TE Bvwg Erkenntnis 2019/4/11 W131 2140335-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.04.2019
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Entscheidungsdatum

11.04.2019

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W131 2140335-1/15E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag Reinhard GRASBÖCK, über die Beschwerde von XXXX , geb XXXX (alias XXXX ), StA Afghanistan, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.10.2016, Zl XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird mit der Maßgabe abgewiesen, dass Spruchpunkt I. zu lauten hat:

"I.

Ihr Antrag auf internationalen Schutz vom 17.08.2014 wird hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, abgewiesen."

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der damals noch minderjährige Beschwerdeführer (= Bf oder BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 17.08.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Anlässlich seiner am darauffolgenden Tag stattgefundenen Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes begründete er seinen Asylantrag ua mit der schlechten Sicherheitslage. In Afghanistan herrsche Krieg. Weiters führte er aus, dass sein Onkel väterlicherseits große Probleme mit den Taliban gehabt habe. Auch sei die finanzielle Lage seiner Familie sehr schlecht gewesen. Um seine Flucht zu finanzieren, hätte seine Familie ihr einziges Grundstück verkaufen müssen. Der Bf sei in seiner Heimat persönlich weder verfolgt noch bedroht worden.

2. Am 28.08.2014 fand eine niederschriftliche Einvernahme des Bf vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (= belangte Behörde) statt, die in erster Linie der Abklärung seines Alters und seiner familiären Verhältnisse diente. Am 03.09.2014 langte eine Stellungnahme der gesetzlichen Vertretung des (damals noch) minderjährigen Bf im Altersfeststellungsverfahren ein, womit die anlässlich eines Rechtsberatungsgesprächs erörterten Sachverhalte, die insbesondere für die Feststellung des Alters des Bf nicht unerheblich und somit für das weitere Verfahren von Bedeutung sein könnten, auch der belangten Behörde zur Kenntnis gebracht wurden.

3. Am 07.09.2016 fand schließlich eine weitere Einvernahme des Bf vor der belangten Behörde statt, in der er (erstmals) eine Entführung als schlussendlich fluchtauslösenden Grund für das Verlassen seines Heimatlandes ins Treffen führte.

Am 16.09.2016 langte eine weitere Stellungnahme des Bf ein, in der ua auf die unterschiedlichen Zwecke der polizeilichen Erstbefragung und der Einvernahme vor der belangten Behörde nach der Zulassung des Verfahrens hingewiesen wurde. Weiters wurde (unter Verweis auf mehrere höchstgerichtliche Entscheidungen) ausgeführt, dass bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit und hinsichtlich des Maßstabes an die Detailliertheit des Vorbringens das Alter und der Entwicklungsstand des Bf besonders zu berücksichtigen seien.

4. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 17.10.2016 wies die belangte Behörde den Antrag des Bf auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm jedoch den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zu und gewährte ihm eine entsprechende befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkte II. und III.).

Gleichzeitig wurde dem Bf die ARGE Rechtsberatung Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnen Betreuung als Rechtsberatungsorganisation für ein allfälliges Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht (= BVwG) amtswegig zur Seite gestellt.

Dieser Bescheid wurde der gesetzlichen Vertreterin des damals noch minderjährigen Bf (ausweislich des RSa-Rückscheines im Akt) am 19.10.2016 zugestellt.

5. Die dagegen - ausschließlich gegen Spruchpunkt I. - gerichtete Beschwerde langte am 18.11.2016 bei der belangten Behörde ein. Mit der Beschwerde wird ausdrücklich nur Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge der Verletzung von Verfahrensvorschriften sowie mangelnder Beweiswürdigung angefochten. In der Beschwerde wird eingangs zunächst auf das noch junge Alter des Bf und den sich daraus in Bezug auf die Beurteilung des Fluchtvorbringens ergebenden Besonderheiten hingewiesen. Weiters wird erneut vorgebracht, dass die Erstbefragung nicht der Ermittlung der Fluchtgründe diene, weshalb keine hohen Ansprüche in Bezug auf Stringenz und Vollständigkeit zu stellen seien. Aufgrund seiner (in der Beschwerde näher ausgeführten) persönlichen Charakteristika würde der Bf in zumindest vier Risikoprofile der UNHCR-Richtlinien fallen. Weiters zählen Kinder in Hinblick auf gewalttätige und sexuelle Übergriffe zu einer besonders gefährdeten Gruppe; der Bf würde auch Gefahr laufen in Afghanistan ein Straßenkind zu werden; er könnte auch Opfer von Zwangsrekrutierung werden. Hinzu komme, dass sich der Bf mittlerweile an die österreichische Gesellschaft angepasst und die ihm dadurch zukommenden Freiheiten angenommen habe. Nicht nur aufgrund seines nunmehr mehrjährigen Aufenthaltes in Österreich, sondern auch aufgrund der beruflichen Tätigkeit seiner Verwandten väterlicherseits könne der Bf aufgrund seiner unterstellten politischen Einstellung bzw einem unterstellten Werteabfall zur Zielscheibe von Übergriffen in Afghanistan werden.

6. Mit Schreiben vom 18.11.2016 legte die belangte Behörde die Beschwerde samt den dazugehörigen Verwaltungsakten dem BVwG zur Entscheidung vor und wurden diese nach anderweitiger gerichtsabteilungsmäßiger Vorzuständigkeit schließlich der hier erkennenden Gerichtsabteilung zugewiesen.

7. Am 29.03.2019 fand schließlich vor dem BVwG unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Farsi eine mündliche Beschwerdeverhandlung statt, an der auch der Bf in Begleitung eines Vertreters seiner bevollmächtigten Rechtsberatungsorganisation ebenfalls teilnahmen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Bf

Der Bf, ein afghanischer Staatsangehöriger, wurde in der Provinz Faryab geboren, wo er auch aufgewachsen ist und mehrere Jahre lang (unregelmäßig) die Schule besuchte. Er ist Angehöriger der Volksgruppe der Usbeken und bekennt sich selbst zum Islam sunnitischer Ausrichtung. Der Bf verfügt über keine abgeschlossene Berufsausbildung, konnte in Afghanistan aber bereits etwas Erfahrung als Hilfsarbeiter sammeln. Die Muttersprache des Bf ist usbekisch, er versteht jedoch auch Dari/Farsi und kann sich auch in dieser Sprache nach dem wahrgenommenen Verhandlungsverlauf vor dem BVwG auch einwandfrei verständigen.

Die (Kern-)Familie des Bf (Mutter, Vater sowie seine zwei Brüder und drei Schwestern) leben nach wie vor in der Heimatprovinz des Bf. Mit ihnen steht der Bf - auch in Österreich - in regelmäßigem Kontakt. Eine Schwester des Bf lebt mittlerweile gemeinsam mit ihrer Familie (Mann und Kinder) in Linz. Zu seiner Schwester und ihrer Familie hat der Bf auch in Österreich sehr guten und regelmäßigen Kontakt. In Afghanistan hat der Bf auch noch weitere Onkel und Tanten.

