TE Bvwg Erkenntnis 2019/5/6 W111 2105375-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.05.2019
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Entscheidungsdatum

06.05.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch

W111 2105375-1/19E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. DAJANI, LL.M., als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Weißrussland (Belarus), vertreten durch den XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.03.2015, Zl. 831372308-2383917, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 12.02.2019 zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß §§ 3, 8, 57, 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005

idgF iVm § 9 BFA-VG, §§ 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, 46, 55 FPG 2005 idgF mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass der erste Satz des Spruchpunktes III. des angefochtenen Bescheides wie folgt zu lauten hat:

"Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 AsylG wird nicht erteilt."

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein volljähriger Staatsangehöriger Weißrusslands, stellte am 23.09.2013 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz, nachdem er zuvor illegal ins Bundesgebiet gelangt war. Anlässlich seiner am Tag der Antragstellung abgehaltenen niederschriftlichen Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, er gehöre der weißrussischen Volksgruppe an, bekenne sich zum orthodoxen Glauben und habe seinen Herkunftsstaat im Juni 2013 mithilfe eines Schleppers verlassen. Seine Flucht begründete der Beschwerdeführer damit, einer Partei geholfen zu haben, welche gegen den heutigen Präsidenten gewesen wäre und aus diesem Grund bereits fünfmal festgenommen worden zu sein; er sei geschlagen und misshandelt worden und habe sein Land aus diesem Grund verlassen.

Vorliegende EURODAC-Treffermeldungen sowie auf deren Basis durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eingeleitete Konsultationen im nach der Dublin III-VO ergaben, dass der Beschwerdeführer bereits im Jahr 2010 in Schweden sowie im Jahr 2011 in der Schweiz um internationalen Schutz angesucht hatte und durch die genannten Mitgliedstaaten nach abweisenden Absprüchen über seine dortigen Anträge jeweils in den Herkunftsstaat abgeschoben worden war.

Im Rahmen seiner nach Zulassung des Verfahrens am 04.12.2014 im Beisein eines geeigneten Dolmetschers für die russische Sprache abgehaltenen niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl brachte der Beschwerdeführer zu den Gründen seiner Antragstellung zusammengefasst vor (im Detail vgl. Verwaltungsakt, Seiten 101 bis 115), er glaube, in seiner Heimat werde nach ihm gefahndet, da er beschuldigt werde, einen Terroranschlag auf das KGB-Gebäude geplant und ausgeführt zu haben. Er sei bereits desöfteren festgenommen worden, die letzte längere Anhaltung habe von 14.11.2012 bis Mai 2013 gedauert. Nachdem er in Schweden und in der Schweiz um Asyl angesucht hätte, habe er nun in Österreich einen solchen Antrag gestellt; er wisse nicht, wie er in Weißrussland leben solle. Anlass seiner neuerlichen Ausreise sei gewesen, dass er nach seiner Enthaftung unterschrieben hätte, dass er das Land nicht verlassen werde und nicht wisse, wie sein Gerichtsverfahren ausginge. Er habe Bauingenieurswesen studiert, habe jedoch keine Arbeit im Herkunftsstaat; meist habe er in XXXX inoffiziell am Bau gearbeitet. Vor sechs oder sieben Jahren habe er die Oppositionspartei "Junge Demokraten" kennengelernt und begonnen, sich bei dieser zu engagieren. Er habe Werbungen verteilt und Demos organisiert und habe aus diesem Grund Probleme mit der Regierung bekommen. Er sei einige Male festgenommen und unter Schlägen verhört worden. Nach einer dreimonatigen Festnahme habe er unterschreiben müssen, dass er das Land nicht verlasse. Daraufhin sei er nach Schweden gefahren und von dort nach Weißrussland abgeschoben worden. Danach sei er nicht mehr aktiv für die Partei tätig gewesen. Da er Geld benötigt hätte, habe er jedoch den Parteichef ersucht, ihn als Chauffeur einzustellen. Nach rund einem halben Jahr seien Leute der Regierung aus der Untersuchungsabteilung mit Sondereinheiten der Polizei in die Filiale gekommen und hätten alle verhaftet, die gerade dort gewesen wären. Der Beschwerdeführer sei für zwei oder drei Monate festgenommen worden. Diesmal sei der Beschwerdeführer freigelassen worden, ohne etwas unterschreiben zu müssen. Im Anschluss sei er in die Schweiz gereist und nach einer negativen Entscheidung Ende 2011 freiwillig ins Heimatland zurückgekehrt. Bald darauf sei er, direkt am Flughafen, von KGB-Beamten festgenommen worden. Man habe ihm Staatsverrat nach Art. 356 anhängen wollen und die Unterzeichnung eines unrichtigen Geständnisses von ihm verlangt. Nach einer zehnmonatigen Anhaltung hätten sie ihn im September 2012 wieder freigelassen. Im November 2012 sei es zu einem Anschlag auf das KGB-Gebäude gekommen. Es seien mehrere Leute, unter diesen auch der Beschwerdeführer, verhaftet worden. Man habe dem Beschwerdeführer auch das anhängen wollen, er habe jedoch nicht unterschrieben. Gegen Juni 2013 sei er unter der Auflage, das Land nicht zu verlassen, wieder freigelassen worden. Etwa zwei Wochen später habe er eine Ladung durch die Staatsanwaltschaft erhalten. Er sei dieser nicht gefolgt und habe sich nach XXXX begeben. Seine Eltern, seine Lebensgefährtin, seine Tochter und eine Schwester hielten sich unverändert in Weißrussland auf; diese hätten nichts mit Politik zu tun.

Durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wurden in der Folge relevante Unterlagen aus dem in der Schweiz durchgeführten Verfahren des Beschwerdeführers angefordert (Verwaltungsakt, Seiten 187 bis 245), desweiteren wurde eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation bezüglich des vom Beschwerdeführer erwähnten Terroranschlags im November 2012, zur generellen Rückkehrsituation für Oppositionsmitglieder sowie zur vom Beschwerdeführer erwähnten Partei "Junge Demokraten" eingeholt (Verwaltungsakt, Seiten 279 bis 299).

