TE Bvwg Erkenntnis 2018/11/19 L507 2009859-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.11.2018
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

19.11.2018

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z22
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §34 Abs2
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

L507 2009859-1/17E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Habersack über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX alias XXXX , StA. Irak, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.06.2014, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 01.03.2016, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 3 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1. Die Beschwerdeführerin, eine irakische Staatsbürgerin kurdischer Abstammung und jezidischer Religionszugehörigkeit, stellte am 24.03.2014, nachdem sie zuvor illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist ist, einen Antrag auf internationalen Schutz.

Hiezu wurde sie am 26.03.2014 von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt, wobei sie vorbrachte, dass Jeziden im Irak von den Moslems diskriminiert werden würden. Sie würden ständig von fanatischen Muslimen attackiert werden. Ihr Bruder und ihre Schwester seien wegen ihrer Religionszugehörigkeit von der Schule raugeschmissen worden. Die Lage im Irak sei unsicher und habe sie deshalb ihr Heimatland verlassen. Im Falle der Rückkehr habe sie Angst um ihr Leben.

2. Am 21.05.2014 wurde die Beschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) einvernommen.

Dabei brachte sie zusammengefasst vor, dass sie 2008 von den Moslems von der Schule verwiesen worden sei. Die Lage sei gefährlich gewesen und hab sie Angst gehabt. Ihr Vater habe ihr gesagt, dass sie nach Europa gehen solle. Moslems hätten jezidische Mädchen auf dem Schulweg entführt. Auch die Geschwister der Beschwerdeführerin hätten aufgrund der Sicherheitslage die Schule abgebrochen. Die Moslems würden Jeziden nicht mögen und sei sie von Mitschülern auch verspottet und ihr Vater einmal beleidigt worden.

3. Mit Schreiben des BFA vom 25.01.2016 und 23.06.2016 wurden der Beschwerdeführerin Länderfeststellungen zum Irak übermittelt und ihr die Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme eingeräumt. Mit Schreiben vom 08.02.2016 erstattete die Beschwerdeführerin zu den ihr mit Schreiben vom 25.01.2016 übermittelten Länderfeststellungen eine Stellungnahme.

4. Mit Bescheid des BFA vom 26.06.2014, Zl. XXXX , wurde der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß

§ 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen und der Beschwerdeführerin der Status der Asylberechtigten nicht zuerkannt. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde der Beschwerdeführerin der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 26.06.2015 erteilt.

Das BFA traf darin aktuelle Feststellungen mit nachvollziehbaren Quellenangaben zur allgemeinen Lage im Irak.

Beweiswürdigend wurde vom BFA ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin keine konkret gegen sie gerichtete Angriffe oder Diskriminierungen vorgebracht habe.

Infolge der derzeitig im Irak vorherrschenden schlechten allgemeinen Sicherheitslage seien der Beschwerdeführerin jedoch der Status der subsidiär Schutzberechtigten und gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung zu erteilen gewesen.

5. Mit Verfahrensanordnung des BFA vom 26.06.2014 wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

6. Der bekämpfte Bescheid wurde der Beschwerdeführerin am 30.06.2014 ordnungsgemäß durch Hinterlegung zugestellt. Gegen diesen Bescheid richtet sich die am 14.07.2014 beim BFA eingelangte Beschwerde. Darin wurde zunächst ausgeführt, das BFA habe die Lage der Jeziden und insbesondere die Lage jezidischer Frauen im Irak und die daraus resultierenden Gefahren für die Beschwerdeführerin nicht berücksichtigt. Die Länderfeststellungen würden auf Quellen aus dem Jahr 2013 basieren und der gefährlichen Entwicklung im Nordirak zum Zeitpunkt der Flucht der Beschwerdeführerin nicht Rechnung tragen. Die Quellen aus dem Jahr 2014 würden eine gezielte Verfolgung von Jeziden in der Niniveh-Ebene zeigen. Diesbezüglich wurden im Weiteren auszugsweise Berichte zitierte, welche die Verfolgung von Jeziden im Nordirak belegen würden.

Es wurde auch darauf hingewiesen, dass die Beschwerdeführerin den Irak als Frau alleine verlassen habe, was für sie bei einer Rückkehr in den Irak den Tod bedeuten würde, zumal dies in ihrer Religion nicht erlaubt sei. Eine innerstaatliche Fluchtalternative bestehe nicht. Die Widersprüchlichkeiten zu ihrer Schulbildung und dem Grund des Abbruches der Schule erklärte die Beschwerdeführerin damit, dass ihr vom Schlepper aufgetragen worden sei, das im gefälschten Ausweis angeführte Geburtsdatum auswendig zu lernen. Im Weiteren stellte die Beschwerdeführerin ihren Vornamen richtig und brachte eine Kopie ihres Personalausweises in Vorlage. Sie habe sechs Jahr lang die Volksschule besucht. Der Besuch einer weiterführenden Schule sei für Mädchen zu gefährlich gewesen. Der Bescheid des BFA sei auch insoweit fehlerhaft, als im Rahmen der Beweiswürdigung auf die Sicherheitslage in Syrien und nicht auf die im Irak verwiesen worden sei.

7. Am 01.03.2016 führte das Bundesverwaltungsgericht in der Sache der Beschwerdeführerin eine öffentlich mündliche Verhandlung durch. In dieser wurde der Beschwerdeführerin die Gelegenheit gegeben, neuerlich ihre Ausreisemotivation umfassend darzulegen.

8. Mit hg. Schreiben vom 12.01.2018 wurde der Beschwerdeführerin das Länderinformationsblatt zum Irak vom 24.08.2017 (letzte Kurzinformation eingefügt am 15.09.2017) zwecks Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme übermittelt. Eine Stellungnahme langte bis dato nicht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

1.1. Zur Person der Beschwerdeführerin:

Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige des Irak, jezidischen Glaubens und Angehörige der kurdischen Volksgruppe. Sie wuchs in der Stadt XXXX in der Provinz Ninawa auf und besuchte dort sechs Jahre lang die Grundschule. Anschließend war die Beschwerdeführerin bis zu ihrer Ausreise im März 2014 bei ihrer Familie zu Hause und half dort im Haushalt mit.

Im Irak leben nach wie vor die Eltern sowie sechs Brüder und zwei Schwestern der Beschwerdeführerin. Die Eltern und Geschwister der Beschwerdeführerin leben in der Stadt XXXX in der Autonomen Region Kurdistan. Der Vater der Beschwerdeführerin arbeitet dort als Fahrer und ihre Brüder in Restaurants sowie als Hilfsarbeiter. Die Mutter ist Hausfrau. Eine Schwester besucht noch die Schule, eine weitere ist verheiratet und lebt bei ihrem Ehegatten. Die Beschwerdeführerin hat regelmäßig telefonischen Kontakt zu ihrer Familie.

Die Beschwerdeführerin hat in Österreich ihren jetzigen Lebensgefährten kennen gelernt und kam am XXXX .2014 der gemeinsame Sohn in Österreich zur Welt. Dem Lebensgefährten der Beschwerdeführerin wurde mit Bescheid des BFA vom 21.02.2011 gemäß § 3 AsylG der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Dem gemeinsamen Sohn wurde mit Bescheid des BFA vom 15.04.2015 gemäß § 3 iVm § 34 Abs. 2 AsylG der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin vor der Ausreise aus ihrer aus dem Irak einer individuellen asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt war.

1.2. Zur Lage im Irak wird festgestellt:

1.2.1. Allgemeine politische Lage:

Gemäß der Verfassung ist Irak ein demokratischer, föderaler und parlamentarisch-republikanischer Staat. Der Islam ist Staatsreligion und eine (nicht die) Hauptquelle der Gesetzgebung.

