterungen, Festnahmen und Gewalttaten gegen Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender weiter. Im Frühsommer 2017 hatte das Ermittlungskomitee von höchster Stelle in Moskau aus wegen starken internationalen Drucks eine Untersuchung der schwerwiegenden Vorwürfe angeordnet. Diese brachte allerdings nie konkrete Resultate (NZZ 18.1.2019, vgl. Nowaja Gaseta 18.1.2019).

Quellen: - Russisches LGBT-Netzwerk (14.1.2019): New wave of persecution against LGBT people in Chechnya: around 40 people detained, at least two killed,

https://lgbtnet.org/en/newseng/newwave-persecution-against-lgbt-people-chechnya-around-40-people-detained-least-two-killed, Zugriff 28.2.2019 - Nowaja Gaseta (18.1.2019): ?????????? ??????, https://www.novayagazeta.ru/articles/2019/01/16/79205-legitimnye-zhertvy, Zugriff 28.2.2019 - NZZ - Neue Zürcher Zeitung (18.1.2019): In Tschetschenien hat eine neue Welle der Verfolgung Homosexueller begonnen,

https://www.nzz.ch/international/in-tschetschenien-hat-eine-neue-welleder-verfolgung-homosexueller-begonnen-ld.1452401, Zugriff 28.2.2019 - UN News (13.2.2019): LGBT community in Chechnya faces 'new wave of persecution': UN human rights experts, https://news.un.org/en/story/2019/02/1032641, Zugriff 28.2.2019

Politische Lage

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (CIA 12.7.2018, vgl. GIZ 7.2018c). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weit reichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 7.2018a, vgl. EASO 3.2017). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister und entlässt sie (GIZ 7.2018a). Wladimir Putin ist im März 2018, bei der Präsidentschaftswahl im Amt mit 76,7% bestätigt worden. Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl ärgster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motivierten Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, um an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018, FH 1.2018). Putin kann dem Ergebnis zufolge nach 18 Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen. Gemäß der Verfassung darf er nach dem Ende seiner sechsjährigen Amtszeit nicht erneut antreten, da es eine Beschränkung auf zwei aufeinander folgende Amtszeiten gibt (Tagesschau.de 19.3.2018, vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58,4% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Parlament - Staatsduma und Föderationsrat - ist in seinem Einfluss stark beschränkt. Der Föderationsrat ist als "obere Parlamentskammer" das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten: Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus der Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für vier Jahre nach dem Verhältniswahlrecht auf der Basis von Parteilisten gewählt. Es gibt eine Siebenprozentklausel. Wichtige Parteien sind die regierungsnahen Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern und

Gerechtes Russland (Spravedlivaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern. Die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, die die Nachfolgepartei der früheren KP ist. Die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist, die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern, die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), linkszentristisch, mit 85.000 Mitgliedern, die Partei der Volksfreiheit (PARNAS) und die demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 7.2018a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (339 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (40 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (AA 5.2018b).

Russland ist eine Föderation, die aus 85 Föderationssubjekten (einschließlich der international umstrittenen Einordnung der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges, Sewastopol) mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 7.2018a, vgl. AA 5.2018b). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 7.2018a).

Es wurden acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten) geschaffen, denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum ("exekutive Machtvertikale") deutlich (GIZ 7.2018a).

Quellen: - AA - Auswärtiges Amt (5.2018b): Russische Föderation - Außen- und Europapolitik,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederationnode/russischefoederation/201534, Zugriff 1.8.2018 - CIA - Central Intelligence Agency (12.7.2018):

The World Factbook,

https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 1.8.2018

-

EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-stateactors-of-protection.pdf, Zugriff 1.8.2018 - FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1428824.html, Zugriff 1.8.2018 - GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836, Zugriff 1.8.2018 - GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 1.8.2018 - OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (18.3.2018): Russian Federation Presidential Election Observation Mission Final Report,

https://www.osce.org/odihr/elections/383577?download=true, Zugriff 29.8.2018 - Presse.at (19.3.2018): Putin: "Das russische Volk schließt sich um Machtzentrum zusammen", https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5391213/Putin_Das-russische-Volkschliesst-sich-um-Machtzentrum-zusammen, Zugriff 1.8.2018 - Standard.at (19.3.2018): Putin sichert sich vierte Amtszeit als Russlands Präsident, https://derstandard.at/2000076383332/Putin-sichert-sich-vierte-Amtszeit-als-Praesident, Zugriff 1.8.2018 - Tagesschau.de (19.3.2018): Klarer Sieg für Putin, https://www.tagesschau.de/ausland/russland-wahl-putin-101.html, Zugriff 1.8.2018

Tschetschenien

Die Tschetschenische Republik ist eine der 22 Republiken der Russischen Föderation. Die Fläche beträgt 15.647 km2 (Rüdisser 11.2012) und laut offizieller Bevölkerungsstatistik der Russischen Föderation zum 1.1.2018 beläuft sich die Einwohnerzahl Tschetscheniens auf 1,4 Millionen (GKS 25.1.2018), wobei die offiziellen Angaben von unabhängigen Medien infrage gestellt werden. Laut Aussagen des Republiksoberhauptes Ramzan Kadyrow sollen rund 600.000 TschetschenInnen außerhalb der Region leben, die eine Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handle es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens, die bereits vor über einem Jahrhundert entstanden seien, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum (ÖB Moskau 12.2017). In Bezug auf Fläche und Einwohnerzahl ist Tschetschenien somit mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik.

Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der Bewohner/innen Tschetscheniens gaben [bei der letzten Volkszählung] 2010 an, ethnische Tschetschenen/innen zu sein. Der Anteil ethnischer Russen/innen an der Gesamtbevölkerung liegt bei 1,9%. Rund 1% sind ethnische Kumyk/innen, des Weiteren leben einige Awar/innen, Nogaier/innen, Tabasar/innen, Türk/innen, Inguschet/innen und Tatar/innen in der Republik (Rüdisser 11.2012).

In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018). So musste im Mai 2016 der Vorsitzende des Obersten Gerichts Tschetscheniens nach Kritik von Kadyrow zurücktreten, obwohl die Ernennung/Entlassung der Richter grundsätzlich in föderale Kompetenz fällt. Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen parallel zu den Wahlen zum Oberhaupt der Republik durchzuführen. Bei den Wahlen vom 18.9.2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Kadyrow wurde laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen, in deren Vorfeld Human Rights Watch über massive Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet hatte. Das tschetschenische Oberhaupt bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml (ÖB Moskau 12.2017). Vertreter russischer und internationaler NGOs berichten immer wieder von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen, einem Klima der Angst und Einschüchterung (AA 21.5.2018). Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen. Anfang 2016 sorgte Kadyrow landesweit für Aufregung, als er die liberale Opposition in Moskau als Staatsfeinde bezeichnete, die danach trachteten, Russland zu zerstören. Nachdem er dafür von Menschenrechtsaktivisten sowie von Vertretern des präsidentiellen Menschenrechtsrats scharf kritisiert worden war, wurde in Grozny eine Massendemonstration zur Unterstützung Kadyrows organisiert (ÖB Moskau 12.2017).

Während der mittlerweile über zehn Jahre dauernden Herrschaft des amtierenden Republikführers Ramzan Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Verhältnis zur Russischen Föderation ambivalent. Einerseits ist Kadyrow bemüht, die Zugehörigkeit der Republik zu Russland mit Nachdruck zu bekunden, tschetschenischen Nationalismus mit russischem Patriotismus zu verbinden, Russlands Präsidenten in der tschetschenischen Hauptstadt Grozny als Staatsikone auszustellen und sich als "Fußsoldat Putins" zu präsentieren. Andererseits hat er das Föderationssubjekt Tschetschenien so weit in einen Privatstaat verwandelt, dass in der Umgebung des russischen Präsidenten die Frage gestellt wird, inwieweit sich die von Wladimir Putin ausgebaute föderale Machtvertikale dorthin erstreckt. Zu Kadyrows Eigenmächtigkeit gehört auch eine Außenpolitik, die sich vor allem an den Mittleren Osten und die gesamte islamische Welt richtet. Kein anderer regionaler Führer beansprucht eine vergleichbare, über sein eigenes Verwaltungsgebiet und die Grenzen Russlands hinausreichende Rolle. Kadyrow inszeniert Tschetschenien als Anwalt eines russländischen Vielvölker-Zusammenhalts, ist aber längst zum "inneren Ausland" Russlands geworden. Deutlichster Ausdruck dieser Entwicklung ist ein eigener Rechtszustand, in dem islamische und gewohnheitsrechtliche Regelungssysteme sowie die Willkür des Republikführers in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands geraten (SWP 3.2018). Quellen: - AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation - GKS - Staatliches Statistikamt (25.1.2018):

Bevölkerungsverteilung zum 1.1.2018, http://www.gks.ru/free_doc/new_site/population/demo/PrPopul2018.xlsx, Zugriff 1.8.2018 - ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation - Rüdisser, V. (11.2012): Russische Föderation/Tschetschenische Republik. In: Länderinformation n°15, Österreichischer Integrationsfonds, http://www.integrationsfonds.at/themen/publikationen/oeif-laenderinformation/, Zugriff 1.8.2018 - SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (3.2018):

Tschetscheniens Stellung in der Russischen Föderation. Ramsan Kadyrows Privatstaat und Wladimir Putins föderale Machtvertikale, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2018S01_hlb.pdf, Zugriff 1.8.2018

Sicherheitslage

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen. Todesopfer forderte zuletzt ein Terroranschlag in der Metro von St. Petersburg im April 2017. Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 28.8.2018a, vgl. BMeiA 28.8.2018, GIZ 6.2018d). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 28.8.2018).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderten Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Gewaltzwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36). Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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