Am 12.03.2015 hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eine ergänzende Einvernahme des Beschwerdeführers durchgeführt, anlässlich derer im Wesentlichen die behördlichen Ermittlungsergebnisse im Rahmen des Parteiengehörs erörtert worden sind (vgl. Verwaltungsakt, Seiten 347 bis 357).

2. Mit im Spruch angeführten Bescheid vom 16.03.2015 hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag der beschwerdeführenden Partei auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und den Antrag gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Weißrussland abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß §§ 55 und 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wurde gegen die beschwerdeführende Partei eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, erlassen und wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG unter einem festgestellt, dass die Abschiebung der beschwerdeführenden Partei nach Weißrussland gemäß § 46 FPG zulässig ist. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise der beschwerdeführenden Partei zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt III.).

In seiner Entscheidungsbegründung stellte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl fest, dass es sich beim Beschwerdeführer um einen weißrussischen Staatsangehörigen handle, dessen präzise Identität mangels Vorlage unbedenklicher Dokumente nicht feststünde und der an keiner schwerwiegenden oder gar lebensbedrohlichen Erkrankung im physischen oder psychischen Bereich leiden würde. Eine Verfolgung seiner Person seitens der weißrussischen Regierung habe nicht festgestellt werden können. Die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Fluchtgründe hätten sich aufgrund näher dargestellter beweiswürdigender Erwägungen als nicht glaubhaft erwiesen. Eine gegen den Beschwerdeführer gerichtete Bedrohungssituation in Weißrussland habe ebensowenig wie eine ihm dort entzogene Existenzgrundlage festgestellt werden können. Der Beschwerdeführer habe keine Familienangehörigen im Bundesgebiet und habe keine Anhaltspunkte für eine besondere Integration dargetan, weshalb sich eine Rückkehrentscheidung in Gesamtabwägung aller berührten Interessen als gerechtfertigt erweise.

3. Gegen den oben angeführten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl richtet sich die fristgerecht am 31.03.2015 eingebrachte Beschwerde, in welcher begründend zusammengefasst auf die aus den Länderberichten ersichtliche prekäre Lage der Opposition in Weißrussland sowie eine Mangelhaftigkeit des behördlichen Ermittlungsverfahrens verwiesen wurde.

4. Die Beschwerdevorlage des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl langte am 07.04.2015 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Mit Eingabe vom 29.01.2018 wurden vom Beschwerdeführer eine Kopie seines Führerscheins sowie Bestätigungen über die Teilnahme an Deutschkursen sowie über die Verrichtung gemeinnütziger Arbeit in Vorlage gebracht.

5. Am 12.02.2019 fand zur Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhalts eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt, an welcher der Beschwerdeführer, dessen gewillkürte Vertreterin sowie eine Dolmetscherin für die russische Sprache teilgenommen haben. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl war ordnungsgemäß geladen worden, hatte jedoch bereits im Vorfeld schriftlich auf eine Teilnahme an der Verhandlung verzichtet.

Die gegenständlich relevanten Teile der Verhandlung haben sich wie folgt gestaltet:

"(...) R: Möchten Sie Ihrem bisherigen Verfahren etwas hinzufügen oder korrigieren?

BF: Meine bisherigen Angaben waren korrekt und vollständig. Die Behandlung durch die Beamten war korrekt.

R: Teil des Verwaltungsaktes sind auch Unterlagen des eidgenössischen Bundesamtes für Migration, aus denen sich Divergenzen zu Ihrem Vorbringen in Österreich ergeben. Was sagen Sie zu diesen Unterschieden im Vorbringen?

BF: Vielleicht war ich aufgeregt und habe etwas anders ausgedrückt.

R: In Ihrer Einvernahme vom 12.03.2015 haben Sie eine anderslautende Erklärung zu diesen Unterschieden gegeben. Können Sie sich noch an diese erinnern?

BF: Ja. Damals habe ich gesagt, dass ich gelogen habe.

R: Was ist richtig?

BF: In der Schweiz habe ich gelogen. Hier in Österreich habe ich immer die Wahrheit angegeben.

R: Warum haben Sie mir vorher gesagt, dass Sie sich etwas anders ausgedrückt haben und aufgeregt gewesen seien?

BF: Ja, ich habe ja gesagt, dass ich in der Schweiz gelogen habe.

R wiederholt die Frage:

BF: Ich habe gesagt, dass ich in der Schweiz gelogen habe.

R: Können Sie mir in kurzen Worten Ihren Lebenslauf schildern? Bis zu dem Zeitpunkt, wo Ihre Probleme begonnen haben.

BF: Ich bin in XXXX , am XXXX geboren, ging dann in die Schule. Dann bin ich an der staatlichen Universität XXXX gewesen und habe Geodäsie(Landvermessung) studiert. Nach Abschluss des Studiums habe ich drei Monate in Weißrussland gearbeitet und bin dann nach Russland, nach XXXX gezogen.

R: Warum?

BF: Weil ich kleine Probleme mit der Polizei in Weißrussland hatte.

R: Wann war das?

BF: 2004. Damals war ich 22.

R: Bitte schildern Sie mir aus welchen Gründen Sie Ihre Heimat verlassen haben? Bitte schildern Sie chronologisch, richtig und vollständig.

BF: Ich habe als Student an Protestaktionen und Demonstrationen teilgenommen und deshalb hatte ich einige Festnahmen. Das war der Konflikt mit der Polizei. Dann war ich fertig mit der Ausbildung und habe ein Diplom bekommen und habe in XXXX kurz gearbeitet, und ich mochte dieses Regime dort nicht im Land damals und deshalb bin ich nach Russland gezogen.

R: Schildern Sie mir bitte die Vorfälle im Jahr 2004.

BF: Nichts Besonderes.

