TE Bvwg Beschluss 2019/3/15 L521 2215746-1

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Veröffentlicht am 15.03.2019
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Entscheidungsdatum

15.03.2019

Norm

AVG §37
BFA-VG §18 Abs3
B-VG Art.133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §70 Abs3
VwGVG §24 Abs2 Z1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs3 Satz2
VwGVG §31 Abs1

Spruch

L521 2215746-1/2E

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter MMag. Mathias Kopf, LL.M. in der Beschwerdesache des XXXX, geb. XXXX, Staatsangehörigkeit Türkei, vertreten durch Mag. Wilfried Embacher, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Schleifmühlgasse 5/8, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.01.2019, Zl. 1203105508-180776739, in einer Angelegenheit nach dem Asylgesetz 2005 den

BESCHLUSS

gefasst:

A)

Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Bescheid aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Türkei, hält sich aufgrund eines Aufenthaltstitels C mit Gültigkeit bis zum XXXX rechtmäßig in der Schweizerischen Eidgenossenschaft auf und unterhält seinen Wohnsitz in XXXX.

2. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.01.2019 wurde wider den Beschwerdeführer gemäß § 67 Abs. 1 und 3 FPG 2005 ein unbefristetes Aufenthaltsverbot verhängt (Spruchpunkt I.). Gemäß § 70 Abs. 3 FPG 2005 wurde kein Durchsetzungsaufschub gewährt (Spruchpunkt II.) und gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG einer Beschwerde gegen das Aufenthaltsverbot die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.).

Begründend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl - soweit für das Beschwerdeverfahren von Relevanz - aus, der Beschwerdeführer habe am 12.05.2018 in Innsbruck und am 19.05.2018 in Bregenz an angemeldeten Versammlungen mit dem Titel "Islam - eine Religion des Friedens" teilgenommen und dabei Passanten gezielt angesprochen und ihnen Flyer mit Vers 115 aus der Sure 23 des Koran ausgehändigt. Die Veranstaltung wären der Gruppe "IMAN" zuzurechnen, die eine Nachfolgeorganisation von "LIES" sei, und dienten der Verbreitung eines extremistischen Salafismus, was der öffentlichen Sicherheit und dem öffentlichen Wohl der Republik Österreich widerspreche.

3. Mit Verfahrensanordnung vom 17.01.2019 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren beigegeben.

4. Gegen den dem Beschwerdeführer am 22.01.2019 eigenhändig zugestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl richtet sich die fristgerecht im Wege der gewillkürten rechtsfreundlichen Vertretung eingebrachte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

In der Beschwerde wird - soweit hier von Relevanz - ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren, inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids sowie Verletzung von Verfahrensvorschriften moniert und beantragt, den angefochtenen Bescheid ersatzlos aufzuheben. Eventualiter wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

5. Die Beschwerdevorlage langte am 11.03.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Die Rechtssache wurde in weiterer Folge der nun zur Entscheidung berufenen Abteilung des Bundesverwaltungsgerichts zugewiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Verfahrensbestimmungen

Gemäß § 27 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I 33/2013 idF BGBl. I Nr. 138/2017, hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4 VwGVG) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3 VwGVG) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Absatz 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Absatz 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter und dritter Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zur Frage, unter welchen Voraussetzungen das Verwaltungsgericht den Bescheid einer Verwaltungsbehörde gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufheben und die Sache zurückverweisen kann, sind nachstehende Grundsätze maßgeblich:

Die Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Verwaltungsbehörde kommt erst dann in Betracht, wenn die in § 28 Abs. 2 VwGVG normierten Voraussetzungen, die eine Pflicht des Verwaltungsgerichtes zur meritorischen Entscheidung nach sich ziehen, nicht vorliegen. Vielmehr verlangt § 28 VwGVG, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde Ermittlungen unterlassen hat, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063; 24.06.2015, Ra 2015/04/0019 mwN).

