Entscheidungsdatum
09.04.2019Norm
AsylG 2005 §9 Abs1 Z1Spruch
W254 2137673-2/7E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Dr.in Tatjana CARDONA als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA. Somalia, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.10.2018, Zl. XXXX :
A) In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid
aufgehoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang und Sachverhalt:
1.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden kurz "BF" genannt) stellte am 25.04.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz und wurde am selben Tag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt.
1.2. Am 10.10.2016 brachte der BF durch seine damalige Rechtsvertretung, eine Säumnisbeschwerde ein. Am 02.12.2016 wurde der BF im Auftrag des Bundesverwaltungsgerichts vor dem Bundesamt niederschriftlich zu seinem Antrag auf internationalen Schutz einvernommen.
1.3. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 24.05.2017 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die somalische Sprache und im Beisein des Rechtsvertreters des BF eine öffentliche mündliche Verhandlung durch.
1.4. Mit Erkenntnis vom 04.07.2017 zur Zl. W252 2137673-1/9E, wies das Bundesverwaltungsgericht den Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) ab, erkannte ihm jedoch den Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 04.07.2018 (Spruchpunkt III.).
Die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten wurde seitens des Bundesverwaltungsgerichtes unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung der Höchstgerichte, die Lage im Herkunftsstaat und die persönlichen Umstände des BF begründet.
1.5. Am 13.03.2018 brachte der BF bei der belangten Behörde einen Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung ein.
1.6. Mit Schreiben vom 04.07.2018 wurde dem BF in Bezug auf die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und der beabsichtigten Rückkehrentscheidung Parteiengehör eingeräumt. Zum Abklingen der vergangenen Dürren sowie zur Normalisierung der Nahrungsmittelversorgung wurde auf die aktuelle Kurzinformation der Staatendokumentation vom 03.05.2018 verwiesen. In einem angeschlossenen Fragenkatalog wurde der BF zu seinem Privat- und Familienlieben in Österreich, seinen Deutschkenntnissen, Arbeits- und Integrationsbemühungen und Wohnumständen sowie seiner familiären Situation in Somalia befragt und dazu aufgefordert binnen zwei Wochen zum mitgeteilten Sachverhalt Stellung zu nehmen bzw. die eben angeführten Fragen zu beantworten.
Die darauf bezogene Stellungnahme des BF langte bei der belangten Behörde am 09.07.2018 ein.
1.7. Mit dem im Spruch angegebenen Bescheid wurde der dem BF mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 04.07.2017 zur Zl. W252 2137673-1/9E zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.) und ihm die befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 entzogen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Somalia zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für seine freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt VI.). Sein Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 zweiter Satz AsylG 2005 wurde abgewiesen (Spruchpunkt VII.).
Zu den Gründen für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und die Situation des BF im Falle seiner Rückkehr wurde ausgeführt, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht mehr vorliegen würden. Im Rahmen der Beweiswürdigung verwies die belangte Behörde u.a. darauf, dass sich die Stadt XXXX unter der Kontrolle der AMISOM und sich auch ein Stützpunkt der AMISOM am aktuellen Aufenthaltsort seiner Familie befinde. Auch wenn es zu sicherheitsrelevanten Vorfällen komme, lege die Sicherheits- und Wirtschaftslage seiner Familie nahe, dass im konkreten Gebiet die allgemeine Sicherheitslage keinen unzumutbaren negativen Einfluss auf das alltägliche Leben habe. Der BF würde bei einer Rückkehr in sein altes Haus keiner maßgeblichen Gefahr unterliegen und auch keiner ausweglosen Versorgungslage ausgesetzt sein. Ansonsten stehe dem BF eine innerstaatliche Fluchtalternative in Mogadischu zu. Zudem habe der BF tragfähige familiäre Anknüpfungspunkte in XXXX und habe sein Clan gerade in Mogadischu einen großen Einfluss. Zusammenfassend wurde ausgeführt, dass es dem BF als gesunden, jungen und arbeitsfähigen Mann möglich sei, mit Unterstützung seines Clans und seiner Angehörigen und Verwandten seinen Lebensunterhalt zu besorgen. Auch sei eine Unterstützung von Verwandten durch Familienangehörige auch in anderen Landesteilen und selbst anderen Ländern möglich und geradezu üblich. Dazu wurde weiters in der rechtlichen Beurteilung näher ausgeführt, dass vor dem Hintergrund aktueller Länderinformationsblätter eine Entspannung bei der Nahrungsmittelversorgung in fast allen Landesteilen eingetreten sei. Es sei mit einer überdurchschnittlichen Ernte zu rechnen, in der Landwirtschaft gebe es wieder Arbeitsmöglichkeiten auf dem Normalniveau und hätten sich die Lebensmittelpreise wieder normalisiert. Der BF gehöre auch keiner vulnerablen Personengruppe an, welche von der angespannten Versorgungssituation in einem höheren Ausmaß betroffen wäre. Der BF sei ein arbeitsfähiger, alleinstehender junger Mann ohne Sorgfaltspflichten mit Schulbildung und Berufserfahrung und sei es ihm damit zumutbar, durch eigenständige Arbeit seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Falls eine Rückkehr in seine Heimatregion aus Gründen der Versorgungssicherheit nicht möglich oder nicht zumutbar wäre, sei eine innerstaatliche Fluchtalternative in Mogadischu festzustellen. Auch könne der BF die von den in Mogadischu ansässigen Hilfsorganisationen angebotenen Unterstützungen in Anspruch nehmen. Es sei daher davon auszugehen, dass der BF bei einer Rückkehr nach Mogadischu oder in seinem Herkunftsort in keine existenzbedrohende Notlage geraten würde.
