Entscheidungsdatum
03.12.2018Norm
AVG §37Spruch
L524 2210186-1/3E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Veronika SANGLHUBER LL.B. über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, vertreten durch RA Dr. Bernhard KETTL, Nonntaler Hauptstraße 1, 5020 Salzburg, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.10.2018, Zl. 549210509/180666836, beschlossen:
A) In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid
behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang:
1. Dem Beschwerdeführer, einem türkischen Staatsangehörigen, wurde mit Schreiben des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) vom 16.07.2018 mitgeteilt, dass er bereits die zehnte gerichtliche Verurteilung aufweise und zuletzt am 28.12.2017 ermahnt worden sei, dass bei einer weiteren Verurteilung ein Aufenthaltsverbot gegen ihn werde. Da er nach wenigen Wochen wieder straffällig geworden sei, stehe durch dieses Verhalten für das BFA fest, dass ein weiterer Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährde bzw. anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderlaufe. Das BFA beabsichtige, ein Aufenthaltsverbot gegen ihn zu erlassen und ihn in sein Heimatland abzuschieben. Dem Beschwerdeführer wurde die Möglichkeit eingeräumt, dazu binnen zwei Wochen eine Stellungnahme abzugeben. Der Beschwerdeführer wurde auch aufgefordert, konkrete Fragen zu beantworten.
Dieses Schreiben wurde nicht dem Beschwerdeführer persönlich zugestellt, sondern von seiner Ehegattin übernommen.
Eine Stellungnahme des Beschwerdeführers langte nicht ein.
2. Am 23.10.2018 wurde die Ehefrau des Beschwerdeführers vom BFA niederschriftlich als Zeugin einvernommen.
3. Mit Bescheid des BFA vom 23.10.2018, Zl. 549210509/180666836, wurde gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG gegen den Beschwerdeführer ein für die Dauer von fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 70 Abs. 3 FPG wurde kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.). Einer Beschwerde gegen dieses Aufenthaltsverbot wurde gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.).
In der Begründung werden im Wesentlichen die strafrechtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers aufgelistet. Wegen Körperverletzung lägen sieben rechtskräftige Verurteilungen vor, drei wegen Nötigung und zwei wegen gefährlicher Drohung. Wegen Beschädigung und Diebstahls sei der Beschwerdeführer ebenfalls mehrfach verurteilt worden. Durch ein ihm persönlich vorwerfbares strafbares Verhalten habe der Beschwerdeführer gezeigt, dass er gewillt sei bzw. zumindest in Kauf nehme, durch sein Verhalten eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darzustellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Durch sein Verhalten habe er gezeigt, dass er kein Interesse daran habe, die Gesetze Österreichs zu respektieren. Sein bisheriger Aufenthalt in Österreich beeinträchtige ein Grundinteresse der Gesellschaft, nämlich jenes an Ruhe, Sicherheit für die Person und ihr Eigentum und an sozialem Frieden. Da der Beschwerdeführer seinen Aufenthalt seit mehr als zehn Jahren im Bundesgebiet gehabt habe, sei im Sinne des § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG die Erlassung des Aufenthaltsverbots nur dann zulässig, wenn auf Grund seines persönlichen Verhaltens davon ausgegangen werden könne, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch einen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Auf Grund des oben "ausführlichst" beschriebenen Gesamtfehlverhaltens über mehr als 13 Jahre gebe es keinen Zweifel, dass der Verbleib im Bundesgebiet mit einer massiven Gefahr für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung verbunden wäre. Die Nichtgewährung des Durchsetzungsaufschubs wurde damit begründet, dass "wie oben ausführlich begründet" der weitere Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle.
4. Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerechte Beschwerde.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.
Zu A)
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist (§ 28 Abs. 3 dritter Satz VwGVG).
Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes stellt die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG 2014 bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. VwGH 10.09.2014, Ra 2104/08/0005; 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).
Aus folgenden Gründen muss angenommen werden, dass der entscheidungswesentliche Sachverhalt nicht ausreichend ermittelt wurde:
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs. 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" des Fremden abzustellen ist und strafrechtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (vgl. etwa VwGH 16.10.2014, Ra 2014/21/0039, Punkt 2.1. der Entscheidungsgründe, mwN, und daran anschließend die Erkenntnisse VwGH 22.01.2015, Ra 2014/21/0052, Punkt 2. der Entscheidungsgründe, und VwGH 19.05.2015, Ra 2014/21/0057).
Das BFA stellte die dem Beschwerdeführer zur Last liegenden und den Grund für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes bildenden Straftaten im angefochtenen Bescheid nur dahin fest, dass die Urteile, die maßgeblichen Strafbestimmungen und die verhängten Strafen angeführt wurden. Das reicht aber nicht für eine nachvollziehbare Gefährdungsprognose aus (so schon VwGH 26.09.2006, 2004/21/0097, mwN, und darauf Bezug nehmend etwa VwGH 31.03.2008, 2007/21/0533; ebenso die Erkenntnisse des VwGH vom 24.11.2009, 2009/21/0267, und vom 24.03.2015, Ra 2014/21/0049).