R wiederholt die Frage:

BF: Wie ich schon sagte, ich bin weggefahren, weil ich nicht dort leben wollte. Und noch einmal, ich habe an den Protestaktionen in XXXX teilgenommen, an Demonstrationen und deshalb hatte ich Probleme an der Uni, von der Univerwaltung wurde ich immer wieder gerufen. Ich bin ein paar Mal angehalten worden, aber festgenommen (über Nacht) wurde ich damals nicht.

R: Wie lange waren Sie in Russland und was haben Sie dort gemacht?

BF: Etwa 3 Jahre, dort habe ich gearbeitet. Hauptsächlich habe ich in der Baubranche und Plastikbearbeitung gearbeitet. Ich war auf der Baustelle als Arbeiter, meine Aufgabe war auch der Einkauf in diesem Plastikbereich.

R: Wann kehrten Sie nach Weißrussland zurück und was taten Sie dann?

BF: Ungefähr 2007 ging ich zurück nach XXXX und habe Leute kennengelernt, die für die Opposition tätig waren. Ich habe dort in dieser Zeit gelebt, in XXXX . Die Partei hieß junge Demokraten. Gearbeitet habe ich als Geodäsist und für die Partei war ich behilflich. Ich habe Flugblätter verteilt und mit den Leuten gesprochen. Damals wurde ich nicht festgenommen, aber meine Freunde, meine Bekannten. Ich habe Angst bekommen und bin nach Schweden gereist, das war 2010.

R: Bis zu ihrer Ausreise sind Sie also nicht festgenommen worden, nur andere Leute?

BF: Es gab schon Festnahmen, weil ich 2-3 Tage dort verbrachte. Auf den Widerspruch angesprochen, gebe ich an, dass ich mich nicht richtig ausgedrückt habe. Ich wurde festgenommen, und zwar für 2-3 Tage, vielleicht auch 10 Tage. In diesem Zeitraum bin ich für 2-3 Tage, auch für 5 Tage und bis zu 10 Tagen bin ich festgehalten worden. Nachgefragt gebe ich an, dass ich mehrfach festgehalten wurde.

R: Gab es für diese Festnahme einen konkreten Grund oder ein Ereignis, dass damit in Zusammenhang stand?

BF: Erster Grund war, weil ich generell in dieser Oppositionspartei war und zweitens, weil ich direkt bei den Demonstrationen festgenommen wurde. Aus diesen zwei Gründen.

R: Wann waren die Demonstrationen?

BF: Das weiß ich nicht mehr genau. Nachgefragt weiß ich nicht, zu welchem Ereignis diese Demonstrationen stattfanden.

R: Am 04.12.2014 haben Sie angegeben, dass Sie nach einer Demo zum Unabhängigkeitstag für drei Monate festgenommen wurden. Heute sprechen Sie von 10 Tagen als längste Zeit einer Festhaltung.

BF: Ich habe damals ein bisschen übertrieben.

R: Am Anfang der heutigen Verhandlung haben Sie gesagt, dass Ihre Angaben im bisherigen Verfahren vollständig und richtig waren.

BF: Ich habe ein bisschen übertrieben.

R: Wurden Sie während dieser Festnahmen misshandelt?

BF: Ja, natürlich. Ich wurde geschlagen.

R: Können Sie mir diese Festnahmen und Misshandlungen ein wenig beschreiben?

BF: Zum Beispiel von dem Platz hat mich die Einheit OMON festgenommen, sehr grob und natürlich mit viel Krafteinsatz.

R: Hat man Sie unter Auflagen freigelassen?

BF: Nur einfach freigelassen.

R: In der Einvernahme vom 04.12.2014 haben Sie angegeben, dass Sie nach der Haftentlassung unterschreiben mussten, dass Sie das Land nicht mehr verlassen würden.

BF: Ja, 2013 habe ich so ein Papier unterschrieben.

R: Laut Protokoll vom 04.12.2014 haben Sie dies im Jahr 2010 unterschrieben.

BF: Vielleicht habe ich es vergessen oder verwechselt.

R: Wie lange waren Sie in Schweden?

BF: Sechs Monate.

R: Wann kehrten Sie nach Weißrussland zurück?

BF: Das weiß ich nicht mehr. Ende 2011.

R: Am 04.12.2014 haben Sie angegeben, Anfang 2011.

BF: Dann habe ich es heute verwechselt.

R: Was passierte nach Ihrer Rückkehr?

BF: Nichts.

R: Vielleicht habe ich mich falsch ausgedrückt. Wie gestaltete sich Ihr Leben nach Ihrer Rückkehr?

BF: Ich habe für die Partei "junge Demokraten" gearbeitet als Chauffeur. Nachgefragt gebe ich an, Dokumente transportiert zu haben und manchmal auch Personen. Ich habe ungefähr ein halbes Jahr dort gearbeitet. Dann, wie ich schon früher erzählt habe, sind ins Büro der jungen Demokraten Leute der OMON-Einheit gestürmt und alle wurden festgenommen.

R: Wie viele Personen wurden ungefähr festgenommen?

BF: Ungefähr 8. Ich wurde auch festgenommen für einen Monat ungefähr.

R: Am 04.12.2014 haben Sie angegeben, dass 5 Personen festgenommen wurden und das sie zwei (bzw. 3) Monate festgehalten wurden.

BF: Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, wie viele Leute festgenommen worden sind, aber das ich 2-3 Monate gesagt habe, wie ich schon sagte, ich habe damals bei der Einvernahme ein bisschen übertrieben.

R: Wie lange waren Sie 2011 in Weißrussland?

BF: Ungefähr 7 Monate.

R: Im Rahmen der Einvernahme vom 04.12.2014 haben Sie nach Korrektur angegeben, eigentlich nur ein halbes Jahr in Weißrussland gewesen zu sein.

BF: Ja, 6 oder 7 Monate, sowas.

R: Was passierte dann?

BF: Dann bin ich in die Schweiz ausgereist.

R: Wann sind Sie aus der Schweiz zurückgekommen?

BF: Im Winter 2011.

R: Mussten Sie bei Ihrer Freilassung 2011 etwas unterschreiben?

BF: Ja. Eben das, dass ich nicht das Land verlassen werde.