Unstrittig ist, dass der Bf im Zeitpunkt seiner Asylantragstellung und der Einvernahme vor der belangten Behörde noch minderjährig war.

Mittlerweile handelt es sich beim Bf um einen volljährigen, gesunden und arbeitsfähigen Mann. Er ist ledig und hat keine Sorgepflichten.

Der Bf ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Dem Bf wurde mit Bescheid der belangten Behörde vom 17.10.2016 der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (die ihm letztlich von der belangten Behörde bis zum 17.10.2019 verlängert wurde).

1.2. Zu den vorgebrachten Fluchtgründen des Bf

Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Bf im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine gegen ihn gerichtete Verfolgung oder Bedrohung durch staatliche Organe oder durch Private, sei es vor dem Hintergrund seiner ethnischen Zugehörigkeit, seiner Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung (oder aus anderen Gründen, wie bspw seines langjährigen Aufenthalts in Europa) zu erwarten hätte.

Weiters kann nicht festgestellt werden, dass der Bf im Fall einer allfälligen (derzeit aufgrund seines Status als subsidiär Schutzberechtigten und der damit einhergehenden befristeten Aufenthaltsberechtigung ohne dies nur hypothetischen) Rückkehr nach Afghanistan auch noch aktuell eine asylrelevante Verfolgung oder Bedrohung drohen würde bzw das konkret in der Person des Bf Umstände vorliegen, aufgrund derer er als künftiges Ziel der Taliban besonders hervorstechen würde bzw (erneut) in das Visier der Taliban geraten würde.

1.3. Zur Lage im Herkunftsstaat

Unter Bezugnahme auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (Stand 29.06.2018), werden folgende entscheidungsrelevante, die Person des Bf individuell betreffenden Feststellungen zur Lage in Afghanistan getroffen:

1.3.1. Faryab

Faryab ist eine Provinz im Norden Afghanistans und teilt sich ihre nördliche Grenze mit Turkmenistan. Die Provinz grenzt im Südosten an Sar-e Pul, im Nordosten an Jawzjan, im Süden an die Provinz Ghor und im Westen an die Provinz Badghis. Die Hauptstadt ist Maimana/Maymana City. Faryab hat folgende Distrikte: Pashtun Kot/Pashtunkot, Almar, Qaysar, Khawaja Sahib Posh/Khwajasabzposh, ShirinTagab/Shirintagab, Dawlat Abad/Dawlatabad, Bilchiragh/Bilcheragh, Gorzaiwan/Garziwan, Kohistan/Kohestan (Pajwhok o.D.; vgl. UN OCHA 4.2014), Khan-e-Char Bagh, Maimana/Maymana, Qaramqol, Qorghan, Andkhoy (UN OCHA 4.2014) und seit dem Jahr 2017 auch Ghormach (UNODC 11.2017; vgl. AAN 12.3.2018). Die Mehrheit der Bevölkerung besteht aus Uzbeken (AAN 12.3.2018). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.032.765 geschätzt (CSO 4.2017).

Faryab zählte 2017 zu den Provinzen mit der höchsten Opium-Produktion (UNODC 11.2017).

Allgemeine Informationen zur Sicherheitslage

Faryab spielt für Aufständische eine wichtige Rolle, da sie durch diese Provinz Zugang zu anderen Provinzen in Nordafghanistan erhalten (Pajhwok 14.1.2018). Gemäß Khaama Press zählte Faryab im März 2018 zu den relativ volatilen Provinzen in den nördlichen Regionen des Landes, in der bewaffnete regierungsfeindliche Gruppen in einer Anzahl von Distrikten aktiv waren (Khaama Press 7.3.2018; vgl. Khaama Press 25.1.2018, Khaama Press 13.1.2018, Khaama Press 26.7.2017).

Die meisten im Jahr 2017 registrierten Anschläge fanden - in absteigender Reihenfolge - in den Provinzen Nangarhar, Faryab, Helmand, Kandahar, Farah, Ghazni, Uruzgan, Logar, Jawzjan, Paktika und Kabul statt (Pajhwok 14.1.2018). In Faryab waren die sicherheitsrelevanten Vorfälle signifikanter als in anderen Provinzen. So gelten 3,16% der Bevölkerung Faryabs als Binnenvertriebene (SIGAR 30.1.2018). Auch zählt Faryab zu jenen Provinzen, in denen eine hohe Anzahl an Zivilisten aufgrund explosiver Kampfmittelrückstände und indirekter Waffeneinwirkung ums Leben kam (UNAMA 2.2018).

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 159 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert[.]

...

Im gesamten Jahr 2017 wurden 639 zivile Opfer in der Provinz Faryab (182 getötete Zivilisten und 457 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Bodenoffensiven, gefolgt von IEDs und gezielten Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 7% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (UNAMA 2.2018).

Militärische Operationen in Faryab

Kämpfe zwischen den Taliban und Regierungsstreitkräften fanden im Februar und März 2018 in Bilchiragh (Xinhua 10.5.2018) Shirintagab (Xinhua 7.3.2018), Khwajasabzposh, Dawlatabad, Qorghan, Qaysar (Tolonews 15.2.2018) und auf der Maimana-Andkhoi-Route statt (AAN 12.3.2018). In der Provinz werden regelmäßig militärische Operationen durchgeführt, um bestimmte Gegenden von Aufständischen zu befreien (Tolonews 9.5.2018; vgl. Tolonews 15.3.2018, Xinhua 14.3.2018, Xinhua 7.3.2018, Khaama Press 3.3.2018, Tolonews 15.2.2018, Khaama Press 4.2.2018, Khaama Press 26.7.2017); unter anderem in Form von Luftangriffen (AAN 13.3.2018; vgl. Khaama Press 13.1.2018, Pajhwok 11.1.2018, Khaama Press 4.1.2018, Khaama Press 30.12.2017). Talibanaufständische werden dabei getötet (Xinhua 15.3.2018; vgl. Xinhua 14.3.2018, Khaama Press 7.3.2018; vgl. Khaama Press 13.1.2018, Khaama Press 4.1.2018, Khaama Press 30.12.2017), in manchen Fällen sogar ihre Anführer (Khaama Press 7.3.2018; vgl. Khaama Press 4.2.2018, ST 1.2.2018) und Kommandanten des IS (AAN 15.5.2018). Es kommt zu Zusammenstößen zwischen afghanischen Sicherheitskräften und den Taliban (AAN 12.3.2018; vgl. Xinhua 7.3.2018, RFE/RL 6.3.2017); dabei wurden Taliban-Kämpfer getötet (Pajhwok 11.1.2018, Pajhwok 3.2.2017) - in manchen Fällen auch ihre Anführer (Khaama Press 25.1.2018). Hinkünftig sollen 300 amerikanische Soldaten in der Provinz stationiert werden, um den nationalen Regierungsstreitkräften beizustehen (NYT 12.3.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen in Faryab

