Entscheidungsdatum
11.01.2019Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
L521 2147167-1/25E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter MMag. Mathias Kopf, LL.M. über die Beschwerde des XXXX alias XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Irak, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH als Mitglieder der ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, 1170 Wien, Wattgasse 48, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.01.2017, Zl. 1086979009-151335194, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 08.03.2018 zu Recht:
A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer stellte im Gefolge seiner schlepperunterstützten unrechtmäßigen Einreise in das Bundesgebiet am 13.09.2015 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einen Antrag auf internationalen Schutz.
Im Rahmen der niederschriftlichen Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am Tag der Antragstellung gab der Beschwerdeführer an, den im Spruch genannten Namen zu führen und Staatsangehöriger des Irak zu sein. Er sei am XXXX in XXXX geboren und habe dort zuletzt auch gelebt, Angehöriger der arabischen Volksgruppe, Moslem der schiitischen Glaubensrichtung und verheiratet.
Im Hinblick auf seinen Reiseweg brachte der Beschwerdeführer zusammengefasst vor, den Irak am 05.09.2015 legal von XXXX ausgehend im Luftweg in die Türkei verlassen zu haben. Dort habe er einen Schlepper angesprochen und sei sodann mir dessen Unterstützung auf dem Seeweg nach Griechenland gelangt. In der Folge sei er mit der Fähre auf das Festland gefahren und anschließend mit verschiedenen öffentlichen Verkehrsmitteln und teilweise zu Fuß nach Österreich gelangt worden.
Zu den Gründen seiner Ausreise befragt, führte der Beschwerdeführer aus, dass er Religionswissenschaftler sei und aus diesem Grund im Irak keine Freiheit genieße. Im Jahr 2006 sei sein Bruder aus demselben Grund getötet worden.
2. Nach Zulassung des Verfahrens wurde der Beschwerdeführer am 24.02.2016 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich, im Beisein eines geeigneten Dolmetschers in arabischer Sprache niederschriftlich einvernommen.
Eingangs bestätigte der Beschwerdeführer, einvernahmefähig zu sein und die arabische Sprache zu verstehen. Zur Person und seinen Lebensumständen befragt gab der Beschwerdeführer an, er bekenne sich zum Islam der schiitischen Glaubensrichtung, sei verheiratet und habe gemeinsam mit seiner Ehefrau drei Söhne und eine Tochter. Im Irak habe er in XXXX im Stadtviertel XXXX gelebt. Seine Ehefrau, die gemeinsamen Kinder sowie seine Mutter und seine Geschwister - mit Ausnahme einer in XXXX wohnhaften Schwester - würden nach wie vor in XXXX leben. Sein Vater sei bereits verstorben. Im Irak habe er nach dem Schulbesuch und der Absolvierung der Universität zuletzt als Religionslehrer gearbeitet und gelegentlich im Oman und in Malaysia als Gastlehrer gewirkt. Zuletzt habe er nicht mehr unterrichtet, da er seine religiösen Überzeugungen nicht mehr mit dem Koran in Einklang habe bringen können. Derzeit sei er nicht gläubig und praktiziere den Islam nicht.
Den Irak habe er verlassen, da seine Auslegung des Koran von den schiitischen Glaubensschulen im Irak nicht akzeptiert werden. Persönliche Drohungen oder Übergriffe vor der Ausreise habe er nicht erlitten. Sein Bruder sei im Jahr 2007 ermordet worden und ein hoher Geistlicher gewesen.
Nach Details nachgefragt legte der Beschwerdeführer ergänzend dar, er befürchte, aufgrund seiner religiösen Überzeugungen von seiner Familie abgestoßen zu werden. Er erachte sich im Rückkehrfall als gefährdet, da es für Atheisten im Irak gefährlich sei.
3. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.01.2017 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG 2005 erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG 2005 unter einem festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak gemäß § 46 FPG 2005 zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 2005 wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).
Begründend führte das belangte Bundesamt nach der Wiedergabe der Einvernahme des Beschwerdeführers und den Feststellungen zu dessen Person aus, der Beschwerdeführer habe keinen asylrelevanten Sachverhalt glaubhaft machen können und jedwede Schwierigkeiten vor der Ausreise verneint. Konkrete Hinweise auf eine Gefährdung im Fall einer Rückkehr habe das Verfahren nicht ergeben. Der Beschwerdeführer verfüge über familiäre Anknüpfungspunkte im Irak und sei ihm eine Rückkehr zumutbar und möglich.
In rechtlicher Hinsicht folgerte das belangte Bundesamt, der Beschwerdeführer habe keine Verfolgung im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention zu gewärtigen, sodass kein internationaler Schutz zu gewähren sei. Dem Beschwerdeführer sei der Status eines subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen, da er im Irak über genügend Anknüpfungspunkte verfüge und keine reale Gefahr einer Verletzung in elementaren Rechte sowie keine Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts drohe. Dem Beschwerdeführer sei schließlich kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 zu erteilen.
4. Mit Verfahrensanordnungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.01.2017 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt und der Beschwerdeführer ferner gemäß § 52a Abs. 2 BFA-VG darüber informiert, dass er verpflichtet sei, ein Rückkehrberatungsgespräch in Anspruch zu nehmen.
5. Gegen den dem Beschwerdeführer am 01.02.2017 durch Hinterlegung zugestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl richtet sich die im Wege der beigegebenen Rechtsberatungsorganisation fristgerecht eingebrachte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.
In dieser wird inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids sowie Verletzung von Verfahrensvorschriften moniert und beantragt, den angefochtenen Bescheid abzuändern und dem Antrag auf internationalen Schutz Folge zu geben und dem Beschwerdeführer der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen oder im Fall der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen und festzustellen, dass eine Rückkehrentscheidung wider den Beschwerdeführer auf Dauer unzulässig sei. Eventualiter wird ein Aufhebungsantrag gestellt und jedenfalls eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie die Zulassung der ordentlichen Revision begehrt.
In der Sache bringt der Beschwerdeführer nach Wiederholung seiner bereits vorgebrachten Ausreisegründe im Wesentlichen vor, er werde im Irak als "Ungläubiger" verfolgt, da seine Auslegung des Koran von der schiitischen Lehre abweichen würde. Das belangte Bundesamt habe die angefochtene Entscheidung auf unvollständige Länderberichte gestützt und nähre Ermittlungen zu der vom Beschwerdeführer vertretenen Glaubenslehre rechtswidrig unterlassen. Der Beschwerdeführer sei in XXXX ein bekannter Religionsgelehrter gewesen und hätte dies ebenfalls leicht festgestellt werden können.
Darüber hinaus habe das belangte Bundesamt nicht ermittelt, ob der Beschwerdeführer eine Einberufung zum Militärdienst drohen würde, zumal er diese noch nicht abgeleistet habe. Der Beschwerdeführer sei in diesem Zusammenhang nicht bereit, die "pro-schiitische Milizen-Haltung" der irakischen Regierung hinzunehmen. Deshalb drohe ihm Strafverfolgung als Deserteur. Unter dem Gesichtspunkt der Heranziehung unzureichender Länderberichte bringt der Beschwerdeführer vor, dass die Feststellungen des angefochtenen Bescheides auf veralteten Berichten basieren würden und sich die Lage im Irak in Anbetracht der Bürgerkriegssituation massiv geändert habe. Ferner weise der angefochtene Bescheid keine Feststellungen zur Frage der Religionsfreiheit im Irak auf, wobei in der Beschwerde in der Folge über mehrere Seiten hinweg Berichte zu Konversion und Apostasie sowie zur allgemeinen Lage im Irak zitiert werden.
