Entscheidungsdatum
04.04.2019Norm
AsylG 2005 §3Spruch
L524 2211123-1/5E
L524 2211124-1/5E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Veronika SANGLHUBER LL.B. über die Beschwerde von (1.) mj. XXXX , geb. XXXX , StA. Unbekannt, und (2.) XXXX , geb. XXXX , StA Irak, beide vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, Alser Straße 20, 1090 Wien, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.11.2018, (1.) Zl. 1142443408-180756533/BMI-BFA_WIEN_AST_01 und (2.) 1135243206-161556996/BMI-BFA_WIEN_AST_01, beschlossen:
A) Die angefochtenen Bescheide werden gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz
VwGVG aufgehoben und die Angelegenheiten zur Erlassung von neuen Bescheiden an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang:
1. Der Zweitbeschwerdeführer stellte am 17.11.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Die mj. Erstbeschwerdeführerin wurde am XXXX in Österreich geboren. Am 08.02.2017 stellte ihr Vater, der Zweitbeschwerdeführer, als gesetzlicher Vertreter für sie einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei der am selben Tag erfolgten Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Zweitbeschwerdeführer an, dass die Erstbeschwerdeführerin Araberin, sunnitische Muslimin und irakische Staatsangehörige sei. Hinsichtlich der Gründe für die Antragstellung brachte der Zweitbeschwerdeführer vor, dass sie keine eigenen Verfolgungsgründe und/oder Rückkehrbefürchtungen habe, sondern denselben Schutz erhalten solle wie er.
2. Bei der Einvernahme der Mutter der Erstbeschwerdeführerin am 21.03.2017 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA), anlässlich ihrer geplanten Überführung nach Deutschland, gab diese an, sie sei mazedonische Staatsangehörige und mit dem Zweitbeschwerdeführer XXXX seit XXXX "verheiratet". Sie hätten religiös in einer Moschee "geheiratet" und dort eine Heiratsurkunde bekommen, diese aber verloren (AS 95 im Akt der Erstbeschwerdeführerin).
3. Am 10.10.2018 und am 05.11.2018 wurde der Zweitbeschwerdeführer vor dem BFA zu seinem Antrag auf internationalen Schutz niederschriftlich einvernommen. Am 10.10.2018 gab er zunächst an, dass seine Tochter (die Erstbeschwerdeführerin) irakische Staatsangehörige sei (AS 672 im Akt des Zweitbeschwerdeführers). Bei der Einvernahme am 05.11.2018 führte er hingegen aus, dass die Erstbeschwerdeführerin staatenlos sei (AS 689 im Akt des Zweitbeschwerdeführers).
3. Mit Bescheiden des BFA vom 07.11.2018, (1.) Zl. 1142443408-180756533/BMI-BFA_WIEN_AST_01 und (2.) 1135243206-161556996/BMI-BFA_WIEN_AST_01, wurden die Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Irak nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).
4. Gegen diese Bescheide richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da eine Senatsentscheidung in den einschlägigen Bundesgesetzen nicht vorgesehen ist, liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist (§ 28 Abs. 3 dritter Satz VwGVG).
Zu A) Zurückverweisung an das BFA:
Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes stellt die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG 2014 bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. VwGH 10.09.2014, Ra 2014/08/0005; 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).
Aus folgenden Gründen muss angenommen werden, dass der entscheidungswesentliche Sachverhalt nicht ausreichend ermittelt wurde:
Der Zweitbeschwerdeführer gab bei seiner Einvernahme vor dem BFA am 10.10.2018 an, dass die Mutter der Erstbeschwerdeführerin mazedonische Staatsangehörige und die Erstbeschwerdeführerin irakische Staatsangehörige sei (AS 672 im Akt des Zweitbeschwerdeführers). In der weiteren Einvernahme am 05.11.2018 änderte er dies jedoch dahingehend ab, dass die Erstbeschwerdeführerin staatenlos sei (AS 689 im Akt des Zweitbeschwerdeführers). Die Mutter der Erstbeschwerdeführerin brachte in ihrer Einvernahme vor dem BFA am 21.03.2017 vor, sie sei mit dem Zweitbeschwerdeführer "verheiratet", wobei die Eheschließung religiös in einer Moschee erfolgt sei, sie dort eine Heiratsurkunde bekommen, diese jedoch verloren hätten und sich eine neue ausstellen lassen würden (AS 95 im Akt der Erstbeschwerdeführerin).
