Entscheidungsdatum
09.05.2019Norm
AsylG 2005 §8 Abs1Spruch
W117 2215064-1/2E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Andreas DRUCKENTHANER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch RA Mag. Sebastian LESIGANG, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.01.2019, Zl. 1142068906-170150085/BMI-BFA_WIEN-RD, beschlossen:
I. In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid hinsichtlich der Spruchpunkte II. und IV. bis VI. behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
II. Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
Verfahrensgang und Sachverhalt:
Der Beschwerdeführer stellte am 03.02.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Er wurde am selben Tag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt, dabei brachte er vor, russischer Staatsbürger sowie Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe moslemischen Glaubens zu sein. Seine Muttersprache sei Tschetschenisch, er spreche aber auch Russisch. In Österreich seien seine aufenthaltsberechtigte Ehepartnerin XXXX seine minderjährige Tochter und sein minderjähriger Sohn aufhältig. Der Beschwerdeführer gab als Fluchtgrund zusammengefasst an, zu Hause Probleme mit der Polizei gehabt zu haben. Er habe Angst und fürchte um sein Leben.
Am 01.03.2017 wurde XXXX beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) auf Russisch als Zeugin einvernommen. Sie gab an, mit dem Beschwerdeführer traditionell verheiratet zu sein. Er sei standesamtlich mit einer anderen Frau verheiratet. Eine Heiratsurkunde besitze sie nicht. Sie sei seine zweite Ehefrau und habe teilweise mit der ersten Ehefrau und dem Beschwerdeführer im gemeinsamen Haushalt gelebt. Sie lebe in Österreich mit ihren Kindern in einer Wohnung. Der Beschwerdeführer sei dort behördlich nicht gemeldet.
Auch der Beschwerdeführer wurde beim Bundesamt am 01.03.2017 einvernommen, wobei er angab, dass er in Österreich zwei Kinder habe, welche bei ihm leben würden. Er sei mit XXXX seit 2006 traditionell verheiratet. Nach seinem Familienleben befragt, gab er an, keinen fixen Wohnsitz zu haben, er sei bei Ute Bock gemeldet und halte sich ab und zu bei seiner Frau oder bei Bekannten sowie ab und zu bei Ute Bock auf. Er habe sich bei seiner Frau nicht behördlich anmelden dürfen. Im Herkunftsstaat habe er zuletzt mit beiden Frauen im gemeinsamen Haushalt gelebt.
Erneut wurde er am 11.04.2017 beim Bundesamt befragt, wobei er angab, in Österreich nicht mit seiner Frau zusammenzuleben. Sie lebe im 13. Bezirk und er wohne seit 24.03.2017 angemeldet in einer Gemeindewohnung eines Freundes. Er unterstütze seine Frau täglich bei der Betreuung ihres behinderten Kindes und bringe die zweite Tochter in den Kindergarten. Er wechsle die Windeln und füttere das Kind. Wegen der Pflege des Kindes während der Nacht beklage sich seine Frau, dass sie nicht mehr zurechtkomme.
Zuletzt wurde der Beschwerdeführer am 03.10.2018 beim Bundesamt einvernommen. Dabei gab er an, dass er mit seiner Lebensgefährtin in Österreich drei Kinder habe. Seit 2013 habe er wegen Problemen nicht mehr mit seinen Ehefrauen gewohnt, sondern bei Freunden. Zur Zeit lebe er mit seiner Familie im 15.Bezirk. Er lebe seit seiner Ankunft in Österreich mit seiner Familie zusammen, zuerst im 13. Bezirk. Alle seine Familienangehörigen hätten einen Asylstatus.
Eine nochmalige Befragung seiner Lebensgefährtin als Zeugin zu den Lebensumständen des Beschwerdeführers im Herkunftsstaat als auch zu seinem Privat- und Familienleben in Österreich erfolgte jedoch nicht.
Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes vom 16.01.2019 wurde der Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich Asyl (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich subsidiären Schutz (Spruchpunkt II.) abgewiesen, dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.), festgestellt, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt V.) und die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).
In der dagegen eingebrachten Beschwerde gegen die Spruchpunkte II. und IV. führte der Vertreter des Beschwerdeführers im Wesentlichen aus, dass die Behörde nicht habe darlegen können, aus welchen Gründen die Angaben des Beschwerdeführers über seine Verfolgung unglaubwürdig sein sollten, sowie der Beschwerdeführer eine achtenswerte Familie in Österreich habe und keine Rede davon sein könne, dass keine familiäre Bindung und Verfestigung in Österreich bestehe. Die Behörde habe nicht darlegen können, welche dringenden Ziele dem Familienleben gegenüberstünden, eine Rückkehrentscheidung sei daher nicht zulässig.
Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Entscheidungsgrundlage:
* gegenständliche Aktenlage.
Würdigung der Entscheidungsgrundlage:
Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich unzweifelhaft aus der Aktenlage.
Hervorzuheben ist, dass die gegenständliche Fallproblematik in der fehlenden erneuten Einvernahme der Lebensgefährtin des Beschwerdeführers in Österreich zu seinen Lebensumständen -insbesondere zu seinem Wohnsitz und von ihm erbrachten Unterstützungen und Betreuungsleistungen sowie zum Privat- und Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK - in Österreich sowie im Herkunftsstaat und darauf aufbauenden Feststellungen und rechtlichen Ausführungen zum subsidiären Schutz bzw. zur Rückkehrentscheidung zu erblicken ist. Diesbezüglich ist auch auf die Ausführungen in der Beschwerde zu verweisen.