Die Taliban sind in Teilen der Provinz Faryab aktiv (Xinhua 7.3.2018); und zwar in den Distrikthauptstädten und in der Umgebung dieser Städte gelegenen Dörfern der Distrikte Shirintagab, Khwajasabzposh, Dawlatabad, Pashtunkot, Almar, Qaysar, Bilcheragh, Kohestan und Garziwan. Mit Stand März 2018 war der in den letzten Jahren umkämpfte Distrikt Ghormach seit Oktober 2017 unter voller Kontrolle der Taliban (AAN 12.3.2018; vgl. Khaama 13.8.2017). Die übriggebliebenen Distrikte Andkhoy, Khan-e Char Bagh, Qurghan und Qaramqol werden als relativ ruhig eingeschätzt; Talibankämpfer sind hier in abgelegenen Gebieten aktiv, während die Provinzhauptstadt umkämpft ist (AAN 12.3.2018). Die höchste Anzahl an Talibankämpfern befindet sich im Distrikt Pashtunkot, wo sich ein hydroelektrischer Staudamm befindet, der u.a. die Hauptstadt Maymana mit Trinkwasser versorgt (AAN 12.3.2018; vgl. Tolonews 19.2.2018).

Im November 2017 wurde vom afghanischen Geheimdienst die Vermutung geäußert, der Islamische Staat wäre in neun Provinzen, unter anderem Faryab, aktiv (Reuters 23.10.2017; vgl. WT 28.11.2017). So behauptete der IS im April 2017, Anhänger in der Provinz Faryab zu haben (VOA 29.4.2017). Des Weiteren wurden für den Zeitraum 1.1.2017 - 31.1.2018 IS-bezogene Sicherheitsvorfälle in der Provinz Faryab gemeldet (ACLED 23.2.2018).

1.3.2. Ethnische Minderheiten, insbesondere Usbeken

In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2017 mehr als 34.1 Millionen Menschen (CIA Factbook 18.1.2018). Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. CIA Factbook 18.1.2018). Schätzungen zufolge, sind: 40% Pashtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara und 9% Usbeken. Auch existieren noch andere ethnische Minderheiten, wie z.B. die Aimaken, die ein Zusammenschluss aus vier semi-nomadischen Stämmen mongolisch, iranischer Abstammung sind, sowie die Belutschen, die zusammen etwa 4 % der Bevölkerung ausmachen (GIZ 1.2018; vgl. CIA Factbook 18.1.2018).

Artikel 4 der Verfassung Afghanistans besagt: "Die Nation Afghanistans besteht aus den Völkerschaften der Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Paschai, Nuristani, Aimaq, Araber, Kirgisen, Qizilbasch, Gojar, Brahui und anderen Völkerschaften. Das Wort ‚Afghane' wird für jeden Staatsbürger der Nation Afghanistans verwendet." (BFA Staatendokumentation 7.2016). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Art. 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht: Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri (AA 5.2018; vgl. MPI 27.1.2004). Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (USDOS 20.4.2018).

Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung rechtlich verankert, wird allerdings in der gesellschaftlichen Praxis immer wieder konterkariert. Soziale Diskriminierung und Ausgrenzung anderer ethnischer Gruppen und Religionen im Alltag besteht fort und wird nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert (AA 5.2018). Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (USDOS 20.4.2018).

...

Die usbekische Minderheit ist die viertgrößte Minderheit Afghanistans (WSJ 23.1.2017) und macht etwa 9% der Bevölkerung aus (LIP 5.2018). Usbeken sind Sunniten und siedeln sowohl im ländlichen Raum, wie auch in urbanen Zentren (Mazar-e Sharif, Kabul, Kandahar, Laschkargah u.a.), wo ihre Wirtschafts- und Lebensformen kaum Unterschiede zu Dari-sprachigen Gruppen aufweisen. In den Städten und in vielen ländlichen Gegenden beherrschen Usbeken neben dem Usbekischen in der Regel auch Dari auf nahezu muttersprachlichem Niveau. Heiratsbeziehungen zwischen Usbeken und Tadschiken sind keine Seltenheit (BFA Staatendokumentation 7.2016).

Der wohl berühmteste Führer der Usbeken ist Abdul Rashid Dostum (CRS 12.1.2015); ein ehemaliger Warlord, der gleichzeitig der Anführer der usbekischen Minderheit in Afghanistan ist. Mittlerweile ist er erster Vizepräsident Afghanistans (WSJ 23.1.2017). Wenngleich er momentan im Exil in der Türkei verweilt, trägt er diesen Titel nach wie vor (TN 21.2.2018; vgl. FN 14.5.2018).

Die usbekische Minderheit ist im nationalen Durchschnitt mit etwa 8% in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert (Brookings 25.5.2017).

...

1.3.3. Religionsfreiheit

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten (CIA 2017; vgl. USCIRF 2017). Schätzungen zufolge sind etwa 10 - 19% der Bevölkerung Schiiten (AA 5.2018; vgl. CIA 2017). Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen ca. 0,3% der Bevölkerung aus. Offiziell lebt noch ein Jude in Afghanistan (USDOS 15.8.2017).

Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (USDOS 15.8.2017). Der politische Islam behält in Afghanistan die Oberhand; welche Gruppierung - die Taliban (Deobandi-Hanafismus), der IS (Salafismus) oder die afghanische Verfassung (moderater Hanafismus) - religiös korrekter ist, stellt jedoch weiterhin eine Kontroverse dar. Diese Uneinigkeit führt zwischen den involvierten Akteuren zu erheblichem Streit um die Kontrolle bestimmter Gebiete und Anhängerschaft in der Bevölkerung (BTI 2018).

Das afghanische Strafgesetzbuch, das am 15.2.2018 in Kraft getreten ist, enthält keine Definition von Apostasie (vgl. MoJ 15.5.2017). Laut der sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung gilt die Konversion vom Islam zu einer anderen Religion als Apostasie. Jeder Konvertit soll laut islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken. Des Weiteren ist gemäß hanafitischer Rechtssprechung Proselytismus (Missionierung, Anm.) illegal. Dasselbe gilt für Blasphemie, die in der hanafitischen Rechtssprechungnter die Kapitalverbrechen fällt (USDOS 15.8.2017) und auch nach dem neuen Strafgesetzbuch unter der Bezeichnung "religionsbeleidigende Verbrechen" verboten ist (MoJ 15.5.2017: Art. 323). Zu Verfolgung von Apostasie und Blasphemie existieren keine Berichte (USDOS 15.8.2017).

Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformerische Muslime behindert (FH 11.4.2018).

Anhänger religiöser Minderheiten und Nicht-Muslime werden durch das geltende Recht diskriminiert (USDOS 15.8.2017; vgl. AA 5.2018); so gilt die sunnitisch-hanafitische Rechtsprechung für alle afghanischen Bürger/innen unabhängig von ihrer Religion (AA 5.2018). Wenn weder die Verfassung noch das Straf- bzw. Zivilgesetzbuch bei bestimmten Rechtsfällen angewendet werden können, gilt die sunnitisch-hanafitische Rechtsprechung. Laut Verfassung sind die Gerichte dazu berechtigt, das schiitische Recht anzuwenden, wenn die betroffene Person dem schiitischen Islam angehört. Gemäß der Verfassung existieren keine eigenen, für Nicht-Muslime geltende Gesetze (USDOS 15.8.2017).

Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin einer anderen abrahamitischen Religion (Christentum oder Judentum) ist. Einer Muslima ist es nicht erlaubt, einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten (USDOS 15.8.2017). Ehen zwischen zwei Nicht-Muslimen sind legal, solange das Paar nicht öffentlich ihren nicht-muslimischen Glauben deklariert (HO U.K. 2.2017; vgl. USDOS 10.8.2016). Die nationalen Identitätsausweise beinhalten Informationen über die Konfession des/der Inhabers/Inhaberin. Das Bekenntnis zum Islam wird für den Erwerb der Staatsbürgerschaft nicht benötigt (USDOS 15.8.2017). Religiöse Gemeinschaften sind gesetzlich nicht dazu verpflichtet, sich registrieren zu lassen (USDOS 15.8.2017).

Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Lehrplan, der auf den Bestimmungen des Islam basiert, gestalten und umsetzen; auch sollen Religionskurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte, die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. Für Nicht-Muslime an öffentlichen Schulen ist es nicht erforderlich, am Islamunterricht teilzunehmen (USDOS 15.8.2017).

Christen berichteten, die öffentliche Meinung stehe ihnen und der Missionierung weiterhin feindselig gegenüber. Mitglieder der christlichen Gemeinschaft, die meistens während ihres Aufenthalts im Ausland zum Christentum konvertierten, würden aus Furcht vor Vergeltung ihren Glauben alleine oder in kleinen Kongregationen in Privathäusern ausüben (USDOS 15.8.2017).

Hindus, Sikhs und Schiiten, speziell jene, die den ethnischen Hazara angehören, sind Diskriminierung durch die sunnitische Mehrheit ausgesetzt (CRS 13.12.2017).

Beobachtern zufolge sinkt die gesellschaftliche Diskriminierung gegenüber der schiitischen Minderheit weiterhin; in verschiedenen Gegenden werden dennoch Stigmatisierungsfälle gemeldet (USDOS 15.8.2017).

Mitglieder der Taliban und des IS töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung (USDOS 15.8.2017; vgl. CRS 13.12.2017, FH 11.4.2018). Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen (USDOS 15.8.2017).

...

1.3.4. Wehrdienst, Wehrdienstverweigerung

Afghanistan kennt keine Wehrpflicht. Das vorgeschriebene Mindestalter für die freiwillige Meldung beträgt 18 Jahre (CIA 2018; vgl. AA 5.2018). Da die Tätigkeit als Soldat oder Polizist für den großen Teil der jungen männlichen Bevölkerung eine der wenigen Verdienstmöglichkeiten darstellt, erscheint die Notwendigkeit für Zwangsrekrutierungen jedoch eher unwahrscheinlich (AA 5.2018).

Gemäß dem afghanischen militärischen Strafverfahrenskodex von 2008 wird die permanente Desertion mit einer Haftstrafe von zwei bis fünf Jahren bedroht. Bei Desertionen während einer Sondermission beträgt die maximale Haftstrafe zwischen fünf und fünfzehn Jahren. Eine Abwesenheit von mehr als 24 Stunden wird als unerlaubt definiert [Anm.: Absent without official leave, AWOL]. In der Praxis werden Deserteure jedoch in der Regel nicht rechtlich verfolgt. Im Jahr 2016 wurde ein Soldat wegen Desertion in erster Instanz zu fünfzehn Jahren Haft verurteilt; Berichten zufolge wurde dies zu einem Medienfall, was u.a. auf die Seltenheit solcher Verurteilungen hinweist und auf die Absicht schließen lässt, ein Exempel zu statuieren (SEM 31.3.2017).

2015 musste die afghanische Armee ca. ein Drittel ihrer 170.000 Soldaten wegen Desertion, Verlust bzw. dem niedrigen Anteil an Weiterverpflichtungen ersetzen (Reuters 18.1.2016). Im Jahr 2017 wurde vom Special Inspector General for Afghanistan (SIGAR) festgestellt, dass ca. die Hälfte der afghanischen Soldaten (83 von 152), die in den USA Fortbildungen besuchten, sich während ihres Aufenthalts unerlaubt vom Dienst entfernten; dies könne u.a. negative Auswirkungen auf die Einsatzbereitschaft der ANSDF haben (SIGAR 30.10.2017). Dem Kommandanten der US-amerikanischen Truppen in Afghanistan zufolge ist die Zahl der Desertionen im Land gestiegen: Monatlich verlassen mindestens 4.000 Soldaten die ANDSF; diese Aussage wurde am nächsten Tag vom Verteidigungs- und Innenministerium dementiert. Desertionen sind in Afghanistan seit ca. 40 Jahren an der Tagesordnung (SEM 31.3.2017).

Als Gründe für Desertion und unerlaubtes Fernbleiben gelten Korruption, die Angst vor den Taliban, niedrige Gehälter, schlechte Lebensbedingungen (FP 20.10.2017; vgl. SEM 31.3.2017). Das Problem der Abwesenheit in der ANA wird ebenso damit begründet, dass Soldaten oftmals nicht in ihrer Heimatprovinz dienen. Viele von ihnen müssen einen langen Reiseweg auf sich nehmen, um in ihre Heimatdörfer zu gelangen und ihren Familien die Löhne geben zu können (CRS 13.12.2017; vgl. USDOD 6.2016, AA 5.2018). Diese Deserteure werden schon aufgrund der sehr hohen Zahlen bezüglich vorübergehender Abwesenheiten nach Rückkehr zu ihrem ursprünglichen Standort wieder in die Armee aufgenommen (AA 5.2018). Allerdings ist die Zahl der unerlaubt Abwesenden in den letzten Jahren etwas gesunken, da nun fast jede Bezahlung der ANA-Soldaten elektronisch durchgeführt wird (CRS 13.12.2017).

...

