TE Bvwg Beschluss 2019/5/9 W117 2216587-1

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Veröffentlicht am 09.05.2019
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Entscheidungsdatum

09.05.2019

Norm

AsylG 2005 §8 Abs1
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W117 2216587-1/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Andreas DRUCKENTHANER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch XXXX , pA. Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH-ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.03.2019, Zl. 1113271510-160608149/BMI-BFA_WIEN-RD, beschlossen:

I. In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid hinsichtlich der Spruchpunkte II. bis VI. behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

II. Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

Verfahrensgang und Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer stellte am 28.04.2016 im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz und befand sich anschließend bis voraussichtlich 06.12.2016 wegen Tuberkulose in stationärer Behandlung. Er ist russischer Staatsbürger, Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe und moslemischen Glaubens.

Die Entscheidung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) vom 05.05.2017, womit der Antrag wegen der Zuständigkeit Italiens als unzulässig zurückgewiesen wurde und die Außerlandesbringung des Beschwerdeführers und demzufolge seine Abschiebung nach Italien zulässig sei, wurde mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 21.06.2017, Zl. W233 2158748-1/5E, gemäß § 21 Abs. 3 BFA-VG behoben, weil das Bundesamt keine abschließende Beurteilung des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers vorgenommen hatte, sowie dem Bundesamt die Einholung eines medizinischen Gutachtens über den Gesundheitszustand des Beschwerdeführers aufgetragen.

Mit Bescheid des Bundesamtes vom 29.09.2017 wurde der Antrag des Beschwerdeführers erneut wegen der Zuständigkeit Italiens als unzulässig zurückgewiesen und die Außerlandesbringung des Beschwerdeführers und demzufolge seine Abschiebung nach Italien für zulässig erklärt, nachdem - entgegen dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts - lediglich eine aktenmäßige ärztliche Stellungnahme zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers eingeholt worden war. Der dagegen erhobenen Beschwerde wurde mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 07.11.2017, Zl. W233 2158748-2, erneut Folge gegeben, der bekämpfte Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG behoben und der Behörde erneut die Auseinandersetzung mit dem Gesundheitszustand des Beschwerdeführers sowie die Einholung eines ärztlichen Sachverständigengutachtens zur Abklärung, ob er im Falle einer Überstellung nach Italien eine ernste, schnelle und irreversible Verschlechterung seines Gesundheitszustandes, die ein starkes Leid zur Folge hätte oder zu einer erheblichen Verringerung der Lebenserwartung führen würde, zu befürchten hätte, sowie zur Ermittlung des erforderlichen Behandlungsbedarfs und allfällig erforderlicher Rehabilitationsmaßnahmen, des Bestehens einer dauernden oder bloß vorübergehenden Reiseunfähigkeit bzw. ob eine Abschiebung nach Italien nur unter zutreffendenfalls welchen Auflagen durchgeführt werden dürfe.

Der Beschwerdeführer wurde sodann am 29.05.2018 beim Bundesamt einvernommen und erneut am 21.02.2019, wobei er angab, dass die Tuberkulose geheilt sei, er aber regelmäßig zur Kontrolle gehen solle und Magenprobleme habe. Er nehme noch ein russisches Medikament (Spray), welches ihm Freunde immer bringen würden. Nach dem vorgelegten Befund vom 12.09.2018 über einen stationären Aufenthalt des Beschwerdeführers in der medizinischen Abteilung eines Krankenhauses bestanden beim Beschwerdeführer folgende Diagnosen: unklarer Gewichtsverlust, Kachexie, Vd. auf bakterielle Überwucherung, St.p. multiresistente pulmonale TBC, Pneumektomie links 2016, Vit-D-Mangel, fraglicher medikamenteninduzierter Tinnitus, Schallempfindlichkeit, Schwerhörigkeit, Z.n. Candida-Sepsis 08/16, PNP, Kachexie. Am 13.12.2018 wurde in der Lungenambulanz eines anderen Krankenhauses ein im Vergleich zum 11.09.2018 unveränderter Befund mit der Diagnose "St.p. Pneumektomie links, St.p. MDR Tuberkulose" festgestellt.

Ein medizinisches Sachverständigengutachten über den (gesamten) Gesundheitszustand des Beschwerdeführers wurde jedoch seitens des Bundesamtes bisher nicht eingeholt.