Hinsichtlich der Beweiswürdigung wird im Besonderen ausgeführt, der Beschwerdeführer habe entgegen der Beweiswürdigung des angefochtenen Bescheides ein stringentes Vorbringen getätigt. Die Verwertung von Widersprüchen zwischen der Erstbefragung und den Angaben bei der Einvernehme vor dem Bundesamt sei der höchstgerichtlichen Rechtsprechung zufolge nicht zulässig.
6. Die Beschwerdevorlage langte am 10.02.2017 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Die Rechtssache wurde in weiterer Folge der nun zur Entscheidung berufenen Abteilung des Bundesverwaltungsgerichts zugewiesen. Ebenfalls am 10.02.2018 langte eine Beschwerdeergänzung beim Bundesverwaltungsgericht ein.
7. Über Aufforderung des Bundesverwaltungsgerichtes übermittelte der Beschwerdeführer am 14.08.2017 Beweismittel (Videoaufnahmen) auf einem Datenträger.
8. Am 08.03.2018 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung im Beisein des Beschwerdeführers, seiner rechtsfreundlichen Vertretung und eines Dolmetschers für die arabische Sprache durchgeführt. Im Verlauf dieser Verhandlung wurde dem Beschwerdeführer einerseits Gelegenheit gegeben, neuerlich seine Ausreisemotivation umfassend darzulegen sowie die aktuelle Lageentwicklung im Irak anhand aktueller Länderdokumentationsunterlagen und zweier Anfragebeantwortungen zur Rekrutierungspraxis schiitischer Milizen erörtert, welche dem Beschwerdeführer ausgefolgt und eine Stellungnahme hiezu freigestellt wurde. Seitens des Beschwerdeführers wurden neuerlich Videoaufnahmen auf einem Datenträger in Vorlage gebracht.
9. Am 23.03.2018 wurde seitens der rechtsfreundlichen Vertretung des Beschwerdeführers die Kündigung des Vollmachtsverhältnisses mitgeteilt.
10. Mit Note des Bundesverwaltungsgerichts vom 12.09.2018 wurden dem Beschwerdeführer eine in seiner Sache eingeholte Anfragebeantwortung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl sowie aktualisierte Informationen zur Lage im Herkunftsstaat zur Abgabe einer Stellungnahme übermittelt. In der Folge langte am 27.09.2018 eine Nachricht einer Rechtsberaterin der vormaligen rechtsfreundlichen Vertretung des Beschwerdeführers zu den ihm zur Stellungnahme übermittelten Unterlagen beim Bundesverwaltungsgericht ein.
11. Mit Note vom 03.12.2018 wurden dem Beschwerdeführer neuerlich aktualisierte Informationen zur Lage im Herkunftsstaat zur Abgabe einer Stellungnahme übermittelt. Eine Stellungnahme dazu wurde nicht abgegeben, jedoch lange am 11.12.2018 eine Vollmachtsbekanntgabe der vormaligen und nunmehrigen rechtsfreundlichen Vertretung des Beschwerdeführers beim Bundesverwaltungsgericht ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX , ist Staatsangehöriger des Irak und Angehöriger der arabischen Volksgruppe. Der Beschwerdeführer wurde am XXXX in einem Dorf im Gouvernement XXXX geboren und lebte zuletzt in der gleichnamigen Hauptstadt XXXX in einem Haus in seinem Eigentum.
Der Beschwerdeführer bekennt sich zum Islam der schiitischen Glaubensrichtung, er ist verheiratet und Vater von drei Söhnen und einer Tochter. Der Beschwerdeführer ist gesund und steht nicht in medizinischer Behandlung.
Der Beschwerdeführer besuchte in Bagdad die Grundschule und die Mittelschule im Gesamtausmaß von zwölf Jahren und erlangte die Matura. Nach dem Schulbesuch trat der Beschwerdeführer im Jahr 1992 in ein theologisches Seminar in XXXX ein und absolvierte dort eine theologische Ausbildung und wirkte als Lehrer für niedere Jahrgänge, wofür er ein Gehalt bezog. Der Beschwerdeführer war dermaßen bis zu seiner Ausreise als schiitischer Kleriker beruflich tätig, zuletzt absolvierte er berufsbegleitend auch theologische Studien an der theologischen Hochschule in XXXX und hielt theologische Vorträge. Nicht festgestellt werden kann, dass sich der Beschwerdeführer dabei einen hohen Bekanntheitsgrad erwarb.
Der Vater des Beschwerdeführers ist verstorben. Seine Mutter lebt in XXXX abwechselnd bei ihren dort lebenden Kindern und bei der Ehegattin des Beschwerdeführers, sie bezieht eine Witwenpension. Ein Bruder und eine Schwester des Beschwerdeführers leben in XXXX , zwei weitere Schwestern in XXXX und in XXXX . Der Bruder des Beschwerdeführers ist als Arbeiter erwerbstätig, seine Schwestern sind verheiratet und führen den Haushalt ihrer Familien. Ein als schiitischer Kleriker tätiger Bruder des Beschwerdeführers wurde am 05.06.2007 in XXXX ermordet.
In XXXX leben schließlich die Ehefrau und die Kinder des Beschwerdeführers in dessen Haus. Die Söhne des Beschwerdeführers sind als Arbeiter berufstätig.
Am 05.09.2015 verließ der Beschwerdeführer den Irak legal von XXXX ausgehend im Luftweg in die Türkei. In weiterer Folge gelangte er schlepperunterstützt auf dem Seeweg nach Griechenland und von dort aus mit verschiedenen öffentlichen Verkehrsmitteln nach Österreich, wo er am 13.09.2015 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.
1.2. Der Beschwerdeführer gehört keiner politischen Partei oder politisch aktiven Gruppierung an und hatte in seinem Herkunftsstaat keine Schwierigkeiten aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit zu gewärtigen. Der Beschwerdeführer hatte außerdem vor seiner Ausreise keine Schwierigkeiten mit Behörden, Gerichten oder Sicherheitskräften seines Herkunftsstaates zu gewärtigen. Er kritisiert gelegentlich in sozialen Medien die politische Situation in seinem Herkunftsstaat.
Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise aus seinem Herkunftsstaat einer individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt in seinem Herkunftsstaat durch staatliche Organe oder durch Dritte ausgesetzt war oder er im Falle einer Rückkehr dorthin einer solchen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wäre. Insbesondere kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat vor der Ausreise Drohungen oder Übergriffen aufgrund seiner religiösen Ansichten ausgesetzt war bzw. er der Gefahr solcher Übergriffe im Falle einer Rückkehr in seinem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wäre.
1.3. Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat die Todesstrafe droht. Ebenso kann keine anderweitige individuelle Gefährdung des Beschwerdeführers festgestellt werden, insbesondere im Hinblick auf eine drohende unmenschliche Behandlung, Folter oder Strafe sowie kriegerische Ereignisse oder extremistische Anschläge im Irak.
Der Beschwerdeführer ist ein gesunder, arbeitsfähiger Mensch mit hervorragender Ausbildung und mehrjähriger Berufserfahrung als schiitischer Kleriker. Der Beschwerdeführer verfügt über eine - wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich - gesicherte Existenzgrundlage in seinem Herkunftsstaat sowie über familiäre Anknüpfungspunkte und eine hinreichende Versorgung mit Nahrung und Unterkunft. Dem Beschwerdeführer ist darüber hinaus die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zur Sicherstellung seines Auskommens möglich und zumutbar.