In Artikel 117 der Verfassung wird die Region Kurdistan-Irak mit ihren Institutionen als eine

Region Iraks anerkannt.

Traditionelle Stammesstrukturen und ethnisch-religiöse Zugehörigkeiten bestimmen die gesellschaftlichen und politischen Loyalitäten bzw. Konfliktlinien. Die wichtigsten ethnischreligiösen Gruppierungen sind (arabische) Schiiten, die 60 bis 65% der Bevölkerung ausmachen und vor allem den Südosten/Süden des Landes bewohnen, (arabische) Sunniten (17 bis 22%) mit Schwerpunkt im Zentral- und Westirak (aus dieser Gruppe stammte bis zum Ende der Diktatur von Saddam Hussein 2003 der größte Teil der politischen und militärischen Führung) und die vor allem im Norden des Landes lebenden überwiegend sunnitischen Kurden (15 bis 20%). Entlang dieser Linien hat sich die Parteienlandschaft gebildet. Angehörige der religiösen Minderheiten, die traditionell besonders im arabisch-kurdischen Grenzgebiet siedelten, haben teilweise eine eigene ethnisch-religiöse Identität bewahrt, betrachten sich häufig aber auch als Kurden oder Araber.

Die vierten Parlamentswahlen fanden am 30. April 2014 statt. Die gegenwärtige Regierung ist eine "Regierung der nationalen Einheit", die alle maßgeblichen Parteien des Landes umfasst. Die Regierung steht weiterhin vor Herkulesaufgaben. Ein Teil des Landes (v. a. Teile der Provinz Ninawa) ist immer noch durch die Terrororganisation IS besetzt, die seit Ende 2015 mit einem Bündnis auf Zeit aus irakischem Militär, kurdischen Peschmerga, schiitischen Milizen und Luftschlägen der internationalen US-geführten Anti-IS-Koalition bekämpft wird.

Betätigungsmöglichkeiten von Menschenrechtsorganisationen: Trotz positiver rechtlicher Rahmenbedingungen hat sich im Zuge der seit 2014 anhaltenden bewaffneten Auseinandersetzungen das Arbeitsumfeld für Menschenrechtsorganisationen deutlich verschlechtert. Derzeit existieren im gesamten Irak etwa 350 registrierte Nichtregierungsorganisationen (NROs) im Bereich Menschenrechte. Ein Gesetz zu NROs existiert seit 2010. Zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich für den Schutz der Menschenrechte einsetzen, unterliegen in ihrer Registrierung keinen besonderen Einschränkungen. Die schwierige Sicherheitslage und weiter bestehende regulatorische Hindernisse erschweren dennoch die Arbeit vieler NROs. Sie unterliegen der Kontrolle durch die Behörde für Angelegenheiten der Zivilgesellschaft; zahlreiche unter ihnen berichten glaubhaft von bürokratischen und intransparenten Registrierungsverfahren, willkürlichem Einfrieren von Bankkonten sowie unangekündigten und einschüchternden "Besuchen" durch Vertreter des Ministeriums. Die Präsenz von ausländischen NROs im Zentral- und Südirak ist nach wie vor gering. Dies gilt nicht für die Region Kurdistan-Irak, wo viele ausländische NROs tätig sind. In Reaktion auf Beschwerden internationaler Partner hat die irakische Regierung das Registrierungsverfahren für ausländische NROs in Irak allerdings Mitte des Jahres2016 vereinfacht und beschleunigt.

Die Rolle der Sicherheitskräfte: Die irakischen Sicherheitskräfte dürften mittlerweile wieder ca. 100.000 Armee-Angehörige und über 100.000 Polizisten umfassen. Die irakischen Sicherheitskräfte sind nicht in der Lage, landesweit den Schutz der Bürger zu gewährleisten. Die Anwendung bestehender Gesetze ist nicht gesichert, ohnehin gibt es kein Polizeigesetz. Personelle Unterbesetzung, mangelnde Ausbildung, mangelndes rechtsstaatliches Bewusstsein vor dem Hintergrund einer über Jahrzehnte gewachsenen Tradition von Unrecht und Korruption auf allen Ebenen sind hierfür die Hauptursachen. Ansätze zur Abhilfe und zur Professionalisierung entstehen durch internationale Unterstützung: Im Rahmen der Unterstützung des Iraks im Kampf gegen IS bildet Italien Polizeikräfte (hälftig lokale und Bundespolizei) fort. Deutschland finanziert ein Vorhaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) zur Förderung einer bürgernahen lokalen Polizei.

Die Schwäche der irakischen Sicherheitskräfte erlaubt es vornehmlich schiitischen Milizen, wie den von Iran unterstützten Badr-Brigaden, den Asa'ib Ahl a-Haq und Kata'ib Hisbollah, Parallelstrukturen im Zentralirak und im Süden des Landes aufzubauen. Mit dem am 26.11.2016 verabschiedeten Gesetz über die Volksmobilisierung wurde der Versuch unternommen, einen Teil der Milizangehörigen in Strukturen unter dem formalen Oberbefehl des Premierministers zu überführen und einen Teil unter Zahlung eines Existenzminimums zu Demobilisieren. Der Ausgang dieses Experiments ist völlig offen.

Die irakische Armee verfügt nicht über ausreichende Fähigkeiten oder Ausrüstung, um ihrem Auftrag gerecht zu werden. Die Schmach des weitgehend kampflosen Rückzugs gegenüber den IS-Kräften bei deren Vormarsch 2014 sitzt jedoch tief und führte in Teilen der Truppe zu einer hohen Motivation bei der Rückeroberung besetzter Gebiete. Die Professionalisierung der Armee und vor allem auch der Bundes- und lokalen Polizei wird im Rahmen der internationalen Anti-IS-Koalition mit Hilfe internationaler Militär- und Polizeiausbildung unterstützt, darunter auch bis zu 150 Soldaten der Bundeswehr im sog. "Kurdistan Training Coordination Center" (KTCC).

Gemäß Art. 121 der irakischen Verfassung üben kurdische Sicherheitskräfte (insbesondere die militärisch organisierten Peschmerga und die Sicherheitspolizei Asayisch) die Sicherheitsverantwortung in den Provinzen Erbil, Sulaymaniya, Dohuk und Halabdscha aus; diese Kräfte kontrollieren darüber hinaus de facto Teile der Provinzen Diyala, Kirkuk und Ninawa (Mosul). Sie unterstehen formal der kurdischen Regionalregierung und sind nicht in den Sicherheitsapparat der Zentralregierung eingegliedert. Die kurdischen Sicherheitskräfte bilden allerdings keine homogene Einheit, sondern unterstehen faktisch den beiden großen Parteien KDP und PUK (s.o.) in ihren jeweiligen Einflussgebieten.

Ca. 20.000 Angehörige privater Sicherheitsunternehmen sind in Irak tätig. Die größten Unternehmen haben sich in der "Private Security Companies Association of Iraq" (PSCAI) zusammengeschlossen. Viele werden inzwischen von der irakischen Regierung, Unternehmen und Organisationen als Personen- und Objektschützer eingesetzt. Sie genießen keine Immunität.

1.2.2. Staatliche Repressionen:

Staatliche Stellen sind nach wie vor für zahlreiche Menschenrechtsverletzungen verantwortlich und trotz erkennbarem Willen der Regierung Abadi nicht in der Lage, die in der Verfassung verankerten Rechte und Grundfreiheiten zu gewährleisten. Derzeit ist es staatlichen Stellen zudem nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Dies geht nach Informationen von Menschenrechtsorganisationen sowie den VN einher mit Repressionen, mitunter auch extralegalen Tötungen sowie Vertreibungen von Angehörigen der jeweils anderen Konfession.