Im nun angefochtenen Bescheid des Bundesamtes vom 04.03.2019, womit der Asylantrag in Bezug auf Asyl (Spruchpunkt I.) und subsidiären Schutz (Spruchpunkt II.) abgewiesen und gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkte III. bis VI.) ausgesprochen wurde, wurde ua. festgestellt, dass der körperliche Zustand des Beschwerdeführers auf Grund seiner Krankheit schlecht sei, er jedoch im Fall einer Abschiebung in die Russische Föderation keiner Gefahr der Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK ausgesetzt sei. Beweiswürdigend wurde dazu ausgeführt, dass die Feststellung zu seinem Gesundheitszustand sich aus seinen glaubhaften Angaben und den vorgelegten ärztlichen Attesten ergebe. In der rechtlichen Beurteilung zu Spruchpunkt II. wurde festgehalten, dass der Beschwerdeführer sonstige Abschiebungshindernisse, wie etwa das Vorliegen einer lebensbedrohenden Erkrankung nicht behauptet habe; seine Erkrankung sei in Österreich erfolgreich behandelt worden.

In der gegen die Spruchpunkte II. bis VI. erhobenen Beschwerde vom 15.03.2019 brachte seine Vertreterin zusammengefasst vor, dass die Behörde nach ihrer Feststellung, die Tuberkulose sei geheilt, weder auf die übrigen aktenkundigen Erkrankungen des Beschwerdeführers eingegangen sei, noch offengelegt habe, auf welche Beweisergebnisse die Behörde ihre Einschätzung der Behandelbarkeit gründe. Zudem hätte sie prüfen müssen, ob die grundsätzlich in Tschetschenien verfügbaren Behandlungsmöglichkeiten dem Beschwerdeführer auch zugänglich seien (VwGH 23.02.3017, Ra 2017/20/0038). Da das Bundesamt die ihm wiederholt aufgetragene Einholung eines ärztlichen Sachverständigengutachtens versäumt habe, werde ein medizinisches Gutachten über den Gesundheitszustand des Beschwerdeführers beantragt, zum Beweis dafür, dass sich sein Gesundheitszustand bei einer faktischen Abschiebung und Rückkehr in den Herkunftsstaat gravierend verschlechtern bzw. zu einem verfrühten qualvollen Tod führen würde. Offensichtlich sei kein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt worden.

Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Entscheidungsgrundlage:

* gegenständliche Aktenlage.

Würdigung der Entscheidungsgrundlage:

Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich unzweifelhaft aus der Aktenlage.

Hervorzuheben ist, dass die gegenständliche Fallproblematik in der fehlenden Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers unter Berücksichtigung sämtlicher Erkrankungen und darauf aufbauenden Feststellungen und rechtlichen Ausführungen zum subsidiären Schutz bzw. zur Rückkehrentscheidung in den Herkunftsstaat zu erblicken ist. Diesbezüglich ist auch auf die Ausführungen in der Beschwerde zu verweisen.

Rechtliche Beurteilung:

Mit 01.01.2014 sind das Bundesverwaltungsgerichtsgesetz (BVwGG), das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl-Verfahrensgesetz (BFA-VG) und das Fremdenpolizeigesetz 2005 idF BGBl. I Nr. 87/2012 in Kraft getreten.

Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht im Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 idgF geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 11 VwGVG sind, soweit in diesem und im vorangehenden Abschnitt nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren nach diesem Abschnitt jene Verfahrensvorschriften anzuwenden, die die Behörde in einem Verfahren anzuwenden hat, das der Beschwerde beim Verwaltungsgericht vorangeht.

Gemäß § 73 Abs. 1 AsylG 2005 idgF ist das AsylG 2005 am 01.01.2006 in Kraft getreten; es ist gemäß § 75 Abs. 1 AsylG auf alle Verfahren anzuwenden, die am 31.12.2005 noch nicht anhängig waren.

Gegenständlich sind die Verfahrensbestimmungen des AVG, des BFA-VG, des VwGVG und jene im AsylG 2005 enthaltenen sowie die materiellen Bestimmungen des FPG idgF samt jenen Normen, auf welche das FPG verweist, anzuwenden.