R: Laut Protokoll vom 04.12.2014 haben Sie nichts unterschreiben müssen.

BF: Dann habe ich es vergessen.

R: Was passierte nach Ihrer Rückkehr aus der Schweiz?

BF: Ich wurde von der Behörde am Flughafen festgenommen. Sie haben mich eingesperrt. Sie haben gefragt, wo ich war und was ich dort getan habe, ob ich um Asyl angesucht habe.

R: Hat man Ihnen eine Straftat vorgeworfen?

BF: Ja, einmal Verrat. Das ist ein Paragraph.

R: Wie lange waren Sie inhaftiert?

BF: Ein halbes Jahr ungefähr.

R: Laut Protokoll vom 04.12.2014 wurden Sie 10 Monate festgehalten.

BF: 6 Monate sind richtig.

R: Wann wurden Sie freigelassen?

BF: Nach 6 Monaten. Ende Dezember wurde ich festgenommen und im Juli freigelassen.

R: Was passierte im Anschluss?

BF: Ich wurde freigelassen und einige Zeit habe ich zu Hause bei den Eltern gewohnt und danach habe ich erfahren, dass ich noch im Terrorismus beschuldigt werde. Das ich geholfen habe einen Terrorakt vorzubereiten in XXXX .

R: Wann war der Terrorakt?

BF: Das war im Herbst 2012, im November.

R: Wie lange waren Sie im Anschluss daran inhaftiert?

BF: Sieben bis 9 Monate, genau kann ich mich nicht mehr erinnern.

R: Wurden Sie unter Auflagen entlassen?

BF: Ich habe unterschrieben, dass ich das Land nicht verlasse.

R: Was hat Sie dann bewogen das Land zu verlassen?

BF: Ich wurde vorgeladen, wahrscheinlich zu einem Gespräch oder so, ich habe Angst gehabt hinzugehen und bin zuerst nach Russland gegangen und danach nach Österreich.

R: Haben Sie beim Grenzübertritt von Weißrussland nach Russland Dokumente vorgelegt?

BF: Nein, es gab keine Grenzkontrollen.

R: Können Sie mir das Führungspersonal Ihrer politischen Gruppierung nennen?

BF: Dimitri Dashkevitch und in XXXX war es Sergej Korzenok.

R: Ist die Partei "junge Demokraten" in Weißrussland registriert?

BF: Ja.

R: Können Sie mir den Namen Ihrer Partei im Original sagen?

D: "Malady demokraty".

R: Wie ist die politische Ausrichtung dieser Partei?

BF: Anschluss an Europa, Demokratie und die Republik vom Regime von Lukaschenko befreien.

R: Ist es eine linke oder rechte Gruppierung?

BF: Ich weiß es nicht.

R: Auf der gesamten Welt werden Parteien nach Ihrer ideologischen Ausrichtung aufgeteilt. Es gibt linke, rechte, nationale, religiöse Parteien. Als Mitglied einer solchen Partei müsste Ihnen die ideologische Ausrichtung geläufig sein.

BF: Dann so ist es mehr eine linke Partei.

R: Ich zitiere aus den vorliegenden Berichten des BFA betreffend Weißrussland (AS 293): "Ein Dimitri Dashkevitch konnte nicht gefunden werden, allerdings ist er der Anführer, der in Belarus offiziell nicht registrierten Christ-Demokratischen Malady-Front (junge Front). Die jungen Demokraten, eine ebenfalls Christ-Demokratische Belarussische Jugendorganisation, werden nach vorliegenden Informationen von einem gewissen Aleksandr Shumkevich geführt.

BF: Vielleicht umgekehrt.

R: Das BFA hat das nicht so gemeint.

BF: Nach meiner Information ist Dashkevich der Anführer von jungen Demokraten.

R: Selbst, wenn es sich hier tatsächlich um eine Verwechslung handeln sollte, bleibt allerdings als Widerspruch, dass es keinesfalls eine linke, sondern eine Christdemokratische Bewegung ist.

BF: Na gut.

R: Sie haben sicher bemerkt, dass es in Ihrem Vorbringen vom heutigen Tag gegenüber dem Vorbringen im erstinstanzlichen Verfahren massive Widersprüche gibt, gibt es irgendwelche Unterlagen, die Ihr Vorbringen untermauern könnten?

BF: Leider nicht.

R an BFV: Möchten Sie zum Asylvorbringen noch etwas anmerken oder Fragen stellen.

BFV: Nein.

R: Leiden Sie unter schweren oder chronischen Krankheiten?

BF: Schwere habe ich keine, chronische auch nicht. Ich bin gesund.

R: Haben Sie in Weißrussland Verwandte, die Sie im Falle einer Rückkehr (zumindest kurzfristig) aufnehmen könnten?

BF: Ich habe, aber ich möchte nicht nach Weißrussland zurückkehren.

R: Können Sie mir die Personen aufzählen, die Sie potentiell aufnehmen können?

BF: Meine Eltern. Nachgefragt gebe ich an, dass die Beziehung zu meiner Lebensgefährtin zwischenzeitlich beendet ist. Ich bin nicht der Vater ihres Kindes.

R: Im erstinstanzlichen Verfahren haben Sie durchgehend von einer Tochter gesprochen, ohne anzugeben, dass es nicht Ihre ist, was sagen Sie dazu?

BF: Ich habe gesagt damals, dass ich eine Lebensgefährtin und eine Tochter habe. Damals war es auch so, aber jetzt gibt es sie nicht mehr.

R: Wo leben Ihre Eltern?

BF: In XXXX , in einer Wohnung mit zwei Zimmern. Ich habe, bevor ich wegen Terrorismus beschuldigt wurde, habe ich dort 1-1,5 Monate gelebt. Meine Eltern leben von der Pension.

R an BFV: haben Sie zum Fragenkomplex betreffend subsidiärem Schutz Fragen oder Anmerkungen?

BFV: Wie oft hatten Sie Kontakt mit Ihren Eltern?

BF: Oft.

BFV: Wie würden Sie die finanzielle Situation Ihrer Eltern bezeichnen?