Der Beschwerdeführer verfügt über keine irakischen Ausweisdokumente im Original. Seine Angaben zur Identität können nicht aufgrund unbedenklicher, im Original vorhandener Ausweisdokumente verifiziert werden.
1.4. Der Beschwerdeführer hält sich seit dem 10.09.2015 in Österreich auf. Er reiste rechtswidrig in Österreich ein, ist seither Asylwerber und verfügt über keinen anderen Aufenthaltstitel. Er ist strafgerichtlich unbescholten, wurde jedoch von der Verwaltungsbehörde wegen alkoholisierten Lenkens eines Fahrrades bestraft.
Der Beschwerdeführer bezieht seit der Antragstellung bis dato Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber und ist in einer Unterkunft für Asylwerber in der Stadt St. Pölten untergebracht. Der Beschwerdeführer ist nicht legal erwerbstätig und es wurde ihm auch keine Erwerbstätigkeit am regulären Arbeitsmarkt zugesichert. Er verrichtete keine gemeinnützigen Tätigkeiten in einem organisierten Rahmen, war jedoch Nachbarn bei privaten Verrichtungen behilflich.
Der Beschwerdeführer hat in Österreich keine Verwandten und pflegt im Übrigen normale soziale Kontakte. Er konsumiert Tabak und Alkohol und begründet dies damit, im Bundesgebiet sein Leben "ohne Hemmungen .., weit weg vom Islam" leben zu wollen.
Der Beschwerdeführer ist für keine Person im Bundesgebiet sorgepflichtig und im Bundesgebiet alleinstehend. Er unterhält telefonische Kontakte zu einer verheirateten syrischen Staatsbürgerin, die in der Bundesrepublik Deutschland lebt und zu der er sich hingezogen fühlt. Persönliche Kontakt finden nicht statt, eine Eheschließung ist ebenfalls nicht beabsichtigt.
Der Beschwerdeführer besuchte keine sprachlichen Qualifizierungsmaßnahmen zum Erwerb der deutschen Sprache. Er legte auch keine Prüfungen über Kenntnisse der deutschen Sprache ab und verfügt nur über rudimentärste Sprachkenntnisse.
1.5. Zur Rekrutierung von Kämpfern durch schiitische Milizen im Irak werden folgende Feststellungen unter Heranziehung der angeführten Quellen getroffen:
Die Volksmobilisierungseinheiten (Popular Mobilisation Front, PMF, arabisch: al-Haschd al-Schaabi) unterhalten eine eigene Website in arabischer Sprache, auf der unter anderem über die militärischen Erfolge der PMF beim Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) berichtet wird. Auf dieser Website finden sich eine Vielzahl von Artikeln über die Verpflichtung Freiwilliger in den PMF. Die jüngsten Artikel beziehen sich dabei besonders auf den Anschluss Freiwilliger in der Provinz Ninawa zur Teilnahme an der Befreiung der Stadt Mossul. Zwangsrekrutierung durch schiitische Milizen im Irak sind grundsätzlich möglich. Familien von Binnenvertriebenen werden zum Teil nur durch einen Checkpoint gelassen, wenn sich die erwachsenen Männer bereit erklären, sich den paramilitärischen Einheiten der al-Haschd al-Schaabi anzuschließen. Es wird berichtet, dass bei einer Weigerung damit gedroht werde, die Binnenflüchtlinge in ihre Heimatprovinzen zurückzuschicken. UNHCR berichtet in einer wöchentlichen Aktualisierung zum Thema Schutz in Mossul vom Jänner 2017, dass die Organisation mit Sorge Vorwürfe der Zwangsrekrutierung von Männern und auch von Minderjährigen in gerade befreiten Gebieten der Stadt Mossul vermerkt habe. Es sei ebenfalls berichtet worden, dass Personen, die aus dem östlichen Teil der Stadt fliehen würden, von Stammesmilizen dazu gezwungen würden, zur Militäroffensive beizutragen, indem sie Mahlzeiten vorbereiten, Waffen transportieren oder selbst zu den Waffen greifen müssten. Binnenflüchtlinge würden Berichten zufolge Gefahr laufen, der Verbindung zu bewaffneten Gruppen beschuldigt zu werden, wenn sie es ablehnen oder nur zögerlich mitmachen würden. Ein männlicher "Freiwilliger" pro Familie würde die Familie Berichten zufolge vom Vorwurf freisprechen, einer bewaffneten Gruppe anzugehören. Bei den Binnenflüchtlingen handelt es sich oft um Sunniten oder um Angehörige religiöser Minderheiten wie den Schabak. Zu anders motivierten Fällen von Zwangsrekrutierung liegen indes keine Informationen vor.
Carnegie Endowment for International Peace (CEIP), ein globales Netzwerk von Think Tanks zum Thema Politikforschung und Förderung des Friedens mit Hauptsitz in den USA, berichtet in einem Artikel vom Februar 2016, dass es bei schiitischen Milizen keine offizielle Wehrpflicht/Zwangsrekrutierung gibt, obwohl die große Anzahl an Rekrutierten dies vermuten lassen würde. Viele irakische Schiiten würden sich statt beim irakischen Militär paramilitärischen Einheiten unter dem Schirm der Volksverteidigungseinheiten (Popular Mobilization Forces, PMF) anschließen würden, die die größte Bodentruppe im Kampf gegen die Gruppe Islamischer Staat (IS) stellen würden. Eine kürzlich veröffentlichte Umfrage habe ergeben, dass 99 Prozent der irakischen Schiiten die PMF beim Kampf gegen den IS unterstützen würden. Daher gebe es eine erhebliche Anzahl von Rekruten, die sich beeilen würden, sich den PMF anzuschließen. Laut Angaben mehrerer sachkundiger Quellen in Bagdad hätten sich mehr als 75 Prozent der in mehrheitlich schiitischen Provinzen lebenden Männer im Alter von 18 bis 30 Jahren bei den PMF gemeldet. Obwohl die meisten dieser Rekruten Reservisten seien, die nicht kämpfen würden, zeige diese Anzahl doch den Rückhalt der PMF in diesen Gebieten. Die hohe Anzahl von Rekruten würde normalerweise auf eine Form von Wehrpflicht hindeuten. Jedoch gebe es keine formale Pflichtrekrutierung. Die PMF würden sich stattdessen nach der Fatwa des religiösen Führers Ayatollah Sistani richten, die die Rekrutierung sehr vorsichtig auf so viele Rekruten beschränke, die notwendig seien, um den IS zu bekämpfen. Ein Rekrutierungsbeamter der PMF in XXXX habe indes angegeben, dass sich mehr als genug Rekruten gemeldet hätten. Sie hätten keine Probleme damit, Mitglieder unterschiedlichen sozialen Hintergrunds und aus verschiedenen geographischen Regionen zu gewinnen. Seinen Angaben nach seien Studenten die einzige erkennbare Gruppe, die nicht den PMF beitreten würden.