Politische Opposition: Belastbare Erkenntnisse über die gezielte Unterdrückung der politischen Opposition durch staatliche Organe liegen nicht vor. Politische Aktivisten berichten von Einschüchterungen und Gewalt durch staatliche, nichtstaatliche oder paramilitärische Akteure, die abschrecken sollen, neue politische Bewegungen zu etablieren und die freie Meinungsäußerung teils massiv einschränken. Einige sunnitische Politiker wurden unter dem Vorwurf von terroristischen Aktivitäten (oder der Beihilfe dazu) behindert, mussten fliehen oder wurden in absentia verurteilt. Das betraf u. a. den ehemaligen Vize-StP Al-Hashemi, ex-Finanzminister Issawi und den Abgeordneten Ahmad Al-Alwani. Die politische Atmosphäre im Land ist zudem durch ethnische Spannungen und Korruption belastet.

Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Meinungs- und Pressefreiheit: Die Verfassung vom 15.10.2005 (Art. 38 C und 39) sieht die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit unter dem Vorbehalt der öffentlichen Ordnung vor und stellt die nähere Ausgestaltung durch ein Gesetz in Aussicht, das es aber noch nicht gibt.

Art. 38 A und B der Verfassung garantieren die Freiheit der Meinungsäußerung, solange die öffentliche Ordnung nicht beeinträchtigt wird. Das "Gesetz zum Schutz von Journalisten" von 2011 hält u. a. mehrere Kategorien des Straftatbestands der "Diffamierung" aufrecht, die in ihrem Strafmaß z. T. unverhältnismäßig hoch sind. Klagen gegen das Gesetz sind anhängig.

Religionsfreiheit: Die Verfassung erkennt das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit weitgehend an: Gemäß Art. 2 Abs. 1 ist der Islam Staatsreligion und eine Hauptquelle der Gesetzgebung, in Abs. 2 wird das Recht einer jeden Person auf Religions- und Glaubensfreiheit sowie das Recht auf deren Ausübung garantiert. Art. 3 legt ausdrücklich die multiethnische, multireligiöse und multikonfessionelle Ausrichtung Iraks fest, betont aber auch den arabisch-islamischen Charakter des Landes. Art. 43 verpflichtet den Staat zum Schutz der religiösen Stätten. Das Strafgesetzbuch kennt keine aus dem islamischen Recht übernommenen Straftatbestände, wie z. B. den Abfall vom Islam; auch spezielle, in anderen islamischen Ländern existierende Straftatbestände, wie z. B. die Beleidigung des Propheten, existieren nicht. Die alten irakischen Personalausweise enthielten ein Feld zur Religionszugehörigkeit, was von Menschenrechtsorganisationen als Sicherheitsrisiko im aktuell herrschenden Klima religiöskonfessioneller Gewalt kritisiert wurde. Mit Einführung des neuen Personalausweises wurde dieser Eintrag zeitweise abgeschafft. Mit Verabschiedung eines Gesetzes zum neuen Personalausweis im November 2015 wurde allerdings auch wieder ein religiöse Minderheiten diskriminierender Passus aufgenommen: Art. 26 stipuliert, dass Kinder eines zum Islam konvertierenden Elternteils automatisch auch als zum Islam konvertiert geführt werden.

Die meisten religiös-ethnischen Minderheiten sind im Parlament vertreten. Grundlage bildet ein Quotensystem bei der Verteilung der Sitze (fünf Sitze für die christliche Minderheit sowie jeweils einen Sitz für Yeziden, Sabäer, Mandäer und Schabak). Das kurdische Regionalparlament sieht jeweils fünf Sitze für Turkmenen, Chaldäer und Assyrische Christen sowie einen für Armenier vor. Viele sunnitische Iraker stehen der schiitischen Dominanz im politischen System kritisch gegenüber. Die Machtverteilungsarrangements zwischen Sunniten und Schiiten sowie Kurden festigen den Einfluss ethnisch-religiöser Identitäten und verhindern die Herausbildung eines politischen Prozesses, der auf die Bewältigung politischer Sachfragen abzielt.

Eine systematische Diskriminierung oder Verfolgung religiöser oder ethnischer Minderheiten durch staatliche Behörden findet nicht statt. Allerdings ist nach dem Ende der Herrschaft Saddam Husseins die irakische Gesellschaft teilweise in ihre (konkurrierenden) religiösen und ethnischen Segmente zerfallen - eine Tendenz, die sich durch die IS-Gräuel gegen Schiiten und Angehörige religiöser Minderheiten weiterhin verstärkt hat. Gepaart mit der extremen Korruption im Lande führt diese Spaltung der Gesellschaft dazu, dass im Parlament, in den Ministerien und zu einem großen Teil auch in der nachgeordneten Verwaltung, nicht nach tragfähigen, allgemein akzeptablen und gewaltfrei durchsetzbaren Kompromissen gesucht wird, sondern die zahlreichen ethnisch-konfessionell orientierten Gruppen oder Einzelakteure ausschließlich ihren individuellen Vorteil suchen oder ihre religiös geprägten Vorstellungen durchsetzen. Ein berechenbares Verwaltungshandeln oder gar Rechtssicherheit existieren nicht.

Die Hauptsiedlungsgebiete der religiösen Minderheiten liegen im Nordirak in den Gebieten, die seit Juni 2014 teilweise unter Kontrolle des IS standen oder noch stehen. Hier kommt es zu gezielten Verfolgungen von Jesiden, Mandäern, Kakai, Schabak und Christen. Es liegen zahlreiche Berichte über Zwangskonversionen, Versklavung und Menschenhandel, sexuelle Ausbeutung, Folter, Rekrutierung von Kindersoldaten, Massenmord und Massenvertreibungen vor. Rund 300.000 Jesiden wurden 2014 aus ihrem Stammland um Sindschar vertrieben und mussten tagelang ohne Wasser und Lebensmittel im Gebirge ausharren, bis sie gerettet werden konnten. Mitte November 2015 wurde Sindschar von kurdischen Sicherheitskräften zurückerobert, eine unzureichende Sicherheitslage, große Zerstörungen und Rivalitäten verschiedener Peschmergagruppierungen und Milizen machen bislang eine Rückkehr der Bevölkerung unmöglich. In der Region Kurdistan-Irak wie auch in weiteren Gebieten, die unter Kontrolle der kurdischen Regionalregierung stehen, sind Minderheiten weitgehend vor Gewalt und Verfolgung geschützt. Hier haben viele Angehörige von Minderheiten Zuflucht gefunden.

Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis: Es liegen keine belastbaren Erkenntnisse zur Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis vor. Eine Verfolgung von Straftaten findet nur unzureichend statt. Es mangelt an ausgebildeten, unbelasteten Richtern; eine rechtsstaatliche Tradition gibt es nicht. Häufig werden übermäßig hohe Strafen verhängt. Obwohl nach irakischem Strafprozessrecht Untersuchungshäftlinge binnen 24 Stunden einem Untersuchungsrichter vorgeführt werden müssen, wird diese Frist nicht immer respektiert und zuweilen auf 30 Tage ausgedehnt. Freilassungen erfolgen mitunter nur gegen Bestechungszahlungen. Insbesondere Sunniten beschweren sich über "schiitische Siegerjustiz" und einseitige Anwendung der bestehenden Gesetze zu ihren Lasten.

Auch die Lage in der Region Kurdistan-Irak ist von Defiziten der rechtsstaatlichen Praxis gekennzeichnet. Die Asayisch-Sicherheitskräfte operieren immer wieder außerhalb der Kontrolle des zuständigen Innenministeriums (insbesondere in der Provinz Sulaymaniya). In einem glaubhaft belegten Fall berichtet Amnesty International von einem Gefangenen, der seit zehn Jahren ohne Verfahren in Haft sitzt. Untersuchungen nach Übergriffen seitens der Sicherheitskräfte bleiben oft ohne Ergebnis. Haftbesuche sind, auch für das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK), grundsätzlich möglich.