BF: Sie bekommen nur staatliche Pension, beide.

R: Wie ist Ihre Lage?

BF: Das sind 150 Dollar pro Person umgerechnet. So wie ich Sozialhilfe hier kriege. Nachgefragt gebe ich an, dass sie arm sind.

BFV: Keine weiteren Fragen.

R: Sprechen Sie Deutsch?

BF: Ja.

R: Haben Sie Prüfungen oder Kurse belegt?

BF: Ja.

Vorgelegt werden Kursbesuchsbestätigungen, sowie eine Bestätigung vom 04.01.2018 über eine gemeinnützige Tätigkeit in der Steiermark. Darüber hinaus wird ein Empfehlungsschreiben der Pension XXXX vorgelegt. Weiters eine Überweisung an einen Facharzt wegen Schlafstörung, innere Unruhe, nächtlicher Palpitationen, ein ambulanter Befund des LKH XXXX (Orthopädie und Traumatologie) vom 30.11.2018, sowie ein Befund vom 18.01.2019 des Ambulatoriums für Orthopädie- und Unfallchirurgie der XXXX .

R: Sind Sie in permanenter medizinischer Behandlung?

BF: Nein.

R: Wie lassen sich die Befunde mit Ihren Angaben vereinbaren, dass Sie an keinen schweren oder chronischen Krankheiten leiden?

BF: Ich habe Probleme, aber ich möchte diese bewältigen, würde sie aber nicht als schwer oder chronisch einstufen. Man kann das loswerden durch Physiotherapie, aber ich sehe das es nichts hilft und ich würde mich gerne operieren lassen. Die Ärzte haben allerdings noch nicht von einer Operation gesprochen, sondern haben mich zur Physiotherapie geschickt. Der Arzt hat gesagt, zuerst Therapie und wenn das nicht hilft, Operation. Mein Problem besteht in einer Zyste im Bereich des Hüftgelenks.

R: Sind Sie in psychiatrischer Behandlung?

BF: Nein.

R: haben Sie eine Prüfung über die deutsche Sprache abgelegt?

BF: Nein.

R: Sprechen Sie Deutsch?

BF: Ein bisschen.

R ohne D: Schildern Sie mir, wie Sie heute in das Gerichtsgebäude gekommen sind?

BF (auf Deutsch): Ich bin nach XXXX von XXXX mit dem Zug gekommen und dann mit dem U-Bahn und dann von U-Bahn 50 Meter zu Fuß gegangen zum Bundesverwaltungsgericht.

R: Was haben Sie gestern zu Mittag gegessen?

BF (auf Deutsch): Gestern habe ich Spaghetti gegessen zum Mittagessen.

R, wieder mit D: Wovon leben Sie in Österreich?

BF: Sozialhilfe.

R: Gesetz den Fall, Sie hätten eine Arbeitsgenehmigung, hätten Sie schon eine Anstellung in Aussicht?

BF: Nein, leider noch nicht. Ich versuche natürlich Arbeit zu finden. Das ist aber nicht so einfach.

R: Sind Sie in Vereinen oder Organisationen aktiv?

BF: Nein.

R: Sind Sie in Österreich in einer Lebensgemeinschaft?

BF: Nein.

R: Angeboten wird das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 05.12.2017, BFV verzichtet auf Übernahme. Gleichzeitig wird die Beschwerdeführende Partei zur Stellungnahme aufgefordert.

BFV: Ich verweise auf die Informationen, die aus dem LIB ersichtlich sind, insbesondere auf die politische Lage. Aus dem ist zu entnehmen, dass die politische Opposition regelmäßig unterdrückt wird und dass es ständig zu willkürlichen Verhaftungen kommt. Außerdem verweise ich auf den Punkt der Grundversorgung, aus dem zu entnehmen ist, dass die staatlichen Beihilfen das Existenzminimum nicht sichern können. Ansonsten wird auf die Beschwerde verwiesen.

Einsicht genommen wird in die Strafregisterauskunft vom heutigen Tag, aus der hervorgeht, dass der BF zwei Mal vorbestraft ist, letztmalig am 14.09.2018.

R: Möchten Sie sich dazu äußern?

BF: Das Geld hat nicht gereicht, es war zu wenig. Ich habe Fehler gemacht. Einmal habe ich eine Zahnbürste, das andere Mal einen USB-Stick mitgehen lassen.

R: Möchten Sie noch etwas anmerken oder ergänzen?

BFV: Nein.

BF: Nein. (...)"

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der Beschwerdeführer ist ein volljähriger Staatsangehöriger Weißrusslands (Belarus), welcher der weißrussischen Volksgruppe angehört und sich zum orthodoxen Glauben bekennt. Seine präzise Identität steht nicht fest. Der Beschwerdeführer hat seinen Herkunftsstaat im Juni 2013 verlassen und suchte nach illegaler und schlepperunterstützter Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 23.09.2013 um internationalen Schutz an. Seither hält er sich durchgehend im Bundesgebiet auf. Zuvor hatte der Beschwerdeführer bereits am 10.09.2010 in Schweden sowie am 11.07.2011 in der Schweiz um internationalen Schutz angesucht. In seinen dortigen Verfahren ergingen jeweils abweisende Entscheidungen, in deren Anschluss (Februar 2011 sowie Dezember 2011) Abschiebungen des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat erfolgten.

Nicht festgestellt werden kann, dass der Beschwerdeführer seinen Herkunftsstaat aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung verlassen hat oder nach einer allfälligen Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Übergriffe zu befürchten hätte oder dass ihm eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder der Prot. Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit droht. Insbesondere kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Vorfeld seiner Ausreise einer staatlichen Verfolgung aufgrund einer Mitgliedschaft in einer Oppositionspartei respektive einer ihm vorgeworfenen Mitwirkung an einem Terroranschlag im November 2012 unterlegen hat und in diesem Zusammenhang Opfer wiederholter Festnahmen und Misshandlungen geworden ist.