Schiitische Milizen rekrutieren aktiv neue Mitglieder, obwohl die Milizen an sich sehr beliebt sind und keine Schwierigkeiten bei der Rekrutierung neuer Kämpfer bestehen. Eine große Rolle bei der Rekrutierung spielt die religiöse Komponente. Nach dem Aufruf des einflussreichen schiitischen Geistlichen Ayatollah Sistani, meldeten sich unzählige Freiwillige zum Kampf gegen den IS. Die Rekrutierung erfolgt außerdem Großteils in Moscheen und auch im Internet bzw. in Sozialen Medien. Erwähnenswert ist auch der gesellschaftliche Druck, welcher von der Familie oder sogar von Behörden ausgeht, sich am Kampf gegen den IS zu beteiligen. Neben der religiösen Motivation, sich den schiitischen Milizen anzuschließen, gibt es noch die finanzielle Motivation. Schiitische Kämpfer verdienen einigen Quellen zufolge mehr als in der irakischen Armee; andere Quellen sprechen von weitaus niedrigeren Summen oder von fehlender Bezahlung. Oftmals werden Minderjährige für den Kampf gegen den IS rekrutiert.
Das Counter Extremism Project (CEP), eine unabhängige politische Organisation zur Bekämpfung extremistischer Ideologien und deren Finanzierung mit Sitz in London, erwähnt in einer vermutlich im März 2017 aktualisierten Übersicht zur pro-iranischen Miliz Asa'ib Ahl al-Haqq (AAH) die Rekrutierungspraktiken dieser Miliz. In Bezugnahme auf verschiedene Quellen zumeist aus den Jahren 2014 und 2015 schreibt CEP, dass die Rekrutierungsstrategie von AAH auf zwei Strategien fuße: traditionelle Propaganda, um auf die Gruppe aufmerksam zu machen sowie ein umfassendes religiöses System mit dem Ziel, Mitglieder zu indoktrinieren und zu rekrutieren. AAH habe Gruppen wie den IS dahingehend imitiert, dass soziale Medien genutzt würden, um die Rekrutierung über den Nahen Osten, Südasien und den Westen auszudehnen. Der irakische Fernsehsender al-Aahd gehöre der Miliz.
Eine der meistgenützten Methoden der AAH zur Gewinnung von Rekruten sei es, sich als Beschützer der schiitischen Gemeinschaft im Irak und im Ausland darzustellen. Sie hänge Poster auf und sende Rekrutierungsaufrufe auf irakischen Fernsehsendern, wobei häufig die Verbindungen mit dem Iran und der (libanesischen) Hisbollah betont würden. Ein Mitglied von AAH habe angegeben, dass er sich bei AAH gemeldet habe, da die Miliz "die schiitische Gemeinschaft im Irak und im Ausland schützen würde". In der Vergangenheit habe insbesondere die Möglichkeit, mit AAH nach Syrien zu ziehen und das Sajjida-Zainab-Heiligtum in er Nähe von Damaskus zu verteidigen, Iraker mobilisiert, sich AAH anzuschließen. Die Gruppe habe Wohnhäuser und Büros in Bagdad in Beschlag genommen, um Rekrutierungszentren zu eröffnen, wo sich Freiwillige melden könnten, um sich den bereits in Syrien kämpfenden Schiiten anzuschließen. Im Südirak würden Poster Männer dazu auffordern, sich mit weiteren irakischen Schiiten dem Kampf in Syrien anzuschließen. Auf den Postern sei eine Telefonnummer angeführt, die man zu diesem Zweck anrufen könne. Im August 2012 habe AAH eine Poster-Kampagne durchgeführt, bei der mehr als 20.000 Poster mit dem Logo der Gruppe und Fotos unter anderem des iranischen Revolutionsführers Ali Khamenei aufgehängt worden seien.
Die zweite umfassendere Schiene der Rekrutierung sei religiöser Aktivismus und ein eigenes Bildungssystem. Die Gruppe benutze insbesondere zwei Moscheen, die Sabatayn-Moschee in Bagdad und die Abdullah al-Radiya-Moschee in al-Khalis als Zentren der Rekrutierung. Führende Mitglieder von AAH würden Predigten in diesen Moscheen abhalten und für eine soziale und religiöse Reform im Irak werben. Hiermit würden sie versuchen, die Anwesenden dazu zu bringen, der AAH-Mission beizutreten, sie zu finanzieren oder auf andere Weise beizutragen. AAH habe ihre Reichweite auch durch ein Netzwerk von religiösen Schulen, bekannt unter dem Namen "Siegel der Apostel", erweitert. Diese Schulen, die im ganzen Land verteilt seien, würden der Gruppe als Propaganda- und Rekrutierungseinrichtungen dienen. Genau wie in ihrer militärischen und politischen Struktur, versuche AAH die Hisbollah-Miliz auch dahingehend zu imitieren, indem sie soziale Programme für Witwen und Waisen umsetze. Die Rekrutierungsmaßnahmen der AAH würden zum Großteil vom Iran finanziert.
Ein Bericht von GSDRC (Governance-Social Development-Humanitarian-Conflict), einem Zusammenschluss von Forschungsinstituten, Think Tanks und Beratungsorganisationen zum Thema internationale Entwicklung, informiert darüber, dass es die religiöse Legitimität für die PMF (Popular Mobilization Forces, Volksmobilmachungskräfte) die Rekrutierung einfacher macht als für die irakische Armee.
Es lastet viel Druck auf den Menschen, sich den Volksmobilmachungskräften anzuschließen. Dieser hat unterschiedliche Gründe, zum Beispiel öffentlichen Druck, Druck auf Familien und sogar das Bildungsministerium. Es gibt Fälle, in denen Prüfungen verlegt wurden, damit junge Menschen gegen den IS kämpfen können. Außerdem wird es als heroischer Akt gesehen, sich den Volksmobilmachungskräften anzuschließen. Manche Quellen sprechen davon, dass Kämpfer der Volksmobilmachungskräfte besser bezahlt werden als Soldaten der irakischen Armee, andere sprechen davon, dass nur Kämpfer an der Front bezahlt werden, andere gehen davon aus, dass die Milizen Großteils keinen Lohn erhalten. Es wird berichtet, dass die Volksmobilmachungskräfte auch Minderjährige rekrutieren.
Die US-amerikanische Online-Zeitung International Business Times (IBT) mit Sitz in New York beschreibt den Online-Rekrutierungsprozess schiitischer Milizen in einem Artikel vom Dezember 2015. Laut einem Forscher schiitischer Milizen an der Universität Maryland hätten schiitische Milizen eine noch ausgereiftere Methode als der IS, Leute mithilfe von Onlinemedien zu informieren und zu mobilisieren. Im Gegensatz zu Webseiten des IS auf Twitter und Facebook würde niemand die Seiten von schiitischen Milizen blockieren. Jedoch hätten die vom Iran unterstützen Milizen bereits Monate vor dem Fall der Stadt Mossul im Juni 2014 im Irak mithilfe einfacher technischer Mittel, zum Beispiel durch das Aufhängen von Postern oder Rekrutierungsaufrufen im Fernsehen, ihre lokale Reichweite ausgenutzt. Ein Analyst des Institute for the Study of War habe erwähnt, dass irakische Schiiten sich nur in die nächste Moschee begeben und dort zu fragen müssten, ob sie sich einer bestimmten Miliz anschließen könnten. Obwohl Online-Rekrutierung wichtig sei, würde sie nicht so stark benötigt wie bei anderen Gruppen, die weniger offen mit ihren Rekrutierungsmaßnahmen umgehen könnten. Schiitische Milizen seien in der Lage, vom Iran unterstützte Fernsehsender nutzen, um ihre Reichweite auszudehnen. Im Juni 2015 beispielsweise hätte die Miliz Kata'ib Hisbollah ihre Kontaktinformationen zwecks Rekrutierung auf al-Etejah, einem pro-iranischen Fernsehkanal, ausgestrahlt. Einen Monat später habe sie einen Spendenaufruf mit Angabe einer Bankverbindung schalten lassen, der auch in Teilen als ein Videoclip auf Youtube veröffentlicht worden sei, um mehr Spenden von außerhalb des Irak lebenden Schiiten zu erhalten.