Militärdienst: Es gibt keine Wehrpflicht. Nach der Auflösung der Sicherheitskräfte des Regimes von Saddam Hussein wurden bei den neuen irakischen Sicherheitskräften nur Personen ohne Verbindungen zum alten Regime eingestellt. Bei der Einstellung in den Polizeidienst werden teilweise Schiiten bevorzugt.

Geschlechtsspezifische Verfolgung: Irak war das erste Land im Mittleren Osten, welches Anfang 2014 einen nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der VN-Sicherheitsratsresolution 1325 (2000) zu Frauen, Frieden und Sicherheit verabschiedete. Die Region Kurdistan-Iraq hatte bereits 2013 eine Strategie zum Kampf gegen Gewalt gegen Frauen verabschiedet.

In der Verfassung ist die Gleichstellung der Geschlechter festgeschrieben und eine Frauenquote von 25% im Parlament (Region Kurdistan: 30%) verankert. Dadurch sind im irakischen Parlament derzeit 82 Frauen vertreten (von insgesamt 328 Abgeordneten). Allerdings sind Frauen in den bedeutenden Ausschüssen wie dem für Verteidigung und Sicherheit oder dem Komitee für Nationale Versöhnung nicht vertreten. Die geschätzte Erwerbsquote unter Frauen lag 2014 bei nur 14%, der Anteil an der arbeitenden Bevölkerung bei 17 %.

Laut Art. 14 und 20 der Verfassung ist jede Art von Diskriminierung aufgrund des Geschlechtes verboten. Art. 41 bestimmt jedoch, dass Iraker Personenstandsangelegenheiten ihrer Religion entsprechend regeln dürfen. Viele Frauen kritisieren diesen Paragraphen als Grundlage für eine Re-Islamisierung des Personenstandsrechts und damit eine Verschlechterung der Stellung der Frau. Zudem findet auf einfachgesetzlicher Ebene die verfassungsrechtlich garantierte Gleichstellung häufig keine Entsprechung. Defizite bestehen insbesondere im Familien-, Erb- und Strafrecht sowie im Staatsangehörigkeitsrecht. Frauen werden noch immer in Ehen gezwungen, rund 20% der Frauen werden vor ihrem 18. Lebensjahr (religiös) verheiratet, viele davon im Alter von 10 - 14 Jahren. Kinderheirat wie auch sexuelle Ausbeutung werden dadurch begünstigt, dass 10% der irakischen Frauen Witwen, viele davon Alleinversorgerinnen ihrer Familien sind.

Die Stellung der Frau hat sich im Vergleich zur Zeit des Saddam-Regimes teilweise deutlich verschlechtert. Die prekäre Sicherheitslage und wachsende fundamentalistische Tendenzen in Teilen der irakischen Gesellschaft haben negative Auswirkungen auf das Alltagsleben und die politischen Freiheiten der Frauen. Vor allem im schiitisch geprägten Südirak werden islamische Regeln, z. B. Kopftuchzwang an Schulen und Universitäten, stärker durchgesetzt. Frauen werden unter Druck gesetzt, ihre Freizügigkeit und Teilnahme am öffentlichen Leben einzuschränken.

Der IS hat in den von der Terrororganisation kontrollierten Gebieten das nach Meinung der Terrororganisation ‚richtige' islamische Recht angewandt, was zu massiven Menschenrechtsverletzungen, insbesondere gegen Frauen, Kinder und Homosexuelle geführt hat. Frauen dort sind Berichten zufolge Opfer von Zwangsprostitution, Zwangsverheiratung (auch in Mehrehen) und werden in ihrer Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt. In Mosul herrscht Beobachtern zufolge für Frauen Verschleierungszwang (Niqab).

Nach Angaben der VN-Sonderbeauftragten gegen sexuelle Gewalt in Konflikten setzen der IS und andere Milizen sexuelle Gewalt systematisch als Mittel der Kriegsführung ein. Der

VN-Sicherheitsrat verurteilte am 28. August 2015 den Einsatz sexueller Gewalt in Syrien und Irak.

Die kurdische Regionalregierung hat ihre Anstrengungen zum Schutz der Frauen verstärkt. So wurden im Innenministerium vier Abteilungen zum Schutz von weiblichen Opfern von (familiärer) Gewalt sowie zwei staatliche Frauenhäuser eingerichtet. Zwei weitere werden von NROs betrieben. Vereinzelt werden Frauen "zum eigenen Schutz" inhaftiert. Im August 2011 trat das kurdische Gesetz gegen häusliche Gewalt in Kraft, in dem weibliche Genitalverstümmelung, Zwangsverheiratung von Frauen und andere Gewalt innerhalb der Familie unter Strafe gestellt werden.

Das gesellschaftliche Klima gegenüber Geschiedenen ist nicht nicht offen repressiv. Üblicherweise werden geschiedene Frauen in die eigene Familie reintegriert. Sie müssen jedoch damit rechnen, schlechter bezahlte Arbeitsstellen annehmen zu müssen oder als Zweit- oder Drittfrau in Mehrehen erneut verheiratet zu werden.

NROs berichten über Zwangsprostitution irakischer Mädchen und Frauen im Land und in der Nahost- und Golfregion. Im Zuge des IS-Vormarschs auf Sindschar sollen über 5.000 jesidische Frauen und Mädchen verschleppt worden sein, von denen Hunderte später als Trophäen an IS-Kämpfer gegeben oder nach Syrien verkauft wurden.

Viele Frauen und Mädchen sind auch durch Flucht und Verfolgung besonders gefährdet. Es gibt vermehrt Berichte, dass minderjährige Frauen in Flüchtlingslagern zur Heirat gezwungen werden. Dies geschieht entweder, um ihnen ein vermeintlich besseres Leben zu ermöglichen oder um ihre Familien finanziell zu unterstützen. Häufig werden die Ehen nach kurzer Zeit wieder annulliert, mit verheerenden Folgen für die betroffenen Frauen.

Repressionen durch nicht-staatliche Akteure: Neben die staatliche tritt die Repression durch nicht-staatliche Akteure, vor denen Regierung und Staat die Bürger nicht schützen können. Bereits seit 2013 hat das Erstarken der Terrorgruppe IS zur verstärkten Repression gegen die Zivilbevölkerung insbesondere in Ninawa geführt. Mit Ausbruch der Kämpfe in weiten Teilen Iraks seit Juni 2014 wurden auch schiitische Milizen mobilisiert, die Racheakte, einschließlich Vertreibungsaktionen, gegen sunnitische Iraker begehen. Minderheiten geraten oft zwischen die Fronten. Im Zuge der Rückeroberung von Gebieten, die der IS im Jahr 2014 erobert hatte, kommt es auch zu Repressionen durch kurdische Peschmerga, schiitische und auch sunnitische Milizen (sowie, in geringerem Maße, weiterer Milizen der verschiedenen konfessionellen Minderheiten) besonders gegen Angehörige (anderer) sunnitischer Stämme, die der Kollaboration mit dem IS bezichtigt werden. Durch die staatliche Akzeptanz, tlw. Führung und Bezahlung der Milizen verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren. In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen.

1.2.3. Militante Opposition, Milizen, Terrorgruppen:

Sicherheitslage: Teile der nordwestlichen Provinzen sind nicht oder nur teilweise unter der Kontrolle der Zentralregierung. Seit Juni 2014 wird IS von verschiedenen irakischen wie internationalen Akteuren bekämpft, was bewaffnete Auseinandersetzungen in den Provinzen Anbar, Babil, Bagdad, Diyala, Ninawa, Salah al-Din und Kirkuk sowie auch an den Rändern der Region Kurdistan-Irak zur Folge hat. Die territoriale Zurückdrängung des IS im Laufe des Jahres 2016 hat die Zahl der terroristischen Anschläge in den genannten Provinzen nicht wesentlich verringert, in manchen Fällen sogar eine asymmetrische Kriegführung des IS mit verstärkten terroristischen Aktivitäten provoziert.