Der Beschwerdeführer hat nicht glaubhaft gemacht, in Weißrussland eine Verfolgung durch staatliche Behörden befürchten zu müssen, in eine hoffnungslose Lage zu kommen, einem realen Risiko einer sonstigen Verfolgung oder einer Verletzung seiner Rechte auf Leben, nicht unmenschlicher Behandlung oder Folter unterworfen zu werden und/oder nicht der Todesstrafe zu unterliegen und als Zivilperson einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes unterworfen zu sein.

Der Beschwerdeführer leidet an keiner akuten oder lebensbedrohlichen psychischen oder physischen Erkrankung, welche ein Hindernis für eine Rückführung nach Weißrussland darstellen würde. Der Beschwerdeführer verfügt über Schul- und Universitätsbildung und ist zu einer eigenständigen Bestreitung seines Lebensunterhalts grundsätzlich in der Lage. Im Herkunftsstaat hielten sich den Angaben des Beschwerdeführers zufolge zuletzt unverändert seine Eltern und eine Schwester auf.

Der zweifach wegen versuchten Diebstahls vorbestrafte Beschwerdeführer ist im Bundesgebiet nicht berufstätig und kann seinen Lebensunterhalt in Österreich nicht eigenständig bestreiten. Er verfügt über keine familiären Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet und führt hier keine Lebensgemeinschaft. Der Beschwerdeführer besuchte Deutschkurse, hat jedoch keinen formellen Nachweis über bereits vorhandene Deutschkenntnisse in Vorlage gebracht, eine grundlegende Verständigung in deutscher Sprache ist ihm möglich. Der Beschwerdeführer verrichtete gemeinnützige Tätigkeiten im Bundesgebiet, einer legalen Erwerbstätigkeit ist er bislang nicht nachgegangen und steht ihm eine solche auch nicht konkret in Aussicht. Darüber hinaus verfügt der Beschwerdeführer über keine besonderen Anknüpfungspunkte zu Österreich. Dem Beschwerdeführer kam zu keinem Zeitpunkt seines Aufenthaltes in Österreich ein nicht auf das Asylgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht zu.

Es besteht in Österreich kein schützenswertes Privat- oder Familienleben im Sinne des Artikels 8 EMRK.

1.2. Hinsichtlich der entscheidungsrelevanten Situation in der Republik Kongo wird unter Heranziehung der dem Beschwerdeführer anlässlich der Beschwerdeverhandlung zur Kenntnis gebrachten Länderberichte Folgendes festgestellt:

1. Politische Lage

Die Republik Belarus hat bei einer Landesfläche von 207.600 Quadratkilometern eine Bevölkerung von 9,5 Millionen (Stand 1.7.2014). Staatsoberhaupt ist seit 20.7.1994 Präsident Alexander Grigorjewitsch Lukaschenko, der diktatorisch herrscht. Er wurde zuletzt am 11.10.2015 für weitere 5 Jahre gewählt. Regierungschef ist Andrej Kobjakow. Das weißrussische Parlament (Nationalversammlung) umfasst 110 Abgeordnete in der Repräsentantenkammer und 64 Deputierte im Rat der Republik. Die Mitglieder der Repräsentantenkammer wurden zuletzt am 11.9.2016 gewählt (AA 3.2017a).

Ihre staatliche Unabhängigkeit erhielt die Republik Belarus im Dezember 1991 mit der Auflösung der Sowjetunion. Im Sommer 1994 fanden erstmals Präsidentschaftswahlen statt, aus denen Alexander Lukaschenko mit über 80% der Stimmen als Sieger hervorging (AA 3.2017b). Seit Anfang der 1990er Jahre und besonders nach 1996 hat Belarus ein parteiloses politisches System gefördert (FH 29.3.2017). Eine Regierungspartei im eigentlichen Sinn gibt es in Weißrussland nicht. Mehr als 95% der Abgeordneten des belarussischen Parlaments sind parteilos. Im November 2007 wurde die pro-Lukaschenko-Sammelbewegung "Belaja Rus" gegründet, die sich nach ihrem Statut in eine Partei umwandeln könnte, was jedoch bisher nicht geschehen ist (AA 3.2017a). Politischen Parteien und nichtstaatlichen Organisationen (NGOs) wird keine wichtige Rolle bei der Entscheidungsfindung zuerkannt (FH 29.3.2017).

Im November 1996 ließ Präsident Lukaschenko ein Referendum zur Änderung der Verfassung abhalten, das ihm erheblich erweiterte Machtbefugnisse zu Lasten der demokratischen Gewaltenteilung einräumte. Der Präsident verfügt über umfangreiche legislative Rechte und kann präsidiale Dekrete, Erlässe und Anordnungen mit bindender, de facto den Gesetzen übergeordneter Wirkung, erlassen. Die Präsidentschaftswahlen am 19. Dezember 2010 entsprachen nicht den OSZE-Standards. Noch am Wahlabend folgten gewalttätige Übergriffe der Ordnungskräfte gegen Demonstranten. Es erfolgten über 700 Festnahmen und in weiterer Folge eine umfassende Repressionswelle gegen die Opposition sowie gegen unabhängige Medien und die Zivilgesellschaft. Die EU reagierte mit Sanktionen. Die Präsidentschaftswahl am 11. Oktober 2015 gewann Staatspräsident Lukaschenko erneut mit über 80% der Stimmen. Nachdem die Präsidentschaftswahl zwar mit erheblichen Mängeln, aber im Vergleich zu 2010 gewalt- und repressionsfrei und unter umfassender internationaler Beobachtung erfolgt war, wurden die von der EU verhängten Sanktionen gegen Weißrussland zunächst suspendiert und dann Ende Februar 2016 weitgehend aufgehoben. Auch die Parlamentswahlen am 11. September 2016 verliefen trotz bestehender Kritikpunkte weitgehend repressionsfrei (AA 3.2017b).

