TE Vfgh Erkenntnis 1997/2/24 B1753/95

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Veröffentlicht am 24.02.1997
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

EMRK Art8
AufenthaltsG §6 Abs2
AufenthaltsG §6 Abs3

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch Abweisung von Anträgen auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung wegen Versäumung der im AufenthaltsG normierten Frist von vier Wochen vor Ablauf der gültigen Bewilligung zur Stellung von Verlängerungsanträgen; Unterlassung der im Sinne einer verfassungskonformen Interpretation trotz imperativer Anordnung im Gesetz gebotenen Interessenabwägung

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid in dem durch Art8 Abs1 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seiner Rechtsvertreterin die mit 18.000 S bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer, geboren am 1. Jänner 1970, ist Staatsangehöriger der ehemaligen Republik Jugoslawien, lebt seit 1992 in Österreich und hatte zuletzt eine Aufenthaltsbewilligung gültig bis 10. Juni 1994. Er stellte am 26. Mai 1994 einen Verlängerungsantrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung.

2. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies der Bundesminister für Inneres die Berufung ab und führte in der Begründung aus, der Verlängerungsantrag sei verspätet gestellt worden (der letzte Tag der vierwöchigen Frist vor Ablauf der Geltungsdauer der Aufenthaltsbewilligung war der 13. Mai 1994; der Verlängerungsantrag wurde am 26. Mai 1994 eingebracht). Aus diesem Grund und infolge der Verfahrensvorschrift des §6 Abs3 AufenthaltsG sei die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung ausgeschlossen.

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, mit der - der Sache nach - die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 Abs1 EMRK) geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

4. Der Bundesminister für Inneres als belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und beantragte - ohne auf das Vorbringen des Beschwerdeführers einzugehen - die Abweisung der Beschwerde.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1.1. Der angefochtene, die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung nach dem AufenthaltsG versagende Bescheid greift in das dem Beschwerdeführer durch Art8 Abs1 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens ein. Denn der Beschwerdeführer hält sich seit 1992 zusammen mit seiner Ehefrau J - die Eheschließung erfolgte am 28. Juli 1994 - und dem gemeinsamen Sohn D M, die beide österreichische Staatsbürger sind, in Österreich auf.

1.2. Ein Eingriff in das durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich garantierte - unter Gesetzesvorbehalt stehende - Recht wäre dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen wäre, auf einer dem Art8 EMRK widersprechenden Rechtsvorschrift beruhte oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hätte; ein solcher Fall läge nur vor, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre, oder wenn sie der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art8 Abs1 EMRK widersprechenden und durch Art8 Abs2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellt hätte (vgl. VfSlg. 11638/1988).

2.1. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits im Erk. vom 10. Oktober 1995 B1722/94 ua. mit näherer Begründung dargelegt hat, ist die Behörde auch bei Anwendung der Bestimmung des §6 Abs3 AufG idF vor der Nov. BGBl. 351/1995, die eine Antragstellung spätestens vier Wochen vor Ablauf der Geltungsdauer der Bewilligung vorsah, in Fällen, in denen durch die Versagung der Bewilligung in das durch Art8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens eingegriffen wird, verhalten, die Notwendigkeit der Versagung aus den in Art8 Abs2 EMRK umschriebenen öffentlichen Interessen zu prüfen und dabei auch auf die familiären und sonstigen privaten Interessen des Bewilligungswerbers Bedacht zu nehmen.

2.2. Die belangte Behörde hat im Fall des Beschwerdeführers - ausgehend von einer verfehlten Rechtsansicht - diese im Sinn des Art8 EMRK gebotene Interessenabwägung nicht vorgenommen.

Der angefochtene Bescheid war daher schon aus diesem Grund aufzuheben.

3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von 3.000 S enthalten.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.

Schlagworte

Aufenthaltsrecht, Privat- und Familienleben, Interessenabwägung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1997:B1753.1995

Dokumentnummer

JFT_10029776_95B01753_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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