Das BFA hat sich in der Folge nicht weiter mit der Staatsangehörigkeit der Erstbeschwerdeführerin, deren Mutter mazedonische Staatsangehörige ist, auseinandergesetzt, sondern ist ohne jegliche Ermittlungen von der irakischen Staatsangehörigkeit der Erstbeschwerdeführerin ausgegangen. Im angefochtenen Bescheid wird zur Feststellung, dass die Erstbeschwerdeführerin irakische Staatsangehörige sei, lediglich ausgeführt, dass diese Feststellung "auf den Dokumenten und diesbezüglich glaubhaften Aussagen" (AS 279) der gesetzlichen Vertretung im Zuge der Erstbefragung und der Einvernahme vor dem BFA beruhe.
Das BFA führt nicht an, auf welche Dokumente es seine Feststellung stützt. Zudem hat sich der Zweitbeschwerdeführer zur Staatsangehörigkeit seiner Tochter widersprüchlich geäußert, womit sich das BFA aber nicht einmal im Ansatz auseinandersetzt, sondern dem Zweitbeschwerdeführer vielmehr - trotz offensichtlicher widersprüchlicher Angaben - eine glaubhafte Aussage unterstellt.
Einzig der Auszug aus dem Zentralen Melderegister bietet einen Anhaltspunkt für deren irakische Staatsangehörigkeit, wobei daraus aber nicht automatisch auf deren tatsächliche Staatsangehörigkeit geschlossen werden kann, weil nicht nachvollzogen werden kann, wie dieser Eintrag zustande kam. Vielmehr ist aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts mangels aufrechter staatlich anerkannter Eheschließung der Eltern der Erstbeschwerdeführerin (auch) deren mazedonische Staatsangehörigkeit wahrscheinlich.
Hinsichtlich der Staatsangehörigkeit der Erstbeschwerdeführerin hat das BFA daher jegliche Ermittlungen unterlassen. Auf Grund dieses Mangels ist es nicht möglich, den maßgeblichen Sachverhalt festzustellen.
Das BFA hat daher im fortgesetzten Verfahren, um den maßgeblichen Sachverhalt feststellen zu können, Ermittlungen dahingehend anzustellen, um feststellen zu können, ob die Erstbeschwerdeführerin mazedonische oder irakische Staatsangehörige oder Staatsangehörige beider Staaten ist. Dazu ist es auch notwendig zu ermitteln, ob die religiöse Eheschließung in einer Moschee tatsächlich stattgefunden hat (ein diesbezügliches Dokument wurde nicht vorgelegt) und ob die Erstbeschwerdeführerin auf Grund der bloß religiösen Eheschließung der Eltern in einer Moschee, die irakische Staatsangehörigkeit überhaupt erworben haben kann. Es ist daher jedenfalls erforderlich, den Vater bzw. die Mutter der Erstbeschwerdeführerin aufzufordern, die Heiratsurkunde vorzulegen und danach sind Ermittlungen betreffend die beiden Herkunftsstaaten Irak und Mazedonien anzustellen, auf welche Weise deren Staatsangehörigkeit erworben werden kann.
In der Gesamtschau ist der Aufhebung des angefochtenen Bescheides und der Zurückverweisung an die belangte Behörde zur Erlassung eines neuen Bescheides im Vergleich zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht unter dem Aspekt der Raschheit und der Kostenersparnis der Vorzug zu geben. Das behördliche Verfahren erweist sich aus den dargelegten Gründen insgesamt als so mangelhaft, dass von dem in § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG eingeräumten Ermessen im Sinne einer kassatorischen Entscheidung Gebrauch zu machen war (VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063).
Der Bescheid betreffend die Erstbeschwerdeführerin ist daher nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückzuverweisen. Hinsichtlich des Zweitbeschwerdeführers liegt ein Familienverfahren im Sinne des § 34 AsylG vor, weshalb auch dessen Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückzuverweisen ist.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Die Aufhebung des angefochtenen Bescheides und die Zurückverweisung an das BFA stützt sich auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).
Schlagworte
Asylverfahren, Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:L524.2211124.1.00Zuletzt aktualisiert am
13.06.2019