1.3.5. Regierungsfeindliche Gruppierungen insb Taliban

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

Terroristische und aufständische Gruppierungen stellen Afghanistan und die Koalitionskräfte vor erhebliche Herausforderungen. Derzeit sind rund 20 terroristische Organisationen in Afghanistan zu finden:

das von außen unterstützte Haqqani-Netzwerk stellt nach wie vor die größte Gefährdung für afghanische und internationale Kräfte dar. Die Verflechtung von Taliban und Haqqani-Netzwerk ist so intensiv, dass diese beiden Gruppierungen als Fraktionen ein und derselben Gruppe angesehen werden. Wenn auch die Taliban öffentlich verkündet haben, sie würden zivile Opfer einschränken, so führt das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin Angriffe in bevölkerungsreichen Gegenden aus (USDOD 12.2017).

Im August 2017 wurde berichtet, dass regierungsfeindliche bewaffnete Gruppierungen - insbesondere die Taliban - ihre Aktivitäten landesweit verstärkt haben, trotz des Drucks der afghanischen Sicherheitskräfte und der internationalen Gemeinschaft, ihren Aktivitäten ein Ende zu setzen (Khaama Press 13.8.2017). Auch sind die Kämpfe mit den Taliban eskaliert, da sich der Aufstand vom Süden in den sonst friedlichen Norden des Landes verlagert hat, wo die Taliban auch Jugendliche rekrutieren (Xinhua 18.3.2018). Ab dem Jahr 2008 expandierten die Taliban im Norden des Landes. Diese neue Phase ihrer Kampfgeschichte war die Folge des Regierungsaufbaus und Konsolidierungsprozess in den südlichen Regionen des Landes. Darüber hinaus haben die Taliban hauptsächlich in Faryab und Sar-i-Pul, wo die Mehrheit der Bevölkerung usbekischer Abstammung ist, ihre Reihen für nicht-paschtunische Kämpfer geöffnet (AAN 17.3.2017).

Teil der neuen Strategie der Regierung und der internationalen Kräfte im Kampf gegen die Taliban ist es, die Luftangriffe der afghanischen und internationalen Kräfte in jenen Gegenden zu verstärken, die am stärksten von Vorfällen betroffen sind. Dazu gehören u.a. die östlichen und südlichen Regionen, in denen ein Großteil der Vorfälle registriert wurde. Eine weitere Strategie der Behörden, um gegen Taliban und das Haqqani-Netzwerk vorzugehen, ist die Reduzierung des Einkommens selbiger, indem mit Luftangriffen gegen ihre Opium-Produktion vorgegangen wird (SIGAR 1.2018).

Außerdem haben Militäroperationen der pakistanischen Regierung einige Zufluchtsorte Aufständischer zerstört. Jedoch genießen bestimmte Gruppierungen, wie die Taliban und das Haqqani-Netzwerk Bewegungsfreiheit in Pakistan (USDOD 12.2017). Die Gründe dafür sind verschiedene: das Fehlen einer Regierung, das permissive Verhalten der pakistanischen Sicherheitsbehörden, die gemeinsamen kommunalen Bindungen über die Grenze und die zahlreichen illegalen Netzwerke, die den Aufständischen Schutz bieten (AAN 17.10.2017).

Taliban

Die Taliban führten auch ihre Offensive "Mansouri" weiter; diese Offensive konzentrierte sich auf den Aufbau einer "Regierungsführung" der Taliban (Engl. "governance") bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Gewalt gegen die afghanische Regierung, die ANDSF und ausländische Streitkräfte. Nichtsdestotrotz erreichten die Taliban, die Hauptziele dieser "Kampfsaison" laut US-Verteidigungsministerium nicht (USDOD 12.2017). Operation Mansouri sollte eine Mischung aus konventioneller Kriegsführung, Guerilla-Angriffen und Selbstmordattentaten auf afghanische und ausländische Streitkräfte werden (Reuters 28.4.2017). Auch wollten sich die Taliban auf jene Gegenden konzentrieren, die vom Feind befreit worden waren (LWJ 28.4.2017). Laut NATO Mission Resolute Support kann das Scheitern der Taliban-Pläne für 2017 auf aggressive ANDSF-Operationen zurückgeführt, aber auch auf den Umstand, dass die Taliban den IS und die ANDSF gleichzeitig bekämpfen müssen (USDOD 12.2017).

Im Jahr 2017 wurden den Taliban insgesamt 4.385 zivile Opfer (1.574 Tote und 2.811 Verletzte zugeschrieben. Die Taliban bekannten sich nur zu 1.166 zivilen Opfern. Im Vergleich zum Vorjahreswert bedeutet dies einen Rückgang um 12% bei der Anzahl ziviler Opfer, die den Taliban zugeschrieben werden. Aufgrund der Komplexität der in Selbstmord- und komplexen Anschlägen involvierten Akteure hat die UNAMA oft Schwierigkeiten, die daraus resultierenden zivilen Opfer spezifischen regierungsfreundlichen Gruppierungen zuzuschreiben, wenn keine Erklärungen zur Verantwortungsübernahme abgegeben wurde. Im Jahr 2017 haben sich die Taliban zu 67 willkürlichen Angriffen auf Zivilist/innen bekannt; dies führte zu 214 zivilen Opfern (113 Toten und 101 Verletzten). Auch wenn sich die Taliban insgesamt zu weniger Angriffen gegen Zivilist/innen bekannten, so haben sie dennoch die Angriffe gegen zivile Regierungsmitarbeiter/innen erhöht - es entspricht der Linie der Taliban, Regierungsinstitutionen anzugreifen (UNAMA 2.2018).

Schätzungen von SIGAR zufolge kontrollierten im Oktober 2017 und im Jänner 2018 die Taliban 14% der Distrikte Afghanistans (SIGAR 30.4.2018). Die Taliban selbst verlautbarten im März 2017, dass sie beinahe 10% der afghanischen Distrikte kontrollierten (ODI 6.2018). Die Taliban halten auch weiterhin großes Territorium in den nördlichen und südlichen Gegenden der Provinz Helmand (JD News 12.3.2018; vgl. LWJ 20.4.2018). Die ANDSF haben, unterstützt durch US-amerikanische Truppen, in den ersten Monaten des Jahres 2018 an Boden gewonnen, wenngleich die Taliban nach wie vor die Hälfte der Provinz Helmand unter Kontrolle halten (JD News 12.3.2018; vgl. LWJ 20.4.2018). Helmand war lange Zeit ein Hauptschlachtfeld - insbesondere in der Gegend rund um den Distrikt Sangin, der als Kernstück des Taliban-Aufstands erachtet wird (JD News 12.3.2018; vgl. Reuters 30.3.2018). Die Taliban haben unerwarteten Druck aus ihrer eigenen Hochburg in Helmand erhalten: Parallel zu der Ende März 2018 abgehaltenen Friendens-Konferenz in Uzbekistan sind hunderte Menschen auf die Straße gegangen, haben eine Sitzblockade abgehalten und geschworen, einen langen Marsch in der von den Taliban kontrollierten Stadt Musa Qala zu abzuhalten, um die Friedensgespräche einzufordern. Unter den protestierenden Menschen befanden sich auch Frauen, die in dieser konservativen Region Afghanistans selten außer Hauses gesehen werden (NYT 27.3.2018).

Die Taliban geben im Kurznachrichtendienst Twitter Angaben zu ihren Opfern oder Angriffen (FAZ 19.10.2017; vgl. Pajhwok 13.3.2018). Ihre Angaben sind allerdings oft übertrieben (FAZ 19.10.2017). Auch ist es sehr schwierig Ansprüche und Bekennermeldungen zu verifizieren - dies gilt sowohl für Taliban als auch für den IS (AAN 5.2.2018).

...

2. Beweiswürdigung:

2.1. Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde und des Verfahrensaktes des BVwG.

2.2. Die Feststellungen zu Identität, Volksgruppenzugehörigkeit, Religionsbekenntnis, Familie und bisherigem Werdegang des Bf beruhen auf seinen eigenen, gleichlautenden und insoweit unbedenklichen Angaben.

Dass der Bf über eine - zuletzt bis zum 17.10.2019 verlängerte - befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter im Bundesgebiet verfügt, ergibt sich aus einer im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung vorgenommenen Einsicht in den diesbezüglichen Bescheid der belangten Behörde (vgl S 2 der Niederschrift der mündlichen Verhandlung).

Die Feststellung betreffend die Sprachkenntnisse des Bf ergeben sich insb aus den Aussagen des Bf im Rahmen der mündlichen Verhandlung. So gab der Bf gegen Schluss der mündlichen Verhandlung auf Nachfrage des Richters an, dass er den Dolmetscher der für die Sprache Dari/Farsi bestellt wurde verstanden habe, obwohl dies nicht seine Muttersprache sei (S 8 der Niederschrift der mündlichen Verhandlung).

2.3. Nur der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle erwähnt, dass hinsichtlich der Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Vorbringens eines Minderjährigen es entsprechend der Judikatur des VwGH einer besonders sorgfältigen Beweiswürdigung bedarf (vgl etwa VwGH 24.09.2014, Ra 2014/19/0020, 16.04.2002, 2000/20/0200 und 14.12.2006, 2006/01/0362). Es ist eine besonders sorgfältige Beurteilung der Art und Weise des erstatteten Vorbringens betreffend den Fluchtgründen erforderlich und die Dichte dieses Vorbringens darf nicht mit "normalen Maßstäben" gemessen werden (vgl dazu auch UNHCR-Richtlinien zum Internationalen Schutz Nr 8 - Asylanträge von Kindern vom 22.12.2009, Rz 4).

Nach gesamtheitlicher Würdigung des Vorbringens des Bf unter besonderer Berücksichtigung des in der mündlichen Beschwerdeverhandlung gewonnen persönlichen Eindrucks des Bf kommt der erkennende Richter unter Bedachtnahme auf das Alter und den Entwicklungsstand des Bf zu dem Schluss, dass das vorgebrachte Fluchtvorbringen als nicht glaubwürdig gewertet wird bzw den Schilderungen des Bf keine asylrechtliche Relevanz zukommt. Dies aufgrund folgender Erwägungen:

2.3.1. In der Einvernahme vor der belangten Behörde schildert der Bf seine vermeintliche Entführung noch dahingehend, dass er gemeinsam mit seinem Cousin und einem weiteren Freund am Heimweg von der Schule von drei bewaffneten Männern angehalten und gezwungen worden sei, mit verbundenen Augen mit den Männern im Auto mitzufahren. Nach ungefähr einer Stunde Autofahrt seien sie in einem verschlossenen Raum für sechs Tage eingesperrt worden. Der Bf erzählt weiter, dass sowohl sein Vater als auch sein Onkel von den Entführern angerufen worden seien und von ihnen ein Lösegeld verlangt worden sei (arg "Die Männer haben meinen Vater und meinen Onkel angerufen und haben meinen Vater bedroht, dass ich umgebracht werde falls er das Geld nicht bezahlt." AS 147). Ein paar Tage später seien der Bf und sein Cousin von den bewaffneten Männern zur Schule gebracht und freigelassen worden. Zu Hause angekommen habe der Bf erfahren, dass sein Vater und Onkel Geld für seine Freilassung und die seines Cousins geleistet hätten. Zu Beginn seiner freien Erzählung erwähnte der Bf noch, dass sein Onkel, der für die Regierung gearbeitet habe, von den Taliban aufgefordert worden sei, seine Arbeit für die Regierung zu beenden; er sich jedoch geweigert habe (vgl insb AS 146 bis AS 148). Auch wenn der Bf mit seiner Aussage betreffend die berufliche Tätigkeit seines Onkels andeuten möchte, dass insb er und sein Cousin aus diesem Grund von den Taliban entführt worden seien, ist es nicht nachvollziehbar, wieso die Taliban - die zuvor versuchten den Onkel von seiner beruflichen Tätigkeit bei der afghanischen Regierung abzuhalten - sich schlussendlich lediglich mit einer Lösegeldzahlung zufrieden geben und nicht weiter Druck (zumindest auf den Onkel des Bf) ausübten um den Onkel von der Arbeit für die Regierung abzuhalten. Für das BVwG deuten die Schilderungen des Bf (insb auch aufgrund der Lösegeldforderung) vielmehr auf eine rein aus privaten Gründen motivierte Entführung hin. Dieser Eindruck wird auch durch die Aussagen des Bf während der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem BVwG noch verstärkt.

2.3.2. Denn anders als noch bei seiner Einvernahme vor der belangten Behörde gibt der Bf in der mündlichen Beschwerdeverhandlung nunmehr an sich nicht sicher zu sein, ob es sich bei den Entführern um Angehörige der Taliban gehandelt habe und er wisse auch nicht aus welchem Grund er entführt worden sei ("R: Was hätten Sie zu befürchten, wenn Sie derzeit nach Afghanistan zurückkehren müssten?

BF: Ich habe Angst um mein Leben. R: Warum? BF: Es gibt viele Probleme in Afghanistan. Es gibt auch einen Krieg dort. Vor allem mein Leben ist in Gefahr, weil ich auch selbst Probleme dort habe.