Nach der Rückeroberung Mossuls Ende Juni 2017 erklärte der irakische Premierminister Haider al-Abadi am 31. August 2017 mit Tal-Afar eine weitere Stadt als vom "Islamischen Staat" (IS) befreit (Al-Jazeera 31.8.2017).

Den "Staat", der die irakisch-syrische Grenze zum Teil aufgehoben hatte, gibt es nicht mehr. Die IS-Kontrollgebiete in Irak und in Syrien hängen nicht mehr zusammen. Die Hoffnung, dass der IS völlig zusammenbrechen würde, wenn er Mossul, die Hauptstadt seines "Kalifats", verliert, hat sich jedoch nicht erfüllt (Harrer 20.8.2017).

Besonders gefährdete gesellschaftliche Gruppen: Polizisten, Soldaten, Journalisten, Menschenrechtsverteidiger, Intellektuelle, Richter und Rechtsanwälte, alle Mitglieder des Sicherheitsapparats sind besonders gefährdet. Auch Mitarbeiter der Ministerien sowie Mitglieder von Provinzregierungen werden regelmäßig Opfer von gezielten Attentaten.

Inhaber von Geschäften, in denen Alkohol verkauft wird (fast ausschließlich Angehörige von (Minderheiten, vor allem Jesiden und Christen), Zivilisten, die für internationale Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen oder ausländische Unternehmen arbeiten sowie medizinisches Personal werden ebenfalls immer wieder Ziel von Entführungen oder Anschlägen.

Eine Vielzahl von ehemaligen Mitgliedern der seit 2003 verbotenen Baath-Partei Saddam Husseins ist, soweit nicht ins Ausland geflüchtet, häufig auf Grund der Anschuldigung terroristischer Aktivitäten in Haft. Laut der VN-Mission haben viele von ihnen weder Zugang zu Anwälten noch Kontakt zu ihren Familien. Mit Verabschiedung des Gesetzes zur Generalamnestie am 25. August 2016 durch das irakische Parlament besteht jedoch Aussicht auf eine Verbesserung der Situation. Vereinzelte Fälle von Entlassungen wurden bereits bekannt.

1.2.4. Diskriminierung ethnisch-religiöser Minderheiten:

Sunniten: Die arabisch-sunnitische Minderheit, die über Jahrhunderte die Führungsschicht des Landes bildete, wurde nach Entmachtung Saddam Husseins 2003 insbesondere in der Regierungszeit von Ex-Ministerpräsident Al-Maliki (2006 bis 2014) aus öffentlichen Positionen gedrängt. Mangels anerkannter Führungspersönlichkeiten fällt es ihr weiterhin schwer, ihren Einfluss auf nationaler Ebene geltend zu machen. Die Sunniten leben mehrheitlich in den am stärksten umkämpften Gebieten der Provinzen Anbar und Ninawa. Einige bekennen sich nicht mehr zu ihrer Konfession und versuchen dadurch, Benachteiligungen zu umgehen.

Kurden: Von ethnisch-konfessionellen Auseinandersetzungen sind auch Kurden betroffen, soweit sie außerhalb der Region Kurdistan-Irak leben. Im Konflikt um die Zukunft von Kirkuk, aber auch in Mosul kommt es immer wieder zu Übergriffen und Anschlägen auf Kurden. Aus Gebieten, die durch kurdische Peschmerga vom IS zurückerobert wurden, wird teilweise berichtet, dass den vertriebenen sunnitischen und auch schiitischen arabischen Bewohnern eine Rückkehr nicht gestattet wird und Häuser von vermeintlichen IS-Kollaborateuren zerstört werden. Nach der Befreiung von Ortschaften aus den Händen der Terrormiliz IS kommt es teilweise im Nachgang zu Machtkämpfen um die Vorherrschaft im jeweiligen Gebiet; so wurde Sommer/Herbst 2016 über Zusammenstöße zwischen kurdischen Peschmerga und schiitischen Milizen in der Stadt Tuz Khurmatu berichtet.

Christen: Schätzungen gehen davon aus, dass heute noch etwa 200.000 -bis 400.000 Christen in Irak leben (zum Vergleich 2003: 1,5 Mio.). Die Situation der Christen (v. a. assyrische sowie mit Rom unierte chaldäische Christen) hat sich kirchlichen Quellen zufolge seit Ende der Diktatur 2003 stark verschlechtert. Viele Christen sehen für sich keine Zukunft in Irak. In den vergangenen Jahren sind daher hunderttausende irakische Christen ins Ausland geflohen. Es kommt immer wieder zu Angriffen auf Priester, Bombenanschläge auf Kirchen und christliche Einrichtungen sowie Übergriffe auf von Christen geführte Lebensmittelhandlungen, in denen ggf. auch alkoholhaltige Getränke angeboten werden. Nach dem Vormarsch des IS auf Mosul und das umliegende christliche Kernland ergriffen im Sommer 2014 zehntausende Christen die Flucht in die Region Kurdistan-Irak und vereinzelt auch nach Bagdad. Viele warten dort darauf, dass die teilweise mittlerweile befreiten christlichen Städte um Mosul, wie Qaraqosch sicher genug für eine Rückkehr sind.

In der Region Kurdistan-Irak wie in angrenzenden Gebieten, die von der kurdischen Regionalregierung kontrolliert werden, haben seit 2003 viele christliche Flüchtlinge aus anderen Landesteilen Zuflucht gefunden. Sie leben derzeit unter schwierigen materiellen und sozialen Bedingungen als Binnenvertriebe zumeist in der kurdischen Provinz Dohuk. Es gibt dort keine Anzeichen für staatliche Diskriminierung. Die kurdische Regionalregierung fördert den Kirchenbau wie auch die Kirche als Institution mit staatlichen Ressourcen. Die umfangreichen Enteignungen von christlichem Besitz unter dem alten Regime sind jedoch nicht rückgängig gemacht worden.

Turkmenen: Die meisten der ca. 400.000 irakischen Turkmenen leben im Raum Kirkuk und im westlich von Mosul gelegenen Gebiet um Tal Afar. Im Distrikt Amerli in Salah al-Din wurden im August 2014 bis zu 20.000 schiitische Turkmenen von IS-Kräften eingeschlossen und belagert. Erst durch einen gemeinsamen Angriff von kurdischen Peschmerga, irakischen Sicherheitskräften und Milizen sowie durch amerikanische Luftunterstützung konnten sie befreit werden. Ende 2016 flüchteten tausende Turkmenen aus Tal Afar vor den Kampfhandlungen zur Rückeroberung der Stadt vom IS. Die Stadt Tal Afar wird von schiitischen und sunnitischen Turkmenen bewohnt. Ministerpräsident Abadi hat den schiitisch dominierten Kräften der Volksmobilisierung die Zusage abgerungen, nicht nach Tal Afar vorzustoßen, da sonst Racheakte der schiitischen Kräfte an den pauschal als

IS-Kollaborateure abgestempelten sunnitischen Turkmenen zu befürchten wären.