1.8. Gegen den im Spruch genannten Bescheid richtet sich die im Wege seiner Rechtsvertretung erhobene Beschwerde, welche bei der belangten Behörde am 13.11.2018 einlangte. Darin wurde u.a. die Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens moniert, da der BF nicht mündlich einvernommen worden sei. Dadurch habe er keine Möglichkeit gehabt, darzutun, dass sich seine persönliche Situation im Vergleich zum Zuerkennungszeitpunkt nicht geändert habe. Es sei weder zu einer wesentlichen und nachhaltigen Verbesserung der Situation im Herkunftsstaat noch zu einer Änderung der persönlichen Verhältnisse gekommen sei, welche die Aberkennung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würden.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen
Die zu treffenden Feststellungen entsprechen der Darstellung des Sachverhalts im Verfahrensgang, auf die verwiesen wird. Dieser Sachverhalt wird der Entscheidung als Sachverhaltsfeststellung zu Grunde gelegt.
2. Beweiswürdigung
Der Sachverhalt und der Verfahrensgang ergeben sich aus dem unbestrittenen Akteninhalt.
Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchpunkt A)
Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat. Diese Vorgangsweise setzt nach § 28 Abs. 2 Ziffer 2 voraus, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
In seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063, hielt der Verwaltungsgerichtshof fest, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden kann. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. auch VwGH 25.01.2017, Zl. Ra 2016/12/0109 und jüngst VwGH 27.12.2018, Ra 2015/08/0095).
Gemäß § 18 AsylG 2005 hat die Behörde in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Bescheinigungsmittel für die Angaben bezeichnet oder die angebotenen Bescheinigungsmittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Bescheinigungsmittel auch von Amts wegen beizuschaffen.
Gemäß § 19 Abs. 1 AsylG 2005 ist ein Fremder, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes nach Antragstellung oder im Zulassungsverfahren zu befragen. Diese Befragung dient insbesondere der Ermittlung der Identität und der Reiseroute des Fremden und hat sich nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen. Diese Einschränkung gilt nicht, wenn es sich um einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) handelt. Die Befragung kann in den Fällen des § 12a Abs. 1 sowie in den Fällen des § 12a Abs. 3, wenn der Folgeantrag binnen zwei Tagen vor dem bereits festgelegten Abschiebetermin gestellt wurde, unterbleiben.
Gemäß § 19 Abs. 2 AsylG 2005 ist ein Asylwerber vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, soweit er nicht auf Grund von in seiner Person gelegenen Umständen nicht in der Lage ist, durch Aussagen zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes beizutragen, zumindest einmal im Zulassungsverfahren und - soweit nicht bereits im Zulassungsverfahren über den Antrag entschieden wird - zumindest einmal nach Zulassung des Verfahrens einzuvernehmen. Eine Einvernahme kann unterbleiben, wenn dem Asylwerber, ein faktischer Abschiebeschutz nicht zukommt (§ 12a Abs. 1 oder 3). Weiters kann eine Einvernahme im Zulassungsverfahren unterbleiben, wenn das Verfahren zugelassen wird. § 24 Abs. 3 bleibt unberührt.
Steht der entscheidungsrelevante Sachverhalt fest und hat sich der Asylwerber dem Verfahren entzogen, so steht gemäß § 24 Abs. 3 AsylG 2005 die Tatsache, dass der Asylwerber vom Bundesamt oder vom Bundesverwaltungsgericht bisher nicht einvernommen wurde, einer Entscheidung nicht entgegen.
Nach der Legaldefinition des § 2 Abs. 1 Z 14 AsylG 2005 ist ein Asylwerber ein Fremder ab Einbringung eines Antrags auf internationalen Schutz bis zum rechtskräftigen Abschluss, zur Einstellung oder Gegenstandslosigkeit des Verfahrens.
Vom Wortlaut des § 19 Abs. 2 AsylG 2005 sind daher nur jene Fremde erfasst, deren Verfahren noch nicht rechtskräftig beendet wurde. Im Verlängerungsverfahren besteht daher im Gegensatz zum Asylverfahren dem Wortlaut nach keine Pflicht zur Einvernahme. Es stellt sich daher die Frage, ob in diesem Fall eine planwidrige Lücke vorliegt, die mittels Analogie zu schließen ist, oder ob der Gesetzgeber eine unterschiedliche Behandlung im Verlängerungsverfahren regeln wollte.
Voraussetzung für die analoge Anwendung verwandter Rechtsvorschriften ist das Bestehen einer echten Gesetzeslücke; das heißt einer planwidrigen und daher durch Analogie zu schließenden Unvollständigkeit innerhalb des positiven Rechts, gemessen am Maßstab der gesamten geltenden Rechtsordnung. Eine Lücke ist demnach nur dort anzunehmen, wo das Gesetz (gemessen an der mit der seiner Erlassung verfolgten Absicht und seiner immanenten Teleologie) unvollständig, also ergänzungsbedürftig ist und wo seine Ergänzung nicht etwa einer vom Gesetz gewollten Beschränkung widerspricht (VwGH 24.05.2016 mit Hinweis auf VwGH 04.09.2014, Ro 2014/12/0008).
Die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat die grundsätzliche Zulässigkeit der Analogie auch im öffentlichen Recht wiederholt anerkannt. Voraussetzung hierfür ist freilich das Bestehen einer echten (d.h. planwidrigen) Rechtslücke. Sie ist dort anzunehmen, wo das Gesetz, gemessen an seiner eigenen Absicht und immanenten Teleologie, unvollständig, also ergänzungsbedürftig ist, und wo seine Ergänzung nicht etwa einer vom Gesetz gewollten Beschränkung widerspricht. Da das öffentliche Recht schon von der Zielsetzung her nur einzelne Rechtsbeziehungen unter dem Gesichtspunkt des öffentlichen Interesses zu regeln bestimmt ist, muss eine auftretende Rechtslücke in diesem Rechtsbereich im Zweifel als beabsichtigt angesehen werden. Eine durch Analogie zu schließende Lücke kommt nur dann in Betracht, wenn das Gesetz anders nicht vollziehbar ist oder wenn das Gesetz in eine Regelung einen Sachverhalt nicht einbezieht, auf welchen - unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes und gemessen an den mit der Regelung verfolgten Absichten des Gesetzgebers - ebendieselben Wertungsgesichtspunkte zutreffen wie auf die im Gesetz geregelten Fälle und auf den daher - schon zur Vermeidung einer verfassungsrechtlich bedenklichen Ungleichbehandlung - auch dieselben Rechtsfolgen angewendet werden müssen (VwGH 29.10.2015, Ro 2015/07/0019 mwH; siehe zuletzt auch VwGH 24.04.2018, Ra 2017/03/0010).
§ 19 AsylG 2005 liegt zugrunde, dass gerade in Asylverfahren die Einvernahme oftmals das einzige Beweismittel ist, das dem Antragsteller zur Verfügung steht. Durch die persönliche Einvernahme soll ihm damit ermöglicht werden, Gründe anzugeben, die gegen eine Rückkehr in den Herkunftsstaat sprechen. Ausnahmen von der Pflicht zur Anhörung sind daher sehr eng zu fassen (vgl. Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, § 19 AsylG 2005, K 1).
Auch im Verfahren zur Verlängerung des Status des subsidiär Schutzberechtigten geht es primär um die Frage, ob dem Antragsteller eine Rückkehr in seine Heimat (nunmehr) möglich ist oder ob einer Rückkehr (weiterhin) Art. 2, 3 EMRK oder die Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention entgegenstehen oder ihm dort als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes drohen würde. Insoweit ist die Situation daher zu Asylverfahren vergleichbar, zumal auch dort die Einvernahme, neben der Ermittlung der Fluchtgründe, dazu dient, Umstände geltend zu machen, die die Zuerkennung des subsidiären Schutzes rechtfertigen könnten (vgl. auch BVwG 08.01.2019, W204 1437102-2).
Ebenso ist bei Folgeanträgen nach § 19 AsylG 2005 eine Einvernahme grundsätzlich vorgesehen. Eine solche kann lediglich dann entfallen, wenn dem Antragsteller ein faktischer Abschiebeschutz nicht zukommt. Eine Einvernahme ist in diesen Fällen jedoch nicht ausgeschlossen. Soweit dem Fremden in seinem Folgeverfahren ein faktischer Abschiebeschutz zukommt, ist er jedoch zwingend einzuvernehmen.
Nach der Legaldefinition des § 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005 ist ein Folgeantrag jeder einem bereits rechtskräftig erledigten Antrag nachfolgender weiterer Antrag. Selbst in einem solchen Fall, in dem bereits einmal rechtskräftig entschieden wurde, dass dem Antragsteller bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat keine reale Gefahr der in § 8 AsylG 2005 genannten Rechte droht, ordnet das AsylG 2005 daher ausdrücklich die zwingende Einvernahme eines Asylwerbers auch zur Klärung dieser Frage an. Das AsylG 2005 geht daher offensichtlich davon aus, dass die persönliche Einvernahme zu den wichtigsten Ermittlungsschritten zählt, weshalb diese auch nur in Ausnahmefällen entfallen darf (vgl. auch BVwG 08.01.2019, W204 1437102-2).
Es geht weder aus dem Wortlaut des Gesetzes, noch aus den Gesetzesmaterialien zum AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (952 der Beilagen XXII.GP) hervor, dass es vom Gesetzgeber beabsichtigt war, im Verlängerungs- bzw. Aberkennungsverfahren eine Ausnahme von der sonst gültigen Einvernahmepflicht zu normieren.
Aus diesen Ausführungen ergibt sich, dass die Bestimmung des § 19 Abs. 2 AsylG 2005 wegen der vergleichbaren Situation und dem gleichen Zweck der Einvernahme auch im Verlängerungs- bzw. Aberkennungsverfahren zum subsidiären Schutz anzuwenden ist, sodass von einer zwingenden Einvernahme auszugehen ist, zumal bereits einmal - im Gegensatz zum Folgeverfahren - rechtskräftig entschieden wurde, dass dem Antragsteller bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat die reale Gefahr der in § 8 AsylG 2005 genannten Rechte droht. Es treffen daher in diesem Fall dieselben Wertungsgesichtspunkte zu, sodass, um eine verfassungsrechtlich bedenkliche Ungleichbehandlung Fremder zu vermeiden, die Vorschrift des § 19 Abs. 2 AsylG 2005 auch analog im Verlängerungs- bzw. Aberkennungsverfahren anzuwenden ist (vgl. auch hier BVwG 08.01.2019, W204 1437102-2).
Zudem ist die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu beachten, wonach der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen, insbesondere auch in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 EMRK relevanten Umstände, besondere Bedeutung zukommt (vgl. VwGH 25.10.2018, Ra 2018/20/0318). Auch unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung erscheint eine persönliche Befragung des BF im Verfahren zur Verlängerung des subsidiären Schutzes bzw. zu dessen Aberkennung durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl unumgänglich.
Zusammenfassend kann aus den obigen Überlegungen geschlossen werden, dass eine planwidrige Gesetzeslücke vorliegt, welche im Hinblick auf das Gebot der verfassungskonformen Interpretation im Wege der analogen Anwendung des § 19 Abs. 2 AsylG 2005 zu schließen ist.
Im gegenständlichen Verfahren fand keine niederschriftliche Einvernahme des BF zu seinem Antrag auf Verlängerung seines Status des subsidiär Schutzberechtigten bzw. im Rahmen des eingeleiteten Aberkennungsverfahren durch die belangte Behörde statt. Dem dargestellten Zweck des § 19 AsylG 2005 entsprechend, wäre die belangte Behörde aber dazu gehalten gewesen, eine Einvernahme durchzuführen. Das schriftliche Parteiengehör vom 04.07.2018 kann den Anforderungen des § 19 AsylG 2005 nicht genügen. Dem damals unvertretenen BF wurden darüber hinaus auch keine substantiierten Gründe für die Einleitung eines Aberkennungsverfahrens mitgeteilt, sondern wurde zunächst lediglich die einschlägige Gesetzesbestimmung angeführt. Im Hinblick auf die verbesserte Nahrungsmittelversorgung wurde auf die aktuelle Kurzinformation der Staatendokumentation vom 03.05.2018 hingewiesen. Abschließend wurden dem BF Fragen zur familiären und sozialen Situation in Österreich gestellt.
Die belangte Behörde hat daher zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts nur völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt und zwar insbesondere die Vorschrift des § 19 Abs. 2 AsylG 2005 nicht beachtet, indem sie den unvertretenen BF nicht persönlich einvernommen hat. Damit hat sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit belastet, sodass die nunmehrige Durchführung des Verfahrens durch das Bundesverwaltungsgericht einer Neudurchführung des Verfahrens gleichkommt. Sohin liegen verfahrensgegenständlich jedenfalls die in der eingangs zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs genannten krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken vor.
Der maßgebliche Sachverhalt kann daher erst durch die den Anforderungen des § 19 Abs. 2 AsylG 2005 entsprechende Einvernahme des BF sowie allenfalls durch die Vornahme weiterer, sich aus der neuen Einvernahme ergebenden, Ermittlungsschritte (wie etwa die Einholung von aktuellen Länderberichten) festgestellt werden.
Da der maßgebliche Sachverhalt somit gegenständlich nicht feststeht, war im Hinblick auf diese gravierende Ermittlungslücke eine Zurückverweisung erforderlich und auch gerechtfertigt (vgl. etwa VwGH 20.10.2015, Zl. Ra 2015/09/0088, wonach bei Nichtfeststellung des entscheidungswesentlichen Sachverhalts eine Zurückverweisung zulässig ist).
Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde den BF niederschriftlich zu befragen und den entscheidungswesentlichen Sachverhalt durch allfällige weitere Ermittlungen zu erheben haben. Die belangte Behörde wird in ihre Erwägungen insbesondere auch miteinzubeziehen haben, ob sich gemäß Art. 16 der Statusrichtlinie 2011/95/EU die Umstände so wesentlich und nicht nur vorübergehend verändert haben, dass der BF tatsächlich nicht länger Gefahr läuft, einen ernsthaften Schaden zu erleiden. Unter Wahrung des Grundsatzes der amtwegigen Ermittlungspflicht und des Parteiengehörs wird die belangte Behörde auch aktuelle Länderfeststellungen zum Herkunftsstaat zu treffen haben, das Vorbringen des BF vor dem Hintergrund der aktuellen Lage im Herkunftsstaat würdigen und schließlich die rechtlichen Konsequenzen daraus ziehen müssen.
Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Denn die belangte Behörde ist als Spezialbehörde im Rahmen der Staatendokumentation gemäß § 5 BFA-Einrichtungsgesetz für die Sammlung relevanter Tatsachen zur Situation in den betreffenden Staaten samt den Quellen zuständig. Überdies soll eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst beim Bundesverwaltungsgericht beginnen und zugleich enden.
Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - auch angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht ersichtlich.
Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind daher im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben. Folglich war das Verfahren zur neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde zurückzuverweisen.
Eine mündliche Verhandlung konnte im vorliegenden Fall gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG unterbleiben, weil bereits aufgrund der Aktenlage feststand, dass der angefochtene Bescheid "aufzuheben" war. Dieser Tatbestand ist auch auf Beschlüsse zur Aufhebung und Zurückverweisung anwendbar (vgl. zur gleichartigen früheren Rechtslage Hengstschläger/Leeb, AVG [2007] § 67d Rz 22).
Zu Spruchpunkt B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist zulässig, weil eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vorliegt: soweit erkennbar fehlt es an Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der Frage, ob die Pflicht zur Einvernahme gemäß der Regelung des § 19 Abs. 2 AsylG 2005 analog auch auf Aberkennungsverfahren anzuwenden ist.
Schlagworte
aktuelle Länderfeststellungen, Behebung der Entscheidung,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W254.2137673.2.00Zuletzt aktualisiert am
12.06.2019