Bemerkenswert ist, dass bei den Parlamentswahlen am 11. September 2016 erstmals seit 20 Jahren nun auch oppositionelle Abgeordnete gewählt wurden. Die junge Anwältin Anna Kanopazkaja gewann einen Sitz für die liberale Vereinigte Bürgerpartei und Jelena Anisim von der Gesellschaft für Weißrussische Sprache trat als Unabhängige an, gilt jedoch ideologisch der gegen Ende der Sowjetunion gegründeten Weißrussischen Nationalen Front (BNF) nahe und setzt sich für eine Stärkung der weißrussischen Sprache ein. Die restlichen der insgesamt 110 Mandate gingen an regimetreue Kandidaten. Nach Angaben der Wahlkommission lag die Wahlbeteiligung bei knapp 75%. Beobachter werten die Wahl der beiden Oppositionellen als Zeichen für eine gewisse Kooperationsbereitschaft von Machthaber Alexander Lukaschenko mit dem Westen, der sich in diesem Zusammenhang wohl auch eine Stärkung der wirtschaftlichen Beziehungen erhofft, um sein Land aus der tiefen Wirtschaftskrise führen zu können. Manche Beobachter vertreten auch die Auffassung, Lukaschenko habe die beiden Oppositionellen ins Parlament einziehen lassen, um die Kritik von EU und Vereinigten Staaten zu neutralisieren, dass es in Weißrussland keine demokratischen Wahlen gäbe (ZO 12.9.2016; vgl. RFE/RL 11.9.2016 und NZZ 12.9.2016). Tatsächlich kritisierte die OSZE die Wahlen wegen mangelnder demokratischer Standards (OSZE 11.9.2016; vgl. NZZ 12.9.2016). Neben ungleichen Bedingungen für die Kandidaten und der staatlichen Dominanz der Medien bestand ein entscheidender Mangel an Transparenz, der Zweifel an den offiziellen Ergebnissen aufkommen ließ (FH 29.3.2017).

Insgesamt betrachtet hat Weißrussland seit Anfang der 1990er Jahre keine Wahl abgehalten, die als frei und demokratisch bewertet wurde (RFE/RL 11.9.2016).

Obwohl die politische Opposition unter ungünstigen Bedingungen operiert und regelmäßig mit administrativem Druck oder Unterdrückung konfrontiert ist, hat sich das allgemeine politische Klima in den letzten beiden Jahren insgesamt etwas verbessert. Die wirtschaftliche Situation bleibt schwierig, die außenpolitischen Beziehungen zur Europäischen Union und zu den Vereinigten Staaten haben sich zuletzt deutlich entspannt (FH 29.3.2017). Allerdings hat sich im Zuge massiver Proteste gegen einen Gesetzesvorschlag im März 2017 ("Antiparasitismus"-Steuer) gezeigt, dass die Regierung zumindest zwischenzeitlich zu ihren Praktiken der Massenverhaftungen und gefälschten Anschuldigungen zurückgekehrt ist. Die Tatsache, dass der Präsident allerdings kurz nach den Demonstrationen beschlossen hat, die Einziehung der "Antiparasitismus"-Steuer auszusetzen, lässt den Schluss zu, dass er und seine Regierung sehr wohl auf die öffentlichen Widerstand hören können, wenn dieser eine bestimmte Schwelle erreicht. Nach Ansicht des Sonderberichterstatters zeigt die weitgehend unterdrückungszentrierte offizielle Reaktion auf die Ereignisse jedoch, dass die Regierungsführung in Belarus darauf abzielt, die Konsolidierung der Macht in den Händen des Präsidenten und seiner Verwaltung zu schützen, anstatt Orte für alternative Ideen zu schaffen (UN 22.9.2017).

Trotz traditionell enger Beziehungen zwischen Russland und Weißrussland gehört Minsk inzwischen zu Moskaus schwierigsten postsowjetischen Partnern. Seit mindestens drei Jahren ändert Lukaschenko schleichend seinen prorussischen Kurs. Schlüsselmoment dafür war die Annexion der Krim, die Weißrussland bis heute nicht als russisches Territorium anerkennt. Vielmehr wird offen die territoriale Integrität der Ukraine unterstützt. Als Reaktion auf die von Minsk eingeführte Visa-Freiheit für Kurzbesuche von EU-Bürgern führte Russland nach beinahe 20 Jahren wieder Grenzkontrollen zu Weißrussland ein. Linienflüge aus Weißrussland, zuvor wie Inlandsflüge behandelt, werden in Russland nun in internationalen Terminals abgefertigt. Allmählich machen sich Lukaschenkos Behörden Positionen zu eigen, die zuvor seinen Gegnern vorbehalten und vom Staat unterdrückt waren, wie die Betonung der Rolle der weißrussischen Sprache oder den kritischen Zugang zum Erbe von Sowjetunion und Romanow-Reich (WeltN24 18.11.2017 und 11.2.2015, vgl. CoE 6.6.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (3.2017a): Belarus, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/belarus-node, Zugriff 17.10.2017

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AA - Auswärtiges Amt (10.2017b): Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/belarus-node/-/202924, Zugriff 17.10.2017

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AA - Auswärtiges Amt (10.2017c): Außenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/belarus-node/-/202922, Zugriff 17.10.2017

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CoE - Council of Europe Parlamentary Assembly (6.6.2017): Bericht zu Menschenrechten sowie zu bürgerlichen und politischen Rechten in Belarus (Lage nach Präsidentschafts- und Parlamentswahlen, die 2015 bzw. 2016 abgehalten wurden; Menschenrechtslage und neue Welle von Repressalien mit Stand März 2017; Außenbeziehungen, https://www.ecoi.net/file_upload/1226_1497354295_the-situation-in-belarus.pdf, Zugriff 20.11.2017

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FH - Freedom House (29.3.2017): Nations in Transit 2017, https://www.ecoi.net/local_link/338522/481524_de.html, Zugriff 18.10.2017.