Das BFA führt aus, dass der Beschwerdeführer seinen Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet gehabt habe, und daher die Erlassung eines Aufenthaltsverbots nur dann zulässig sei, wenn auf Grund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde (Maßstab des fünften Satzes des § 67 FPG). Eine diesbezügliche Begründung ist dem angefochtenen Bescheid nicht zu entnehmen. Das BFA verweist nämlich nur pauschal auf das Gesamtfehlveralten des Beschwerdeführers, ohne dieses näher zu konkretisieren, begründet aber nicht, inwiefern dadurch die öffentliche Sicherheit nachhaltig und maßgeblich gefährdet ist.
Im vorliegenden Fall wären daher nach der zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes konkrete Feststellungen zu den einzelnen, den Verurteilungen des Beschwerdeführers zu Grunde liegenden Straftaten zu treffen gewesen (vgl. dazu VwGH 15.10.2015, Ra 2015/21/0133). Erst anhand solcher konkreter Feststellungen ist es möglich, eine Gefährdungsprognose vorzunehmen. Dabei ist insbesondere auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten - und nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung - sowie auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Es reicht daher nicht, auf die bloße Anzahl der Verurteilungen hinzuweisen, vielmehr muss ausgeführt werden, inwiefern das BFA daraus eine nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ableitet. Es wäre erforderlich gewesen, den Beschwerdeführer persönlich einzuvernehmen und die Urteile beizuschaffen.
Darüber hinaus hat das BFA hinsichtlich eines Familienlebens des Beschwerdeführers konkrete Feststellungen. Diesbezüglich wird darauf hingewiesen, dass der gesamte Inhalt der Ergebnisse der Beweisaufnahme - dazu gehört auch der Inhalt von Zeugenaussagen - dem Parteiengehör unterliegt (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG, § 45, Rz 28). Dies wurde vom BFA unterlassen.
Unter diesen Gesichtspunkten leidet der angefochtene Bescheid unter erheblichen Ermittlungsmängeln in Bezug auf verschiedene grundlegende Fragen. Damit hat das BFA im Sinne der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bloß ansatzweise ermittelt. Auf Grund der dargestellten Mängel ist es nicht möglich, den maßgeblichen Sachverhalt festzustellen.
Das BFA hat sich daher im fortgesetzten Verfahren mit der Art und Schwere der vom Beschwerdeführer verübten Straftaten auseinanderzusetzen, wozu es erforderlich ist, die Urteile beizuschaffen, auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen, dazu konkrete Feststellungen im Bescheid zu treffen und darauf aufbauend die Gefährdungsprognose nach dem Maßstab des fünften Satzes des § 67 FPG zu erstellen. Es ist in diesem Zusammenhang erforderlich, den Beschwerdeführer persönlich einzuvernehmen. Es wird nochmals darauf hingewiesen, dass strafrechtliche Verurteilungen alleine ein Aufenthaltsverbot nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht rechtfertigen. Zudem ist dem Beschwerdeführer zu den Ergebnissen der Zeugenaussagen die Möglichkeit einzuräumen, Stellung zu nehmen. Darauf aufbauend sind sodann konkrete Feststellungen zum Familienleben des Beschwerdeführers zu treffen und danach eine Interessenabwägung nach § 9 Abs. 1 BFA-VG durchzuführen.
Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen, vor allem, weil das Ermittlungsverfahren nicht erst beim Bundesverwaltungsgericht beginnen und zugleich enden soll.
In der Gesamtschau ist der Aufhebung des angefochtenen Bescheides und der Zurückverweisung an die belangte Behörde zur Erlassung eines neuen Bescheides im Vergleich zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht unter dem Aspekt der Raschheit und der Kostenersparnis der Vorzug zu geben. Das behördliche Verfahren erweist sich aus den dargelegten Gründen insgesamt als so mangelhaft, dass von dem in § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG eingeräumten Ermessen im Sinne einer kassatorischen Entscheidung Gebrauch zu machen war (VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063).
2. Zur Nichtgewährung des Durchsetzungsaufschubs wird der Vollständigkeit halber darauf hingewiesen, dass der angefochtene Bescheid keine Begründung enthält, inwieweit die sofortige Ausreise des Beschwerdeführers nach § 70 Abs. 3 FPG geboten sein soll. In der Begründung wird dazu lediglich ausgeführt:
"Wie oben ausführlich begründet, stellt Ihr weiterer Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar. Die sofortige Umsetzung des Aufenthaltsverbots ist im Interesse der Bevölkerung geboten. Ein amtswegiger Durchsetzungsaufschub konnte Ihnen daher nicht erteilt werden."
Damit wird aber - textbausteinartig - nur auf die Begründung für die Erlassung des Aufenthaltsverbots verwiesen. Diese Überlegungen vermögen aber die Begründung für die Versagung eines Durchsetzungsaufschubes nicht zu ersetzen (vgl. zur zu § 70 Abs. 3 FPG inhaltlich nahezu gleichlautenden Vorgängerbestimmung des § 86 Abs. 3 FPG, VwGH 21.11.2006, 2006/21/0171 unter Hinweis auf VwGH 31.08.2006, 2006/21/0088).
Der Bescheid war daher nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückzuverweisen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Die Aufhebung des angefochtenen Bescheides und die Zurückverweisung an das BFA ergeht in Anlehnung an die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).
Schlagworte
Aufenthaltsverbot, aufschiebende Wirkung - Entfall, Behebung derEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:L524.2210186.1.00Zuletzt aktualisiert am
13.06.2019