Rechtliche Beurteilung:
Mit 01.01.2014 sind das Bundesverwaltungsgerichtsgesetz (BVwGG), das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl-Verfahrensgesetz (BFA-VG) und das Fremdenpolizeigesetz 2005 idF BGBl. I Nr. 87/2012 in Kraft getreten.
Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht im Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 idgF geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 11 VwGVG sind, soweit in diesem und im vorangehenden Abschnitt nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren nach diesem Abschnitt jene Verfahrensvorschriften anzuwenden, die die Behörde in einem Verfahren anzuwenden hat, das der Beschwerde beim Verwaltungsgericht vorangeht.
Gemäß § 73 Abs. 1 AsylG 2005 idgF ist das AsylG 2005 am 01.01.2006 in Kraft getreten; es ist gemäß § 75 Abs. 1 AsylG auf alle Verfahren anzuwenden, die am 31.12.2005 noch nicht anhängig waren.
Gegenständlich sind die Verfahrensbestimmungen des AVG, des BFA-VG, des VwGVG und jene im AsylG 2005 enthaltenen sowie die materiellen Bestimmungen des FPG idgF samt jenen Normen, auf welche das FPG verweist, anzuwenden.
Zu Spruchpunkt I.:
Die für den gegenständlichen Fall maßgeblichen Bestimmungen lauten:
Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
Nach der aktuellen Judikatur zu §28 Abs. 3 VwGVG (vgl. VwGH 2014/03/00634 vom 26.06.2014) "wird daher eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen insbesondere dann in Betracht kommen,
wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat,
wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt
oder bloß ansatzweise ermittelt hat.
Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden."
Zur Anwendung des § 28 Abs. 3 VwGVG im gegenständlichen Fall:
In Bezug auf Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides ist anzumerken, dass die Entscheidung über den subsidiären Schutz die genaue Ermittlung der Lebensumstände des Beschwerdeführers im Herkunftsstaat und in Bezug auf Spruchpunkt IV. auch jener in Österreich erfordert. Dazu ist im vorliegenden Fall schon wegen der uneinheitlichen Angaben des Beschwerdeführers jedoch im Oktober 2017 eine neuerliche Einvernahme seiner Lebensgefährtin unterblieben.
Sohin wurde der Sachverhalt bezüglich der genannten Spruchpunkte ungenügend erhoben, was den Bescheid der Verwaltungsbehörde insofern mit einem Mangel im Sinne obiger Judikatur - argum "bloß ansatzweise ermittelt" - gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG belastet.
Die Verwaltungsbehörde hat daher im fortgesetzten Verfahren, sofern der Beschwerdeführer noch im Bundesgebiet aufhältig ist,
* die Lebensumstände des Beschwerdeführers im Herkunftsstaat sowie sein bisheriges Privat- und Familienleben in Österreich - durch nochmalige Einvernahme seiner Lebensgefährtin zu ermitteln, dem Beschwerdeführer dieses Ermittlungsergebnis vorzuhalten und darauf aufbauend eine neue Entscheidung zu treffen.
Von der in § 28 VwGVG eingeräumten Möglichkeit, die unmittelbare Beweisaufnahme selbst durchzuführen, war im vorliegenden Fall schon deshalb nicht Gebrauch zu machen, weil das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht sich als Mehrparteienverfahren darstellt, so dass schon aufgrund der dadurch bedingten Erhöhung des administrativ - manipulativen Aufwandes bei Durchführung einer mündlichen Verhandlung und die Ladung mehrerer Parteien keine Kostenersparnis zu erzielen wäre.
Zusätzlich ist anzumerken, dass aufgrund des aktuell gegebenen notorischen Überhangs von Beschwerdeverfahren am Bundesverwaltungsgericht im Gegensatz zu den bei der revisionswerbenden Behörde anhängigen Verfahren die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Bundesverwaltungsgericht selbst keinesfalls rascher erfolgen kann. Diese Voraussetzung einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in der Sache selbst (§ 28 Abs. 2 Z 2 VwGVG) war daher ebenfalls nicht gegeben, da (eben) die eigene Sachverhaltsermittlung in dieser gegenwärtigen Situation keine raschere Verfahrenserledigung erlaubt.
Aufgrund der Mangelhaftigkeit der Ermittlungen kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass sich unabhängig vom Vorbringen des Beschwerdeführers aus dieser Situation eine andere Beurteilung ergibt.
Die Behebung hat sich daher schon auf Spruchpunkt II. zu beziehen, wobei auch bezüglich der Rückkehrentscheidung (unter Spruchpunkt IV.) wegen des gänzlichen Fehlens der Einvernahme der Lebensgefährtin des Beschwerdeführers, wie bereits angeführt, von einer Mangelhaftigkeit der Ermittlungen auszugehen ist.
Die Behebung von Spruchpunkt IV. hat wiederum rechtslogisch die Behebung von Spruchpunkt V. bis VI. zur Folge.
Zu Spruchpunkt II.:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig:
Die gegenständlich behebende Entscheidung erfolgte vor dem Hintergrund der eindeutigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 Abs. 3 VwGVG. Diesbezüglich warf der gegenständliche Fall keine Rechtsfragen auf.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung, Einvernahme, Ermittlungspflicht,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W117.2215064.1.00Zuletzt aktualisiert am
19.06.2019