Entscheidungsdatum
11.04.2019Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W159 2196943-1/11E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Clemens KUZMINSKI als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. von Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.04.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 17.01.2019 zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG idgF der Status eines Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer, ein Staatsbürger von Afghanistan, gelangte (spätestens) am 20.01.2016 nach Österreich und stellte an diesem Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Am 21.01.2016 wurde er durch die Landespolizeidirektion XXXX , einer Erstbefragung unterzogen. Dabei gab er zu seinen Fluchtgründen an, dass er in Afghanistan eine Frau geliebt habe und sie habe heiraten wollen. Ihre Familie und ihre Verwandten seien aber dagegen gewesen, deswegen sei er mehrmals mit dem Umbringen bedroht worden, wobei ihre Familie viel Macht gehabt habe, deswegen sei er geflüchtet.
Mit Schreiben vom 11.01.2018 wurde eine Vollmacht des XXXX vorgelegt.
Am 04.04.2018 erfolgte eine Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Kärnten. Eingangs der Einvernahme gab der Antragsteller an, dass er sich älter gemacht habe, um freiwillig zurückzukehren. Er habe dieses Vorhaben aber aufgegeben. Die Behörde bestand auf das angegebene Geburtsdatum XXXX . Er sei in der Stadt XXXX geboren. Er habe eine Tazkira mit der Post bekommen, diese habe ihm sein Onkel geschickt und habe er diese nunmehr vorgelegt. Weiters legte der Antragsteller ein ÖSD-Zertifikat A1, eine Schulbesuchtsbestätigung der HAK-HASCH, eine Teilnahmebestätigung am Vorbereitungslehrgang zum Nachholen des Pflichtschulabschlusses sowie weitere Integrationsdokumente vor. Er sei afghanischer Staatsbürger, schiitischer Moslem und gehöre der Volksgruppe der Quizilbash an. Seine beiden Cousins würden hier in Österreich leben und zwar im gleichen Quartier.
Er sei in XXXX geboren und aufgewachsen und habe auch dort bis zur achten Klasse die Schule besucht. Er habe in Afghanistan nicht gearbeitet. Ein Onkel väterlicherseits lebe auch noch in XXXX . Er habe auch noch andere weitschichtige Verwandte dort. Sein Vater sei Architekt gewesen und seine Mutter habe als Schneiderin gearbeitet. Sie seien nicht reich, aber auch nicht arm gewesen. Sein Vater arbeite jetzt als Hilfsarbeiter im Iran. Er könne seinen Beruf dort nicht ausüben. Er habe aber mit seinen Eltern auch weiterhin Kontakt. Seine Eltern hätten nach ihm Afghanistan verlassen.
Er habe im Jahr 1393 (nach afghanischer Zeitrechnung) bei einem Englisch-Sprachkurs ein Mädchen kennengelernt und zwar aus dem selben Ort. Sie hätten sich angefreundet und eine Beziehung geführt und in der Folge Sex gehabt, ohne dass sie verheiratet gewesen wären. Ihre Familie habe am Anfang nichts gewusst. 1394 (nach afghanischer Zeitrechnung) habe ihr Cousin sie heiraten wollen und um ihre Hand angehalten. Ihre Familie sei damit einverstanden gewesen, sie aber nicht. Er habe dann seiner Familie gestanden, dass er mit dem Mädchen Sex gehabt habe. Sie hätten auch heiraten wollen, aber sie seien noch zu jung gewesen. Das Mädchen sei 17 und er damals 16 Jahre alt gewesen. Seine Eltern hätten ihn beschimpft, aber er habe seine Familie überredet, dass sie bei der Familie seiner Freundin um die Hand anhalten wollten. Die Familie sei aber nicht damit einverstanden gewesen, weil sie reicher gewesen wären und sunnitische Moslems gewesen seien. Seine Freundin habe dann gestanden, dass sie Sex mit ihm gehabt habe, ihren Eltern auch seinen Namen genannt, da sie ihren Cousin nicht heiraten habe wollen.
Eines Tages sei gegen 20:00 Uhr die Familie des Mädchens bei ihnen aufgetaucht. Als er seinen Namen genannt habe, sei er gleich mit einem Stein auf den Kopf geschlagen worden. Nachdem er seinen Kopf mit den Händen geschützt habe, hätten sie ihn auch auf die Hand geschlagen. Sie hätten ihm dabei den Ellenbogen gebrochen und hätten ihn mitnehmen wollen, aber er habe geschrien. Es seien dann auch sein Onkel und seine Familie gekommen und habe er in das Haus seines Onkels fliehen können. Dieser habe ihn dann zu seiner Oma gebracht und habe er seine Verletzungen dort auskuriert. Nach vier Monaten sei er dann mit seiner Tante in den Iran geflohen. Die Familie seine Freundin sei noch zwei bis drei Mal in der Woche zu ihnen gekommen und hätte nach ihm gesucht. Es hätte immer wieder Schlägereien zwischen seiner Familie und der Familie seiner Freundin gegeben.
Er habe deswegen ursprünglich den Antrag auf freiwillige Rückkehr gestellt, da es ihm psychisch nicht gut gegangen sei und es für ihn eine große Belastung gewesen sei, dass es seiner Familie nicht gut gehe. Er habe das Problem selbst lösen wollen, da er sich schuldig gefühlt habe.
Seine Freundin habe XXXX geheißen. Sie hätten nur einmal Sex gehabt, wobei er auch das Datum nannte. Es sei bei ihr zu Hause gewesen. Es sei damals nur die ältere Schwester noch daheim gewesen. Nach seiner Verletzung habe er seine Freundin nicht mehr gesehen. Die Polizei habe aber nicht nach ihm gesucht. Seine Freundin habe deswegen zugegeben, schon Sex gehabt zu haben, da sie ihren Cousin nicht habe heiraten wollen. Aber nach ihrem Geständnis hätten die Eltern sie oft geschlagen und in den Keller gesperrt. Sie sei dann gestorben. Die Familie habe dann seine Schwester im Tausch haben wollen. Befragt zu dem sexuellen Akt, gab er zunächst an, dass sie über die Schule geredet hätten und dann seien sie einander nähergekommen. Sie hätten sich geküsst, sie habe ihn ausgezogen und er habe sie ausgezogen und sie hätten Sex miteinander gehabt. Sie hätten davon gewusst, dass es verboten sei. Aber in diesem Moment hätten sie sich nicht unter Kontrolle gehabt. Sie seien noch zu jung gewesen, um irgendwo in Afghanistan leben zu können. Sie hätten beim Sex ein Kondom verwendet, es sei bei ihr zu Hause gewesen. Wie seine Freundin zu diesem Kondom gekommen sei, wisse er nicht.
Er habe dann von XXXX aus seine Flucht begonnen, sei bis XXXX mit seinem Onkel gefahren. Die Ausreise habe sein Vater finanziert. Seine Eltern hätten mehrmals um die Hand von XXXX angehalten. Er sei nicht dabei gewesen, das sei nicht üblich. Ihre Schwester habe ihm gesagt, dass XXXX gestorben sei. Die Familie seiner Freundin habe ihn mit dem Tod bedroht. Bei seinem Onkel sei er von einem privaten Arzt behandelt worden.
