TE Bvwg Beschluss 2019/4/8 W125 2216754-1

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Veröffentlicht am 08.04.2019
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Entscheidungsdatum

08.04.2019

Norm

AsylG 2005 §5
BFA-VG §21 Abs3 Satz2
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W125 2216754-1/5E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Filzwieser über die Beschwerde von XXXX , geb XXXX , StA. Russland, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.3.2019, Zl. XXXX , beschlossen:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG stattgegeben und der bekämpfte Bescheid wird behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

1. Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Russischen Föderation, stellte nach ihrer Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 2.11.2018 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Der Aktenlage nach hatte sie in Österreich bereits am 30.7.2012 einen ersten Asylantrag gestellt, der wegen Zuständigkeit Polens mit Bescheid des seinerzeitigen Bundesasylamtes vom 15.8.2012 (Art 16 Abs 1 lit c Dublin II VO) rechtskräftig zurückgewiesen wurde; die Überstellung nach Polen erfolgte am 10.10.2012.

Der Beschwerdeführerin wurde am XXXX .6.2018 vom Generalkonsulat des Königreichs Spaniens am XXXX .6.2018 ein spanisches Schengenvisum, gültig vom XXXX .7.2018 bis XXXX .7.2019 ausgestellt (AS. 55 des Verwaltungsaktes), mit dessen Hilfe die Beschwerdeführerin am 17.9.2018 in Polen einreiste.

2. In Ihrer Erstbefragung am 2.11.2018 trug die Beschwerdeführerin im Wesentlichen vor, wegen verschiedener Krankheiten unselbständig zu sein und zu ihrer in Österreich lebenden aufenthaltsberechtigten Tochter zu wollen.

In dem am 6.11.2018 via DubliNet versandten Aufnahmeersuchen an Spanien gemäß Art 12 Dublin III-VO wird die Existenz der Tochter nicht erwähnt, es fehlt auch ein Hinweis auf einen allfällig schlechten Gesundheitszustand (As. 45-63 des Verwaltungsaktes).

3. In der Folge sind dem Akt umfangreiche medizinische Befunde des LKH XXXX zu entnehmen (As. 71-233, As. 299-333), die offenbar dazu führten, dass die Sachverständige XXXX um eine gutachterliche Stellungnahme im Zulassungsverfahren ersucht wurde, die am 12.2.2019 bei der Behörde einlangte (As. 345 - 361). Demzufolge leide die Beschwerdeführerin an "vielfältigen internistischen Krankheiten" und einer "bösartigen Erkrankung des Lymphsystems", deretwegen eine "laufende Chemotherapie" durchgeführt werde. Die Frage nach der Überstellungsfähigkeit wurde dahingehend beantwortet, dass aufgrund der Befunde "keine seriöse Aussage" über die Reisefähigkeit getroffen werden könne. Es wurde hervorgehoben, dass "im Entlassungsbrief" die Notwendigkeit der Pflege durch die Angehörigen angegeben sei: "Das weitere Procedere bleibt abzuwarten".

4. Die Beschwerdeführerin war zuvor, am 29.1.2019, verwaltungsbehördlich einvernommen worden, wobei sie angab, infolge ihrer durch die Krankheitszustände starken Abhängigkeit zu ihrer Tochter in Österreich bleiben wolle; zu Spanien bestehe kein Bezug (As. 283-297). Diese Argumentation wurde durch Stellungnahme der Rechtsberatung am 5.2.2019 bekräftigt und auch auf die psychische Belastung der im hohen Alter stehenden Beschwerdeführerin verwiesen (As. 341); die gewillkürte Vertretung führte am 5.3.2019 aus, die Beschwerdeführerin benötige "unbedingt" die Pflege ihrer in Österreich aufhältigen Familienangehörigen (AS. 377). Seitens des BFA wurden am 15.3.2018 aktualisierte Befunde eingeholt (As. 281-393) und sonst aber keine weiteren Maßnahmen gesetzt.

5. Spanien hatte am 9.1.2019 seine Zustimmung wegen Verfristung gemäß Art 22 Abs 7 Dublin II-VO erklärt (As. 233-237).

6. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Spanien gemäß Art. 12 Abs. 2 iVm Art 22 Abs 7 Dublin III-VO für die Prüfung des Antrages zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gegen die Beschwerdeführerin gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gemäß § 61 Abs. 2 FPG eine Abschiebung nach Spanien zulässig sei (Spruchpunkt II.).

