TE Bvwg Beschluss 2019/3/12 I419 2215391-1

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Veröffentlicht am 12.03.2019
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Entscheidungsdatum

12.03.2019

Norm

AsylG 2005 §3
AVG §37
AVG §66 Abs2
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §24 Abs2 Z1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs3 Satz2
VwGVG §31 Abs1

Spruch

I419 2215391-1/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Dr. Tomas JOOS über die Beschwerde von XXXX, StA. unbekannt alias LIBYEN alias Tunesien, vertreten durch DIAKONIE FLÜCHTLINGSDIENST gemeinnützige GmbH Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH p. A. ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 29.01.2019, Zl. XXXX:

A) In Erledigung der Beschwerde werden die Spruchpunkte II bis VIII

des bekämpften Bescheides gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer reiste am 03.10.2017 illegal aus Italien kommend ein, wurde erkennungsdienstlich behandelt und stellte am nächsten Tag als angeblicher Staatsangehöriger Libyens einen Antrag auf internationalen Schutz, den er mit Rückkehrangst begründete, da es im Herkunftsstaat "nichts mehr" gebe. Er habe dort keine Perspektive. 2014 sei er wegen des Krieges per Flugzeug in die Türkei geflohen und habe vor der Weiterfahrt nach Griechenland seinen Pass zurückgeschickt. Ferner habe er sich in Ungarn und sechs Monate in Dänemark aufgehalten, sei in Kopenhagen erkennungsdienstlich behandelt worden und durch Deutschland nach Österreich gekommen.

2. Anschließend tauchte der Beschwerdeführer unter, von dem das Immigrations- und Integrationsministerium Dänemarks mitteilte, ihn nicht zu kennen.

3. Am 12.06.2018 wurde er dem BFA vorgeführt und gab an, 1 1/2 oder 2 Jahre zuvor mit einer Fähre von Libyen in die Türkei gereist zu sein, anschließend nach Griechenland, Bulgarien und Serbien, wo er ein paar Monate verbracht habe, nach Ungarn und nach Österreich. Im Anschluss an seine Antragstellung sei er nach Holland weitergereist und habe dort einen weiteren Asylantrag gestellt.

Ein bestimmtes Zielland habe er nicht, er habe einfach nur ein schöneres Leben haben wollen. Ausgereist sei er wegen der Kriegsfolgen, da die Sicherheitslage schlecht gewesen sei und es keine Arbeit gegeben habe. Ständig sei "irgendwo ein bewaffneter Konflikt" gewesen. Es existierten bewaffnete Gruppen und es sei gefährlich. Er hätte Angst gehabt, zu sterben.

3. Mit dem bekämpften Bescheid wies das BFA den Antrag betreffend die Status des Asyl- (Spruchpunkt I) und des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat (Spruchpunkt II) als unbegründet ab, erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel "aus berücksichtigungswürdigen Gründen" "gemäß § 57 AsylG" (Spruchpunkt III), erließ wider diesen eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV) und stellte fest, dass dessen Abschiebung nach Libyen zulässig sei (Spruchpunkt V). Zugleich erkannte das BFA einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt VI), stellte fest, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt VII) und erließ ein auf 10 Jahre befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt VIII).

4. Die gegen die Spruchpunkte II bis VIII gerichtete Beschwerde bringt vor, die Abschiebung wäre mit der realen Gefahr der Verletzung von Art 2 und 3 EMRK verbunden. Der Beschwerdeführer befinde sich seit über einem Jahr in Österreich, lerne Deutsch und habe sich bereits ehrenamtlich betätigt. Die Länderberichte des BFA seien teils veraltet und die Feststellungen befassten sich nur "am Rande" mit dem konkreten Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers. Aus einem näher genannten Bericht des UNHCR ergebe sich dagegen, dass die Situation im Herkunftsstaat äußerst gefährlich sei, da Gesetzlosigkeit herrsche und Menschenrechte "im ganzen Land nicht mehr respektiert" würden, womit das Leben für "unzählige Menschen fast unmöglich" werde. Zivile Objekte wie Krankenhäuser, Schulen und Moscheen seien oft Anschlagsziele

Ein näher zitierter Bericht von HRW schildere, dass bewaffnete Gruppen außergerichtliche Hinrichtungen durchführten, Zivilisten und deren Eigentum angriffen sowie Personen entführten, folterten und verschwinden ließen. Der Beschwerdeführer habe zudem keinen Kontakt zu seinem Bruder, und es gebe keine Hinweise auf die Unterstützung durch den Bruder oder das soziale Netz im Rückkehrfall. In Österreich hingegen habe er ein schützenswertes Privatleben, weshalb eine Rückkehrentscheidung dauernd unzulässig sei.

Beantragt wurde unter anderem, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der unter Punkt I beschriebene Verfahrensgang wird als Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende Feststellungen getroffen:

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige Beschwerdeführer ist ledig, kinderlos, Araber und Moslem. Seine Identität, Herkunft und Staatsangehörigkeit stehen nicht fest. Er begab sich zu nicht feststellbaren Zeitpunkten illegal nach Italien und in weitere EU-Staaten.

Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig. Er hielt sich im Oktober 2017 und hält sich seit 23.04.2018 in Österreich auf. Er hat keinen Sprachkurs besucht und ist nicht Mitglied eines Vereins oder einer anderen Organisation.

1.2 Zur Lage in Libyen:

In der von der Beschwerde angesprochenen und zum Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Bescheide aktuellen UNHCR-Position zur Rückkehr nach Libyen (von September 2018) mahnt der UNHCR bzw. bittet dringend ("urges"), zwangsweise Rückführungen nach Libyen auszusetzen, bis sich die Sicherheits- und Menschenrechtslage deutlich verbessert habe.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die Lage in Libyen nicht ihrer Einschätzung durch den UNHCR entspricht.

2. Beweiswürdigung:

2.1 Zum Verfahrensgang:

Der oben unter Punkt I angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsakts des BFA und des vorliegenden Gerichtsakts. Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR) und dem Betreuungsinformationssystem der Grundversorgung (GVS) wurden ergänzend eingeholt.

In die beiden vom Beschwerdeführer als Beweismittel namhaft gemachten weiteren Länderberichte von UNHCR und HRW hat das Gericht im Wege der Staatendokumentation der belangten Behörde Einsicht genommen.

2.2 Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zu seinen Lebensumständen, seinem Gesundheitszustand, seiner Arbeitsfähigkeit sowie seiner Glaubenszugehörigkeit gründen sich auf die diesbezüglichen glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers.

Der Zeitpunkt der Ausreise aus dem Herkunftsstaat war nicht feststellbar, weil der Beschwerdeführer diesen ursprünglich (2017) mit 2014 angab, später dann (2018) mit "vor 1 1/2 bis 2 Jahren", genau wisse er es nicht mehr (somit etwa 2016/17). Seinen Reisepass oder andere Urkunden legte er nicht vor. Aus diesem Grund steht auch seine Identität nicht fest.

Aus den folgenden Gründen bestehen starke Zweifel an der Herkunft des Beschwerdeführers, der z. B. auch aus Tunesien stammen könnte:

Zunächst hat der Beschwerdeführer angegeben (AS 3), er habe in Libyen an der Anschrift "XXXX" gewohnt. Eine solche Örtlichkeit ist mit Routenplaner oder Suchmaschine nicht zu finden, am ehesten entspricht "XXXX", östlich von Bengasi gelegen, etwa 1.200 km entfernt von der Hauptstadt Tripolis. Etwa 100 km südöstlich von dieser liegt "XXXX".

Später erklärte er (AS 123), diese Adresse nicht zu kennen, sondern in "XXXX" gewohnt zu haben, das "neben" Tripolis liege. Dieses kann als "XXXX" identifiziert werden und ist nur rund 30 km von der Hauptstadt entfernt. Allerdings erstaunt, dass er das nur 80 km entfernte "XXXX" nicht mit der erstgenannten Anschrift assoziiert.

Die zu XXXX angegebene Adresse, "XXXX" mit Hausnummer findet sich insoweit, als eine Straße mit diesem Namen etwa auf halbem Weg zwischen XXXX und Tripolis liegt.

Unter diesen Umständen wäre denkbar, dass der Beschwerdeführer erst in den Monaten von Oktober 2017 bis Juni 2018 seine Ortskenntnis erwarb, und tatsächlich nicht aus dem angegebenen Herkunftsstaat stammt.

Einen weiteren, stärkeren Hinweis gibt die Aussage eines algerischen Mitbewohners des Beschwerdeführers, der diesen als einen Staatsangehörigen Tunesiens bezeichnet hat (AS 63, 65), der mehrere Jahre in Italien inhaftiert gewesen sei.

Da dies tatsächlich sprachlich unterscheidbar wäre (siehe den Sachverhalt bei VwGH 29.06.2017, Ra 2017/21/0065), ist auch aus diesem Grund die Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers fraglich. In diesem Zusammenhang fällt auf, dass der Beschwerdeführer konsequent angibt, über die Türkei gereist zu sein und sich auch in Griechenland, Ungarn, Dänemark und Deutschland aufgehalten zu haben (AS 7, 127), nicht jedoch in Italien, was aber durch die Einreise aus Italien kommend (und nicht wie behauptet aus Deutschland) dokumentiert und auch geografisch nachvollziehbar ist.

Er gab stattdessen an, in Dänemark erkennungsdienstlich behandelt worden zu sein, was durch die Leermeldung der dortigen Behörde widerlegt ist. Seltsam mutet an, dass er sich nicht erinnern können will, ob er in Griechenland erkennungsdienstlich behandelt wurde. Schließlich könnte auch die Ergänzung des Reisewegs um Bulgarien und Serbien in der Aussage von 2018 einer nachträglich verbesserten geografischen Wissensbasis mit dem Ziel einer (vermeintlichen) stärkeren Glaubwürdigkeit zugeschrieben werden.

Letztlich ergäbe sich aus der erwartungsgemäß besseren Ausgangslage eines Asylwerbers aus Libyen - siehe unten 3.2. - verglichen mit der eines solchen aus dem sicheren Herkunftsstaat Tunesien (§ 1 Z. 11 HStV) ein starkes Motiv dafür, wahrheitswidrig den ersten statt des zweiten Staates zu nennen.

2.3 Zu Libyen

Die Feststellungen des BFA zur Lage im bescheidmäßig festgestellten Herkunftsstaat beruhen auf dem jüngsten Länderinformationsbericht der Staatendokumentation samt den dort publizierten Quellen und Nachweisen Dieser stützt sich auf Berichte verschiedener ausländischer Behörden, etwa die allgemein anerkannten Berichte des Deutschen Auswärtigen Amtes, als auch jene von Nichtregierungsorganisationen, wie z. B. Open Doors, sowie Berichte von allgemein anerkannten unabhängigen Nachrichtenorganisationen.

Dieses "Länderinformationsblatt der Staatendokumentation" zu Libyen weist den Stand vom 20.10.2017 auf. Die in der Beschwerde angeführten Länderberichte, die dort in Englisch zitiert werden, sind dagegen neueren Datums, nämlich von September 2018 (UNHCR, https://www.ecoi.net/en/file/local/1224664/1930_1445939464_561cd8804.pdf) und von 17.01.2019 (Human Rights Watch, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002182.html).

Naturgemäß vermag die vom BFA herangezogene Information älteren Datums keine Aussagen zu entkräften, die in anderen Berichten über Geschehnisse aus späterer Zeit enthalten sind. Das vom BFA herangezogene Länderinformationsblatt von 20.10.2017 ist daher nicht tauglich für die Feststellung, dass die gegenwärtige Lage in Libyen nicht ihrer Einschätzung durch den UNHRC entspricht, zumal auch die konkreten in die Beschwerde übernommenen Passagen, die aus den Seiten 4 und 5 des Berichts stammen, durch erst nach dem 20.10.2017 veröffentlichte Quellen belegt werden.

3. Rechtliche Beurteilung:

Spruchpunkt I, die Abweisung des Antrags betreffend den Status eines Asylberechtigten, blieb unbekämpft, sodass dieser in Rechtskraft erwachsen und nur die weiteren Spruchpunkte noch nicht rechtskräftig sind.

Zu A) Aufhebung der Spruchpunkte II bis VIII und Zurückverweisung

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 1 B-VG (Bescheidbeschwerden) dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z. 1) oder dessen Feststellung durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z. 2).

Nach § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, wenn diese Voraussetzungen nicht vorliegen, im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Beschwerdevorlage unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist dabei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von der das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Das Modell der Aufhebung des Bescheids und die Zurückverweisung der Angelegenheit an die belangte Behörde folgt konzeptionell dem des § 66 Abs. 2 AVG (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren [2018] § 28 VwGVG Anm. 11). Bei der Ausübung des Ermessens nach § 66 Abs. 2 f AVG sind auch die Bedeutung und die Funktion der Rechtmittelbehörde ins Kalkül zu ziehen. Die Einräumung eines Instanzenzugs darf nicht "zur bloßen Formsache degradiert" werden, indem sich das Asylverfahren mangels sachgerechten Eingehens und brauchbarer Ermittlungsergebnisse [in erster Instanz] "einem eininstanzlichen Verfahren [...] nähert", in dem eine ernsthafte Prüfung des Antrages erst bei der zweiten und letzten Instanz beginnt und auch endet (VwGH 21.11.2002, 2000/20/0084).

Die Begründung eines Bescheides hat Klarheit über die tatsächlichen Annahmen der Behörde und ihre rechtlichen Erwägungen zu schaffen. Als Sachverhalt hat sie daher alle Feststellungen in konkretisierter Form zu enthalten, die zur Subsumierung unter die von der Behörde herangezogene Norm erforderlich sind. Nur so ist es möglich, den Bescheid auf seine Rechtsrichtigkeit zu überprüfen (VwGH 28.07.1994, 90/07/0029 mwH).

Dennoch kommt eine Aufhebung des Bescheids nach § 28 Abs. 2 Z. 1 f VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht oder seine Feststellung durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen, besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden. Eine Zurückverweisung zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher insbesondere dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (§ 37 AVG) "lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden" (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).

Das Verwaltungsgericht hat nachvollziehbar zu begründen, wenn es eine meritorische Entscheidungszuständigkeit nicht als gegeben annimmt, etwa weil es das Vorliegen der Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 Z. 1 f VwGVG verneint und von der Möglichkeit des § 28 Abs. 3 erster Satz VwGVG keinen Gebrauch macht, dessen ungeachtet selbst zu entscheiden. Die in § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vorgesehene Zurückverweisungsmöglichkeit ist nämlich eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte.

Im vorliegenden Fall allerdings hat das BFA erforderliche Ermittlungen zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalts unterlassen und bloß ansatzweise und nur grob mangelhaft ermittelt, und zwar konkret folgendermaßen betreffend die Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers und die Lage im angenommenen Herkunftsstaat.

3.1 Identität, Herkunft und Staatsangehörigkeit

Zur Identität und angenommenen Staatsangehörigkeit führt das BFA im bekämpften Bescheid lediglich aus, dass der Beschwerdeführer keinen Lichtbildausweis vorgelegt habe, sodass seine Identität nicht feststehe, und die (neben der Vorstrafe) weiteren Feststellungen zur Person sich aus den "nicht widerlegten Angaben sowie Ihren Sprach- und Ortskenntnissen" ergäben.

Das BFA hat mithin, trotz der Hinweise auf eine andere Herkunft oder Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers, speziell der Angabe des Mitbewohners, wonach der Fremde ein Tunesier und ehemals länger in Italien in Haft gewesen sei, auch einfache Ermittlungen unterlassen, wie eine Kontaktaufnahme mit den italienischen Behörden oder die Befragung des erwähnten algerischen Asylwerbers.

Das BFA hätte je nach Ergebnis anschließend seine Feststellungen zu treffen, den Beschwerdeführer mit dem Ergebnis befassen und ihn dazu Stellung nehmen zu lassen oder weitere Ermittlungen vorzunehmen gehabt, z. B. ein Sprachgutachten in Auftrag zu geben. Stattdessen führt es ausschließlich die "Sprach- und Ortskenntnisse" ins Treffen, die wie dargetan diese Schlussfolgerungen nicht ohne weiteres erlauben.

Selbst bei unzureichender Mitwirkung eines Antragstellers hätte die Asylbehörde den wahren Herkunftsstaat von Amts wegen festzustellen, wenn ihr dies auf Grund konkreter Anhaltspunkte im Verfahren möglich ist (vgl. VwGH 19.03.2009, 2008/01/0020; 15.01.2009, 2007/01/0443). Bei der Feststellung der Staatsangehörigkeit und des Herkunftsstaates handelt es sich zweifellos um eine zentrale Frage im Asylverfahren, die deshalb grundsätzlich bereits von der Verwaltungsbehörde zu klären ist, da ansonsten durch die Klärung des tatsächlichen Herkunftsstaates erst im gerichtlichen Verfahren eine Verlagerung des gesamten an diese Feststellung geknüpften Ermittlungsverfahrens zum Herkunftsstaat und zu dem dazu vorgebrachten Fluchtgrund in das Beschwerdeverfahren stattfände.

3.2 Lage im Herkunftsstaat

Der angefochtene Bescheid leidet darüber hinaus an einem weiteren wesentlichen Mangel, da die belangte Behörde es unterlassen hat, sich mit dem Zutreffen der seitens des UNHCR abgegebenen Einschätzung der Lage im - angenommenen - Herkunftsstaat zu beschäftigen. Dabei gilt es, Folgendes zu beachten:

Zur Frage, ob eine Abschiebung des Beschwerdeführers mit einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre, verweist dieser auf die Empfehlung (dringende Bitte) des UNHCR, zwangsweise Rückführungen auszusetzen, bis sich die Sicherheits- und Menschenrechtslage deutlich verbessert habe.

Empfehlungen internationaler Organisationen wie des UNHRC haben Indizwirkung (VwGH 16.12.2010, 2007/01/0980; 26.05.2009, 2006/01/0462 mwH). Das bedeutet nicht, dass die Asylbehörden in Bindung an entsprechende Empfehlungen des UNHCR Asyl oder Abschiebeschutz zu gewähren haben. Vielmehr hat die Asylbehörde, wenn sie in ihren Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat der Einschätzung des UNHCR nicht folgt, beweiswürdigend darzulegen, warum und gestützt auf welche entgegenstehenden Berichte sie zu einer anderen Einschätzung der Lage im Herkunftsstaat kommt. (VwGH w. o. und 19.03.2009, 2006/01/0930)

Das Gericht verkennt nicht, dass eine gleichartige Empfehlung bereits in der vorigen, aus dem Jahr 2015 stammenden Fassung des UNHCR-Berichts enthalten ist. Die aktuelle Empfehlung stützt sich allerdings auf aktuelle Ereignisse, die sich nach der Erstellung der vom BFA verwendeten Länderinformation zugetragen haben, und daher darin nicht berücksichtigt werden konnten.

Demgegenüber führt das BFA begründend lediglich aus, dass die Quellen seiner Feststellungen aus dem Länderinformationsblatt "nach wie vor als aktuell bezeichnet werden können".

3.3 Ergebnis

Das BFA hat somit im angefochtenen Bescheid keine nachvollziehbar zutreffende und vor allem keine hinreichende Sachverhaltsfeststellung und deswegen keine auf eine solche aufbauende rechtliche Würdigung vorgenommen. Weder steht fest, welche Staatsangehörigkeit - oder welches Herkunftsland - der Beschwerdeführer hat, noch - für den Fall, er wäre aus Libyen - liegen Ermittlungsergebnisse vor, die beurteilen ließen, ob die jüngste Lageeinschätzung des UNHRC betreffend diesen Staat aktuell zutrifft. Das BFA wird daher insoweit notwendige Ermittlungen vornehmen müssen, betreffend den genannten Herkunftsstaat z. B. durch seine Staatendokumentation, und - nach Einräumung von Parteiengehör - einen neuen Bescheid zu erlassen haben, in dessen Begründung es darlegt, auf Grund welchen Sachverhalts es zu der den Spruch tragenden rechtlichen Beurteilung gekommen ist. Nur auf diese Weise wird die im Beschwerdefall folgende verwaltungsgerichtliche Kontrolle des Bescheids möglich.

Es hat sich nicht ergeben, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das BVwG selbst im Interesse der Raschheit gelegen wäre, zumal nichts darauf hindeutet, dass die erforderlichen Feststellungen durch das Gericht selbst, verglichen mit Feststellungen durch das BFA nach Zurückverweisung der Angelegenheit, mit einer wesentlichen Zeitersparnis oder Verkürzung der Verfahrensdauer verbunden wären.

Schließlich liegt auch kein Anhaltspunkt dahingehend vor, dass die Feststellung durch das Gericht selbst verglichen mit einer solchen durch die BFA-Dienststelle in Wiener Neustadt mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre, auch was ein allenfalls nötiges Sprachgutachten betrifft.

Da somit die Voraussetzungen des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vorliegen, war der angefochtene Bescheid aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

Im Hinblick darauf konnte eine Behandlung des übrigen Beschwerdevorbringens und der weiteren in der Beschwerde gestellten Anträge unterbleiben.

Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung zu den amtswegigen Ermittlungspflichten, zu Staatsangehörigkeit und Lage im Herkunftsstaat oder zu den Voraussetzungen der Zurückverweisung aus verwaltungsökonomischen und Gründen des Rechtsschutzes nach § 28 Abs. 3 VwGVG im Fall der mangelhaften Sachverhaltsermittlung.

Die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage(n) kamen nicht hervor.

4. Zum Unterbleiben einer Verhandlung:

Da auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist, konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG die Durchführung einer Verhandlung entfallen.

Schlagworte

Asylverfahren, Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht,
Herkunftsstaat, Identitätsfeststellung, Kassation, mangelhaftes
Ermittlungsverfahren, mangelnde Sachverhaltsfeststellung,
Mitwirkungspflicht, Nachvollziehbarkeit, Spruchpunktbehebung,
Staatsangehörigkeit, Zurückverweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:I419.2215391.1.00

Zuletzt aktualisiert am

13.06.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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