Mit den Behörden seines Heimatlandes habe er keine Probleme gehabt, auch nicht aufgrund seiner Religion oder Volksgruppenzugehörigkeit. Wenn er nach Afghanistan zurückkehren würde, wäre es möglich, dass sie ihn finden und umbringen würden. Er gehöre einer Minderheit an und sei schiitischer Moslem und könne nicht überall leben. Er habe in Österreich auch schon gearbeitet, nämlich auf Kinder in XXXX aufgepasst, für ca. drei bis vier Monate lang. Er besuche in Österreich die Schule und gehe in ein Fitnesscenter. Er habe auch schon österreichische Freunde. Nach seinem Pflichtschulabschluss möchte er eine Lehre als Installateur machen.
Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.04.2018, Zl. XXXX wurde unter Spruchteil I. der Antrag auf internationalen Schutz vom 20.01.2016 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen, unter Spruchteil II. dieser Antrag auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen, unter Spruchteil III. ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, unter Spruchteil IV. eine Rückkehrentscheidung erlassen, unter Spruchteil V. festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei und unter Spruchteil VI. die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen festgelegt.
In der Begründung des Bescheides wurde der bisherige Verfahrensgang einschließlich der oben bereits im wesentlichen Inhalt wiedergegeben Einvernahme dargestellt und Feststellungen zu Afghanistan getroffen.
Beweiswürdigend wurde insbesondere ausgeführt, dass das tatsächliche Alter, trotz vorgelegter Tazkira, nicht habe festgestellt werden können, da der Antragsteller im Verfahren unterschiedliche Angaben gemacht habe, daher bleibe die Behörde bei dem schriftlich angegebenen Geburtsdatum XXXX . Die Angaben hinsichtlich Religion, Volksgruppenzugehörigkeit und Herkunft seien glaubhaft gewesen. Nicht glaubhaft seien jedoch die Angaben zu den Fluchtgründen gewesen. Wenn der Antragsteller tatsächlich in Afghanistan bedroht und verfolgt worden sei, hätte er sich nicht um eine freiwillige Rückkehr bemüht. Das Vorbringen sei insgesamt weder glaubhaft noch lebensnah gewesen. Seine Angaben zu seinem ersten sexuellen Erlebnis seien allgemein und vage gehalten gewesen, obwohl er mehrfach aufgefordert worden sei, dies detailliert auszuführen. Der voreheliche sexuelle Kontakt stelle einen Straftatbestand in Afghanistan dar, deswegen sei anzunehmen, dass auch die Polizei nach ihm gesucht hätte.
Rechtlich wurde zu Spruchteil I. insbesondere ausgeführt, dass der Antragsteller zu seinen Fluchtgründen keine glaubhaften Angaben gemacht habe und dass daher davon auszugehen sei, dass eine asylrelevante Verfolgungsgefahr nicht existiere. Eine Verfolgung aufgrund seiner Volksgruppe und Religion habe der Beschwerdeführer in der Einvernahme selbst ausgeschlossen.
Zu Spruchteil II. wurde nach Darlegung der bezughabenden Rechtslage und Judikatur insbesondere darauf hingewiesen, dass im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte für die Unzumutbarkeit sich in XXXX niederzulassen im Verfahren hervorgekommen wären und bestehe in Afghanistan alleine aufgrund der allgemeinen Situation noch keine ernsthafte Bedrohung der durch die EMRK geschützte Rechte. Der Antragsteller würde auch bei einer Rückkehr in der Lage sein, eine ausreichende Lebensgrundlage zu finden und jedenfalls nicht in eine hoffnungslose Lage geraten, es hätten daher keine begründeten Rückkehrhindernisse festgestellt werden können. Der Sachverhalt im Sinne des § 57 AsylG sei nicht geltend gemacht worden und sei daher ein Aufenthaltstitel aus diesem Grunde nicht zu gewähren gewesen. Was sein Familienleben betreffe, würden wohl zwei Cousins des Beschwerdeführers auch in Österreich leben, zu denen jedoch kein besonderes Abhängigkeitsverhältnis bestehe und seien diese ebenfalls von einer Rückkehrentscheidung betroffen. Der Antragsteller habe wohl eine A1-Prüfung positiv absolviert und bereite sich derzeit auf die Nachholung des Pflichtschulabschlusses vor. Es könne jedoch noch keine so tiefgreifende Integrationsverfestigung festgestellt werden, dass eine Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Privatleben darstellen würde. Außerdem sei der Antragsteller, und zwar erst im Jänner 2016, rechtswidrig ins Bundesgebiet eingereist und habe er wesentlich mehr Bindungen zu Afghanistan, wo er den Großteil seines Lebens verbracht habe und sozialisiert worden sei, als zu Österreich. Bei einer Gesamtbetrachtung, nach Abwägung aller Interessen, sei daher festzustellen, dass ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht zu erteilen gewesen sei und eine Rückkehrentscheidung zulässig sei. Da auch keine Gefährdung im Sinne des § 50 FPG vorliege, sei auch die Zulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan festzustellen, zumal einer solchen auch keine vorläufige Maßnahme des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte entgegenstehe. Auch Gründe für die Verlängerung der Frist für die freiwillige Rückkehr hätten nicht festgestellt werden können.
Gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller fristgerecht durch den XXXX und zwar gegen alle Spruchpunkte, Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. In dieser wurde insbesondere vorgebracht, dass bei dem Beschwerdeführer eine Verfolgung(sgefahr) wegen Zugehörigkeit einer bestimmten sozialen Gruppe und aus religiösen Gründen vorliege und er überdies in eine Blutfehde verwickelt gewesen sei. Die afghanischen Behörden seien auch weder schutzwillig noch schutzfähig.
Die Beweiswürdigung bestehe fast ausschließlich aus selektiven Zitaten und komme ihr kein erkennbarer Begründungswert zu. Der Beschwerdeführer habe hingegen ausführliche und konkrete Angaben zu seinen Fluchtgründen gemacht. Er habe nur deswegen überlegt, freiwillig nach Afghanistan zurückzukehren, da er seiner Familie, die in Gefahr gewesen sei, helfen wollen und sich selbst die Schuld für diese missliche Situation gegeben habe. Als er gehört habe, dass sein Leben, besonders in Afghanistan, vehement bedroht sei, habe er den Antrag auf freiwillige Rückkehr zurückgezogen. Der jugendliche Beschwerdeführer habe auch seine Familie stark vermisst. Seine Freundin habe deswegen ihrer Eltern erzählt, dass sie mit dem Beschwerdeführer Sex gehabt habe, um eine zwangsweise Verheiratung mit ihrem Cousin zu verhindern, da dieser im Wissen um die nicht vorhandene Jungfräulichkeit von seinem Vorhaben möglicherweise Abstand genommen hätte. Wenn sie später davon erfahren hätten, wäre sie noch mehr in Gefahr gewesen. Der Beschwerdeführer habe sich vier Monate bei seiner Großmutter versteckt und sei nicht aus dem Haus gegangen. Die Länderberichte würden die Gefahr des Beschwerdeführers aufgrund der Blutfehde, die auch nach dem Tod seiner Freundin nicht beendet sei, deutlich zeigen und bestünde die Gefahr, ebenfalls ermordet zu werden, da er aus der Sicht der Familie seine Widersacher am Tod der jungen Frau schuld sei. Der Beschwerdeführer befürchte nicht nur eine Verfolgung durch die Familie seiner ehemaligen Freundin, sondern auch durch den afghanischen Staat, da außerehelicher Geschlechtsverkehr in der islamischen Republik Afghanistan ein Verbrechen darstelle, das der Scharia folgend hat bestraft werde. In der Folge wurde ausgiebig aus den UNHCR-Richtlinien bezüglich afghanischer Flüchtlinge zitiert. Schließlich wurde auch ausgeführt, dass der Beschwerdeführer aufgrund seines jahrelangen Auslandsaufenthaltes bei einer Rückkehr als "verwestlicht" in Afghanistan angesehen würde.
