Entscheidungsdatum
15.03.2019Norm
AsylG 2005 §15b Abs1Spruch
G314 1212741-5/2Z
TEILERKENNTNIS
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerde des XXXX, geboren am XXXX, serbischer Staatsangehöriger, vertreten durch den Verein XXXX, gegen den Bescheid vom 25.02.2019, Zl. XXXX, betreffend die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung und das Nichtbestehen einer Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheids) zu Recht:
A) Der Beschwerde gegen Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheids
wird Folge gegeben und dieser Spruchpunkt ersatzlos behoben. Gemäß § 18 Abs 5 BFA-VG wird der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer (BF) beantragte zuletzt am 31.08.2018 in Österreich internationalen Schutz. Als Fluchtgrund gab er zusammengefasst an, dass er seit 27 Jahren im Bundesgebeit lebe und in Serbien niemanden mehr habe. Er habe in sozialen Medien (Facebook) den serbischen Präsidenten, den er für kriminell und korrupt halte, kritisiert und befürchte daher bei seiner Rückkehr dorthin Probleme.
Nach der Erstbefragung und der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wurde der Antrag des BF mit dem oben angeführten Bescheid vollinhaltlich abgewiesen (Spruchpunkte I. und II.), kein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und die Zulässigkeit der Abschiebung nach Serbien festgestellt (Spruchpunkt III.), gemäß § 18 Abs 1 Z 1 BFA-VG einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt und gemäß § 55 Abs 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 15b Abs 1 AsylG die Unterkunftnahme im Quartier "BS Innsbruck AIBE" angeordnet (Spruchpunkt V.).
Spruchpunkt IV. wurde damit begründet, dass der BF aus einem sicheren Herkunftsstaat stamme. Im angefochtenen Bescheid heißt es dazu wörtlich weiter:
"Für die Behörde steht fest, dass für Sie bei Rückkehr in Ihren Herkunftsstaat keine reale Gefahr einer Menschenrechtsverletzung gegeben ist. Sie bedürfen daher nicht des Schutzes Österreichs. Es ist in Ihrem Fall davon auszugehen, dass die sofortige Umsetzung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme im Interesse eines geordneten Fremdenwesens geboten ist. Da Ihrem Antrag auf internationalen Schutz keine Aussicht auf Erfolg beschieden ist und Ihnen auch keine sonstige reale und menschenrechtsrelevante Gefahr im Herkunftsstaat droht, ist es Ihnen zumutbar, den Ausgang Ihres Asylverfahrens im Herkunftsstaat abzuwarten. Ihr Interesse auf einen Verbleib in Österreich während des gesamten Asylverfahrens tritt hinter das Interesse Österreichs auf eine rasche und effektive Durchsetzung der Rückkehrentscheidung zurück (sic)."
Eine weitere Begründung der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung erfolgte nicht.
Die Nichterteilung einer Frist für die freiwillige Ausreise wurde damit begründet, dass im Fall einer durchführbaren Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 18 BFA-VG keine Frist für die freiwillige Ausreise bestünde.
Dagegen richtet sich die Beschwerde des BF mit den Anträgen, eine Beschwerdeverhandlung durchzuführen und ihm den Status eines Asylberechtigten, in eventu, eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen. Hilfsweise strebt er auch die Aufhebung der Rückkehrentscheidung, den Ausspruch, dass diese auf Dauer unzulässig sei, die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 und 57 AsylG, die Aufhebung des Ausspruchs über die Zulässigkeit der Abschiebung nach Serbien und die Festsetzung einer Frist für die freiwillige Ausreise an. Der BF begründet die Beschwerde zusammengefasst damit, dass er aufgrund seiner Kritik am serbischen Präsidenten eine asylrelevante Verfolgung wegen seiner politischen Gesinnung in Serbien befürchte. Seine psychische Verfassung sei instabil; er sei in Österreich immer wieder in ärztlicher Behandlung und wegen seiner Suchtgiftabhängigkeit in einem Substitutionsprogramm. Das Substitutionsmedikament Compensan, das er einnehme, sei in Serbien nicht verfügbar. Er lebe seit 27 Jahren in Österreich und habe regelmäßig Kontakt zu seinen hier lebenden erwachsenen Kindern. Er spreche sehr gut Deutsch, sei arbeitsfähig und -willig und habe keine Bezugspersonen in Serbien, wo er wahrscheinlich keine Arbeit finden werde.
Das BFA legte dem BVwG die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, wo sie am 13.03.2019 (und am folgenden Tag in der zuständigen Gerichtsabteilung der Außenstelle Graz) einlangten, und beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
Feststellungen:
Der BF ist in Österreich strafrechtlich unbescholten. Er spricht Deutsch und hält sich nach eigenen Angaben seit 27 Jahren im Bundesgebiet auf, wo er 1999 erfolglos internationalen Schutz beantragte. Sein Aufenthalt war überwiegend nicht rechtmäßig. Er ist geschieden und war von Juli 1999 bis Jänner 2008 durchgehend mit Hauptwohnsitz gemeldet; von da an liegen bis XXXX 2018 nur Wohnsitzmeldungen in Polizeianhaltezentren und in einer Justizanstalt vor.
Derzeit bestreitet der BF seinen Lebensunterhalt durch Leistungen der Grundversorgung. Davor war er immer wieder ohne arbeitsmarktbehördliche Bewilligung und ohne entsprechenden Aufenthaltstitel erwerbstätig. Er ist als Asylwerber krankenversichert und hält sich in dem ihm zugewiesenen Grundversorgungsquartier auf, wo er mit Hauptwohnsitz gemeldet ist. In Österreich befinden sich auch seine beiden bereits erwachsenen Kinder.
Beweiswürdigung:
Der Verfahrensgang und die Feststellungen ergeben sich ohne entscheidungswesentliche Widersprüche aus dem unbedenklichen Inhalt der vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens und des Gerichtsakts des BVwG, insbesondere aus den Angaben des BF bei der Erstbefragung und bei der Einvernahme vor dem BFA am 19.09.2018.
Die strafgerichtliche Unbescholtenheit des BF ergibt sich aus dem Strafregister, der Bezug von Grundversorgungsleistungen und die Krankenversicherung ergeben sich aus dem GVS-Betreuungsinformationssystem. Er ist laut dem Zentralen Melderegister in seinem Grundversorgungsquartier mit Hauptwohnsitz gemeldet.
Rechtliche Beurteilung:
Das BVwG hat über eine Beschwerde gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung nach § 18 BFA-VG (oder gegen einen derartigen trennbaren Spruchteil eines Bescheids) gemäß § 18 Abs 5 BFA-VG binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde in Form eines (Teil-)Erkenntnisses zu entscheiden (vgl VwGH 19.06.2017, Fr 2017/19/0023; 13.09.2016, Fr 2016/01/0014).
Gemäß § 18 Abs 1 Z 1 BFA-VG kann das BFA einer Beschwerde gegen eine abweisende Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz die aufschiebende Wirkung aberkennen, wenn der Asylwerber aus einem sicheren Herkunftsstaat stammt. Diese Voraussetzung ist hier erfüllt, weil der BF aus Serbien, einem sicheren Herkunftsstaat gemäß § 19 Abs 5 BFA-VG iVm § 1 HStV, stammt.
Die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 18 Abs 1 Z 1 BFA-VG ist nicht zwingend, sondern setzt eine Abwägung der für und gegen die zu treffende Anordnung sprechenden Interessen voraus. Dabei ist das öffentliche Interesse an der raschen Aufenthaltsbeendigung von Asylwerbern, die aus einem sicheren Herkunftsstaat kommen, den im Einzelfall allenfalls entgegenstehenden privaten Interessen gegenüberzustellen (VwGH 28.04.2015, Ra 2014/18/0146).
Gemäß § 58 Abs 2 AVG sind Bescheide zu begründen, wenn dem Standpunkt der Partei nicht vollinhaltlich Rechnung getragen oder über Einwendungen oder Anträge von Beteiligten abgesprochen wird. Gemäß § 60 AVG sind in der Begründung die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Dem gesetzlichen Gebot, Bescheide zu begründen, ist als Ausdruck eines rechtsstaatlichen Verwaltungsverfahrens besondere Bedeutung beizumessen. Ein Begründungsmangel kann eine wesentliche Mangelhaftigkeit darstellen (Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht10 Rz 417 ff).
Eine pauschale Aberkennung der aufschiebenden Wirkung bei allen Asylwerbern, die aus sicheren Herkunftsstaaten stammen, ist nicht zulässig. Die Aberkennung bedarf vielmehr - auch angesichts der weitreichenden damit verbundenen Konsequenzen, insbesondere der Zulässigkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen vor Rechtskraft der Entscheidung über Anträge auf internationalen Schutz - einer entsprechend sorgfältigen, einzelfallbezogenen Begründung.
Das BFA begründete die im Rahmen der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung vorzunehmende Interessenabwägung hier nicht, sondern begnügte sich mit allgemein gehaltenen Textbausteinen, ohne auf den vorliegenden Einzelfall Bezug zu nehmen und insbesondere ohne auf die konkreten Interessen des unbescholtenen BF, der sich seit langem in Österreich aufhält, einzugehen, obwohl es im angefochtenen Bescheid von einem Inlandsaufenthalt des BF schon seit 1988 ausgeht (vgl Bescheid Seite 32).
Durch die Einschätzung des BFA, dem Antrag auf internationalen Schutz sei keine Aussicht auf Erfolg beschieden, wird das Ergebnis des Beschwerdeverfahrens in unzulässiger Weise vorweggenommen.
Aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde ergibt sich, dass eine Verletzung der in Art 8 EMRK festgelegten Rechte des BF durch die Abschiebung in seinen Herkunftsstaat nicht ausgeschlossen ist. Bei einem beinahe zehn Jahre oder länger dauernden inländischen Aufenthalt eines Fremden ist nach der Rechtsprechung des VwGH (abhängig von den Umständen des Einzelfalls) regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen, außer, wenn die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht zur sozialen und beruflichen Integration genutzt wurde. Dabei sind grundsätzlich auch Aufenthaltszeiten, die sich teilweise bis überwiegend auf einen unrechtmäßigen Aufenthalt stützen, zu berücksichtigen, wenn sich aus dem Verhalten des Fremden - abgesehen vom unrechtmäßigen Verbleib in Österreich - sonst keine wesentliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ergab. Das Gewicht allfälliger Verfehlungen ist in einer Gesamtabwägung zu berücksichtigen. Andererseits verstoßen Fremde, die - auch wenn sie sich während des Asylverfahrens vorläufig rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten - nach negativem Abschluss ihrer Asylverfahren unrechtmäßig in Österreich verbleiben, maßgeblich gegen das öffentliche Interesse an einem geordneten Fremdenwesen (VwGH 20.12.2012, 2011/23/0480).
Vor diesem Hintergrund besteht aufgrund des langen Inlandsaufenthalts des BF ein beachtenswertes Interesse iSd Art 8 EMRK, seiner Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, auch, damit allfällige Verfehlungen (Schwarzarbeit, unrechtmäßiger Aufenthalt) vor der Aufenthaltsbeendigung einer näheren Prüfung unterzogen werden können. Aus der Aktenlage ist nicht ersichtlich, dass öffentliche Interessen fallbezogen erfordern würden, den Aufenthalt des BF in Österreich ungeachtet seiner gegenteiligen privaten Interessen unverzüglich zu beenden (vgl VwGH 28.04.2015, Ra 2014/18/0146).
Da somit ohne nähere Prüfung des Sachverhalts nicht auszuschließen ist, dass eine Abschiebung des BF nach Serbien eine reale Gefahr einer Verletzung seiner Rechte gemäß Art 8 EMRK bedeuten würde, ist seiner Beschwerde die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs 5 BFA-VG zuzuerkennen.
Das Nichtbestehen einer Frist für die freiwillige Ausreise wurde vom BFA auf § 55 Abs 1a FPG gestützt. Nach dieser Bestimmung besteht eine Frist für die freiwillige Ausreise unter anderem dann nicht, wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 18 BFA-VG durchführbar wird.
Diese Voraussetzung konnte bei der Erlassung des angefochtenen Bescheids jedenfalls noch nicht erfüllt sein, zumal die Entscheidung über die Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz erst nach dem Verstreichen der Beschwerdefrist oder (wenn eine Beschwerde erhoben wird) bei Nichtzuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch das BVwG innerhalb von sieben Tagen ab Einlangen der Beschwerdevorlage durchführbar wird (vgl § 16 Abs 4 BFA-VG). Allenfalls wäre hier der (vom BFA nicht herangezogene) § 55 Abs 4 FPG eine passende Rechtsgrundlage für das Absehen von der Festlegung einer Frist für die freiwillige Ausreise (vgl Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht § 55 FPG K25 und 26).
Da die Begründung der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung keine nachvollziehbare Interessenabwägung enthält, mit der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung die Gefahr einer Verletzung von Art 8 EMRK verbunden ist und das Nichtbestehen einer Frist für die freiwillige Ausreise auf eine unzutreffende Bestimmung gestützt wurde, ist Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheids rechtswidrig und daher ersatzlos aufzuheben.
Eine mündliche Verhandlung entfällt gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG, weil bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der betroffene Spruchpunkt des angefochtenen Bescheids aufzuheben ist. Betreffend die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung basiert der Entfall der Beschwerdeverhandlung auch auf § 21 Abs 6a BFA-VG.
Die Revision war nicht zu zulassen, weil das BVwG keine qualifizierte Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu lösen hatte und sich an bestehender höchstgerichtlicher Rechtsprechung orientieren konnte.
Schlagworte
aufschiebende Wirkung, UnterkunftEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:G314.1212741.5.00Zuletzt aktualisiert am
12.06.2019