Wenn Sie weitere Fragen haben, beantworte ich sie. R: Vor welchen Problemen fürchten Sie sich? BF: Wenn ich in Afghanistan bin, werden ich getötet. R: Können Sie das begründen? BF: Ich bin auf dem Weg von der Schule nach Hause von den Taliban entführt. Ich bin mir nicht 100-prozentig sicher, ob es sich um die Taliban handelt. Mein Onkel väterlicherseits hat Probleme mit diesen Leuten gehabt." S 3 der Niederschrift der mündlichen Verhandlung; "RV: Aus welchen Gründen wurden Sie damals entführt? BF: Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht warum ich entführt wurde. Ich wurde von drei Personen entführt. Wir sind ca. eine dreiviertel bis eine Stunde gefahren. Ich wurde in einen dunklen Raum gesteckt. Bin dann dort eine Woche lang geblieben. Daraufhin hat mein Onkel väterlicherseits mit ihnen verhandelt. Sie wollten Geld haben." S 4 der Niederschrift der mündlichen Verhandlung). Auch auf Nachfrage durch seinen bevollmächtigten Rechtsberater, ob er glaube, dass seine Entführung etwas mit der Tätigkeit seines Onkels zu tun gehabt habe, gab der Bf folgende Antwort "Ich kann es nicht mit Sicherheit angeben, ob die Entführung mit der Tätigkeit meines Onkels väterlicherseits zu tun hat. Die Entführungen für Geld sind in Afghanistan gang und gebe. Da mein Onkel für die Regierung für eine Behörde gearbeitet hat, könnte es sein, dass die Entführung mit der Tätigkeit meines Onkels zu tun hat. Ich weiß aber nicht viel darüber.". Der Bf betonte zudem weiters, dass Entführungen in Afghanistan "gang und gebe" seien (vgl die Aussagen des Bf auf S 4 und 5 der Niederschrift der mündlichen Verhandlung).

Die Aussagen des Bf anlässlich seiner Einvernahme vor der belangten Behörde stehen in weiten Teilen in Widerspruch zu seinen Ausführungen anlässlich der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem BVwG.

Selbst unter Berücksichtigung der Minderjährigkeit des Bf bei seiner Einvernahme vor der belangten Behörde, kann wohl dennoch davon ausgegangen werden, dass - wenn tatsächlich wie behauptet - ein derart einschneidendes Erlebnis (auch) bzw gerade in jungen Jahren erfolgt wäre sich dieses wohl maßgeblich in das Gedächtnis einprägt, weshalb nicht nachvollziehbar ist, wieso der Bf nunmehr in der mündlichen Beschwerdeverhandlung (zu deren Zeitpunkt der Bf bereits volljährig ist) seine im Vergleich zur Einvernahme getätigten Aussagen relativiert bzw angibt, sich nicht mehr genau an die Entführung und deren Grund erinnern zu können.

2.3.3. Selbst unter der Prämisse, dass man den Ausführungen des Bf hinsichtlich seiner Entführung Glauben schenken würde, kann davon ausgegangen werden, dass dem Bf bei einer nunmehrigen (derzeit ohnedies nur rein hypothetisch möglichen) Rückkehr nach Afghanistan keine (aktuelle) asylrelevante Verfolgung (mehr) drohen würde.

Unabhängig davon, welches Vorbringen des Bf man der Beurteilung zugrunde legen würde, ergibt sich dadurch keine (aktuelle) asylrelevante Verfolgungsgefahr in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan. Würde man davon ausgehen, dass - wie vom Bf noch in seiner Einvernahme vor der belangten Behörde behauptet - es sich bei den Entführern um Angehörige der Taliban gehandelt habe, kann wohl nicht davon ausgegangen werden, dass insbesondere unter Berücksichtigung des Umstandes, dass sich die Kernfamilie des Bf nach wie vor in der Heimatprovinz aufhält und vom Bf im Laufe des Verfahrens nicht vorgebracht wurde, dass sie Probleme mit den Taliban hätten und auch aufgrund der mittlerweile vergangenen Zeitspanne von mehreren Jahren, dem Bf nach wie vor eine konkret gegen seinen Person gerichtete aktuelle Verfolgung bzw Bedrohung seitens der Taliban drohen würde. Wenn man andererseits davon ausgehen würde, dass - wie den Aussagen des Bf in der mündlichen Beschwerdeverhandlung zu entnehmen war - dieser Entführung ein rein privater Charakter zukommt (vgl hierzu die diesbezüglichen Aussagen des Bf "RV: Aus welchen Gründen wurden Sie damals entführt? BF: Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht warum ich entführt wurde. [...]" sowie RV: Glauben Sie, dass Ihre Entführung etwas mit der Tätigkeit des Onkels zu tun hatte? BF: Ich kann es nicht mit Sicherheit angeben, ob die Entführung mit der Tätigkeit meines Onkels väterlicherseits zu tun hat. Die Entführungen für Geld sind in Afghanistan gang und gebe. Da mein Onkel für die Regierung für eine Behörde gearbeitet hat, könnte es sein, dass die Entführung mit der Tätigkeit meines Onkels zu tun hat. Ich weiß aber nicht viel darüber." S 4 der Niederschrift der mündlichen Verhandlung) ist einer solchen bereits aus rechtlichen Gründen eine asylrechtliche Relevanz zu versagen.

2.3.4. Dass auch der Bf selbst im Fall seiner - derzeit wie bereits mehrfach erwähnten rein hypothetischen - Rückkehr nach Afghanistan von keiner aktuellen Verfolgung und/oder Bedrohung durch die Taliban bzw einer sonstigen asylrelevanten Verfolgungs- und/oder Bedrohungssituation mehr ausgeht, ergibt sich schließlich auch aus seinen eigenen Angaben im Rahmen der mündlichen Verhandlung, wo er befragt nach seinen Befürchtungen im Fall seiner Rückkehr lediglich die allgemeine schlechte Sicherheitslage sowie schlechte bzw fehlende finanzielle Mittel und Unterkunft ins Treffen bringt ("R:

Müssten Sie derzeit etwas befürchten, wenn Sie in Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif leben müssten? BF: Ich habe kein Geld und keine Unterkunft. Wo soll ich dort leben? R: Wenn Sie Geld und Unterkunft hätten, könnten Sie dort leben? BF: Man ist 80 Prozent in Gefahr in Afghanistan.", S 6 der Niederschrift der mündlichen Verhandlung).

2.4. Die auszugsweise unter Pkt II. 1.3 wiedergegebenen Länderfeststellungen ergeben sich aus den jeweils angeführten Länderberichten angesehener staatlicher und nichtstaatlicher Einrichtungen. Angesichts der Seriosität der Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht für das BVwG kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, sodass sie den Feststellungen zur Situation in Afghanistan zu Grunde gelegt werden konnten.

Dass sich seit der Erlassung des bekämpften Bescheides der belangten Behörde in Afghanistan allgemein und für den gegenständlichen Fall relevant eine entscheidende Lageveränderung ergeben hätte, kann in diesem Fall verneint werden. Die Lage in Afghanistan stellt sich diesbezüglich im Wesentlichen unverändert dar, wie sich das erkennende Gericht durch ständige Beachtung der aktuellen Quellenlage (ua durch Einsicht in aktuelle Berichte, wie in das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation in seiner aktuellen Fassung) versichert hat.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerde:

3.1. Die Beschwerde richtet sich - wie bereits in der Beschwerde ausdrücklich angeführt - ausschließlich gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides, mit dem der Antrag des Bf auf internationalen Schutz "hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF" abgewiesen wurde.

Weiters ist darauf hinzuweisen, dass sich aus dem Inhalt des vorliegenden Verwaltungsaktes ergibt, dass der Bf den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz nicht wie im angefochtenen Bescheid in Spruchpunkt I. irrtümlicherweise mit 17.10.2014 festgehalten wurde stellte, sondern er bereits am 17.08.2014 einen diesbezüglichen Antrag stellte, weshalb die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides mit der Maßgabe, dass der "Antrag auf internationalen Schutz vom 17.08.2014 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten [...]" abzuweisen war.

3.2. § 3 Abs 1 AsylG 2005 verweist auf den Flüchtlingsbegriff (drohende Verfolgung im Herkunftsstaat) iSd Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK (VwGH 24.6.2010, 2007/01/1199).

Flüchtling im Sinne der GFK ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren (VwGH 25.3.1999, 98/20/0431 u.v.a.).

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde (vgl VwGH 19.12.2007, 2006/20/0771). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (vgl VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; 15.03.2001, 99/20/0128; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.

Auch wenn in einem Staat allgemein schlechte Verhältnisse bzw. sogar bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen sollten, so liegt in diesem Umstand für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr im Sinne der GFK. Um asylrelevante Verfolgung erfolgreich geltend zu machen, bedarf es daher einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Heimatstaates treffenden Unbilligkeiten hinausgeht (vgl VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

3.3. Anhand des durchgeführten Ermittlungsverfahren und des nunmehr festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die vom Bf behauptete Furcht, in seinem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen verfolgt zu werden, nicht begründet ist:

Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt nur dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Art 1 Abschnitt A Z 2 der GFK (taxativ) festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft.

Wie bereits festgestellt und in der Beweiswürdigung näher dargelegt ist es dem Bf nicht gelungen eine ihm (aktuell) drohende asylrelevante Verfolgung in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan glaubhaft machen.

3.4. Zu den insbesondere im verwaltungsbehördlichen Verfahren bzw in der Beschwerde erstattetem Vorbringen, dem Bf würde in Afghanistan im Falle seiner Rückkehr ua als Angehöriger der sozialen Gruppe der Waisen- und Straßenkinder eine Verfolgung drohen, ist festzuhalten, dass der Bf mittlerweile volljährig ist, weshalb nicht nur diesem Vorbringen, sondern auch dem sonstigen Vorbringen, welches insbesondere auf kinderspezifische Verfolgung bzw Bedrohung abstellt, der Erfolg zu versagen war.

3.5. In Ermangelung einer vom Bf glaubhaft gemachten individuell drohenden Verfolgungshandlung ist im Hinblick auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes somit zu prüfen, ob der Bf in seinem Herkunftsland auf Grund von generalisierenden Merkmalen unabhängig von individuellen Aspekten einer über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkrieges hinausgehenden "Gruppenverfolgung" ausgesetzt wäre. Im vorliegenden Verfahren ergaben sich aber auch für eine Gruppenverfolgung (der Bf ist Angehöriger der Volksgruppe der Usbeken) oder eine asylrelevante Verfolgung aus sonstigen Gründen (wie bspw einer dem Bf im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan drohenden Zwangsrekrutierung oder allenfalls eine aufgrund seines längeren Aufenthaltes in Europa asylrelevante Verfolgung und/oder Bedrohung) keine ausreichenden Anhaltspunkte.

3.6. Auch aus der allgemeinen Lage in Afghanistan lässt sich für den Bf eine Zuerkennung des Status des Asylberechtigten nicht herleiten:

Eine allgemeine desolate wirtschaftliche und soziale Situation stellt nach ständiger Judikatur des VwGH keinen hinreichenden Grund für eine Asylgewährung dar (vgl etwa VwGH 17.06.1993, 92/01/1081; 14.03.1995, 94/20/0798). Wirtschaftliche Benachteiligungen können nur dann asylrelevant sein, wenn sie jegliche Existenzgrundlage entziehen (vgl etwa VwGH 09.05.1996, 95/20/0161; 30.04.1997, 95/01/0529; 08.09.1999, 98/01/0614). Aber selbst für den Fall des Entzugs der Existenzgrundlage ist eine Asylrelevanz nur dann anzunehmen, wenn dieser Entzug mit einem in der GFK genannten Anknüpfungspunkt - nämlich der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung - zusammenhängt, was im vorliegenden Fall zu verneinen ist (dies gilt gleichermaßen für die vom Bf angedeuteten Gefahren, die sich aus der allgemeinen Sicherheitslage in Afghanistan ergeben).

3.7. Abschließend wird darauf hingewiesen, dass einer allfälligen - nicht asylrelevanten - Gefährdung des Bf durch die derzeitige Sicherheitslage in Afghanistan im vorliegenden Fall bereits durch die Entscheidung der belangten Behörde (ihm wurde, wie bereits mehrfach erwähnt, mit dem angefochtenen Bescheid vom 17.10.2016 eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte erteilt, die ihm jüngst auch bereits von der belangten Behörde wieder verlängert wurde) ausreichend Rechnung getragen wurde.

Da nach Ansicht des BVwG das Fluchtvorbringen des Bf in seiner Gesamtheit nicht die Voraussetzungen für die Gewährung von Asyl erfüllt, war die gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids erhobene Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

3.8. Der Vollständigkeit halber wird noch darauf hingewiesen, dass bei diesem Ergebnis eine abschließende Prüfung der innerstaatlichen Fluchtalternative entfallen kann, da die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative im Widerspruch zum gewährten subsidiären Schutz stehen würde, weil § 11 AsylG 2005 die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nur erlaubt, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht gegeben sind (vgl VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0011 bis 0016).

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die vorliegende Entscheidung ist in erster Linie durch die auf der Beweiswürdigung aufbauenden Feststellungen begründet, unklare Rechtsfragen wurden weder in der Beschwerde aufgeworfen, noch sind solche im Verfahren hervorgekommen. In rechtlicher Hinsicht weicht die gegenständliche Entscheidung weder von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (vgl die unter Pkt II. angeführte Judikatur); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Im Übrigen hängt die Entscheidung über strittige Fragen hier nur vom Ergebnis der Beweiswürdigung ab, die grundsätzlich nicht revisibel ist. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Glaubwürdigkeit, individuelle Verfolgungsgefahr, mangelnde
Asylrelevanz, private Verfolgung, Zwangsrekrutierung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W131.2140335.1.00

Zuletzt aktualisiert am

14.06.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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