2. Feststellungen:

2.1. Der Beschwerdeführer führt den im Spruch angegebenen Namen, ist Staatsangehöriger der Türkei und in der Schweizerischen Eidgenossenschaft aufgrund eines Aufenthaltstitels C mit Gültigkeit bis zum XXXX rechtmäßig aufhältig.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

2.2. Der Verfahrensgang vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gestaltete sich wie unter Punkt I. dieser Erledigung dargestellt.

2.3. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat im Verfahren erster Instanz notwendige Ermittlungen im Hinblick auf eine vom Beschwerdeführer allenfalls ausgehende tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit unterlassen, insbesondere die nach der Lage des Falls gebotenen Ermittlungen zur Frage, ob der Beschwerdeführer behördlichen Aufträgen nicht Folge leistete und/oder an untersagten Versammlungen teilnahm oder diese sogar organisierte. Ferner wurden Ermittlungen zur entscheidungswesentlichen Frage unterlassen, ob der Beschwerdeführer persönlich im Bundesgebiet zur Gewalt aufgerufen oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen die die nationale Sicherheit gefährdet hat.

3. Beweiswürdigung:

3.1. Beweis wurde erhoben wurde durch Einsichtnahme in den von der belangten Behörde vorgelegten Verfahrensakt unter zentraler Zugrundelegung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers sowie des Inhaltes der gegen den angefochtenen Bescheid erhobenen Beschwerde einschließlich der Beschwerdeergänzung sowie durch die Einholung aktueller Auszüge aus dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister, dem Zentralen Melderegister und dem Strafregister den Beschwerdeführer betreffend.

3.2. Der eingangs angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbestrittenen Inhalt des vorgelegten Verfahrensakts der belangten Behörde.

Identität und Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers sowie dessen persönliche Lebensumstände im Herkunftsstaat ergeben sich aus den Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren vor der belangten Behörde sowie den vom Bundesverwaltungsgericht durchgeführten Erhebungen und sind im Beschwerdeverfahren nicht strittig.

3.3. Dass das belangte Bundesamt die unter Punkt 2.3. angesprochenen Ermittlungen unterlassen hat, ergibt sich zweifelsfrei aus dem Akteninhalt.

4. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

4.1. Da die belangte Behörde auch notwendige Ermittlungen unterlassen hat, ist die Beschwerde im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags berechtigt. Der angefochtene Bescheid erweist sich in Bezug auf den ermittelten Sachverhalt aus folgenden Gründen als mangelhaft:

Gemäß § 67 Abs. 1 FPG 2005 ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Hinsichtlich der Gefährdungsprognose gehe schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das persönliche Verhalten des Fremden abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (VwGH 24.01.2019, Ra 2018/21/0234 mwN).

Die Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder ist an den für unionsrechtlich begünstigte Fremde festgelegten Maßstäben zu messen (VwGH 15.12.2011, Zl. 2007/18/0430 zur Vorgängerbestimmung). Dieser von der Judikatur des EuGH entwickelte Maßstab verlangt, dass eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (VwGH 22.05.2014, Ra 2014/21/0014).

Auch ein festgestelltes Fehlverhalten eines Fremden, das (noch) nicht zu einer gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Bestrafung geführt hat, kann zur Beurteilung der für ein Aufenthaltsverbot erforderlichen Gefährdungsprognose herangezogen werden (VwGH 25.01.2018, Ra 2017/21/0237; 23.03.2017, Ra 2016/21/0349).

4.2. Der Beschwerdeführer ist in Österreich - unstrittig - strafgerichtlich unbescholten. Dem Verwaltungsakt kann auch kein Hinweis darauf entnommen werden, dass gegen den Beschwerdeführer im Bundesgebiet ein Strafverfahren anhängig wäre.

Das gegenständlich verhängte Aufenthaltsverbot kann daher nicht auf strafrechtswidrige Handlungen des Beschwerdeführers gestützt werden, die gerichtlich rechtskräftig festgestellt wurden. Das belangte Bundesamt legt den Beschwerdeführer auch (nur) zur Last, er habe am 12.05.2018 in Innsbruck und am 19.05.2018 in Bregenz an angemeldeten Versammlungen mit dem Titel "Islam - eine Religion des Friedens" teilgenommen und dabei Passanten gezielt angesprochen und ihnen Flyer mit Vers 115 aus der Sure 23 des Koran ausgehändigt. Die Veranstaltungen wären der Gruppe "IMAN" zuzurechnen, die eine Nachfolgeorganisation von "LIES" sei, und diene der Verbreitung eines extremistischen Salafismus, was der öffentlichen Sicherheit und dem öffentlichen Wohl der Republik Österreich widerspreche. Informationen zufolge wären etwa 140 Aktivisten von "LIES" nach Syrien gereist, um sich dem Islamischen Staat anzuschließen. Die gegenständlichen Veranstaltungen würden dazu dienen, junge Menschen für Zwecke zu gewinnen, die den gesellschaftliche und demokratischen Werten Österreichs nicht entsprechen würden.

Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes liegt ein willkürliches Verhalten, das in die Verfassungssphäre eingreift, etwa im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (vgl. VfGH 20.02.2015, E 1278/2014 mwN).

Ein solcher Fehler ist dem belangten Bundesamt unterlaufen. Ausweislich der vorstehend zitierten (eindeutigen) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der einzelfallbezogenen Beurteilung betreffend die Gefährdungsprognose auf das persönliche Verhalten des Fremden abzustellen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind schon dem klaren Gesetzeswortlaut zufolge nicht zulässig.

Das belangte Bundesamt erörtert nun im angefochtenen Bescheid ausführlich die dem Verfahren zugrundeliegenden Berichte der Landespolizeidirektion Vorarlberg bzw. des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung in Zusammenhang mit Koranverteilungen und diversen, teilweise aus der medialen Berichterstattung bekannten Personen, die der salafistischen Szene zuzurechnen sind. In der Folge stützt das belangte Bundesamt das verhänge Aufenthaltsverbot auf die allgemein zu den involvierten Gruppierungen wie "IMAN" oder "LIES" vorliegenden Erkenntnisse und den Umstand, dass sich der Beschwerdeführer bei zwei bestimmten Versammlungen beteiligt und dort Personen angesprochen habe.

Damit verstößt das belangte Bundesamt gegen die gesetzlich und durch die erörterte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes konkretisierte Begründung- und damit in weiterer Folge auch gegen ihre (amtswegige) Ermittlungspflicht. Das belangte Bundesamt hat nämlich entgegen dem klaren Gesetzeswortlaut keine hinreichenden Ermittlungen zum persönlichen Verhalten des Beschwerdeführers bei den inkriminierten Versammlungen angestellt (abgesehen davon, dass seine Teilnahme und die Aushändigung von Flyern festgestellt wurden, was der Beschwerdeführer zugestand). Insbesondere wurden jegliche Ermittlungen zur Frage unterlassen, ob der Beschwerdeführer selbst bei den inkriminierten Versammlungen zu Gewalt aufrief oder durch hetzerische Aufforderungen die nationale Sicherheit gefährdete oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigte oder dafür geworben hat. Erst anhand der Ergebnisse der unterlassenen Ermittlungen könnte überhaupt geprüft werden, ob der Beschwerdeführer auf Grund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdete.

Das belangte Bundesamt versucht im angefochtenen Bescheid die Ermittlungslücke damit zu schließen, dass über die Gefährlichkeit und die Nähe von Organisationen wie "IMAN" oder "LIES" bzw. des "Islamischen Zentralrates der Schweiz" - dessen Vorstandsmitglied der Beschwerdeführer sei - zu salafistischen und extremistischen Vereinigungen ausführliche Erwägungen getroffen werden. Damit ist für das Verfahren jedoch nichts gewonnen, zumal vom Einzelfall losgelöste Begründungen schon nach dem Gesetzeswortlaut keinen Bestand haben können und demnach das persönliche Verhalten des Beschwerdeführers eingehend zu prüfen ist.

Dazu tritt, dass ausweislich des Vorbringens des Beschwerdeführers, das insoweit mit dem Akteninhalt übereinstimmt, die inkriminierten Versammlungen am 12.05.2018 in Innsbruck und am 19.05.2018 in Bregenz angemeldet waren und behördlicherseits nicht untersagt wurde. Erst eine für den 04.08.2018 in Bregenz angemeldete Versammlung wurde untersagt (wobei im Verwaltungsakt nur ein diesbezügliches Bescheidkonzept aufliegt und demgemäß nicht einmal überprüft werden kann, ob die Untersagung tatsächlich erfolgt ist).

Darüber hinaus steht nicht im Raum, dass das die beim Beschwerdeführer bei den Versammlungen am 12.05.2018 in Innsbruck und am 19.05.2018 in Bregenz gesetzten Handlungen zum Anlass dafür genommen werden, gegen den Beschwerdeführer strafgerichtlicher Ermittlungen einzuleiten oder ihn wegen einer Verwaltungsübertretung zu belangen. Wenn nunmehr im angefochtenen Bescheid dem Beschwerdeführer eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit vorgeworfen wird, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, ist nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer nicht umgehend bei diesen Versammlungen zum Ziel einer sicherheitsbehördlichen Intervention wurde. Überhaupt liegen keine näheren Informationen zu den inkriminierten Versammlungen vor, als vorstehend erörtert. Dass der Beschwerdeführer selbst im Gefolge von Gesprächen mit Passanten salafistischen Gedankengut verbreitet oder zu Gewalt oder zur Teilnahme an terroristischen Aktivitäten aufgerufen hätte, kann in Anbetracht des Akteninhaltes nicht erkannt werden.

Schließlich fehlen jede Hinweise darauf, dass sich der Beschwerdeführer dem Untersagungsbescheid des Landespolizeidirektors von Vorarlberg betreffend die für den 04.08.2018 angemeldete Veranstaltung wiedersetzt hätte. Solange nicht erwiesen ist, dass der Beschwerdeführer nicht bereit ist, seine Aktivitäten nach behördlicher Untersagung einzustellen ist indes auch einem Aufenthaltsverbot die Grundlage entzogen, weil offenbar die Aktivitäten des Beschwerdeführers bereits im Wege der Untersagung nach dem Versammlungsgesetz hintangehalten werden konnte und sich der Beschwerdeführer dieser behördlichen Verfügung - seinem eigenen Vorbringen nach - beugte.

In diesem Zusammenhang erstaunt es nur, dass das belangte Bundesamt keine näheren dahingehenden Ermittlungen veranlasste. Vielmehr ist das chronologisch letzte Aktenstück vor der Erlassung des angefochtenen Bescheides am 17.01.2019 - von einem an diesem Tag angefertigten Internetausdruck über das Verbot von "LIES" abgesehen - die Stellungnahme des Beschwerdeführers vom 02.09.2018. Dass das belangte Bundesamt vor Bescheiderlassung nicht zumindest bei der Landespolizeidirektion eine Nachfrage im Hinblick auf weitere aktuelle Aktivitäten des Beschwerdeführers veranlasste verdeutlicht die Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens.

4.3. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass einerseits Ermittlungen zum persönlichen Verhalten des Beschwerdeführers bei den inkriminierten Versammlungen am 12.05.2018 in Innsbruck und am 19.05.2018 in Bregenz unterlassen wurden, insbesondere ob dem Beschwerdeführer bestimmte die öffentliche Ordnung oder Sicherheit beeinträchtigen Handlungen zur Last gelegt werden können (oder er - wie im angefochtenen Bescheid festgestellt wird - eben nur Flyer mit einem Vers aus dem Koran verteilte) sowie ob sich der Beschwerdeführer in weiterer Folge behördlichen Anordnungen wie der Untersagung von Versammlungen widersetzte dadurch die öffentliche Ordnung oder Sicherheit auf dem Gebiet des Versammlungswesens beeinträchtigte.

Da die erörterten notwendigen Ermittlungen unterblieben ist, kann von einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren keine Rede sein. Die notwendigen Ermittlungen bzw. in der Folge entsprechende Feststellungen werden somit nachzuholen sein, um ein mangelfreies Verfahren zu gewährleisten. Dies berechtigt jedoch das Bundesverwaltungsgericht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs den angefochtenen Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückzuverweisen, zumal nach der Lages des Falles eindeutig ist, dass zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt wurden und insbesondere im Hinblick auf das persönliche Verhalten des Beschwerdeführers - und gerade darauf kommt es an - bloß ansatzweise Ermittlungen gesetzt wurden.

4.4. Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde die von ihr unterlassenen Ermittlungen nachzuholen haben. Insbesondere sind sämtliche bei den Sicherheitsbehörden zu erlangenden Informationen über die inkriminierten Versammlungen am 12.05.2018 in Innsbruck und am 19.05.2018 in Bregenz beizuschaffen und zur Vervollständigung des Bildes erforderlichenfalls Zeugen einzuvernehmen (etwa Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes, die den Beschwerdeführer wahrgenommen haben).

Im Anschluss hat eine beweiswürdigende Auseinandersetzung unter Einbeziehung sämtlicher gewonnener Ermittlungsergebnisse zu erfolgen. Dabei ist die einleitend zitierte Rechtsprechung zu berücksichtigen, wonach bei der Gefährdungsprognose das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen ist. Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes ist - im Einklang mit der zitierten Rechtsprechung - nicht auszuschließen, dass auch ohne das Vorliegen einer gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Bestrafung eine vom Beschwerdeführer ausgehende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit vorliegen kann, die ein Aufenthaltsverbot rechtfertigt. Insbesondere sprechen die Kontakte des Beschwerdeführers zu Personen wie dem die Versammlung anmeldenden XXXX oder zum "Islamischen Zentralrat der Schweiz" prima facie gegen den Standpunkt des Beschwerdeführers, er habe lediglich als "Privatperson" sein Recht auf Versammlungsfreiheit und Glaubens- und Gewissensfreiheit ausgeübt. Ohne ein dem Beschwerdeführer anzulastendes persönliches Fehlverhalten erscheint die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes indes nicht möglich, zumal die Gefährdungsprognose auf ein festgestelltes Verhalten des Fremden gestützt werden muss.

Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass die Verwaltungsbehörde (lediglich) an die rechtliche Beurteilung des gemäß § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG aufhebenden und zurückverweisenden Beschlusses des Verwaltungsgerichtes gebunden ist. Durch eine Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG tritt das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor Erlassung des aufgehobenen Bescheides befunden hatte, sodass die belangte Behörde das im Rahmen des Beschwerdeverfahrens erstattete weitere Parteivorbringen zu berücksichtigen hat.

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen, vorstehend zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (insbesondere dem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063) ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

5. Entfall einer mündlichen Verhandlung

5.1. Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Ungeachtet eines entsprechenden Antrags kann gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG die Durchführung einer Verhandlung auch dann unterbleiben, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung Art. 6 Abs. 1 EMRK bzw. Art. 47 GRC nicht entgegenstehen.

5.2. Im gegenständlichen Fall hat das belangte Bundesamt keine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht beantragt (sondern sich im Gegenteil bereits in der Beschwerdevorlage das Fernbleiben bei einer mündlichen Verhandlung angekündigt). Der für die kassatorische Entscheidung maßgebliche und unter Punkt 2. festgestellte Sachverhalt ist aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde im Sinn des Beschwerdevorbringens als geklärt anzusehen, sodass gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG von einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen werden konnte.

Schlagworte

Aufenthaltsverbot, aufschiebende Wirkung - Entfall,
Begründungsmangel, Begründungspflicht, Behebung der Entscheidung,
Ermittlungspflicht, Gefährdung der Sicherheit, Gefährdungsprognose,
Gesamtbetrachtung, Gesamtverhalten AntragstellerIn, Kassation,
konkrete Darlegung, mangelhaftes Ermittlungsverfahren, mangelnde
Sachverhaltsfeststellung, Nachvollziehbarkeit, öffentliche Ordnung,
öffentliche Sicherheit, Religion, Zurückverweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:L521.2215746.1.00

Zuletzt aktualisiert am

12.06.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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