TE Bvwg Erkenntnis 2019/1/15 L521 2147872-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.01.2019
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

15.01.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1 Z2
AsylG 2005 §58 Abs3
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
EMRK Art.2
EMRK Art.3
EMRK Art.8
FPG §46
FPG §50 Abs1
FPG §50 Abs2
FPG §50 Abs3
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

L521 2147872/25E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter MMag. Mathias Kopf, LL.M. über die Beschwerde des XXXX alias XXXX , geb. XXXX alias XXXX , Staatsangehörigkeit Irak, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH als Mitglieder der ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, 1170 Wien, Wattgasse 48, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.01.2017, Zl. 1093004210-151664171, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 10.10.2017 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer stellte im Gefolge seiner schlepperunterstützten unrechtmäßigen Einreise in das Bundesgebiet am 31.10.2015 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen der niederschriftlichen Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes des Polizeianhaltezentrums Wels am 01.11.2015 gab der Beschwerdeführer an, den Namen XXXX zu führen und Staatsangehöriger des Irak zu sein. Er sei XXXX in Kirkuk geboren und habe dort zuletzt gelebt. Er sei Angehöriger der kurdischen Volksgruppe, Moslem, im Irak zuletzt als Dachdecker tätig gewesen und ledig.

Im Hinblick auf seinen Reiseweg brachte der Beschwerdeführer zusammengefasst vor, den Irak Anfang Oktober 2015 legal von Kirkuk ausgehend per Flugzeug in die Türkei verlassen zu haben. In der Folge sei er schlepperunterstützt auf einem Schlauchboot nach Griechenland gereist und auf dem Landweg teilweise im Bus und teilweise im Fußweg über Mazedonien, Serbien, Kroatien und Slowenien nach Österreich verbracht worden.

Zu den Gründen seiner Ausreise aus dem Heimatland befragt, führte der Beschwerdeführer aus, seine Stadt sei von den Milizen des Islamischen Staates erobert worden. Deshalb sei er geflohen. Der Rest seiner Familie sei noch in Kirkuk. Die anderen Familienmitglieder hätten auch flüchten wollen, aber noch keine Möglichkeit hiezu gefunden. Bei einer Rückkehr fürchte er von den Anhängern des Islamischen Staates getötet zu werden.

2. Nach Zulassung des Verfahrens wurde der Beschwerdeführer am 19.01.2017 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich Außenstelle Wiener Neustadt, im Beisein einer geeigneten Dolmetscherin sowie einer Vertrauensperson des Beschwerdeführers in arabischer Sprache niederschriftlich einvernommen.

Zur Person und den Lebensumständen befragt gab der Beschwerdeführer an, den Namen XXXX zu führen. Er sei XXXX in Kirkuk geboren, Angehöriger der kurdischen Volksgruppe und des Stammes der XXXX , sunnitischen Glaubens und ledig. Er habe vor seiner Ausreise gemeinsam mit seinen Eltern, drei Brüdern und einer Schwester in Kirkuk in einem gemeinsamen Haushalt gelebt. Er habe sechs Jahre die Grundschule und drei Jahre ein Gymnasium besucht. In der Folge habe er drei Jahre das Produzieren und Montieren von Gipswänden und Zwischendecken erlernt und sei anschließend vier Jahre in diesem Bereich selbständig mit zwei Mitarbeitern tätig gewesen. Seine Eltern, drei Brüder und vier Schwestern befänden sich noch im Irak. Ein Bruder sei in Italien aufhältig und verfüge dort über einen Aufenthaltstitel.

Zu den Gründen für das Verlassen seines Heimatstaates befragt, gab der Beschwerdeführer an, die Lage im Irak sei nicht gut. Kinder, Frauen und Familien seien reihenweise vor ihnen vergewaltigt oder getötet worden. Wenn man dort bleibe, werde man zum Opfer. Einer seiner Brüder sei Polizist, weshalb seine Familie Drohungen erhalten habe. Sein Bruder sei vor zwei Tagen am Bein angeschossen worden. Seine Familie habe diesen aufgefordert, die Arbeit aufzugeben, aber dies wolle er nicht. Er selbst hätte die täglichen Drohungen nicht mehr ausgehalten. Wenn man sich dem Islamischen Staat nicht anschließe, dann werde man selbst getötet. Es werde einem ein Messer oder eine Waffe in die Hand gedrückt und dann verlangt, dass man den Nachbarn töte. In der Nähe des Bezirks von XXXX gebe es eine Polizeiinspektion, die der Islamische Staat gestürmt und zu einem seiner Stützpunkte gemacht habe. Von dort würden Bomben und Raketen auf Personen geworfen werden. Dann sehe man Kinder, Frauen und Familien sterben. Man könne das Haus nicht mehr verlassen, um zu arbeiten oder zu lernen. Es gebe keine Möglichkeit für ein normales Leben. Man lebe permanent in Angst. Es gebe in der Nähe einen Markt, an dem Menschen freitags und samstags einkaufen gehen, wo permanent Bomben fallen und die Menschen einfach sterben würden. Früher sei dieses Gebiet hauptsächlich kurdisch gewesen, jetzt seien dort Araber, Türken, Schiiten und Sunniten, die sich bekämpfen würden. Wenn man nicht bereit sei zu töten, dann werde man selber umgebracht.

Nachgefragt zu Details gab der Beschwerdeführer unter anderem an, dass er im Fall einer etwaigen Rückkehr sicher getötet werden würde. Derzeit hätten im Wesentlichen die Milizen des Islamischen Staates, aber auch die schiitischen Miliz Hashed al-Shaabi die Kontrolle über Kirkuk. Diese würden einfach in die Wohnungen stürmen, einem die Waffe in die Hand drücken und wenn man nicht mitmache, werde man sofort umgebracht. Er habe sich nicht in Erbil niedergelassen, weil man für die Stadt einen Aufenthaltstitel und einen Bürgen benötige. Zudem werde man gezwungen, sich den Peschmerga anzuschließen. Es gebe eine Tunnelführung zu Erbil und Sulaimaniyya, aber man benötige eine Aufenthaltsgenehmigung. Er habe sich um keine Aufenthaltsgenehmigung für Erbil bemüht. Dort sei man auch am Ende. In zwei bis drei Wochen sei der Islamische Staat auch dort. Die Nachbarn hätten auch Drohbriefe erhalten. Die Polizei habe ihnen Personenschutz zur Verfügung stellen wollen. Auf die Polizeistation sei aber auch geschossen. Sein Bruder sei Oberst und wolle dieser seinen Polizeidienst nicht quittieren. Das Drohschreiben habe er einen Tag vor seiner Ausreise aus dem Irak erhalten. Sie hätten die Drohungen erhalten und seien gleich darauf gegangen. Nicht nur seine Familie, auch die Nachbarn hätten Briefe erhalten. Man habe Männer in ihrem Alter rekrutieren wollen. Sein Vater habe den Brief gefunden und seien sie dann zur Polizei gegangen. Auch Freunde seines Vaters hätten sich wegen des Erhalts von Drohbriefen zur Polizei begeben. Bereits etwa eine Woche vor dem Erhalt dieses Drohbriefs sei er mündlich vom Islamischen Staat bedroht bzw. angesprochen worden. Es seien einmal drei schwarze Fahrzeuge vorbeigefahren als er am Abend in einer Gruppe mit Freunden im Freien in einer Wiese in der Nähe des Hauses der Familie gesessen sei. Die Personen seien aus den Fahrzeugen ausgestiegen, man habe sie bedroht und nach der Ablehnung einer Aufforderung, sich ihnen anzuschließen, einige Schüsse in die Luft abgegeben. Dann seien diese Personen weitergefahren.

Anschließend wurden dem Beschwerdeführer mehrere Fragen zu seinem Bruder XXXX , speziell zu dessen Aufenthaltsort, gestellt.

Das Drohschreiben sei von seinem Vater und dessen Freunden, die ebenfalls Drohbriefe erhalten hätten, zur Polizei gebracht worden. Er sei nicht dabei gewesen, da dies aufgrund der Anwesenheit seines Vaters - als Familienoberhaupt - nicht erforderlich gewesen sei. Sein Bruder sei gestern oder vorgestern angeschossen worden. Der Täter sei nicht bekannt. Sein Bruder sei operiert worden und befinde sich im Krankenhaus. Er stehe nicht so häufig mit seinen Verwandten im Irak in Kontakt. Er hätte alles im Irak zurückgelassen. Sein Vater habe ihn über die Verletzung seines Bruders informiert.

Im Rahmen der Einvernahme brachte der Beschwerdeführer einen irakischen Personalausweis in Kopie, einen irakischen Staatsbürgerschaftsnachweis in Kopie und einen irakischen Führerschein im Original sowie mehrere Schriftstücke bezüglich einer Drohung in Kopie in Vorlage. Zudem teilte der Beschwerdeführer in einem mit 15.04.2016 datierten Schreiben mit, dass er nicht am XXXX , sondern am XXXX geboren worden sei. Insoweit ersuchte er um Berichtigung und Ausstellung einer neuen Aufenthaltsberechtigungskarte.

Die vorgelegten Schriftstücke bezüglich einer Drohung wurden seitens der belangten Behörde im Zuge der Einvernahme seitens der anwesenden Dolmetscherin einer Übersetzung zugeführt.

3. Am 20.01.2017 wurde die Identität des Beschwerdeführers bezüglich seines Geburtsdatums seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl von XXXX auf XXXX geändert.

4. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.01.2017 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG 2005 erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG 2005 unter einem festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak gemäß § 46 FPG 2005 zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 2005 wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

Begründend führte die belangte Behörde nach der Wiedergabe der Einvernahme des Beschwerdeführers und den Feststellungen zu dessen Person aus, die vom Beschwerdeführer dargelegten Ausreisegründe - eine verbale und schriftliche Bedrohung durch den Islamischen Staat - hätten nicht glaubhaft festgestellt werden können. Es liege im gegenständlichen Fall keine Gefährdungslage in Bezug auf den Irak vor. Zudem sei es dem Beschwerdeführer möglich, in die von Kurden kontrollierten Gebiete im Irak zurückzukehren.

Beweiswürdigend erwog die belangte Behörde im Wesentlichen, es fänden sich in den Aussagen einerseits bereits mehrere Ungereimtheiten zur Identität des Beschwerdeführers und habe sich der Beschwerdeführer andererseits im Gefolge der Einvernahme in zahlreiche Widersprüche zum Ausreisevorbringen verwickelt.

In rechtlicher Hinsicht folgerte die belangte Behörde, der Beschwerdeführer habe keine Verfolgung im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention zu gewärtigen, sodass kein internationaler Schutz zu gewähren sei. Dem Beschwerdeführer sei der Status eines subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen, da er seine existenziellen Grundbedürfnisse so wie bisher aus eigener Kraft durch selbständige Arbeit sichern könne, er im Irak über genügend Anknüpfungspunkte verfüge und keine reale Gefahr einer Verletzung in elementaren Rechte sowie keine Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts drohe. Dem Beschwerdeführer sei schließlich kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 zu erteilen.

5. Mit Verfahrensanordnung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.01.2017 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Absatz 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt.

6. Gegen den dem Beschwerdeführer am 01.02.2017 eigenhändig zugestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl richtet sich die im Wege der bevollmächtigten Rechtsberatung fristgerecht mit Schriftsatz vom 13.02.2017 eingebrachte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

In dieser wird inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids sowie Verletzung von Verfahrensvorschriften moniert und beantragt, eine mündliche Verhandlung anzuberaumen, falls nicht alle zu Lasten des Beschwerdeführers gehenden Rechtswidrigkeiten im angefochtenen Bescheid in der Beschwerde geltend gemacht worden seien, diese amtswegig aufzugreifen, den angefochtenen Bescheid - allenfalls nach Verfahrensergänzung - zu beheben und dem Beschwerdeführer den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, in eventu den angefochtenen Bescheid - allenfalls nach Verfahrensergänzung - bezüglich des Spruchpunktes II. zu beheben und dem Beschwerdeführer den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen sowie festzustellen, dass die erlassene Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei und dass die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung gemäß § 55 AsylG vorliegen und dem Beschwerdeführer daher eine Aufenthaltsberechtigung von Amts wegen zu erteilen sei und in eventu den angefochtenen Bescheid ersatzlos zu beheben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

In der Sache bringt der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, dass sich das belangte Bundesamt auf nicht hinreichend aktuelle und hinsichtlich des Vorbringens des Beschwerdeführers einschlägige Länderberichte gestützt habe. Die in der Beschwerde zitierten Länderberichte belegten die volatile Sicherheitslage im Irak und speziell die Aktivitäten der Milizen des Islamischen Staates in der Region Kirkuk. In der United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR) Position on Returns to Iraq vom 14.11.2016 halte der Hochkommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge zudem fest, dass unter den aktuellen Umständen keine Personen in den Irak abgeschoben werden sollten.

Des Weiteren wird moniert, dass die belangte Behörde keine ausreichenden Ermittlungen zur Identität des Beschwerdeführers geführt habe.

Zur Beweiswürdigung wird dargelegt, dass die Feststellung bezüglich einer fehlenden individuellen Verfolgungssituation auf einer unschlüssigen Beweiswürdigung und einer mangelhaften Sachverhaltsermittlung basiere und § 60 AVG verletze.

Insoweit dem Beschwerdeführer vorgeworfen wird, dass er sich bei seinen Angaben zu seinem Geburtsdatum in Widersprüche verwickelt habe, sei hiezu klarzustellen, dass der Beschwerdeführer selbst mehrmals angegeben habe, Probleme mit Zahlen zu haben. Im Rahmen der Erstbefragung sei das Geburtsdatum scheinbar falsch umgerechnet worden, was zu dem ursprünglich falschen Geburtsjahr XXXX geführt habe. Im Rahmen einer schriftlichen Korrektur habe der Beschwerdeführer versucht, das Jahr auf XXXX korrigieren zu lassen, ohne jedoch den genauen Tag oder das Monat seiner Geburt zu kennen. Erst aufgrund der ihm zugeschickten Dokumente habe er das Geburtsdatum endgültig berichtigen können. Auch die vermeintlichen Widersprüche rund um den Namen des Beschwerdeführers hätten sich bei Nachfrage leicht auflösen lassen. So hätte der Beschwerdeführer angeben können, mit dem europäischen Konzept des Nachnamens vor Ankunft in Österreich nicht vertraut gewesen zu sein. Deshalb habe er auf Befragung erst den Namen eines großen Stammes - XXXX - angegeben. Der Beschwerdeführer habe zur Bezeugung seiner Identität drei unabhängige Dokumente vorgelegt, weshalb der Vorhalt der belangten Behörde nicht nachvollziehbar sei, dass der Beschwerdeführer versucht haben soll, seine Identität zu verschleiern.

Was den vermeintlichen Widerspruch betrifft, wonach der Beschwerdeführer angegeben haben soll, am 13.10.2015 in Österreich angekommen zu sein, während der vorgelegte Drohbrief erst am 13.10.2015 von der Polizei in Kirkuk gestempelt worden sei, so ist hiezu festzuhalten, dass der Beschwerdeführer bei seiner Ankunft in Österreich den 13. Oktober nicht als Datum angeben habe wollen, sondern erklärt habe, in etwa dreizehn Tage für seine Reise aus dem Irak nach Österreich benötigt zu haben. Der Beschwerdeführer habe klar ausgeführt, dass er sich nicht genau erinnern könne, wann er den Irak verlassen habe und dass er starke Probleme mit Zahlen hätte. Daher sei es nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer kein genaues Datum der Einreise nennen habe wollen. Wenn vom 13.10.2015 - dem Tag an dem die Behörden in Kirkuk den Drohbrief gestempelt hätten - dreizehn Tage hinzugerechnet werden würden, welche der Beschwerdeführer auf der Flucht verbracht habe, so wäre er im späten Oktober 2015 in Österreich angekommen, was für eine Antragstellung am 01. November spreche. Aufgrund seiner Probleme, sich Daten zu merken und der extremen Stresssituation in der sich der Beschwerdeführer während seiner Flucht befunden habe, sei es ihm nicht möglich gewesen, exakte Angaben zum Moment seiner Flucht zu machen.

Zum Vorhalt der belangten Behörde, dass Schreiben nach Art des Drohbriefes gegen Entgelt zu erwerben seien und daher als reine Auftragsschreiben zu qualifizieren seien, wird entgegnet, dass lediglich aufgrund der Tatsache, dass es Korruption in einem Land gebe, nicht grundsätzlich davon ausgegangen werden könne, dass jeder Hoheitsakt auf Korruption beruhe.

Der Widerspruch zum Ort der Auffindung des Drohbriefes - Haus oder Vorgarten - lasse sich damit erklären, dass der Beschwerdeführer den Fundort später präzisiert habe. Der Vorgarten sei für den Beschwerdeführer ein Teil des Hauses, weshalb in der Auffassung des Beschwerdeführers, welche intersubjektiv durchaus nachvollziehbar sei, kein Widerspruch in den Aussagen bestehe.

Auch bei den Angaben zur Anzeige, welche der Vater des Beschwerdeführers im Namen des Beschwerdeführers und im Namen seiner Brüder eingebracht habe, glaube die belangte Behörde Widersprüche zu erkennen. So habe der Beschwerdeführer einmal angegeben, dass "wir" (Vater und Beschwerdeführer) zur Polizei gegangen seien. Später habe der Beschwerdeführer zu Protokoll gegeben, dass sein Vater "den Drohbrief zur Polizei brachte". Hiebei handle es sich keineswegs um einen Widerspruch. Der Beschwerdeführer sei gemeinsam mit dem Vater, seinen Brüdern und Nachbarn zur Polizei gefahren. Allerdings sei die Anzeige - wie im Irak üblich - lediglich von den Familienältesten aufgegeben worden. Die Behörde halte dem Beschwerdeführer zudem vor, dass wenn der Vater die Anzeige wirklich aufgegeben hätte, sein Name auf der Anzeige erkennbar wäre. Hiezu sei anzumerken, dass sich auf der Anzeige lediglich die Namen des Beschwerdeführers sowie die seiner Brüder befänden, da der Vater als deren Vertreter - und nicht im eigenen Namen - gehandelt habe. Es sei auch nicht als "naheliegend" anzusehen, dass der Bruder des Beschwerdeführers als Polizist, die Anzeige gemacht hätte, sondern entspreche es der irakischen Gesellschaftsordnung, dass solche vom Familienoberhaupt behandelt werden würden.

Als "wesentlichen Antagonismus" bezeichne die belangte Behörde den Umstand, wonach der Beschwerdeführer angegeben habe, mit Freunden gegenüber seinem Haus auf einer Wiese gesessen und den Abend genossen zu haben. Es erscheine nur allzu glaubhaft, dass junge Menschen, in Anbetracht der extremen Gewalt, die den Irak seit Jahrzehnten präge, versuchen, sich ein normalisierendes Sozialleben zu schaffen. Gleichermaßen lasse sich auch die Tatsache erklären, weshalb der Beschwerdeführer erst auf Nachfrage ausgeführt habe, dass er und Freunde von Daesh-Kämpfern angesprochen worden wären. Die prägende extreme Gewaltlage im Irak führe zu einer derart hohen Resilienz, dass Bedrohungen in der Straße oder Schüsse für den Beschwerdeführer zum Alltagsleben gehören würden. Der fluchtauslösende Moment sei erst der Erhalt des Drohbriefs gewesen.

Des Weiteren seien auch die Angaben des Beschwerdeführers zum Bruder durchwegs stimmig gewesen und seien lediglich falsch ausgelegt worden. Den Daesh-Kämpfern seien die Mitglieder der Familien bekannt, weshalb der Drohbrief an alle ledigen Männer im wehrfähigen Alter ergangen sei. Dadurch lasse sich die Tatsache erklären, dass der 13-jährige XXXX , sowie der volljährige aber verheiratete XXXX , welcher nicht mehr an der Adresse lebe, nicht auf dem Drohbrief angeführt worden seien. Weshalb der Bruder XXXX wieder in den Irak zurückgekehrt sei, sei dem Beschwerdeführer nicht bekannt, weshalb er nicht über die Gründe mutmaßen wollte. Jedenfalls sei dieser rund ein Jahr vor der niederschriftlichen Einvernahme in den Irak zurückgekehrt und somit im Moment des Erhalts der Drohbriefe nicht im Irak aufhältig gewesen. Dennoch sei er aufgrund der Tatsache, dass er trotzdem ein lediger Mann im wehrfähigen Alter sei auf dem Drohbrief angeführt worden.

Schließlich könne dem Beschwerdeführer nicht angelastet werden, dass sich der Bruder des Beschwerdeführers zur Rückkehr in den Irak entschlossen habe. Dies lasse sich lediglich aufgrund der persönlichen Beweggründe des Bruders nachvollziehen, zu welchen der Beschwerdeführer keine Angaben machen könne. Auch die Tatsache, dass die Familie des Beschwerdeführers den Irak verlassen wolle, widerspreche nicht dem Wollen des Bruders XXXX weiterhin als Polizist tätig zu sein. Dieser wolle aktiv gegen Daesh kämpfen. Für den Rest der Familie seien die Bedrohungen aber derart gefährlich geworden, dass er sich zur Flucht gezwungen sehe. Dem Beschwerdeführer sei als junger Mann die Flucht gelungen, während eine solche Flucht für die Familie bis dato nicht möglich gewesen sei.

Im Rahmen rechtlicher Ausführungen wird ferner dargelegt, dass der Beschwerdeführer aufgrund der Tätigkeit seines Bruders bei der irakischen Polizei bereits aufgrund des bestehenden Verwandtschaftsverhältnisses zu diesem verfolgt werde. Des Weiteren werde er aufgrund seiner unterstellten politischen und religiösen Gesinnung verfolgt. Dem Beschwerdeführer stehe keine innerstaatliche Fluchtalternative offen.

Zur allfälligen Gewährung subsidiären Schutzes wird angemerkt, dass dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt werden hätte müssen, wenn die belangte Behörde ihre Ermittlungspflicht in angemessener Weise wahrgenommen und den vorliegenden Sachverhalt rechtlich richtig beurteilt hätte.

Was das Privat- und Familienleben in Österreich betrifft, so hätte die belangte Behörde erkennen müssen, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer auf Dauer unzulässig sei und ihm eine Aufenthaltsberechtigung gemäß § 55 Absatz 2 AsylG von Amts wegen zu erteilen gehabt.

7. Die Beschwerdevorlage langte am 17.02.2017 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Die Rechtssache wurde in weiterer Folge der nun zur Entscheidung berufenen Abteilung des Bundesverwaltungsgerichts zugewiesen.

8. Laut Mitteilung der Staatsanwaltschaft Korneuburg vom 22.06.2017 wurde ein Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer wegen des Vergehens des Raufhandels nach § 91 StGB eingestellt.

9. Die seitens des Beschwerdeführers im Zuge der Einvernahme vor der belangten Behörde vorgelegten Schriftstücke bezüglich einer Drohung wurden vom Bundesverwaltungsgericht erneut einer Übersetzung zugeführt.

10. Am 10.10.2017 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung im Beisein des Beschwerdeführers und der bevollmächtigten Rechtsberatung sowie eines Dolmetschers für die Sprache Kurdisch Sorani durchgeführt. Im Verlauf dieser Verhandlung wurde dem Beschwerdeführer einerseits Gelegenheit gegeben, neuerlich seine Ausreisemotivation umfassend darzulegen sowie die aktuelle Lageentwicklung im Irak anhand aktueller Länderdokumentationsunterlagen erörtert, welche dem Beschwerdeführer ausgefolgt und eine Stellungnahme hiezu freigestellt wurde.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist der mündlichen Verhandlung unentschuldigt ferngeblieben, wobei bereits im Zuge der Beschwerdevorlage mitgeteilt wurde, auf eine Teilnahme an einer mündlichen Verhandlung zu verzichten.

11. Mit Schriftsatz vom 24.10.2017 übermittelte der Beschwerdeführer im Wege der bevollmächtigten Rechtsberatung eine Stellungnahme zu den ihm ausgefolgten Länderdokumentationsunterlagen. Hiebei wird zunächst angemerkt, dass die im Zuge der mündlichen Verhandlung ausgefolgten Länderdokumentationsunterlagen die aktuellsten Entwicklungen nach dem Unabhängigkeitsreferendum vom 25.09.2017 noch nicht beinhalten würden. In der Folge werden auszugsweise mehrere Länder- bzw. Medienberichte zitiert, wonach die irakische Regierung das Ergebnis des Referendums nicht anerkenne und sich als legitime Macht in Kirkuk ansehe. Beim militärischen Vorstoß auf die Stadt Kirkuk sei es zu Auseinandersetzungen zwischen den schiitischen Volksmobilisierungstruppen, der irakischen Armee und verschiedenen kurdischen Peschmergaeinheiten gekommen, welche keiner klaren Führung, sondern teils der Patriotischen Union Kurdistans und teils der Demokratischen Partei Kurdistans unterstünden. Der aktuelle Konflikt bedeute auch einen Tiefpunkt in den innerkurdischen Beziehungen zwischen der Patriotischen Union Kurdistans, welche zumindest teilweise mit den irakischen Sicherheitskräften kooperiere, und der Demokratischen Partei Kurdistans. Letztere, als Partei des kurdischen Präsidenten, habe sich nach einem Vorstoß der irakischen Armee am Freitag dem 20.10.2017 zumindest vorübergehend komplett aus Kirkuk zurückgezogen. Der Pressesprecher des irakischen Premierministers habe angegeben, dass der Plan in der kompletten Wiederherstellung der zentralen Gewalt über die Region Kirkuk liege. In Anbetracht der aktuell höchst volatilen Situation in Kirkuk scheine die Unversehrtheit der (kurdischen) Zivilbevölkerung infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen Konflikts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit gefährdet.

Am 06.11.2017 langte beim Bundesverwaltungsgericht eine ergänzende Stellungnahme ein. Demnach sein laut einem in der Stellungnahme namentlich genannten Irak-Experten und Lektor an der Universität Wien eine Rückkehr eines jungen Kurden nach Kirkuk zumindest derzeit nicht zumutbar und die weitere Situation in der Region nicht einschätzbar.

12. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 20.11.2017 wurde dem Beschwerdeführer mitgeteilt, dass das Bundesverwaltungsgericht in Anbetracht der jüngsten Ereignisse im Gouvernement Kirkuk und mehrerer gleichgelagerter anhängiger Rechtssachen beabsichtige, Ermittlungen im Wege der Staatendokumentation zur derzeitigen Lage im Gouvernement Kirkuk zu veranlassen. Ferner erging in diesem Zusammenhang an den Beschwerdeführer die Einladung, innerhalb einer zweiwöchigen Frist dem Bundesverwaltungsgericht allfällige weitere Rückkehrbefürchtungen mitzuteilen, die aus der Lageveränderung im Gouvernement Kirkuk allenfalls resultieren. Eine Reaktion des Beschwerdeführers ist nicht aktenkundig.

13. Am 13.08.2018 langte beim Bundesverwaltungsgericht die am 12.12.2017 beauftragte Anfragebeantwortung der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl zur derzeitigen Lage im Gouvernement Kirkuk ein.

14. Das Bundesverwaltungsgericht übermittelte dem Beschwerdeführer mit Note vom 17.08.2018 zunächst aktuelle länderkundlichen Informationen bezüglich der allgemeinen Situation im Irak und der Autonomen Region Kurdistan zur Stellungnahme.

15. Mit Schreiben vom 31.08.2018 langte die diesbezügliche Stellungnahme des Beschwerdeführers beim Bundesverwaltungsgericht ein, wobei auszugsweise die vom Bundesverwaltungsgericht ausgefolgten Länderfeststellungen und ein weiterer vom Beschwerdeführer angeführter Länderbericht zitiert werde. Im Wesentlichen wird hiebei vorgebracht, dass die irakische Regierung am 18.10.2017 ihr Ziel, die staatliche Oberhoheit in den von den Kurden besetzten Gebieten wiederherzustellen "und die Autonomie Kurdistan-Iraks auf ihr verfassungsgemäßes Normalmaß zurückzustutzen" erreicht habe. Große Territorien seien beim Abzug der kurdischen Truppen an die schiitischen Volksmobilisierungseinheiten gefallen. Kirkuk könne daher nicht zur Kurdischen Autonomie Region gezählt werden, befinde sich die Region doch mittlerweile wieder unter der Kontrolle der irakischen Zentralregierung bzw. der schiitischen Volksmobilisierungseinheit. Des Weiteren wird auf die angespannte Sicherheitssituation in der Region Kirkuk und das Fehlen einer innerstaatlichen Fluchtalternative hingewiesen.

16. Am 23.11.2018 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer weitere aktuelle länderkundlichen Informationen zur Lage im Irak zur Stellungnahme. Am 06.12.2018 langte die diesbezügliche Stellungnahme des Beschwerdeführers sowie ein Zeugnis über die Ablegung einer Prüfung über Kenntnisse der deutschen Sprache auf dem Niveau A1 am 14.06.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Darüber hinaus brachte der Beschwerdeführer erstmals vor, in einer "Partnerschaft mit seiner Lebensgefährtin" zu leben und bald heiraten zu wollen. Sein Vater sei am 10.11.2017 im Irak eines natürlichen Todes verstorben.

17. Mit Note des Bundesverwaltungsgerichtes vom 18.12.2018 wurden dem Beschwerdeführer schließlich die (zuvor irrtümlich nicht zu Gehör gebrachten) Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.08.2018 zur derzeitigen Lage im Gouvernement Kirkuk zur Stellungnahme übermittelt. Ferner wurde dem Beschwerdeführer aufgetragen, gegenüber dem Bundesverwaltungsgericht die Identität seiner Lebensgefährtin offenzulegen und vorzubringen, wie lange die Lebensgemeinschaft bereits bestehe sowie ob ein gemeinsamer Haushalt besteht. Ein weiteres Vorbringen zu seinem Privat- und Familienleben im Bundesgebiet wurde ihm freigestellt.

Der Beschwerdeführer reagierte auf die Aufforderung nicht und brachte auch keine Stellungnahme zu den ihm vorgehaltenen Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen ein.

18. Das Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl brachte dem Bundesverwaltungsgericht am 11.01.2019 die Verständigung des Stadtpolizeikommandos St. Pölten vom 07.01.2019 zur Kenntnis, wonach der Beschwerdeführer verdächtigt werde, eine Person weiblichen Geschlechts an ihren Geschlechtsteilen ohne Zustimmung wiederrechtlich berührt zu haben und deshalb Anzeige bei der Staatsanwaltschaft St. Pölten erstattet worden sei.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und ist Staatsangehöriger des Irak. Er wurde am XXXX in Kirkuk geboren und lebte dort zuletzt in der Stadt Kirkuk gemeinsam mit seinen Eltern und mehreren Geschwistern in einem Haus im Eigentum der Familie. Der Beschwerdeführer ist Angehöriger des kurdischen Stammes der XXXX , bekennt sich zum Islam der sunnitischen Glaubensrichtung, er ist ledig und hat keine Kinder. Der Beschwerdeführer beherrscht die Sprachen Kurdisch und Arabisch.

Der Beschwerdeführer besuchte im Irak sechs Jahre die Grundschule und drei Jahre ein Gymnasium. Im Anschluss erlernte der Beschwerdeführer den Beruf des Dekorateurs und arbeitete - zum Teil auch als selbständiger Unternehmer - in diesem Bereich.

Seine Mutter und mehrere Geschwister wohnen weiterhin an der letzten gemeinsamen Wohnadresse des Beschwerdeführers in Kirkuk, sein Vater verstarb am 10.11.2017 im Irak eines natürlichen Todes. Seine drei verheirateten Schwestern sind in einen Nachbarbezirk verzogen. Ein Bruder des Beschwerdeführers kam bei einem Motorradunfall ums Leben. Seine Eltern gehen keiner Beschäftigung mehr nach, sondern befinden sich im Ruhestand. Der Beschwerdeführer steht mit seiner Familie und Freunden in Kontakt.

Anfang Oktober 2015 verließ der Beschwerdeführer den Irak legal von Kirkuk ausgehend im Luftweg in die Türkei und reiste in weiterer Folge schlepperunterstützt nach Österreich, wo er am 01.11.2015 den verfahrensgegenständlichen Asylantrag stellte.

1.2. Der Beschwerdeführer gehört keiner politischen Partei oder politisch aktiven Gruppierung an und hatte in seinem Herkunftsstaat keine Schwierigkeiten aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit oder seines Religionsbekenntnisses zu gewärtigen.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise in seinem Herkunftsstaat aufgrund der Tätigkeit eines Bruders als Polizist oder bei Rekrutierungsversuchen von Kämpfern und/ oder Anhängern des Islamischen Staates, etwa in Form eines Drohbriefs, bedroht oder angegriffen wurde oder dieser anderweitige Übergriffe oder eine konkrete Bedrohung seitens der Milizen des Islamischen Staates zu gewärtigen hatte.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise aus seinem Herkunftsstaat einer sonstigen individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt in seinem Herkunftsstaat durch staatliche Organe oder durch Dritte ausgesetzt war oder er im Falle einer Rückkehr dorthin einer solchen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wäre. Insbesondere ist der Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr in seine Herkunftsregion nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit psychischer und/ oder physischer Gewalt seitens verbliebener Anhänger des Islamischen Staates und/ oder schiitischer Milizen ausgesetzt.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat von Strafverfolgungsbehörden mit Haftbefehl gesucht wird bzw. ihm im Fall einer Rückkehr in den Irak Strafverfolgung drohen würde. Ferner wird dem Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr in seine Herkunftsregion nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Anhängerschaft bzw. Unterstützung des Islamischen Staates oder ein sonstiges Naheverhältnis zum Islamischen Staat vor der Ausreise unterstellt werden.

1.3. Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat die Todesstrafe droht. Ebenso kann keine anderweitige individuelle Gefährdung des Beschwerdeführers festgestellt werden, insbesondere im Hinblick auf eine drohende unmenschliche Behandlung, Folter oder Strafe sowie kriegerische Ereignisse oder extremistische Anschläge im Irak.

Der Beschwerdeführer ist ein gesunder, arbeitsfähiger Mensch mit mehrjähriger Schulbildung sowie Berufserfahrung als Dekorateur und Trockenbauer.

Der Beschwerdeführer leidet weder an einer schweren körperlichen noch an einer schweren psychischen Erkrankung.

Der Beschwerdeführer verfügt über eine - wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich - gesicherten Existenzgrundlage in seinem Herkunftsstaat und über bestehende familiäre Anknüpfungspunkte in der Stadt Kirkuk. Dem Beschwerdeführer ist ferner die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zu Sicherstellung des eigenen Auskommens möglich und zumutbar.

Der Beschwerdeführer verfügt über ein irakisches Ausweisdokument im Original (Führerschein).

1.4. Der Beschwerdeführer hält sich seit Ende Oktober/ Anfang November 2015 in Österreich auf. Er reiste rechtswidrig in Österreich ein, ist seither Asylwerber und verfügt über keinen anderen Aufenthaltstitel. Der Beschwerdeführer ist für keine Person im Bundesgebiet sorgepflichtig.

Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten. Er ist verdächtig, in St. Pölten eine Person weiblichen Geschlechts an ihren Geschlechtsteilen ohne Zustimmung wiederrechtlich berührt zu haben und wurde deshalb vom Stadtpolizeikommandos St. Pölten bei der Staatsanwaltschaft im Januar 2019 angezeigt. Eine Anklage wurde bis dato nicht erhoben.

Der Beschwerdeführer bezieht seit der Antragstellung bis dato Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber und bewohnte eine Unterkunft für Asylwerber in Schwechat. Seit dem 27.10.2017 ist er in einer Unterkunft für Asylwerber in der Gemeinde XXXX untergebracht.

Der Beschwerdeführer ist nicht legal erwerbstätig, verrichtete jedoch gemeinnützige Tätigkeiten in der Flüchtlingsunterkunft, wo er unter anderem als Dolmetscher fungiert(e). Eine konkrete Erwerbstätigkeit am regulären Arbeitsmarkt hat der Beschwerdeführer nicht in Aussicht.

Der Beschwerdeführer hat in Österreich keine Verwandten und pflegt im Übrigen normale soziale Kontakte. Er bringt in seiner Eingabe vom 06.12.2018 vor, eine Lebensgemeinschaft mit einer Person weiblichen Geschlecht zu unterhalten und mit dieser die Ehe eingehen zu wollen. Nähere Feststellungen dazu können nicht getroffen werden.

Der Beschwerdeführer betreibt Sport und ist Mitglied in einem Verein für Sport und Fitness.

Der Beschwerdeführer erhält einmal pro Woche eine Stunde Deutschunterricht. Er hat am 14.06.2018 die Prüfung auf dem Niveau A1 absolviert und verfügt über grundlegende Kenntnisse der deutschen Sprache.

Der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet ist nicht zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig. Der Beschwerdeführer wurde nicht Opfer von Gewalt im Sinn der §§ 382b oder 382e EO.

1.5. Zur aktuellen Lage im Irak werden folgende Feststellungen getroffen, die gekürzt angeführten Quellen wurden dem Beschwerdeführer gegenüber offengelegt:

1. Aktuelle Ereignisse

27.06.2018: Papst Franziskus kreierte Patriarch Mar Louis I Sako, Oberhaupt der Chaldäisch Katholischen Kirche, als Kardinal. Ägypten betonte, dass es sich weiter am Wiederaufbau und an der Stabilisierung des Irak beteiligen wird. Muqtada al-Sadr gab bekannt, dass er alle Operationen seiner Miliz Saraya al-Salam in Basra einstellen lassen wird, nachdem es Zwischenfälle mit den örtlichen Kräften gegeben hatte.

01.07.2018: Die nationale irakische Ölgesellschaft kündigte an, dass sie mit Zustimmung der OPEC eine schwimmende Ölspeicherplattform bauen wird um ihre Kapazität auf sechs Millionen Barrel zu erhöhen.

02.07.2018: Die Sicherheitssituation an der irakisch-syrischen Grenze entspannt sich wegen der Militäroperationen gegen die konzentrierten IS-Zellen in der Region.

02.0.7./04.07.2018: Die Bundespolizei verlegte einige ihrer Truppen in die Provinz Kirkuk um die Sicherheit zu gewährleisten, da sich IS-Kämpfer im Süden formierten. Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF), die PMUs und die Peshmerga starteten eine gemeinsame Offensive in der Region.

10.07.2018: Gemäß einer Aussage von Premier Abadi habe sich die Sicherheitssituation in Mosul seit dem erklärten Sieg über den IS im Dezember 2017 massiv verbessert.

13.07.2018: Laut den Aussagen von PMU-Patrouillen bleibt die Sicherheitssituation in der Region westlich von Bayji wegen der IS-Zellen angespannt.

16.07./17.07.2018: Der irakische Elektrizitätsminister kündigte an, dass Teheran keine Elektrizität mehr in den Irak exportieren wird. Daraufhin reiste der irakische Minister für Planung nach Jeddah um die Energiekrise mit einer saudischen Delegation zu besprechen.

23.07.2018: Kuwait bot dem Irak mit der Sendung von mobilen Generatoren Hilfe an um seine Energiekrise zu lösen.

14.08.2018: Die Türkei und der Irak einigten sich auf ein Abkommen um einen neuen Grenzübergang nahe dem Grenzübergang Fish-Khabour zu eröffnen. Jordanien unterzeichnete mit dem Irak ein Sicherheitsabkommen um die Straße zwischen Amman und Bagdad und um die Grenze zu öffnen.

16.08./21.08.2018: Durch das Wiederinkrafttreten der Iransanktionen ist der damals amtierende Premierminister Abadi bemüht das Verhältnis zwischen den Vereinigten Staaten und dem Iran auszubalancieren. Dank einer intensiven wirtschaftlichen Kooperation reiste eine irakische Delegation nach Washington um Ausnahmen von den Sanktionen zu verhandeln.

19.08.2018: Die irakische Zentralregierung und die kurdische Regionalregierung einigten sich mittels eines Abkommens darauf gemeinsame Checkpoints an der Straße von Erbil nach Kirkuk einzurichten um die Straße öffnen zu können.

20.08.2018: Die Türkei und der Irak unterzeichneten ein Energieabkommen, in dem festgehalten wurde, dass die Türkei dem Irak Elektrizität liefern werde und bei der Entwicklung der lokalen Infrastruktur Unterstützung leisten wird.

20.10.2018/21.10.2018: Die irakischen Streitkräfte setzen ihre Militäroperationen gegen den IS fort. So töteten Sicherheitskräfte am 20.10.18 vier Extremisten in ihrem Versteck in Hit, drei Extremisten in Kirkuk und zwei Extremisten in der Provinz Diyala. Mindestens 23 Menschen wurden bei jüngsten sicherheitsrelevanten Vorfällen getötet. So kamen am 21.10.18 mindestens vier irakische Polizisten bei zwei Bombenexplosionen ums Leben, die von den Kämpfern des IS in den Regionen al-Shoura und Makhmour verübt wurden. Ebenfalls am 21.10.18 wurde eine turkmenische Familie von unbekannten bewaffneten Männern im Distrikt Hawija, rund 55 Kilometer südwestlich von Kirkuk, getötet. Auch in Jalawla, Provinz Diyala, töteten Unbekannte eine Familie.

25.11.2018: Am 25.11.18 verkündete das Gesundheitsministerium, dass bei starken Regenfällen mindestens 21 Menschen ums Leben gekommen und etwa 180 Personen verletzt worden seien. Laut der UN-Mission im Irak (UNAMI) sind in Salah ad-Din etwa 10.000 und in Ninewa etwa 15.000 Menschen in Folge der Fluten auf Unterstützung angewiesen. Am stärksten betroffen seien der Distrikt Shirqat (Provinz Salah ad-Din) und die Vertriebenenlager Qayyarah und Jedda (Provinz Ninewa). Flutschäden wurden auch in einigen südlichen Provinzen gemeldet. Häuser und Viehbestände seien hier zerstört sowie Brücken und Dörfer überschwemmt worden. UNAMI beteiligt sich an einer Notfallunterstützungsmission.

03.12.2018: Die Demokratische Partei Kurdistans (DPK) nominiert Nechviran Barzani als Präsidentschaftskandidaten für die autonome Region Kurdistan. Sein Nachfolger für das Amt des Ministerpräsidenten soll Masrur Barzani (Sohn des langjährigen Präsidenten Massud Barsani) werden.

04.12.2018: Laut Medienberichten unterbrachen Parlamentsabgeordnete am 04.12.18 eine Parlamentssitzung, die zu einer Regierungsbildung nach der Wahl im Mai 2018 führen sollte. Die Posten u.a. für das Innen- und Verteidigungsministerium bleiben unbesetzt. Dem Stillstand liegt eine Spaltung zwischen den zwei schiitischen Hauptblöcken von Moqtada Sadr und dem Milizenführer Hadi al-Amiri zugrunde.

07.12.2018: Massive Regenfälle haben in weiten Teilen des Landes zu Zerstörungen und Beschädigungen von Infrastruktur sowie Wohnhäusern geführt. Besonders betroffen sind intern Vertriebene in den Provinzen Salah ad-Din und Ninewa (Mosul, Nimrud, Sinjar Gebirge). Lokalen Medien zufolge wurden etwa 80 Familien aus dem Dorf Zanazel (Provinz Ninewa) evakuiert. Das Krisenkoordinierungszentrum des kurdischen Innenministeriums (Joint Crisis Coordination Centre) meldete am 07.12.18, dass im Vertriebenenlager Dibaga 2 in der Provinz Erbil etwa 700 intern Vertriebene auf Notfallhilfe angewiesen seien.

2. Politische Lage

Die politische Landschaft des Irak hat sich seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 enorm verändert (KAS 2.5.2018). Gemäß der Verfassung ist der Irak ein demokratischer, föderaler und parlamentarisch-republikanischer Staat (AA 12.02.2018), der aus 18 Provinzen (muhafazät) besteht (Fanack 27.9.2018). Artikel 47 der Verfassung sieht eine Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative vor (RoI 15.10.2005). Die Autonome Region Kurdistan ist Teil der Bundesrepublik Irak und besteht aus den drei nördlichen Provinzen Dohuk, Erbil und Sulaymaniya. Sie wird von einer Regionalverwaltung, der kurdischen Regionalregierung, verwaltet und verfügt über eigene Streitkräfte (Fanack 27.9.2018).

An der Spitze der Exekutive steht der irakische Präsident, der auch das Staatsoberhaupt ist. Der Präsident wird mit einer Zweidrittelmehrheit des irakischen Parlaments (majlis al-nuwwab, engl.: Council of Representatives, dt.: Repräsentantenrat), für eine Amtszeit von vier Jahren gewählt und genehmigt Gesetze, die vom Parlament verabschiedet werden. Der Präsident wird von zwei Vizepräsidenten unterstützt. Zusammen bilden sie den Präsidialrat (Fanack 27.9.2018).

Teil der Exekutive ist auch der Ministerrat, der sich aus dem Premierminister und anderen Ministern der jeweiligen Bundesregierung zusammensetzt (Fanack 27.9.2018; vgl. RoI 15.10.2005). Der Premierminister wird vom Präsidenten designiert und vom Parlament bestätigt (RoI 15.10.2005). Am 002.10.2018 wählte das neu zusammengetretene irakische Parlament den moderaten kurdischen Politiker Barham Salih zum Präsidenten des Irak (DW 02.10.2018). Dieser wiederum ernannte den schiitischen Politik-Veteranen Adel Abd al-Mahdi zum Premierminister und beauftragte ihn mit der Regierungsbildung (BBC 3.10.2018). Abd al-Mahdi ist seit 2005 der erste Premier, der nicht die Linie der schiitischen Da'wa-Partei vertritt, die seit dem Ende des Krieges eine zentrale Rolle in der Geschichte Landes übernommen hat. Er unterhält gute Beziehungen zu den USA. Der Iran hat sich seiner Ernennung nicht entgegengestellt (Guardian 3.10.2018).

Der Premierminister führt den Vorsitz im Ministerrat und leitet damit die tägliche Politik (Fanack 27.9.2018) Im Gegensatz zum Präsidenten, dessen Rolle weitgehend zeremoniell ist, liegt beim Premierminister damit die eigentliche Exekutivgewalt (Guardian 3.10.2018). Die gesetzgebende Gewalt, die Legislative, wird vom irakischen Repräsentantenrat (Parlament) ausgeübt (Fanack 27.9.2018). Er besteht aus 329 Abgeordneten (CIA 17.10.2018). Die konfessionell/ethnische Verteilung der politischen Spitzenposten ist nicht in der irakischen Verfassung festgeschrieben, aber seit 2005 üblich (Standard 3.10.2018). So ist der Parlamentspräsident gewöhnlich ein Sunnite, der Premierminister ist ein Schiite und der Präsident der Republik ein Kurde (Al Jazeera 15.9.2018).

In weiten Teilen der irakischen Bevölkerung herrscht erhebliche Desillusion gegenüber der politischen Führung (LSE 7.2018; vgl. IRIS 11.5.2018). Politikverdrossenheit ist weit verbreitet (Standard 13.5.2018). Dies hat sich auch in der niedrigen Wahlbeteiligung bei den Parlamentswahlen im Mai 2018 gezeigt (WZ 12.5.2018). Der Konfessionalismus und die sogennante "Muhassasa", das komplizierte Proporzsystem, nach dem bisher Macht und Geld unter den Religionsgruppen, Ethnien und wichtigsten Stämmen im Irak verteilt wurden, gelten als Grund für Bereicherung, überbordende Korruption und einen Staat, der seinen Bürgern kaum Dienstleistungen wie Strom- und Wasserversorgung, ein Gesundheitswesen oder ein Bildungssystem bereitstellt (TA 12.5.2018).

Viele sunnitische Iraker stehen der schiitischen Dominanz im politischen System kritisch gegenüber. Die Machtverteilungsarrangements zwischen Sunniten und Schiiten sowie Kurden festigen den Einfluss ethnisch-religiöser Identitäten und verhindern die Herausbildung eines politischen Prozesses, der auf die Bewältigung politischer Sachfragen abzielt (AA 12.02.2018).

Die Zeit des Wahlkampfs im Frühjahr 2018 war nichtsdestotrotz von einem Moment des verhaltenen Optimismus gekennzeichnet, nach dem Sieg über den sogenannten Islamischen Staat (IS) im Dezember 2017 (ICG 9.5.2018). Am 09.12.2017 hatte Haider al-Abadi, der damalige irakische Premierminister, das Ende des Krieges gegen den IS ausgerufen (BBC 9.12.2017). Irakische Sicherheitskräfte hatten zuvor die letzten IS-Hochburgen in den Provinzen Anbar, Salah al-Din und Ninewa unter ihre Kontrolle gebracht. (UNSC 17.1.2018).

Im Irak leben ca. 36 Millionen Einwohner, wobei die diesbezüglichen Schätzungen unterschiedlich sind. Die letzte Volkszählung wurde XXXX durchgeführt. Im Gouvernement Bagdad leben ca. 7,6 Millionen Einwohner. Geschätzte 99% der Einwohner sind Moslems, wovon ca. 60%-65% der schiitischen und ca. 32%-37% der sunnitischen Glaubensrichtung angehören (CIA World Factbook 2014-2015, AA 12.02.2018). Die ethnische und religiöse Zusammensetzung der einzelnen Regionen des Irak ist aus der Grafik im Punkt Minderheiten ersichtlich.

2.1. Parteienlandschaft

Es gibt vier große schiitische politische Gruppierungen im Irak: die Islamische Da'wa-Partei, den Obersten Islamischen Rat im Irak (OIRI) (jetzt durch die Bildung der Hikma-Bewegung zersplittert), die Sadr-Bewegung und die Badr-Organisation. Diese Gruppen sind islamistischer Natur, sie halten die meisten Sitze im Parlament und stehen in Konkurrenz zueinander - eine Konkurrenz, die sich, trotz des gemeinsamen konfessionellen Hintergrunds und der gemeinsamen Geschichte im Kampf gegen Saddam Hussein, bisweilen auch in Gewalt niedergeschlagen hat (KAS 2.5.2018).

Die meisten politischen Parteien verfügen über einen bewaffneten Flügel oder werden einer Miliz zugeordnet (Niqash 7.7.2016; vgl. BP 17.12.2017) obwohl dies gemäß dem Parteiengesetz von 2015 verboten ist (Niqash 7.7.2016; vgl. WI 12.10.2015). Milizen streben jedoch danach, politische Parteien zu gründen (CGP 4.2018) und haben sich zu einer einflussreichen politischen Kraft entwickelt (Niqash 5.4.2018; vgl. Guardian 12.5.2018). Die sunnitische politische Szene im Irak ist durch anhaltende Fragmentierung und Konflikt gekennzeichnet, zwischen Kräften, die auf Provinz-Ebene agieren, und solchen, die auf Bundesebene agieren. Lokale sunnitische Kräfte haben sich als langlebiger erwiesen als nationale (KAS 2.5.2018)

Die politische Landschaft der Autonomen Region Kurdistan ist historisch von zwei großen Parteien geprägt: der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) und der Patriotischen Union Kurdistans (PUK). Dazu kommen Gorran ("Wandel"), eine 2009 gegründete Bewegung, die sich auf den Kampf gegen Korruption und Nepotismus konzentriert, sowie eine Reihe kleinere islamistische Parteien (KAS 2.5.2018).

Abgesehen von den großen konfessionell bzw. ethnisch dominierten Parteien des Irak, gibt es auch nennenswerte überkonfessionelle politische Gruppierungen. Unter diesen ist vor allem die Iraqiyya/Wataniyya Bewegung des Ayad Allawi von Bedeutung (KAS 2.5.2018).

Die folgende Grafik veranschaulicht die Sitzverteilung im neu gewählten irakischen Parlament. Sairoon, unter der Führung des schiitischen Geistlichen Muqtada al-Sadrs, ist mit 54 Sitzen die größte im Parlament vertretene Gruppe, gefolgt von der Fath-Bewegung des Milizenführers Hadi al-Amiri und Haider al-Abadi's Nasr ("Victory")-Allianz (LSE 7.2018).

Bild kann nicht dargestellt werden

Die Wahl im Mai 2018 war von Vorwürfen von Unregelmäßigkeiten und Wahlbetrug begleitet (Al-Monitor 23.8.2018; vgl. Reuters 24.5.2018, Al Jazeera 6.6.2018). Eine manuelle Nachzählung der Stimmen, die daraufhin angeordnet wurde, ergab jedoch fast keinen Unterschied zu den zunächst verlautbarten Ergebnissen und bestätigte den Sieg von Muqtada al-Sadr (WSJ 9.8.2018; vgl. Reuters 10.8.2018). Die Mehrheit der Abgeordneten im Parlament ist neu und jung (WZ 9.10.2018). Im Prozess zur Designierung des neuen Parlamentssprechers, des Präsidenten und des Premierministers stimmten die Abgeordneten zum ersten Mal individuell und nicht in Blöcken - eine Entwicklung, die einen Bruch mit den üblichen, schwer zu durchbrechenden Loyalitäten entlang parteipolitischer, konfessioneller und ethnischer Linien, darstellt (Arab Weekly 7.10.2018).

2.2. Protestbewegung

Die Protestbewegung, die es schon seit 2014 gibt, gewinnt derzeit an Bedeutung. Zumeist junge Leute gehen in Scharen auf die Straße, fordern bessere Lebensbedingungen, Arbeitsplätze, Reformen, einen effektiven Kampf gegen Korruption und die Abkehr vom religiösen Fundamentalismus (WZ 9.10.2018). Im Juli 2018 brachen im Süden des Landes, in Basra, nahe den Ölfeldern West Qurna und Zubayr Proteste aus. Diese eskalierten, nachdem die Polizei in West Qurna auf Demonstranten schoss (ICG 31.7.2018). Reich an Ölvorkommen, liefert die Provinz Basra 80 Prozent der Staatseinnahmen des Irak. Unter den Einwohnern der Provinz wächst jedoch das Bewusstsein des Gegensatzes zwischen dem enormem Reichtum und ihrer eigenen täglichen Realität von Armut, Vernachlässigung, einer maroden Infrastruktur, Strom- und Trinkwasserknappheit (Carnegie 19.9.2018; vgl. NPR 27.9.2018).

Die Proteste im Juli weiteten sich schnell auf andere Städte und Provinzen im Süd- und Zentralirak aus (DW 15.7.2018; vgl. Presse 15.7.2018, CNN 17.7.2018, Daily Star 19.7.2018). So gingen tausende Menschen in Dhi Qar, Maysan, Najaf und Karbala auf die Straße, um gegen steigende Arbeitslosigkeit, Korruption und eine schlechte Regierungsführung, sowie die iranische Einmischung in die irakische Politik zu protestieren (Al Jazeera 22.7.2018). Die Proteste erreichten auch die Hauptstadt Bagdad (Joel Wing 25.7.2018; vgl. Joel Wing 17.7.2018). Am 20.7. wurden Proteste in 10 Provinzen verzeichnet (Joel Wing 21.7.2018). Demonstranten setzten die Bürogebäude der Da'wa-Partei, der Badr-Organisation und des Obersten Islamischen Rats in Brand; praktisch jede politische Partei wurde angegriffen (Al Jazeera 22.7.2018). Es kam zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften, sowie zu Todesfällen (Kurier 15.7.2018; vgl. CNN 17.7.2018, HRW 24.7.2018). Ende August war ein Nachlassen der Demonstrationen zu verzeichnen (Al Jazeera 3.8.2018). Im September flammten die Demonstrationen wieder auf. Dabei wurden in Basra Regierungsgebäude, die staatliche Fernsehstation, das iranische Konsulat, sowie die Hauptquartiere fast aller Milizen, die vom Iran unterstützt werden, angegriffen. Mindestens 12 Demonstranten wurden getötet (Vox 8.9.2018; vgl. NPR 27.9.2018).

2.3. Autonome Region Kurdistan

Ein Teil des föderalen Staates Irak ist die Autonome Region Kurdistan, das im Nordosten des Iraks angesiedelt ist. Die Autonome Region Kurdistan hat weitgehende Souveränität. Sie verfügt über eigene exekutive, legislative und judikative Organe und besitzt seit 2009 eine eigene Verfassung. Gemäß Art. 121 der irakischen Verfassung üben kurdische Sicherheitskräfte (insbesondere die militärisch organisierten Peschmerga und die Sicherheitspolizei Asayish) die Sicherheitsverantwortung in den Provinzen Erbil, Sulaimaniyya, Dohuk und Halabdscha aus; diese Kräfte kontrollieren darüber hinaus de facto Teile der Provinzen Diyala, Kirkuk und Ninawa. Die Autonome Region Kurdistan betreibt außerdem eine eigenständige Wirtschafts- und Außenpolitik und regelt Fragen der Grenzkontrolle selbst - hierzu gehört auch die von zentralirakischen Behörden unabhängige Vergabe von Visa.

Bis heute ist die Region faktisch zwischen KDP (Kurdistan Democratic Party) und PUK (Patriotic Union of Kurdistan) aufgeteilt - wobei die PUK in den letzten Jahren Einfluss an Goran abgeben musste. Innerhalb der autonomen Kurdenregion gibt es immer wieder Konflikte zwischen den drei großen irakisch-kurdischen Parteien KDP, Goran und PUK. Grund dafür ist unter anderem die Wirtschaftskrise und die weit verbreitete Korruption und Vetternwirtschaft, die im Kurdengebiet vorherrschen. Darüber hinaus sorgte der Streit um die Präsidentschaft Mas?ud Barzanis für Spannungen, dessen (bereits außertourlich verlängerte) Amtszeit schon im August 2015 abgelaufen war. Die Waffenlieferungen des Westens und anderer Verbündeter an die Kurden haben zudem den Effekt, dass die kurdische Politik insgesamt zwar an Bedeutung gewinnt, sich jedoch dadurch die Spannungen zwischen den kurdischen Fraktionen weiter erhöhen. KDP und PUK sind durch ihre jeweiligen Bündnisse mit mächtigen - teilweise gegensätzlichen - Partnern gespalten: Die KDP mit Mas'ud Barzani, dem Präsidenten der KRG (Kurdish Regional Government - die Regionalregierung in der KRI) wird vorrangig vom Westen unterstützt und steht der Türkei nahe, während die PUK vorrangig vom Iran unterstützt wird und der türkischen PKK sowie der irakischen Regierung in Bagdad nahesteht. Beide Parteien haben ihre jeweils eigenen Militäreinheiten (Peschmerga), die im Kampf gegen den IS oftmals in einem starken Konkurrenzverhältnis zueinander stehen.

Das Verhältnis der Zentralregierung zur kurdischen Autonomieregion, die einen semi-autonomen Status innehat, hat sich seit der Durchführung eines Unabhängigkeitsreferendums in der Autonomieregion und einer Reihe zwischen Bagdad und Erbil umstrittener Gebiete am 25.09.2017 deutlich verschlechtert (AA 12.02.2018). Die Kurden konnten das von ihnen kontrollierte Territorium im Irak in Folge der Siege gegen den IS zunächst ausdehnen. Mit dem Referendum am 25.09.2017 versuchte die kurdische Regional-Regierung unter Präsident Masud Barzani, ihren Anspruch auch auf die von ihr kontrollierten Gebiete außerhalb der drei kurdischen Provinzen zu bekräftigen und ihre Verhandlungsposition gegenüber der Zentralregierung in Bagdad zu stärken (BPB 24.1.2018).

Bagdad reagierte mit der militärischen Einnahme eines Großteils der umstrittenen Gebiete, die während des Kampfes gegen den IS von kurdischen Peshmerga übernommen worden waren, angefangen mit der ölreichen Region um Kirkuk (AA 12.02.2018). Die schnelle militärische Rückeroberung der umstrittenen Gebiete durch die irakische Armee, einschließlich der Erdöl- und Erdgasfördergebiete um Kirkuk, mit massiver iranischer Unterstützung, bedeutete für die kurdischen Ambitionen ei

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten