TE Bvwg Erkenntnis 2019/3/27 G307 2203721-1

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Veröffentlicht am 27.03.2019
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Entscheidungsdatum

27.03.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs3
AsylG 2005 §55
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs3
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

G307 2203719-1/4E

G307 2203721-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Markus MAYRHOLD als Einzelrichter über die Beschwerden 1. der XXXX, geb. am XXXX sowie 2. der XXXX, geb. am XXXX, beide StA.: Serbien, letztere gesetzlich vertreten durch die Mutter, beide rechtlich vertreten durch Dr. Margit SWOZIL und Dr. Peter LECHENAUER in 5020 Salzburg, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.06.2018, Zahlen XXXX und XXXX

nach öffentlicher mündlicher Verhandlung zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerden werden als unbegründet a b g e w i e s e n .

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Erst- und Zweitbeschwerdeführerin (im Folgenden: BF1 und BF2 bzw. BF) stellten am 05.03.2018 jeweils einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß Art 8 EMRK.

2. Mit Schreiben vom 08.03.2018 räumte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden BFA) den BF dahingehend Parteiengehör binnen zwei Wochen ab dessen Erhalt ein.

3. Nach Einbringung eines Fristerstreckungsersuchens seitens der Rechtsvertreter (RV) der BF erstattete die BF durch diese am 04.04.2018 die dahingehende Stellungnahme, welche am 05.04.2018 beim BFA einlangte. Dieser wurden zahlreiche Dokumente der BF beigelegt.

4. Mit den im Spruch genannten Bescheiden des BFA vom 25.06.2018, der RV der BF zugestellt am 04.07.2018, wurden die Anträge der BF auf Erteilung eines "Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen" gemäß § 55 AsylG 2005 abgewiesen, gegen die BF gemäß § 10 Abs. 3 AsylG iVm. § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der BF gemäß § 46 FPG nach Serbien zulässig sei (Spruchpunkt II.), sowie diesen gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine Frist zur freiwilligen Ausreise im Ausmaß von 14 Tagen gewährt (Spruchpunkt III.).

5. Mit per Post am 01.08.2018 datierten um am selben Tag beim BFA eingebrachtem Schreiben erhoben die BF durch deren RV gegen die zuvor genannten Bescheide das Rechtsmittel der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG).

Darin wurde beantragt, in der Sache selbst zu entscheiden, die Bescheide aufzuheben und den gegenständlichen Beschwerden vollinhaltlich stattzugeben, gemäß § 44 VwGVG eine mündliche Verhandlung anzuberaumen, in eventu die angefochtenen Bescheide mit Beschluss aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung neuer Bescheide an die Behörde zurückzuverweisen.

Die gegenständlichen Beschwerden und die zugehörigen Verwaltungsakten wurden vom Bundesamt dem BVwG am 10.08.2018 vorgelegt und langten dort am 17.08.2018 ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die BF führen die im Spruch angegebenen Identitäten (Name und Geburtsdatum) und sind serbische Staatsbürger. BF1 ist die Mutter der BF2 und lebt mit dieser im gemeinsamen Haushalt. BF1 lernte den Kindesvater, dessen Name und Anschrift ihr unbekannt ist, im März 2017 bei einer Geburtstagsfeier im XXXX kennen und zeugte mit ihm die BF2 in dieser Nacht. BF2 wurde in Österreich geboren. Derzeit lebt BF1 in keiner Beziehung.

1.2. BF1 absolvierte in Serbien 8 Jahre lang die Grundschule, 4 Jahre eine technische Schule mit Reifeprüfung und 2 Semester das Studium der Architektur. Sie wohnte dort bei ihren Eltern, die sie auch finanziell unterstützten, jedoch den Kontakt zu ihr abbrachen, nachdem sie von der Geburt der BF 2 erfuhren. Letztere besitzen in Serbien ein Haus.

1.3. BF1 reiste ursprünglich im Oktober 2012 nach Österreich ein, wo sie sich seitdem ununterbrochen aufhält. Sie stellte am 11.02.2013 bei der Magistratsabteilung 35 der Stadt XXXX erstmalig einen Antrag auf Erteilung einer quotenfreien Erst-Aufenthaltsbewilligung "Studierende". Dem folgten Verlängerungsanträge, zuletzt am 17.01.2017 bei der Bezirkshauptmannschaft XXXX (BH XXXX) zwecks Absolvierung einer Fachhochschule für Bauingenieurswesen in XXXX, welche sie jedoch mangels Erfolges abbrach. Seitdem befindet sie sich unrechtmäßig im Bundesgebiet.

1.4. BF1 war vom 06.12.2012 bis 31.12.2015 in insgesamt 4 Arbeitsverhältnissen bei ebenso vielen Arbeitgebern beschäftigt. Seit XXXX2016 ist sie selbstversichert. Auch BF2 ist sozialversichert. Aktuell verfügt BF1 über eine Einstellungszusage der Firma "XXXX", welche jedoch weder hinsichtlich des Stundenausmaßes noch im Hinblick auf die Tätigkeit oder den in Aussicht genommenen Stundenlohn näher ausgestaltet ist. Ein dahingehender arbeitsrechtlicher Vorvertrag wurde mit ihr am 03.04.2018 abgeschlossen, wobei ein Wochenarbeitsausmaß von 30 Stunden sowie ein hiefür zu leistendes Bruttoentgelt in der Höhe von € 1.350,00 vereinbart wurden. BF1 sollte demnach als Kassiererin und Bedienerin eingesetzt werden. Dieser Vorvertrag wäre seinem Inhalt nach bereits kündbar, weil er von beiden Vertragsteilen - ab dem Zeitpunkt des Abschlusses - innerhalb von 8 Monaten aufgelöst werden kann, wenn keine Bewilligung zur Arbeitsaufnahme vorliegt. In der mündlichen Verhandlung versicherte BF1, dass der dahingehende Vorvertrag noch in Geltung stehe.

BF1 absolvierte zudem am 07.12.2013 ein XXXX-Seminar bei der XXXX. Sie ist Mitglied im Folkloreverein "XXXX" und wird bei dessen Veranstaltungen aktiv mit.

1.5. BF1 wurde mit Bescheid der Technischen Universität XXXX (im Folgenden TU XXXX) ab dem Wintersemester 2012/2013, Sommersemester 2013 oder dem Wintersemester 2013/2014 zum Bachelorstudium der Architektur zugelassen. Sie absolvierte am XXXX2014 an der TU die Ergänzungsprüfung aus Deutsch, um das Studium der Architektur an der dortigen Hochschule belegen zu können. Zwischen 18.03.2014 und 04.01.2016 belegte sie insgesamt 23 Lehrveranstaltungen, von denen sie 16 bestand, 6 mit "Nicht Genügend" oder "Ohne Erfolg" belegte und ihr 1 Orientierungskurs angerechnet wurde. Die letzte positive Prüfung legte BF1 ebenso am 18.03.2014 ab.

Im Sommersemester 2017 belegte sie einen Lehrgang auf der Fachhochschule für Bauingenieurswesen in XXXX, welches sie nach diesem Halbjahr ohne Erfolg abbrach, weil es ihr zu schwierig war.

1.6. Die BF nehmen derzeit bei XXXX und XXXX, einem befreundeten Ehepaar kostenlos Unterkunft. Finanziell werden die beiden BF von XXXX und XXXX sowie XXXX unterstützt, wobei die beiden erstgenannten den beiden erstgenannten sie mit etwa € 350,00 bis € 400,00 pro Monat aushelfen. Bei XXXX reinigte BF1 von Zeit zu Zeit und erhält hiefür € 50,00. XXXX und XXXXkaufen für die BF2 je nach Bedarf Kleidung, Windeln und diverses Spielzeug. XXXX, welche BF1 seit ihrer Kindheit kennt, unterstützt diese bei der Betreuung von BF2.

XXXX und XXXX (Cousin und Cousine der BF1), XXXX und XXXX (Onkel und Tante der BF1), XXXX (Bruder der Großmutter der BF1), XXXX und XXXX (Freunde), XXXX (Freundin), XXXX und XXXX(Freunde), XXXX und XXXX (Freunde), XXXX und XXXX (Freunde), XXXX und XXXX (Freunde), XXXX und XXXX (Freunde), XXXX und XXXX (Freunde), XXXX (Freundin), XXXX und XXXX(Freunde), XXXX, XXXX, XXXX, XXXX, XXXX(Mitglieder in dem Folkloreverein "XXXX", in welche auch die BF1 mitwirkt), XXXX und XXXX (Freunde) beschreiben die BF1 in weiten Zügen als höflich, integrationswillig, hilfsbereit, ehrlich, freundlich und würden deren Verbleib wie jenen ihrer Tochter in Österreich begrüßen.

1.7. BF1 besaß beginnend mit XXXX2013 bis XXXX2018 Aufenthaltstitel als Studierende, teils ausgestellt von der Abteilung 35 des Magistrats der XXXX und zuletzt von der Bezirkshauptmannschaft XXXX (im Folgenden: BH XXXX). Die BF war sich sowohl des Wegfalls des dahingehenden Aufenthaltszwecks als auch bewusst, dass sie sich ab diesem Zeitpunkt unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhält.

1.8. BF1 und BF2 sind gesund, BF1 arbeitsfähig und strafrechtlich unbescholten. Sie besitzt Deutschkenntnisse des Niveaus "B2".

1.9. Serbien gilt als sicherer Herkunftsstaat.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakte des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

2.2. Die oben getroffenen Feststellungen beruhen auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht auf Grund der vorliegenden Akten durchgeführten Ermittlungsverfahrens und werden in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt:

Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zu Identität, Familienstand, Staatsangehörigkeit, Schul- und Universitätsausbildung in Serbien, durchgehendem Aufenthalt im Bundesgebiet, gemeinsamer Wohnsitz der beiden BF bei XXXX und XXXX getroffen wurden, beruhen diese auf den durchgehend widerspruchsfreien Angaben der BF1, den Ausführungen in der Beschwerde, den Stellungnahmen, in der mündlichen Verhandlung, den Zeugenaussagen des XXXX und der XXXX sowie dem Inhalt des auf die Namen der BF lautenden Auszug aus dem Zentralen Melderegister (ZMR). Anhaltspunkte dafür, dass BF1 aktuell in einer Beziehung lebt, fanden sich nicht. Eine solche wurde auch nicht ins Treffen geführt.

Das schlechte Verhältnis zu den Eltern und der Abbruch des Kontaktes zur BF1 nach Kenntnis der Schwangerschaft wurden von dieser selbst vorgebracht und von den Zeugen XXXX und XXXX, der Hausbesitz der Eltern in Serbien von der BF1 bestätigt.

Die BF legten auf deren Namen ausgestellte serbische Reisepässe vor, an deren Echtheit und Richtigkeit keine Zweifel aufgekommen sind.

Die Unwissenheit über die Person des Kindesvaters, seinen Namen und Anschrift, den Tag der ersten und zugleich letzten Kontaktaufnahme auf einer Party sowie die Zeugung der BF2 sind den Angaben der BF1 in der Beschwerde wie ihren vor dem erkennenden Gericht getätigten Aussagen zu entnehmen. Da die BF1 ihren nachvollziehbaren Ausführungen zufolge bloß eine Nacht mit dem Vater ihrer Tochter verbrachte und anschließend keine weiteren Nachforschungen zu dessen Verbleib anstrengte, war sie nicht in der Lage dahingehende weitere Informationen zu geben.

Die von der BF1 bisher innegehabten Aufenthaltstitel folgen dem Inhalt des Zentralen Fremdenregisters (ZFR). Dass diese sich derzeit unrechtmäßig im Bundesgebiet befindet, hat sie nicht nur zugestanden, sondern ergibt sich aus dem erfolglosen Abbruch des letzten Fachhochschulstudiums wie dem Umstand, dass damit auch der jüngst beantragte Aufenthaltstitel bei der BH Gmunden gegenstandslos wurde.

Die bisher ausgeübten Erwerbstätigkeiten der BF1 wie die Selbstversicherung beider BF ist aus dem Inhalt des auf beide lautenden Sozialversicherungsdatenauszuges ersichtlich. Darin ist auch festgehalten, dass beide BF sozialversichert sind. Der arbeitsrechtliche Vorvertrag samt Nebenbedingungen ist ebenso Bestandteil des Akteninhaltes wie die schlichte Einstellungszusage, die keine genaueren Angaben zu den Bedingungen des Beschäftigungsverhältnisses enthält.

Die Deutschkenntnisse des Niveaus "B2" ergeben sich aus der dahingehenden Bestätigung der technischen Universität XXXX vom 18.02.2014, die bisher absolvierten Prüfungen und besuchten Lehrveranstaltungen im Rahmen des Bachelorstudiums Architektur auf der TU XXXX aus dem Inhalt der Bestätigung des Studienerfolges vom 31.03.2016. Die Bekleidung eines Semesters an der FH XXXX für Bauingenieurswesen ist dem Inhalt des dahingehenden Ausbildungsvertrags zu entnehmen und deckt sich mit den Aussagen der BF1 in der mündlichen Verhandlung.

BF1 hat angeführt, an keinen Krankheiten zu leiden. Deren Arbeitsfähigkeit ist dem Umstand der Einstellungszusage geschuldet, war sie bereits mehrfach beschäftigt und ergaben sich auch sonst keine Anhaltspunkte für eine Arbeitsunfähigkeit. Hinweise darauf, dass BF2 krank sei, waren dem Akt nicht zu entnehmen.

Die strafrechtliche Unbescholtenheit folgt dem Amtswissen des BVwG durch Einsichtnahme in das Strafregister der Republik Österreich.

Die finanziellen und sonstigen den BF gewährten Unterstützungen der unter I.1.6. angeführten Personen ergeben sich aus deren schriftlichen Stellungnahmen im Verfahren vor dem Bundesamt, den Zeugeneinvernahmen und den eigenen Ausführungen der BF1 in der mündlichen Verhandlung. Die Unterstützungserklärungen sind den Angaben der weiteren an der besagten Stelle genannten Personen wie den diesbezüglichen schriftlichen Stellungnahmen vor dem Bundesamt zu entnehmen.

Dass Serbien ein sicherer Herkunftsstaat ist, ergibt sich aus § 1 Z 6 der Herkunftsstaatenverordnung.

Wenn in der Beschwerde behauptet wird, BF1 halte sich bereits seit Oktober 2012 im Bundesgebiet auf und führe sie ein schützenswertes Privat- und Familienleben, so blendet diese Ansicht einige Dinge aus. Es trifft zwar zu, dass der Aufenthalt der BF1 aufgrund von dahingehenden Titeln, die an die von ihr betriebenen Studien knüpften, bis Februar 2018 rechtens war. Es wird auch nicht verkannt, dass BF1 zahlreiche Freunde gefunden hat und durch ihre Mitgliedschaft in einem Folkloreverein, mehrere Beschäftigungen und die Erlangung von Deutschkenntnissen ihren Integrationswillen bekundet hat. Doch darf nicht übersehen werden, dass die BF1 ihre letzte Hochschulprüfung im März 2014 bestanden hat, danach jedoch keinen Studienerfolg mehr aufwies. Umso mehr kommt diesem Umstand Bedeutung zu, als damals BF2 noch nicht geboren war.

Auch was die finanziellen Unterstützungen der Verwandten und Freunde an die beiden BF betrifft, besteht auf diese kein Rechtsanspruch und wurde dahingehend auch keine Haftungserklärung eines Notars (etwa iSd § 2 Abs. 1 Z 15 NAG) vorgelegt, welche einen solchen Anspruch vermittelt hätte.

BF1 zeigte zudem keinen Willen oder Bemühungen, den Vater ihres Kindes ausfindig zu machen, um so zum Unterhalt für ihre Tochter zu gelangen und es ihr ermöglichen, ihren Vater kennenzulernen.

Im Ergebnis kann somit keinesfalls von einem gesicherten Unterhalt der beiden BF gesprochen werden und relativiert sich der bis 2018 rechtmäßige Aufenthalt vor dem Hintergrund des Verbleibs der BF trotz Kenntnis um die Unrechtmäßigkeit ihres Aufenthalts.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

3.1. Zur Abweisung der Beschwerde:

3.1.1. Gemäß § 2 Abs. 4 Z 1 FPG gilt als Fremder, wer die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzt und gemäß Z 10 leg cit als Drittstaatsangehöriger jeder Fremder der nicht EWR-Bürger oder Schweizer Bürger ist.

Die BF sind aufgrund ihrer serbischen Staatsangehörigkeit sohin Drittstaatsangehörige iSd. § 2 Abs. 4 Z 10 FPG.

3.1.2. Gemäß § 31 Abs. 1 FPG halten sich Fremde rechtmäßig im Bundesgebiet auf, wenn sie rechtmäßig eingereist sind und während des Aufenthaltes im Bundesgebiet die Befristung oder Bedingungen des Einreisetitels oder des visumfreien Aufenthaltes oder die durch zwischenstaatliche Vereinbarungen, Bundesgesetz oder Verordnung bestimmte Aufenthaltsdauer nicht überschritten haben (Z 1), oder sie auf Grund einer Aufenthaltsberechtigung oder eine Dokumentation des Aufenthaltsrechtes nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zur Niederlassung oder zum Aufenthalt oder aufgrund einer Verordnung für Vertriebene zum Aufenthalt berechtigt sind (Z 2).

Die BF fallennicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG.

Die BF sind als serbische Staatsangehöriger gemäß Art. 1 Abs. 1 iVm Anlage I der Verordnung (EG) Nr. 539/2011 vom 15.03.2001, ABl. L 81 vom 21.03.2001, S. 1, von der Visumpflicht befreit sowie zudem seit Ablauf der jüngsten Aufenthaltsberechtigung der BH Gmunden am 27.02.2018 nicht mehr im Besitz eines Aufenthaltstitels für Österreich, zumal eine Antragstellung wie die vorliegende gemäß § 58 Abs. 13 AsylG kein Aufenthaltsrecht in Österreich vermittelt.

3.1.3. Der mit "Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK" betitelte § 55 AsylG lautet:

"§ 55. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn

1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und

2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955) erreicht wird.

(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen."

Der mit "Schutz des Privat- und Familienlebens" betitelte § 9 BFA-VG lautet:

"(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 Abs. 1a FPG nicht erlassen werden, wenn

1. ihm vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können, oder

2. er von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist.

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt."

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Im gegenständlichen Fall leben zahlreiche (überwiegend nicht in gerader Linie verwandte) Personen und Freunde der BF1 in Österreich und unterstützen diese die beiden BF nach ihren Kräften. BF1 lebt in keiner Beziehung. Die BF verfügen somit über ein Privat- und Familienleben im Bundesgebiet. Dieser Umstand erfährt jedoch insofern eine Einschränkung, als die BF seit über einem Jahr über keinen Aufenthaltstitel in Österreich mehr verfügen. Auch kann unter Miteinbeziehung des bloß bis März 2014 existenten Studienerfolgs der BF1 nicht per se gesagt werden, dass eine Rückkehr der BF nach Serbien unmöglich wäre, zumal die Genannten die beiden BF auch dort - etwa durch Geldüberweisungen - unterstützen könnten.

Unter "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva ua gg Lettland, EuGRZ 2006, 554). Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Peter Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 EMRK, ÖJZ 2007, 852 ff).

Die BF hielt sich bis zu ihrem 19. Lebensjahr, somit die überwiegende Zeit ihres Lebens in Serbien auf, wo sie geboren und sozialisiert wurde. Ihre Muttersprache ist Serbokroatisch, sie hat dort ihre Reifeprüfung abgelegt sowie die Universität besucht. Die Eltern der BF1 halten sich - auch wenn das Verhältnis zu diesen derzeit getrübt ist - weiterhin in Serbien auf. Es kann sohin nicht davon gesprochen werden, dass die BF in Serbien keinerlei Existenzgrundlage mehr hätte oder soziale Bezüge mehr vorfänden und somit als völlig entwurzelt anzusehen wären.

Darüber hinaus ist BF1 nicht selbsterhaltungsfähig und geht derzeit keiner Erwerbstätigkeit nach. Die zahlreichen Unterstützungsschreiben für die BF sind nur allzu logisch, jedoch nicht geeignet, die auf der Habenseite der BF (vor allem der BF1) zu Buche stehenden Belange (mangelnder Studienerfolg, fehlende Selbsterhaltungsfähigkeit, kein Rechtsanspruch auf Unterhaltsleistungen, Verbleib im Bundesgebiet trotz Fehlens einer dahingehenden Berechtigung seit Februar 2018) wettzumachen. Daran kann auch der Arbeitsvorvertrag nichts ändern, knüpft dieser doch an das Bestehen eines Aufenthaltstitels.

Die beiden BF versuchten durch das Einbringen der gegenständlichen Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 ihren Aufenthalt zu legitimieren.

Einem solchen Aspekt kommt zwar unter dem Gesichtspunkt des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG 2014 ("Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren") Bedeutung zu. Dies hat zwar vor dem Hintergrund der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht zur Konsequenz, dass der während unsicheren Aufenthalts erlangten Integration überhaupt kein Gewicht beizumessen ist und ein solcherart begründetes privates und familiäres Interesse nie zur Unzulässigkeit einer Ausweisung (bzw. Rückkehrentscheidung) führen kann (VwGH 23.02.2017, Ra 2016/21/0325 mwN).

BF1 hielt sich war von Oktober 2012 bis Februar 2018, also rund 5 1/2 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet auf, nutzte jedoch (zumindest) die Zeit bis zur Geburt ihrer Tochter im Dezember 2017 nicht nachhaltig, um in Studium und Beruf Fuß zu fassen. Aus diesem Grund muss auch diese Zeitspanne unter dem Blickwinkel des § 9 BFA-VG eine weitergehende Relativierung erfahren.

Dem Umstand des nunmehr unrechtmäßigen Aufenthalts der BF im Bundesgebiet, welcher von der belangten Behörde bei der Begründung der Erlassung der gegenständlichen Rückkehrentscheidung in den Vordergrund gerückt wurde, kommt angesichts dessen eine wesentliche Bedeutung zu. Bei der Beurteilung des "Grades der Integration" (§ 9 Abs. 2 Z 4 BFA-VG) ist all jenen für (und wider) die BF sprechenden Punkte gehörige Beachtung zu schenken (vgl. dazu auch VwGH vom 20.10.2016, Zl. Ra 2016/21/0224 mwN).

Die einzelnen Umstände auf Seiten der BF1 stellen für sich genommen keine außergewöhnlichen Integrationsschritte dar und ist im gegenständlichen Fall in einer Abwägung aller Faktoren das private Interesse an der - nicht nur vorübergehenden - Fortführung des Privatlebens der BF in Österreich dem öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung der Nachrang einzuräumen.

Demzufolge erweist sich die Erlassung einer Rückkehrentscheidung als zulässig und liegen - sohin - auch keine Aufenthaltstitelerteilungsvoraussetzungen iSd. § 55 AsylG - Gebotenheit zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens iSd. Art 8 EMRK - vor.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar teilweise zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

freiwillige Ausreise, Interessenabwägung, öffentliche Interessen,
Resozialisierung, Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:G307.2203721.1.00

Zuletzt aktualisiert am

12.06.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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