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NZZ - Neue Zürcher Zeitung (12.9.2016): Zwei Oppositionelle gewählt,

http://www.nzz.ch/international/europa/weissrussland-zwei-oppositionelle-gewaehlt-ld.116368, Zugriff 17.10.2017

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OSZE - Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (11.9.2016): International Election Observation Mission, Republic of Belarus - Parliamentary Elections, 11.9.2016, http://www.osce.org/odihr/elections/263656?download=true, Zugriff 23.10.2017

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RFE/RL - Radio Free Europe / Radio Liberty (11.9.2016):Opposition Figures Win Seats In Belarusian Parliament, http://www.rferl.org/content/article/27980719.html, Zugriff 18.10.2017

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UN General Assembly (22.9.2017): Report of the Special Rapporteur on the situation of human rights in Belarus, https://www.ecoi.net/file_upload/1226_1508760889_n1729738.pdf, Zugriff 22.11.2017

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WeltN24 (18.11.2017): Putins widerpenstiger Bruder, https://www.welt.de/politik/ausland/article170709919/Putins-widerspenstiger-Bruder.html, Zugriff 20.11.2017

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WeltN24 (11.2.2015): Kämpfen, auch wenn der Gegner Putin heißt, https://www.welt.de/politik/ausland/article137355346/Kaempfen-auch-wenn-der-Gegner-Putin-heisst.html, Zugriff 20.11.2017

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ZO - Zeit Online (12.9.2016): Oppositionelle schaffen es ins Parlament von Belarus,

http://www.zeit.de/politik/ausland/2016-09/alexander-lukaschenko-belarus-wahl-opposition-parlament, Zugriff 18.10.2017

2. Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Weißrussland ist gut (BMEIA 3.10.2017).

Quelle:

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BMEIA - Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (3.10.2017): Belarus. Sicherheit und Kriminalität, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/belarus/, Zugriff 4.12.2017

3. Rechtsschutz/Justizwesen

Die Justiz in Weißrussland ist nicht unabhängig. Die volle Exekutivgewalt und auch ein bedeutender Teil der Gesetzgebungsbefugnis liegen beim Präsidenten, der auf eigene Initiative Dekrete erlassen kann, denen eine größere Rechtskraft zukommt als der gewöhnlichen Gesetzgebung. Außerdem hat der Präsident praktisch unbegrenzte Befugnisse bei der Ernennung von Richtern und bei der Neuordnung von Gerichten (FH 29.3.2017).

Das Verfassungsgericht ist nicht unabhängig. Vor allem dann nicht, wenn es Entscheidungen zu fällen hat, die für den Präsidenten von wesentlicher Bedeutung sind. Letzterer ernennt die Verfassungsrichter, wobei er gemäß Verfassung über sechs Richter allein entscheiden kann, während die übrigen sechs Richter die Zustimmung des Oberhauses der Nationalversammlung (Rat der Republik) benötigen. Alle Richterernennungen (nicht nur für die obersten Gerichte) erfolgen grundsätzlich per Präsidialerlass (AA 21.6.2017).

Korruption, Ineffizienz und politische Einmischung in Gerichtsentscheidungen sind weit verbreitet. Gerichte verurteilen Personen aufgrund falscher und politisch motivierter Anklagen. Beobachtern zufolge diktieren hohe Regierungsvertreter und Behörden die Urteile. Menschenrechtsorganisationen beklagen, dass Staatsanwälte zu viel Macht hätten und somit beispielsweise die Haft ohne Hinzuziehung eines Richters verlängern können. Auch ist zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung ein Machtgefälle gegeben. Verteidiger können Ermittlungsakten nicht einsehen, bei Verhören nicht anwesend sein oder Beweise gegen Angeklagte prüfen, bis ein Staatsanwalt den Fall förmlich vor Gericht gebracht hat. Das alles gilt besonders für Fälle mit einem politischen Hintergrund. Rechtsanwälte unterstehen dem Justizministerium und müssen ihre Lizenz alle fünf Jahre erneuern lassen. Laut Gesetz gilt die Unschuldsvermutung. Der Mangel an richterlicher Unabhängigkeit, Vorverurteilung durch die staatlichen Medien und weit verbreitete Einschränkungen der Verteidigungsrechte bringen es aber mit sich, dass es tatsächlich häufig dem Angeklagten obliegt, seine Unschuld zu beweisen. Obwohl die Gesetze öffentliche Verfahren garantieren, wird die Öffentlichkeit gelegentlich ausgeschlossen. Es gibt keine Geschworenenprozesse. Richter entscheiden alleine oder in schweren Fällen im Kollegium mit zwei Laienrichtern. Die Rechte der Verteidigung werden nicht in vollem Maße respektiert. Auch das Recht des Angeklagten auf Durchführung des Prozesses in belarussischer Sprache und auf freie Wahl des Verteidigers wird immer wieder eingeschränkt. NGO-Anwälte dürfen etwa nur Mitglieder ihrer NGO vertreten. Anwälte, die politisch heikle Fälle übernehmen, erhalten regelmäßig Berufsverbote. Auch müssen Verteidiger häufig Geheimhaltungsvereinbarungen unterschreiben, die es erschweren, Informationen über das Verfahren nach außen dringen zu lassen. Überdies werden von den Gerichten Aussagen zugelassen, die durch die Androhung körperlicher Gewalt während der Verhöre zustande gekommen waren. Das Beschwerderecht gegen Gerichtsentscheidungen wird von den meisten Verurteilten genutzt; trotzdem werden Urteile in der Mehrheit der Fälle bestätigt (USDOS 3.3.2017).

Richter genießen zwar eine gewisse Autonomie, doch besteht - insbesondere wenn ein Fall wesentliche Interessen der Behörden betrifft - die Möglichkeit, direkt Einfluss auf die Richter zu nehmen und endgültige gerichtliche Entscheidungen zu revidieren. Dies gilt sowohl für strafrechtliche als auch verwaltungsrechtliche Fälle, einschließlich derjenigen, die sich auf die Unterdrückung politischer Aktivitäten im Land beziehen, sowie auf Zivilsachen, die die wirtschaftlichen Interessen der herrschenden Kreise oder staatseigener Unternehmen betreffen. Die Einflussnahme erfolgt in der Regel durch direkte Weisungen von Exekutivbeamten an Gerichtshöfe, die den Richtern dann die entsprechenden Anweisungen übermitteln (FH 29.3.2017).

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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