TE OGH 2019/5/15 9ObA45/19m

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Veröffentlicht am 15.05.2019
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Dehn, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Bernhard Gruber und ADir. Gabriele Svirak in der Arbeitsrechtssache der klagenden Parteien 1. ***** C*****, 2. ***** K*****, 3. ***** E*****, gegen die beklagte Partei S*****gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Fellner Wratzfeld & Partner, Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellung (21.800 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26. Februar 2019, GZ 10 Ra 8/19y-12, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Die Beklagte vertritt in ihrer außerordentlichen Revision die Auffassung, dass sie die Dienstverhältnisse der Kläger auch ohne gerichtliche Zustimmung wirksam aufgekündigt habe, weil im Kündigungszeitpunkt bereits eine dauernde Betriebseinstellung vorgelegen habe und die Kläger damit als bloß ehemalige Betriebsratsmitglieder nicht mehr vom besonderen Bestandschutz des § 120 Abs 3 ArbVG erfasst gewesen seien. Die Betriebsstilllegung setze nicht die Beendigung sämtlicher Dienstverhältnisse voraus. Damit zeigt die Beklagte keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO auf:

2. Richtig ist, dass nach § 62 Z 1 ArbVG die Tätigkeitsdauer des Betriebsrats vorzeitig endet, wenn der Betrieb dauernd eingestellt wird.

Nach § 120 Abs 3 ArbVG endet der sich aus den §§ 120 bis 122 ArbVG ergebende Schutz eines Betriebsratsmitglieds im Fall der dauernden Einstellung des Betriebs mit Ablauf der Tätigkeitsdauer des Betriebsrats.

Nach § 121 Z 1 ArbVG darf das Gericht einer Kündigung unter Bedachtnahme auf die Bestimmungen des § 120 ArbVG nur unter den in der Bestimmung näher genannten Voraussetzungen zustimmen.

Unter Einstellung des Betriebs ist sowohl die einen mehr oder weniger langen Zeitraum umfassende Liquidation als auch der als Ergebnis der Liquidation erzielte Status, also der Wegfall des Betriebs, zu verstehen. Eine zur Beendigung des Betriebsratsmandats führende Einstellung des Betriebs iSd § 62 Z 1 ArbVG bedeutet, dass der Betrieb als solcher untergegangen ist, weil jede Tätigkeit im Rahmen der bisherigen Organisationseinheit beendet wurde (9 ObA 83/08h; RS0106047 [T5]; s auch RS0115285 [„Auflösung bereits erfolgt“]; Kallab in ZellKomm ArbVG3 § 62 Rz 6). In diesem Sinn wird auch der Begriff „dauernde Einstellung des Betriebes“ in § 120 Abs 3 ArbVG verwendet, der demnach sachverhaltsmäßig den Wegfall eines Betriebs zur Voraussetzung des Erlöschens des Kündigungs- und Entlassungssonderschutzes macht. Demgegenüber wird in § 121 Z 1 ArbVG (Erfordernis der gerichtlichen Zustimmung) darunter die Liquidation, dh die Phase des Abbaues der Beschäftigten und der Betriebsmittel mit dem Ziel einer endgültigen Auflösung des Betriebs verstanden (s VfGH B 11/81; 9 ObA 141/01b = RS0115285), also der Vorgang des Vollzugs der dauernden Einstellung des Betriebs. Dafür müssen konkrete Stilllegungshandlungen gesetzt worden sein; eine bloß vom Betriebsinhaber beabsichtigte, aber noch nicht in Vollzug gesetzte Einstellung reicht für die Zustimmung der Gerichte nicht aus. Es ist allein auf die praktische Betriebseinstellung abzustellen, die meistens nach Beginn des Liquidierungsprozesses, jedoch uU vor seinem Ende liegen kann (9 ObA 2309/96s ua; Wolligger in ZellKomm ArbVG3 § 121 Rz 4 mwN).

3. Eine Betriebsstilllegung ist ein äußerst komplexer Vorgang, der sich auch zeitlich meist länger hinzieht (RS0106047 [T1]). Maßnahmen, die eine solche Betriebsstilllegung indizieren, sind in der Regel die Auflösung der Arbeitsverhältnisse, die Zurücklegung der Gewerbeberechtigung, die Veräußerung der sachlichen Betriebsmittel, der Abverkauf der Produkte und der Verkauf der Rohstoffe sowie der Abbruch der Beziehungen zu Kunden und Lieferanten, also die Liquidierung der Betriebsmittel, wobei in der Regel mehrere dieser Maßnahmen mit der Einstellungsabsicht zusammentreffen werden müssen, um den Tatbestand der dauernden Betriebsstilllegung zu erfüllen (RS0106047). Ob und wann eine dauernde Betriebseinstellung erfolgt ist, hängt maßgeblich von den Umständen des Einzelfalls ab und stellt daher regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO dar (RS0051131).

4. Das ist auch hier nicht der Fall: Zwar waren die Verkaufsfilialen der Beklagten schon geschlossen, die Telefon- und Stromlieferverträge beendet und keine Betriebsmittel mehr vorhanden. Die Betriebsleiterin der Beklagten war nach der Kündigung der Kläger aber noch damit beschäftigt, andere Dienstverhältnisse zu beenden, Arbeitszeugnisse auszustellen und sich auch um die eingehende Post inklusive Abschlussrechnungen zu kümmern. Auch die Gewerbeberechtigung wurde erst zu einem späteren Zeitpunkt zurückgelegt. War danach die technische Abwicklung des Betriebsgeschehens im Kündigungszeitpunkt nicht abgeschlossen, ist es vertretbar, wenn die Vorinstanzen hier noch nicht von der dauernden Einstellung den Betriebs, sondern von der Stilllegungsphase ausgingen, in der der Bestandschutz der Kläger noch aufrecht war.

Die außerordentliche Revision der Beklagten ist daher zurückzuweisen.

Textnummer

E125294

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:009OBA00045.19M.0515.000

Im RIS seit

19.06.2019

Zuletzt aktualisiert am

18.05.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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