Quellen:
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Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 26.07.2016 betreffend Zwangsrekrutierung durch schiitische Milizen
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ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zum Irak:
(Zwangs-)Rekrutierung durch schiitische Milizen: Sunniten, Schiiten, spezifische Gruppen; Konsequenzen bei Entziehung einer Rekrutierung, 27.03.2017
1.6. Zur aktuellen Lage im Irak werden folgende Feststellungen unter Heranziehung der abgekürzt zitierten und gegenüber dem Beschwerdeführer offengelegten Quellen getroffen:
1. Aktuelle Ereignisse
27.06.2018: Papst Franziskus kreierte Patriarch Mar Louis I Sako, Oberhaupt der Chaldäisch Katholischen Kirche, als Kardinal. Ägypten betonte, dass es sich weiter am Wiederaufbau und an der Stabilisierung des Irak beteiligen wird. Muqtada al-Sadr gab bekannt, dass er alle Operationen seiner Miliz Saraya al-Salam in Basra einstellen lassen wird, nachdem es Zwischenfälle mit den örtlichen Kräften gegeben hatte.
01.07.2018: Die nationale irakische Ölgesellschaft kündigte an, dass sie mit Zustimmung der OPEC eine schwimmende Ölspeicherplattform bauen wird um ihre Kapazität auf sechs Millionen Barrel zu erhöhen.
02.07.2018: Die Sicherheitssituation an der irakisch-syrischen Grenze entspannt sich wegen der Militäroperationen gegen die konzentrierten IS-Zellen in der Region.
02.0.7./04.07.2018: Die Bundespolizei verlegte einige ihrer Truppen in die Provinz Kirkuk um die Sicherheit zu gewährleisten, da sich IS-Kämpfer im Süden formierten. Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF), die PMUs und die Peshmerga starteten eine gemeinsame Offensive in der Region.
10.07.2018: Gemäß einer Aussage von Premier Abadi habe sich die Sicherheitssituation in Mosul seit dem erklärten Sieg über den IS im Dezember 2017 massiv verbessert.
13.07.2018: Laut den Aussagen von PMU-Patrouillen bleibt die Sicherheitssituation in der Region westlich von Bayji wegen der IS-Zellen angespannt.
16.07./17.07.2018: Der irakische Elektrizitätsminister kündigte an, dass Teheran keine Elektrizität mehr in den Irak exportieren wird. Daraufhin reiste der irakische Minister für Planung nach Jeddah um die Energiekrise mit einer saudischen Delegation zu besprechen.
23.07.2018: Kuwait bot dem Irak mit der Sendung von mobilen Generatoren Hilfe an um seine Energiekrise zu lösen.
14.08.2018: Die Türkei und der Irak einigten sich auf ein Abkommen um einen neuen Grenzübergang nahe dem Grenzübergang Fish-Khabour zu eröffnen. Jordanien unterzeichnete mit dem Irak ein Sicherheitsabkommen um die Straße zwischen Amman und Bagdad und um die Grenze zu öffnen.
16.08./21.08.2018: Durch das Wiederinkrafttreten der Iransanktionen ist der damals amtierende Premierminister Abadi bemüht das Verhältnis zwischen den Vereinigten Staaten und dem Iran auszubalancieren. Dank einer intensiven wirtschaftlichen Kooperation reiste eine irakische Delegation nach Washington um Ausnahmen von den Sanktionen zu verhandeln.
19.08.2018: Die irakische Zentralregierung und die kurdische Regionalregierung einigten sich mittels eines Abkommens darauf gemeinsame Checkpoints an der Straße von Erbil nach Kirkuk einzurichten um die Straße öffnen zu können.
20.08.2018: Die Türkei und der Irak unterzeichneten ein Energieabkommen, in dem festgehalten wurde, dass die Türkei dem Irak Elektrizität liefern werde und bei der Entwicklung der lokalen Infrastruktur Unterstützung leisten wird.
20.10.2018/21.10.2018: Die irakischen Streitkräfte setzen ihre Militäroperationen gegen den IS fort. So töteten Sicherheitskräfte am 20.10.18 vier Extremisten in ihrem Versteck in Hit, drei Extremisten in Kirkuk und zwei Extremisten in der Provinz Diyala. Mindestens 23 Menschen wurden bei jüngsten sicherheitsrelevanten Vorfällen getötet. So kamen am 21.10.18 mindestens vier irakische Polizisten bei zwei Bombenexplosionen ums Leben, die von den Kämpfern des IS in den Regionen al-Shoura und Makhmour verübt wurden. Ebenfalls am 21.10.18 wurde eine turkmenische Familie von unbekannten bewaffneten Männern im Distrikt Hawija, rund 55 Kilometer südwestlich von Kirkuk, getötet. Auch in Jalawla, Provinz Diyala, töteten Unbekannte eine Familie.
25.11.2018: Am 25.11.18 verkündete das Gesundheitsministerium, dass bei starken Regenfällen mindestens 21 Menschen ums Leben gekommen und etwa 180 Personen verletzt worden seien. Laut der UN-Mission im Irak (UNAMI) sind in Salah ad-Din etwa 10.000 und in Ninewa etwa 15.000 Menschen in Folge der Fluten auf Unterstützung angewiesen. Am stärksten betroffen seien der Distrikt Shirqat (Provinz Salah ad-Din) und die Vertriebenenlager Qayyarah und Jedda (Provinz Ninewa). Flutschäden wurden auch in einigen südlichen Provinzen gemeldet. Häuser und Viehbestände seien hier zerstört sowie Brücken und Dörfer überschwemmt worden. UNAMI beteiligt sich an einer Notfallunterstützungsmission.
03.12.2018: Die Demokratische Partei Kurdistans (DPK) nominiert Nechviran Barzani als Präsidentschaftskandidaten für die autonome Region Kurdistan. Sein Nachfolger für das Amt des Ministerpräsidenten soll Masrur Barzani (Sohn des langjährigen Präsidenten Massud Barsani) werden.
04.12.2018: Laut Medienberichten unterbrachen Parlamentsabgeordnete am 04.12.18 eine Parlamentssitzung, die zu einer Regierungsbildung nach der Wahl im Mai 2018 führen sollte. Die Posten u.a. für das Innen- und Verteidigungsministerium bleiben unbesetzt. Dem Stillstand liegt eine Spaltung zwischen den zwei schiitischen Hauptblöcken von Moqtada Sadr und dem Milizenführer Hadi al-Amiri zugrunde.
07.12.2018: Massive Regenfälle haben in weiten Teilen des Landes zu Zerstörungen und Beschädigungen von Infrastruktur sowie Wohnhäusern geführt. Besonders betroffen sind intern Vertriebene in den Provinzen Salah ad-Din und Ninewa (Mosul, Nimrud, Sinjar Gebirge). Lokalen Medien zufolge wurden etwa 80 Familien aus dem Dorf Zanazel (Provinz Ninewa) evakuiert. Das Krisenkoordinierungszentrum des kurdischen Innenministeriums (Joint Crisis Coordination Centre) meldete am 07.12.18, dass im Vertriebenenlager Dibaga 2 in der Provinz Erbil etwa 700 intern Vertriebene auf Notfallhilfe angewiesen seien.
2. Politische Lage
Die politische Landschaft des Irak hat sich seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 enorm verändert (KAS 2.5.2018). Gemäß der Verfassung ist der Irak ein demokratischer, föderaler und parlamentarisch-republikanischer Staat (AA 12.02.2018), der aus 18 Provinzen (muhafazät) besteht (Fanack 27.9.2018). Artikel 47 der Verfassung sieht eine Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative vor (RoI 15.10.2005). Die Autonome Region Kurdistan ist Teil der Bundesrepublik Irak und besteht aus den drei nördlichen Provinzen Dohuk, Erbil und Sulaymaniya. Sie wird von einer Regionalverwaltung, der kurdischen Regionalregierung, verwaltet und verfügt über eigene Streitkräfte (Fanack 27.9.2018).
An der Spitze der Exekutive steht der irakische Präsident, der auch das Staatsoberhaupt ist. Der Präsident wird mit einer Zweidrittelmehrheit des irakischen Parlaments (majlis al-nuwwab, engl.: Council of Representatives, dt.: Repräsentantenrat), für eine Amtszeit von vier Jahren gewählt und genehmigt Gesetze, die vom Parlament verabschiedet werden. Der Präsident wird von zwei Vizepräsidenten unterstützt. Zusammen bilden sie den Präsidialrat (Fanack 27.9.2018).
Teil der Exekutive ist auch der Ministerrat, der sich aus dem Premierminister und anderen Ministern der jeweiligen Bundesregierung zusammensetzt (Fanack 27.9.2018; vgl. RoI 15.10.2005). Der Premierminister wird vom Präsidenten designiert und vom Parlament bestätigt (RoI 15.10.2005). Am 002.10.2018 wählte das neu zusammengetretene irakische Parlament den moderaten kurdischen Politiker Barham Salih zum Präsidenten des Irak (DW 02.10.2018). Dieser wiederum ernannte den schiitischen Politik-Veteranen Adel Abd al-Mahdi zum Premierminister und beauftragte ihn mit der Regierungsbildung (BBC 3.10.2018). Abd al-Mahdi ist seit 2005 der erste Premier, der nicht die Linie der schiitischen Da'wa-Partei vertritt, die seit dem Ende des Krieges eine zentrale Rolle in der Geschichte Landes übernommen hat. Er unterhält gute Beziehungen zu den USA. Der Iran hat sich seiner Ernennung nicht entgegengestellt (Guardian 3.10.2018).
Der Premierminister führt den Vorsitz im Ministerrat und leitet damit die tägliche Politik (Fanack 27.9.2018) Im Gegensatz zum Präsidenten, dessen Rolle weitgehend zeremoniell ist, liegt beim Premierminister damit die eigentliche Exekutivgewalt (Guardian 3.10.2018). Die gesetzgebende Gewalt, die Legislative, wird vom irakischen Repräsentantenrat (Parlament) ausgeübt (Fanack 27.9.2018). Er besteht aus 329 Abgeordneten (CIA 17.10.2018). Die konfessionell/ethnische Verteilung der politischen Spitzenposten ist nicht in der irakischen Verfassung festgeschrieben, aber seit 2005 üblich (Standard 3.10.2018). So ist der Parlamentspräsident gewöhnlich ein Sunnite, der Premierminister ist ein Schiite und der Präsident der Republik ein Kurde (Al Jazeera 15.9.2018).
In weiten Teilen der irakischen Bevölkerung herrscht erhebliche Desillusion gegenüber der politischen Führung (LSE 7.2018; vgl. IRIS 11.5.2018). Politikverdrossenheit ist weit verbreitet (Standard 13.5.2018). Dies hat sich auch in der niedrigen Wahlbeteiligung bei den Parlamentswahlen im Mai 2018 gezeigt (WZ 12.5.2018). Der Konfessionalismus und die sogennante "Muhassasa", das komplizierte Proporzsystem, nach dem bisher Macht und Geld unter den Religionsgruppen, Ethnien und wichtigsten Stämmen im Irak verteilt wurden, gelten als Grund für Bereicherung, überbordende Korruption und einen Staat, der seinen Bürgern kaum Dienstleistungen wie Strom- und Wasserversorgung, ein Gesundheitswesen oder ein Bildungssystem bereitstellt (TA 12.5.2018).
Viele sunnitische Iraker stehen der schiitischen Dominanz im politischen System kritisch gegenüber. Die Machtverteilungsarrangements zwischen Sunniten und Schiiten sowie Kurden festigen den Einfluss ethnisch-religiöser Identitäten und verhindern die Herausbildung eines politischen Prozesses, der auf die Bewältigung politischer Sachfragen abzielt (AA 12.02.2018).
Die Zeit des Wahlkampfs im Frühjahr 2018 war nichtsdestotrotz von einem Moment des verhaltenen Optimismus gekennzeichnet, nach dem Sieg über den sogenannten Islamischen Staat (IS) im Dezember 2017 (ICG 9.5.2018). Am 09.12.2017 hatte Haider al-Abadi, der damalige irakische Premierminister, das Ende des Krieges gegen den IS ausgerufen (BBC 9.12.2017). Irakische Sicherheitskräfte hatten zuvor die letzten IS-Hochburgen in den Provinzen Anbar, Salah al-Din und Ninewa unter ihre Kontrolle gebracht. (UNSC 17.1.2018).
Im Irak leben ca. 36 Millionen Einwohner, wobei die diesbezüglichen Schätzungen unterschiedlich sind. Die letzte Volkszählung wurde 1997 durchgeführt. Im Gouvernement Bagdad leben ca. 7,6 Millionen Einwohner. Geschätzte 99% der Einwohner sind Moslems, wovon ca. 60%-65% der schiitischen und ca. 32%-37% der sunnitischen Glaubensrichtung angehören (CIA World Factbook 2014-2015, AA 12.02.2018). Die ethnische und religiöse Zusammensetzung der einzelnen Regionen des Irak ist aus der Grafik im Punkt Minderheiten ersichtlich.
2.1. Parteienlandschaft
Es gibt vier große schiitische politische Gruppierungen im Irak: die Islamische Da'wa-Partei, den Obersten Islamischen Rat im Irak (OIRI) (jetzt durch die Bildung der Hikma-Bewegung zersplittert), die Sadr-Bewegung und die Badr-Organisation. Diese Gruppen sind islamistischer Natur, sie halten die meisten Sitze im Parlament und stehen in Konkurrenz zueinander - eine Konkurrenz, die sich, trotz des gemeinsamen konfessionellen Hintergrunds und der gemeinsamen Geschichte im Kampf gegen Saddam Hussein, bisweilen auch in Gewalt niedergeschlagen hat (KAS 2.5.2018).