Zu Spruchpunkt I.:

Die für den gegenständlichen Fall maßgeblichen Bestimmungen lauten:

§28 Abs. 2 VwGVG:

Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Nach der aktuellen Judikatur zu §28 Abs. 3 VwGVG (vgl. VwGH 2014/03/00634 vom 26.06.2014) "wird daher eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen insbesondere dann in Betracht kommen,

wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat,

wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt

oder bloß ansatzweise ermittelt hat.

Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden."

Zur Anwendung des § 28 Abs. 3 VwGVG im gegenständlichen Fall:

In Bezug auf Spruchpunkt II. bis VI. des angefochtenen Bescheides ist anzumerken, dass die Entscheidung die genaue Ermittlung des gesamten gesundheitlichen Zustandes des Beschwerdeführers und nach Feststellungen dazu auch der Frage erfordert, ob der Beschwerdeführer durch eine Überstellung in seinen Herkunftsstaat einer Verletzung seiner Rechte nach Art. 3 EMRK ausgesetzt ist. Dazu ist im vorliegenden Fall die Einholung eines ärztlichen Sachverständigengutachtens jedoch unterblieben.

Sohin wurde der Sachverhalt bezüglich der genannten Spruchpunkte ungenügend erhoben, was den Bescheid der Verwaltungsbehörde insofern mit einem Mangel im Sinne obiger Judikatur - argum "bloß ansatzweise ermittelt" - gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG belastet.

Die Verwaltungsbehörde hat daher im fortgesetzten Verfahren, sofern der Beschwerdeführer noch im Bundesgebiet aufhältig ist,

* insbesondere den gesamten aktuellen Gesundheitszustand des Beschwerdeführers und die Auswirkungen einer Überstellung in den Herkunftsstaat darauf durch Einholung eines ärztlichen Sachverständigengutachtens zu ermitteln,

* dem Beschwerdeführer das Ermittlungsergebnis vorzuhalten und

* darauf aufbauend eine neue Entscheidung zu treffen.

Von der in § 28 VwGVG eingeräumten Möglichkeit, die unmittelbare Beweisaufnahme selbst durchzuführen, war im vorliegenden Fall schon deshalb nicht Gebrauch zu machen, weil das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht sich als Mehrparteienverfahren darstellt, so dass schon aufgrund der dadurch bedingten Erhöhung des administrativ - manipulativen Aufwandes bei Durchführung einer mündlichen Verhandlung und die Ladung mehrerer Parteien keine Kostenersparnis zu erzielen wäre.

Zusätzlich ist anzumerken, dass aufgrund des aktuell gegebenen notorischen Überhangs von Beschwerdeverfahren am Bundesverwaltungsgericht im Gegensatz zu den bei der revisionswerbenden Behörde anhängigen Verfahren die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Bundesverwaltungsgericht selbst keinesfalls rascher erfolgen kann. Diese Voraussetzung einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in der Sache selbst (§ 28 Abs. 2 Z 2 VwGVG) war daher ebenfalls nicht gegeben, da (eben) die eigene Sachverhaltsermittlung in dieser gegenwärtigen Situation keine raschere Verfahrenserledigung erlaubt.

Aufgrund der Mangelhaftigkeit der Ermittlungen kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass sich unabhängig vom Vorbringen des Beschwerdeführers aus dieser Situation eine andere Beurteilung ergibt.

Die Behebung hat sich unter Bedachtnahme auf die Ausführungen in der Beschwerde daher schon auf Spruchpunkt II. zu beziehen, wobei auch bezüglich der Rückkehrentscheidung (unter Spruchpunkt IV.) wegen des gänzlichen Fehlens von Ermittlungen zum gesamten Gesundheitszustand des Beschwerdeführers, wie bereits angeführt, von einer Mangelhaftigkeit der Ermittlungen auszugehen ist.

Die Behebung von Spruchpunkt IV. hat wiederum rechtslogisch die Behebung von Spruchpunkt V. bis VI. zur Folge.

Zu Spruchpunkt II.:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig:

Die gegenständlich behebende Entscheidung erfolgte vor dem Hintergrund der eindeutigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 Abs. 3 VwGVG. Diesbezüglich warf der gegenständliche Fall keine Rechtsfragen auf.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, Gesundheitszustand,
Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W117.2216587.1.00

Zuletzt aktualisiert am

19.06.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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