6.1. Darin wurden zum Gesundheitszustand verschiedene Krankheiten aufgezählt; betreffend der in Österreich lebenden Tochter wurde jedes Abhängigkeitsverhältnis verneint. Auf die Stellungnahme XXXX wird in der Begründung nicht weiter eingegangen, die Überstellungsfähigkeit im Allgemeinen (ohne Ausführungen mit individuellem Begründungswert) freilich bejaht. In Bezug auf die Tochter wurde die Volljährigkeit hervorgehoben und sonst bei der Verneinung des Privatlebens auf die individuelle Situation der Beschwerdeführerin aber nicht erkennbar eingegangen.

7. Gegen den zitierten Bescheid erhob die Beschwerdeführerin binnen offener Frist die vorliegende Beschwerde, verbunden mit dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung. Betont wird darin, dass die Beschwerdeführerin engen Kontakt zu ihrer Tochter habe und es ihr nicht vorgehalten werden könne, dass sie keinen gemeinsamen Wohnsitz habe, wenn sie doch zur Zeit in XXXX aufhältig sein müsse. Rechtlich wurde eine fehlende/mangelhafte Prüfung von Art 9 Dublin

III VO, Art 16 iVm Art 17 Dublin III-VO und Art 8 EMRK bemängelt. Auch hätte, angesichts der nicht näher ausgeführten "aktuellen Situation in Spanien" eine Einzelfallzusicherung Spaniens eingeholt werden müssen. Bei den der Beschwerdeschrift angeschlossenen medizinischen Befunden des LKH XXXX ergibt sich aus jenem vom "14. und 18.3.2019", dass die Beschwerdeführerin zu weiteren Terminen (der Chemotherapie) eingeteilt ist (As. 482).

8. Die Aktenvorlage an die Abteilung W125 des Bundesverwaltungsgerichts erfolgte am 2.4.2019. Einer vorab eingelangten Nachreichung ärztlicher Befunde (zum überwiegenden Teil schon im Verwaltungsakt enthalten gewesen) ist insbesondere die Aussage im Entlassungsbrief des Landesklinikum XXXX vom 9.1.2019 zu entnehmen, wonach die Pflege der Beschwerdeführerin durch die Tochter postoperativ "aus ärztlicher Sicht dringend empfohlen" werde (darauf war offenbar XXXX , oben unter 3 eingegangen).

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige Russland, stellte in Österreich am 2.11.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz, für den sich Spanien für zuständig erklärt hat. Der weitere Sachverhalt ergibt sich aus den Punkte 1 bis 8 der Verfahrenserzählung in Teil I. der gegenständlichen Entscheidung.

Die Überstellungsfähigkeit der Beschwerdeführerin steht zum Entscheidungszeitpunkt aus ärztlicher Sicht nicht fest. Es besteht ein Abhängigkeitsverhältnis zur in Österreich lebenden Tochter der Beschwerdeführerin, qualifiziert durch den schlechten Gesundheitszustand, welches durch das BFA nicht hinreichend ermittelt wurde.

2. Beweiswürdigung:

Der für den gegenständlichen Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes relevante Sachverhalt ergibt sich aus der Aktenlage zweifelsfrei.

2.1. Wie schon in der Verfahrenserzählung dargelegt wurde der Schluss in der Stellungnahme XXXX , dass eine Überstellungsfähigkeit nicht bejaht werden könne, seitens der Behörde in weiterer Folge nicht beachtet. Auch die später eingeholten und eingelangten weiteren medizinischen Befunde zeigen, schon bei laienhafter Betrachtung, keine signifikante Besserung. Es fehlt somit an einem zentralen Ermittlungsergebnis in einer gegenständlich unmittelbar relevanten Frage. Daran ändert nichts, dass sich aus den Feststellungen zu Spanien keine Zweifel ergeben, dass die medizinische Versorgung, auch für die Krankheitszustände der Beschwerdeführerin, ausreichend ist, da die individuelle Überstellungsfähigkeit eine vorgelagerte Frage ist und angesichts der engmaschigen Behandlungstermine für die Beschwerdeführerin (Chemotherapie) zur Zeit nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass bereits ein kurzfristiger Behandlungsunterbruch den Schutzbereich des Art 3 EMRK tangieren könnte.

2.2. Der Frage, ob die Beschwerdeführerin von ihrer Tochter wegen Abhängigkeit nicht getrennt werden darf/soll, kommt im Sinne des Art 16 Abs 1 iVm 16 Abs 2 Dublin III VO oder Art 17 Abs 2 Dublin III VO klar Relevanz zu (vgl Filzwieser/Sprung, Dublin III VO, 151ff). Insofern hat das BFA aber seine Ermittlungspflichten grob verletzt, als etwa die Tochter trotz entsprechenden Vorbringens dazu nicht befragt wurde und im angefochtenen Bescheid letztendlich überhaupt keine tragfähigen Feststellungen getroffen wurden. Auch eine Befassung von XXXX in der Beauftragung der gutachterlichen Stellungnahme mit der Frage der Intensität jener Beziehung in Relation zum psychischen Zustand der Beschwerdeführerin wäre angezeigt gewesen. Diesbezüglich wurde also nicht einmal ansatzweise ermittelt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Aufhebung des angefochtenen Bescheides:

Die vorrangig maßgeblichen Bestimmungen des nationalen Rechts sind § 5 AsylG, § 9 BFA-VG, § 21 BFA-VG und § 61 FPG; unionsrechtlich sind primär Art 3, 7, 12, 16, 17 und 18 Dublin III-VO relevant.

Gemäß § 21 Abs. 3 BFA-VG ist das Verfahren zugelassen, wenn der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben ist. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.

3.1. Zunächst erweist sich schon das Konsultationsverfahren als grob mangelhaft, als die Existenz der Tochter in Österreich und deren präziser aufenthaltsrechtlicher Status nicht unter Punkt 25 des Formulars im Aufnahmeverfahren eingetragen wurden (As. 49), sodass Spanien nicht über die notwendigen Informationen zur Antwort verfügte (im Hinblick auf Art 16, 17; Art 9 kommt infolge des dort anzuwendenden engeren Familienbegriffs entgegen der Beschwerdeausführungen nicht zum Tragen). Diese Fehlerhaftigkeit kann hier auch nicht dadurch saniert werden, dass Spanien letztlich infolge Verfristung seine Zuständigkeit anerkannte (Filzwieser/Sprung, Dublin III VO, K15 zu Art 22).

3.2. Wie unter 2.1. und 2.2. erwogen hat das BFA aber zudem zentral weder zur Überstellungsfähigkeit (als Voraussetzung jeder Unzuständigkeitsentscheidung, die in einem Fall wie dem vorliegenden auch nicht einfach implizit bejaht werden kann) eine klare Aussage getroffen, weil dazu offenkundig notwendige weitere Ermittlungen unterlassen wurden, noch zur Frage der Abhängigkeit zur Tochter (qualifiziert durch eben den schlechten Gesundheitszustand) Ermittlungen angestellt. Zu zweiterem Punkt käme entweder (bejaht man das Familienleben im Heimatstaat- auch hier fehlen Ermittlungen) Art 16 Abs 1 iVm Abs 2 Dublin III VO, jedenfalls aber Art 17 Abs 2 Dublin III VO zum Tragen (vgl hiezu auch EuGH, K v BAA, C-245/11, 6.11.2012); allenfalls auch (ergänzend) Art 8 EMRK. Für die Prüfung dieser Bestimmungen fehlt es aber an einem auch nur ansatzweise ausreichenden Tatsachensubstrat, welches auch nicht sonst aus der Aktenlage gewonnen werden kann (insbesondere Lebensumstände zwischen Mutter und Tochter in Russland und in Österreich: allenfalls auch Feststellungen zu der Situation der Beschwerdeführerin zwischen den beiden Asylantragsstellungen in Österreich; näheres zu der Behandlungssituation in Österreich, abgesehen von den bloßen Befunden).

Wie somit dargelegt wurde im Fall der Beschwerdeführerin der entscheidungsrelevante Sachverhalt in qualifizierter Weise nicht ausreichend ermittelt, weshalb gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG zwingend vorzugehend war.

3.3. Gemäß § 21 Abs. 6a und 7 BFA-VG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.

3.4. Eine Entscheidung über den Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung konnte entfallen, als der gegenständliche Beschluss innerhalb der 1-Wochenfrist des § 16 Abs 4 BFA-VG erlassen wird.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die gegenständliche Entscheidung weicht im Ergebnis weder von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Hinsichtlich der Einordnung des Sachverhaltes konnte sich das Bundesverwaltungsgericht auf auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

Fristablauf, Fristversäumung, Überstellungsfrist, Verfristung,
Zulassungsverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W125.2216754.1.00

Zuletzt aktualisiert am

14.06.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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