Jesiden: Die Zahl der monotheistisch-synkretistischen Jesiden in Irak liegt nach eigenen Angaben bei etwa 450.000 bis 500.000. Die Mehrzahl siedelte im Norden Iraks, v. a. im Gebiet um die Städte Sindschar (zwischen Tigris und syrischer Grenze), Schekhan (Provinz Ninawa) und in der Provinz Dohuk. Für die Extremisten des IS sind Jesiden "Ungläubige" (sog. "Teufelsanbeter"), die mit dem Tod bestraft werden können. Die schwersten Menschenrechtsverletzungen an ihnen wurden bereits beschrieben. Viele Jesiden leben derzeit in Flüchtlingslagern, besonders in der Region Kurdistan-Irak, ein großer Teil trägt sich mit Auswanderungsplänen. Außerdem gibt es in der Stadt Dohuk, nahe des jesidischen Heiligtums Lalesh, sehr viele Jesiden, die dort weitgehend ohne Unterdrückung oder Verfolgung leben. Eine Rückkehr nach Sindschar war bis Ende 2016 kaum möglich, da sich nach der Befreiung aus den Händen des IS im Stadtgebiet verschiedene Milizen bekämpfen.

Mandäer: Von den vor allem im Südirak lebenden Mandäern/Sabäern befinden sich von ehemals ca. 60.000 nur noch höchstens 5.000 Personen in Irak. Die Mandäer werden von radikalislamistischen Kreisen als "Ungläubige" angesehen, gegen die Gewalt und Entführung - teilweise mit dem Ziel der Zwangsbekehrung - als legitim angesehen werden. Da sie traditionell oft als Goldschmiede arbeiten, sind sie häufig Opfer finanziell motivierter Entführungen mit z. T. tödlichem Ausgang.

Schabak: Die Schabak sind eine heterodoxe Glaubensgemeinschaft, die im 15. Jahrhundert aus dem heutigen Aserbaidschan in den Nordirak einwanderte und heute ca. 100.000 Personen umfasst. Sie siedeln in Mosul und in Dörfern in der Ninawa-Ebene östlich der Stadt und sehen sich selbst teilweise als Schiiten an. Sie verfügen über eine eigene Sprache. Auch die Schabak wurden wiederholt Opfer von gezielten Angriffen, bisher aber nur außerhalb der Region Kurdistan-Irak.

1.2.5. Ausweichmöglichkeiten:

Innerirakische Migration in die Region Kurdistan-Irak ist grundsätzlich möglich. Durch ein Registrierungsverfahren wird der Zuzug kontrolliert. Wer dauerhaft bleiben möchte, muss zur Asayisch-Behörde des jeweiligen Bezirks gehen und sich anmelden. Informationen über die Anzahl der Anträge und Ablehnungen werden nicht veröffentlicht. Durch den Zustrom von Binnenvertriebenen ist die Region Kurdistan-Irak an der Grenze ihrer Aufnahmefähigkeit angelangt. Mehr als 900.000 Binnenflüchtlinge sind allein seit Anfang 2014 nach Kurdistan-Irak geflohen. Hinzu kommen mehr als 250.000 syrische Flüchtlinge. 2015 und 2016 sind weitere Flüchtlingslager entstanden. Auch wegen der eigenen Finanzkrise sieht sich die kurdische Regionalregierung nicht mehr in der Lage, weiter Flüchtlinge aufzunehmen.

Auch die Hauptstadt Bagdad (ca. 570.000) und in geringerem Maße der schiitisch geprägte Südirak (ca. 200.000) haben zahlreiche Binnenvertriebene aus umkämpften Gebieten aufgenommen. Aus Furcht vor der Infiltration von Terroristen sind die Grenzen von Bagdad, Kerbela und Babel für weitere Vertriebene fast vollständig geschlossen. Rückkehrer aus dem Ausland, die derzeit nicht in ihre noch vom IS kontrollierte Heimat zurückkehren können, haben daher kaum eine Möglichkeit, einen sicheren Aufnahmeplatz in Irak zu finden. Ausnahmen stellen ggf. Familienangehörige in nicht umkämpften Landesteilen dar.

1.2.6. Menschenrechtslage:

Es kommt weiterhin zu Menschenrechtsverletzungen durch Polizei und andere Sicherheitskräfte. Der in der Verfassung festgeschriebene Aufbau von Menschenrechtsinstitutionen kommt nur schleppend voran. Die unabhängige Menschenrechtskommission konnte sich bisher nicht als geschlossener und durchsetzungsstarker Akteur etablieren.

Schutz der Menschenrechte in der Verfassung: In der Verfassung vom 15.10.2005 sind wichtige demokratische Grundrechte wie Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit, Religionsfreiheit, Schutz von Minderheiten und Gleichberechtigung verankert. Der Menschenrechtskatalog umfasst auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte wie das Recht auf Arbeit und das Recht auf Bildung.

Irak hat alle wichtigen internationalen Abkommen zum Schutz der Menschenrechte, insbesondere den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte und den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, ratifiziert (25.01.1971). Es bestehen allerdings noch Vorbehalte gegen einzelne Bestimmungen, u. a. auch sogenannte Scharia-Vorbehalte.

Dem Statut des Internationalen Strafgerichtshofs ist Irak nicht beigetreten. Der Ministerrat hat bereits im Dezember 2011 einen Nationalen Aktionsplan zum Schutz der Menschenrechte beschlossen, der 135 Empfehlungen des Menschenrechtsrats in einem Reformpaket aufgreifen soll.

Die bereits in der irakischen Verfassung (Art. 102) vorgesehene Einrichtung einer unabhängigen MR-Kommission erfolgte im April 2012 mit der Berufung der 11 Kommissionsmitglieder durch das irakische Parlament. Der Kommission fehlt es jedoch an einem administrativen Unterbau.

Folter: Folter und unmenschliche Behandlung werden von der irakischen Verfassung in

Art. 37 ausdrücklich verboten. Im Juli 2011 hat die irakische Regierung die VN-Anti-Folter-Konvention (CAT) unterzeichnet. Folter wird jedoch auch in der jüngsten Zeit von staatlichen Akteuren eingesetzt. Es kommt immer wieder zu systematischer Anwendung von Folter bei Befragungen durch irakische (einschließlich kurdische) Polizei- und andere Sicherheitskräfte. Laut Informationen von UNAMI sollen u. a. Bedrohung mit dem Tod, Fixierung mit Handschellen in schmerzhaften Positionen und Elektroschocks an allen Körperteilen zu den Praktiken gehören. Das im August 2015 abgeschaffte Menschenrechtsministerium hat nach eigenen Angaben 500 Fälle unerlaubter Gewaltanwendung an die Justiz überwiesen, allerdings wurden die Täter nicht zur Rechenschaft gezogen.

Nach glaubwürdigen Berichten von Human Rights Watch kommt es in Gefängnissen der Asayisch in der Region Kurdistan-Irak zur Anwendung von Folterpraktiken gegen Terrorverdächtige, z. B. durch Schläge mit Kabeln, Wasserschläuchen, Holzstöcken und Metallstangen, durch das Halten von Gefangenen in Stresspositionen über längere Zeiträume, tagelanges Fesseln und Verbinden der Augen sowie ausgedehnte Einzelhaft. Die Haftbedingungen sind insgesamt sehr schlecht. Allerdings sind Bemühungen der kurdischen Regionalregierung erkennbar, die Haftbedingungen zu verbessern, systematische Folter abzustellen und internationale Standards einzuhalten. Das IKRK hat Zugang zu den Gefängnissen in der Region Kurdistan-Irak.

Todesstrafe: Im irakischen Strafrecht ist die Todesstrafe vorgesehen, sie wird auch verhängt und vollstreckt. Irak ist eines der Länder mit der höchsten Zahl von verhängten Todesstrafen. Sie wurde von der ehemaligen US-Besatzungsbehörde kurzzeitig suspendiert, von der irakischen Interimsregierung am 8. August 2004 unter Verweis auf die Ausnahmesituation in Irak aber wiedereingeführt.

Derweil werden vor allem gegen IS-Kämpfer, die in fragwürdigen Prozessen überführt wurden, zunehmend Todesurteile verhängt und vollstreckt (2015: mind. 26 Hinrichtungen; 2016: bisher mind. 71 Hinrichtungen und über 123 neue Todesurteile). Am 21.08.2016 veröffentlichte so etwa das Justizministerium eine Erklärung über die Vollstreckung der Todesstrafe an 36 Verurteilten, denen Beteiligung an der Ermordung von 1.700 Rekruten im Militärlager Speicher bei Tikrit im Juni 2014 vorgeworfen worden war. Laut Angaben von Amnesty International dauerten die Verfahren lediglich wenige Stunden, wobei die Aussagen unter Folter erzwungen wurden.

Problematisch sind zudem die Bandbreite und die mitunter fehlende rechtliche Klarheit der Straftatbestände, für die die Todesstrafe verhängt werden kann: neben Mord und Totschlag u.a. auch wegen des Verdachts auf staatsfeindliche Aktivitäten, Vergewaltigung, Einsatz von chemischen Waffen und insbesondere wegen terroristischer Aktivitäten unterschiedlicher Art.

Die Todesstrafe stößt in der Bevölkerung auf breite Akzeptanz. In der Region Kurdistan-Irak wurde nach dem Fall des Regimes Saddam Hussein die Todesstrafe abgeschafft, später aber zur Bekämpfung des Terrorismus wiedereingeführt. Am 12. August 2015 wurden erstmals seit 2008 wieder drei Menschen hingerichtet.

Sonstige menschenrechtswidrige Handlungen: Das seit 2004 geltende Notstandsgesetz ermöglicht der Regierung Festnahmen und Durchsuchungen unter erleichterten Bedingungen. Eine festgenommene Person muss zwar innerhalb von 24 Stunden einem Richter vorgeführt werden, doch diese Frist wird nicht immer eingehalten. Sie wird teilweise bis auf über 30 Tage ausgedehnt. Es gibt häufig Fälle überlanger Untersuchungshaft, ohne dass die Betroffenen, wie vom irakischen Gesetz vorgesehen, einem Richter oder Staatsanwalt vorgeführt würden.

Die Haftbedingungen entsprechen nicht dem Mindeststandard, wobei die Situation in den Haftanstalten erheblich variiert. Das auf Völkerrecht basierende Mandat der VN-Mission UNAMI, irakische Haftanstalten zu besuchen, konnte nicht umfassend wahrgenommen werden, da irakische Behörden UNAMI den Zugang zu verschiedenen Haftanstalten in mehreren Fällen verwehrten. Das IKRK hat hingegen regelmäßigen und flächendeckenden Zugang. In den Haftanstalten der Region Kurdistan-Irak herrschen nach Informationen von UNAMI etwas bessere Bedingungen, insbesondere in der neugebauten Modellanstalt Dohuk.

1.2.7. Rückkehrfragen:

Europa - neben Schweden vor allem Deutschland - gilt als derzeit besonders erstrebenswerte Zielregion, wobei über die Lebensbedingungen in Europa idealisierte Vorstellungen verbreitet sind. Der Flüchtlingsstrom aus Irak in die Nachbarländer ist dagegen zurückgegangen. Hauptaufnahmeländer waren Syrien (nach früheren Schätzung der syrischen Regierung phasenweise ca. 1 bis 1,5 Mio.; belastbare Zahlen über evtl. Anschlussflucht aufgrund der Situation in Syrien liegen nicht vor) und Jordanien (bis zu 450.000) sowie in geringerem Umfang Iran, Ägypten, Libanon und die arabischen Golfstaaten.

Situation für Rückkehrerinnen und Rückkehrer: Derzeit stellt sich für Irak prioritär die Frage nach der Rückkehr der 3,11 Mio. Binnenflüchtlinge. Nach und nach kehrt ein Teil von ihnen, bis Dezember 2016 ca. 1,27 Mio., in befreite Gebiete zurück, viele werden jedoch davon abgeschreckt, dass schiitische Milizen sunnitische Rückkehrer, aber teilweise auch sunnitische Milizen Rückkehrer anderer sunnitischer Stämme an der Rückkehr hindern.

Auf niedrigem Niveau ist eine freiwillige Rückkehrbewegung irakischer Flüchtlinge aus anderen Staaten zu beobachten. In der Region Kurdistan-Irak gibt es mehr junge Menschen, die sich nach ihrer Rückkehr organisieren. Ob sich diese Tendenzen verstetigen, wird aber ganz wesentlich davon abhängen, ob sich die wirtschaftliche Lage in der Region Kurdistan-Irak kurz- und mittelfristig verbessern wird.

Grundversorgung: Der Staat kann die Grundversorgung der Bürger nicht kontinuierlich und in allen Landesteilen gewährleisten. Irak besitzt kaum eigene Industrie. Hauptarbeitgeber ist der Staat. Über 4 Mio. der 36 Mio. Iraker erhalten reguläre Gehälter von der Regierung, die 2015 und 2016 aufgrund der schlechten Haushaltslage teilweise erst mit mehrmonatiger Verspätung gezahlt wurden. Etwa ein Zehntel der Bevölkerung ist in der Landwirtschaft tätig. Rund 90% der Staatseinnahmen stammen aus dem Ölsektor. Die über Jahrzehnte internationaler Isolation und Krieg vernachlässigte Infrastruktur ist sanierungsbedürftig. Trotz internationaler Hilfsgelder bleibt die Versorgungslage für ärmere Bevölkerungsschichten zumindest außerhalb der Region Kurdistan-Irak schwierig. Nach Angaben des VN-Programms "Habitat" gleichen die Lebensbedingungen von 57% der städtischen Bevölkerung in Irak denen von Slums. Es gibt Lebensmittelgutscheine für Bedürftige. Die VN-Mission ermittelte schon im Juni 2013, dass vier Millionen Iraker unterernährt sind. Etwa ein Drittel der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze

(2 USD/Tag). In den vom IS befreiten Gebieten muss eine Grundversorgung nach Räumung der Kampfmittel erst wiederhergestellt werden. Einige Städte sind weitgehend zerstört.

Die Stromversorgung ist im Vergleich zu der Zeit vor 2003 schlecht. Selbst in Bagdad ist die öffentliche Stromversorgung häufig unterbrochen. Dann wird Strom aus privaten Generatoren erzeugt. Von Ende Juli 2015, als die Stromausfälle einen neuen Höhepunkt erreichten, bis August 2016 haben zeitweise jeden Freitag Tausende von Bürgern in der Hauptstadt und anderen großen Städten des Landes gegen das Versagen des Staates demonstriert. Seither hat sich die Zahl der Demonstranten reduziert. Die Versorgung mit Mineralöl bleibt unzureichend und belastet die Haushalte wegen der hohen Kraftstoffpreise unverhältnismäßig. In der Region Kurdistan-Irak erfolgt die Stromversorgung durch Betrieb eigener Kraftwerke, unterliegt jedoch wie in den anderen Regionen Iraks erheblichen Schwankungen und erreicht deutlich weniger als 20 Stunden pro Tag. Kraftwerke leiden unterunter Mangel an Brennstoff und es gibt erhebliche Leitungsverluste.

Die Wasserversorgung wird von der schlechten Stromversorgung in Mitleidenschaft gezogen. Es fehlt weiterhin an Chemikalien zur Wasseraufbereitung. Die völlig maroden und teilweise im Krieg zerstörten Leitungen führen zu hohen Transportverlusten und Seuchengefahr. Im gesamten Land verfügt heute nur etwa die Hälfte der Bevölkerung über Zugang zu sauberem Wasser.

Medizinische Versorgung: Die medizinische Versorgungssituation bleibt angespannt: In Bagdad arbeiten viele Krankenhäuser nur mit deutlich eingeschränkter Kapazität. Die Ärzte und das Krankenhauspersonal gelten generell als qualifiziert, viele haben aber aus Angst vor Entführungen oder Repressionen das Land verlassen. Korruption ist verbreitet. Die für die Grundversorgung der Bevölkerung besonders wichtigen örtlichen Gesundheitszentren (ca. 2.000 im gesamten Land) sind entweder geschlossen oder wegen baulicher, personeller und Ausrüstungsmängel nicht in der Lage, die medizinische Grundversorgung sicherzustellen. Die große Zahl von Flüchtlingen und IDPs belastet das Gesundheitssystem zusätzlich. Hinzu kommt, dass durch die Kampfhandlungen nicht nur eine Grundversorgung sichergestellt werden muss, sondern auch schwierige Schusswunden und Kriegsverletzungen behandelt werden müssen.

Behandlung zurückgeführter Iraker: Die Sicherheit von Rückkehrern ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig - u. a. von ihrer ethnischen und religiösen Zugehörigkeit, ihrer politischen Orientierung und den Verhältnissen vor Ort. Darauf stellen auch die "Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs von Asylsuchenden aus Irak" des UNHCR vom Mai 2012 ab. Während Rückführungen in die Region Kurdistan-Irak auch von Deutschland aus regelmäßig stattfinden, werden Abschiebungen nach Zentralirak aus Deutschland gar nicht und von anderen Staaten sehr verhalten durchgeführt. Schweden, Großbritannien und Australien führen vereinzelt Abschiebungen durch und planen dies auch für die Zukunft. Im September 2016 begann ein informeller Migrationsdialog zwischen EU-Mitgliedstaaten und dem irakischen Innenministerium, der auch das Thema Rückführungen umfassen soll.

Einreisekontrollen: Irakische Reisepässe, die nach dem 17.06.1999 abgelaufen sind, bleiben zur Rückkehr nach Irak gültig. Die Regierung erkennt die vom alten Regime für ungültig erklärten Pässe der Serie H im Rahmen ihrer Gültigkeitsdaten an. Pässe der Serie M werden seit 01.01.2007 nicht mehr anerkannt, Pässe der Serie N sind seit 01.01.2008 nicht mehr gültig. Es sind vereinzelt noch Pässe der Serie S im Umlauf, die mittlerweile von den EU-Staaten, Jordanien und den USA nicht mehr anerkannt werden. Von 2006 bis 2009 gab die Regierung Pässe der Serie G aus, seit dem 01.10.2010 werden nur noch Pässe der Serie A ausgestellt. Die Pässe der alten Serie G behalten ihre Gültigkeit. Irakische Blanko-Pässe der Serie A 4091901 -bis A 4150000 sind nicht mehr gültig; diese stammten aus der Provinz Anbar.

Die neuen irakischen Pässe enthalten einen maschinenlesbaren Abschnitt sowie einen 3DBarcode und gelten als fälschungssicherer im Vergleich zu den Vorgängermodellen, v. a. können diese nur noch persönlich und nicht mehr durch Dritte beantragt werden. Die irakischen Botschaften haben erst vereinzelt begonnen, Pässe auszustellen.

An den Grenzen zu den Nachbarstaaten haben sich in den letzten Monaten immer wieder Änderungen der Ein- und Ausreisemöglichkeiten, Kontrollen, Anerkennung von Dokumenten etc. ergeben. Nach wie vor muss mit solchen Änderungen - auch kurzfristig - gerechnet werden.

Die Türkei erkennt grundsätzlich jedes Dokument, das zur Einreise in die Türkei berechtigt, auch für den Transit nach Irak an. Voraussetzung dafür ist aber ein gültiges Transitvisum, auch für Passersatzdokumente. Die türkische Regierung steht organisierten Rückführungsaktionen von irakischen Staatsangehörigen nach Irak via Türkei ablehnend gegenüber. Personen, die aus EU-Mitgliedstaaten in die Türkei eingereist sind und in ihren Reisedokumenten, z. B. in Flüchtlingsausweisen, Vermerke wie "nicht gültig für Irak" tragen, wird die Ausreise aus der Türkei Richtung Irak nicht gestattet. Im Übrigen ist die Einreise nach Irak aus der Türkei (Grenze zur Region Kurdistan-Irak bei Zakho) grundsätzlich mit allen gültigen Reisedokumenten möglich, sofern an das kurdische Grenzpersonal eine ‚‚Verwaltungsgebühr'' (ca. 50 USD) bezahlt wird. Es gibt Berichte, dass der Grenzübertritt an der türkisch-irakischen Grenze bei Ibrahim Khalil insbesondere auf irakischer Seite bisweilen willkürlich gehandhabt wird.

Abschiebewege: Es gibt inzwischen regelmäßige Linienflüge wichtiger Luftfahrtgesellschaften, u. a. aus Europa und Staaten des Nahen Ostens, nach Bagdad (Royal Jordanian, Middle East Airlines, Turkish Airlines) sowie nach Erbil (Lufthansa, Austrian Airlines, Turkish Airlines, Germania, Royal Jordanian, Middle East Airlines) und Sulaymaniya (Turkish Airlines, Germania).

Mitunter kehren Iraker mit Hilfe der Internationalen Organisation für Migration (IOM) aus Deutschland über Amman freiwillig nach Irak zurück. Dies wird nach Angaben der IOM von der jordanischen Regierung unterstützt. Zudem werden in geringem Umfang straffällig gewordene Iraker, die aus den kurdischen Gebieten stammen und dort noch Familie haben, aus Deutschland dorthin zurückgeführt.

Die Rückkehr über Syrien ist wegen des dortigen Bürgerkriegs nicht zumutbar.

Über Kuwait sind irakische Staatsangehörige nur in sehr geringer Zahl nach Irak eingereist. Dabei nutzen sie in der Regel den Landweg über den Grenzposten zwischen Kuwait und Irak Richtung Basra. Sie müssen hierbei ein militärisches Sperrgebiet durchfahren; dazu ist eine Sondergenehmigung der kuwaitischen Regierung erforderlich. Die Grenze zwischen Irak und Kuwait ist ansonsten vollständig abgeriegelt. Kuwait schließt weiterhin aus, bei möglichen Rückführungen aus Deutschland behilflich zu sein. Die Rückkehr für Iraker aus westlichen Ländern über Saudi-Arabien ist derzeit ausgeschlossen. Die Grenze zwischen Saudi-Arabien und Irak ist geschlossen (z. B. nur der Grenzübergang Arar wird einmal jährlich ausschließlich für Mekka-Pilger nach Mekka geöffnet). Saudi-Arabien hat 2015 den Bau eines Grenzzauns entlang der gesamten Grenze abgeschlossen.

1.2.8. Echtheit der Dokumente / Zugang zu gefälschten Dokumenten:

Jedes Dokument, ob als Totalfälschung oder als echte Urkunde mit unrichtigem Inhalt, ist gegen Bezahlung zu beschaffen. Zur Jahresmitte 2014 tauchten vermehrt gefälschte Visaetiketten auf, die der Deutschen Botschaft Bagdad durch das irakische Außenministerium per Verbalnote zwecks Überprüfung zugesandt wurden. Auch gefälschte Beglaubigungsstempel des irakischen Außenministeriums sind im Umlauf; zudem kann nicht von einer verlässlichen Vorbeglaubigungskette ausgegangen werden.

Quellen:

-

Deutsches auswärtiges Amt - Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak vom 07.02.2017 und 12.02.2018

-

Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA - Irak, Stand 24.08.2017

2. Beweiswürdigung:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

* Einsicht in den Verwaltungsakt des BFA;

* Mündliche Verhandlung am 01.03.2016;

* Einsicht in die vom Bundesverwaltungsgericht in das Verfahren eingebrachten Erkenntnisquellen betreffend die allgemeine Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin;

* Einsicht in die von der Beschwerdeführerin vorgelegten Unterlagen.

XXXX 2.1. Zum Verfahrensgang:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahren

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten