TE Bvwg Erkenntnis 2019/3/20 W141 2202544-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.03.2019
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Entscheidungsdatum

20.03.2019

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W141 2202544-1/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard HÖLLERER als Vorsitzenden und den Richter Mag. Stephan WAGNER sowie die fachkundige Laienrichterin Mag. Bettina PINTER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Wien vom 17.07.2018, OB: XXXX , betreffend die Abweisung des Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß § 40, § 41 und § 45 Bundesbehindertengesetz (BBG), zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.

Die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses liegen auf Grund des in Höhe von fünfzig (50) von Hundert (vH) festgestellten Grades der Behinderung vor.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer hat am 27.12.2017 beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Kurzbezeichnung:

Sozialministeriumservice; in der Folge belangte Behörde genannt) unter Vorlage eines Befundkonvolutes einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses und auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" und auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b Straßenverkehrsordnung 1960 (Parkausweis) gestellt.

1.1. Zur Überprüfung des Antrages wurde von der belangten Behörde ein Sachverständigengutachten eines Facharztes für Orthopädie, basierend auf der persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 06.06.2018, mit dem Ergebnis eingeholt, dass der Grad der Behinderung mit 40 vH bewertet wurde.

1.2. Mit Parteiengehör vom 29.06.2018 hat die belangte Behörde dem Beschwerdeführer die Möglichkeit eingeräumt zu diesem Sachverständigengutachten binnen drei Wochen nach Zustellung eine Stellungnahme abzugeben.

1.3. Mit Schreiben, eingelangt bei der belangten Behörde am 05.07.2018, brachte der Beschwerdeführer vor, er sei mit einem Grad der Behinderung von 40 vH nicht einverstanden, da sich sein Zustand nicht gebessert habe. Er könne nicht mit den öffentlichen Verkehrsmitteln fahren.

1.4. Zur Überprüfung der Einwendungen wurde eine Stellungnahme des Facharztes für Orthopädie mit dem Ergebnis eingeholt, dass die Einwendungen des Beschwerdeführers keine Änderung der Einschätzung ergeben würden.

1.5. Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde den Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß § 40, § 41 und § 45 BBG abgewiesen und einen Grad der Behinderung in Höhe von 40 vH festgestellt.

2. Gegen diesen Bescheid wurde vom Beschwerdeführer am 25.07.2018 fristgerecht Beschwerde erhoben. Unter Vorlage weiterer medizinischer Beweismittel wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass sein Grad der Behinderung zu niedrig eingeschätzt sei.

2.1. Zur Überprüfung des Beschwerdegegenstandes wurde vom Bundesverwaltungsgericht ein Sachverständigengutachten eines Facharztes für HNO, basierend auf der persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 18.09.2018 und ein Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Unfallchirurgie und Ärztin für Allgemeinmedizin, basierend auf der persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 25.10.2018, mit dem Ergebnis eingeholt, dass der Grad der Behinderung mit 50 vH bewertet wurde.

2.2. Im Rahmen des vom Bundesverwaltungsgericht gemäß § 17 VwGVG iVm § 45 Abs. 3 AVG mit Hinweis auf die Neuerungsbeschränkung gemäß § 46 BBG erteilten Parteiengehörs hat weder der Beschwerdeführer noch die belangte Behörde Einwendungen erhoben.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Da sich der Beschwerdeführer mit dem im angefochtenen Bescheid festgestellten Grad der Behinderung nicht einverstanden erklärt hat, war dieser zu überprüfen.

1. Feststellungen:

1.1. Der Beschwerdeführer hat seinen Wohnsitz im Inland.

1.2. Der Gesamtgrad der Behinderung beträgt 50 (fünfzig) vH.

1.2.1. Ausmaß der Funktionseinschränkungen:

Vegetativ:

Allgemeinzustand: gut, Ernährungszustand: gut

Größe: 170 cm Gewicht: 71 kg Nikotin: 15-20

Orthopädischer Status:

Caput/Collum: klinisch unauffälliges Hör- und Sehvermögen. Etwas heiser, Sprache ausreichend artikuliert. Narbe rechts cervikal.

Thorax: symmetrisch, elastisch

Atemexkursion seitengleich, sonorer Klopfschall, VA. HAT rein, rhythmisch.

Abdomen: klinisch unauffällig, keine pathologischen Resistenzen tastbar, kein Druckschmerz.

Integument: unauffällig

Schultergürtel und beide oberen Extremitäten:

Rechtshänder. Der Schultergürtel links ggr. höherstehend, annähernd symmetrische Muskelverhältnisse: Bandmaß Oberarm bds 27 cm, Unterarm rechts 26 cm, links 25 cm. Die Durchblutung ist ungestört, die Sensibilität wird im Bereich des linken Ring- und Kleinfingers als gestört angegeben. Die Benützungszeichen sind seitengleich vorhanden. Sämtliche Gelenke sind bandfest und klinisch unauffällig.

Aktive Beweglichkeit: Schultern rechts F 0/140, S 0/140, R endlagig eingeschränkt, Ellbogengelenke, Unterarmdrehung, Handgelenke, Daumen und Langfinger seitengleich frei beweglich. Grob- und Spitzgriff sind uneingeschränkt durchführbar. Der Faustschluss ist komplett bis auf Beugedefizit Zeigefinger links FKHA 2 cm, Fingerspreizen beidseits unauffällig, die grobe Kraft in etwa seitengleich proximal und distal KG 5/5, Tonus und Trophik unauffällig, Nacken- und Schürzengriff sind rechts endlagig eingeschränkt, links frei durchführbar.

Becken und beide unteren Extremitäten:

Freies Stehen sicher möglich, Zehenballengang und Fersengang beidseits ohne Anhalten und ohne Einsinken durchführbar. Der Einbeinstand ist ohne Anhalten möglich. Die tiefe Hocke ist möglich. Die Beinachse ist im Lot. Symmetrische Muskelverhältnisse. Beinlänge ident. Die Durchblutung ist ungestört, keine Ödeme, keine Varizen, die Sensibilität wird als ungestört angegeben. Die Beschwielung ist in etwa seitengleich. Sämtliche Gelenke sind bandfest und klinisch unauffällig.

Aktive Beweglichkeit: Hüften, Knie, Sprunggelenke und Zehen sind seitengleich frei beweglich.

Das Abheben der gestreckten unteren Extremität ist beidseits bis 60° bei KG 5 möglich.

Wirbelsäule:

Schultergürtel und Becken stehen horizontal, in etwa im Lot, regelrechte Krümmungsverhältnisse. Die Rückenmuskulatur ist symmetrisch ausgebildet. Kein Hartspann. Kein Klopfschmerz über der Wirbelsäule, ISG und Ischiadicusdruckpunkte sind frei. Narbe Haaransatz bis obere BWS 20 cm, Narbe unter Scapula bis hintere Axillarlinie

Aktive Beweglichkeit: HWS: F 30/0/30, R 50/0/50, Kinn-Jugulum Abstand 4/12 BWS/LWS: FBA: 10 cm, in allen Ebenen frei beweglich. Lasegue bds. negativ, Muskeleigenreflexe seitengleich mittellebhaft auslösbar, keine Reflexabschwächung.

Gesamtmobilität - Gangbild:

Kommt selbständig gehend mit Halbschuhen, das Gangbild hinkfrei und unauffällig. Das Aus- und Ankleiden wird selbständig im Sitzen durchgeführt.

Status psychicus:

Allseits orientiert; Merkfähigkeit, Konzentration und Antrieb unauffällig; Stimmungslage ausgeglichen.

HNO- Status:

Rechtes und linkes Ohr: ohne Befund

Nase: Frei

Mund/Rachen: Tons klein. Zunge belegt Raucherstomatitis, Gaumensegel hebt symmetrisch, Würgereflex erhalten.

Kehlkopf: Inspektion und Endoskopie wegen Würgens nicht durchführbar.

Gesicht/Hals: palpatorisch frei, Narbe rechter Hals (kosmetisch nicht störend) von paaralaryngeal rechts schräg nach medial bis oberes Sternum Rotation des Kopfes bds. stark eingeschränkt,.

Stimme: sehr schwach Rauigkeit Grad 1, Behauchtheit Grad 3; laute Stimme aufgehoben, tlw. schlecht verständlich.

1.2.2. Beurteilung der Funktionseinschränkungen:

Lfd. Nr.

Funktionseinschränkung

Position

GdB

01

Teilversteifung der HWS und BWS mit vorderer (C6 bis TH2) und hinterer (C5 bis TH4) Stabilisierung und Wirbelkörperresektion nach Ausräumung von Echinokokkuszysten Oberer Rahmensatz, da andauernder Therapiebedarf und mittelgradiger funktioneller Einschränkung ohne relevantes neurologisches Defizit.

02.01.02

40 vH

02

Parese des rechten Stimmbandes und der rechten Rachenwand Oberer Rahmensatz, da schwere Stimmstörung und verknüpft mit Schluckstörungen.

12.05.01

40 vH

03

Geringgradige Funktionseinschränkung rechte Schulter Fixer Richtsatzwert. Berücksichtigt Teilresektion 1. und 2. Rippe rechts

02.06.01

10 vH

Gesamtgrad der Behinderung

50 vH

 

 

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung: Das Leiden 1 wird durch das Leiden 2 um eine Stufe erhöht, da ein relevantes Zusatzleiden vorliegt. Leiden 3 erhöht nicht weiter, da kein maßgebliches ungünstiges Zusammenwirken mit Leiden 1 vorliegt.

1.3. Der Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses ist am 27.12.2017 bei der belangten Behörde eingelangt.

2. Beweiswürdigung:

Aufgrund der vorliegenden Beweismittel und des Aktes der belangten Behörde ist das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) in der Lage, sich vom entscheidungsrelevanten Sachverhalt im Rahmen der freien Beweiswürdigung ein ausreichendes Bild zu machen. Die freie Beweiswürdigung ist ein Denkprozess, der den Regeln der Logik zu folgen hat und im Ergebnis zu einer Wahrscheinlichkeitsbeurteilung eines bestimmten historisch empirischen Sachverhalts, also von Tatsachen, führt. Der Verwaltungsgerichtshof führt dazu präzisierend aus, dass eine Tatsache in freier Beweiswürdigung nur dann als erwiesen angenommen werden darf, wenn die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens ausreichende und sichere Anhaltspunkte für eine derartige Schlussfolgerung liefern (VwGH 28.09.1978, Zahl 1013, 1015/76).

Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens,

5. Auflage, § 45 AVG, E 50, Seite 305, führen beispielsweise in Zitierung des Urteils des Obersten Gerichtshofs vom 29.02.1987, Zahl 13 Os 17/87, aus: "Die aus der gewissenhaften Prüfung aller für und wider vorgebrachten Beweismittel gewonnene freie Überzeugung der Tatrichter wird durch eine hypothetisch denkbare andere Geschehensvariante nicht ausgeschlossen. Muss doch dort, wo ein Beweisobjekt der Untersuchung mit den Methoden einer Naturwissenschaft oder unmittelbar einer mathematischen Zergliederung nicht zugänglich ist, dem Richter ein empirisch-historischer Beweis genügen. Im gedanklichen Bereich der Empirie vermag daher eine höchste, ja auch eine (nur) hohe Wahrscheinlichkeit die Überzeugung von der Richtigkeit der wahrscheinlichen Tatsache zu begründen, (...)".

Zu 1.1) Die Feststellungen zu den allgemeinen Voraussetzungen ergeben sich aus dem diesbezüglich unbedenklichen, widerspruchsfreien und unbestrittenen Akteninhalt sowie dem Auszug aus dem zentralen Melderegister mit Stichtag 10.08.2018.

Zu 1.2) Die Feststellungen zu Art und Ausmaß der Funktionseinschränkungen gründen sich - in freier Beweiswürdigung - in nachstehend ausgeführtem Umfang auf die vorgelegten und eingeholten Beweismittel:

Die eingeholten ärztlichen Sachverständigengutachten sind schlüssig, nachvollziehbar und frei von Widersprüchen.

Es wurde auf die Art der Leiden und deren Ausmaß ausführlich eingegangen. Die getroffenen Einschätzungen, basierend auf den im Rahmen der persönlichen Untersuchungen des Beschwerdeführers erhobenen klinischen Befunden, entsprechen unter Berücksichtigung der vorgelegten Beweismittel den festgestellten Funktionseinschränkungen. Diese stehen nicht im Widerspruch zum Ergebnis des eingeholten Sachverständigenbeweises, es wird kein höheres Funktionsdefizit beschrieben, als gutachterlich festgestellt wurde und sie enthalten auch keine neuen fachärztlichen Aspekte, welche unberücksichtigt geblieben sind.

Die Krankengeschichte des Beschwerdeführers wurde umfassend und differenziert nach den konkret vorliegenden Krankheitsbildern auch im Zusammenwirken zueinander berücksichtigt.

Der HNO-fachärztliche Sachverständige berücksichtigt erstmalig das Leiden 2 "Parese des rechten Stimmbandes und der rechten Rachenwand" und stuft dieses nachvollziehbar nach den Kriterien der Einschätzungsverordnung unter der Positionsnummer 12.05.01 mit dem oberen Rahmensatz mit eine Grad der Behinderung von 40 vH ein, da eine schwere Stimmstörung verknüpft mit einer Schluckstörung vorliegt. Diese Gesundheitseinschränkung wurde im verwaltungsbehördlichen Sachverständigengutachten nicht berücksichtigt, ist aber eindeutig befundmäßig belegt und somit objektivierbar. Da eine Operation geplant ist, kann es zu einer Verbesserung kommen und ist eine Nachuntersuchung in zwei Jahren erforderlich.

Das Leiden 1 "Teilversteifung der HWS und BWS mit vorderer (C6 bis TH2) und hinterer (C5 bis TH4) Stabilisierung und Wirbelkörperresektion nach Ausräumung von Echinokokkuszysten" wurde von der unfallchirurgischen Sachverständigen nachvollziehbar unter der Positionsnummer 02.01.02 mit dem oberen Rahmensatz mit einem Grad der Behinderung von 40 vH eingestuft, da ein andauernder Therapiebedarf besteht und mittelgradige funktionelle Einschränkungen ohne relevantes neurologisches Defizit vorliegen. Die Einschätzung wird durch die vorliegenden medizinischen Unterlagen untermauert und wird dies von der unfallchirurgischen Sachverständigen im verwaltungsgerichtlich eingeholten Sachverständigengutachten bestätigt.

Die unfallchirurgische Sachverständige schätzte das Leiden 3 "Geringgradige Funktionseinschränkung rechte Schulter" schlüssig und nachvollziehbar nach den Kriterien der Einschätzungsverordnung erstmalig unter der Positionsnummer 02.06.01 mit dem fixen Richtsatz von 10 vH unter Berücksichtigung der Teilresektion der ersten und zweiten Rippe rechts ein. Dieses Leiden wurde vom orthopädischen Sachverständigen im verwaltungsbehördlichen Sachverständigengutachten nicht berücksichtig, ist jedoch anhand der aktuellen klinischen Untersuchung objektivierbar und wurde sohin neu in die Liste der Funktionseinschränkungen aufgenommen.

Der Gesamtgrad der Behinderung beträgt 50 vH. Begründend für den Gesamtgrad der Behinderung führt die allgemeinmedizinische Sachverständige nachvollziehbar und unzweifelhaft an, dass das Leiden 1 durch das Leiden 2 um eine Stufe erhöht wird, da ein relevantes Zusatzleiden vorliegt. Leiden 3 erhöht den Gesamtgrad der Behinderung nicht weiter, da diesfalls kein maßgebliches ungünstiges Zusammenwirken mit dem führenden Leiden 1 vorliegt.

Die Sachverständigengutachten stehen mit den Erfahrungen des Lebens, der ärztlichen Wissenschaft und den Denkgesetzen nicht in Widerspruch. Auch war dem Vorbringen sowie den eingeholten und vorgelegten Beweismitteln kein Anhaltspunkt zu entnehmen, die Tauglichkeit der befassten Sachverständigen oder deren Beurteilung beziehungsweise Feststellungen in Zweifel zu ziehen.

Die Angaben des Beschwerdeführers waren sohin geeignet, das der angefochtenen Entscheidung zugrunde gelegte Sachverständigengutachten zu entkräften und eine geänderte Beurteilung herbeizuführen.

Die Abweichung zur Beurteilung im der angefochtenen Entscheidung zugrunde gelegten Sachverständigengutachten resultiert aus dem nunmehr erstmalig beurteilten Leiden 2 und der negativen wechselseitigen Beeinflussung des Leidens 1durch Leiden 2 .

Zu 1.3.) Der Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses weist am Eingangsvermerk der belangten Behörde das Datum 27.12.2017 auf.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichts-verfahrensgesetz - VwGVG) geregelt (§ 1 leg.cit.).

Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Zu A)

1. Zur Entscheidung in der Sache:

Gemäß § 1 Abs. 2 BBG ist unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

Gemäß § 40 Abs. 1 BBG ist behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn

1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

4. für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder

5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

Gemäß § 40 Abs. 2 BBG ist behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ein Behindertenpass auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist.

Gemäß § 35 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 7. Juli 1988 über die Besteuerung des Einkommens natürlicher Personen (Einkommensteuergesetz 1988 - EStG 1988), BGBl. Nr. 400/1988 idgF, bestimmt sich die Höhe des Freibetrages nach dem Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung). Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) richtet sich in Fällen,

1. in denen Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden, nach der hiefür maßgebenden Einschätzung,

2. in denen keine eigenen gesetzlichen Vorschriften für die Einschätzung bestehen, nach § 7 und § 9 Abs. 1 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957 bzw. nach der Einschätzungsverordnung, BGBl. II Nr. 261/2010, für die von ihr umfassten Bereiche.