Weiters sei in eventu subsidiärer Schutz zuzuerkennen, da die allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan eine Rückkehr nicht zulasse und der Beschwerdeführer auch über keinerlei familiäre oder soziale Unterstützung in Afghanistan verfügen würde. Es könne daher von einer Verbesserung der allgemeinen Situation in Afghanistan überhaupt keine Rede sein, auch nicht in XXXX , wo es regelmäßig massive Terroranschläge mit einer großen Opferanzahl gebe. Die Behörde habe auch ihrer amtswegigen Ermittlungsverpflichtung nicht adäquat Rechnung getragen. Schließlich habe der Beschwerdeführer sich auch in der Zeit seines Aufenthaltes in Österreich intensiv um eine Integration bemüht, die deutsche Sprache in bereits beeindruckendem Ausmaß gelernt und soziale Kontakte geknüpft. Es bestehe daher auch kein überzeugender Grund für eine Ablehnung der Schutzwürdigkeit des Privat- und Familienlebens. Es wurde auch die Anberaumung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung beantragt.
XXXX gab die Vertretung des Beschwerdeführers und die Auflösung der Vollmacht zum XXXX mit Schreiben vom 28.08.2018 bekannt.
Das Bundesverwaltungsgericht beraumte in der Folge eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung für den 17.01.2019 an, zu der kein Vertreter der belangten Behörde erschien.
Der Beschwerdeführer wurde von seiner ausgewiesenen Vertreterin begleitet, welche die Einvernahme des im Gerichtsgebäude anwesende Zeugen XXXX zum Beweise der guten Integration des Beschwerdeführers beantragte. Sie legte weiters eine Bestätigung des Zeugen zu Lehrplatzzusagen, eine Schulbesuchsbestätigung der HAK/HASCH XXXX , ein Zeugnis über den Pflichtschulabschluss, Bestätigungen über Vorbereitungskurse und eine Teilnahmebestätigung an einem Werte- und Orientierungskurs, eine Schulbesuchsbestätigung der Schule für Sozialbetreuungsberufe XXXX sowie zahlreiche Unterstützungsschreiben samt Fotos von Mitschülern vor.
Der Beschwerdeführer hielt sein bisheriges Vorbringen aufrecht und blieb bei seinen Angaben. Er wollte nur ergänzen, dass seine Integration nunmehr weiter fortgeschritten sei, als bei der Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl.
Er besitze die afghanische Staatsangehörigkeit und habe bereits eine Tazkira vorgelegt. Er sei schiitischer Moslem und gehöre der Volksgruppe der Quizilbash an. Diese Volksgruppe würde ursprünglich aus der Türkei stammen und sei vor langer Zeit nach Afghanistan ausgewandert. Die Quizilbash würden in der Umgebung von XXXX leben. Er sei aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit persönlich weder bedroht noch verfolgt worden. Es gebe aber solche Vorfälle, weil sie eine Minderheit wären. Es hänge aber auch mit der schiitischen Glaubensrichtung zusammen. Befragt, ob die Quizilbash Alewiten wären, gab er an, dass er dies glaube, aber sich nicht so sicher sei.
Er sei am XXXX in der Stadt XXXX geboren. Befragt, warum sich im Akt dann das Geburtsdatum XXXX befinde, das er selbst einmal angegeben habe, führte er aus, dass er im Alter von 16 Jahren freiwillig nach Afghanistan zurückkehren hätte wollen, aber nur als Volljähriger ausreisen habe können. Er habe sich damals als Schuldiger für die Probleme seiner Familie angesehen und habe die Probleme selbst regeln wollen. Da sein Leben in Gefahr gewesen sei, habe er jedoch davon Abstand genommen.
Er sei in der Stadt XXXX geboren und aufgewachsen und habe sich bis zur Ausreise dort aufgehalten. Er habe die Schule bis zur achten Klasse besucht. In Afghanistan habe er von seinen Eltern gelebt. Sein Vater sei Architekt gewesen, seine Mutter Hausfrau, sie habe aber auch Kleidungsstücke für Frauen genäht. Sie hätten ein durchschnittliches Leben in Afghanistan geführt. Neben seiner Schule habe er einen Englisch-Sprachkurs besucht. Seine Eltern seinen nunmehr im Iran aufhältig, ebenso seine zwei jüngeren Schwestern und zwei jüngere Brüder.
Er habe in Afghanistan mit staatlichen Behörden keine Probleme gehabt, auch nicht mit bewaffneten Gruppierungen wie den Taliban. Seine Freundin und er hätten im selben Ort gelebt. Sie hätten sich im Zeitraum März 1393 afghanischer Zeitrechnung kennengelernt, und zwar in einem Englisch-Sprachkurs. Ein Treffen außerhalb dieses Sprachkurses sei schwierig gewesen, aber sie hätten telefonischen Kontakt gehabt. Seine Freundin habe XXXX geheißen. Sie sei Paschtunin und sunnitische Muslimin gewesen und ein Jahr älter als er. Befragt, wie sie ausgesehen habe, gab er an, dass sie für ihn wunderschön gewesen sei. Sie sei normal groß und mittelschlank gewesen, sie hätte dunkle Augen und lange Haare gehabt und hätte normalerweise die afghanische bunte Tracht getragen, einschließlich eines Kopftuches. Befragt, ob ihm irgendwelche körperlichen Merkmale seiner Freundin bekannt seien, die man bei der Verschleierung nicht sehe, antwortete er, dass sie beim Schlüsselbein ein Muttermal gehabt habe. Nach längerer Zeit, er können sich nicht mehr genau daran erinnern, wie lange es gewesen wäre, hätten sie sich geküsst. Es sei an dem Tag gewesen, an dem er zu ihr nach Hause gegangen sei und wo sie auch Geschlechtsverkehr gehabt hätten. In der Öffentlichkeit dürfe man sich in Afghanistan nicht küssen. Sie hätten an diesem Tag Zeugnisübergabe gehabt. Seine Freundin sei aber nicht im Sprachkurs gewesen und er hätte ihr das Zeugnis vorbeibringen wollen. Ihre Eltern seien nicht zu Hause gewesen, nur die ältere Schwester. XXXX habe ihm gesagt, dass er gerne reinkommen könne und mit ihr Tee trinken könne, da niemand da sei. Sie hätten sich dann unterhalten, hätten einander geliebt und spontanen Sex gehabt, es sei nicht vorgesehen gewesen. Er habe ein Kondom verwendet, dies sei bei seiner Freundin zu Hause gewesen. Er glaube, seine Freundin habe es von ihren Eltern gehabt. Es sei das erste Mal bei seiner Freundin gewesen. Sie hätten nur das eine Mal Sex gehabt, weil sie danach nicht mehr die Möglichkeit gehabt hätten. Es sei alles spontan gewesen, am Tag habe niemand davon erfahren. Über Vorhalt, dass es bei der üblichen Erziehung in Afghanistan von Mädchen und den dortigen Wertvorstellungen es eher unüblich sei, dass eine 17jährige vor der Ehe freiwillig Sex habe, gab er an, dass sie einander geliebt hätten und dass es spontan gewesen sei. Sie hätten auch vorgehabt in Zukunft zu heiraten, wenn sie beide älter wären. Erst nachdem die Familie seiner Freundin sie mit seinem Cousin verheiraten habe wollen, das sei 1394 etwa im vierten Monat gewesen, habe er seinen Eltern gestanden, dass er mit seiner Freundin geschlafen habe. Sein Vater sei zunächst wütend geworden und habe darauf hingewiesen, dass dies im Islam verboten sei. Aber er habe es geschafft seine Eltern zu überreden, um ihre Hand anzuhalten. Als seine Eltern dann zu den Eltern seiner Freundin gegangen wären, hätten diese gesagt, dass sie schon ihrem Cousin versprochen sei, dass das in ihrer Familie so üblich sei. Sie hätten auch noch nichts von dem Geschlechtsverkehr gewusst. Danach, bevor XXXX mit ihrem Cousin offiziell verheiratet hätte werden sollen, habe sie es ihren Eltern erzählt, weil sie die Heirat nicht gewollt habe. Sie habe gehofft, dass dadurch ihr Cousin von der Heirat Abstand nehme. Dies sei der letzte Ausweg für sie gewesen und habe sie bis zum letzten Moment mit diesem Geständnis gewartet. Daraufhin seien ihre Eltern zu seinen Eltern gegangen und habe es dann große Probleme zwischen den beiden Familien gegeben. Er habe die Haustüre geöffnet, sie hätten ihn wohl nicht gekannt, aber sie hätten nach seinem Namen gefragt. Als er bejaht habe, hätten sie glaublich mit einem Stein auf ihn eingeschlagen und seien dann sein Vater und sein Onkel väterlicherseits ihm zu Hilfe gekommen. Er sei verletzt und fast ohnmächtig gewesen. Er habe am Kopf geblutet. Er habe eine Platzwunde am Hinterkopf und einen Bruch des Unterarms durch den Angriff der Verwandten seiner Freundin davongetragen. In der Folge sei er dann im Haus von seiner Großmutter privat von einem Arzt behandelt worden. Dieser habe wohl einen Gipsverband angelegt, aber der Unterarm sei schief zusammengewachsen. Seine Oma habe sich in einem anderen Stadtteil von XXXX , nämlich in XXXX , das ca. zweieinhalb Stunden Autofahrt von seinem Wohnort entfernt sei, gelebt. Er habe das Haus seiner Oma nicht verlassen. Er habe erfahren, dass sich die Familie seiner Freundin schon in der Ortschaft nach ihm erkundigt habe und die Familiengehörigen seiner Freundin seien mehrfach zu ihrem Haus gekommen und hätten ihn gesucht. Es habe auch verbale Auseinandersetzungen gegeben und sei auch sein Vater geschlagen worden. Er sei aber nicht dabei gewesen. Auch seine Freundin hätten sie heftig verprügelt und 20 Tage lange wie eine Gefangene eingesperrt. Danach sie sie ums Leben gekommen. Er wisse nicht, ob sie Selbstmord begangen habe oder ob sie getötet worden sei. Er habe erfahren, dass es eine Trauerfeier von ihr gegeben habe. Über Vorhalt, dass er beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl angegeben habe, dass die ältere Schwester seiner Freundin ihm davon berichtet hätte, gab er an, dass er keinen persönlichen Kontakt mit dieser gehabt habe und dass er über Umwege von Bekannten von der Trauerfeier erfahren habe. Er habe sich für vier bis fünf Monate im Hause seiner Oma versteckt. Über Vorhalt, dass solche Fluchtgeschichten, wie es der Beschwerdeführer erzähle, immer wieder vorgetragen würden, und ob er glaubhaft machen könne, dass gerade seine Geschichte wahr sein, gab er an, dass er am Kopf und am Arm verletzt worden sei und er die Spuren der Verletzungen heute noch trage. Es habe es sich alles so zugetragen, wie er es erzählt habe. Er habe bei seiner Flucht nicht daran gedacht Beweise zu sammeln. Als ihm klar geworden sei, dass er in Afghanistan nicht auf Dauer leben könne, sei er gemeinsam mit seiner Tante väterlicherseits ausgereist. Den unmittelbaren Fluchtentschluss habe er dann getroffen, als er erfahren habe, dass seine Freundin tot sei. Er habe sich nämlich gedacht, wenn sie eigene Tochter umbringen würden, dann würden sie ihn erst recht umbringen. Er könne es wohl nicht garantieren, dass es ihre Familie gewesen sei, aber er habe sich jedenfalls vor einer Tötung durch die Familie seiner Freundin gefürchtet. Afghanistan habe er gemeinsam mit seiner Tante väterlicherseits und mit deren beiden Söhnen verlassen. Aber vom Iran aus sei er dann alleine losgestartet. In der XXXX hätten sie sich dann aber wieder auf der Flucht getroffen. Afghanistan habe er am 15.12.2015 verlassen. Dies sei sein Geburtstag gewesen. Er stehe mit seinen Eltern über Internettelefon hin und wieder in Kontakt. Ca. drei Mal im Jahr habe er auch mit seinem Onkel väterlicherseits in Afghanistan Kontakt.
Gesundheitlich habe er keine Probleme, aber psychisch stehe er etwas unter Druck. Er sei auch einmal bei einem Psychologen gewesen, der ihm einige Tipps gegeben habe. In der Folge gab der Beschwerdeführer auf Deutsch an, dass er eine Ausbildung zum Assistenzpfleger mache. Diese Ausbildung dauere drei Jahre. Er habe vor drei oder vier Monaten mit dieser Ausbildung begonnen. Wenn man dann weitermache als Fachpfleger, dauere die Ausbildung noch ein Jahr. Er lebe in Österreich in keiner Lebensgemeinschaft oder Ehe, sondern in einem Flüchtlingsheim. Die mündliche Prüfung für B1 habe er schon gemacht, die schriftliche sei im Februar. Er habe auch erfahren, dass der Pflichtschulabschluss auch B1-Niveau habe. Er habe ursprünglich eine Installateurlehre beginnen wollen, aber das habe er nicht dürfen. In XXXX habe er Kinder von Asylwerbern oder ältere Menschen betreut. Jetzt gehe er in die Schule und nach der Schule ins Fitnesscenter. Auch treffe er sich mit Freunden und Freundinnen. In einem Verein sei er nicht Mitglied, aber er habe früher hobbymäßig Fußball gespielt. Er habe viele österreichischen Freunde und verweise auf die vorgelegten Fotos. Eine österreichische Freundin habe er bis jetzt nicht. Wenn er in Österreich bleiben dürfe, möchte er seine Ausbildung fertig machen und in einem Pflegeberuf tätig sein. In Afghanistan wäre sein Leben in Gefahr, hier in Österreich sei er sicher. Er könne auch nicht alleine in XXXX oder XXXX leben und außerdem habe er Angst um sein Leben. Er habe auch niemanden in Afghanistan, der ihn unterstützen könnte. Mehr habe er nicht zu sagen. Verlesen wurde der aktuelle Strafregisterauszug, in dem keine Verurteilung aufscheint.
In der Folge wurde der Zeuge XXXX nach Wahrheitserinnerung und Belehrung über die Entschlagungsgründe befragt. Dieser gab an, dass er vor seiner Pensionierung Schuldirektor in XXXX gewesen sei. Im Zuge des Flüchtlingsansturms seien auch einige Asylwerber in XXXX im XXXX untergebracht worden. Er und andere Lehrer hätten sich bereit erklärt den Flüchtlingen Deutschunterricht zu geben. Der Beschwerdeführer sei etwas später gekommen und dann ebenfalls ein Schüler von ihm gewesen. Es sei ihm dann gelungen, ihn als außerordentlichen Schüler an der HAK XXXX unterzubringen. Er habe mit den Schülern Deutsch sprechen müssen und nachmittags zusätzlich einen Deutschunterricht abhalten. Das habe ein Jahr gedauert. Er habe mit ihm dann auch noch privat gelernt und habe er die A1-Prüfung mit "Sehr gut" abgelegt. In XXXX hätte er dann keinen Beruf ausüben können und er habe einen Beruf lernen wollen. Er habe dem Beschwerdeführer dann geraten den Pflichtschulabschluss nachzuholen und sei er dann jeden Tag 100 km zur Volkshochschule nach XXXX gefahren, wo ein solcher Kurs angeboten worden sei. Er habe den Beschwerdeführer immer wieder bei Aufgaben und Prüfungen geholfen und so habe dieser dann bereits nach einem Jahr die Prüfung für den Pflichtschulabschluss abgelegt. Er kenne den Beschwerdeführer seit ungefähr zweieinhalb Jahren. Sie hätten sich dann um eine Lehrstelle bemüht und hätten auch zwei konkrete Zusagen erhalten, nämlich bei der Firma XXXX und beim Hotel- Restaurant XXXX in XXXX . Dir Firma XXXX hätte ihn nur bei einem positiven Abschluss des Asylverfahrens genommen. Beim XXXX hätten sie ihn sofort genommen. Es sei aber in der Zwischenzeit zu einer Verschärfung des Asylrechtes gekommen und hätten Asylwerber keine Lehre mehr beginnen dürfen, darum habe er versucht, den Beschwerdeführer in die Schule für Sozialberufe in XXXX zu bringen, dies sei auch gelungen und besuche er diese seit einem halben Jahr. Er unterstütze ihn. Der Beschwerdeführer möchte diesen Abschluss erreichen und dann als Pflegeassistent arbeiten. Er habe persönlich einen äußerst positiven Eindruck von der Person des Beschwerdeführers. Dieser sei bereit, sich in Österreich zu integrieren, etwas zu leisten und sich selbst zu erhalten. In XXXX sei er auch bei der Fußballmannschaft gewesen. Nun wohne der Beschwerdeführer in XXXX , weil das für die Ausbildung näher sei. Er könne nur befürworten, dass dieses Verfahren positiv abgeschlossen werde.
In der Folge wurde dem Beschwerdeführer das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan aktualisiert am 08.01.2019 zur Kenntnis gebracht und eine Frist zur Abgabe einer Stellungnahme von drei Wochen eingeräumt. Die Beschwerdführervertreterin legte das (positive) Semesterzeugnis des Beschwerdeführers der Schule für Sozialbetreuungsberufe (einziges "Genügend" in Deutsch) vor. Diese erstattete mit Datum 07.12.2018 eine Stellungnahme zu den vorgehaltenen Länderinformationsblatt. In dieser wurde insbesondere darauf hingewiesen, dass sich in dem Länderinformationsblatt keine Ausführungen zu der (kleinen) Minderheit der Quizilbash befinden würden. Auffällig sei, dass das Länderinformationsblatt veraltet sei, obwohl es laut Deckblatt am 08.01.2019 aktualisiert worden sei. Es gebe zahlreiche aktuelle öffentlich zugängliche jüngere Berichte als jene, welche im Länderinformationsblatt veröffentlicht worden seien. Es sei daher nicht vollständig und aktuell. Weiters sei das Gutachten der renommierten Afghanistan-Expertin XXXX nicht berücksichtigt bzw. nicht einmal erwähnt worden.
Daraufhin gewährte das Bundesverwaltungsgericht zu der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Afghanistan betreffend außerehelicher Geschlechtsverkehr vom 15.09.2016 sowie zu einer am 01.03.2019 nochmals aktualisierten Kurzinformation zur Sicherheitslage in Afghanistan, ebenfalls der Staatendokumentation, im schriftlichem Wege das Parteiengehör.
Der Beschwerdeführer erstattete eine schriftliche Stellungnahme, wo auf die schlechte Sicherheitslage in Afghanistan und auf die zunehmende westliche Orientierung des Beschwerdeführers hingewiesen wurde. In diesem Zusammenhang wurde auch die Anberaumung einer weiteren mündlichen Verhandlugn beantragt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat wie folgt festgestellt und erwogen:
1. Feststellungen:
Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers
Der Beschwerdeführer ist Staatsbürger von Afghanistan, schiitischer Moslem und gehört der Volksgruppe der Quizilbash an. Sein Geburtsdatum kann nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden. Auf jeden Fall ist der Beschwerdeführer bereits volljährig. Der Beschwerdeführer wurde in XXXX geboren und hat dort auch bis zu seiner Ausreise gelebt. Er hat acht Jahre lang die besucht und nebenbei einen Englischkurs absolviert. Dabei lernte ein ein Jahr älteres Mädchen, namens XXXX , kennen, die Paschtunin und sunnitische Muslime war. Die beiden hielten zunächst telefonischen Kontakt, verliebten sich dann ineinander und kam es im Haus der Freundin einmal zum Geschlechtsverkehr, wobei diese entjungfert wurde. Einige Monate später wollten die Eltern das Mädchen mit ihrem (älteren) Cousin verheiraten, was diese ablehnte. Daraufhin gestand der Beschwerdeführer seinen Eltern die Liebesbeziehung, welche ihm zunächst Vorhalte deswegen machen, aber dann doch zustimmten, um die Hand des Mädchens anzuhalten. Dies wurde jedoch aus mehreren Gründen, nämlich, weil die Familie wohlhabender, anderen Glaubens, vor allem, weil das Mädchen bereits einem Verwandten versprochen war, abgelehnt. Am Tag vor der geplanten Hochzeit erzählte das Mädchen in seiner Verzweiflung den Eltern von dem sexuellen Kontakt mit dem Beschwerdeführer, weil sie hoffte, dass dadurch ihr Cousin wegen der fehlenden Jungfräulichkeit von der Hochzeit Abstand nehmen würde. Die Familienangehörigen des Mädchens kamen dann zum Haus der Eltern des Beschwerdeführers, trafen diesen dort an und verletzten ihn glaublich mit einem Stein. Er trug eine Platzwunde am Hinterkopf und einen Bruch des Unterarmes davon. Daraufhin flüchtete der Beschwerdeführer in das Haus seiner Großmutter in einen anderen Stadtteil von XXXX und wurde dort auch privat medizinisch versorgt (aber offenbar nicht gut, weil der Arm schief angewachsen ist). Der Beschwerdeführer versteckte sich in der Folge im Haus seiner Großmutter. Die Familie seiner Freundin bedrohte mehrmals die Familienangehörigen des Beschwerdeführers und wurde auch gegen seinen Vater gewalttätig, währende XXXX von ihren Eltern verprügelt und eingesperrt wurde. Etwas später kam sie ums Leben, wobei dem Beschwerdeführer nicht bekannt ist, ob diese Selbstmord begangen hat oder getötet wurde.
Da der Beschwerdeführer ebenfalls fürchtete getötet zu werden, weil er schon davon hörte, dass die Familienangehörigen sich auch in der Nähe des Hauses seiner Großmutter nach ihm erkundigt hätten, entschloss er sich gemeinsam mit seiner Tante väterlicherseits und deren beiden Söhnen am 15.12.2015 Afghanistan zu verlassen. Der Beschwerdeführer hatte keine persönlichen Probleme wegen seiner Volksgruppenzugehörigkeit oder Religion.
Er gelangte am 20.01.2016 offenbar unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich und stellte noch an diesem Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Die engsten Familienangehörigen des Beschwerdeführers haben in der Zwischenzeit wegen Verfolgung durch die Familie der ehemaligen Freundin ebenfalls Afghanistan verlassen und halten sich im Iran in der Stadt XXXX auf. Der Beschwerdeführer hat gelegentlich zu ihnen Kontakt, weiters auch zu seinem Onkel väterlicherseits in Afghanistan. Der Beschwerdeführer leidet unter keinen schwerwiegenden gesundheitlichen oder psychischen Problemen. Er hat die Zeit in Österreich außerordentlich gut genutzt, um sich hier zu integrieren und hat beispielsweise den Pflichtschulabschluss absolviert sowie eine B1-Prüfung und besucht nunmehr (erfolgreich!) die Schule für Sozialbetreuungsberufe in XXXX . Er möchte in Zukunft Assistenzpfleger oder Fachpfleger werden. Er hat in Österreich auch schon Kinder betreut, an einem Theaterstück mitgewirkt und in einem Fußballverein gespielt. Er wird von einer großen Zahl österreichischer Staatsbürger aus dem Raum XXXX unterstützt. Der Beschwerdeführer hat kein Familienleben in Österreich und ist unbescholten.
Zu Afghanistan wird Folgendes festgestellt:
Allgemeine Sicherheitslage und sicherheitsrelevante Vorfälle Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil. Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum 16.8.2018 - 15.11.2018 5.854 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 2% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 5% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (63%) aus. Selbstmordanschläge gingen um 37% zurück, was möglicherweise an erfolgreichen Bekämpfungsmaßnahmen in Kabul-Stadt und Jalalabad liegt. Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Streitkräfte stiegen um 25%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten. In der Provinz Kandahar entstand die Befürchtung, die Sicherheitsbedingungen könnten sich verschlechtern, nachdem der Polizeichef der Provinz und der Leiter des National Directorate for Security (NDS) im Oktober 2018 ermordet worden waren (UNGASC 7.12.2018). Gemäß dem Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR) fanden bis Oktober 2018 die meisten Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen in den Provinzen Badghis, Farah, Faryab, Ghazni, Helmand, Kandahar, Uruzgan und Herat statt. Von Oktober bis Dezember 2018 verzeichneten Farah, Helmand und Faryab die höchste Anzahl regierungsfeindlicher Angriffe (SIGAR 30.1.2019).
Nach dem Taliban-Angriff auf Ghazni-Stadt im August 2018, bestand weiterhin die Befürchtung, dass die Taliban großangelegte Angriffe im Südosten des Landes verüben könnten. Dies war zwar nicht der Fall, dennoch setzten Talibankämpfer die afghanischen Sicherheitskräfte am Stadtrand von Ghazni, in Distrikten entlang des Highway One nach Kabul und durch die Einnahme des Distrikts Andar in Ghazni im Oktober weiterhin unter Druck. Im Westen der Provinz Ghazni, wo die ethnische Gruppierung der Hazara eine Mehrheit bildet, verschlechterten sich die Sicherheitsbedingungen wegen großangelegter Angriffe der Taliban, was im November zur Vertreibung zahlreicher Personen führte. In Folge eines weiteren Angriffs der Taliban im Distrikt Khas Uruzgan der Provinz Uruzgan im selben Monat wurden ebenfalls zahlreiche Hazara-Familien vertrieben. Des Weiteren nahmen Talibankämpfer in verschiedenen Regionen vorübergehend strategische Positionen entlang der Hauptstraßen ein und behinderten somit die Bewegungsfreiheit zwischen den betroffenen Provinzen. Beispiele dafür sind Angriffe entlang Hauptstraßen nach Kabul in den Distrikten Daymirdad und Sayyidabad in Wardak, der Route Mazar - Shirbingham und Maimana - Andkhoy in den nördlichen Provinzen Faryab, Jawzjan und Balkh und der Route Herat - Qala-e-Naw im westlichen Herat und Badghis (UNGASC 7.12.2018). Trotz verschiedener Kampfhandlungen und Bedrohungen blieben mit Stand Dezember 2018 gemäß SIGAR die Provinzzentren aller afghanischen Provinzen unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.1.2019).
Im Laufe des Wahlregistrierungsprozesses und während der Wahl am 20. und am 21. Oktober wurden zahlreiche sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, welche durch die Taliban und den Islamischen Staat - Provinz Khorasan (ISKP) beansprucht wurden (UNGASC 7.12.2018; vgl. UNAMA 10.10.2018, UNAMA 11.2018). Während der Wahl in der Provinz Kandahar, die wegen Sicherheitsbedenken auf den 27. Oktober verschoben worden war, wurden keine sicherheitsrelevanten Vorfälle registriert. Die afghanischen Sicherheitskräfte entdeckten und entschärften einige IED [Improvised Explosive Devices - Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen] in Kandahar-Stadt und den naheliegenden Distrikten (UNAMA 11.2018). Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) hatte zwischen 1.1.2018 und 30.9.2018 im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen insgesamt 366 zivile Opfer (126 Tote und 240 Verletzte) registriert (UNAMA 10.10.2018). Am offiziellen Wahltag, dem 20. Oktober, wurden 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) registriert, darunter 117 Kinder (21 Tote und 96 Verletzte) und 48 Frauen (2 Tote und 46 Verletzte). Am folgenden Wahltag, dem 21. Oktober, wurden 47 weitere zivile Opfer (4 Tote und 43 Verletzte) verzeichnet, inklusive 17 Kinder (2 Tote und 15 Verletzte) und Frauen (3 Verletzte). Diese Zahlen beinhalten auch Opfer innerhalb der Afghan National Police (ANP) und der Independet Electoral Commission (IEC) (UNAMA 11.2018). Die am 20. Oktober am meisten von sicherheitsrelevanten Vorfällen betroffenen Städte waren Kunduz und Kabul. Auch wenn die Taliban in den von ihnen kontrollierten oder beeinflussten Regionen die Wählerschaft daran hinderten, am Wahlprozess teilzunehmen, konnten sie die Wahl in städtischen Gebieten dennoch nicht wesentlich beeinträchtigen (trotz der hohen Anzahl von Sicherheitsvorfällen) (UNGASC 7.12.2018).
Die Regierung kontrolliert bzw. beeinflusst - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 22.10.2018 53,8% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 bedeutet. 33,9% der Distrikte sind umkämpft und 12,3% befinden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 63,5% der Bevölkerung leben in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befinden; 10,8% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 25,6% leben in umkämpften Gebieten. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Kontrolle bzw. Einfluss von Aufständischen sind Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).
Der ISKP ist weiterhin im Osten des Landes präsent und bekennt sich zu Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen in Nangarhar und zu sechs Angriffen in Kabul-Stadt. Des Weiteren finden in den Provinzen Nangarhar und Kunar weiterhin Kämpfe zwischen ISKP- und Talibankämpfern statt. Die internationalen Streitkräfte führten Luftangriffe gegen den ISKP in den Distrikten Deh Bala, Achin, Khogyani, Nazyan und Chaparhar der Provinz Nangarhar aus (UNGASC 7.12.2018).
Global Incident Map zufolge wurden im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) 4.436 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Durch die folgende kartografische Darstellung der Staatendokumentation soll die Verteilung des Konflikts landesweit veranschaulicht werden.
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(BFA Staatendokumentation 20.02.2019a)
In der folgenden Grafik der Staatendokumentation wird das Verhältnis zwischen den vier Quartalen des Jahres 2018 anhand der registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle für den Zeitraum 1.1.2018 - 31.12.2018 veranschaulicht.
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(BFA Staatendokumentation 20.02.2019b)
Zivile Opfer
Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte), eine allgemeine Steigerung von 5% sowie eine Steigerung der Zahl der Toten um 11% gegenüber dem Vorjahreswert. 42% der zivilen Opfer (4.627 Opfer;
1.361 Tote und 3.266 Verletzte) wurden durch IED im Zuge von Anschlägen und Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich ISKP) verursacht. Die Anzahl der Selbstmordanschläge unter Einsatz von IED stieg dabei um 22% und erreichte somit einen Rekordwert. Diese Art von Anschlägen verursachte 26% aller zivilen Opfer, während IED, die bei Nichtselbstmordanschlägen verwendet wurden, 16% der zivilen Opfer forderten. Kabul war mit insgesamt 1.866 Opfern (596 Tote und 1.270 Verletzte) die Provinz mit der höchsten Anzahl an Selbstmordanschlägen durch IED, während die Zahl der Opfer in Nangarhar mit insgesamt 1.815 (681 Tote und 1.134 Verletzte) zum ersten Mal fast die Werte von Kabul erreichte (hauptsächlich wegen des Einsatzes von IED bei Nichtselbstmordanschlägen).
Kabul-Stadt verzeichnete insgesamt 1.686 zivile Opfer (554 Tote und 1.132 Verletzte) wegen komplexen und Selbstmordangriffen (UNAMA 24.2.2019).
Zusammenstöße am Boden (hauptsächlich zwischen regierungsfreundlichen und regierungsfeindlichen Gruppierungen) verursachten 31% der zivilen Opfer (insgesamt 3.382; davon 814 Tote und 2.568 Verletzte), was einen Rückgang um 3% im Vergleich mit dem Vorjahreswert bedeutet. Grund dafür war der Versuch regierungsfreundlicher Gruppierungen, die zivile Bevölkerung zu schonen. Die Verlagerung der Kämpfe in dünn besiedelte Gebiete, die Vorwarnung der lokalen Zivilbevölkerung bei Kampfhandlungen und die Implementierung von Strategien zum Schutz der Bevölkerung waren einige der bestimmenden Faktoren für den Rückgang bei zivilen Opfern. Jedoch ist die Opferzahl bei gezielt gegen die Zivilbevölkerung gerichteten komplexen Angriffen und Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen gestiegen (plus 48% gegenüber 2017; 4.125 Opfer insgesamt, davon 1.404 Tote und 2.721 Verletzte). Sowohl der ISKP als auch die Taliban griffen gezielt Zivilisten an: Der ISKP war für 1.871 zivile Opfer verantwortlich, darunter waren u.a. Mitglieder der schiitischen Gemeinschaft, und die Taliban für 1.751. Obwohl die Gesamtzahl der zivilen Opfer durch gezielte Tötungen von Einzelpersonen (hauptsächlich durch Erschießung) zurückging, blieben Zivilisten inklusive religiöser Führer und Stammesältester weiterhin Ziele regierungsfeindlicher Gruppierungen.
Die Gesamtzahl der durch Luftangriffe verursachten zivilen Opfer stieg im Vergleich mit dem Vorjahreswert um 61% und die Zahl der Todesopfer erreichte 82%. 9% aller zivilen Opfer wurden Luftangriffen (mehrheitlich der internationalen Luftwaffe) zugeschrieben, der höchste Wert seit 2009 (UNAMA 24.2.2019).
Regierungsfeindliche Gruppierungen waren im UNAMA-Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) für 6.980 zivile Opfer (2.243 Tote und 4.737 Verletzte) verantwortlich. Das entspricht 63% der gesamten zivilen Opfer. 37% davon werden den Taliban, 20% dem ISKP und 6% unbestimmten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben. Im Laufe des Jahres 2018 wurden vermehrt Anschläge gegen Bildungseinrichtungen verzeichnet, meist durch Talibankämpfer, da in Schulen Registrierungs- und Wahlzentren untergebracht waren.
Der ISKP attackierte und bedrohte Bildungseinrichtungen als Reaktion auf militärische Operationen afghanischer und internationaler Streitkräfte. UNAMA berichtet auch über anhaltende Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen, welche Auswirkungen auf einen Großteil der zivilen Bevölkerung haben. Trotzdem die Taliban nach eigenen Angaben Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung ergriffen haben, attackierten diese weiterhin Zivilisten, zivile Einrichtungen und regierungsfreundliche Gruppierungen in Zivilgebieten (UNAMA 24.2.2019).
Ungefähr 24% der zivilen Opfer (2.612, davon 1.185 Tote und 1.427 Verletzte), werden regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben: 14% den afghanischen Sicherheitskräften, 6% den internationalen Streitkräften und 4% unbestimmten regierungsfreundlichen Gruppierungen. Die Steigerung um 4% gegenüber dem Vorjahr geht auf Luftangriffe der internationalen Streitkräfte und Fahndungsaktionen der afghanischen Sicherheitskräfte und regierungsfreundlicher Gruppierungen zurück (UNAMA 24.2.2019).
Die verbleibenden 13% der verzeichneten zivilen Opfer wurden im Kreuzfeuer während Zusammenstößen am Boden (10%), durch Beschuss aus Pakistan (1%) und durch die Explosion von Blindgängern verursacht (UNAMA 24.2.2019).
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(UNAMA 24.2.2019)
Quellen:
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BFA Staatendokumentation (20.02.2019a): kartografische Darstellung der sicherheitsrelevanten Vorfälle Jänner-Dezember 2018, liegt im Archiv der Staatendokumentation vor
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BFA Staatendokumentation (20.02.2019b): grafische Darstellung der sicherheitsrelevanten Vorfälle Q1 bis Q4, liegt im Archiv der Staatendokumentation vor
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SIGAR - Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (30.1.2019): Quarterly Report to the United States Congress, https://www.sigar.mil/pdf/quarterlyreports/2019-01-30qr.pdf, Zugriff 20.2.2019
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UNAMA - United Nations Assistance Mission in Afghanistan (24.2.2019): Afghanistan, Protection of civilians in armed conflict, Annual report 2018,
https://unama.unmissions.org/sites/default/files/afghanistan_protection_of_civilians_annual_report_2018_final_24_feb_2019_v3.pdf, Zugriff 25.2.2019
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UNAMA - United Nations Assistance Mission in Afghanistan (11.2018): Afghanistan, Protection of civilians in armed conflict, Special report: 2018 elections violence, https://unama.unmissions.org/sites/default/files/special_report_on_2018_elections_violence_november_2018.pdf, Zugriff 20.2.2019
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UNAMA - United Nations Assistance Mission in Afghanistan (10.10.2018): Quarterly report on the protection of civilians in armed conflict: 1 January to 30 September 2018, https://unama.unmissions.org/sites/default/files/unama_protection_of_civilians_in_armed_conflict_3rd_quarter_report_2018_10_oct.pdf, Zugriff 20.2.2019
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UNGASC - United Nations General Assembly Security Council (7.12.2018): The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security, Report of the Secretary General, https://undocs.org/S/2018/1092, Zugriff 20.2.2019
Zivile Opfer
Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 30.6.2018) 5.122 zivile Opfer (1.692 Tote und 3.430 Verletzte), ein Rückgang von 3% gegenüber dem Vorjahreswert. 45% der zivilen Opfer wurden durch IED [Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen, aber auch Selbstmordanschläge, Anm.] regierungsfeindlicher Gruppierungen verursacht. Zusammenstöße am Boden, gezielte Tötungen, Luftangriffe und explosive Kampfmittelrückstände waren weitere Ursachen für zivile Opfer. Zivilisten in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Faryab, Helmand und Kandahar waren am stärksten betroffen. Wobei die Zahl der durch Zusammenstöße am Boden verursachten zivilen Opfer um 18% und die Zahl der gezielten Tötungen deutlich zurückging. Jedoch ist die Opferzahl bei komplexen und Selbstmordangriffen durch regierungsfeindliche Gruppierungen gestiegen (um 22% verglichen mit 2017), wobei 52% der Opfer dem ISKP, 40% den Taliban und der Rest anderen regierungsfeindlichen Gruppierungen zuzuschreiben ist (UNAMA 15.7.2018).
Regierungsfeindliche Gruppierungen waren im UNAMA-Berichtszeitraum (1.1.2018 - 30.6.2018) für 3.413 (1.127 Tote und 2.286 Verletzte) zivile Opfer verantwortlich (67%): 42% der Opfer wurden den Taliban, 18% dem IS und 7% undefinierten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben. Im Vergleich mit dem ersten Halbjahr 2017 stieg die Anzahl ziviler Opfer von gezielten Angriffen auf Zivilisten um 28%, was hauptsächlich auf Angriffe auf die öffentliche Verwaltung und Vorfälle mit Bezug auf die Wahlen zurückzuführen ist (UNAMA 15.7.2018).
Ungefähr 1.047 (20%) der verzeichneten zivilen Opfer wurden regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben: 17% wurden von den afghanischen Sicherheitskräften, 2% durch die internationalen Streitkräfte und 1% von regierungsfreundlichen bewaffneten Gruppierungen verursacht. Gegenüber 2017 sank die den regierungstreuen Gruppen zugerechnete Zahl ziviler Opfer von Zusammenstößen am Boden um 21%. Gleichzeitig kam es jedoch zu einem Anstieg der Opfer von Luftangriffen um 52% (Kunduz, Kapisa und Maidan Wardak) (UNAMA 15.7.2018; vgl. UNAMA 25.9.2018a, UNAMA 25.9.2018b).
Auch wurden von UNAMA zivile Opfer durch Fahndungsaktionen, hauptsächlich durch die Spezialkräfte des National Directorate of Security (NDS) und regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen wie die Khost Protection Force (KPF) verzeichnet (UNAMA 15.7.2018).
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(UNAMA 15.7.2018)
Dennoch unternahm die afghanische Regierung weiterhin Anstrengungen zur Reduzierung der Zahl ziviler Opfer, was hauptsächlich während Bodenoperationen einen diesbezüglichen Rückgang zur Folge hatte. Die Regierung verfolgt eine "nationale Politik für zivile Schadensminimierung und - prävention" und das Protokoll V der "Konvention über bestimmte konventionelle Waffen in Bezug auf explosive Kriegsmunitionsrückstände", welche am 9.2.2018 in Kraft getreten ist. Bei Bodenoperationen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich Taliban) wurde ein Rückgang der zivilen Opfer um 23% im Vergleich zu 2017 verzeichnet. So sank etwa die Zahl der zivilen Opfer der hauptsächlich von den Taliban eingesetzten Druckplatten-IEDs um 43% (UNAMA 15.7.2018).
Wahlen
Zwischen 14.04.2018 und 27.7.2018 fand die Wählerregistrierung für die Parlaments- sowie Distriktwahlen statt. Offiziellen Angaben zufolge haben sich im genannten Zeitraum 9,5 Millionen Wähler registriert, davon 34% Frauen (UNGASC 10.9.2018). Die Registrierung der Kandidaten für die Parlaments- sowie Distriktwahlen endete am 12.6.2018 bzw. 14.6.2018 und die Kandidatenliste für die Parlamentswahlen wurde am 2.7.2018 veröffentlicht (UNGASC 10.9.2018). Am 25.9.2018 wurde vom Sprecher der Independent Electoral Commission (IEC) verkündet, dass die landesweiten Distriktwahlen sowie die Parlamentswahlen in der Provinz Ghazni am 20.10.2018 nicht stattfinden werden (im Rest des Landes hingegen schon). Begründet wurde dies mit der niedrigen Anzahl registrierter Kandidaten für die Distriktwahlen (nur in 40 von 387 Distrikten wurden Kandidaten gestellt) sowie mit der "ernst zu nehmenden Sicherheitslage und anderen Problematiken". Damit wurden beide Wahlen (Distriktwahlen landesweit und Parlamentswahlen in Ghazni) de facto für 2018 abgesagt. Obwohl noch nicht feststeht, wann diese nachgeholt werden sollen, ist der 20.4.2019, an dem u.a. die Präsidentschafts- sowie Provinzwahlen stattfinden sollen, als neuer Termin wahrscheinlich (AAN 26.9.2018). Die Registrierung der Kandidaten für die Präsidentschaftswahl ist für den Zeitraum 11.11.2018 - 25.11.2018 vorgesehen; die vorläufige Kandidatenliste soll am 10.12.2018 bereitstehen, während die endgültige Aufstellung am 16.1.2019 veröffentlicht werden soll (AAN 9.10.2018). Ohne die Provinz Ghazni sank die Zahl der registrierten Wähler mit Stand Oktober 2018 auf ungefähr 8.8 Millionen (AAN 9.10.2018; vgl. IEC o. D.). Die Verkündung der ersten Wahlergebnisse für die Parlamentswahlen (ohne Provinz Ghazni) ist für den 10.11.2018 vorgesehen, während das Endergebnis voraussichtlich am 20.12.2018 veröffentlicht werden soll (AAN 9.10.2018).
Im April und Oktober 2018 erklärten die Taliban in zwei Stellungnahmen, dass sie die Wahl boykottieren würden (AAN 9.10.2018). Angriffe auf mit der Ausstellung von Tazkiras sowie mit der Wahlregistrierung betraute Behörden wurden berichtet. Sowohl am Wahlprozess beteiligtes Personal als auch Kandidaten und deren Unterstützer wurden von regierungsfeindlichen Gruppierungen angegriffen. Zwischen 1.1.2018 und 30.6.2018 wurden 341 zivile Opfer (117 Tote und 224 Verletzte) mit Bezug auf die Wahlen verzeichnet, wobei mehr als 250 dieser Opfer den Anschlägen Ende April und Anfang Mai in Kabul und Khost zuzuschreiben sind. Auch wurden während des Wahlregistrierungsprozesses vermehrt Schulen, in denen Zentren zur Wahlregistrierung eingerichtet worden waren, angegriffen (39 Angriffe zwischen April und Juni 2018), was negative Auswirkungen auf die Bildungsmöglichkeiten von Kindern hatte (UNAMA 15.7.2018). Seit dem Beginn der Wählerregistrierung Mitte April 2018 wurden neun Kandidaten ermordet (AAN 9.10.2018).
Von den insgesamt 7.366 Wahllokalen werden aus Sicherheitsgründen letztendlich am Tag der Wahl 5.100 geöffnet sein (AAN 9.10.2018; vgl. UNAMA 17.9.2018, Tolonews 29.9.2018). Diese sollen während der fünf Tage vor der Wahl von 54.776 Mitgliedern der Afghan National Security Forces (ANSF) bewacht werden; 9.540 weitere stehen als Reserven zur Verfügung (Tolonews 29.9.2018; vgl. AAN 9.10.2018).
Quellen:
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AAN - Afghanistan Analysts Network (9.10.2018): Afghanistan Election Conundrum (16): Basic facts about the parliamentary elections,
https://www.afghanistan-analysts.org/afghanistan-electionconundrum-16-basic-facts-about-the-parliamentary-elections/, Zugriff 19.10