Die meisten politischen Parteien verfügen über einen bewaffneten Flügel oder werden einer Miliz zugeordnet (Niqash 7.7.2016; vgl. BP 17.12.2017) obwohl dies gemäß dem Parteiengesetz von 2015 verboten ist (Niqash 7.7.2016; vgl. WI 12.10.2015). Milizen streben jedoch danach, politische Parteien zu gründen (CGP 4.2018) und haben sich zu einer einflussreichen politischen Kraft entwickelt (Niqash 5.4.2018; vgl. Guardian 12.5.2018). Die sunnitische politische Szene im Irak ist durch anhaltende Fragmentierung und Konflikt gekennzeichnet, zwischen Kräften, die auf Provinz-Ebene agieren, und solchen, die auf Bundesebene agieren. Lokale sunnitische Kräfte haben sich als langlebiger erwiesen als nationale (KAS 2.5.2018)
Die politische Landschaft der Autonomen Region Kurdistan ist historisch von zwei großen Parteien geprägt: der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) und der Patriotischen Union Kurdistans (PUK). Dazu kommen Gorran ("Wandel"), eine 2009 gegründete Bewegung, die sich auf den Kampf gegen Korruption und Nepotismus konzentriert, sowie eine Reihe kleinere islamistische Parteien (KAS 2.5.2018).
Abgesehen von den großen konfessionell bzw. ethnisch dominierten Parteien des Irak, gibt es auch nennenswerte überkonfessionelle politische Gruppierungen. Unter diesen ist vor allem die Iraqiyya/Wataniyya Bewegung des Ayad Allawi von Bedeutung (KAS 2.5.2018).
Die folgende Grafik veranschaulicht die Sitzverteilung im neu gewählten irakischen Parlament. Sairoon, unter der Führung des schiitischen Geistlichen Muqtada al-Sadrs, ist mit 54 Sitzen die größte im Parlament vertretene Gruppe, gefolgt von der Fath-Bewegung des Milizenführers Hadi al-Amiri und Haider al-Abadi's Nasr ("Victory")-Allianz (LSE 7.2018).
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Die Wahl im Mai 2018 war von Vorwürfen von Unregelmäßigkeiten und Wahlbetrug begleitet (Al-Monitor 23.8.2018; vgl. Reuters 24.5.2018, Al Jazeera 6.6.2018). Eine manuelle Nachzählung der Stimmen, die daraufhin angeordnet wurde, ergab jedoch fast keinen Unterschied zu den zunächst verlautbarten Ergebnissen und bestätigte den Sieg von Muqtada al-Sadr (WSJ 9.8.2018; vgl. Reuters 10.8.2018). Die Mehrheit der Abgeordneten im Parlament ist neu und jung (WZ 9.10.2018). Im Prozess zur Designierung des neuen Parlamentssprechers, des Präsidenten und des Premierministers stimmten die Abgeordneten zum ersten Mal individuell und nicht in Blöcken - eine Entwicklung, die einen Bruch mit den üblichen, schwer zu durchbrechenden Loyalitäten entlang parteipolitischer, konfessioneller und ethnischer Linien, darstellt (Arab Weekly 7.10.2018).
2.2. Protestbewegung
Die Protestbewegung, die es schon seit 2014 gibt, gewinnt derzeit an Bedeutung. Zumeist junge Leute gehen in Scharen auf die Straße, fordern bessere Lebensbedingungen, Arbeitsplätze, Reformen, einen effektiven Kampf gegen Korruption und die Abkehr vom religiösen Fundamentalismus (WZ 9.10.2018). Im Juli 2018 brachen im Süden des Landes, in Basra, nahe den Ölfeldern West Qurna und Zubayr Proteste aus. Diese eskalierten, nachdem die Polizei in West Qurna auf Demonstranten schoss (ICG 31.7.2018). Reich an Ölvorkommen, liefert die Provinz Basra 80 Prozent der Staatseinnahmen des Irak. Unter den Einwohnern der Provinz wächst jedoch das Bewusstsein des Gegensatzes zwischen dem enormem Reichtum und ihrer eigenen täglichen Realität von Armut, Vernachlässigung, einer maroden Infrastruktur, Strom- und Trinkwasserknappheit (Carnegie 19.9.2018; vgl. NPR 27.9.2018).
Die Proteste im Juli weiteten sich schnell auf andere Städte und Provinzen im Süd- und Zentralirak aus (DW 15.7.2018; vgl. Presse 15.7.2018, CNN 17.7.2018, Daily Star 19.7.2018). So gingen tausende Menschen in Dhi Qar, Maysan, Najaf und Karbala auf die Straße, um gegen steigende Arbeitslosigkeit, Korruption und eine schlechte Regierungsführung, sowie die iranische Einmischung in die irakische Politik zu protestieren (Al Jazeera 22.7.2018). Die Proteste erreichten auch die Hauptstadt Bagdad (Joel Wing 25.7.2018; vgl. Joel Wing 17.7.2018). Am 20.7. wurden Proteste in 10 Provinzen verzeichnet (Joel Wing 21.7.2018). Demonstranten setzten die Bürogebäude der Da'wa-Partei, der Badr-Organisation und des Obersten Islamischen Rats in Brand; praktisch jede politische Partei wurde angegriffen (Al Jazeera 22.7.2018). Es kam zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften, sowie zu Todesfällen (Kurier 15.7.2018; vgl. CNN 17.7.2018, HRW 24.7.2018). Ende August war ein Nachlassen der Demonstrationen zu verzeichnen (Al Jazeera 3.8.2018). Im September flammten die Demonstrationen wieder auf. Dabei wurden in Basra Regierungsgebäude, die staatliche Fernsehstation, das iranische Konsulat, sowie die Hauptquartiere fast aller Milizen, die vom Iran unterstützt werden, angegriffen. Mindestens 12 Demonstranten wurden getötet (Vox 8.9.2018; vgl. NPR 27.9.2018).
3. Sicherheitslage
Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen Sieg über den Islamischen Staat (IS). Die Sicherheitslage hat sich verbessert, seitdem die territoriale Kontrolle des IS gebrochen wurde (CRS 4.10.2018; vgl. MIGRI 6.2.2018). IS-Kämpfer sind jedoch weiterhin in manchen Gebieten aktiv und ist die Sicherheitslage regional unterschiedlich (CRS 4.10.2018).
Derzeit ist es staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates in allen Fällen sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen. aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Die im Kampf gegen den IS mobilisierten und zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren (AA 12.02.2018).
In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten (AA 12.02.2018). Insbesondere in Bagdad kommt es weiterhin zu Entführungen durch kriminelle Gruppen, die Lösegeld für die Freilassung ihrer Opfer fordern (MIGRI 6.2.2018).
Die im Folgenden dargestellte Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle und ziviler Opfer ist im Kontext der Bevölkerungsanzahl eines Gouvernements zu sehen. Im Folgenden findet sich eine Tabelle mit Schätzungen der Bevölkerungszahlen der irakischen Provinzen (herausgegeben von der Republik Irak, mit Stand 2009):
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(Quelle: Republik Irak, zitiert bei UK HO 3.2017)
3.1. Islamischer Staat (IS)
Seitdem der IS Ende 2017 das letzte Stück irakischen Territoriums verlor, hat er drei Phasen durchlaufen: Zunächst kam es für einige Monate zu einer Phase remanenter Gewalt; dann gab es einen klaren taktischen Wandel, weg von der üblichen Kombination aus Bombenanschlägen und Schießereien, zu einem Fokus auf die ländlichen Gebiete im Zentrum des Landes. Die Kämpfer formierten sich neu und im Zuge dessen kam es zu einem starken Rückgang an Angriffen. Jetzt versucht der IS, die Kontrolle über die ländlichen Gebiete im Zentrum des Landes und über Grenzgebiete zurückzuerlangen. Gleichzeitig verstärkt er die direkte Konfrontation mit den Sicherheitskräften (Joel Wing 03.07.2018). Im September 2018 fanden die IS-Angriffe wieder vermehrt in Bagdad statt und es ist eine Rückkehr zu Selbstmordanschlägen und Autobomben feststellbar (Joel Wing 06.10.2018).
Mit Stand Oktober 2018 waren Einsätze der irakischen Sicherheitskräfte gegen IS-Kämpfer in den Provinzen Anbar, Ninewa, Diyala und Salah al-Din im Gang. Ziel war es, den IS daran zu hindern sich wieder zu etablieren und ihn von Bevölkerungszentren fernzuhalten. Irakische Beamte warnen vor Bemühungen des IS, Rückzugsorte in Syrien für die Infiltration des Irak zu nutzen. Presseberichte und Berichte der US-Regierung sprechen von anhaltenden IS-Angriffen, insbesondere in ländlichen Gebieten von Provinzen, die vormals vom IS kontrolliert wurden (CRS 04.10.2018; vgl. ISW 02.10.2018, Atlantic 31.8.2018, Jamestown 28.7.2018, Niqash 12.7.2018). In diesen Gebieten oder in Gebieten, in denen irakische Sicherheitskräfte abwesend sind, kommt es zu Drohungen, Einschüchterungen und Tötungen durch IS-Kämpfer, vor allem nachts (CRS 04.10.2018). Es gibt immer häufiger Berichte über Menschen, die aus Dörfern in ländlichen Gebieten, wie dem Bezirk Khanaqin im Nordosten Diyalas, fliehen. Ortschaften werden angegriffen und Steuern vom IS erhoben. Es gibt Rückzugsgebiete des IS, die in der Nacht No-go-Areas für die Sicherheitskräfte sind und wo sich IS-Kämpfer tagsüber offen zeigen. Dies geschieht trotz ständiger Razzien durch die Sicherheitskräfte, die jedoch weitgehend wirkungslos sind (Joel Wing 06.10.2018). Die Extremisten richten auch falsche Checkpoints ein, an denen sie sich als Soldaten ausgeben, Autos anhalten und deren Insassen entführen, töten oder berauben (Niqash 12.7.2018; vgl. WP 17.7.2018).
Das Hauptproblem besteht darin, dass es in vielen dieser ländlichen Gebiete wenig staatliche Präsenz gibt und die Bevölkerung eingeschüchtert wird (Joel Wing 06.10.2018). Sie kooperiert aus Angst nicht mit den Sicherheitskräften. Im vergangenen Jahr hat sich der IS verteilt und in der Zivilbevölkerung verborgen. Kämpfer verstecken sich an den unzugänglichsten Orten: in Höhlen, Bergen und Flussdeltas. Der IS ist auch zu jenen Taktiken zurückgekehrt, die ihn 2012 und 2013 zu einer Kraft gemacht haben: Angriffe, Attentate und Einschüchterungen, besonders nachts. In den überwiegend sunnitischen Provinzen, in denen der IS einst dominant war (Diyala, Salah al-Din und Anbar), führt die Gruppe nun wieder Angriffe von großer Wirkung durch (Atlantic 31.08.2018).
3.2. Sicherheitsrelevante Vorfälle, Opferzahlen
Der Irak verzeichnet derzeit die niedrigste Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 (Joel Wing 5.4.2018). Die Sicherheitslage ist in verschiedenen Teilen des Landes sehr unterschiedlich, insgesamt hat sich die Lage jedoch verbessert (MIGRI 06.02.2018).
So wurden beispielsweise im September 2018 vom Irak-Experten Joel Wing 210 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 195 Todesopfern im Irak verzeichnet. Dem standen im September des Jahres 2017 noch 306 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 728 Todesopfern gegenüber. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen im September 2018 waren Bagdad mit 65 Vorfällen, Diyala mit 36, Kirkuk mit 31, Salah al-Din mit 21, Ninewa mit 18 und Anbar mit 17 Vorfällen (Joel Wing 06.10.2018).
Die folgende Grafik von ACCORD zeigt, im linken Bild, die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle mit mindestens einem Todesopfer im dritten Quartal 2018, nach Provinzen aufgeschlüsselt. Auf der rechten Karte ist die Zahl der Todesopfer im Irak im dritten Quartal 2018, nach Provinzen aufgeschlüsselt, dargestellt (ACCORD 12.11.2018).
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(Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED) zusammengestellt von ACCORD, 12.11.2018)
Laut Angaben von UNAMI, der Unterstützungsmission der Vereinten Nationen im Irak, wurden im September 2018 im Irak insgesamt 75 irakische Zivilisten durch Terroranschläge. Gewalt und bewaffnete Konflikte getötet und weitere 179 verletzt (UNAMI 1.10.2018). Insgesamt verzeichnete UNAMI im Jahr 2017 3.298 getötete und 4.781 verwundete Zivilisten. Nicht mit einbezogen in diesen Zahlen waren zivile Opfer aus der Provinz Anbar im November und Dezember 2017. für die keine Angaben verfügbar sind. Laut UNAMI handelt es sich bei den Zahlen um absolute Mindestangaben. da die Unterstützungsmission bei der Überprüfung von Opferzahlen in bestimmten Gebieten eingeschränkt ist (UNAMI 2.1.2018). Im Jahr 2016 betrug die Zahl getöteter Zivilisten laut UNAMI noch 6.878 bzw. die verwundeter Zivilisten 12.388. Auch diese Zahlen beinhalten keine zivilen Opfer aus Anbar für die Monate Mai. Juli. August und Dezember (UNAMI 3.1.2017).
Die folgenden Grafiken von Iraq Body Count (IBC) stellen die von IBC im Irak dokumentierten zivilen Todesopfer dar. Seit Februar 2017 sind nur vorläufige Zahlen (in grau) verfügbar. Das erste Diagramm stellt die von IBC dokumentierten zivilen Todesopfer im Irak seit 2003 dar (pro Monat jeweils ein Balken). Die zweite Tabelle gibt die Zahlen selbst an. Laut Tabelle. dokumentierte IBC im September 2018 241 zivile Todesopfer im Irak. Im September 2017 betrug die Zahl von IBC dokumentierter ziviler Todesopfer im Irak 490; im September 2016
935. Insgesamt dokumentierte IBC von Januar bis September 2018 2.699 getötete Zivilisten im Irak. Im Jahr 2017 dokumentierte IBC 13.178 zivile Todesopfer im Irak; im Jahr 2016 betrug diese Zahl 16.393 (IBC 9.2018).
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(IBC - Iraq Body Count (9.2018): Database - Documented civilian deaths from violence, https://www.iraqbodycount.org/database/, Zugriff 31.10.2018)
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(IBC - Iraq Body Count (9.2018): Database - Documented civilian deaths from violence. https://www.iraqbodycount.org/database/, Zugriff 31.10.2018)
Der sich im Jahr 2018 bereits in der ersten Jahreshälfte abzeichnende Trend einer sich stetig verbessernden Sicherheitslage setzte sich bis zuletzt fort, was aus den untenstehenden Grafiken ersichtlich ist.
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(MOI - Musings on Iraq (12.2018):
http://musingsoniraq.blogspot.com/2018/12/large-drop-in-violence-in-iraq-november.html, Zugriff 04.12.2018)
Im November 2018 wurde die geringste Anzahl ziviler Opfer im Irak seit sechs Jahren verzeichnet (UNAMI 3.12.2018).
3.3. Sicherheitslage Süden
Der gesamte südliche Teil des Irak, einschließlich der Provinz Babil, steht nominell unter der Kontrolle der irakischen Regierung. Vielerorts scheinen die Regi