Die Tatsache der Behinderung und das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) sind durch eine amtliche Bescheinigung der für diese Feststellung zuständigen Stelle nachzuweisen.

Zuständige Stelle ist:

-

Der Landeshauptmann bei Empfängern einer Opferrente (§ 11 Abs. 2 des Opferfürsorgegesetzes, BGBl. Nr. 183/1947).

-

Die Sozialversicherungsträger bei Berufskrankheiten oder Berufsunfällen von Arbeitnehmern.

-

In allen übrigen Fällen sowie bei Zusammentreffen von Behinderungen verschiedener Art das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen; dieses hat den Grad der Behinderung durch Ausstellung eines Behindertenpasses nach §§ 40 ff des Bundesbehindertengesetzes, im negativen Fall durch einen in Vollziehung dieser Bestimmungen ergehenden Bescheid zu bescheinigen.

Gemäß § 41 Abs. 1 BBG gilt als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder

2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.

Gemäß § 42 Abs. 1 BBG hat der Behindertenpass den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

Gemäß § 42 Abs. 2 BBG ist der Behindertenpass unbefristet auszustellen, wenn keine Änderung in den Voraussetzungen zu erwarten ist.

Gemäß § 45 Abs. 1 BBG sind Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

Gemäß § 45 Abs. 2 BBG ist ein Bescheid nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

Da das nunmehr objektivierte Ausmaß der Einschränkungen des Beschwerdeführers durch die erstmalige Einstufung des Leidens 2 "Parese des rechten Stimmbandes und der rechten Rachenwand" und des mit diesem einhergehend funktionell negativ zusammenwirkenden Leidens 1 die Anhebung des Gesamtgrades der Behinderung auf 50 vH rechtfertigt, liegen die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses vor. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

2. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn

1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder

2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.

Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.

Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

Weiters kann das Verwaltungsgericht gemäß § 24 Abs. 5 VwGVG von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.

In seinem Urteil vom 18. Juli 2013, Nr. 56.422/09 (Schädler-Eberle/Liechtenstein) hat der EGMR in Weiterführung seiner bisherigen Judikatur dargelegt, dass es Verfahren geben würde, in denen eine Verhandlung nicht geboten sei, etwa wenn keine Fragen der Beweiswürdigung auftreten würden oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten seien, sodass eine Verhandlung nicht notwendig sei und das Gericht auf Grund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden könne (VwGH 03.10.2013, Zl. 2012/06/0221).

Maßgebend für die gegenständliche Entscheidung über den Gesamtgrad der Behinderung sind die Art und das Ausmaß der beim Beschwerdeführer festgestellten Gesundheitsschädigungen. Zur Klärung des Sachverhaltes wurden daher ärztliche Sachverständigengutachten eingeholt. Wie unter Punkt II. 2. bereits ausgeführt, wurden diese als nachvollziehbar, vollständig und schlüssig erachtet.

Im Rahmen des Parteiengehörs hatten die Verfahrensparteien die Möglichkeit sich zu äußern. Das Ergebnis des verwaltungsgerichtlichen Ermittlungsverfahrens hinsichtlich der - verfahrensgegenständlichen - Höhe des Grades der Behinderung, wurde jedoch nicht bestritten. Es wurden der Beschwerde keine Beweismittel beigelegt, welche mit der gutachterlichen Beurteilung der Funktionseinschränkungen nicht in Einklang stehen. Das Beschwerdevorbringen war - wie unter Punkt II. 2. bereits ausgeführt - geeignet, relevante Bedenken an den Feststellungen der belangten Behörde hervorzurufen. Die vorgebrachten Argumente und vorgelegten Beweismittel wurden in den eingeholten Sachverständigengutachten berücksichtigt und es resultiert daraus die geänderte Beurteilung. Sohin ist der Sachverhalt geklärt und unbestritten. Daher konnte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Vielmehr hängt die Entscheidung von Tatsachenfragen ab. Maßgebend sind die Art des Leidens und das festgestellte Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen.

Es handelt sich um eine einzelfallbezogene Beurteilung, welche im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde.

Schlagworte

Behindertenpass, Grad der Behinderung, Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W141.2202544.1.00

Zuletzt aktualisiert am

12.06.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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